den Sozialdemokraten.)
und das kann niemand bestreiten. Daraus ziebe ich den Schluß: ein eigentlicher Interessengegensatz zwischen den drei Körperschaften Reich, Länder und Gemeinden kann nicht bestehen. Wir haben dafür zu sorgen, daß alle drei sich so entwickeln, als es die harte Not der Zeit überhaupt gestattet, und daß, wenn beschnitten werden muß, nicht nur zu Lasten eh s⸗ 8 s wird, sonsem alle drei Körperschaften in gleicher Weise i n Aufgaben eingeengt werden müssen. Das sind so richtge Grundsätze, daß ich glaube, gegen diesen Kardinalsatz der Reichs⸗ finanzreform kann man nicht angehen.
Ich habe zum Schluß eine Bitte. Ich würde es für besser halten, wenn Sie alle Vorlagen an eine Kommission verweisen würden. Der Finanzminister kann sich nicht leicht teilen, auch seine Beamten nicht. Es sind große politische Vorlagen, namentlich das Landessteuergesetz ist ein großes tiefgreifendes politisches Gesetz mit, und ich glaube, das Landessteuergesetz kann auch nur pon der Kommission zwockmäßtg verabschiedet werden, die die Einkommensteuer festsetzt, weil ja im Landessteuergesetz Rücksicht und Beziehung auf das Einkommensteuer⸗ gesetz selbst, auch auf das Kapitalertragssteuergesetz genommen wird.
Ich glaube, daß man besser tun wird, die drei Vorlagen an eine
Kommission zu verweisen.
Ich habe eine zweite Bitte, die ich jetzt schon ausspreche. Am 1. April nächsten Jahres muß das Reichseinkommensteuergesetz in Kraft treten. Das ist der Termin, an dem es in Kraft treten muß. Sollen wir' im nächsten Jahr aber bereits Gelder bekommen, dann müssen die Vorarbeiten für die Veranlagung baldigst einsetzen. Ich bin nicht so kühn, jetzt schon zu glauben — ich unterstreiche das Wort „jetzt“ —, daß Sie die ganze Einkommensteuer schon vor Weihnachten verabschieden werden. Ich bin nicht so kühn. Man sagt, ich sei ein Optimist. Ich kann auch einmal eine angenehme Enttäuschung er⸗ leben. Wenn das nicht möglich wäre, muß man, glaube ich, den einen Gedanken jetzt schon prüsen, daß man die ersten Paragraphen, in welchen bestimmt wird: Was ist Einkommen?, in welchen alle die Voraussetzungen für die Veranlagung niedergelegt sind, versucht, vor Weihnachten zu verabschieden, daß man in einein Sondergesetz das zum Aumedruck bringt. Dann können die Veranlagungsbehörden vom Jamar, Februar an arbeiten. Wenn dieser Weg nicht gegangen wird, kommen die Steuerbehörden in eine ganz kolossale Schwierigkeit hinein, und dann fließt das Steuereinkommen erst sehr viel später im Jahre 1920. Ich glaube, der Wunsch, den ich ausspreche, ist kein unbilliger Wunsch. Denm die Fragen: Was ist Einkommen? sind bis auf wenige strittige Punkte des Landessteuergesetzes in Deutschland mehr oder weniger übereinstimmend bereits geregelt. Es handelt sich nur um gwei oder drei Gruppen von Einkommen, über welche hier noch eine Entscheidung zu fällen ist. Die Ausgestaltung des Tavifs, Kinderprivileg und alle diese Dinge, die lange aufhalten können, können dann ruhig nach Weihnachten erörtert werden; die spielen ja für die Veranlagung keine maßgebende, überhaupt keine Rolle. Denn die Erhebungen darüber können wir uns in irgendeiner Weise beschaffen.
Der Herr Abgeordnete Düringer hat damn mir im Eingang seiner Rede vorgeworfen, ich sei ein großer Optimist. Meine Herren, Gott sei Dank, daß ich ein Optimist bin. Denn wie soll man an die Sanierung unserer Reichsfinanzen, an diese geradezu ungeheuerliche Arbeit herangehen, wenn man nicht ein großes Stück von Optimismus in sich herumträgt? (Sehr richtig! bei den Mehrheitsparteien.) Aber ich sage ein zweites. Es ist hbein ungesunder Optimismus, sondern ein begründeter Optimismus. Schauen Sie von der Rechten doch selbft nur um ein Jahr oder um ein halbes Jahr zurück — ich spreche gar nicht von den Dezembertagen des vorigen Jahres, wo die Rechte im öͤffentlichen Lebon verschrunden war (lehr richtig! links), ich spreche nur vom Januar, vom März — und schauen Sie unser Wirtschafts⸗ leben an, wie es damals gewesen ist mit den ungeheouren Zuckungen im Mai, mit dem Bankbeamtenstreik, dem Kohlenarbeiterstreik, so⸗ lange wir in Weinmar gesessen sind, mit der absoluten Unsicherheit, wo jeden Tag unser ganzes Wirtschaftsleben durch eins Kleinigkeit vollstöndig aus dem ganzen Rahmen herausgeworfen und umgekrempelt wurde! Und schauen Sie unsere heutigen Verhältnisse an! Die Produktion an Gütern ist mit wenigen Ausnahmen — wo es an Rohstoffen fehlt — gestiegen, die Förderung von Kohlen ist gestiegen,
die Produktion von Eisen und Stahl ist gestiegen. Alle Meldungen, die ich hierüber von den guständigen Stellen bekomme, bekunden über⸗ mnstinnmend eine Zunahme der Arbeitsleistung. (Hört hört! bei⸗ Die Bergarbeiter des Westens treten an uns hevan und wollen freiwillig eine 7. Schicht am Sonntag ver⸗ fahren. (Bravo!l bei den Mehrheitsparteien.) Ebenso sind die Berg⸗ arbeiter in Oberschlesien eam die Regierung herangetreten, sie möchten eine Sonntagsschicht verfahron, um eine Begünstigung in der Lebens⸗ mittelbeschaffung herbeiführen zu können. (Wiederholtes Bravo! bei den Mehrheitsparteien.) Früher hat man die Wiedereinführung der Akkordarbeit für unmöglich gehalten. Jetzt lesen wir jeden Tag in der Zeitung, daß sich die Arbeiterschaft überall wieder mit dem Akkord⸗ system befreundet. Daraus ist zu schließen, daß eine Besserung in unseren Wirtschaftsverhältnissen eingetreten ist, wenn ich auch die Schattenseiten nicht verkenne, zu denen besonders das Verkehrswesen gehört.
Aus diesen Erscheinungen möchte ich den Schluß ziehen: wenn ein Volk unter den ungeheuerlichen Verhäͤltnissen, wie sie heute liegen, wo vir noch vor wenigen Monaten die Blockade hatten, wo unsere Lage nach außen noch vollkommen ungewiß war, weil trotz der Unterzeichnung des Waffenstillstands vor einem Jahr und trotz der Unterzeichnung des Friedens vor einem halben Jahr noch immer kein rechtlicher Zustand wieder eingetreten ist und unsere Außenpolitik sich noch in dem Zustand äußerster Unsicherheit befindet —, wenn dieses Volk trotz alle dem, was es fünf Jahre erduldet hat, und trotz aller Unsicherheit infolge des Verhaltens unserer Feinde jetzt bei der teilweise kümmerlichen Er⸗ nährung, Bekleidung und Heizung anfängt, mehr zu arbeiten, als es
or einem Jahre gearbeitet hat, so darf uns das zwar nicht zu einem leichtfertigen Optimismus verleiten, aber eins darf ich doch daraus entnehmen: der Glaube an das deutsche Volk kann durch keine Reden von rechts aus meinem Herzen gerissen werden. (Lebhafter Beifall bei den Mehrheitsparteien.)
Abg. Dr. Becker⸗Hessen (D. Vp.): Trotzdem dem Reichs⸗ finanzminister ein ganz hervorragender Stab von Mitarbeitern zur Verfügung steht, sollte man doch auch Leute des praktischen Lebens hoören. Wir begrüßen es, daß das ganze Steuersystem den obersten Grundsätzen sozialer Gerechtigkeit Rechnung trägt, daß die Steuer auf die leistungsfähigen Schultern gelegt wird. Anträge für die Kommissionsberatungen behalten wir uns vor. Es ist erwünscht, wenn die drei Steuergesetze nur einem Ausschuß überwiesen und nicht aus⸗ einandergerissen werden, denn es besteht ein tiefer sachlicher Zusammen⸗
hang swischen ihnen. Ich muß es kebhaft beklagen, daß die Sache in
„Regierung so mangelhaft vorbereitet vorden ist. Am Mittwoch hat der Fmanzminister eine Art zusammenhängendes Programm seiner Sanierungsplane entwickelt. Dieses Progromm enthält weitausschauende Plãne. es wird sich zum Teil um eine Neuorganisation des gesamten Wirtschaftslebens handeln. Wir billigen die Uebernahme solcher Be triebe in die Hand des Reiches, die in der Hand des Reiches am besten aufgehoben sind, wie z. B. Eisenbahnen, Post und aähnliche Betriebe, die schon einen monopolartigen Charakter angenommen haben. Der Privatbetrieb muß erhalten und gestärkt werden, von seinem Blühen und Gedeihen ist auch der Aufbau unserer Finanzen in erster Linie abhängig. Der Staat kann nun einmal nicht so wirtschaften wie ein Privater. Die Neuorganisationspläne des Reichswirtschaftsministers sind zunachst noch Zukunftmusik. Heute glaubt niemand mehr daß die nötigen Milliarden durch direkte oder’ durch indirekte Steuern aufge⸗ vracht werden können. „Alle Steuerquellen. müssen bis zur. äußersten Grenze ausgeschöpft werden, wenn wir wieder zu einigermaßen gesunden Finanzen kommen wollen. Streitig ist nur, wo jene Grenze liegt. Das Wegsteuern des Besitzes haben wir nie mitgemacht, auch glaubt nie⸗ mand mehr an die Möglichkeit einer weitgehenden Schonung der Länder und Gemeinden. Das Reichsnowopfer lehnen wir in seiner gegemwärtigen Gestalt ab, da es uns blutleer macht. Es muß ersetzt werden durch ein anderes gleichwertiges Opfer, das aber nicht so große Gefahr bringt. Der Kreis derjenigen, die aus polilischen Bedenken das Notopfer zurückzustellen empfehlen, erweitert sich auße ordentlich. Die Aufgabe, die Reichsfinanzen zu sanieren, ohne dabei die Privat⸗ wirtschaften zu schädigen und zu verringern, sollte alle zusammenführen,
die wirklich eines guten Willens sind. (Sehr gur!) Bei seinen gestrigen Ausfübhrungen hatte Herr Dernburg keineswegs seine Fraktionsgenossen geschlossen hinter sich. (Abg. Herrmann (Dem.): Sehr rich !) Auch stößt der Reichsfinanzminister bei seinen Parteifreunden nicht auf be⸗ sondere Gegenliebe. Beim parlamentarischen System sollte aber doch der Minister der Vertrauensmann der Fraktion sein. Bei uns sind die Minister aber augenscheinlich Diktatoren (Abg. Gothein: Sehr richtig!, die nicht vorher, sondern erst hinterher ihren Fraktionen Auskunft über beabsichtigte oder fertiggestellte Gesetze geben. Dieser Zustand erschopert uns das Arbeiten. Am meisten möchte ich belagen. daß man die Interessenten nicht mehr zu Worte kommen läßt Wozu haben wir denn die gesetzliche Interessenvertretung? Wenn der Reicks⸗ finanzminister davon spricht, daß unser Etat durch einen Steuermehr⸗ von einer Milliarde entlastet sei, so wäre es interessant, Einzel⸗ b “ “ der jetzt schon abgelaufenen acht oder neun Monate des Rechnungsjahres zu erhalten. Wir haben mit etwa 3 Milliarden Ausgabe zu rechnen, allein für die Bedürfnisse der Be⸗ satzungsarmee, die jetzt allerdings etwas verringert worden ist. Wir wollen das Geschick des nächsten Ultimatums abwarten, ob nicht wieder eine Vermehrung eintritt. Von jeder Hoffnung auf ein Entgegen⸗ kommen seitens der Feinde bitte ich, sich endgültig freizumachen, und dann muß mit einer fortschreitenden Preissteigerung gerechnet werden die 6 diese Kosten erhöhen wird. Den Beamten muß schjeunigst EEö“ 1“ Teuenmpcchulagen entgegengekommen öö“ or der Pensionierung stehen, muß die s verung gogcben werden, daß ihnen, wenn sie sich jetzt pensionieren lassen, eine Aufbesserung auf Grund der bevorstehenden Besoldungs⸗ reform nicht entgeht, Tüchtigen Beamten muß die Möglichkeit gegeben werden, auch künftig in besser bezahlte Stellungen aufzurücken. Diese dürfen nicht ausschließlich Parteifreunden offen stehen. Sonst nimmt man den Beamten jede Arbeitsfreudigkeit. A. Keil hat darauf hingewiesen, daß vielfach so viel Beamte in einem Amt sind, daß sie sich gegenseitig beim Arbeiten hindern. Da könnte gespart werden. Giner erneuken Kohlensteuer würden wir entschieden wider⸗ außerordentlich gefährnlich bezeichnet. Eine Aufwandssteuer ist praktisch undurchfübrhar. Damit kämen wir zu einer Rationierung aller Lebens⸗
eitlichung der Einkommensteuer entspricht unseren alten Forde⸗ rungen. Wenn Herr Erzbherger den Konservativen im alten Reichstag vorwirft, daß sie diesem Gedanken feindlich gegenübergestanden hätten, so meine ich, daß gorade das Zentrum die partikularistischen Wünsche besonders betont hat, wobei Herr Erzberger sich von seinen Partei⸗ lweunden nie getrennt hat. Der Vorwurf der Knauserigkeit trifft also nicht die Konservativen. Dem Reich wurden zuallererst große Mitte! entzogen durch die Frankensteinsche Klausel, die den Mehrertrag aus den Zöllen über eine bescheidene Summe hinaus den Einzelstaaten zu⸗ führte. Veeehehe kennt die Sent che Volksseele schlecht, wenn er meint, die Steuereinheit würde das Volk stärker zusammenfassen; die Reichsfreudigkeit wächst nicht mit der Sieneneiong aher Uessegz die der Steuer durch Abzug vom Lohn oder Gehalt müssen wir vemwerfen. Bei den Steuersätzen wünschen wir eine Abmindenung für die ge⸗ ringeren Einkommen, weil wir verhindern wollen, daß der Mittelstand in das Niches hinuntersinkt. Der frühere Unterstaatssekrebär Müller hat in einem Berliner Blatt ein erschütterndes Bild von dem Zu⸗ samrnenbruch des geistigen Mittelstandes entworfen. Die HKapital⸗ ertvagssteuer. ist in der vorgeschlagenen Fovm eine reine Unmöglichkeit. In allen Lände on und Gemeinden hat man die Steuern nach der Leistungsfähigkeit bemessen, hier soll aber eine Bruttoertragssteuer, die keinerlei Schulddenabzug zuläßt, erhoben werden. Wir werden das Kapitalertvagssteuergesetz ablehnen und auch im Landessteuergesetz solche Ungeheuerlichkeiten zu verhindern suchen. Das Landessteuer⸗ gesetz bläst den Ländern und Gemeinden das Lebenslicht aus. Diese sollen zwar ihre Kulturaufgaben behalten, aber sie werden keine Mittel mehr dazu haben. Sie sollar zwar ihre Grund⸗ und Gewerbesteuern ausbauen, aber wer das geschrieben hat, hat sich nicht klar gemacht, wie diese Steuern schon ausgebaut sind. Die Berechnung des Finanz⸗ ministeis, daß die Länder und Gemeinden vor dem Kniege als Steuern nur 2 3¾ Milliarden gehabt haben, nun aber vom Reiche 6 1ℳ Milliarden bekommen sollen, berücksichtigt nicht, wie die Ausgaben gewaltig in die Höhe gegangen sind. In fünf der größten Stadte meiner hessischen Heimat sind 1913 an Steuern zusammen 16 Millionen Mark auf⸗ gebracht worden, 1919 aber 45 Mäüllionen Mark. Im Ausschuß muß uns die Regierung zahlenmäßige Unterlagen über die jetzigen Ausgaben der Gemeinden geben. Wir können dem Landessteuergesetz nur zu⸗ stimmen, wenn die Länder und Gemeinden lebensfähig bleiben. Wenn die Länder und Gemeinden so viel bekommen wie sie bauchen, wird dem Reiche aus der Einkommensteuer nicht viel übrig bleiben. Aus den Kreisen der Steuerbeamten kommen Klagen wegen ihrer Ueber⸗ nahme auf das Reich. Die höheren Beamten fürchten, daß nur die juristisch vorgebildeten Beamten übernommen werden, aber nicht die⸗ jenigen, die volkswirtschaftlich ausgebildet sind. Die mittleren Landes⸗ und Gemeindesteuerbeamten beklagen sich, daß man von ähnen eine neue Prüfung verlangt, obwohl sie schon jahrelang im praktischen Dienst sind. Das gemächliche Rentnerdasein muß endlich aufhören. Im. Sinne tunlichst gleichmäßiger Heranziehung aller Steuerquellen zur Sanierung unserer Reichsfinanzen haben wir bei der Beratung der Steuergesetze mitgewirkt und werden es auch in Zukunft tun. (Beifall.)
Abg. Wurm (U. Soz.): Es ist ein unangenehmes Possenspiel, wenn gerade die Kreise, die an dem ganzen Elend schuld sind, jetzt darüber klagen, daß sie jetzt die Kosten tragen sollen. Die Reichs⸗ einkommensteuer belastet den wirtschaftlich Schwachen verhältnis⸗ mäßig ebenso wie den Starken. In der Denkschrift selbst ist schon bewiesen, daß die im Steuergesetz vorgeschlagenen Normen undurch⸗ führbar sind. Die Ueberbesteuerung der Kapitalisten, die sie vom kapitalistischen Standpunkt aus als ein Unding betrachten müssen, ist vom sozialistischen Standpunkt aus der erste Schritt zur Gesun⸗ dung unseres Wirtschaftslebens, in dem das werbende Vermögen von der Gesellschaft übernommen wird, das heißt, die Sozialisierung in die Wege geleitet wird. Länder und Gemeinden dürfen nicht zu Kostgängern des Reiches gemacht werden. Wir haben einen kapita⸗
listischen Staat und eine kapitalistische Regierung nach wie vor. Die alte Methode hat sich bis zum Bankerott abgewirtschaftet. Daß
diese alte Methode nicht für die menschliche Kultur, sondern für das
Unglück der Menschheit gewirkt hat, beweist der letzte Krieg, der letzten Endes aus der kapitalistischen Produktionsweise entsprungen ist. Er war ein Kampf der Besitzenden gegen die Besitzenden anderer
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Länder. Will die Menschheit wieder aus diesem Elend herauskommen, dann muß sie die Ursachen für das Elend beseitigen. Die Beseitigung des Kapitalismus ist kein Schlagwort, fondern reale Tatsache. Auc nach dem 9. November blüht sie kräftig weiter, die Sozialisten gehen mit der bürgerlichen Wirtschaft durch Dick und Dünn. keinen anderen Ausweg als den: Fort mit der privaten Produktions⸗ weise und her mit der Sozialisierung! —
Abg. Dr. Heim (Bayr. Bauernbund): Der schrankenlose Zen⸗ tralismus, der aus diesen Steuergesetzen spricht, stellt tatsächlich cine Verfassungsänderung dar. Alle Länder, speziell auch Bayern, werden durch diese Steuern ausgehungert und zu Kostgängern des Reiches gemacht. Sie dürfen nicht einmal die ihnen noch verbleibenden Steuern sozial ausgestalten. Ich hoffe, daß da die soziale Einsicht beim Ausschuß größer sein wird als bei denen, die diese Vorlage ausge⸗ arbeitet haben. Wir nähern uns immer mehr einer bedenklichen Korruption. Der Parlamentarismus und die Demokratie haben als Schwester die Korruption. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten. In dieser Beziehung waren die Verhältnisse im alten Deutschland doch gesund. Es kommt auch wieder anders! Mit diesem über⸗ triebenen Zentralismus nützen Sie dem Reichsgedanken nicht. Sie
sprechen, vor vier Monaten noch hatte Herr Erzberger eine solche als
mögen für den Augenblick zufrieden sein, warten Sie aber die Zukunft ab, die Dinge werden anders gehen und desto schneller sich wandeln, je schneller Sie sie treiben. Früher war der Beschluß eines Städte⸗ tages oder eines E“ Parlaments eine beachtliche Sache, heute gelten solche Kundgebungen nichts mehr, besonders bei den demo⸗ kratischen Parteien, die immer die Selbstverwaltung gepriesen haben. Diese Steuervorlagen machen diese Gemeinden zu Filialen Berlins, jede Selbständigkeit hört auf. Die jetzige Krankheit muß ausge⸗ schwitzt werden, die Folgen werden sich einstellen. Dem Reichs⸗ gedanken wird schwerer geschadet, als ihm durch unsere ärgsten Feinde geschadet werden kann. Die Steuernotwendigkeit leugne ich nicht. Das Reichsnotopfer hat verdammte Aehnlichkeit mit dem Friedens⸗ vertrag, es belastet die Bevölkemung auf Jahre hinaus. Wir müssen auch eine gewisse Steuerfreudigkeit erhalten. Ich will nicht von Steuerstreiks sprechen, aber die Steuerpflichtigen müssen wissen, daß die Gesamtheit der Steuerpflichtigen erfaßt wird; das wird aber auch s nicht erreicht werden. Mit Recht hat der Direktor der Deutschen Bank, Paul Mankiewitz, im „Bankarchiv“ darauf hingewiesen, daß das Reichsnotopfer uns nichts nützt. Ist es richtig, daß der Er⸗ nährungsminister gesagt hat, die Ernährung ist nicht ungünstig, wir sind noch versorgt? Dabei ist unsere Ernte von Jahr zu Jahr kleiner geworden und brauchen heute schon wieder eigen Milliarden⸗ kredit, um im Ausland zu kaufen. Die Hauptaufgalt ist, die Pro⸗ duktion zu fördern. Sie sabotieren die Landwirtschaft. (Laute Zu⸗ rufe.) Die Preissteigerung von heute entspricht nicht entfernt der Preissteigerung aller Produktionsmittel, die die Landwirtschaft an⸗ wenden muß. Wir müssen aus Not den Zehnstundenarbeitstag ein⸗ führen. Es gibt Zeiten, wo man Opfer bringen muß, und das ver⸗ langen wir auch von den Arbeitern. Anders können wir die Valuta nicht bessern. Es ist ein Unsinn, zu glauben, dadurch aus der Not⸗ lage herauszukommen, daß man die Arbeitszeit und seine Tätigkeit einschränkt. Die Inflation des Geldes im Innern ist eine un⸗ bedingte Folge der Steuerpolitik. Im Auslande besteht uns gegen⸗ über leider der Vernichtungswille. Sonst wäre es undenkbar, daß man unsere Kriegsgefangenen noch länger zurückhält. Die Entwertung des Geldes macht das Ausland zu unserem Herrn, und es geschieht unsererseits gar nichts, um diesen Prozeß zu verhüten. Den freien Handel bekommen wir in der Weltwirtschaft nicht. Die Valuta ist der Wertmesser für den Kredit unserer Regierung. (Zurufe links) Ich kann nichts dafür, daß unsere Regierung einen so schlechten Kredit hat. (Sehr gut! rechts.) Das jetzt von der Regierung geplante Prämiensystem bedeutet die Zerstörung des letzten Restes der Zwangs⸗ wirtschaft. Opfer sind notwendig für den Wiederaufbau, aber sie dürfen nicht einseitig der Bevölkerung auferlegt werden. (Beifall rechts.)
Damit schließt die erste Beratung; die Vorlagen werden⸗ dem zehnten Ausschuß überwiesen.
Nächste Sitzung Dienstag, 9. Dezember, 1 Uhr; einziger Punkt der Tagesordnung ist: Kundgebung der deutschen Nationalversammlung gegen die Zurückhaltung der deutschen Kriegsgefangenen; später, etwa um 2 Uhr, wird eine weitere Sitzung stattfinden mit der Tagesordnung: Anfragen und 2. Lesung des Gesetzentwurfes über ein Reichsnotopfer.
Schluß 634 Uhr.
Preußische Landesversammlung. 90. Sitzung vom 4. Dezember 1919. Nachtrag. Die Rede, die bei der Fortsetzung der Beratung über den Haushalt des Ministeriumsfür Wissenschaft,
den Wortlaut:
Meine Damen und Herren! Ehe ich mich den sachlichen Fragen der jetzt zu Ende gehenden Generaldebatte zuwende, muß ich zu meinem Bedauern ganz kurz auf eine Bagatellsache eingehen, die hier dank der Art und Weise, in der der Abgeordnete Adolph Hoffmann sie besprochen hat, starke Heiterkeit im Hause ausgelöst hat. Herr Hoffmann hat es erzählt und hat es für geschmackvoll gehalten, das in den Mittelpunkt einer Etatsrede zu dem Generaletat des Kultus⸗ etats zu stellen, daß seine Büste im Kultusministerium aufgestellt werden solle, daß ein amtliches Schreiben an ihn gelangt sei, in dem angefragt wurde, ob und gegebenenfalls durch welchen Bildhauer er seine Büste angebracht zu sehen wünsche. Besonders auf der rechten Seite dieses Hauses hat die Vevlesung dieses amtlichen Schreibens große Heiterkeit ausgelöst. (Zuruf rechts.) — Schön, also auch bei anderen Parteien. Demgegenüber darf ich ruhig kurz den Sachverhalt darstellen: seit vas Kultusministerium besteht, also seit mehr als 100 Jahren werden, das weiß jeder, der auch nur einmal die Räume des Kultusministeriums betreten hat, in dem großen Eingangsraum die Büsten aller Kustusminister aufgestellt. Sämtliche Kultus⸗ minister, die Preußen seit über 100 Jahren gehabt hat, sind dort durch ihre Büsten verewigt worden. In der allerletzten Zeit erst ist auch die Büste des Herrn von Trott zu Solz aufgestellt worden, und es war ganz selbstverständlich, daß ich mich in diesem Frühjahr, nachdem die Büste des Herrn von Trott in Auftrag gegeben worden irar, auch an die beiden anderen Kultusminister gewandt habe, die seitdem noch amtiert haben, an Herrn Dr. Schmidt und an Herrn Adolph Hoffmann, mit der Anfrage, ob auch sie bereit seien, ihre Büste dem Kultus⸗ ministerium zur Verfügung zu stellen.
Meine Damen und Herren, wenn ich mich etwa durch meine politische Gegnerschaft zu Herrn Adolph Hoffmann hätte bestimmen
hätte ich mal den Lärm auf der unabhängigen Seite hören mögen. Ohne Zweifel wäre mir dann gesagt worden: da seht diesen Reaktionär,
diesen Haenisch! Einen Trott zu Solz stellt er auf, aber einen Sozialisten, einen Mann wie Adolph Hoffmann stellt er nicht auf! — Diesen Vorwurf hätte man mir zweifellos von jener Seite gemacht, und ich lese im Geiste schon die Artikel än der unabhängigen Presse, die dann deswegen an mich gerichtet worden wären.
(Fortsetzung in der Zweiten Beilage.)
16
Es gibt⸗
Kunst und Volksbildung der Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Haenisch gehalten hat, hatte folgen:
lassen, gerade ihn nicht zu fragen und gerade ihn auszuschließen, dann
— —
(Fortsetzung aus der Ersten Beilage.)
Im übrigen, verehrter Herr Hoffmann, bedauere ich es aufrichtig, daß Sie, wie aus Ihren Worten heute heworzugehen scheint, die Aufstellung Ihrer Büste ablehnen. (Abg. Adolph Hoffmann: Be⸗ sonders nicht mit Ihnen in einer Reihe!) — Aber, verehrter Herr Hoffmann, erstens haben Sie wirklich einen wundewollen Charakter⸗ kopf (Heiterkeit), der sich sehr schön in der Reihe der Minister dort ausnehmen müßte und den zu gestalten für jeden bildenden Künstler eine wahre Freude sein müßte. Ich wüßte als ähnlichen Charakter⸗ opf nur den des Ministers von Trott zu Solz. (Abg. Adolph Hoffmann: Es mwäre für das preußische Volkk besser, wenn Sie Chavakter hätten!) — Das war wenig geschmackvoll, Herr Hoffmann. Ich antworte auch nicht darauf. Neben Herrn von Trott zu Solz haben Sie zweifellos, wenigstens von außen, einen der schönsten Charakterköpfe. d äst hetisch wäre es zweifellos, enn Sie in die Hände eines tüchtigen Bildhauers gelangten, ein Schmuck für das Kultusministerium ge⸗ wesen, wenn Ihre Büste dort aufgestellt würde. Aber auch sachl ich, Herr Abg. Ado ph Hoffmann! Immerhin war die Periode, während der Sie preußischer Kultusminister waren, doch eine der be⸗ merkenswertesten (sehr richtig!) in der Geschichte des Kultus⸗ ministeviums, und selbstverständlich gebe ich das ohne weiteres zu. Also auch deswegen bedauere ich es, daß diese Periode nicht bildlich ebenso verewigt werden soll wie die andern. Vielleicht besinnen Sie sich doch noch, Herr Hoffmann, und sind so liebenswürdig, nachträglich doch noch Ihre Zustimmung zu geben.
Dann hat der Herr Abgeordnete Adolph Hoffmann es für ge⸗ schmackvoll gehalten, auch bei diesem Anlaß auf die Affäre Parvus⸗Sklarz einzugehen und meine politische Gesinnung damit in Verbindung zu bringen. Meine verehrten Damen und Herren, ich glaube, daß der Herr Abgeordnete Adolph Hoffmann der einzige Abgeordnete in diesem ganzen Hause von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken ist, der ernsthaft glaubt, daß meine politische Gesinnung in Beziehung zu Geldgesckäften steht. (Abg. Adolph Hoffmann: Das habe ich nichtgesagt!) Aber ange⸗ deutet, Herr Abgeordneter Hoffmann, es klang deutlich aus Ihre Worten heraus.
Der Herr Abgeordnete Adolph Hoffmann hat die nationale Ge⸗ sinnung, die ich während des Krieges allerdings mit allem Nachdruck hier im Hause und außerhalb des Haufes vertreten habe, scharf ange⸗ griffen. Ich kann Ihnen sagen, verehrter Herr Kollege Hoffmann, daß ich auf diese nationale Haltung, die ich gemeinsam mit meinem Freunde Heilmann und meinem Freunde Lensch und vielen anderen in der Presse und hier im Hause vertreten habe, die ich besonders auch publizistisch in der „Glocke“ vertreten habe, stolz bin. (Zuruf des Abgeord⸗ neten Adolph Hoffmann.) Ich passe in diese Reihe allerdings besser als in Ihre Gesellschaft. Also, wie gesagt, ich bin stolz darauf, daß ich während des Krieges mit beiden Beinen auf seiten des deutschen Vaterlandes gestanden habe zu einer Zeit, in der Sie, Herr Kollege Hoffmann, eine Politik getrieben haben, die gweifellos — ich will mich sehr milde ausdrücken — dieses deutsche Volk in schwerster Weise geschädigt hat. Eebhafte Zustimmung und Rufe: Hört, hört! — Zuruf bei den Unabhängigen Sozialdemo⸗ kraten.)
Meine Herren, daß ich auf die von dem Abgeordneten Adolph Hoffmann in großer Breite behandelten Fragen des Diabolus, des Anathema der Papstgeschichte, der Hexengeschichte, der Scheiterhaufen und so weiter nicht im einzelnen eingehen möchte, werden die ver⸗ ehrten Damen und Herren mir nachfühlen können. (Zustimmung.)
Alle diese Dinge, die Herr Adolph Hoffmann aus der Hexen⸗ und Kirchengeschichte hier vorgebracht hat, stehen mit meinem Etat wirklich
nur in einem sehr losen Zusammenhang. (Sehr wahr!) Ich darf Sie aber vielleicht, Herr Abgeordneter Adolph Hoffmann, der Sie die Aufstellung meines Etats in so schroffer Weise angegriffen haben, daran erinnern, daß der Etat, den wir jetzt beraten, bereits vor ein⸗ einhalb Jahren aufgestellt worden ist zu einer Zeit also, da wir beide noch nicht die Ehre hatten, preußische Kultusminister zu sein. (Zurufe des Abgeordneten Adolph Hoffmann.) Es ist doch auch Ihnen be⸗ kannt, sonst darf ich Sie darüber belehren, daß nach den Grundsätzen der preußischen Verwaltung, die vorläufig noch in Kraft sind, die An⸗ meldungen zum Etat beim Finanzminister spätestens, ich glaube, bis um 12 Uhr mittags des 31. August jedes Jahres eingereicht sein müssen. Der geltende Etat ist also im Grunde bis zum 31. August 1918 fertig gewesen, daß heißt also mehrere Monate vor der Revo⸗ lution. (Zurufe des Abgeordneten Adolph Hoffmann.) — Sie wissen vielleicht, Herr Abgeordneter Adolph Hoffmann, daß wir augenblicklich in eifrigen Arbeiten über die Auseinandersetzungen zwischen Krone und Staat begriffen sind; diese Dinge haben aber mit dem Etat hier nichts Unmittelbares zu tun; ich gehe deshalb darauf nicht ein.
Es dürfte selbst Herrn Abgeordneten Adolph Hoffmann begreiflich sein, daß ich unter diesen Umständen für jede einzelne Position, für jeden einzelnen Titel in diesem Etat nicht persönlich haftbar gemacht werden kann, (Widerspruch des Abgeordneten Adolph Hoffmann) wenn ich ihn auch als Ganzes selbstverständlich zu vertreten habe.
Im übrigen steht die gestrige zu der heutigen Debatte in einem recht merkwürdigen Gegensatz. Gestern hatten wir zwei ausführliche Reden des Herrn Abgeordneten Dr. Lauscher, der mir in sachlich scharfer, wenn auch in persönlich außerordentlich entgegen⸗ kommender und konzilianter Weise vorgeworfen hat, daß ich langsam, aber konsequent darauf hinarbeite, eine Machtposition der katholischen Kirche nach der andern zu untergraben. (Lachen bei den Unabhängigen Sozialdemokraten. — Ja, das hat er getan, und er hat weiter behauptet, daß das Zentrum diese kirchenfeindliche Haltung des Kultusministers
nicht mehr lange werde ertragen können. Heute dagegen hat gleichfalls
in einer sehr ausgedehnten Rede, wenn auch in einer etwas weniger Ferbindlichen Form, (große Heiterkeit) der Abgeordnete Adolph Hoff⸗ 1“ v ““ M
(Zuruf: Von außen ist gut!) — Rein
lia, Montag, den 8. Dezember
mann das gerade Gegenteil behauptet. Er hat erklärt, daß ich der willenlos gefesselte Gefangene des Zentrums und der katholischen Kirche sei, daß ich für das Zentrum so viel schon getan hätte, daß mir zu tun fast nichts mehr übrig bleibe, daß ich nur noch katholisch werden und die Kutte nehmen brauche, damit das Zentrum mit mir gänzlich zufrieden sei. Meine verehrten Damen und Herren, ich glaube, diese beiden Vorwurfskomplexe, die gestern vom Zentrum und heute von den Unabhängigen erhoben worden sind, heben sich gegenseitig auf. (Abg. Dr. Heß: Aber, Herr Minister!) Ja, Herr Dr. Heß! Im Grunde genommen, ist nämlich das eine so wenig richtig wie das andere. Ich bin weder ein brutaler, engherziger und engstirniger Kirchenfeind, noch der Gefangene des Zentrums und der katholischen Kirche, sondern ich gehe auf dem Wege, den ich mir vorgezeichnet habe, der mir durch die Verhältnisse und die Bedürfnisse des Vaterlandes vorgezeichnet ist, ohme in der einen oder andern Weise gefesselt zu sein, so „geradlinig“, wie ich es unter den gegebenen Umständen kann, ver⸗ wärts. Ich glaube also, daß diese Angriffe hn der äußersten Linken und aus dem Zentrum einander geradezu aufheben und den Beweis liefern, daß ich im großen und ganzen auf dem rechten Weg bin.
Drittens haben auch die Herren von den Parteien der Rechten, die gestern nud heute gesprochen huben, allerdings in viel höflicherer und verbindlicherer Form als mein ehemaliger Parteifreund Hoffmann, an der Führung meines Ministeriums eine Kritik geübt, deren Sachlichkeit ich sehr gern anerkenne, und auf die ich in einigen Einzelheiten nachher noch antworten möchte, während auf andere Punkte im Laufe der Einzelberatung meine Mitarbeiter erwidern werden. 8
Also von der Partei des Herrn Adolph Hoffmann, vom Zentrum und von der äußersten Rechten kam sachlich scharfe Kritik an der Art meiner Geschäftsführung. Manchmal liest man es aller⸗ dings auch anders. Ich bitte, mir zu gestatten, daß ich, um ganz summarisch diese drei Komplexe von Angriffen etwas zu beleuchten, Ihnen hier einmal drei kurze Dokumente vortrage, nach denen in diesen drei Parteilagern meine Tätigkeit als Kultusminister doch wesentlich anders gewertet wird.
Unabhängige Herren wissen zu meiner Freude recht oft den Weg zu meinem Ministerium zu finden. (Hört, hört! rechts.) Ich verhandle mit ihnen gern und komme ihren Beschwerden, soweit ich irgend kann, entgegen. Sie wissen ja, daß ich sogar unabhängige Mitarbeiter in meinem Amt habe, kluge Leute, mit denen ich gern zusammen arbeite. (Zuruf.) — Ja, es gibt auch gescheite Unabhängige! (Heiterkeit.) Ich habe z. B. hier den Brief eines unabhängigen Parteiführers, des Stadt⸗ rats und Vorsitzenden der unabhängigen Fraktion, der Stadtverord⸗ netenversammlung in Bitterfeld, der gleichfalls, um Beschwerden vor⸗ zubringen, in meinem Ministerium war und daraufhin völlig spontan⸗ aus Bitterfeld mir einen Brief geschrieben hat, in dem es heißt:
... Im übrigen drücke ich meine Freude darüber aus, daß trotz der Durchsetzung des Ministeriums mit Zentrumsleuten bei allen den Herren, mit denen wir in Berührung gekommen sind und denen einflußreiche Stellungen im Ministerium eingeräumt zu sein scheinen, eine durchaus moderne Auffassung herrscht.
Als Mitglied der U. S. P. ist es mir eine ange⸗ nehme Pflicht, das anzuerkennen und Ihnen zu sagen.
Es gibt eben auch Unabhängige, die objektiv zu urteilen wissen.
Was dann die Kritik aus dem Zentrumslager betrifft — auf die Kirchenfragen will ich heute absichtlich nicht nochmals ein⸗ gehen —, die an meiner Haltung in Schulfragen und in besonderen Fragen des Lehrerstandes geübt worden ist, so gestatten Sie mir freundlichst, Ihnen einige Sätze zu verlesen aus einem Artikel der „Katholischen Schulzeitung für Norddeutschland“ vom 13. No⸗ vember d. J., und zwar aus dem Leitartikel mit der Ueberschrift: „Hic Rhodus, hic salta“, in dem es heißt:
Die reformfreudige Gegenwart hat Wünsche der Volksschul⸗ lehrerschaft erfüllt, an deren Verwirklichung man noch vor Wochen nicht so recht hätte glauben können. Die Universität ist geöffnet. Auch die unerquicklichste Gestalt der Schulaufsicht ist in der Ver⸗ senkung verschwunden. Nun ist neuerdings der Volksschullehrer⸗ schaft die Möglichkeit gegeben, bei der Durchführung der Fach⸗ aufsicht mitzuwirken durch Namhaftmachung von Männern aus ihren Reihen, die zur Besetzung von Schulaufsichtstellen geeignet sind. Es ist dies ein Zugeständnis, von dem vor Jahr⸗ zehnten selbst die optimistischsten Schulpoli⸗ tiker wohl nicht einmal zu träumen wagten.
Das schreibt die dem Zentrum nahestehende „Katholische Schulzeitung für Norddeutschland“. (Zuruf.) — Es sind doch zweifellos Kreise, die hinter dem Zentrum stehen! Meine Damen und Herren, auch sonst habe ich bei meinen Beratungen mit Vertretern katholischer Schulverbände, die ich wiederholt, auch im Westen, gehabt habe, bei nanchen Vorbehalten in Einzelheiten, ebenfalls lebhafte und freudige Anerkennung dessen gefunden, was praktisch für Schule und Lehrer⸗ schaft schon geleistet worden ist. (Abg. Dr. Heß: Wir halten Sie doch nicht für einen vollendeten Bösewicht!) — Na, Sie manchmal doch wohl!
Schließlich, meine Damen und Herren, was die Kritik der Rechten betrifft, so gestatten Sie mir, um das Verfahren abzu⸗ kürzen, Ihnen auch hier nur ein ganz kurzes Dokument vorzulesen, ein Telegramm, das mir zuging nach einer Versammlung deutsch⸗ nationalgerichteter Lehrer, in der der sehr verehrte deutschnationale Herr Abgeordnete und Lehrer Hermann (Friedersdorf) gesprochen hatte. In diesem Telegramm, das im übrigen besondere Gehaltswünsche der Landlehrer zum Ausdruck brachte, heißt es:
Infolge eines aufklärenden Vortrages unseres Abgeordneten
riedersdorf) spricht die heute in Neumün
88 8
Hermann (F ster tagende
1“ 8
neupreußische Prodinzialversammlung dem Herrn Minister
Haenisch, der in edelster Absicht und mit ganzer
Kraft unermüdlich für die Hebung der Volks
schule und des Lehrerstandes arbeitet, ehr⸗
erbietigsten Dank und volles Vertrauen aus. (Große Heiterkeit links. Zuruf: War das eine neupreußisch deutsch⸗ nationale Lehrerversammlung?) — Ja, es war eine Versammlung des neupreußischen Lehrerverbandes, der im wesentlichen auf deutsch⸗ nationalem Boden steht.
Also kurz und gut, ich kann der scharfen Kritik, die aus den Reihen jener drei Parteien an mir geübt worden ist, doch auch Doku⸗ mente entgegenstellen, die wesentlich anders lauten. Es ist manchmal ganz gut, wenn man Dokumente hat, nicht wahr, Herr Hoffmann?
Ich glaube, es ist wohl nicht nötig, ausführlich auf das Pro⸗
gramm einzugehen, das der Abgeordnete Adoloh Hoffmann am Schlusse
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seiner Ausführungen hier entwickelt hat. Es ist ja dasselbe Pro⸗
gramm, das wir bereits im Unterrichtsausschuß vorgelegt bekommen haben, in dem in geradezu grotesk⸗utopistischer Weise die völlige Beseitigung des Kultusministeriums, die völlige Beseitigung der Provinzialregierungen und was alles sonst noch gefordert wird, auch ein Rätesystem nach russischem Muster für das ganze Schul⸗ und Bildungswesen. Ich möchte sagen: die guten Geister des Vaterlandes mögen uns vor der Verwirklichung
des Rätesystems gerade auf schulpolitischem Gebiet
bewahren! (Sehr richtig! im Zentrum unde rechts.) 3 Dieses Programm ist — ich bitte um Entschuldigung, es soll keine Be⸗
hidigung sein — aber es ist doch mur ein elender Abklatsch von dem
Rätesystem, das in Rußland auf eine Art und Weise Bankerott gemacht hat, wie schlimmer noch niemals ein System Bankerott gemacht hat! (Zuruf des Abg. Adolg h Hoffmann: Es ist von einer pädagogischen Autorität ausgearbeitet. Sie haben keine blasse Ahnung!) — Verehrter Herr Hoffmann, ich habe es doch gelesen und eben noch einmal von Ihnen gehört! (Abg. Adolph Hoffmann: Aber nichts verstanden! — Große Huiterkeit.) Es ist möglich, daß mein Verständnis und überhaupt mecene geistige Kraft mit der des Herrn Adolph Hoffmann nicht gleichen Schritt hält; das ist durchaus möglich. Aber ich habe auch niemals den Ehrgeiz gehabt, in der Be⸗ ziehung mit ihm in Wettbewerb zu treten.
Weiter, meine verehrten Damen und Herren, glaube ich auch die Behauptung des Herrn Abgeordneten Hoffmann zurückweisen zu müssen, im Kultusministerium herrsche eElne reaktionäre Räte⸗ diktatur. Ich habe in meinen hier mehrfach zitierten und von den Herren Rednern der Rechten scharf angegh ffenen „Vorwärts“⸗Artikeln darauf hingewiesen, daß ja ein ganzes Dutzend Sozialdemokraten — ich glaube, 13 sind es sogar — im Kyltusministerium tätig sind
und dort in den verschiedensten Stellungen und Abteilungen wirksam
und tüchtig mitarbeiten. Es sind auch zvei oder drei Unabhängige dort tätig, wie ich vorhin schon mitteilte. Alle diese Sozialisten, auch Ihre Parteifreunde, verehrter Herr Hsoffmann, haben mir dar⸗ über, daß eine reaktionäre Rätediktatur im Kultus⸗ ministerium herrsche, Klagen niemals vorgebracht. Gewiß, Herr Hoffmann, es kommen gelegentlich zwischen den alten und den neuen Herren Meinungsverschiedenheiten vot; das ist ganz selbstver⸗ ständlich. Es ist ganz selbstverständlich, deiß, wenn junge und alte Pferde — wenn ich mal dieses Bild auf deis geistige, politische, auf das Verwaltungsgebiet übertragen darf — an einen Wugen geschirrt werden, nicht alles ganz glatt geht. Aber sellche Differenzen zwischen den älteren Räten meines Ministeriums, die, soweit sie im Amt geblieben sind, in außerordentlich treuer und selbstloser Weise auch mit der neuen Regierung mitarbeiten, und an desren Loyalität zu zweifeln ich keinen Anlaß babe, einerseits, und den neuen Herren andererseits habe ich bisher immer noch in einer Art und Weise zu schlichten ver⸗ mocht, daß die Sache selbst keinen Schaden gelitten hat. (Abgeordneter Adolph Hoffmann: Siehe Erlaß Becker!) Auch dieser Erlaß, der, während ich einmal kurze Zeit von Berkin fern war, herauskam und den Sie wir immer vorwerfen, ist, spbald ich von ihm Kenntnis bekommen habe, aus der Welt geschafft worden.
Der Abgeordnete Boelitz, zu dem ich mich jetzt wenden darf, hat seine Ausführungen damit begonnen, daß er, persönlich gleichfalls in außerordentlich liebenswürdiger undz freundlicher Weise dem Kultus⸗ ministerium eine Politik des Schwankens und Zauderns, einen Zick⸗ zackkurs vorgeworfen hat, und ebenso klang es aus den gleichfalls für mich persönlich sehr freundüichen Ausführungen des Herrn Oelze heraus. Nun, meine Damen und Herren, gebe ich ohne weiteres zu, daß ich, der ich mich zwar immer lebhaft mit kulturpolitischen Fragen beschäftigt habe und der ich auch hier im Hause jahrelang Kultus⸗ referent meiner Partei gewesen bin, trotzdem, was das rein Beamtenmäßige angeht, als völliger Neuling in das Ministerium eingetreten bin, daß ich mich in viele Dinge erst langsam habe einarbeiten müssen und daß es da natürlich nicht ganz ohne Fehler abgegangen ist. Es wäre unendlich dumm von mir, wenn ich abstreiten wollte, daß, besonders in den wilden ersten Revolutionsmonaten, solche Fehler vorgekommen sind.
Es kommt aber noch ein anderes hinzu. Nach der Revolution drängten Tausende und aber Tausende von Kröften, die bis dahin nieder⸗ gehalten waren, an die Oberfläche; tausend und aber tausend Probleme drangen stürmisch hervor, und alle wollten zu gleicher Zeit gelöst sein. Meine verehrten Damen und Herren, daß bei der ungeheuren Fülle der neuen Dinge, die da in Angriff genommen werden mußten, und von denen auch der Herr Abgeordnete Hoffmann, der Herr Abgeordnete Dr. Boelitz und alle die anderen Herren in den Kommissionsver⸗ handlungen, die fünf oder sechs Wochen gedauert haben, wenigstens einen annähernden Begriff bekommen haben —, daß es bei dieser un⸗ geheuren Fülle der Probleme, bei der Notwendigkeit, unendlich viele von ihnen sofort in Angriff zu nehmen, nicht ohne jeden Fehler und nicht ohne jedes Schwanken abging, das werden Sie mit mir begreifen, und ich glaube, da auch von der Nachwelt ein etwas gerechteres und milderes Urteil als von der Gegenwart erwarten zu dürfen.
Meine Damen und Herren, es kommt hinzu, worauf mehrfach hingewiesen worden ist, daß manche der Pläne, die wir mit freudigez
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