1919 / 280 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 06 Dec 1919 18:00:01 GMT) scan diff

wesens in der Ricktung elnes weiteten Rückschrilts. Das Kansff⸗

ministerium hat dieser Entwicklung von Anfang an widersprochen,

ber weder die schaffende Künstlerschaft noch die Parteien haben gegen

diese katastrophale Entwicklung irgendwie Protest erhoben. ir

müssen uns ja in dieser schweren Zeit an vdieles gewöhnen, aber wir sollten doch auch den Mut haben, in neuen Organ sationsformen denken. Dem Künstlertum muß irgendwie eine öffentlich rechtliche Bertretung gegeben werden, die auch eine Verantwortung zu tragen, nicht bloß Gutachten abzugeben hat. Ich habe dieses Beispiel nur angefüuhrt, um Ihnen zu zeigen, in wel⸗ gem Geiste und in welcher Auffassung vdas Ministerium An die tünstlerischen Aufgaben herantritt. Wir erstreben auf der ganzen Linie eine enge Verbindung zwischen dem Stagt und dem lebendigen Leben. Wir wollen überall das patriarchalische Verhältnis aufhören lassen, wir wollen, daß der Künstler frei gestaltet. Zweifellos gibt es eine Stufenleiter des künstlerischen Empfindens. Der Mensch muß zur Kunst erzogen werden, zur Kunst des Sehens wie des Hörens. Es kommt darauf an, die in ledem Menschen schlummernden Energien zu b Dingen zu wecken. Beim Theater schwebt uns die Entwicklung vor, wie sie die Volksbühne mutig genommen hat. Gegenüber dem Erwerbstheater muß der Staat das Kulturtheater Ffleßen. Im Rahmen der Volks⸗ hochschulen hat auch volkstümliche Kunstpflege ihren Platz, desgleichen ist die Pflege der Kunstdenkmäler unsere Rusgabe. Für die ganze unsterziehung soll eine Auskunftsstelle geschaffen werden unter freier Beteiligung der berufsständischen Organisationen und der Kom⸗ munen. Aus diesem Rahmen heraus erklärt sich auch unsere Stellung zur Frage des kunstgewerblichen Unterrichts. Wir glauben, daß er möolickst mit dem Geiste der Kunst und möglichst unbürokratisch betrieben werden soll, und daher gauben wir, die Erziebung des Kunstgewerbes und damit auch die Erziehung des Gewerbes selbst, beanspruchen zu dürfen. Die ganze Erziehung muß in einheitlichem Geiste zusammengefaßt werden. Die künstlerische Erziehung wird schließlich zu einer nationalen Aufgabe. In die Schule gehört die Kunst in ganz anderer Weise hinein als bisher. Der Unterricht muß auf eine ganz andere Basis gestellt werden, er muß ein allgemeiner Kulturunterricht werden, der nicht bloß dem historischen Demken, sondern auch dem künstlerischen Sehen gerecht wird. Gerade die Kunst ist etwas, was das Volk als Ganzes zusammenhält, was das Gefühl der Zusammengehörigkeit am stärksten lebendig werden läßt, weil sie der stärkste Ausdruck der Individualität eines Volkes ist. Ist eine Idee geboren, so wandert sie von Volk zu Vork, und hierin liegt für Wissenschaft und Kunst das Völker⸗ verbindende, das Internationale. Mit diesem Gedanken wollen wir als Kultusministerium auch unsere Erziehung im Sinne der Verinner⸗ lichung leiten, die wir unbedingt brauchen. Die Erziehung zum echten Deutschen ist nicht möglich ohne Teilnahme an der Kunst. (Beifall.) Abg. Hennig (U. Sez.): Auf dem Kunstgebiet haben tatsäch⸗ lich die Regierunesvertreter fortschrittliche Ideengänge verfochten. Wir erkennen das an. Auch in der Kunst ringen zwer Strömungen miteinander; die Kluft, die ldurch die Gesellschaft geht, spaltet auch die Kunst. Heute ist sie lediglich für den außerhalb der Alltagslast lebenden Menschen zugänglich. Besonders in der Malerei tritt der (egensatz grell hervor. Die Masse ist kunsthungrig. Aus der Arbeiter⸗ schaft selbst heraus machen sich jetzt künstlerische Bestrebungen gel⸗ tend; die Arbeiter haben mustergültige Volksbühnen geschaffen, wie sie Bihliotheken geschaffen haben. Natürlich konnte das nur gegen den schroffsten Widerstand der früheren Gewalten geschehen. Das ist ja jetzt erstaunlicherweise arders geworden. Der öffentliche Kunst⸗ besitz muß dem Volke zugänglich gemacht werden. Das Kronprinzen⸗ palgis soll, wie man munkelt, der Kunst wieder genommen und für militärische Zwecke verwendet werden. (Widerspruch des Ministers.) Die Museen müssen den ganzen Sonntag geöffnet sein, das Vorrecht der Kirche auf diesem Gebiete ist ein Zopf, der endlich abgeschnitten werden muß. Im Thegterwesen spiegeln sich die Klassengegensätze besonders kraß: hier muß eine besonders gründliche Reform einsetzen. Man hat mit Volksvorstellungen in dem Staatstheater einen Anfang gemacht. Finanzielle Bedenken dürfen hier nicht den Ausschlag geben: die Darbietungen, zumal die Erstaufführunagen, dürfen nicht nur Millionären und Kriegsgewinnlern zugänglich sein. Wir freuen uns, daß jetzt endlich auch dem ganzen Volke der Besuch eines guten Schauspiels ermöalicht ist, und erwarten von der Staatsregierung, baß diese Bestrebungen weiter gefördert werden. Eine Beseitigung der kapitalistischen Theater wird nur durch die Sozialisierung der Thealer ermöglicht werden. Eine Zensur halten wir nicht nur im Theaterwesen, sondern auch im Kinowesen für schädlich, das beste wäre die Uebernahme der Kinos in kommunale Regie. In den Theater⸗ agenturen erblicken wir nichts weiter als eine kapitalistische Aus⸗ beutung der Künstler und damit auch eine Schädigung der Kunst. Die Kunst darf niemals parteipolitischen Zwecken dienstbar gemacht werden. Früher wurde die Kunst oft mit Gunst verwechselt. Das muß endlich aufhören. Auf der akademischen Hochschule für bildende Künste in Charlottenburg machen sich immer noch nationalistische und kapitalistische Ansichten geltend. Der Berliner Domchor darf nicht nur der Kirche dienen, sondern muß auch dem ganzen Volke zugänglich gemacht werden. Gewiß soll die Kunst national sein, aber sie muß sich international auswirken, schon um unser deutsches Ansehen im Aus⸗ lande wieder herzustellen. Wir sind durchaus der Ansicht eines fran⸗ zösischen Professors, daß Kunst und Wissenschaft am besten geeignet ist, die Völker miteinander zu versöhnen. Nach unserer Auffassung ist der Sozialismus der beste Träger für eine einheitliche Kultur. Abg. Frau Garnich (D. V.): In der Kunst darf niemals eine Richtung gefördert werden, sondern alle Richtungen müssen gleich⸗ mäßige Berücksichtigung finden. Jetzt wird vielfach ein Kunstwerk danach bewertet, welcher Richtung sein Schöpfer angehört. Wir bitten das Ministerium, sich von keiner Seite irgendwie beeinflussen zu lassen. Es gibt keine kapitalistische oder proletarische Kunst, sondern nur eine allgemeine deutsche Kunst. Die Umwandlung der Schlösser zu Museen begrüßen wir im allgemeinen Volksinteresse. Mit einer Popularisierung müßte eine Dezentralisation verbunden werden. Eine volkstümliche Ausgestaltung der Museen wäre obenfalls zu wünschen. Zu den künstlerischen Deputationen müßten unbedingt auch Frauen hinzugezogen werden, ebenso ist die Besetzung der Lehrstühle auf Kunst⸗ hockschulen den Frauen offen zu halten. Die Staatsregierung muß sich die Förderung der Künstler aller politischen Richtungen angelegen sein lassen. Es würde sich auch empfehlen, die Handgeschicklichkeit der Handwerker zu fördern, im Mittelalter hat doch das Handwerk geradezu Hervorragendes geleistet. Hinsichtlich des Kinowesens hoffen guch wir, ohne Zensur auskommen zu können, da sich ja jetzt in diesem Betriebe selbst Bestrebungen geltend machen, schmutzige Filmwerke auszumerzen. Es freut uns, daß jetzt dem Volke für billige Preise der Besuch guter Theater ermöglicht ist, dem gebildeten Mittelstand ist es dagegen nicht mehr möglich, eine gute Theateraufführung infolge der hohen Eintrittspreise zu besuchen. Ich möchte den Minister bitten, sich auch dieses Teiles der Bevölkerung anzunehmen. Dann bitte ich den Minister, sobald als möglich den Anfang der Theater auf eine spätere Zeit zu verlegen, da es dem berufstätigen Publikum nicht möglich ist, schon um 5 Uhr im Theater zu erscheinen. Den Pripatbühnen muß überlassen bleiben, auch weiterhin künstlerisch zu wirken. Gewiß soll die Kunst international sein, aber jetzt schon ausländische Künstler in Deutschland zuzulassen, ehe der Friede unter⸗ zeichnet ist, ist doch nicht richtig. Die Kunst soll uns trösten über das Leid der letzten Jahre und auf das Volk erbebend wirken, das glaube ich wohl im Namen aller Parteien sagen zu dürfen. (Beifall rechts.) Minister für Kunst, Wissenschaft und Volbsbildung Haenisch: Meine Damen und Herren! Es ist mir ein Bedürfnis, am Schluß dieser Debatte über das Kapitel Kunst und Wissenschaft als Minister meiner hoben Befriedigung über den Gang, den die Debatte genommen hat, Ausdruck zu geben. Das bemerkenswert hohe Niveau, üuf dem diese Kunstdebatte gestanden hat, der große sachliche Ernst, der diese Debatte beherrscht hat, und der versöhnliche Geist, in dem sie geführt wurde, das alles war ganz außerondentlich erfreulich. (Zuruf rechts.) Ich rede jetzt nur von der Kunstdebatte, mene ver⸗

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das, was mir da eben zugerufen rurde: „Mit Ausnahme von Adolph“, sagen, daß es mir ein Bedürfnis ist, meiner Freude über die sachliche und ernste Art Ausdruck zu geben, in der gerade auch der Herr Redner der unabhängigen Sozialdemo⸗ kratie heute diese Frage hier behandelt hat. Der Herr Vertreter der unabhängigen Sozialbemokratie hat in seiner Rede gezeigt, daß man auch mit Vertretern seiner Partei über ernste, fachliche Dinge ernst, sachlich und würdig debattieren kann, und seine Rede stand in einem außerordentlich erfreulichen Gegensatz zu gewissen anderen Reden, die wir leider in den letzten Tagen über uns ergehen lassen mußten.

Meine Damen und Herren, ich habe nicht das Bedürfnis, mich noch grundsätzlich zu äußern; ich kann da durchaus auf das verweisen, was Herr Unterstaatssekretär Becker in seinen grundlegenden Aus⸗ führungen vor Ihnen gesagt hat. Ich habe mich nur noch zum Wort gemeldet, um ein paar Einzelfragen, die seitsns der letzten Redner gestreift worden sind, in aller Kürze zu beleuchten.

Die Frau Vorrednerin, glaube ich, ist es gewesen, die dringend die Preußische Regierung darum gebeten hat, auf ein Ausfuhr⸗ verbot für Kunstwerke hinzudrängen. Ich darf mitteilen, daß wir dieser Frage bereits seit Beginn der Revolu⸗ tion unsere ganz besondere Aufmerksamkeit geschenkt haben, daß wir die Verschlerpung wertwwoller nationaler Kunstwerke ins Ausland aus kapitalistischen Gewinngründen für ein Verbrechen am Kunstbesitz und am Kulturgut unserer Nation halten. Die Entscheidung über diese Dinge liegt aber beim Reiche, die Preußische Regierung hat es von Anfang an daran nicht fehlen lassen deim Reiche in diesem Sinne nachdrücklich tätig zu sein, und sie wird in ihren Bemühungen nicht nachlassen. .

Ein kurzes Wort dann zu den Theaterfragen. Die Frau Vorrednerin hat mit vollem Recht ihr Bedauern über die Aufführung der sogenannten Kriegsgewinnlerkomödie „Brandl“ ausgesprochen, die wir vor einiger Zeit im Schauspielhaus erleben mußten. Ich schließe mich in der Kritik des Stückes durchaus der Frau Vorrednerin an. Das Stück hat allerdings eine ausgezeichnete Figur, nämlich die Haupt⸗ figur des „Brandl“ selbst; sonst ist aber das Stück als Ganzes allerdings außergewöhmlich dilettantenhaft, ich möchte sagen: quartanerhaft ge⸗ macht, vor allem in der Erfindung und Durchführung der Handlung. Ich bedaure, daß es vom staatlichen Schauspielhaus angenommen worden ist. Zur Entschuldigung und Verteidigung des Intendanten Jeßner habe ich aber mitzuteilen, daß dieses Stück bereits angenommen worden war, bevorder neue Intendantinsein Amt ein⸗ trat, daß er bindende Verpflichtungen zur Auf⸗ führung vorfand, denen er sich nicht entzichen konnte. Herr Jeßner hat mir glaubhaft versichert, daß er seinerseits ieses Stück nicht zur Aufführung angenommen haben würde.

Den Wünschen, die von verschiedenen Vorrednern gestern von Herrn Dr. Heß, eben auch von der Frau Vorrednerin geäußert worden sind, daß an unserer Staatsoper insbesondere de utsche Musik gepflegt werden möge ich glaube, auch Herr Abgeordneter Dr. Ritter hat heute morgen davon gesprochen —, schließe ich mich auch, wie ich bereits im Ausschuß des näheren ausgeführt habe, von ganzem Herzen an. Auch mir wäre es lieb, wenn Opern so urdeutscher Art wie die „Meistersinger“, wie wir Sonntag wieder hören konnten, wenn Opern wie „Fidelio“, die Lange nicht genug gegeben werden, wenn alles das Volksopern im wahrsten Sinne des Worts werden könnten. Wir haben im vorigen Jahre den Versuch gemacht, Glucks Oper „Orpheus und Eurydike “in Volksvorstellungen geben zu lassen. Leider hat das Publikum dafür nicht das erforderliche Verständnis und die noterendige Aufnahmefähigkeit gehabt, und es hat sich leider als notwendig er⸗ wiesen, nach wenigen Aufführungen diese Oper wieder vom Spiel⸗ plan abzusetzen. Aber ich bin mit dem neuen Intendanten der Oper, mit Herrn v. Schillings, der sich mit der „Palestrina“⸗Aufführung so prächtig eingeführt hat und den gewonnen zu haben für mein Ministe⸗ rium eine ganz besondere Freude und Genugtuung ist, darin völlig eines Sinnes, daß deutsche Volkskunch in allererster Linie gepflegt werden muß, ohne itgend eine engherzige ausschließende Tendenz natürlich gegen fremde Kunst. Solche Engherzigkeit gerade auf dem Gebiete der Kunst wollen wir getrost unseren Gegnern überlassen. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Sie schädigen sich damit in erster Linie. Wie stehen zu hoch und zu groß da, als daß wir in ähnliche kleinliche und erbärmliche Fehler verfallen sollten. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Ich habe dann besonders auch darauf hingewirkt, bereits im vorigen Jahre und auch in diesem Jahre wieder, daß ein so echt deutscher volkstümlicher Meister wie Lortzing auf unseren Bühnen mehr zu. Gehör kommt. Der „Wildschütz“ ist im vorigen Jahre neusinstudiert worden, und Herr v. Schillings hat mir versichert, daß er gerade der Pflege eines so volkstümlichen gesunden deutschen Meisters wie Lortzing besondere Sorgfalt angedeihen lassen will.

Die Frau Vorrednerin hat sich dann über den frühen Anfang der Theatervorstellungen beklagt und darauf hingewiesen, daß, wenn Opern wie „Palestrina“ schon um 5 Uhr oder Opern wie die „Meistersinger“ gar schom um 4 Uhr anfangen, und besonders, wenn das Wochentags ge⸗ schieht, weiten Kreisen der werktätigen Bevölkerung des Mittelstandes und der Arbeiterschaft der Theaterbesuch unmöglich gemacht wird. Das ist ganz meine Meinung. Aber wir stehen hier vor einer höheren Gewalt; nämlich über dem Kultusminister steht noch der Kohlenkommissar. Der Kohlenkommissar verlangt, daß die Theater spätestens um 10 Uhr geschlossen werden. Da wir die „Meistersingen“ und „Palästrina“ nicht zusammenstreichen können solche Barbarei und solches Banausentum werden Sie weder mir noch Herrn v. Schillings zutrauen (Frau Abgeordnete Garnich: Aber wenn der Kohlenkommissar nicht mehr Einspruch erhebt?2) aber selbstverständlich, gnädige Frau —, da wir uns, sage ich, auf solche Streichungen bei unseren großen Opern nicht einlassen können, da das barbarisch wäre, so sind wir gezwungen, uns mit dem früheren Anfang einverstanden zu erklären. Daß wir, sobald die harte Faust des Kohlenkommissars uns nicht mehr an der Gurgel sitzt, im In⸗ teresse der werktätigen Bevölkerung und der weitesten Kreise das Theater sicher später anfangen lassen werden, das versteht sich von selbst, und in dem Wunsche stimme ich mit der verehrten Vorrednerin völlig überein.

Die Frau Vorrednerim hat dann bemängelt, daß dem Mittel⸗ stande gute Theaterkunst nicht in dem wünschens⸗ werten Maße zuteil würde. Ja, da kann ich mur darauf bimweisen, daß in unserer Zeit des allgemeinon Organisationsdranges auch dem Mittelstand, wenn er in ausreichendem Maße zum Kunst⸗

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genuß dvemmen will, gar nichts unberes Mbrig bleibt, als sich auch in vsgroßen Kunstkonsumentenorganisationen zusam⸗

menzuschließen. Eine solche Kunstkonsumentenorganisation haben wir imm Thegterkulturverband, dessen sich ja mein Theaterreferent ian Ministerium, Herr Dr. Seelig, vor seinem Ein⸗ tritt ins Ministerium besordens liebevoll angenommen hat. Wir haben solche Kunstkonsumentenongamisarionen vor allem in unsse ren Freien Volksbühnem, und, soweit ich weiß, ist gerade in der Neuen Freien Volkébühne der Mittelstand beinahe ebenso stark ver⸗ wreten wie, die Arbeiterschaft, wenn nicht noch stärker. Also, ich kann den Mittelstand, dem ich natürlich genau so wie der Arbeiterschaft möglichst ausgiebigen Kunstgenuß wünsche, nur auf diese großen Or⸗ ganisationen hinweisen. .

Danm hat die verehrte Frau Vorrednerim von der Lage des Wiesbadener Theaters gesprochen und von der großen natio nalen Pflicht, die wir gevade auf diesem westlichen Vorposten kultur⸗ politisch zu erfüllen haben. Ich bin mit der verehrten Frau Vor⸗ rednerin darin völlig einverstanden; aber ich darf sie beruhigen: ge⸗ rade über Wiesbaden sind mit dem Wiesbadener Intendanten und auch sonst in Berlin unter meiner Beteiligung zahlreiche eingehende Beratungen gepflogen worden, und wenn ich mich wus Gründen, für die ich auf Verständnis vochnen darf, hier im Plenum dieses Hauses auf Einzelheiten nicht eimlassen nöchte, so darf ich doch sagen, daß alles Notwendige in die Wege geleitet und zum großen Teil auch schon geschebhen ist, und daß ich keinen Zweifel daran habe, daß es gelingen wird, das Wiesbadener Theater als vorgeschobenen Posten deurscher Kultur nach dem Westen hin dem deutschen Volkstum und dem deutschen Volke selbst zu erhalten. (Bnavo! rechts.) 86

Meime verehrten Damen und Herren! Eine etwas mißverständ⸗ liche Aeußerung hat dann die verohrte Frau Vorrednerin über die Sozialisierung des Theaters getan. Es ist wirklich ein Irrtum, wenn Sie glauben, daß der Sczialisierungsgedanke so zu verstehen sei, daß nun jedes sozialisierte Theater genossenschaftlich betrieben werden sollte, das die mitwirkenden Schauspieler und Bühnenarbeiter selbst die Besitzer sein müßten. Das steht dabei erst in dritter, vierter und fünfter Linie. In erster Linie ist bei der Sozialisierung zu denken an die Kommumalisierung und an die Verstaatlichung von Theatern. Daß daneben unter Umständen auch eine Künsthlergenossenschaft einmal einen Versuch mit einem ihr genossenschaftlich gehörenden und von ihr gemeinsam geleiteten Theater macht, dagegen ist gar nichts ein⸗ zuwenden, und wenn dieser Versuch glückt, um so besser. Aber das Wesen der Soziclisierung des Theaters besteht darin nicht.

Der Herr Abgeordnete Hennig und ich glaube auch die Frau Vorrednerin hat sich dann über die Höhe des Eimtrittsgeldes bei der ersten und zweiten Palestrina⸗Aufführung beklagt. Gewiß, die Eimtrittspreise sind außerordentlich hoch gewesen und sie waren für Arbeiter und Mänmer und Frauen des Mitctelstandes nicht erschwinglich. Aber ich darf dech darauf aufmerksam machen, daß wir mit diesen hohen Eintrittspreisen einen eminentsozialen Zweck verfolgt und erreicht haben; denn wir haben es da⸗ durch möglich gemacht, daß wir weitere fünf Palestrina⸗ Aufführungen zu ganz mäßigen Preisen geben und den breiten Volksmassen zugänglich machen konn⸗ ten. Dadurch haben fünf Palestrina⸗Vorstellungen stattfinden können, die zum größten Teil zu zwei Dritteln von Mitgliedern der Vollkebühne belegt waren, und da konnte der Eintritt den Mit⸗ gliedern der Volksbühne zum Eimtrittspreise von mur 2 ermöglicht werden. Das wöre uns bei der Finanzlage des Staates nicht möglich gewesen, wenn wir nicht bei den ersten Vorstellungen die hohen Eim⸗ trittspreise genommen hätten. G 8

Im übdrigen, meine verehrten Damen und Herren, ist es denn wärklich ein so großes Unglück gerade vom soziglen und sozialistischen Standpunkt aus ich möchte auch Sie fragen, Herr Abgeordneter Hennig —, wenn wir, um der minderbemittelten Bevölkerung zu möglichst niedrigen Preisen, zu Einheitspreisen von 2 ℳ, bedenken Sie! solche Vorstellungen vermitteln können, den Krie gs⸗ gewinnlern recht hohe Preise abnehmen? Das ist ein wirklich sozialer Ausgleich, gegen den, glaube sich, gar nichts ein⸗ zuwenden ist. (Abg. Dr. Weyl: Aber die Premiere und die Ein⸗ wirkung auf die öffentliche Kritik!) Ja, ist es denn so besonders wichtig, verehrter Herr Dr. Weyl, daß nun alles gerade in die Premieren hineinläuft? Ich halte diesen Berliner Premierenrausch, diese Sucht, bei der Premiere unbedingt dabei sein zu müssen, für gar nicht übermäßig gesund. (Sehr richtig! rechts.) Ich für meine Person gehe benso gern in die zweite oder dritte Votstellung, mir kommt es mehr auf das Kunsterlebnis als auf das sensationelle gesellschaftliche Ereigms an; und darin scheine ich ja auch die Zustimmung der rechten Seite dieses Hauses zu haben. (Abg. Dr. Leidig: Wir stimmen immer zu, wenn der Minister etwas Vernünftiges sagt!) Ich bemühe mich immer, etwas Vernünftiges zu sagen; andererseits kommt es aber doch vielleicht auch darauf an, daß meine Worte von Ihnen vernü⸗ nfhig aufgefaßt werden. (Heiterkeit.) Also es kommt mir beim Theater⸗ genuß mehr auf das künstlerische Erlebnis als auf das gesellsschaftliche Sensationsereignis an, und darum ist es gar kein Unglück, wenn man den Leuten, die bei einer Premiere unter allen Umstäönden dabei ge⸗ wesen sein müssen, teilweise um ihre Toiletten und ihre Orden von früher her zu zeigen, höhere Preise abknöpft, um nachher den breiten Massen des Volkes dieselbe Vorstellung zu desto billigeren Preisen bieten zu können.

Der Herr Abgeordnete Hennig hat dann mit vollem Recht darauf hingewiesen, daß es wünschenswert sei, immer größere Massen in das Theater hineinzubringen, um den innigsten Kontakt zwischen Volk und Kunst, wie ihn schon Hans Sachs in seinen „Meistersingern“ so wundervoll verherrlicht hat, daß „Volk und Kunst gleich blüh' und wachs““, herbeizuführen. Ich wies gestern schon in meiner zweiten Rede bei der Generaldebatte zum Etat auf das große künstlerische Frlebnis Berlins aus den letzten Wochen hin, auf die Eröffnung des Zirkus Schumann als großes Volkstheater, das auch, obgleich es in den Händen eines Privatunternehmers ist, doch in seinem Abonnementsausbau usw, durcharus soztal gedacht ist. Auch

der Herr Abgeordnete Hennig hat das ja voll anerkannt, und ich freue

mich, mit dem Herrn Abgeordneten Hennig darin ganz einer Meinung

sein zu können, daß die Eröffnung dieses großen Volkstheaters mitten

in unserem tiefsten Niedergang ein überaus erfreuliches Zeichen für den trotz allem gesunden uad auten Geist unseres deutschen Volkes ist.

(Fortsetzung in der Zweiten Beilage.) H

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zum Deuts

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Herr Abgeordneter Hennig hat sich dann mit dem Domchor näher beschäftigt und hat gewünscht, daß auch die Kunst des Domchors, in deren Wertschätzung wir alle, ich glaube, ohne jeden Unterschied der Partei, einer Meinung sind, den breiten Massen mehr zugänglich gemacht werde. Nun, ich darf sagen, daß schon seit vielen Jahren der Domchor an volkstümlichen Konzerten mitwirkt, und gerade die Ar⸗ beiter, verehrter Herr Abgeordneter Hennig, die nicht mehr in die Kirche gehen, haben sich oft genug besonders dankbar darübe ausgesprochen, daß sie durch diese Domchockonzerte auch außer⸗ halb der Kirche gute und wertwolle geistliche Musik zu hören dekommen. Den Domchor auch für die weltliche Musikpflege nutzbar zu machen, geht wegen seiner ganzen Organisation, wegen seiner Zusammensetzung ausschließlich aus Männern und Knaben nicht gat an. Herr Abgeordneter Hennig hat dann von der abscheulichen Hetze gesprochen, die im Winter gegen das Blüthner »„Orchester und seinen hochverdienten Leiter, Herrn Dirigenten Scheinpflug, in⸗ szeniert worden ist, wegen seiner Mitwirkung bei einer Trauerfeier für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Es ist Herrn Abgeordneten Hennig vwielleicht bekannt, daß ich selbst damals gemeinsam mit meinem Freunde, dem jetzigen Unterstaatssekretär Schulz vom Reichs⸗ ministerium des Innern, in einer öffentlichen Erklärung gegen diese Scheinpflug⸗Hetze auf das alleren tschiedenste protestiert habe, und den verurteilenden Worten des scharfen Protestes, die Herr Abgeordneter Henmig jetzt nachträglich gegen diese Hetze gefunden

Har, schließe ich mich vollauf an. Wenn wirklich in der „D eutschen

Tageszeitung“ ein Artikel gestanden hat, wis Herr Abgeordneter Hennig ihn zitierte, der aus Anlaß der Mitwirkung des Scheinpflugorchesters bei der Leichenfeier in einem unglaublich geschmacklosen und rohen Vergleich Karl Liebknecht und Rosa Lupxemburg auf eine Stufe mit Raubmördern stellte, so gibt es kein Wort des Protestes, das scharf genug ist, eine solche Geschmacklosigkeit und Würdelosigkeit, eine solche niedrige Gesinnung zu kennzeichnen. (Sehr richtig!) Sie wissen, wie ich seit Jahren die Politik von Liebknecht und Ros⸗ Luxemburg bekämpft habe, aber daß sie Märtyrer ihrer Ge⸗ danken undihrer Ueberzeugungwaren, daß sie infolge⸗ dessen auch künstlerische Ehrung bei ihrem Tode vollauf verdienten, darüber habe ich niemals einen Zweifel gelassen.

Dann ist von mehreren Herren ich glaube auch von Herrn Abg. Dr. Ritter ebenso wie von Herrn Abg. Hennig darüber ge⸗ sprochen worden, daß die ganze Kunstpflege mehr po pulari⸗ siert, werden müsse. Ich darf mitteilen, daß bei dem Zontval⸗ Institut für Erziehung und Unterricht, über das wir uns ja im Aus⸗ schuß cusführlich unterhalten haben, neuerdings eine be somndere Auskunftsstelle für volkstümliche Kunst⸗ und Erziehungsfragen eingerächtet worden ist, eine Zentvallstelle, die im engsten Zusammenhang mit den großen inter⸗ essierten Organisationen wie mit den Kommunen arbeiten soll. Also mach der Richtung hin haben wir den Wunsch des Herrn Abg. Hennig vovausgeahnt. Der Wunsch ist bereits erfüllt, bevor er ausgesprochen war, und ich hoffe, daß diese Zusammenarbeit der newen Auskunfts⸗ stelle mit den Organisationen und Kommunen sich praktisch bewähren wird.

Den wiederholt ausgesprochenen Wünschen wuch die letzte Frau Vorrednerin hat hier davon gesprochen —, daß die bildende Kunst dunch systematische Führungen ufw., besonders auch durch längeres und zweckmäßiges Offenhalten der Museen, mehr populari⸗ siert und vor allen Dingen mehr dezentralisiert welden möchte, schließe ich mich völlig an. Ich deuf auf das verweisen, was darvüber von den Herren Justi umd Bode und anderen Herren meines Ministeriums und von mir selbst im Ausschuß des näheven dargelegt worden sst. Es ist hier ja auch mit vollem Recht schon der sehr wertvolle, von Herrn Justi neuerdings herausgegebene volkstümliche Kunstführer

geloht worden.

Auch die Frau Vorrodnerin wünschte, daß Schätze aus den Museen mach Möglichkeit in die Provinz abgegeben werden mögen. Diese Wünsche unterstütze ich, wie ich schon im Ausschuß darlegte, wufs Lebchafbeste. Wir haben aber auch darin bereits ge⸗ arbeitet. Zum Beispich ist die Menzellausstellung von Berlin aus an über 70 Städte des Landes hinausgegangen und hat überall an⸗ regend und befruchtend gewirkt. (Bravo!)

Schhließlich möchte ich noch sagen, daß auch die Anregungen, die der Herr Abgeordnete Frank von der Mehrheitssozial⸗ demokratie gestern nach verschiedenen Richtungen hin geäußert hat, insbesondere auch auf dem Gebiete der Kinoreform, bei meinem Ministerium vollste Aufmerksamkeit und Würdigung finden

werden.

Die Wünsche, die sowohl von Herrn Abgeordneten Frank, wie auch von Herrn Abgeordneten Henmnig geäußert worden sind, daß die volkstümliche Kunstpflege des Kultusministeriums in engster und lebendigster Verbindung mit den lebendigen Kräften der Arbeiterbewegung geschehen möge, sind durchaus berechtigt. Ich glaube aber, diese Sicherheit ist dadurch schon geboten, daß ich gerade für dieses Gebiet Vertrauensmänner aus der Arbeiterbewegung, die jahrelang praktisch auf diesem Gebiet gewirkt haben, und zwar aus beiden Parteilagern, sowohl aus dem Lager der Unabhängigen Sozialdemokratie, wie aus dem Lager der Mehrheitssozialdemokratie, in mein Ministerium hineingezogen habe, die in trefflichster Weise diese Aufgaben in die Hand genommen haben. (Bravo!) 6“ Damit ist die Besprechung des Abschnitts „Kunst und Wissenschaft“ beendet. Die Verhandlung wendet sich zum dritten Abschnitt „Volksschulwesen (Elementarunter⸗ richtswesen). 3 Dazu liegem 37 Anträge des Hauptausschusses und in Anträge aus dem Hause, sowie eine förmliche Anfrage vor.

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Berlia, Sonnabend, den 6. Dezember

Eine mündliche Berichterstattung über die Ausschußanträge findet nicht statt; auch zu den aus dem Hause gestellten An⸗ trägen erfolgt nur bei einigen wenigen eine kurze Begründung. Abg. Kley⸗Neuwied (Zentr.) befürwortet den Antrag, die Re⸗ gierung zu ersuchen, anläßlich der Neuordnung des Leh rer⸗ bildungswesens die seminaristisch vorgebildeten Seminarlehrer und die staatlichen Präparanden⸗ lehrer in glleichwertigen Stellen unterzubringen und sie tunlichst in die Lehrkörper der neuen Lehrerbildungsanstalten zu über⸗ nehmen, zu sofortiger Annahme. 8

Abg. Herrmann⸗Friedersdorf (D. Nat.) tritt für den Antrag

seiner Fraktion ein: 1) die Abtrennung der n iederen Küsterdienste von organisch verbundenen Schul⸗ und Kirchenämtern unverzüglich überall durchzuführen, und 2) für die dauernd organisch verbundenen Schul⸗ und Kirchenämter den Mehrbetrag des Grund⸗ gehalts neu festzusetzen. Durch die jetzige Gehaltsregelung sei den Lehrern vielfach ein großes Unrecht und schwerer materieller Schade zugefügt worden. Das Kantoren⸗ und Organistenamt müsse gebührend besoldet und zu diesem Zwecke eine Gesetzesvorlage gemacht werden. Abg. Kimpel (Dem.) empfiehlt den Antrag seiner Fraktion, die Regierung zu ersuchen, dafür zu sorgen, daß unter selbstverständ⸗ licher Belassung der Freiheit der Gemeinden zur Reform der Besoldungsordnung für ihre Beamten eine gleich⸗ zeitige Neuregelung der Gehälter aller Lehrer ermöglicht wird.

Eine förmliche Anfrage der Demokraten betrifft die Versorgung der Kriegsteilnehmer aus den Kreisen der akademisch und seminaristisch ge bildeten Lehrer.

Abg. Jude (Dem.): Dieser Antrag ist ein unfreundliches Kapitel aus der Nachwirkung des hinter uns liegenden Krieges, das unbedingt im Interesse nicht nur der davon Betroffenen, sondern auch der Allgemeinheit zur Zufriedenheit gelöst werden muß. Viele junge Leute haben während des Krieges die Notprüfung gemacht und sich dadurch eine Anstellungsfähigkeit erworben. Hinzu kommt die Zahl der aus dem Kriege Heimgekehrten und auch eine Anzahl schon An⸗ gestellter aus den besetzten Gebieten. All diese Leute sind jetzt noch ohne Anstellung und infolgedessen in schwerer Besorgnis. Obgleich eine größere Anzahl von Lehrern pensionsberechtigt wäre, so fürchten diese doch, mit ihrem Ruhegehalt in der jetzigen teuren Zeit nicht auszukommen und verharren in ihren Stellungen, so daß es nicht möglich ist, an ihre Stelle jetzt die jüngeren Kräfte zu setzen. Das ist ein unhaltbarer Zustand, und die Regierung muß da unbedingt helfen eingreifen. Auch die Auszahlung der Teuerungszulagen usw. geschieht nicht den Wünschen der Lehrer entsprechend. Es muß auf irgendeine Art und Weise möglich sein, die pensionsfähigen Lehrer mit genügend Mitteln zu versehen und in den Ruhestand zu versetzen und auf diese Weise für die neuen Anwärter Platz zu machen. Ich bitte die Regierung, so schnell wie möglich hier einzugreifen.

Es folgt die allgemeine Besprechung.

Abg. König (Soz.): Es ist die Aufgabe der preußischen Ver⸗ waltung, die deutschen Bildungsschätze dem ganzen deutschen Volk nutzbar zu machen. Der Mensch darf nicht mehr wie früher nach seiner äußeren Stellung bewertet werden, sondern nach seinem inneren Diese Auffassung bricht sich jetzt immer mehr Bahn. Nach unserer Auffassung ist ein Zusammenleben der Kinder in den ersten Jahren ausschlaggebend für ihre ganze Denkungsweise, und daher ist die Einheitsschule das einzige Mittel, eine einseitige Denkungsweis möglichst zu verhindern. Das Recht des Kindes ist es, seinen Anlagen entsprechend eine Laufbahn einzuschlagen, und dieses Recht muß den Kindern geschaffen werden. Die Einheitsschule ist der Ausweg aus der Individualisierung des Unterrichts im höchsten Maße. Die Schaffung der Einheitsschule hat sich erst infolge der Revolution im allgemeinen durchgesetzt, ist also eine Folge und ein Erfolg der Revolu⸗ tion. Die früheren Schulen haben im Geiste der Unduldsamkeit und Unfreiheit gestanden. Dieser Geist soll jetzt beseitigt werden. Auch das ist ein Erfolg der Revolution. Die Revolution hat uns die religiöse und die Gewissensfreiheit gebracht. Auch den Lehrern ist erst jetzt religiöse und politische Freiheit gegeben. Was wäre wohl einem Lehrer in früherer Zeit geschehen, der in eine sozialdemokratische Ver⸗ sammlung gegangen oder gar selbst das Wort dort genommen hätte? Für die allgemeine Bildung der künftigen Lehrer darf keine besondere Anstalt geschaffen werden, sondern wir erwarten von der Staats⸗ regierung, daß sie klar und deutlich erklären wird, die Allgemeinbildung der Lehrer erfolgt auf den höheren Schulen. Der Geschichtsunterricht in den Schulen muß eine gründliche Aenderung erfahren, eine ein⸗ seitige Ueberschätzung mancher Persönlichkeiten muß aufhören. Die Träger und Vorkämpfer der Kultur müssen den Kindern vor die Seele gestellt werden zund aller Stoff auscgeschaltet werden, der eine einseitige Beurteilung gefunden hat, z. B. August Bebel gehörte unbedingt als Kulturvorkämvfer in den Geschichtsunterricht. Jede Engherzigkeit muß aus der Schule verschwinden. Wir fordern im Interesse der Lehrer Lehrerräte und die Befugnis, bei Disziplinaruntersuchungen aus ihren eigenen Reihen Vertrauensmänner zu wählen. Zwischen den Schul⸗ aufsichtsbehörden und der Lehrerschaft muß ein Vertrauensverhältnis geschaffen werden. Erst durch die Besoldungsreform wird den Lehrern ein langgehegter Wunsch erfüllt. Die Forderung der Lehrer nach Gleichstellung mit den Beamten der Staatsverwaltung ist durchaus berechtigt, und wir freuen uns, daß dieser Wunsch allgemeine Zu⸗ stimmung gefunden hat. Alles, was die Lehrerschaft in früheren Jahren gewünscht hat, wird jetzt so nach und nach erfüllt. Hieraus ist zu rsehen, daß die dameligen Forderungen der Lehrerschaft nicht über⸗ spannte gewesen sind. Wir fordern, daß die Rechte der Eltern erweitert werden, ein stärkeres Mitbestimmungsrecht der Eltern in der Schule sich geltend machen möge und dadurch ein harmonisches Verhältnis zwischen der Lehrerschaft und den Eltern herbeigeführt werden möge. Eine solche Vereinigung kann nur zum Segen der Schule und damit des ganzen Volkes dienen.

Abg. Gottwald (Zentr.): Wir sind bereit, mit aller Kraft an der Vervollkommnung der Jugenderziehung und des Schulwesens mitzuarbeiten. Wir wollen tüchtige Lehrer an den Schulen haben und ihre Stellung so gestalten, daß ihnen die Durchführung ihrer Erziehungsmission mit Erfolg ermöglicht wird. Die Schule muß allen Kindern eine tüchtige Erziehung gewähren und allen Schülern mit gleicher Liebe entgegenkommen. In diesem Sinne be⸗ grüßen wir den Gedanken der Einheitsschule und des Aufstiegs zur Unipersität mit Sympathie. Die Schule muß eine Fortsetzung des Erziehunaswerks des Hauses und der Familie sein, daher verlangen wir die Konfessionsschule. Die Elternbeiräte wären noch mehr aus⸗ zubauen, in ihrer bisherigen Form bieten sie wohl eine neue Gelegen⸗ heit zum Reden, aber nicht zur praktischen Arbeit. Die große Er⸗ ziehungsmacht der Kirche darf nicht zurückgedrängt oder hintangestellt werden. Die große Bewegung für die Volkshochschulen wird ihre Rückwirkung auf den Volksschullebrer nicht verfehlen; er wird vom Jugendlehrer immer mehr zum Volkslehrer sich entwickeln. Der Lehrer braucht guch vhilosophische Schulung. Der Sozialismus hat den Beweis volkserzieberischer Fähigkeit nicht erbracht. Wir stehen auf dem Boden der Verfassung, möchten sie aber auch durchweg loyal aus⸗ und burchgeführt sehen. Das Schulkompromiß hat leider das

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der sozialen Versöhnung sein, damit wird der Volkssch

Recht auf die konfessionelle Schule nicht ganz verbürgt; und die Versuche, die Regierung nach der anderen Seite abzudrängen, nötigen uns dazu, mit um so größerer Entschiedenheit auf der loyalen Inne⸗ haltung der Verfassungsvorschriften zu bestehen. Was wir für uns verlangen, gestehen wir auch anderen zu. Gerade die konfessionelle Schule wird dem Ideal der Schulfreiheit am vollkommensten gerecht. Wir haben beantragt, daß zunächst an jeder Regierung wenigstens ein Volksschullehrer als Regierungs⸗ und Schulrat angestellt wird; auf diesem Wege werden die Lehrer in die Verwaltung, auf die ihnen ja die neue Gestaltung der Dinge einen maßgebenden Einfluß zuspricht, Eingang finden. Die Einrichtung der Lehrerräte begrüßen wir.

Abg. Dr. Gottschalk⸗Gummersbach (Dem.): Wir legen Wert darauf, daß die Mehrheitssozialisten mit die Verantwortung für die Geschicke des deutschen Vorkes tragen, aus dieser Erwägung sind wir in die Koalition eingetreten. Auch der Minister Haenisch hat wie seine Partei seit ihrer Teilnahme an der Regierung eine Wandlund durch⸗ gemacht. Auch wir wünschen mit dem Herrn Kollegen Boelitz, daß der Minister immer mehr noch das Parteigewand abstreifen möge. Die Haenischschen Erlasse im Gebiete der Schulverwaltung sind in viel⸗ facher Hinsicht zu Unrecht angegriffen worden. Andererseits gehen wir mit den Herren Boelitz und Oelze zusammen in dem Verlangen, daß alle Parteipolitik aus der Schule zu verschwinden hat. Der Ernaß vom 20. September über den Schulbetrieb genügt uns nicht. Der Unterricht ist keine subalterne Tärigkeit, in die immerfort hineinregiert werden muß. Die neue Zeit stellt die Forderung auf: Cin Volk, eine Schule! Wir haben uns früher auseinandergelebt; die 95 Prozent, die nie eine höhere Schule besuchen, sind den anderen 5 Prozent gegen⸗ über ganz gewaltig zu kurz gekommen. Das kann und soll und wir jetzt anders werden. Den Lehrern hat es unter dem bisherigen Lehrer⸗ bildungssystem an der Vertiefung in den Stoff gefehlt. Dieses Be⸗ dürfnis kann jetzt befriedigt werden, wenn den Lehrern t. offen steht. Die neue Oberschule soll eine Tat des ssozi Krone aufgesetzt. Die Religion wird in dieser Sch gabe zu erfüllen haben. Religion ist Privatsache, aber auch sache. Wir sind aber unbedingt gegen eine Ausgestaltung der höheren Schulen zu konfessionellen Anstalten. Hinsicht ich des jetzigen G schichtsunterrichts ist eine vollständig neue Ausbildung notwendig. D Behauptung der unabhängigen Sozialdemokraten, daß die Oberlehrer die Schuld an dem verlorenen Kriege trügen, ist nicht richtig. Wir erstreben die Ausbildung des ganzen Menschen, wir wollen ihn er⸗ tüchtigen, die geistigen Kräfte des Kindes ausbauen. Wir erkennen das Arbeitsprinzip an, niemals aber darf das Nützlichkeitsprinzip in der Schule maßgebend sein. Wir freuen uns darüber, daß jetzt endlich die Universitäten den Lehrern geöffnet sind. Ich möchte den Minister bitten, vor allen Dingen sein Augenmerk cuf diejenigen Lehrer zu richten, die nicht die Möglichkeit haben, die Unwersitäten zu besuchen, und dafür zu sorgen, daß allen Lehrern der Besuch der Universitäten ermöglicht wird. Gerade in unserer jetzigen Zeit muß mehr Wert auf die inneren Kräfte unseres Volkes gelegt und das Verantwortlichkeitsgefühl im Volke geweckt werden. Vergessen wir nicht, daß die Universität Berlin in einer Zeit gegründet worden ist, als Preußen am schwersten darnieder⸗ lag, vergessen wir auch nie, was das Volk Gewaltiges im Kriege ge⸗ leistet hat, und haben wir aus diesem Grunde unbedingtes Vertrauen zu unserem Volke. (Beifall bei den Demokraten.)

Abg. Oelze (D. Nat.): Der Minister warf uns gestern vor, wir seien nationalistisch, er aber national. In dem Worte natio⸗ nalistisch erblicken wir absolut keinen Vorwurf, denn nationalistisch gesinnt ist auch Amerika, ist England, ist Frankreich. Deshalb können guch wir nationalistisch sein. Etwas anderes ist es aber, ob des Ministers Partei national handelt, wenn sie durch sogenannte objektive Untersuchungen Deutschland die alleinige Schuld am Ausbruche des Krieges beizumessen versucht.

„Kurz vor 7 Uhr soll der nächste Redner Abg. Hennig 8 (u. Soz.) zu Worte kommen. Abg. Leid (U. Soz.) beantragt Vertagung.

Abg. Gronowski (Zentr.) widerspricht der Vertagung unter Himweis auf den einstimmigen Beschluß des Aeltestenrats.

Der Präsident bemerkt noch, daß die Dispositionen des eltestenrats den katholischen Feiertag am 8. Dezember gar nicht in Rücksicht gezogen hatten, und legt auch seinerseits dem Hause nahe, die Beratung fortzusetzen. 11“

Der Antrag Leid wird abgelehnt. 1 8

Abg. Hennig, dem nunmehr das Wort erteilt wird, erklärt sich körperlich außerstande, seine Rede zu halten, da ec seit 9 Uhr Morgens unausgesetzt tätig sei und auch schon einmal das Wort ergriffen habe.

Um 7 Uhr erhält Abg. Hollmann (D. V.) das Wort.

Nach 8 Uhr Abends wird die Fortfetzung der Beratung auf Sonnabend 11 Uhr vertagt.

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Nr. 51 des „Zentralblatts für das Deutsche Reich“, herausgegeben im Reichsministerium des Innern am 29. Novpember 1919, hat folgenden Inhalt: Zoll⸗ und Steuer⸗ wesen: Ausführungsbestimmungen zum Gesetz über eine außerordent⸗ liche Kriegsabgabe für das Rechnungsjahr 1919 vom 10. Sep⸗ tember 1919.

Verkehrswesen.

Nachdem der Postverkehr mit den Ländern, die infolge der Kriegsereignisse von Deutschland postalisch abgeschnitten waren, nunmehr wiederhergestellt ist, wird das Publikum erneut darauf aufmerksam gemacht, daß es sich empsieblt, Anfragen an die deutschen Vertretungen im Auslande das Rück⸗ porto beizulegen; andernfalls muß der Anfragende damit rechnen, daß die deutschen Vertretungen mangels entsprechender Fonds die Antwort unfrankiert absenden was die Erhebung eines Zuschlagportos in Deutschland zur Folge hat. Am zweck⸗ mäßiasten ist es, den Anfragen das Porto für die Antworten in abgestempelten internationalen Antwortscheinen beizulegen, die bei den größeren Postämtern käuflich sind.

Theater und Munsik.

Konzerte.

as IV. volkstümliche Symphoniekonzert der Kapelle des Deutschen Opernhauses brachte als Neuheit die Aufführung einer „Symphonischen Suite“ von Max Laurischkus. Sie ist ein Werk von eigenartiger Erfindung und großer Klangschönheit. In Kolorit und Thematik macht sich hier, wie auch in anderen seiner Schöpfungen, die litauische Heimat des Kompo⸗ nisten geltend; das verleiht den fünf Sätzen besonderen Reiz. Dabei geht Laurischkus stets seinen eigenen Weg, seine Phantasie ist voll⸗ kommen urwüchsig und ursprünglich, und er verschmäht jede Aeußerlich⸗ keit. Schon in der Aufmachung unterscheidet sich die Suite von ähnlichen Werken der Neuzeit durch die kleine Besetzung. Man muß aber hören, wie jedes Instrument nach Eigenart und Klangfarbe ausgenntzt und mit anderen zu oft überraschender Wirkung verbunden wird. So im zweiten Satz bei der jedetmaligen Wiederkehr der schwermütigeg