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wan fFönne nicht unter dem Belagerungszustand wählen. Is, wirh s. denn überhaupt noch einmal anders? Vielleich sind die Verhaltnisse m Helbst noch ärger. (Zuruf: Adlon!) Glauben Sie nicht, daß ich diese skandalösen Vortommnisse mit einem Worte billigte! (Sehr gut!
chls.) Die Neuwahlen hinausguschieben, bis die Abstimmung in
erschlesien vorüber ist, hate ich für vollkommen ausgeschlossen. Wie⸗ weit, die Annahme begründet ist, die Entente könnte in den besetzten Geoieten die Wahlen verhindern, kann ich nicht beurteilen, jedensalls würde aber unseren dortigen Landsleuten das nationale Bewußksein auch in solchem Falle erheblich gestärkt werden. Jeden Appell an die Gewalt halten wir für eine verbrecherische Torheit. (Sehr richtig! pechts.) Aber wir wollen, daß in gesetzlicher Form der Wille des deuischen Volkes zum Ausdruck komme, und wir hoffen von einer pelitischen Reife des deutschen Volkes, daß bei uns wesent⸗ iche politische Aenderungen eintreten. Die Opposition kann man uns nicht versagen, sie ist die wichtigste Erfindung der politischen Freiheit. In Gegensatz zu der englischen Opposition haben wir nie fruchtlose Oppesition gemacht, unsere Antrage sind zum Teil angenommen worden, leider nicht alle. ritzrent) Unser gegenwärtiger Antrag en stammt nicht parteipolitischer Opposition, sondern unserer sachlichen Ueverzeugung. Die Nationalversammlung hat ihre Aufgaben gelöst. Finden wir hier kein Gehör, so wird er doch Verständnis, Zustimmung and Widerhall in weitesten Bolkskreisen finden (Beifall), und wir werden alle parlamenlarischen Mittel anwenden, um dahin zu kommen, daß endeich die Stimme des Volkes darüber gehört wird, wie es über Beaet, was ihm diese Nationalversammlung gebracht hat. (Lebhafter Beifall.
Reichsminister des Innern Koch: Meine Damen und Herren! Ich stimme mit dem Herrn Vorredner darin überein, daß es erwünscht ist, die Arbeit der Nationalversammlung möglichst bald zum Ab⸗
schluß zu bringen. (Sehr richtig!) Ich will auch nicht mit dem Herrn Vorredner darüber rechten, daß er erklärt hat, daß die National⸗ versammlung in ihrer heutigen Zusammensetzung nicht mehr dem Willen des Volkes entspräche. Es ist ein unverwüstliches Nüstzeug aus der Rüstkammer der parlamentarischen Opposition, in deren Formen der Abgeordnete Graf v. Posadowsky sich schnell zurecht⸗ gefunden hat, bereits vier Wochen nach dem Zusammentritt eines Parlaments zu erkläven, daß allein in Wahrheit nicht die Mehr⸗ beit des Parlaments, sondern die Minderheit berufen wäre, den Willen des Volkes zum Ausdruck zu bringen. (Zuruf rechts: Das hat noch keiner verlangt!) Ich bin überzeugt, daß nach verhältnis⸗ mäß g kurzer Zeit auch im neuen Reichstag von seiten der Rechten derselbe Vorwurf erhoben werden wird. (Zuruf rechts: Vielleicht wird es umgekehrt! — Heiterkeit.) — Ich bin davon überzeugt, daß es die Rechte sein wird, und ich muß sagen, daß auch aus den Worten des Herrn Abgeordneten Grafen Posadowsky nach dieser Richtung hin wenigstens nicht ein sehr volles Siegesbewußtsein herausgeklungen hat. (Sehr richtig! und Heiterkeit links! — Abgeord⸗ neter Dr. Graf v. Posadowsky⸗Wehner: Ich bin beschelden, Herr Minister!) Ich muß aber sagen: wenn wir auf dem Standpunkt stehen, daß ein Parlament so bald in die Lage kommt, zu überaltern, dann ist dieses Argument am wenigsten angebracht aus vem Munde eines Mannes, der fortwährend für verlängerte Legislaturperioden eingetreten ist. (Lebhafte Zustimmungen bei den Mehrheitsparteien. — Lachen und Zurufe rechts: Nationalversammlung!) Ja, wenn Sie glauben, daß ein künftiger Reichstag, in dem, wie ich eben höre,
Sie hoffen, die Mehrheit zu haben, den Stempel ewiger Jugend⸗ frische tragen wird, dann verstehe ich das nicht. (Sehr gut! bei den Mehrheitsparteien. — Zurufe rechts.) Ich muß mich dagegen — (fortgesetzte Unterbrechungen rechts) — ich darf bitten, mich sprechen zu lassen — ich muß mich dagegen mit Entschiedenheit verwahren, wenn der Herr Abgeordnete Posadowsky gesagt hat, so lange könne das Wahlgesetz nicht aufgeschoben werden, bis es gelungen sei, ein wahlgeometrisches Wahlgesetz zustande zu bringen, das die Rechte aus diesem Hause fernhielte. Herr Abgeordneter Graf Pofadowsky, die Zeiten, wo das Reichsamt des Innern ein Hort einer ungerechten Wahlkreisgeometrie gewesen ist, sind längst vorüber! (Stürmische Zustimmung und Beifall bei den Mehrheitsparteien. — Lachen rechts.) See mögen manches an der neuen Freiheit zu tadeln haben, aber diese Zeiten werden nicht wiederkommen. (Erneuter Beifall bei den Mebhrheitsparteien.) Ich muß weiter sagen: es besteht in keiner Weise die Absichi, etwa eine Opposition aus dem Hause des Reichs⸗ tages auszuschließen. Wir wünschen uns eine Dposition, wir wünschen allerdings eine Opposition, die sich ihrer Verantwortung in jerer Stunde bewußt ist. (Sehr gutl und Bravol bei den Mehrheits⸗
parteien.)
Benn der Abgeordnete Graf Posadowsky weiter erklärt hat, die jetzige Regierungsform sei ein Reg erungsabsolutismus, ein⸗ gekleidet in parlamentarische Formen, so muß ich demgegenüber sagen: er scheint aus dem Umstande, daß die große Mehrzahl der Gesetze hier in der Nationalversammlung Annahme findet, den Vorwurf eines Regierungsabsolutismus herleiten zu wollen. Nein, das ist der Vorzug des parlamentarischen Systems, daß es möglich ist, von vorn⸗ herein die Gesetzentwürfe und die Vorlagen in so enger Fühlung mit den Parteien, die die Mehrheit bilden, herzustellen, daß schwere Niederlagen, wie sie unter dem akten System möglich waren, jetzt allgemein glücklicherweise nicht mehr möglich sind. (Sehr gut! bei den Mehrheitsparteien. — Zurufe rechts: Kronvorlage! Südekum!)
Wenn die Regierung es bisher nicht hat möglich machen können, sich über den künftigen Wahstermin in einer bestimmten Weise zu äußern, so lag das bisher daran, daß die Arbeiten, die der National⸗ versammlung oblagen, noch nicht abgeschlossen waren und eine Ueber⸗ sicht noch nicht möglich war. Namentlich wird es doch auf Seiten der Rechten als die Aufgabe dor Nationalversammlung deren Mehrheit den Frieden geschlossen hat, angesehen worden sein, die Aus seferungs⸗ frage die mit dem Frieden zusammenhing, in einer erträglichen Weise ihrerseits noch zu lösen. Ich kann mir nicht denken, daß es der Rechten angenehm sein würde, wenn ein neuer Reichstag sich mit dieser Vor⸗ lage kätte beschäftigen müssen, und die Nationalversammlung würde sich wweifelles dem Vorwurf ausgesetzt haben, daß sie ein schweres Erbsvück ihrer Nachfolgerin hinterlassen habe. (Sehr richtigl bei den Mehrheitparteien.)
Was die Steuergesetzcebung angeht, so ist in den ganzen Ver⸗ handlungen bei der Zusammenberufung der Nationa versammlung immer zum Ausdruck gebracht worden, daß die Steuergesetzgebung zu den dringenden Reichzgesctzeen zu rechnen sei, die notwendig wären, um die Finanzen des Reichs auf feste Grundlage zu stellen. (Zustimmung hei den Mehrheiteparteien.) Noch am 21. Juli 1919 bei der Verab⸗ schierung der Verfassung hat der Herr Abgeordnete Dr. Rieher aus⸗ drücklich autgeführt, daß es keineeegs die Absicht der Rechten oder seiner Partei sein könne, die Beratung der Steuerworlagen in irgend⸗
xner Form zu verschleppen oder der Nationalversommlung zu ent⸗ ziehen. (Hört, hörtl bei den Mehrheiteparteien. — Buruße rechts:
Schon im Sommer!) Eine ausrrückliche Förderung Reser Vorlagen auch seitens der Partei des Herrn Dr. Rießer ist damals zum Aus⸗ druck gekommen, und daß diese Vor agen zu langsam erledigt worden seien, wird doch die Rechte nicht etwa behaupten wollen.
Also müssen wir darüber einig sein, daß der Zeitpunkt der Nationalversammlung so lange nicht abgelaufen ist, als die Steuer⸗ vorlagen noch zur Beratung stehen (Widerspruch rechts.) Die Steue worlagen neigen sich nunmehr dem Ende zu. Es ist damit eine Möglichkeit gegeben, einen Ueberblick über das Arbeitspensum, das die Nationalversamm ung noch zu berälligen hat, zu gewinnen, und es ist möglich, einen festen Termin für die Wahlen in Aussicht zu nehmen, wobei naturgemäß mit Rücksicht auf die immerhin noch ersckötterte äußere und innere Lage vorbehalten bleiben muß, daß der Termin nicht innogehalten werden könnte, wenn etwa ganz unerwartet und plötzlich neue vnd unvorhergesehene ungeheuerliche Schwierigkeiten hervortreten würten. (Hört, hört! rechts.) Das wird jeder verstehen. Denn niemand wird glauben Cönnen, daß die Regierung in dieser Zeit eine Erklärung abgeben könne, ohne einen so se bstverständlichen Vorbehalt zu mochen. (Sehr richtig! bei den Mehrheiteparteien.) Sie würde fahrlaͤssig handeln, wenn sie diesen Vorbehalt nicht machen würde. (Sehr richtig! bei den Mehrheitsparteien.)
Wenn ich nun prüöfe, wann dieser Termin stattfinden kann, so sind wir darüber einig, auch nach den Ausführungen des Herrn Grafen Posadowsky, daß während der Erntezeit die Abhaltung von Wahlen unmöglich ist, wenn man nicht der ländlichen Bevölkerung ihr Wahl⸗ recht verkümmern will. (Sehr richtig! bei den Mehrheitsparteien.) Es fragt sich also, ob die Wahlen vor der Ernte oder nach der Ernte, unmittelbar nach der Ernte stattfinden sollen. Vor der Ernte die Wahlen abzuhalten, erscheint der Regierung unmöglich mit Rücksicht namentlich auf einen Gesichtspunkt, den der Abgeordnete Graf Posa⸗ dowsky bereits erwähnt hat, den er aber, wie mir scheint, nicht hin⸗ reichend gewürdigt hat. Das ist der nationale Gesichtspunkt, daß es unmöglick ist, Wahlen abzuhalten, in einem Augenblick, wo ein Teil des Landes zu dem Zweck besetzt ist, um dort Abstimmungen, die über die Nationalität der betreffenden Bevölkerung entscheiden sollen, vor⸗ zunehmen. (Sehr richtig! bei den Mehrheitsparteien.) Ich weise darauf hin, daß es fünf Gebietsteile in Deutschland gibt, die zurzeit noch vom Feinde besetzt sind. Es ist die Möglichkeit, daß in diesen Gebieten die Wahlen zuͤgelassen werden, es besteht aber auch die Möglichkeit, daß sie verhindert werden. Und wenn man sich den Ein⸗ spruch der Entente gegen die Vornahme der Provinzialratswahlen in Oberschlesien ins Gedächtnis ruft, so muß auch gerade mit der zweiten Möglichkeit gerechnet werden.
Ich setze den ersten Fall. Wenn Wahlen stattfinden in Deutsch⸗ land, und wenn dann gleichzeitig in den der Abstimmung unterworfenen Gebieten Abstimmungen stattfinden, so muß das unbedingt zu einer Sprengung der nationalen Einheitsfront in den betroffenen Gebieten führen. (Lebhafte Zustimmung bei den Mehrheitsparteien.) Es ist völlig unmöglich, daß in diesen Gebieten etwa am 7. Juni Wahlen zum Reichstag stattfinden und vielleicht am 10. Juni Abstimmungen stattfinden, die über die Zugehörigkeit des betreffenden Landes zu Deutschland entscheiden. (Sehr richtig! bei den Mehrheitsparteien und Zuruf rechts.) Ich kann nicht alles auf einmal sagen; auch das kommt heran. (Zuruf rechts: Deshalb können sie doch im Herbst stattfinden!) Es ist nicht möglich, daß die Bevölkerung, wenn sie entzweit worden ist durch die Leidenschaften eines Parteiwahlkampfes, sich alsbald zu den Nationalitätenwahlen völlig ungebrochen wieder zusammenfindet. (Sehr richtig! bei den Mehrheitsparteien.) Und wenn Sie bedenken, daß bei den meisten Gebietsteilen die Entente es in der Hand hat, die Grenzen bei jedem Dorf so zu ziehen, wie es ihrem Belieben entspricht, so muß mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß unter Umständen Gebietsteile verloren gehen, weil irgend⸗ wo eine Gruppe von Wählern mißmutig und verängert über ihre Niederlage bei der Reichstagswahl, sich von der Wahlurne fernhält. Diese Verantwortung kann die Regierung nicht übernehmen, und ich bin der Ueberzeugung, daß keine Partei dieses Hauses, wenn sie an der Regierung wäre, die Verantwortung dafür auf sich nehmen möchte. (Lebhafte Zustimmung bei den Mehrheitsparteien.)
Es ist auch der andere Fall möglich, daß die Wahlen nicht zuge⸗ lassen werden. Es würde dann der Falle eintreten, daß im übrigen Deutschland Wahlen stattfinden und daß die besetzten Gebiete keine Wahlen haben. Dadurch würde in diesen Gebieten das Gefühl der Ohnmacht des deutschen Vaterlandes geweckt werden. (Sehr richtig! links.) Es würde ihnen das Gefühl künstlich eingeimpft werden, daß sie schon als abgestorben vom Körper des Deutschen Reichs ange⸗ sehen werden (lebhafte Zustimmung bei den eMhrheitsparteien), und es würde die Wahlmüdigkeit der Deutschen bei den Nationalitäts⸗ abstimmungen ganz zweifellos eine Förderung erfahgen, wenn man auf diese Weise von vornherein ein Gefühl der bitteren Enttäuschung und Entfremdung in den besetzten Gebieten wachruft.
Es kommt aber noch ein anderes hinzu. Höchstens bei Ober⸗ schlesien ist es möglich, den Wahlbezirk so abzugrenzen, daß er sich etwa mit den Grenzen des Abstimmungsgebietes deckt (Widerspruch im Zentrum) — annähernd, ganz auch nicht! Bei allen anderen Ge⸗ bieten ist das unmöglich, weil sie zu klein sind, um eigene Wahl⸗ verbände zu bilden. Wenn ich aber Eupen⸗Malmedy, Schleswig. Ost⸗ und Westpreußen als Abstimmungsbezirke mit anderen Wahlbezirken vereine, so komme ich. wenn die Abstimmung in diesen Bezirken ver⸗ boten wird, zu ungültigen Wahlen für Ostpreußen, für Schleswig und für das Rbeinland. Auch das ist ein Zustand, der nach meiner Ansicht schlechterdinas unerträglich wird. Wir können unser Wahlergebnis nicht gefährden, sondern wir müssen abwarten. bis das Vaterland, das heute an allen Ecken und Enden noch gefährdet ist, wenigstens in den durch den Friedensvertrag gegebenen Grenzen sich wieder zusammen⸗ gefunden hat.
Nun liegt die Sache so, daß in Eupen⸗Malmedv die Abstimmung innerhalb der ersten 6 Monate nach Abschluß des Friedensvertrags stattzufinden hat. Es wird also nach 6 Monaten das Schicksal von Eupen⸗Malmedy so gut wie entschieden sein, und vermutlich wenige Wochen später wird die Entscheidung der Entente ergehen. Eupen⸗ Malmedy wird also mit Sicherheit im Herbst mitwählen können, wenn, wie ich nicht pweifle, die Gesinnung der Bevölkerung es Deutsch⸗ land erhält.
In Schleswig findet die Abstimmung za bereits in verhältnis. mäßig kurzer Zeit statt. Es ist aber zu befürchten, daß die Entschei⸗ dung der Entente nicht in wenigen Wochen eintreffen wird, und daß also auch hier eine Teilnahme Schleswigs an den deutschen Wahlen chwa im Mai oder Juni noch nicht möglich sein wird.
Für Masuren und Westprrußen steht die Abstimmuna, soviel uns bekannt ist, etwa für Juli zu erwarten, so daß auch bier der Früh⸗ jahrstermin als unglücklich, der Herbsttermin dagegen als glücklich be⸗ zeichnet werden kann.
Nur Oberschlesien bleibt noch zweifelhaft. Aber auch hier besteht die begründete Aussicht, daß die Wahlen, die frühestens sechs Monate nach Inkrafttreten des Friedensvertrages stattfinden sollen, bereits im Herbst abgeschlossen sein werden. Auf alle Fälle würde die Wahl in Oberschlesien nur eine verhältnismäßig kurze Zeit verzögert werden, wenn die Reichstagswahl im Hecbst stattfindet, und daher würde Ober⸗ schlesien nicht auf lange Zeit hinaus dem Reichstag entfremdet bleiben.
Im ganzen bleibt also gegen Wahlen im Herbst noch ein gewisses Bedenken wegen Oberschesiens bestehen, ein Bedenken aber, das die Reichsregierung zurückstellen muß. Bezüglich der vier anderen Be⸗ zirke aber würde die Wahl im Frühjahr auf die größten Bedenken stoßen, während sie sich im Herbst glatt und ohne Schwierigkeiten voll⸗ zieht. Das ist der Grund, weswegen es der Reichsregierung unmöglich ist, die Wahl bereits im Frühjahr vorzunehmen. Ich will in dem Zusammenhang noch darauf hinweisen, daß es zum mindesten wünschens⸗ wert ist, wenn unsere Kriegsgefangenen vollständig an der Wahl teil⸗ nehmen können (lebhafte Zustimmung bei den Mehrheitsparteien), was gleichfalls jetzt im Frühjahr aller Voraussicht nach nicht der Fall sein würde.
Ich komme nun auf den Stand der Gesetzgebung. Im allgemeinen kann man wohl der Nationalversammlung nicht den Vorwurf machen, daß sie zu langsam gearbeitet habe. (Zurufe und Heiterkeit rechts.) Ich erinnere mich, daß gelegentlich der Beratung der Verfassung ge⸗ rade auf der rechten Seite fortwährend das Verlangen ausgesprochen worden ist, die Beratungen nicht in diesem Eiltempo vor sich gehen zu lassen und sie lieber noch bis in den Winter des Jahres 1919 zu ver⸗ tagen. (Hört, hört! bei den Mehrheitsparteien. — Zuruf rechts: Von Winter war nie die Rede!) — Herr Abg. Kahl, Sie haben uns ver⸗ schiedentlich den Wunsch ausgedrückt, erst eine Sommerpause zu machen und im Herbst wieder mit der Beratung zu beginnen. Wenn wir das getan hätten, so hätten wir, wenn wir nicht in ein neues Eiltempo verfallen wollten, vor dem Winter die Verfassung nicht fertiggestellt.
Es ist also kein Zweifel daran, daß die Nationalversammlung im allgemeinen ein außerordentlich schnelles Tempo in der Erledigung der Gesetzesvorlagen gewählt hat (sehr richtig!), vielleicht schneller, als es immer erforderlich war (sehr richtig! rechts), aber immer gedrängt, teils durch die Umstände, teils aber auch durch die Anschuldigung, daß sie künstlich ihre Lebensdauer verlängere. (Sehr richtig! bei den Mehrheitsparteien. — Zurufe rechts.) Ich bin der Meinung, daß der Rest der Vorlagen, die die Nationalversammlung noch zu erledigen hat, ohne überstürztes Galopptempo in ruhiger Art zu erledigen ist.
Ich bin weiter der Meinung, daß sich die Nationalversammlung bei der Gesamtheit der Gesetzesvorlagen, die sie überhaupt noch zu er⸗ ledigen hat, einer möglichst großen Beschränkung zu unterziehen hat. Aus diesen Erwägungen heraus ist es meine Absicht, Ihnen darzu⸗ legen, welche Gesetze die Nationalversammlung noch unter allen Um⸗ ständen wird erledigen müssen und die Erledigung welcher Gesetze durch die Nationalversammlung erwünscht, aber nicht notwendig ist.
Zunächst kann kein Zweifel darüber sein, daß das Wahlgesetz durch die Nationalversammlung erledigt werden muß. Wenn der Herr Abgeordnete Graf Posadowsky die Bescheidenheit gehabt hat, zu glauben, daß das Wahlgesetz unter Umständen überhaupt unve rab⸗ schiedet bleiben könnte und man die Wahlen im Reichstag noch nach dem alten Gesetze vornehmen könnte, so bin ich der Meinung, daß wir das Wahlgesetz zur Nationalversammlung immer für ein provi⸗ sorisches angesehen haben und daß nicht alle Angriffe, die gegen dieses überhastet hergestellte Wahlgesetz erhoben worden sind, unbegründet waren. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Wir würden aber unsere Pflicht verletzen, wenn wir einen neuen Reichstag zusammen⸗ setzen ließen, der vier Jahre im Amte bleibt, ohne daß er auf Grund eines sorgfältiger durchgearbeiteten Wahlgesetzes gewählt würde. (Sehr richtig! links.)
Nun wird man mir vielleicht einwenden, daß dieses Wahlgesetz nicht so schnell an die Nationalversammlung gelangt sei, als das er⸗ wünscht sei. Die Verfassung wurde im August verabschiedet und es trat nach der ungeheuren Ueberspannung der Kräfte, die bei der Be⸗ arbeitung und Beratung der Verfassung eingetreten war, in dem jetzt von mir gebildeten Ministerium vorübergehend ein Zustand der Ruhe ein. Als ich im Anfang Oktober das Ministerium übernommen habe, habe ich die Vorarbeiten für das neue Wahlgesetz alsbald in Gang gebracht, und ich bin in der Lage, das Wahlgesetz der National⸗ versammlung bereits in allernächster Zeit vorzulegen. Zurzeit befindet es sich im Reichsrat. Es wird dahin gewirkt, daß die Verhandlungen des Reichsrats möglichst beschleunigt werden. Das Kabinett hat das Wahlgesetz bereits verabschiedet. Das Wahlgesetz wird also innerhalb 5 Monaten nach meinem Amtsantritt vorgelegt. Ich muß sagen, daß das immerhin in den Annalen der deutschen und preußischen Gesetz⸗ gebung ein Rekord ist. Das preußische Wahlgesetz von 1908 zum Beispiel ist am 1. Oktober 1908 angekündigt worden und im Februar 1910 (hört! hört! bei den Mehrheitsparteien), also anderthalb Jahre später vorgelegt worden, weil sich die umfassenden Vorarbeiten für dieses kleine Wahlgesetzchen nicht schneller als in sechzehn Monaten erledigen ließen. (Hört! hört! bei den Mehrheitsparteien.) Das Ge⸗ setz ist dann verabschiedet — Verzeihung! nicht verxabschredet, sondern erledigt worden, indem es gescheitert ist (Zustimmung bei den Mehrheitsparteien), wiederum vier Monate nach seiner Vorlage, also erst Ende Mai 1910. Nun werden Sie (nach rechts) mir vielleicht einwenden, daß damals die Sache nicht so eilig war. Anders lag es aber doch wohl, nachdem durch die Osterbotschaft am 7. April 1917 ein neues Wahlgesetz angekündigt war. (Erneute Zustimmung.) Dieses Wahlgesetz vom 7. April 1917 ist am 26. November 1917 nach 6 ½¼ Monaten (hört! hört! bei den Mehrheitsparteien) dem Preußischen Landbag vorgelegt worden, und die Beratungen haben sich dort bis zum 24. Oktober 1918 erstreckt, — also ein volles Jahr, obwohl man doch damals angeblich unter dem Druck der Notwendigkeit das Wahlgesetz zustande bringen mußte! (Zwischenrufe rechts. — Zustimmung bei den Mehrheitsparteien.) Ich muß also betonen, daß die Vorlegung eines Wahlgesetzes so komplizierter Art wie des gegenwärtigen innerhalb 5 Monaten immerhin eine Leistung ist, auf die die Herren, die in meiner Verwaltung dieses Gesetz ausgearbeitet haben, stolz sein können. (Zuruf rechts: Abwarten, wie es aussieht!)
Ich erwähne dabei, daß die Herstellung des Wahlgesetzes besonders dadurch erschwert war, daß wir in technischer Beziehung eine Reihe von Besserungen gebracht haben, wie den Wahlpaß und die Wahl⸗
Serkei, Ne Kmogf geforderl sind, und daß wir umständliche Verhand⸗ bungen über die Gewährung des Wahlrechts an die Auslandsdeutschen zu föhren hatten, die gleichfalls zu einer gewissen Verzögerung geführt haben. Nun weiß ich natürlich nicht, innerhalb welcher Zeit die Nationalversammlung dieses Gesetz wird bewältigen können. Ich muß sagen: bei der Schwierigkeit der Materie und bei dem Umstande, zu dem das Proportionalwahlrecht verlockt, daß nämlich eigentlich jeder Abgeordnete auf diesem Gebiet irgend einen Reformvorschlag bei sich in der Westentasche trägt (Heiterkeit), kann unter Umständen nicht darauf gerechnet werden, daß die Nationalversammlung in ungefähr zwei bis drei Wochen mit diesem Wahlgesetzentwurf fertig wird. (Abg. Schultz⸗Bromberg: Das haben Sie doch alles unter sich ab⸗ gemacht! — Zuruse links und Heiterkeit.) Ich glaube nicht, nach dem, was mir bekannt ist, daß auch nur innerhalb der Mehrheitsporteien die Absicht besteht, diesen Entwurf ohne weiteres anzunehmen. (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.) Es muß also damit gerechnet werden, daß die Beratung des Wahlgesetzes sich etwa bis Ende April, Anfang Man erstrecken wird, und schon dann wäre es nicht mehr möglich, die Vorbereitungen für die Wabhlen, die wenigstens 2 bis 2 .¼ Monate erfordern, vor der Ernte vorzunehmen. Ich erwähne in diesem Zu⸗ sammenhang, daß allein für die Auslegung der Wählerlisten im neuen Gesetz ein Termin von einem Monat vorgesehen ist, der zweifellos nicht zu lang ist, wenn man in der Tat den Parteien und Wählern die Gelegenheit geben will, sich mit den Wählerlisten eingehend zu befassen. Das Wahlgesetz wird also unter allen Umständen noch von der Nationalversammlung zu erledigen sein, aber nicht erledigt werden können, bevor die Ernte einsetzt. Im Zusammenhang damit ist es erforderlich, das Gesetz über den Volksentscheid und dos Gesetz über die Präsidentenwahl zu erledigen.
Es liegt nahe, in dem Sinne, gegen den der Her Abgeordnete Graf
Posadowsky polemisierl hat, sich auf den Standpunkt zu stellen, daß auch noch die übrigen Ausstrahlungen der Reichsverfassung durch die Naticnalversammlung zu erledigen wären. Es ist namentlich der Wunsch, das Gesetz über den Staatsgerichtshof und über das Reichs⸗ verwaltungsgericht noch jetzt zu verabschieden. Es soll aber von der Verabschiedung dieser Gesetze die Tagungszeit der Nationalversamm⸗
lung unter keinen Umständen abhängig gemacht werden.
Dagegen ist es erforderlich und scheint mir durchaus im Sinne der Aufgaben der Nationabversammlung zu liegen, mit größter Beschleuni⸗ gung das neue Wehrgesetz mit seinen Nebengesetzen, wie das Aufheben der Militärstrafprozeßordnung, der Nationalversammlung vorzulegen und hier unter Dach zu bringen. (Sehr wahr! bei den D. Dem.) Wir können in einer Zeil wie der gegenwärtigen auf dem Gebiete unseres Militärwesens nicht mit den unklaren Verhältnissen weiterbestehen,
8 die provisorisch geschaffen worden sind.
Es ist bemängelt worden, daß die Reichseisenbahngemeinschaft noch der Nationalversammlung vorgelegt werden soll. Nad dem man sich entschlossen hat, sie bis zum 1. April 1920 herzustellen, ist das unver⸗ zmeidlich. Ein späterer Termin aber wäre äußerst unerwünscht ge⸗ wesen, weil die Länder, denen auf dem Gebiete der Finanzhoheit durch die neue Reichsfinanzgesetzgebung vieles entrissen ist, das Risiko der Eisenbahnen nicht noch auf eine unabsehbar längere Zeit weiter⸗ tragen können.
Zu diesen Gesetzen gesellen sich diejenigen, die bestimmt sind, das iirtschaftliche Fundament unseres Reichsbaus zu erneuern, und im ganzen auch durch die Verfassung bereits vorgesehen sind. Dahin ge⸗ hören die Bezirksarbeiter⸗ und „wirtschaftsräte und der vorläufige Reichswirtschaftsrat. Die Verfassung wäre ein Torso, wenn der Reichswirtschaftsrat, der dort vorgeseben ist, nicht tatsächlich noch von der Nationalversammlung in die Wirklichkeit umgesetzt würde. (Sehr wahr! bei den D. Dem. — Zurufe rechts.) — Ich habe gesagt: der „vorläufige“! Sie seben, ich bin sehr bescheiden.
Was im übrigen die wirtschaftlichen Gesetze angebt, so würde die Tätigkeit der Nationcwersammlung auf diesem Gebiete unabgeschlossen bleiben, wenn nicht das Gesey über die Schlichtung von Arbeitsstreitig⸗ keiten, das große Parteien bei dem Zusammentritt der Koalition ge⸗ fordert haben, noch dieser Nationalversammlung vorgelegt werden würde. (Lebbefte Zustimmung links.) Also auch dieses Gesetz gehört noch in die Nationalversammlung hinein.
Die Erledigung der Beamkenfragen, namentlich die Beamten⸗ beso dung, ist eine Aufgabe der Nationalbversammkung und soll von ihr noch erledigt werden. Im Zusammenhang damit muß der Beamten⸗ schaft die Neuordnung des Staates zugute kommen, indem das Gesetz über die Beamtenausschüsse noch innerhalb der Nationalversammlung erledigt wird. (Lebhafte Zustimmung.)
Ich komme nun zu Aufgaben, die die Nationalversammlung noch z erfüllen hat, und die auch nach den Ausführungen des Herrn Abg. Graken Posadorsky ihr doch wohl zuzuschreiben sind, nämlich der
Liquidierung der furchtbaren Erbschaft, die die Nationalversammlung
durch den Krieg übernommen hat. Das ist einmal die Neuregelung der Bezüge der Kriegsbeschädigten und der Kriegswitwen (sehr richtig! links), es ist weiter das Entschädigungsgesetz für die aus ihrer Heimat, also aus Elsaß⸗Lothringen und aus dem Osten Verdrängten und für die Auslandedeutschen. (Zustimmung.) Ich halte es für ganz unmög⸗ lich, daß die Nationalversammlung ihre Aufgabe für abgeschlossen er⸗ plärt, ehe für diese unglücklichen Opfer dieses furchtbaren Krieges ge⸗ sorgt ist. (Lebhafte Zustimmung anks.)
Endlich gehört dazu das Reichsausgleichsgesetz, das durch den Friedensvertrag erfordert wird und den Ausgleich der Auslandsforde⸗ rungen und der Auslandsschulden der Deutschen mit sich brinat.
Auf dem Gebiete der Steuergesetzaebung ist die wesentlichste Arbeit geleistet. Erwünscht wäre es, wenn es gelinat. die Arbeit der National⸗ versammlung durch eine Etatsberatung zu krönen, und es soll, wenn einmal die Nationalversammlung bis zum Herbst sammenbleibt, unter allen Umständen versucht werden, auch einen Etat durch die Nationalversammlung zustande zu bringen. (Sehr aut! bei den Deutschen Demokraten.) Ein besonderer Grund, die Nationalversamm⸗ lung länger zusammenzuhalten. wenn sie sonst geschlossen werden könnte, wird aus der Etatsberatung nicht entnommen.
Endlich führt unsere auswärtige Lage dazu, daß wir voraussichtlich in den nächsten Monaten uns noch mit Gesetzen zu beschäftigen haben, die mit dem Friedensvertrage zusammenhängen und die gleichfalls noch von der Nationalversammlung zu erledigen sind.
Das, meine Damen und Herren, sind die Aufaaben, die der Nationalversammlung noch unter allen Umständen obliegen. Ich ver⸗ zichte schweren Herzens darauf, unter diesen Aufgaben solche zu nennen, die dem sittlichen Wiederaufbau unseres Volkes dienen, wie das
Jugendwohlfahrtsgesetz und
schlechtskrankheiten. Wir werden versuchen, diese Gesetze noch in der Nationalversammlung zur Beratung zu bringen, werden aber gleichfalls ihre Verabschiedung nicht zur Vorbedingung ihrer Auflösung machen. Ebenso sind wirtschaftliche Gesetze, z. B. über die Papier⸗ und Holz⸗ bewirtschaftung, in Arbeit, welche bei der Dringlichkeit dieser Ange⸗ legenheit nach Möglichkeit noch erledigt werden sollen. Dagegen ver⸗ zichten wir darauf, die großen Reformgesetze, wie das neue Schulgesetz und die neuen Justizgesetze, noch in die Nationalversammlung zu bringen.
Die Nationalversammlung hat ein Anrecht darauf. daß ihr nicht zugemutet wird, diese wichtige Reihe von Gesetzen, die ich soeben hier vorgetragen habe, in einem überstürzten Galopptempo zu erledigen. Der Vorwurf, daß wir m schnell gearbeitet haben, ist gerade von der Rechten so häufig erhoben worden, daß sie keinen Anspruch darauf hat, nunmehr von uns zu verlangen, daß wir uns durch die Forderung nach überstürzten Neuwahlen von einer ruhigen Beratung dieser Gesetze abhalten lassen. (Sehr gutl bei den Mehrbeitsparteien. — Zurufe rechts.) Wir werden also diese Gesetze im Laufe des Frübjahrs und des Frühsommers zur Erledigung bringen, und ich boffe, das wird auch gelingen. Ich erkläre aber schon heute, wenn das eine oder andere der genannten Gesetze zu verabschieden uns nicht gelinagen sollte, so wird die Regierung doch an ihrer Absicht, die Neuwahlen im Herbst nach Abschluß der Ernte abzuhalten, festhalten. (Zuruf rechts: Wann ist das?) — Wissen Sie denn nicht, wann die Ernte beendet ist? — Die Regierung wird es in Kauf nehmen müssen, wenn das eine oder andere dieser Gesetze nicht verabschiedet wird. (Erneute Zurufe rechts.) — Es bleibt dabei, daß die Wahlen im Herbst unmittelbar nach der Ernte stattfinden sollen. Ich kann nicht prophezeien, wie sich die Witterungsverhältnisse im Herbst gestalten, ob wir mit dem Oktober oder mit dem November zu rechnen haben, und ich habe deshalb. wie mir scheint, die ganz klare und für jeden, der sich mit landwirtschaft⸗ lichen Dingen beschäftigt hat, verständliche Darlegung gewählt, daß die Wahlen im Herbst unmittelbar nach der Ernte stattfinden.
Gegen uns ist der Vouwurf erhoben worden, daß wir die National⸗ versammlung zusammerbehielten, ohrvohl die Gesetze, die die National⸗ versammlung verabschiedete, ungü tig seien. Ich freue mich, daß der Herr Abgeordnete Graf Posadowoky diesen Vonwurf, den einer der Führer seiner Portei öffentlich gegen uns erhoben hat, hier nicht auf⸗ genommen hat. Ich bin allerdings auch der Meinung, daß dieser Gedanke das Licht der Tribüne nicht verträgt. Wir sind uns bei der Verabschiedung der Verfassung darüber einig garesen, daß die Nationalvelsammlung wie jede Nationalversammlung sich ihren Schlußtermin selbst zu bestimmen hat, und haben deshalb in die Ver⸗ fassung ausdrücklich hineingeschrieben, daß bis zum Zusammentritt des ersten Reickstages tie Nationalversamm ung als Reichstag gilt. Bei diesen Beratungen ist auch von den Vertretern der Rechten ausdrücklich darauf hingaviesen worden, daß sich damit die Nationalversammlung das Recht beilegt, ihren Schlußtermin selbst zu bestimmen, und gerade aus diesem Gesichtepunkt heraus ist von seiten der Rechten der Antrag gestellt worden, die Nationalversammlung möchte sich einen Schluß⸗ termin selbst geben. Hätte die Nationa versammlung diesen Schluß⸗ termin, der ja enwa mit dem 15. Januar vorgeseben wat, sich gegeben⸗ so würde doch auch wohl niemand cuf den Gedanken gekommen sein
das Gesetz zur Bekämpfung der Ge⸗
daß alle Gesetze, die bis dahin von der Nationalversammlung verab⸗ schieder worden wären, ungültig seien. Der Geranke ist völl’g ab⸗ wegig, und es muß dovor gewarnt werden, unser Rechté⸗ und Wirt⸗ schaftsleben mit solcher leichtsertigen, jeder juristischen Begründung enkbehrenden Argumentation irgendwie zu erschüttern. (Sehr richtig! bei den Mehrhei teparteien.)
Gs ist serner unerklärlich, wenn in dem Antrage der Rechten gewünscht wird, daß die Nationalversamm ung sich zum 1. Mai 1920 als aufcelöst erkläre. Es ist zweifelhaft, ob die Nationabversamm lang überhaupt das Recht dazu hätte. Es kan aber sachlich gar kein Zweifel daran sein, daß wir seine parlamentslose Zeit gebrauchen können und daß die Nationclversammlung so lange bestehen bleibt, bis die Neaurrahlen stattgefunden haben und der neue Reichstag zu⸗ sammengetreten ist. Wir wollen kein Interregnum schaffen, das allen möglichen parlamentelosen Zuständen Tür und Tor öffnet, und werden unter allen Umständen die Nationalversammlung ihrer Rechte nicht entkleiden, ehe der neue Reichstag zusammengetreten ist. (Leb⸗ hafte Zustimmung bei den Mebhrhertsparteien.)
Ich bin damit am Schlusse meiner Ausführungen. Die Nalionabversammlung hat, wie mir scheint, eine Fülle von Aufgaben in einer Zeit geleistet, die kürzer ist als sie meines Wissens jemals eine gesetzgebende Nationalversammlung für sich in Anspruch genommen hat. (Seht richtig! bei den Mehrheitsparteien.)
Ich weise darauf hin, daß Frankreich, aus dem der Begriff der konstituierenden Nationalversammlung doch nun einmal stammt, seine erste Nationalversammlung vom 5. Mai 1789 bis zum 30. Sep⸗ lember 1791 zusammengehalten hat, und daß diese damals nicht aus⸗ einander gegangen ist, weil sie ihre Aufgaben erfüllt hätte, sondern um vom Nationalkonvent abgelöst zu werden, der bis Oktober 1795 getagt hat.
Ich weise darauf hin, daß auch die Nationalversammlung in Frankreich von 1071 bis zum 31. Dezember 1875 getagt hat, also vier Jahre lang (hört, hört!), und ich weise endlich darauf hin, daß auch das deutsche Parlament in Frankfurt 13 Monaäte getagt hat, leider ohne seine Aufgabe zu vollenden, weil es durch die Bajonette auseinandergetrieben wurde, daß es aber innerhalb dieser Zeit mit der Beratung seiner Aufgaben noch nicht abgeschlossen hatte.
Ich bin der Meinung, daß die Nationalversammlung in den 1 %⅛ Jahren, in denen sis zusammen sein wird, eine unerhört große Fülle fruchtbarer gesetzgeberischer Aufgaben gelöst hat, und daß Deutschland heute immerhin schon anders aussieht als in den schaveren Tagen des Februar 1919, wo sie zusammentrat. (Sehr richtig! bei den Mehrheitsparteien.) In dem Staub und dem Lärm der Straße, die wir miteinander in angestrengter und müöbseliger Arbeit gewandelt sind, haben wir vielleicht manchmal selbst nicht gemerkt, was geleistet worden ist. Wenn man aber heute zurückblickt, so sieht man doch, daß wir ein gut Stück Weges vorwärts und aufwärts miteinander zurück⸗ gelegt haben. (Erneute Zustimmung bei den Mehrheitsparteien.) Wir werden diesen Weg, den wir miteinander beschritten haben, un⸗ bekümmert weiter gehen. Wir wissen, daß eine künftige Zeit besser und gerechter urteilen wird, als es in der Parteileidenschaft beute hier und da gescheben mag. Wir werden diesen Weg weiter geben und sind überzeugt, daß dieser Weg der einzige ist, den Deutschland gehen kann, ohne ins Verderben gestürzt zu werden. (Eebhafter cixsderholter Beifall bei den Mehrheitsparkeien.) “
Reichsverkehrsminister Dr. Bell: Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag und die hierzu zweckmäßig zu erörternden Gründe und Gegengründe würden mir vom Standpunkte meines Ressorts, nämlich des Reichsverkehrsministeriums, keinen Anlaß zu einer Stellungnahme gegeben haben, wenn nicht der Herr Abgeordnete Graf Posadowsky Veranlassung genommen hätte, in den Kreis seiner Erörterungen zur Begründung des gestellten Antrages auch das Eisen⸗ bahnwesen hineinzuziehen. Der Herr Abgeordnete Graf von Posa⸗ dowsky hat, gestützt auf, wie er sagte, durchaus zuverlässige Mittei⸗ lungen, hier dargelegt, daß im Eisenbahmwesen über 100 000 Angestellte entbehrlich seien und daß trotzdem noch 50 000 neue Beamte eingestellt würden. Es ist selbstverständlich das gute Recht des Herrn Abgeord⸗ aeten Grafen von Posadowsky, wie in allen übrigen politischen Ver⸗ hältnissen, so auch im Eisenbahnwesen Kritik zu üben, und ist bin der letzte, der ihm dieses Recht irgendwie streitig machen würde. Ich gebe auch ohne weiteres zu, daß die bezüglichen Erörterungen des Herrn Abgeordneten Grafen von Posadowsky in keinem Punkte den Boden der Sachlichkert verlassen haben. Ich will noch einen Schritt weiter gehen, indem ich mit dem Herrn Abegordneten Grafen von Posadowsky von der Ansicht geleitet werde, daß es zur Gesundung unseres Finanz⸗ wesens und zur Wiederherstellung unserer Wirtschaft unbedingt er⸗ forderlich ist, Sparsamkeit walten zu lassen und zu diesem Zwecke auch namentlich in der Eisenbahnverwaltung die Zahl des Personals auf das allernorwendigste Maß einzuschränken. Wenn die Angaben des Herrn Abgeordneten Grafen von Posadowsky richtig sein sollten, was ich im Augenblick nicht nachprüfen kann, so würde ich mit ihm dem Bedauern hierüber Ausdruck geben. Ich kann natürlich im Augen⸗ blick nicht ziffernmäßig feststellen, ob und inwieweit etwa diese Angaben, die mir doch etwas recht summarisch zu sein scheinen, richtig sind. Aber der Herr Abgeordnete Graf von Posadows ky mag es mir nicht verargen, wenn ich mir einen Zusammenhang zwischen diesem auf eine scharfe Kritik des Eisenbahnwesens gerichteten Teile seiner Erörte⸗ rungen und dem vorliegenden Beratungsgegenstande beim besten Willen nicht konstruieren kann. Denn die Vorhaltungen und die Angriffe, die der Herr Abgeordnete Graf von Posadowsky gegen die Eisenbahn⸗ verhältnisse gerichtet hat, treffen ja überhaupt das Reich, die Reichs⸗ regierung und das Reichsverkehrsministerium gar nicht, weil das Eisen⸗ bahnwesen beute noch zur Zuständgikeit der Länder gehört und weil hierbei lediglich die acht Eisenbahnländer beteiligt sind. Will also der Herr Abgeordnete Graf von Posadowsky aus seiner Kritik des Eisen⸗ bahnwesens die richtige Schlußfolge ung ziehben, so kann sie sich un⸗ möglich auf die schleunigste Auflösung der deutschen Nationalversamm⸗ lung richten, sondern sie muß eine ganz andere Richtung nehmen, die ich sogleich in logischer Konsequenz seiner Ausführungen treffe werde.
Wenn nämlich der Herr Abgeordnete Graf von Posadowsky weiter beanstandet hat, daß die Vorlage, betreffend die Ueberleitung der Eisenbahnen auf das Reich, demnäöchst der Nationalversammlung vorgelegt werden solle, so läßt diese Beanstandung einen klaren und folgerichtigen Zusammenhang zu den Angriffen, die er gegen das Eisenbahnwesen gerichtet hat, vermissen. Nachdem es unter Ueber⸗ windung größter Schwierigkeiten nunmehr geglückt ist, das Reich und die acht beteiligten Eisenbahnländer zu einem Vertragsschluß zusammenzubringen, würde ich es vom Standpunkte der Reichs⸗ regierung aus für unverankwortlich halten, aus den Gründen, die zum Teil schon der Herr Reichsminister des Innern eben dargelegt bat, und die ich in der nächsten Woche der Nationalversammlung aus⸗ giebiger darzuwlegen hoffe, wenn irgend etwas versäumt würde, was der Verabschiedung der Vorlage bis zum 1. April 1920 dienlich ist.
Meine Damen und Herren! Wenn die Kritik, die der Herr Abge⸗ ordnete Graf von Posadowskv gegen das von den Eisenbahnländern nach seiner Nersicherung beobachtete Verfabren bei Schaffung über⸗ flüssiger neuer Beamtenstellen gerichetet hbat, auf zutreffenden Grund⸗ lagen beruben sollte, dann müssen doch gerade in Verfolg seiner Dar⸗ legungen von der Reichsleitung und der Nationalversammlung schleu⸗ nigst durchgreifende Mittel und Wege ausfindig gemacht werden, um den Eisenbahnländern derartige, dann mit Recht beanstandete Maß⸗ nahmen unmöglich zu machen. (Sehr richtig! bei den Mehrheits⸗ parteien.) Daraus ergibt sick dann folgerichtig die Notwendigkeit, im Gegensatze zu der von dem Herrn Abgeordneten Grafen von Posa⸗ dowsky gezogenen Schlußsolgerung, so schleunigst wie möglich die Ueberleitung der Eisenbahnen auf das Reich durchzuführen und zwar unter allen Umständen vor der Auflösung der Nationalversammlung. (Zustimmung bei den Mehrheitsparteien.) Aus diesen Erwägungen heraus bin ich dem Herren Abgeordneten Grafen von Posadowsky besonders dankbar für seine an den Eisenbahnverhältnissen der Länder geübte Kritik; denn ich glaube aus der erbetenen nochmaligen Nach⸗ prüfung der aus dieser Kritik sich ergebenden Folgerungen die zu⸗ versichtliche Hoffnung herleiten zu dürfen, daß ich wenn ich in der nächsten Woche die Vorlage, betreffend die Ueberleitung der Eisen⸗ bahnen auf das Reich, vor der Nationalversammlung zu vertreten die Ehre habe, dabei die wertvolle Unterstützung des Herrn Abge⸗ ordneten Grafen von Posadowsky und seiner Freunde finden werde. (Lebhafber Beifall bei den Mebrheitsparteien.)
Abg. Hoch (Sez.): Wenn wir den Kriegsbeschädigten noch helfen wollen, können wir am 1. Mai die Nationabversammlung nicht schliehen. Der Antrag der Rechten ist mur Partespolitik niedrigster
Art. Wir denken gar nicht daran, die Nationalversammlung auch nur eine Minute länger zusammenzuhalten, als zur Erfüllung der staatsrechtlichen Aufgaben nötig ist. Die staatliche Verfassung ist allerdings gemacht: aber von der staatlichen Verfassung ist die wirt⸗ schaftliche gar nicht zu trennen: zu ihr gehört die Odnung durch die Räte, und wenn wir die Verfassungsarbeit vollenden wollen, müssen wir auch die Geosetze über die Arbeiterräte, Beamtenräte usw. un⸗ bedingt durchführen. Um diese Neuordmung in Gang zu bringen, muß auch das neue Beamtenrecht durchgeführt werden, Auch in die Recht⸗ muß ein anderer Geist einziehen. Wir haben vor dem Lande die Verpflichtung übernommen, eine neue Ordnung aufzubauen; aber das gebt nicht so schnell. Durch die Wirtschaft Ihrer (nach rechts) Klassengenossen ist unser Volk zugrunde gerichtet worden, körperlich, gei stig und soelisch. Solange Sie am Ruder waren, haben Sie die Macht nicht aus der Hand gegeben. Nur durch gemein. same Arbeit können wir aus dem Elend heraukkommen. Das Gafühl der Verantwortlichkeit muß gestärkt werden. Die skandalösen Vor⸗ gänge im Hotel Adlon hängen mit dem Auftreten der konservatsven Kreise in den verschiedenen Versammlungen zusammen: in den Zei⸗ mungen der Rechten wird ja immer geschrieben: „Weg mit der Reg erung“. Gerode die Zeit um den Mai herum wird uns die sichee Ernährungsschwierigkeiten bringen, und erese in diese Zeit inein soll nach dem Willen der Rechten die Wahlagitation fallen Das Volk soll aufgepe kscht werden, um die Gegensätze aufs stärkfte zu erregen. Das Gesetz über den Achtszundensag ist nicht in der Nationalversammlung gemacht worden. Der Grundsatz, daß die Steuern in erster Linie den Besitzenden auferlegt werden müssen,
Ut in dem Besitsrene eletz durchgesührt worden. Auch das Soziali⸗
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