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Hinsicht. Wir haben in Deutschland den Belagerungezustand, wir haben den Diktaturparagraphen der Mieterschutzverordnung, wir haben den diktatorischen Ausschuß für Ein⸗ und Ausfuhr. Die Diskussion, die wir hier gestern geführt haben, spielt sich gegenwärtig auch in anderen Parlamenten ab.
Frage, weil die Kriegsgesetzgebung noch nicht endgültig abgebaut ist
und in ihr eine Anzahl von Diktaturvorschriften enthalten sind, so daß die Diskussion, die wir hier darüber gehabt haben, ob gegen die Ministerialdiktatur anzukämpfen sei, keine vereinzelte Erscheinung in Deutschland und Preußen ist, sondern auch in anderen Ländern in Erscheinung nitt.
In Preußen und Deutschland ist die Lage aber noch verschäͤrft, weil wir nicht nur den Uebergang vom Krieg zum Friedensstand her⸗ stellen müssen, sondern weil wir uns auch in revolutionären Zeiten befinden. Weiter befinden wir uns in staatsrechtlicher Beziehung in einem Uebergangszustand. Die Reichsverfassung ist seit kurzem in Kraft getreten. Die seitherigen Kompetenzen der Bundesstaaten sind zu einem großen Teil auf das Reich übergegangen. Das Reich ist mit Aufgaben überlastet und kann sie im einzelnen so rasch nicht lösen. Der Nationalversammlung wird ohnehin zum Vorwurf gemacht, daß sie im Galopptempo arbeite, daß die Gesetze nicht ꝛnehr durchgearbeitet werden können. Trotzdem kann das Reich allen Bedürfnissen nicht folgen, weil eben mit einem Schlag zu stark die Kompetenzen der einzelnen Bundesstaaten be⸗ schnitten und diejenigen des Reichs bedeutend erweitert worden sind. (Sehr richtig!) Man hätte in der Reichsverfassung weitgehend Uebergangsbestimmugen vorsehen müssen. Weil man das nicht getan hat, befinden wir uns in einem Zustand, der gestern beklagt wurde und an sich nicht ohne weiteres geändert werden kann.
Herr Abg. Dallmer hat sodann gestern geglaubt, das Wohl⸗ fahrtsministerium kritisieren zu sollen, und sagte, es fehle ihm in Wohnungsfragen ein klares Programm usw. Ich habe kürzlich, als ich hier die Verbandsordnung zu dem Ruhrsiedlungsverband zu be⸗ gründen die Ehre hatte, eine zusammenfassende Darstellung gegeben, mit der ich angedeutet zu haben glaube, daß das preußische Wohl⸗ fahrtsministerium in der Wohnungefrage nicht planlos arbeite. Was geschehen muß, ist eben, unter allen Umständen dafür zu sorgen, daß mehr Kohle gefördert wird; dann erst können Bauftoffe beschafft werden. Auf diesem Gebiet sind in den letzten Wochen große Fortschritte erzielt worden. Ich weise darauf hin, daß Ende Januar die Ruhrbergleute fast einmütig der Ansicht waren, daß für sie die sechsstündige Arbeitszeit an⸗ gemessen sei, und zwar aus dem Grunde, weil im unterirdischen Ruhrbergbau stets die Arbeitszeit kürzer gewesen sei als die der übrigen Arbeiter. Im unterirdischen Ruhrbergbau hatte man schon seit längerer Zeit die achtstündige Arbeitszeit Nun sagten sich die Bergleute: Wenn alle übrigen Arbeiter nur acht Stunden arbeiten, wenn wir unterirdisch schon immer eine kürzerei Arbeitszeit hatten, dann ist es angemessen, daß wir auch wieder eine türzere Arbeitszeit fordern. So hat sich in Bergarbeiterkreisen die Ueberzeugung fest⸗ gesetzt, daß zum 1. Februar unter allen Umständen die sechsstündige Arbeitszeit durchgeführt werden müsse. Der Reichsregierung ist es in Verbindung mit den Arbeitgeber⸗ und Arbeitnehmerorganisationen gelungen, statt die sechsstündige Arbeitszeit zum 1. Februar durch⸗ zuführen, die Bergleute dahin zu bringen, daß sie in den nächsten Wochen länger als im Frieden arbeiten. (Bravo!) Im Frieden betrug die Arbeitszeit 8 Stunden täglich oder 48 Stunden in der Woche. Jetzt beträgt die regelmäßige Arbeitszeit 7 Stunden täglich oder 42 Stunden vöchentlich; dazu kommen noch 2 halbe Ueberschichten, so daß zusammen die Arbeitszeit etwa 50 Stunden gegenüber 48 im Frieden beträgt. Diese Latsache ist bisher in Deutschland noch zu wenig gewürdigt worden. Es ist ein großer Erfolg, den die Reichsregierung hiermit erzielt hat; denn die Kohle ist der Ausgangspunkt für den Wiederaufbau unserer ganzen Wirtschaft. (Sehr richtig!)
Weiter mache ich darauf aufmerksam, daß wir gegenwärtig daran sind, ein Siedlungsprojekt durchzuführen, so groß, wie es bis jetzt in so kurzer Zeit in Eurova noch niemals ausgeführt worden ist. Ich brauche nur auf die Ausführungen hinzuweisen, die ich kürzlich bei der Begründung der Verbandsordnung für den Ruhrsiedlungsverband gemacht habe. Wenn man diese Dinge im Zusammenhang sieht und berücksichtigt, daß das Wohlfahrtsministerium für die Wohnungs⸗ politik gesetzgeberisch nur beschränkte Kompetenzen hat, daß es nur die Wohnungspolitik des Reiches für Preußen auszuführen hat, daß die Gesetzgebung beim Reich liegt, dann kann man nicht, wie es Herr Abg. Dallmer getan hat, dem Wohlfahrtsministerium vorwerfen, daß es keinen Plan hat. (Sehr richtig!) Ich mache im übrigen darauf aufmerksam, daß im letzten Jahre zirka 60 000 Wohnungen finanziert und über 30 000 tatsächlich fertiggestellt worden sind. Wenn man
die Aermlichkeit unserer inneren politschen Zustände betrachtet, dann kann man sich mit diesen Taten immerhin schon sehen lassen. (Sehr richtig! im Zentrum.) —
Damit möchte ich schließen. Soweit die Rechtslage in Frage kommt, werden wir uns ja hier in der Landesversammlung nicht einigen können. Aber ich glaube, die Situation ist geklärt. Weiterhin
erwarte ich auch von dieser Aussprache einen großen Erfolg dergestalt,
daß man sowohl in Hausbesitzerkreisen wie auch in den Kreisen der Gemeinden und der Einigungsämter findet, daß diese Verordnung nicht in dem Sinne gemeint war, wie sie früher einseitig von den Interessentenkreisen, den Hausbesitzerkreisen dargestellt worden ist (Bravo! im Zentrum.)
Abg. Dr. Boer (Dem.): Der Minister hat heute eine ganze Anzabl seiner estrigen Bemerkungen zurückgenommen. (Widerspruch und Lachen.) Er hat seinen ganzen Standpunkt geändert. Ich betone nochmals, der Zweck unseres Antrags ist nur die Nachprüfung der Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Erlasses des Wohlfahrts⸗ ministers. Wie die Regelung der Verhältnisse zu erfolgen hat, darüber wird sich ja Urbereinstimmung in diesem Hause erzielen lassen. Wir 8g absolut Gegner der freien Wirtischaft auf dem Wohnungsgebiete.
Wir wollen nicht die Diktatur auf irgendeinem Gebiete des Wirt⸗ schaftslebens. Wir wollen eine verfassungsmäßige Grundlage der Verordnungen. Es nutzt doch dem Herrn Mmister nichts, eine Ver⸗ ordnung zu erlassen, wenn sie nachher im Prozeßverfahren für un⸗ gültig erklärt wird. Die Leidtragenden sind dann die Mieter. Der Minister hat gestern die Unanfechtbarkeit seines Rechtsstandpunktes damit begründet, daß von juristischen Autoritäten die Verordnung als zu Recht bestehend gnerkannt worden wäre. Gegen Gutachten, die wir nicht kennen, habe ich eine unwiderstehliche Abneigung. Die An⸗ ordnungen sind heute schon für verfassungswidrig erklört worden. Der Minister hätte seinen Einfluß geltend machen müsien, damit eine Aenderung der Reichsgesetzgebung stattfand. In Süddeutschland ist
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Auch in England streitet man über diese
die Wohnungsnot noch viel schlimmer als hier und dort sind Be⸗ stimmungen getroffen worden, die noch weit über die hiesigen hinaus⸗ gehen. Wenn der Hausbesitz heute in die wirtschaftliche Lage gesetzt ist, daß er sich halten kann, hat der deutsche Hausbesitzer keinen Grund, an Ausländer zu verkaufen. Nur die Tatsache, daß er sich nicht mehr halten kann, zwingt ihn, zum Verkauf seines 1“
enn man beute den Verdienst eines Arbeiters auf 9 bis 10 000 ℳ ansetzt während der Friedensverdienst etwa 1500 ℳ betrug, und vergleicht nur, was er an Miete vor dem Frieden zahlen mußte, mit der jetzigen Miete, so ergibt sich, daß er sich jetzt unverhältnismäßig besser steht. Wir sind nicht dafür, daß nach der Richtung hin prozentual die Miete heraufgesetzt wird, sondern es muß ein gesundes Mittel gefunden werden, um einen richtigen Ausgleich herbeizuführen. Der Minister hat heute zugegeben, daß die Sache besser auf dem Rechtswege geregelt worden wäre. Gegen den Grundsatz muß ich mich wehren, daß sich jemand nicht an der Frage, ob etwas recht⸗ mäßig ist, stößt. Der Rechtsweg ist doch der einzige, auf den wir unsere Wirtschaft wieder aufzubauen versuchen wollen. Sonst weiß ich nicht, wohin wir kommen. Wir stehen dann auf einem schwankenden Boden. Wenn der Minister sagte, die Vorlegung der Verordnung an das Parlament wäre nicht nötig gewesen, so erwidere ich, daß wir dann überhaupt kein Parlament brauchten. Er hätte sich mindestens mit den Führern der Parteien ins Benehmen setzen müssen. Unter parlamentarischem System verstehen wir, daß so regiert wird, wie es erträglich ist und der Mehrheit des Parlaments entspricht. Wenn der Minister Stegerwald diesen Weg gewählt hätte, würde er besser getan haben. Dem Kollegen Brandenburg erwidere ich, daß wir unsere Interessen selbst wahren. Eine Partei kann nicht be⸗ stehen, die ihre Grundsätze in irgendwelchen wirtschaftlichen Fragen preisgibt. Dem Abg. Beyer erwidere ich, daß es sich für uns nicht um die Frage der juristischen Verantwortlichkeit, sondern der parla⸗ mentarischen Verantwortlichkeit handelt. Ich stelle fest, daß alle die Parteien sich einmütig auf den Boden der Vorlegungspflicht des Ministers gestellt haben, die auf dem Boden des Rechtsstaates und des Privateigentums stehen. (Beifall.) .
Abg. Conradt (dnat.): Ich schließe mich den Ausführungen des Abg. Dr. Ruer in jeder Beziehung an. Er hat vollständig recht, daß der Hausbesitz, wenn er die notwendige Kräftigung und den nötigen Schutz seitens der Regierung bekäme, nicht nötig hat, sich von seinem Eigentum zu trennen. Man soll den Hausbesitz stärken, daß er nicht nötig hat, den Schiebern in die Hände zu fallen. Es wäre entschieden besser gewesen, wenn die Verordnung erst der Landesver⸗ sammlung zur Kenntnisnahme vorgelegt worden wäre.
Ueber die Anträge wird eine namentliche Abstimmung morgen stattfinden.
Es folgt die Beratung des Antrages der Deutsch⸗ nationalen vom 29. März 1919, „die Regierung zu er⸗ suchen, die besonders schwere Notlage der Alt⸗ pensionäre, Witwen und Rentenempfänger unverzüglich durch geeignete Maßnahmen zu beseitigen.“
Der Haushaltsausschuß hat am 7. Februar d. J. beschlossen, den Antrag zur Annahme zu empfehlen.
In Verbindung damit berät das Haus folgende An⸗ träge:
1) den Antrag der Sozialdemokraten auf sofortige Vor⸗ legung eines Gesetzentwurfs durch den die Ansprüche der Altpensionäre und Pensionäre der unmittelbaren und der mittelbaren Staatsbehörden und ihrer Hinterbliebenen neu geregelt werden. Diesem Antrage wollen die Demotraten folgende Fassung geben: „Die Regierung zu ersuchen, gleichzeitig mit dem Gesetzentwurf zur Neuregelung der Beamtengehälter einen Gesetzentwurf zur Neuregelung der Ruhegehälter und Hinterbliebenenbezüge für Pensionäre und Alt⸗ pensionäre vorzulegen, der die bisher eingetretene Geldentwertung möglichst ausgleicht und die Berücksichtigung des jeweiligen Geld⸗ wertes zugrunde legt“;
2) den Antrag der Deutschnationalen und der Deut⸗ schen Volkspartei: 1) Den Ruhegehaltsempfängern sind sofort vom Januar bis März 1920 die vollen Teuerungszulagen der aktivpen Beamten ohne Bedürftigkeitsnachweis zu gewähren; 2) die Regierung wird ersucht, Maßnahmen zu treffen, daß die Bestimmung zu 1 auch auf die Ruhegehaltsempfänger der Gemeinde⸗ und mittel⸗ baren Staatsbehörden ausgedehnt wird;
3) den Antrag der Deutschnationalen (Abg. Hammer und Gen.), „die Regierung zu ersuchen, tunlichst bald im Ein⸗ vernehmen mit der Reichsregierung dabin zu wirken, daß diejenigen Bevölkerungsklassen, die auf feste, seit dem Kriegsausbruch nicht er⸗ höhte Einkünfte geringen Umfangs angewiesen sind, insbesondere die Altpensionäre, solange die gegenwärtigen Teuerungsverhältnisse dauern, durch Zuweisung billig gehaltener Lebensmittel, Kleidung und Schuh⸗ werk unterstützt und ihnen weitgehende Steuererleichterungen gewährt werden.
Abg. Oelze (dnat.): Die bevorstehende Neuregelung der Be⸗ amtenbesoldung muß auch das gan e Pensionswesen in neue Wege leiten. Dann aber sind die Gehäter der Pensionäre für die Ueber⸗
angszeit zu reformieren. Besonders aus den großen Städten kommen forigesent bewegliche Klagen der Ruhegehaltempfänger. Hinsichtlich der Teuerungszulagen darf kein Unterschied gemacht werden zwischen gktiven und Ruhestandsbeamten. Leider sind unsere früheren Anträge in dieser Nichtung sowohl im Ausschuß wie im Plenum von allen anderen Parteien abgelehnt worden, deswegen sind wir aber doch der Ansicht, daß wir auf dem einmal beschrittenen Wege weitergehen müssen. Gerade in der Jetztzeit ist die Notlage der Hinterbliebenen und der Ruhe⸗ beamten unerträglich. Wir wünschen, daß ihnen die Teuerungszulage auch für das laufende Vierteljahr ohne Bedürftigkeitsnachweis gewährt wird. Die Pension ist keine feststehende Rente, mit der der Staat seine Beamten für allezeit abgefunden hat, er hat die Verpflichtung, seinen nicht dienstfähigen Beamten ein auskömmliches Gehalt zu gewähren, diese Rente ist dem jeweiligen Geldstande anzupassen, sie ist ur⸗ sprünglich bemessen nach der Goldwährung, während wir jetzt die Papierwährung h. Der vollwertigen Leistung, die die Beamten hinter sich haben, muß auch eine vollwertige Gegenleistung gegenüber⸗ siehen. Dies ist um so mehr nötig, als den Beamten durch Auf⸗ hebung des Steuerprivilegs erhebliche Ausfälle zugemutet werden. Sodann soll den Ruhegehaltsempfängern ihr Prwatvermögen ange⸗ rechnet werden. Das ist höchst bedenklich, da auch die Arbeitsfreudigteit der Beamten dadurch beeinträchtigt wird. Schließlich haben sich Be⸗ amte nach der Verordnung vom 26. Februar 1919 unter Verzicht auf die Teuerungszulage pensionieren lassen, weil sie höhere Bezüge hekamen. In diesem Falle muß ebenfalls eine Aufbesserung ein⸗ treten. Ebenso muß den Hinterbliebenen der Gehaltsempfänger das Einkommen aufgebessert werden; unser Antrag erstreckt sich auch auf Lehrer und Kommunalbeamte, sowohl auf solche, die im Ruhestand leben als auch auf aktive. Hier hondelt es sich um eine Forderung der Moral und Pietät, unsere Pensionäre und deren Hinterbliebene müssen vor neuen großen Schädigungen bewahrt bleiben.
Abg. Lukassowitz (dnat.): Der Antrag Hammer nimmt sich der minderbemittelten Bevölkerung im allgemeinen an. Er will ihr durch Verbilligung der Lebensmittel, durch Lieferung von Kleidern und Schuhwerk und durch Steuererleichterung Förderung zuteil werden lassen. Unter die von uns gedachten Kategorien fallen nicht nur die Altpensionäre, sondern besonders auch die Kriegsinvaliden. Die bisherigen Aufbesserungen entsprechen nicht der Zunahme der Teuerung. Die Kleinrentner befinden sich in einer äußersten Not⸗ lage. Ich bedanere, daß nicht die Staatsregierung von sich aus sich dieser Aermsten der Armen angenommen hat. (Sehr richtig! rechts.) Unter dem Drucke der Verhältnisse hat sich der Bund der Kleinrentner Deutschlands gebildet, der vor allem auch fest⸗ legen will, wer als Kleinrentner zu betrachten ist. D ß mon sich an das Existenzminimum halten, wie es in der Be⸗ soldungsordnung mit 9000 ℳ festgelegt ist. Das ist sehr bescheiden.
Der deutsche Grundbesitz muß in deutschen Händen bleiben.
Geschieht nicht sehr bald etwas für die Kleinrentner und Indaliden, 8 4 8 3 “ 83 8 2 1 28 “ 8 8
so verfallen sie bei der von I steigenden Teuerung der öffentlichen Armenpflege oder der Erowerbslosenfürsorge. (Sehr richtig! rechts.) Sie find durch die schrankenkose Notenpresse viel mehr geschädigt als alle anderen Stände. Der Staat ist bisher noch nicht in der Lage gewesen, seine Bürger gegen die schamlose Aus⸗ beutung der Wucherer, Schieber, Kriegsgewinnler und sonstigen Ge⸗ sindels zu schützen. Das geringe Kapital dieser Rentner wirft nicht genügend Zinsen ab, um ihre Lebensbedürfnisse zu decken. In weiten Kreisen ist man der Meinung, daß die Zinsen ein mühelos erworbenes Gut sind. Das trifft aber für die kleinen Rentner nicht zu. Nicht bedürftig sind die Rentner mit größeren und großen Vermögen und und die sogenannten trägen Rentner, die ja noch im jugendlichen Alter stehen und arbeitsfähig sind, und dann diejenigen, die noch Nebeneinkommen durch Aktiengesellschaften usw. haben. Die Staats⸗ regierung muß auch Mittel und Wege finden, den kleinen Rentnern zu helfen, besonders auch durch weitgehende Steuererleichterung. Man mag die Kriegsgewinnler, Schieber und Wucherer schärfer erfassen und das Plus zum Ausgleich der Härten auf diesem Gebiete ver⸗ wenden. Das Schicksal dieser Leute darf nicht Hunger und Not sein. Die Regierung möge zeigen, ob sie Verständnis für die Dinge und die Fähiagkeit hat, den Hebel der Besserung noch zu rechter Zeit anzusetzen. Bis dat, qui cito dat! (Beifall.) b
Abg. Twardy (Soz.): Das Existenzminimum für eine Familie von fünf Köpfen wird jetzt auf ungefähr 9000 ℳ geschätzt, die Ruhe⸗ gehaltsempfänger exhalten aber nur 1500 bis 3000 ℳ. Es ist er⸗ klärlich daß die Stimmung in der Beamtenschaft sehr schlecht ist. Die Parole der Republik lautete: Freiheit und Brot! Wir bean⸗ tragen die Ueberweisung des Antrags der Deutschnationalen und des Antrags Hammer an den Staatshaushaltsausschuß. Die übrigen Anträge nehmen wir an und bitten die Regierung, uns schleunigst eine Gesetzesvorlage zu machen.
Abg. Schümer (Dem.): Die Notlage der Ruhegehalts⸗ und der Rentenempfänger ist anerkannt, umstritten ist nur die Pflicht des Staates, den Notleidenden zu helfen. Ruhegehalt und Hinter⸗ bliebenengeld müssen als ein Teil des Gehalts angesehen werden; wenn die Erhöhung der Gehälter notwendig wird, so ist damit zugleich erwiesen, daß auch höhere Ruhe⸗ gehälter und Hinterbliebenengelder gezahlt werden müssen. Wir wehren uns dagegen, haß die Bedürftigkeit geprüft werden soll. Wenn der Staat keine Mittel hat, muß gespart werden, aber nicht bei den Aermsten der Armen. Demokratie heißt Gerechtigkeit; um Gerechtigkeit willen bitten wir um die Staatshilfe für die Not⸗ eldenden.
Abg. Dr. Goerck (d. Pp.): Wir hoffen endlich einmal zum Ziele zu kommen. Der Staaz hat eine Ehrenschuld gegen seine ver⸗ dienten Beamten. Die Pensionen, besonders die der Altpensionäre, entsprachen schon vor dem Kriege nicht mehr den Verhältnissen der Lebenshaltung. Schon früher wünschten Anträge sämtlicher bürger⸗ licher Parteien eine Erhöhung der Pensionen mit rückwirkender Kraft entsprechend der Teuerung. Bei der jetzigen Geldentwertung leiden die Ruhegehaltsempfänger am allermeisten unter der Teuerung. Die Bedürftigkeitsfrage muß ausscheiden, denn es widersteht jedem, sich mit einem Gesuch um Almosen an die Regierung zu wenden. Es spielen sich in den betroffenen Kreisen geradezu Tragödien ab. Die Auffassung, daß die Pensionäre durch die Pension sozuagen abgefunden seien, kann unter keinen Umständen maßgebend sein. Die längst veraltete Pensionsgesetzgebung muß von Grund auf geändert werden, aber das bedarf längerer Vorbereitung, so lange können unsere Pensionäre nicht warten. Wir bitten deshalb, den deutschnationalen Antrag und den Antrag Hammer an den Staats⸗ haushaltsausschuß zu überweisen.
Abg. Krug (Zentr.): Die Beamten können bei der Teuerung auch mit ihrem vollen Gehalt schon längst nicht mehr bestehen. Die Pensionäre und zumal die Altpensionäre sind aber noch weit schlimmer daran. Ihre Pensionsbezüge sind im Werte mehr und mehr herab⸗ gemindert, ihre letzten Ersparnisse während des Krieges aufgezehrt worden. Die Preise sind geradezu wahnsinnig gestiegen, zu neuen Anschaffungen fehlen die Mittel. Ihre Armut tritt auch äußerlich stark in die Erscheinung. Der bisherige Modus der Prüfung des Bedürfnisses bei der Gewährung von Teuerungszulagen muß weg⸗ fallen, wir erheben heute gegen dieses ungerechte System abermals Protest. Mindestens müssen in diesem Falle nicht die alten, sondern die neuen Gehälter der gleichen Beamtenkategorien zugrunde gelegt werden. Auch der pensionierte Beamte hat ein Anrecht auf angemessene Lebenshaltung im Alter; hat er doch im Dienste des Amtes seine Kräfte aufgebraucht. Von den gestellten Anträgen geben wir dem den Vorzug, der die Neu⸗ regelung mit der Beamtenbesoldungsreform in Verbindung setzt. Wir sprechen den ernsten Wunsch aus, daß diese Neuregelung nicht auf die lange Bank geschoben wird. Der Antrag, der die für die Zwischenzeit entstehende Lücke ausfüllen will, wird von uns sehr gern unterstützt. Auch bezüglich der Forderung, daß die Staatsbehörden ihren Einfluß in der gleichen Richtung auf die Gemeindeverwaltungen und die mittleren Staatsbehörden ausüben sollen. Her Antrag Hammer macht den sehr praktischen Vorschlag, daß billige Lebens⸗ mittel, Kleidung und Schuhwerk allen den Bevölkerungsklassen zuge⸗ wendet werden soll, die auf feste Bezüge geringen Umfangs angewiesen sind. Da hier aber die Alipensionäre mit Kleinrentnern usw. zu⸗ sammengeworfen werden, wird sich für diesen Antrag Aus⸗schußberatung als unumgänglich erweisen.
Abg. Herrmann (dnat.): Die schwere Notlage der Alt⸗ pensionäre ist allgemein anerkannt worden, aber es wird nicht allge⸗ mein bekannt sein, daß wir noch heute Altpensionäre haben, deren Pension nur 400, ja bis zu 265 ℳ herunter beträgt. Auch mit den einmaligen und laufenden Unterstützungen, die diese Allerbedürftigsten
erhalten, ist es für sie zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig.
Längst schon hätte die Regierung ihnen mit einer einmaligen Teuerungs⸗
zulage zu Hilfe kommen müͤssen. Wir haben das auch seinerzeit beantragt, aber im Hause damit keinen Anklang gefunden. Unser heute wieder zur Beratung stehender Antrag ist auch bereits vor fast einem Jahre eingebracht worden. Es kommt uns darauf an, daß augenblicklich geholfen wird; darum soll die Ausschußberatung, Seh sie schon unumgänglich ist, so sehr als möglich beschleunigt werden.
Abg. Dr. Weyl (U. Soz.): Selbstverständlich treten wir für die beiden neuen Anträge ein. Ueber die Notwendigkeit der Erfüllung der hier zur Erörterung stehenden Forderungen ist kein Wort weiter zu verlieren.
Der erste Antrag der Deutschnationalen wird einstimmig angenommen, die übrigen Anträge werden dem Haushalts⸗ ausschuß überwiesen.
Drei sozialdemokratische Anträge, die dem Haus⸗ haltsauss chuß schon früher überwiesen worden waren, werden von ihm in folgender Fassung zur Annahme empfohlen:
.1) die Regierung zu ersuchen, bei der Reichsregierung dahin zu wirken, daß bei der Wiederverheiratung von Krieger⸗ witwen in jedem Falle eine Abfindungssumme gezahlt wird und eine Erhöhung derselben erfolgt. Desgleichen soll alsbald eine allgemeine Erhöhung der enten für Kriegs⸗ beschädigte und Hinterbliebene von Kriegoteil⸗ nehmern eintreten und die noch laufende Gefangenen⸗ löhnung ohne Prüfung der Bedürftigkeit zur Auszahlung gelangen; 2) die Regierung zu ersuchen, bei der Reichsregierung dahin vor⸗ stellig zu werden, daß den Kriegerwitwen in geeigneten Fällen auf Antrag ihre Renten bis zur vollen Höhe kapitalisiert werden dürfen, um sich an Siedlungen beteiligen zu können; 3) die Regierung zu ersuchen, bei der Reichsregierung dahin vor⸗ stellig zu werden, daß die unehelichen Kinder gefallener oder vermißter Kriegsteilneher den ehelichen Kindern in der Hinterbliebenenversorgung albsbald rechtlich gleichgestellt werden.
Frau Ege (Soz.): Mit der heutigen Rente kann man unmög⸗ lich auskommen. Die Grundlage bildet immer noch das Militär⸗ hinterbliebenengesetz von 1907. Seitdem haben sich die Verhältn isse
vie Bedürftigkeit nicht geprüft werden. Was die ehemals kaiserlichen
lvon den angeblich proletarischen Ministern (Zuruf: gibt es nicht!)
echloß Sakrow zu wohnen. val nach dem Rechten sehen.
simmung, Antrag des Bevölkerungsausschusses über Hersgsgfuges
gewaltig geändert. Mit dem Gelde, welches eine Kriegerwitwe fůr
sich und ihr Kind bekommt, 568 ℳ, kann sie nur 1 ½ Monate aus⸗
ommen, nicht aber ein ganzes Jahr. Deshalb muß die Rente unbedingt erhöht werden. Die Regierung selbst bewilligt ja auch Tuerungszuschläge. Die Hanadhabung der Frtes enahisahrte⸗ Fflege in den großen Städten war noch erträglich. Aber wie
wurde sie auf dem Lande ausgeübt! Krantheit blieb unberücksichtigt. Die Witmen sollten die schwere Arbeit perrichten und noch 7 bis 8 Kilomeier weit zu ihren Arbeitsstätten wandern. Die Kreisfürsorgestelle ist nicht imstande, unsere Frauen und Kinder so zu stellen, wie wir es unbedingt verlangen müssen. Die Rente muß ein auskömmliches Dasein gewährleisten. Im Dezember waren 35 Millionen Mark für Kriegerwitwen und Waisen aus⸗ gesetzt; sie sind aber so verteilt worden, daß die einzelnen Gemeinden monatlich nur 10 000 ℳ verausgaben können. Der Satz ist so gering, daß nur die allerdringendsten Fälle berücksichtigt werden können. Wie dieses ausgelegt wird, das wissen wir ja. Den Kriegerwitwen soll bei der Wiederverheiratung eine Abfindungs⸗ summe gegeben werden, wenn ein Bedürfnis vorhanden ist. Auch hier haben wir eine engherzige Auslegung des Gesetzes erlebt. Er⸗ mitlungen über Ermittlungen wurden gemacht und denen, die noch einen kleinen Haushalt hatten, schlug man die 1000 ℳ ab. Wir berlangen, daß alle Frauen ohne Ausnahme bei der Wiedervperheiratung die Aüsgndungsumme bekommen, nicht in Höhe von 1000 ℳ, sondern zen heutigen Verhältnissen entsprechend, denn 1000 ℳ reichen heute für jie Ausstattung eines neuen Haushalts nicht aus. Beim Kapital⸗ bfindungsgesetz müssen wir die größte Sorgfalt walten lassen. Am hhlimmsten bei der ganzen Hinterbliebenenversorgung stehen die Mütter a. Sie müssen nachweisen, daß der gefallene Sohn ihr einziger Ernährer war. Nur dann können sie in den Besitz der Rente kommen. Die uneheliche Mutter ist auf Armenpflege angewiesen. Es geht nicht un, zweierlei Recht gelten zu lassen. In Norwegen hat man schon lüngst die Gleichstellung der ehelichen und unehelichen Kinder. Der Kaiser als der Mitschuldigste am Kriege sollte einen Teil seiner scönstgelegenen Schlösser freiwillig für unsere Kriegerwitwen und Paisen als Erholungsstätten zur Verfügung stellen. Am 31. März sell die Kriegswohlfahrtspflege aufhören, bis dahin muß das neue Kriegshinterbliebenengesetz beraus sein.
Frau Heßberger (Zentr.): Auch wir stimmen den Anträgen voll und ganz zu. Der Staat ist verpflichtet, unter allen Umständen den Lebensabend der Witwen und Waisen sorgenfrei zu gestalten. Die Abfindung müßte sofort bezahlt werden. Das österreichische Gesetz sieht vor, daß die Witwenrente nicht bei der Verheiratung erlischt, venn die Witwe einen Kriegsbeschädigten heiratet. Das sollte auch bei uns so sein.
Abg. Werner (dnat.): Die Anträge kommen jedenfalls aus inem guten Herzen. Der Dank des Vaterlandes kann den Hinter⸗ Hliebenen nicht mit schönen Worten abgestattet werden, die Regierung muß alles tun, ihre berechtigten Wünsche sicherzustellen. Dabei darf
Schlösser anlangt, so wäre es wichtiger, die von dem Mnnister be⸗ vohnten Schlösser den Hinterbliebenen einzuräumen. Die unehelichen finder müssen den ehelichen gleichgestellt werden. (Zurufe von den Soz.) Die soziale Gesetzgebung ist immer von den Bürgerlichen gegen die Stimmen der Sozialdemokraten gemacht worden!
Abg. Dr. Weyl (U. Soz.): Bei Beratung dieser wichtigen AUnträge ist niemand von der Regierung anwesend. So zeigt die Regierung den Kriegshinterbliebenen den Dank des Vaterlands. Zeim alten Regime kam das nicht vor. (Lebhaftes Sehr richtig!) die Landesversammlung ist angeblich souverän, sie muß von sich aus jen Hinterbliebenen helfen. Bedauerlich ist es, daß es überhaupt soch solcher Anregungen hbedarf. Am 31. März hört die gesamte Vohlfahrtspflege von Reich und Staat anf. Was soll nun zum 1. April werden? All diese unglücklichen Geschöpfe können doch nicht der Armenpflege verfallen, sie haben nicht zu bitten, sondern zu fordern. (Lebhafte Zustimmung.) Ob die Schlösser vom Kaiser oder
wur Verfügung gestellt werden, ist den Kriegshinterbliebenen gleich⸗ sültig. Der angebliche Sozialdemokrat Südekum braucht nicht auf Da köͤnnen die Sozialdemokraten ein⸗
Abg. Dr. Rasch (D. Vp.): Nicht nur Vollinvaliden, sondern zch bei verminderter Arbeitskraft muß eine auskömmliche Rente ewährt werden. Wem ein sterhender Kamerad zugerufen hat, sorgt üür Frau und Kinder, wird stets warmen Herzens solchen Anträgen sistimmen. Sozialdemaokratische Minister brauchen sich nicht in die Schlösser einzunisten, die Miele, die Herr Südetum in Sakrow zahlt, richt bei weitem nicht aus.
Abg. Boer⸗Maͤgdeburg (Dem.): Das Haus besitzt den guten Willen, von der Regierung erwarten wir den guten Rat.
Die Anträge werden angenommen.
Es folgt ein Antrag der unabhängigen So⸗ ialisten, den Beziehern von Invaliden⸗ und hinterbliebenenrenten die Teuerungszulagen zu schöhen, die Zulagen zu den Unfallrenten schon bei einer 50 prozentigen Rente zu erhöhen und den Rentenheziehern mindestens eine Jahresrente als Entschuldung schnellstens zu gewähren.
Abg. Dr. Moldenhauer (D. Vp.):
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Wir wünschen, daß die kuwendungen nicht nur auf die Invaliden, sondern auch auf die Untallrentner ausgedehnt wird. Ihre Zahl ist nicht so sehr groß, chwieriger wird es bei der Invalidenversicherung sein, da haben wir siher 1 800 000 Rentenempfänger.
Abg. Ommert (Dem.): Der Arbeiterpensionskasse muß von ser Regierung ein Zuschuß gewährt werden, um den Altpensionären delfen zu können.
Abg. Stieler (Zentr.): Die bewilligten Zulagen erreichen sicht das Ziel der Versicherungsgesetzgebung: Lebensexistenz in Kranken⸗, Fiechen und Inbalidentagen. Eine Reform der Reichsversicherungs⸗ ordnung ist dringend geboten. Die Abgg. Christange (U. Soz.) und Werner (dnat.) immen den Antraͤgen gleichfalls zu, letzterer erhebt dabei lebhafte eschwerde über die Abwesenheit der Regierung. e““
Der Antrag wird einstimmig angenommen. Damit ist die Tagesordnung erledigt. Nächste Sitzung Mittwoch, 12 Uhr.
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( Namentliche Ab⸗
der Geschlechtskrankheiten und Regelung des Dirnenwesens,
Antrag auf gesetzliche Gleichstellung der verschiedenen frei⸗ maurerischen Richtungen, sonstige Anträge.)
Schluß gegen 5 ½ Uhr.
stermangel in der Welt.
Nach Mitteilungen im „Tropenpflanzer“ hat seit dem Alkohol⸗ derbot in den Vereinigten Staaten von Amexita der Zuckerverbrauch saselbst eine monatlicke Zunahme von 80 000 Tonnen erfahren. Dies und die Zunahme des Verbrauchs in Europa lassen einen Zucker⸗ mangel befürchten trotz der Steigerung der Rohrzuckererzeugung nenabüic auf Kuba. Besonders in Frankreich fürchtet man ne Zuckerkrise, und auch in Deutschland wird die eigene Ernte dem Bedarf bei weitem nicht genügen, ohne daf man hier
Fabriken zerstört.
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1“ b.“ “ 8 Das englische Fachblatt „Sugar“ schätzt die Zeit, die vergehen dürfte, ehe der Weltzuckerbedarf wieder gedeckt werden wird, auf zehn Jahre. Für 1919 ist die auf rund 16,848 Millionen Tonnen berechnete Weltzuckererzeugung um fast 3 Millsonen kleiner ats der Bedarf der Welt, den man auf 19 Millionen Tonnen schätzen— kann gegen 17 bis 18 Millionen vor dem Kriege. Damals entsprach er genau der Produktion, so daß sich Vorräte nicht ansammeln konnten; es muß also jetzt eine bedeutende Einschränkung im Verbrauch die Folge sein. 5 1 1116
111““ EII“ ö“ Arbeitzsstreitigkeiten. .
In einer Zusammenkunft des Ministers Oeser mit Ab⸗ geordneten der mehrheitesozialistischen Fraktion der Landesversammlung brachten diese Beschwerde darüber vor, daß bei der Entlassung von Arbeitern in den Eisenbahnwerkstätten viel⸗ fach nicht nach sachlichen Gesschtepunkten, sondern auf Grund per⸗ sönlicher oder politischer Beweggründe vorgegangen sei. Der Minister erklärte, wie „W. T. B.“ meldet, die Eisenbahndirektion wiederholt angewiesen zu haben, daß bei diesen lediglich durch betriebs⸗ wirtschaftliche Notwendigkeit bedingten Entlassungen keine politischen oder gewerkschaftlichen Maßregelungen vorgenommen werden dürfen. Wo gegen seinen Willen verstoßen sei, werde durch besonders zu⸗ zusammengestellte Kommissionen für sofortige Abhilfe gesorgt werden. Ueber die Notwendigkeit, in den Wertstätten auf strenger wirtschaft⸗ licher Grundlage die Vorbedingungen für erhöhte Arbeitsleistungen zu schaffen, war Einverständnis bei allen Teilnehmern der Be⸗ sprecchung. — Die Staatseisenbahnverwaltung weist, wie „W. T. B.“ ferner meldet, darauf hin, daß bei der kürzlichen Entlassung von Arbeitern in den Werkstätten neben betriehsschädlichen und arbeitsunwilligen Personen vielfach wegen der Ueberfüllung der Betriebe auch brauchbare Arbeitskräfte haben entlassen werden müssen. Wegen deren Be⸗ schäftigung in Privatbetrieben und besonders in Werken, die Aus⸗ besserungsarbeiten für die Eisenbahn ausführen, brauchen daher keinerlei Bedenken zu bestehen.
Bildung der Reichsarbeitsgemeinschaft land⸗ und forstwirtschaftlicher Arbeitgeber⸗ und Arbeit⸗ nehmervereinigungen, Berlin. Uater Beteiligung des Reichsverbandes der deutschen land⸗ und forstwirtschaftlichen Arbeit⸗ gebervereinigungen, des Deutschen Landarbeiterverbandes, des Zentral⸗ verbandes der Forst⸗-, Land⸗ und Weinbergsarbeiter eutsch⸗ lands, des Reichsverbandes land⸗ und forstwirtschaftlicher Fach⸗ und Körperschaftsbeamter und des Verbandes land⸗ und forstwirtschaft⸗ licher Angestellter wurde, wie „W. T. B.“ mitteilt, in Reichs⸗ wirtschaftsministerium eine Reichzarbeitsgemeinschaft land⸗ und forstwirtschaftlicher Arbeitgeber⸗ und Arbeitnehmervereinigungen, Berlin, gegründet. Ein von den Vertretern der einzelnen Verbände vorberatener Satzungsentwurf fand bis auf einige Aenderungen all⸗ seitige Zustimmung. Die in der Reichsarbeitsgemeinschaft zusammen⸗ geschlossenen Vereinigungen erblicken in der Erhaltung und Sicherung des wirtschaftlichen Einvernehmens, insbesondere durch Vorbereitung, Abschluß und Durchführung von Tarifverträgen zwischen den Arbeitgebern und Arbeit⸗ nehmern ihr vornehmstes Ziel. Sie übernehmen für sich selbst und die ihnen angeschlossenen Unterorganisationen die Verpflichtung, dar⸗ auf hinzuwirken, daß vor endgültiger Entscheidung etwaiger Streit⸗ fälle durch die Schlichtungsinstanz weder die Arbeiter die Arbeit ein⸗ stellen noch die Arbeitgeber zu einer Aussperrung schreiten. Die Reichsarbeitsgemeinschaft hat keine geschlossene Mitgliederzahl, sondern ist zur Aufnahme weiterer Mitglieder bereit, sofern sie 1) die Satzungen der Arbeitsgemeinschaft und das hier⸗ zu getroffene Abkommen anerkennen, 2) ihr Fhg auf das ganze Reichsgebiet erstrecken, 3) mindestens 10 000 Einzelmitglieder haben. Arbeitnehmervpereinigungen, die die Aufnahme nachsuchen, müssen außerdem die gewerkschaftlichen Grundsätze anerkennen, die von allen der Zentralarbeitsgemeinschaft angeschlossenen Arbeiter⸗ und Angestelltenorganisationen innezuhalten sind.
Nach einer von „W. T. B.“ übermittelten Havasmeldung aus Saargemünd ließen die ausständigen Arbeiter der Kristallglaswerke in St. Ludwig und Münster die Oefen ausgehen. Der Schaden beträgt 500 000 Franken.
Wegen Maßregelung eines Arbeiters sind, wie „W. T. B.“ aus Paris erfährt, die Arbeiter der Werkstätten von Villeneuve, der Paris⸗Lyon⸗Mittelmeerbahn in den Ausstand getreten. In Lyon und Paris beschlossen die Arbeiter der gleichen Gesellschaft, heute in den Ausstand zu treten. Die Vertreter der Pariser Eisenbahner beschlossen gestern abend die Einstellung der Arbeit auf allen Netzen für Mittwoch. Die An⸗ gelegenheit war gestern Gegenstand einer Interpellation in der Kammer. Der Minister für öffentliche Arbeiten erklärte, er werde keinen Akt der Auflehnung dulden, worauf die Kammer durch Hand⸗ aufheben eine entsprechende Tagesordnung annahm.
Aus Mailand wird dem „W. T. B.“ telegraphiert, daß gestern morgen das Personal aller Sekundärbahnen in der Lombardei in den Ausstand eingetreten ist.
Nach einer Havasmeldung aus Madrid haben gestern vor⸗ mittag die Geschäftshäuser geschlossen als Kund⸗ gebung gegen die Erhöhung der Eisenbahntarife. Ein Zug von Kundgebenden begab sich zum Ministerpräsidenten, um einen schriftlichen Protest zu überreichen.
Aus Sofia wird „W. T. B.“ zufolge der hiesigen bulgarischen Gesandtschaft gemeldet: Der Ausstand der Cisenbahner, der dank der energischen Maßnahmen der Regierung schon in den ersten Tagen aussichtslos erschien, ist nunmehr endgültig bei⸗ gelegt. Die Ausständigen haben sich unterworfen und die Arheit wieder aufgenommen. Die Regierung hat ihren Standpunkt, mit den ausständigen Staatsangestellten nicht zu verhandeln, unver⸗ ändert beibehalten.
Einer von „W. T. B.“ wiedergegebenen Londoner Meldung des „Telegraaf“ zufolge sind im Randminengebiet in Süd⸗ afrika über 40 000 farbige Arbeiter in den Ausstand getreten. Die Bewegung breite sich aus.
Neronantisches Observatorium. Lindenberg, Kreis Beeskow. 18. Febrwar 1920. — Drachenaufstieg von 5 ¾ bis 9 Vorm.
Temperatur C0 Feuchtig⸗ Beschwind 7 eschwind.
keit Richtung Sekund.⸗
0 Meter
SOzS 4 S 15 SzO 10 680 SzO 9 640 1 SSO 12 602 3, S 11 966 b S 11 531 SSO 10 498 SSO 10 4000 466 SSO 9 4370 444 SSO 8
Wolkenlos. —
Relative Luftdruck
2 mm
Seehöhe
oben unten
757,9 742 723
122 300 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500
wegen des niedrigen Kurses der Marknoten die Möglichkeit hat, Zücker nzacfübrein Geradezu ein ö. besteht in Sowjet⸗ tußland, wo beinahe keine Zuckerfabrik mehr arbeitet; auch in der Ukraine, wo noch im vorigen Jahre der größte Teil der 220 Fabriken in Tätigkeit war, sind fnblge der inneren Wirren jetzt die meisten
Inversion zwischen 250 und 500 m von 1,5 ° auf 1,7 . — Inversion zwischen 500 und 910 m von 1,7 9 auf 9,3 °. — Zwischen 1370 und
Imm
Bodeninyersion bis 250 m von 0,4 °auf 1,5 °.
“ 1
19. Februar 1920. — Drachenaufstieg von 5 bis 7 Vorm. — — Relative
ö“ Wind Seehöhe Luftdruck Feuchtig⸗ Geschwind. 1 keit Richtung
V t Sekund.⸗ “
Temperatur C0
—1,1 95 S 60 SWz S 721 45 SS⸗ 678 6 W 638 V 40
122 300 500 1000 1500
755,9 740
2000 600 40 Heiter. — Bodeninversion bis 410 m von — 1,1 ° guf 4,9°. Zwischen 410 und 680 m überall 4,9 °. — Inversion zwischen 680 und 810 m von 4,9 ° auf 5,30. Zofschen 1120 und 1310 überall 400b. ö“
u
20. Februar 1920. — Drachenaufstieg von 5 ¼
Relative Temperatur C0 Fenchtig. 1 V 3
—27%
Seehöhe Geschwind.
Richtung 1 Sekund.⸗
unten Meter
ha oben
752,5 — 2,0 96 SOzS
736 5,4 50 SWzS
718 6,8 45 S
676 4,8 55 O
638 2,0 65 O
Wolkenlos, leichter Nebel. — Bodeninversion bis 560 m von
“ “
1 Handel und Gewerbe.
— Die Handelskammer zu Berlin hat zu ihrer in 7. Auflage erschienenen Veröffentlichung „Deutsche Aus⸗ und Durch⸗ fuhrverbote“ einen Nachtrag I herausgegeben, der die seither bekanntgegebenen Aenderungen und Ergänzungen berücksichtigt. Be⸗ sonders ist die Neuredigierung der folgenden wichtigen Warengruppen berücksichtigt: Eisen⸗ und Stahlwaren, Fahrzeuge, Glaswaren, Kürschnerwaren, Lederwaren, Spinnstoffe, Steinwaren, Tonwaren. Der Verkaufspreis beträäagt für den Nachtrag für Deutschland und die Länder, deren Währung unter pari steht, 1,20 ℳ, nach dem übrigen benachbarten Ausland 0,70 Schweizer Frank, 0,30 holländische Gulden. Das Hauptverzeichnis ohne Nach⸗ trag kostet 5 ℳ bezw. 2 Fr. (Schweiz), 1 holländischen Gulden, 2 nordische Kronen. Aobdrücke des Nachtrags und des Haupt⸗ verzeschnisses können gegen Voreinsendung des Betrages vom Verkehrs⸗ büro der Handelskammer zu Berlin C. 2, Klosterstraße 41, bezogen
werden.
— Nach dem Rechenschafisbericht der Preußischen Pfandbrief⸗Bank Berlin für das Jahr. 1919 betrug der Reingewinn einschließlich des Vortrags 3 501 897 ℳ gegen 3 512 778 ℳ im Vorjahre. Vereinnahmt wurden Zinsen und Ver⸗ waltungskosten 21 999 9935 ℳ (i. V. 21 137 270 ℳ), Pro⸗ visionen 1 663 427 ℳ (i. V. 1 044 636 ℳ). Zinsen verausgabt sind 17 799 102 ℳ (i. V. 17 263 303 ℳ). Von dem Gewinn sollen 7 ½ vH verteilt, ferner werden zugewiesen der außerordentlichen Rücklage 300 000 ℳ (wie i. V.), der Agiorücklage 260 563 ℳ (i. V. 200 000 ℳ), der Provisionsrücklage 338,920 ℳ (i. V. 424 559 ℳ), der Talonsteuerrücklage 900 000 ℳ (wie i. V.), zur Ruhegehaltsrücklage 50,000 ℳ (wie i. V.), der Dannen⸗ baum⸗Stistung 10 000 ℳ (i. V. 0), Gewinnanteil an Auf⸗ sichtsrat und Vorstand 204 705 ℳ (i. V. 192 982 ℳ). Als Vortrag für 1920 verbleiben 337 707 ℳ gegen 345 236 ℳ i. V. Wie aus dem Bericht hervorgeht, sind im städtischen Grundbesitz durch Be⸗ seitigung der Mietnachlässe und Mietausfälle wieder geordnete Ver⸗ hältnisse zurückgekehrt. Ein Teil des Hausbesitzes ist indessen noch immer mit nambaften Zinsrückständen belastet, und die dringend not⸗ wendige Instandsetzung der Häusfer erfordert beträchtliche Aufwendungen. Die Wohnungsmieten sind gestiegen, aber nicht in dem Maße, daß die Rentabilität der Häuser sich merkbar gehoben hätte.
— Die Berliner Maschinenbau⸗Actien⸗Gesell⸗ schaft vormals L. Schwartzkopff, Berlin, deren Attienkapital zuletzt vor mehr als 13 Jahren um 1,2 Millionen auf 12 Millionen Mark erhöht worden ist, beruft auf den 18. März 1920 eine außerordentliche Generalversammlung zwecks Erhöhung des Aktienkapitals um 12 Millionen Mark. Die neuen Aktien sollen den alten Aktionären zum Kurse von 150 % im Verhältnis 1:1 angeboten werden.
— Die Direktion der Ostbanl für Handel und Ge⸗ werbe teilt laut Meldung des „W. T. B.“ mit, daß die Memeler Filiale der Bank in unveränderter Weise fortarbeitet. Sie führt Zahlungen aus, nimmt Aktreditive entgegen, besorgt Ein⸗ ziehungen von Wechseln und Dokumenten und übernimmt sämtliche bankgeschäftlichen Aufträge. Da vielfach Zweifel in dieser Hinsicht bestanden, wird diese offizielle Mitteilung sfür weite Kreise von Interesse sein.
— Nach dem Geschäftsbericht der Crefelder Baumwoll⸗
pinnerei Akt.⸗Ges. für das Jahr 1919 war das Ergebnis in
erster Linie dem Rückhalt, den die Gesellschaft an ihren Schweizer Baumwollvorräten hatte, zu danken. Diese sind in der zweiten Hälfte des Jahres hereingekommen. Für ihren stark eingeschränkten Spinnerei⸗ betrieb hat die Gesellschaft für etwa 6 Monate Aufträge und ist entsprechend mit Rohbaumwolle gedeckt. Der Betxrieb der Spinnerei im kommenden Jahre hängt von der Kohlenbeschaffung ab. Verteilt werden 20 vH an die Aktionäre.
— Der Jahresabschluß der Eisenhüttenwerk Thale Aktiengesellschaft weist laut Meldung des „W. T. B.“* einen Reingewinn von 4 288010 ℳ auf, der wie folgt verteilt werden soll: 30 vH an die Aktionäre, Rückstellung für Errichtung von Arbeiterwohnstätten 500000 ℳ, besondere Zuwendung an die Arbeiter 550 000. ℳ, Zuwendungen an die Beamtenunterstützungs⸗ und Arbetterpensionskasse je 150 000 ℳ, an den Arbeiterdispositions⸗ stock 50 000 ℳ, für gemeinnützige Zwecke 100 000 ℳ, für vertrag⸗ liche Gewinnanteile an den Aufsichtsrat und Gratifikationen an Beamte insgesamt 500 000 ℳ. Die Aussichten für das laufende Jahr beurteilt die Verwaltung als befriedigend, sofern eine erträgliche Versorgung mit Brennstoffen eintritt.
— Am 30. April und 1. Mai 1920 findet laut Meldung des „W. T. B.“ in Frankfurt am Main ein inter⸗ nationaler wirtschaftspolitischer Kongreß statt. Die Einladungen zur Teilnahme an ihm gehen aus von den Ver⸗ tretern der Stadt und der Handelskammer sowie von den Vorsitzenden der bedeutendsten Wirtschaftsverbände Deutschlands. Der Gedanke des Kongresses ist der, die praktischen Kaufleute der verschiedenen Nationen zu einer vorurteilslosen Aussprache über die Möglichkeiten einer Verbesserung des internationalen Handels⸗ verkehrs und einer Herstellung dauernder friedlicher Beztehungen zwischen den verschiekenen Völkern zusammenzuführen. Die Ver⸗ arstglter des Kongresses gehen von der Fehe echs aus, daß auch die wirtschaftlichen Bezjehungen der Völker in einem internationalen Wirtschaftsparlameni auf dem Wege einer freien Aussprache unter
1500 m überall 7,0°.
1
Natisnen besser geregelt werden als durch eine Kabinettspolifik, die mehr oder weniger bestrebt ist, dem eigenen Lande aus egolstlschen
1*