Mächte, die uns andauerne Verpreußung der Wallonei vorwerfen zu dbönnen glaubten.
Der Abstimmung selber gegenüber haben die belgischen Behörden von vornherein eine unzweideutig ablehnende Haltung eingenommen. (Sehr richtig! bei den Deutsch⸗Demokraten.) Nicht einmal der Schein ist dabei gewahrt worden. Offen hat der Eupener Kreiskom⸗ missar erklärt, er werde den ersten, der zum Abstimmen komme, die Treppe hinunterwerfen (hört, hört! links und im Zentrum) oder er werde, wenn ihm zuviel Leute kommen, einige einsperren. (Hört, hört!)
Ferner wird verkündet, wer sich in die Listen eintvage, werde ausgewiesen. Die Ausübung eines vertraglich zugesicherten Rechts soll also zum Gegenstand von Vergewaltigungs⸗, von Vergeltungsmaß⸗ nahmen gemacht werden.
Auch an Irreführung der Bevölberung hat es nicht gefehlt. Es bedarf keiner Worte der Erläuterung, daß auf diese Weise namentlich die landsässige Bevölkerung in stärkster Weise beeinflußt werden müßte.
Nach Inkrafttreten des Friedens, meine Damen und Herren, hat der belgische Kommissar in einer Proklamation verkündet, die Volks⸗ befragung werde ehrlich und unter strengster Beobachtung des Friedens⸗ vertrags durchgeführt werden. Was wir bisher an Ausführung der Abstimmung gesehen haben, zeigt das Gegenteil. Die Abstimmung, wie sie geplant ist und wie sie in der Durchführung begriffen ist, ist überhaupt technisch vollkommen undurchführbar. (Sehr richtig! rechts.) Es liegen, wie Ihnen der Abg. Meerfeld schon gefagt hat, in beiden Kreisstädten und nur in diesen Kreisstädten Listen aus, so daß die Landbevölkerung weite Reisen machen muß, um überhaupt abstimmen zu können. Die Listeneintragung selber nimmt so viel Zeit in Anspruch, daß selbst bei ununterbrochener Reihenfolge der Eintragungen nur ein kleiner Teil der Stimmberechtigten abgefertigt werden könnte.
Unerhört aber neben diesen vergewaltigenden Bestimmungen des Friedensvertvags ist die Beeinflussung der Abstimmenden durch Ueber⸗ redungskünste und Drohungen, von denen der Abgeordnete Meerfeld Ihnen ja schon eine Reihe aufgezeichnet hat. Ich wiederhole: jeder, der sich auf die Liste als Protestler einträgt, wird Vergeltungsmaß⸗ nahmen ausgesetzt, die nichts weniger als die wirtschaftliche Vernichtung Kiner Existenz bedeuten. Der Dreisprachenstempel und dadurch die Verkehrsfreiheit wird entzogen. Allein dieses würde, um ein Beispiel anzuführen, für etwa 3000 im Kreise Eupen ansässige Arbeiter, die im Aachener Bezirk tätig sind, den Verlust ihrer Arbeitsgelegenheit be⸗ deuten. Entzogen werden ferner die Lebensmittel. Wer also nicht Selbstversorger ist, fällt der Mildtätigkeit zur Last oder muß aus⸗ wandern. Weiter wird der Geldumtausch verweigert. Was dies be⸗ deutet, ergibt sich ohne weiteres daraus, daß das deutsche Geld außer Kurs gesetzt wird. Die belgischen Behörden bezeichnen diese Maß⸗ nahmen als Entziehung von Vergünstigungen. Meine Damen und Herren! Wenn Verkehrsfreiheit, Lebensmittel und Geld Ver⸗ günstigungen sein sollen, dann kann man ebenso gut die ganze Existenz, das Leben eines Menschen als Vergünstigung bezeichnen. (Sehr richtig!)
Alle diese Tatsachen, auf die ich nicht weiter eingehen werde, reden eine deutliche, eine zu deutliche Sprache. Gegenüberhalten muß man ihnen immer wieder die Erklärungen der alliierten und assoziierten Re⸗ gierungen über die Abstimmung in Eupen⸗Malmedy. Namens unserer früheren Gegner hat uns Herr Clemenceau erklärt, die Abstimmung werde unter sorgfältiger Rücksichtnahme auf die Freiheit der Stimm⸗ abgabe erfolgen. Klafft nicht ein vunüberbrückbarer Widerspruch zwischen Herrn Clemenceaus Worten und den belgischen Taten?
Gestützt auf den Friedensvertrag und die eben erwähnten Ver⸗ sprechung, hat die deutsche Regierung schon am 3. Oktober 1919 in einer umfangreichen Note auf die Unklarheiten und Lücken des Art. 34 hingewiesen und Ergänzungsvorschläge gemacht. Sie hat gegen das Verhalten der belgischen Behörde nachdrücklich Beschwerde erhoben und Vorsorge für eine freie geheime Abstimmung verlangt. und assoziierten Mächte haben darauf ablehnend geantwortet und haben erklärt, es sei ihre Absicht gewesen, in Gupen⸗Malmedy eine andere Abstimmung stattfinden zu lassen als in Schleswig und in Schlesien. Im übrigen ist die alte Versicherung, Belgien werde für volle Freiheit der Abstimmung sorgen, in dieser Antwort der Alliierten wiederholt und in Einschränkung früherer Zusagen hinzugefügt, der Völkerbund werde ja später entscheiden, und damit werde dann die ganze Ab⸗ stimmung unter seinen Auspizien stattgefunden haben. Die tatsächlichen Beschwerden über die belgischen Behörden, die von uns vorgebracht wurden, sind mit keinem Worte erwähnt.
Die Reichsregierung konnte sich damit natürlich nicht zufrieden geben. Am 27. Dezember 1919 hat sie in Paris eine neue Note über⸗ veichen lassen und darin alle Anträge und den Protest gegen das belgische Gewaltsystem aufrechterhalten. Diese Note ist überhaupt ohne eine Antwort geblieben (lebhafte Rufe: Hört, hört!), und von einer Ab⸗ stellung auch der kleinsten Beschwerden hat man nichts gehört.
Die Ereignisse nach Inkrafttreten des Friedens erforderten ge⸗ bieterisch neue Schritte. Diese sind unternommen worden in einer längeren Note vom 3. April, die vor kurzem auszugsweise veröffent⸗ licht worden ist. Darin ist das Verhalten der Belgier, wie ich es schon schilderte, gekennzeichnet und erklärt worden, daß das Verhalten nicht nur einen Bruch feierlicher Versprechungen, sondern auch eine Ver⸗ letzung des Friedensvertvages darstellt, da es die Ausübung eines vertraglich verbrieften Rechtes unmöglich macht. Die Reichsregierung forderte daher sofortige Maßnahmen für die technische Durchführbar⸗ keit und für die Freiheit und Geheimhaltung der Abstimmung, nament⸗ lich aber eine Kontrolle der belgischen Behörden, da diese den Beweis erbracht haben, daß unter ihnen von einer wirklichen Abstimmung beine Rede sein kann. Die Note fordert insbesondere auch auf Grund von Art. 34 den Völkerbund selber auf, ungesäumt an Ort und Stelle für eine Kontrolle der Abstimmung zu sorgen. Die Regierung hofft, daß dieser Appell nicht ungehört verhallen wird, denn dem Völker⸗ bund ist hier Gelegenheit gegeben, zu beweisen, daß er es mit der ihm anvertrauten Aufgabe ernst nimmt.
Selbstverständlich wird die Regierung bei den bisherigen diplo⸗ matischen Schritten nicht’ haltmachen. Weitere Maßnahmen, für die ein reichhaltiges Tatsachenmaterial zur Verfügung steht, befinden sich in Vorbereitung, und die Oeffeutlichkeit wird darüber unterrichtet werden.
Meine Damen und Herren, auch von dieser Stelle aus will ich namens der Reichsregierung nachdrücklichst vor aller Welt Ver⸗ wahrung einlegen gegen die Knebelung deutscher Volksgenossen (Bravol), und zwar wende auch ich mich dabei an das Gerechtigkeits⸗ gefühl aller Nationen, an die Friedensliebe der Völker und an das Gewissen aller, denen Freiheit und Selbstbestimmungsrecht mehr als Worte sind, damit sie helfen zu verhindern, daß dort an der West⸗
Die alliierten
grenze unseres Reiches ein Unrecht geschieht, das ein Verbrechen wãre gegenüber der Geschichte, gegenüber den sprachlichen und völkischen Verhältnissen, gegenüber den gegebenen Wirtschaftsinteressen und vor allem gegenüber der Bevölkerung, ein Verbrechen, das die Beziehungen zweier Völker andauernd vergiften und damit eine Gefahr für den Frieden bilden würde. Ich wende mich aber auch im Namen der Reichsregierung an das gesamte deutsche Volk mit der eindringlichen
Bitte, seiner im Kampf um die nationale Existenz dort ringenden
Brüder und Schwestern immer zu gedenken, damit sie nie in dem Glauben wankend werden, daß auch sie von dem großen Volksganzen getragen und gestützt werden. (Lebhaftes Bravo.)
Ihrer einmütigen Zustimmung, meine Damen und Herren, glaube ich sicher zu sein, wenn ich sage, daß die Regierung die Vorgänge in Eupen und Malmedy stets mit regster Anteilnahme weiter verfolgen wird und sich ihrer Pflichten gegenüber den bedrängten Volksgenossen voll bewußt ist. Dies ausdrücklich zu versichern, will ich nicht unter⸗ lassen, und auf eine weitere Frage der Herren Interpellanten will ich erwidern, daß die Reichsregierung es als ihre Ehrenpflicht be⸗ trachtet, für Bewohner der Kreise Eupen und Malmedy, die wegen ihrer Abstimmung für Deutschland von den belgischen Behörden ver⸗ folgt oder gar von Haus und Hof vertrieben werden, mit allen Mitteln aufzukommen. (Bravo!)
Meine Damen und Herren! Die Frage der Monschauer Bahn, der ich mich nunmehr noch kurz zuwenden will, ist gleichfalls ein Bei⸗ spiel für kaum glaubliche Willkür. Kreis Monschau als angeblich wallonisches Gebiet gefordert haben.
Tatsächlich lebt, wie der Herr Abgeordnete Meerfeld Ihnen schon
berichtet hat, in diesem Kreise nur eine einzige wallonische Familie mit sieben Köpfen. (Hört, hört!) Vielleicht, daß der Name Montjoie die belgische Forderung unterstützen soll, was zwar verständlich, aber unbegründet wäre; denn der Name, der übrigens in der Sprachgeschichte 32 Aenderungen durchgemacht hat, ist nicht französisch⸗wallonischen Ursprungs, sondern geht auf die Rönmner zurück, die dem Monschauer Berge die Bezeichnung mons Jovis gaben. Obgleich nun der Friedens⸗ vertrag Belgien den Kreis Monschau nicht zuspricht, hat die Grenz festsetzungskommission am 27. März beschlossen, Belgien die Bahn⸗ linie des Kreises und damit ein Drittel seines Gebietes zuzusprechen.
Meine Damen und Herren! Ich stelle zunächst fest: Mit diesem b yst überschritten.
1
Beschluß hat die Kommission ihre Befugnisse gröblich (Lebhafte Zustimmung.) Sie will die im Friedensvertrag genau be⸗
schriebene Grenzlinie auf eine Länge von 70 Kilometern, d. h. auf einem
vollen Fünftel, beseitigen und ein Gebiet von 7500 Hektar mit 2000 Ein⸗ wohnern willkürlich von Deutschland losreißen.
Kommissionsmitglied hat nämlich bereits erklärt, es betrachte die Bahn⸗ Uinie nicht als praktische Grenze; es wird also noch mehr fordern.
Es ist ohne weiteres klar, daß eine solche Forderung nicht mehr eine Grenzfestsetzung im Rahmen der dieser Kommission erteilten Auf⸗ gabe bedeutet, sondern eine Gebietsabtretung, und damit eine voll⸗ kommene Aenderung des Friedensvertrags. (Lebhafte Zustimmung.) Da hierzu die Grenzkommission nicht zuständig ist, muß der Beschluß als rechtsungültig betrachtet werden. (Sehr richtig! im Zentrum.) Diesen Standpunkt hat die Reichsregierung in einer kürzlich den alliijerten und assoziierten Mächten, dem Völkerbund und den in der Grenzkommission vertretenen Mächten übergebenen Note auf Grund eingehender Rechtsausführungen zum Ausdruck gebracht und hat dar⸗
gelegt, daß eine solche Verletzung des Friedensvertrags nicht geduldet werden könne. Sie hat sich aber bereiterklärt, die Angelegenheit
einem internationalen Schiedsgerichtsspruch zu unterbreiten. Eine Denkschrift über die Bahnfrage ist in Vorbereitung und wird den⸗ selben, eben genannten Stellen zugeleitet werden.
Meine Damen und Herven! Der Beschluß dieser Grengfest⸗ setzungskommission ist nicht nur juristisch unhaltbar, er ist auch sachlich nicht zu rechtfertigen. Die Kommission will Belgien diese Bahn hauptsächlich deswegen zusprechen, weil sie die erforderliche Verbindung zwischen Eupen und Malmedy darstellt. Nun besteht aber bereits eine solche Bahn auf belgischem Boden. Die Monschauer Bahn bedeutet bekanntlich für Belgien höchstens eine Annehmlichkeit, für Monschau und andere deutsche Gebiete dagegen ist sie eine Lebens⸗ notwendigkeit. (Sehr richtig! im Zentrum.) Die Kommission findet es aber anscheinend ganz in der Ordnung, daß Deutschland seine einzige Bahn hergibt, damit Belgien deren zwei besitzt. (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.)
Der Beschluß der Kommission würde große deutsche Jateressen aufs schwerste schädigen. Industrie und Landwirtschaft müßten ohne die Bahnverbindung mit ihrem Wirtschaftszentrum Aachen ver⸗ kümmern, zumal da mit dem von der Bahnlinie umschlossenen Gebiet auch die Hauptchaussee nach Aachen verloren gehen würde. Die Stadt Aachen selber würde schweren Nachteil erleiden durch den Verlust des Monschauer Versorgungsgebiets, das für die Stadt um so unentbehr⸗ licher ist, als von Westen, Norden und Osten nichts bezogen werden kann, und im Süden bereits Eupen und Malmedy abgeschnitten zu werden droht. Mittelbar würden auch die Eifelkreise Schleiden und Prüm betroffen. Einen schweren Schlag würde auch die Industrie des gesamten Stolberger Bezirks erleiden, insbesondere die Säge⸗ industrie und zahlreiche davon abhängige Industrien. Geradezu un⸗ möglich ist schließlich die Abtretung des Bahnbogens mit Rücksicht auf die Talsperre des Wasserwerkes des Landkreises Aachen. Dem Werke, das über 300 000 Menschen mit Trinkwasser und die Industrie und den Bergbau des Aachener Bezirks mit Betriebswasser versorgt, würde jede Erweiterungsmöglichkeit genommen werden; die Hälfte seines Niederschlagsgebiets würde belgisch werden und damit der deutschen Kontrolle, ohne die eine Gavrantie für die Seuchenfreiheit des Versor⸗ gungsgebiets nicht übernommen werden kann, entzogen werden. Mög⸗ licherweise würde sogar die Betriebsanlage mit der über 4 Millionen Kubikmeter fassenden Sperre belgisch werden. Der Betrieb des Werkes wäre damit unmöglich, und außerdem würde das Fichttal mit den Städten Stolberg und Eschweiler dauernd in Gefahr sein, durch
unachtsame Bedienung der Sperre mit Hochwesser bedroht zu werden.
Meine Damen und Herren! Ich darf nicht unerwähnt lassen, daß sich die Kommission über die Wünsche der Bevölkerung bei ihrer
Anwesenheit im Abstimmungsgebiet mit staunenswerter Leichtigkeit
hinweggesetzt hat. Sie hat zumeist die Bewohner, die ihr ihre Wünsche unterbreiten wollten, überhaupt nicht empfangen. Wie stark die Erregung der Bevölkerung ist, ergibt sich täglich aus zahlreichen bei der Reichsregierung eingehenden Protesttelegrammen und den be⸗ weglichen Vorstellungen immer neuer Abordnungen, die aus jene
Gegend bei uns eingetroffen siadaua.
Belgien soll ursprünglich auch den
Dabei ist noch gar nicht abzusehen, wo die Kommission haltmachen will. Das belgische
Meine Damen und Herren! Obwohl unser Vertreter in der Grenzkommission, Landrat Heimann, den Rechtsstandpunkt und die deutschen Interessen mit großer Zähigkeit verfochten hat, haben die wochenlangen Verhandlungen bisher zu keinem für uns günstigen Er⸗ gebnis geführt. Meine Ausführungen werden Ihnen den Beweis erbracht haben, von welch verhängnisvoller Wirkung für uns der Be⸗ schluß der Kommission, wenn er wirklich ausgeführt würde, wäre, und Sie werden, wie ich annehme, der Regierung darin beistimmen, daß ein derartiger Beschluß, wenn er definitiv wird, niemals als zu Recht
bestehend anerkannt werden kann. (Sehr richtig!)
Meine Damen und Herren! Ich möchte schließen mit der Ver⸗ sicherung, und ich hoffe, daß Sie mir auf Grund dieser Darlegungen Vertrauen in dieser Beziehung entgegenbringen, daß die Reichs⸗ regierung alles getan hat und alles tun wird, um in den Kreisen Eupen und Malmedy eine gerechte, unbeeinflußte Abstimmung bherbeizu⸗ führen, daß sie mit allen Mitteln für eine Anderung des Beschlusses der Grenzsestsetzungskommission über die Monschauer Bahn eintreten wird und daß sie für Verluste, die den Bewohnern der Kreise Eupen
und Malmedy von Belgien im Gefolge der Abstimmung zugefügt
werden, aufkommen wird. Mit regster Anteilnahme, meine Damen und Herren, sind unser aller Blicke nach der Westmark gerichtet, deren
Kampf, wie wir hoffen, schließlich dennoch mit Erfolg enden wird;
denn die völkischen Verhältnisse und der elementare Willen der Be⸗ völkerung ist nun einmal so, daß der Völkerbund, wenn er wirklich ein Völkerbund ist, keine andere Entscheidung treffen kann, als daß er die Kreise Eupen und Malmedy da läßt, wohin sie gehören, nämlich bei ihrem deutschen Vaterland. (Lebhafter Beifall bei den Mehrheits⸗ parteien und rechts.
Bei der ersten Beratung der Gesetzentwürfe, betreffend die Telegraphen⸗ und Fernsprech⸗
gebühren, die Postgebühren und Abänderung von §9.
des Gesetzes über das Postwesen des Deutschen
Reiches (Uebernahme der süddeutschen Post⸗ verwaltungen), hat der Reichspostminister Giesberts
folgendes erklärt: Reichspostminister Giesberts: Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Als ich im vorigen Sommer in Weimar der National⸗
versammlung die dritte Erhöhung der Post⸗ und Telegraphengebühren vorlegte, habe ich sie einleitend mit den Worten begründet, daß diese Vorlage ein rechtes Kind der Not unserer Zeit sei. Das gilt für die jetzige Vorlage noch in viel größerem Umfange.
Es ift nicht zu leugnen, daß die Verteuerung des Verkehrs, die durch die Erhöhung der Gebühren eintritt, eine außerordentlich be⸗ klagenswerte und bedauerliche Wirkung darstellt. Der Wiederaufbau unseres Wirtschoftslebens, den wir uns alle zum Ziele gesetzt haben, wird zweifellos nicht dadurch gefördert, daß die Ur⸗ und Grund⸗ produktjonskosten durch die Verkehrsanstalten für die Wirtschafts⸗ betriebe verteuert werden, und deshalb hat sich jede gewissenhafte Ver⸗ waltung, wenn sie mit so schwerwiegenden Vorlagen an das Parlament herantritt, die Frage zu stellen, ob sie notwendig sind, oder ob à einen Weg gibt, sie zu vermeiden. Wir haben uns diese Frage bei der Reichspost⸗ und Telegraphenverwaltung auch gewissenhaft vor⸗ gelegt; aber einen Weg, daran vorbeizukommen, haben wir nicht gefunden.
Würden sich unsere Verhältnisse normal entwickelt haben, wie⸗ wir dies im vorigen Sommer in Weimar hofften, dann würden die letzten Erhöhungen ausgereicht haben, um in einigen Jahren das Defizit bei der Reichspostverwaltung verschwinden zu lassen, und wir würden auch die Mittel erlangt haben, um gewisse technische Reformen durchzuführen.
Aber wir haben inzwischen einen Umsturz aller inneren wirt⸗ schaftlichen Verhältnisse erlebt. Der furchtbare Niedergang unserer Valuta, die damit verbundene Entwertung unseres Geldes, die Steige⸗ rung aller Preise ist selbstverständlich auch auf die Postverwaltung nicht ohne Einfluß geblieben. .
Die letzte Erhöhung sollte nach unserer Berechnung etwa 437 Mil⸗ lionen Mark bringen; in Wirklichkeit wird sie schätzungsweise 100 Mil⸗ lionen Mark mehr ergeben. Es ist nicht eingetroffen, was man befürchtete, nämlich, daß durch die Erhöhung der Post⸗ und Tele⸗ graphengebühren ein Rückgang des Verkehrs eintreten würde. Die Post⸗ und Telegraphengebühren sind nämlich im Verhältnis zu allen anderen Preisen immerhin verhältnismäßig erträglich gewesen. In⸗ folgedessen haben wir selbst in dieser Periode der erhöhten Gebühren eine Steigerung des Verkehrs, sowohl des Briefverkehrs, wie auch des Telegraphen⸗ und des Fernsprechverkehrs zu verzeichnen.
Aber, meine Herren, inzwischen ist das Defizit für das Etats⸗ jahr 1919 auf 1344 Millionen Mark gestiegen, und für 1920, also für den Haushaltsplan, den der nächste Reichstag zu erledigen haben wird, ist jetzt ein Fehlbetrag von 2,380 Milliarden Mark festgestell. (Hört, hört! und Bewegung.) Durch die jetzige Gebührenvorlage sollen 1545 Millionen Mark eingebracht werden, so daß immer noch ein Defizit von 835 Millionen Mark verbleibt. (Hört, hört! rechts)
Meine Herren, Sie werden fragen, warum man nicht die Ge ⸗ bühren so hoch bemessen hat, daß auch dieses Defizit verschwindet. — Ich möchte meinen Optimismus nicht ganz preisgeben, daß wir doch in absehbarer Zeit zu einer Regulierung unserer Verhältnisse kommen,⸗ die es auch der Reichspostverwaltung gestattet, bei diesen Tarifen all⸗ mählich durch Ueberschüsse späterer Zeit die vorausgegangenen Febl⸗ beträge zu decken. (Widerspruch.) Ist das nicht der Fall, hält die gegenwärtige Geldentwertung und die Preisbewegung an, dann weiß ich nicht, ob wir überhaupt an einem vollständigen Zusammenbruch an dem Bankrott unseres Wirtschaftslebens vorbeikommen. (Hort hört! und Bewegung.) Ich habe vorläufig noch den Optimismus, daß sich die Verhältnisse etwas bessern werden. In dem Umfang, wie die Arbeitsfähigkeit unseres Volkes steigt und die Wirkung unserer produktiven Arbeit sich auf dem Weltmarkt bemerkbar macht, with auch wieder eine bessere Bewertung unseres Geldes und unserer ein⸗ heimischen Produkte einsetzen, und mit dem Moment ist die Möglich⸗ keit geschaffen, eine sparsamere Wirtschaft einzuführen, während sih die Ausgaben entsprechend vermindern.
Inzwischen sind aber die Dinge schon wieder überholt. Wem wir glaubten, daß wir mit 835 Millionen Mark Defizit das Risiko noch für ein Jahr tragen sollten, so erhöht sich dieses Defizit schos durch die inzwischen aufgestellten Forderungen der Postaushelfer un Telegraphenarbeiter und durch die Beschlüsse des Haushal schusses in der Besoldungsfrage ganz erheblich.
Meine Herren, die Forderungen, welche gegenwärtig seitens der Eisenbahnarbeiter erhoben werden, haben eine Rückwirkung auf 1
Reichspost⸗ und Telegraphenverwaltung in Höhe von etwa 250 bis
280 Millionen Mark. (Hört, hört! rechts.) Die in der Besoldungs⸗
kommission gefaßten Beschlüsse werden ebenfalls eine Mehrausgabe
von etwa 280 Millionen Mark nötig machen. Der Gebührentarif ist
aufgestellt auf der Grundlage der Besoldungsreform, wie sie vom Reichsfinanzministerium zuerst vorgesehen war. Infolgedessen wird
das Gesamtdefizit, welches ungedeckt bleibt, wenn diese Forderungen
bewilligt werden — was allem Anschein nach geschehen wird, wenigstens habe ich heute im Haushaltsausschuß keine Stimme gehört, die sich
gegen diese Forderung gewandt hätte —, dann wird das Gesamtdefizit trotz dieser Gebührenvorlage auf mindestens 1400 Millionen Mark bei der Reichspost⸗ und Telegraphenverwaltung anwachsen. (Eebhafte Rufe: Hört, hört!)
Meine Herren, wenn ich diese Ziffern anführe, dann tue ich es vor allen Dingen deshalb, um auch der breiten Oeffentlichkeit keine Un⸗ klarheit darüber zu lassen, daß diese Erhöhung der Post⸗ und Tele⸗ graphengebühren kein Willkürakt des Reichspostministeriums ist, sondern daß sie eine zwangsläufige Folge unserer Finanzlage ist. Man kann mir höchstens den Vorwurf machen, daß der Optimismus, trotz des großen Defizits in der Zukunft durch höhere Einnahmen und bestimmte
Ersparnisse etwas hereinzuholen, zu groß ist. Was die Ersparnisse
anbelangt, auf die ja bei den Debatten stets hingewiesen wird, so sind Sparsamkeit und Sozialpolitik zwei Dinge, die sehr oft miteinander in Streit geraten. Zur Sparsamkeit würde heute in erster Linie ge⸗ hören eine größere Arbeitsleistung und daher intensivere Arbeit (sehr
richtig!) und vor allen Dingen auch eine größere Berufsfreudigkeit und
Anpassung an die bestehenden Verhältnisse. (Zustimmung.) würde zur weiteren Folge haben, daß man überschüssige Arbeitskräfte bei der Reichspostverwaltung abstoßen muß. (Erneute Zustimmung.) Aber, meine Damen und Herren, ich warne Sie vor zu großen Hoff⸗ nungen. Wir waren bereits im vorigen Jahre in der Lage, eine ganze Reihe unserer Hilfskräfte abstoßen zu können. Wir haben es nicht getan und nicht tun dürfen, um im Winter nicht die Arbeits⸗ losigkeit, die an sich vorhanden war, noch zu vermehren. Wir haben den ganzen Winter hindurch diese an sich nicht unbedingt notwendigen Kräfte weiter mitgeschleppt. Sobald aber die Arbeitsmarktlage sich so gestaltet, daß wir es perantworten können — und es scheint mir, daß der Zeitpunkt allmählich kommt —, dann muß unten abgebaut werden, dann müßten die überschüssigen Arbeitskräfte abgelegt werden, wie man zu sagen pflegt.
Das ist eine bittere Maßnahme, speziell auch für mich persönlich eine bittere Maßnahme, der ich weiß, wie hart der Kampf um die Eristenz ist, und der ich tagtäglich erfahren muß, wie trotz aller Beschwerden, die man über den Reichspost⸗ und Telegraphenbetrieb hat, doch die Beschäftigung bei der Post eine so gesuchte Tätigkeit ist. Obwohl sämtliche Beamtenberufe seit Jahren geschlossen sind und keine Anwärter angenommen werden, sind die Bewerbungen, die trotz⸗ dem eintreffen, zahllos. Ich bin überzeugt, wenn heute die Lauf⸗ hahnen wieder geöffnet würden, würden wir Zehntausende von Mel⸗ dungen bekommen von Leuten, die bei der Postverwaltung eintreten wollen.
Eine zweite Frage ist die Vermehrung der Einnahmen auf anderem Wege. Diese kann darin bestehen, daß man neue Einnahme⸗ quellen eröffnet. Wir haben bei der Reichspost⸗ und Telegraphen⸗ verwaltung eine besondere Abteilung für Reklame geschaffen. Bisher würde die Reklame von uns nur in kleinem Umfange betrieben. Ich habe volles Verständnis dafür, daß, solange wir ein stolzes Deutsches Reich der Vorkriegszeit waren und wir ein Gruseln bekamen vor einer Fünf⸗Milliarden⸗Schuld, die uns bei der letzten Finanzreform damals vorgeführt wurde, wir es nicht notwendig hatten, mit solchen eiwas kleinlichen Mitteln Einnahmen für eine Verwaltung zu erzielen, die für sich eine gewisse Vornehmheit in Anspruch nahm. Aber die Zeit ist heute so, daß wir jede Einnahmequelle benutzen müssen. Wir sind deshalb im Begriff, das Reklamewesen bei der Reichspostverwal⸗ tung großzügig einzurichten, und zwar wollen wir es möglichst in eigener Regie versuchen, es nicht einem Generalpächter überantworten, sondern es mit eigenen Beamten, in einer eigenen Reklameabteilung machen. Die Vorarbeiten sind im Gange. Allerdings weise ich darauf hin: wie in jedes Geschäft erst Geld hineingesteckt werden muß, wenn man etwas herausholen will, so muß auch bei der Reklame zuerst erheblich viel Geld hineingesteckt werden, bevor man zu einem Gewinn kommt.
Zu welchen wahnsinnigen Preissteigerungen wir gekommen sind, das gestatten Sie mir aus der Begründung auf Seite 7 ganz kurz anzudeuten. Die Hauptmaterialien, die wir für die Telegraphje und Telephonie gebrauchen, sind seit dem Jahre 1914 gestiegen: Eisen⸗ draht um 3270 Prozent, Kupferdraht um 2547 Prozent, Röhrenkabel um 3160 Prozent, Erdkabel um 2514 Prozent, Bleirohrkabel um 1870 Prozent, Zimmerleitungsdraht um 1200 Prozent, Baumwoll⸗ seidenkabel um 3850 Prozent, Wandgehäuse um 687 Prozent, Tisch⸗ gehäuse um 720 Prozent, Wechselstromwecker um 2150 Prozent, Schnüre um 1600 Prozent.
Demgegenüber ist eigentlich die Steigerung unserer Löhne, in Prozenten gemessen, nicht zu hoch, sie beträgt 320 Prozent, natürlich nicht eingerechnet die Erhöhungen, die jetzt neuerdings bewilligt werden sollen.
Meine Herren, viese Preisentwicklung bringt natürlich für eine Verkehrsverwaltung die allergrößten finanziellen Schwierigkeiten mit sich. Darum dürfen Sie sich nicht wundern — ich komme noch darauf zurück —, wenn wir gewissermaßen auf indirektem Wege eine Art Postanleihe machen wollen, um aus den Finanzschwierigkeiten heraus⸗ zukommen.
Auf Einzelheiten der Vorlage will ich nicht eingehen. Das Schwerwiegende ist ja, wie bei allen Tariferhöhungen, das Brief⸗ porto. Nach der Vorlage soll die Postkarte 30, der einfache Brief 40, der Doppelbrief 60 Pfennig kosten. Die übrigen Drucksachen usw. sind um 100 Prozent erhöht. Der Zeitungstarif ist vereinfacht. Ich möchte bezüglich des Zeitungstarifs nur sagen, daß er nach ein⸗ gehender Beratung mit maßgebenden Vertretern der Presse zustande⸗ gekommen ist.
Bei den Telephongebühren haben wir leider wiederum den Weg der rohen prozentualen Erhöhung beschreiten müssen. Wir bedauern das außerordentlich, denn wir wissen, daß diese Art der Gebühren⸗ bemessung ungerecht ist, daß sie vor allem den kleinen Teilnehmern nicht gerecht wird. (Sehr richtig!) Deshalb habe ich auch bereits im Reichsrat die Erklärung abgegeben, daß wir unverzüglich daran⸗ gehen wollen, dem nächsten Reichstage möglichst noch im Herbst eine Vorlage zu unterbreiten, die einen gerechteren Fernsprechtarif ermög⸗ licht. Wenn das bisher nicht gemacht worden ist, dann liegt das an
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dem Umstand, daß wi haben einführen können, wie wir es wünschten und wie es nötig wäre. Auch gegenwärtig läßt sich das nicht so sehr forcieren, weil die Industrie nicht leistungsfähig genug ist, und weil es vor allen Dingen heilloses Geld kosten würde, da die Apparate zu teuer geworden sind. Aber in Bayern hat die Postverwaltung ein System der Gesprächs⸗ zählung ausprobiert, das wir untersuchen wollen. Wir glauben, auf Grund dieses neuen Gesprächszählsystems in Verbindung mit den Gesprächszählern doch eine Vorlage machen zu können, die einiger⸗ maßen der Gerechtigkeit nahekommt. Vorerst sehen wir keinen anderen Ausweg, als diese rohen Zuschläge zu machen.
Meine Herren, sehr umstritten wird sein, daß die Fernsprech⸗ teilnehmer der Postverwaltung — ich will einmal sagen — ein ver⸗ zinsliches Darlehn von 1000 Mark pro Anschluß und 200 Mark für jeden Nebenanschluß geben sollen. Die Sache ist in der Oeffentlich⸗ keit heftig bekämpft worden. Aber auch hier liegt nicht etwa Willkür vor oder eine rigorose Nichtbeachtung der Interessen der Fernsprech⸗ teilnehmer; die Sache liegt vielmehr so: wenn unser Fernsprechwesen uns nicht in einem Jahre zusammenbrechen soll, dann ist es not⸗ wendig, daß mit großen Mitteln unser ganzes Fernsprech⸗ und Tele⸗ graphennetz überholt, das heißt gründlich ausgebessert wird. Wir leiden immer noch an dem Umstand, daß während des ganzen Krieges diese Arbeiten nur notdürftig durchgeführt worden sind, daß Erweite⸗ rungen und Ergänzungen vollständig liegen geblieben sind. Wir leiden darunter, daß nunmehr die Anstalten viel mehr in Anspruch ge⸗ nommen werden infolge der Steigerung des Telegraphen⸗ und Fern⸗ sprechverkehrs. Um dem abzuhelfen, brauchen wir Geld. Nach unserer Ansicht brauchen wir allein im künftigen Etatsjahr rund eine Mil⸗ liarde Mark für diese Kosten. Wenn die Arbeitskraft im Tele⸗ graphenbau uns rund 12 000 Mark im Jahre kostet, so werden Sie verstehen, welch ungeheure Ausgabe das macht. Wenn Sie die Preise vergleichen, die ich Ihnen vorhin für die Materialien, die gebraucht werden, mitgeteilt habe, so erhellt auch daraus, daß diese Arbeiten heute fast sieben⸗ oder achtmal so teuer werden wie in Friedenszeiten.
Die Frage ist nun: wer gibt mir das Geld dazu? Der Reichsrat steht auf dem Standpunkt, daß der außerordentliche Etat mit diesen Ausgaben nicht belastet werden darf, weil das die Pumpwirtschaft ins Unendliche treiben würde. Das ist vom gesunden finanztechnischen Standpunkte aus ganz ficher richtig. Will ich aber diese Summe in den ordentlichen Etat stellen, dann müßte ich nochmals 100 Prozent auf die jetzt erhöͤhten Gebühren aufschlagen, um die Summe heraus⸗ zubekommen. Das ist unerträglich, das würde die Gebühren für den Fernsprecher derartig in die Hohe treiben, daß dann wahrscheinlich eine erhebliche Einschränkung des Fernsprechwesens eintreten würde. Dadurch, daß der Fernsprechteilnehmer nun der Postverwaltung ein verzinsliches Darlehn von 1000 Mark gewährt, kommt er nicht in die Notwendigkeit, dauernd zu hohe Fernsprechgebühren zu zahlen.
Im übrigen ist die ganze Frage ja rein finanzpolitisch. Ich ver⸗ steife mich gar nicht darauf; woher ich das Geld bekomme, ist mir an und für sich gleichgültig. Aber haben muß ich daͤs Geld, wenn ich die technischen Anlagen in Ordnung und instand bringen und halten soll. Wenn Sie also schließlich geneigt wären, von diesen 1000 Mark abzu⸗ sehen, dann müßten mir andere Geldquellen eröffnet werden.
Es ist gegen diese Vorlage, sowohl gegen die Erhöhung der Porto⸗ tarife wie auch gegen den Fernsprech⸗ und Telegraphentarif und die Tausend⸗Mark⸗Auflage, vielfach eingewendet worden, daß sie die kleinen und mittleren Leute schwer treffe. (Sehr richtig!) Davon bin ich fest 1 überzeugt. Aber die kleinen Leute rechnen meinen Postboten auch keine geringeren Preise an. Wenn heute ein Postbeamter bei einem Schneidermeister eine Hose bestellt, so verlangt er dafür 200 Mark statt der 20 Mark in Friedenszeiten; da kann nun der Schneider⸗ meister von der Post nicht auch die Friedenspreise verlangen. (Zuruf: Der Vergleich hinkt!) — Der Vergleich hinkt nicht, Herr Kollege. Wenn alle Menschen für ihre Leistungen mehr verlangen und dadurch höhere Preise hervorrufen, dann muß man die Arbeiter und Beamten, die die höheren Preise bezahlen sollen, in ihrem Einkommen ebenfalls erhöhen, und daraus folgt dann, daß die Gebühren nicht so sein können wie in Friedenszeiten. Die Verkehrsteilnehmer müssen also die Leistungen, die von der Verwaltung gemacht werden, auch anders würdigen.
Ueber die Einzelheiten werden wir uns im Ausschuß zu unter⸗ halten haben. Im allgemeinen wird aber an der Vorlage nichts zu ändern sein. Was daran gestrichen wird, verschlechtert die Finanzlage der Reichspostverwaltung und führt schließlich dazu, aus Mitteln der Steuerzahler das Defizit der Verkehrsanstalten zu decken, was meines Erachtens nicht zu billigen ist.
Nun noch ein kurzes Wort zu den anderen Vorlagen! Die eine Vorlage bringt eine aus den Kreisen der Gewerbtveibenden seit Jahren verlangte Erhöhung der Entschädigung für verlorengegangene Pakete. Die bisher gezahlte Entschädigung von 1 Taler pro Pfund ist 53 Jahre alt, rührt also aus sehr alter Zeit her. Wir gehen jetzt auf 10 Mark hinauf, und wenn das auch bei den gestiegenen Preisen und der Geldentwertung nicht vollständig ausreicht, so glauben wir doch, damit durchkommen zu können.
Wichtig und bedeutungsvoll ist die andere Vorlage, die gleich⸗ zeitig mit vorgelegt wird, betreffend die Uebernahme der bayerischen und württembergischen Postverwaltung auf das Reich. Die Schwierig⸗ keiten bei dieser Uebernahme sind nicht so groß gewesen wie bei der Uebernahme der Eisenbahnen — aus natürlichen Gründen. Wir hatten ja bisher bereits ein Reichspostgebiet und standen mit den Verkehrs⸗ verwaltungen von Bayern und Württemberg in ganz gutem Ver⸗ hältnis; wir tauschten unsere Meinungen und Erfahrungen aus und suchten unsere Tarifpolitik einander anzupassen. Da bei allen Ver⸗ waltungen das Bestreben bestand, die Sache möglichst friedlich und ohne Komplikationen zu regeln, sind wir ziemlich schnell zu Rande gekommen. Allerdings ist es finanzpolitisch sicherlich nicht ohne Be⸗ denken, daß Bayern für den Verzicht auf sein Reservatrecht und die Aushändigung seiner Postanstalten und Verkehrsanlagen 620 Mil⸗ lionen Mark erhält und Württemberg 250 Millionen. Wir sind nicht in einzelne detaillierte Berechnungen der Werte eingetreten, das ist in heutiger Zeit unmöglich. Wenn man die Werte nach dem heutigen Markpreis annehmen würde, käme man zu unglaublichen Summen. Wir haben geglaubt, aus den Rentabilitätsberechnungen, die wir nach den Erfahrungen der württembergischen Post⸗ und Telegraphenverwal⸗ tung gemacht haben, einen Durchschnitt zu finden, der schließlich ein Kompromiß zwischen dem Reichsfinanzministerium und den beteiligten Verkehrsanstalten darstellt. Im großen und ganzen, glaube ich, können wir es begrüßen, daß wir nunmehr ein einheitliches Reichspostgebiet
die Gesprächszähler nicht in dem Umfange
preußen nach dem
Zum Schluß wiederhole ich, was ich eingangs sagte: Diese Von bagen sind Zeichen der Not in unserer schaveren Zeit; sie bedeuten ein schwere Belastung des Wirtschaftslebens, sie sind ein Zeichen dafür, daß unsere Wirtschaftsverhältnisse Zuständen zustreben, die auf die Dauer nicht haltbar sind. Wenn Preissteigerungen und Arbeitswert⸗ steigerungen so weitergehen wie bisher, dann weiß ich nicht, wo das Ende sein soll. Es wird uns ja allein nicht helfen, daß wir immer predigen: wir müssen arbeiten. Wir müssen endlich auch daran denken, unseve äußere Lebenshaltung den Dingen anzupassen. Das gilt vor allem für diejenigen Kreise, die auch heute noch eine über das rechte Maß hinausgehende Lebenshaltung beobachten und dadurch Beamten und Arbeitern einen Anreiz zu höheren Lohnforderungen geben. Ich wünsche und hoffe, daß wir in der Lage sind, möglichst bald unsere wirtschaftlichen Verhältnisse so zu gestalten, daß wir von den hohen Tarifen herunterkommen, und es würde mich freuen, wenn ich bald Gelegenheit hätte, der Nationalversammlung das vorzuschlagen. Für heute aber ist es eine gebieterische Notwendigkeit: Wollen wir die Besoldungsordnung und die Erhöhung der Löhne durchführen, wie uns jetzt zugemutet wird, so müssen wir auch die Reichspostverwaltung finanziell in die Lage versetzen, das zu tun. vb
167. Sitzung vom 21. April 1920, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger.)*) Auf der Tagesordnung steht zunächst die Interpella⸗
tion der Abgg. Baerecke, Schultz⸗Bromberg (D. Nat.) und Genossen: was die Regierung dagegen zu tun gedenkt, daß
die Polen “ den Verkehr von Ost⸗
1 Reiche unerträglich er⸗ “ ri haben und aus Anlaß einer Banknotenabstempelung een deutschen Durchgangsverkehr mit Ostpreußen fast ganz lahmzulegen und ihn auf die ganz unzulängliche, eingleisige Nebenbahnlinie über Czerzt⸗Marienwerder zu verweisen be⸗ absichtigen.
Abg. Baerecke (D. Nat.) begründet die Interpellation: Unsere bisherigen Feinde sind dabei, praktisch zu erproben, wie man Deutschland am besten wehrlos machen könne. Sogar das schreckliche Wort „Blockade“ klingt zu uns herüber. (Bewegung rechts.) Die wenigen Rechte Deutschlands werden in den besetzten Gebieten täglich mit Füßen getreten, unsere Proteste verhallen ohne jede Wirkung, sie bleiben meist sogar ohne jede Antwort. Ein besonderes Kapitel in dieser Leidensgeschichte sind die Vorgänge im Osten. Da ist die Preußens durch die Schaffung Großpolens vorgesehen. Polen ist der größte Kriegsgewinnler. Polen sollte uns gegenüber eine gewisse Dankbarkeit empfinden, statt dessen ist es zu unseren Feinden übergegangen und hat mit ihnen Verbrüderungsfeste ge⸗ feiert. Reindeutsche Städte haben die Polen zu polnischen gemacht, und der Zugang zum Meer, zu dem ein an schmaler Streifen ge⸗ sollte, hat eine Breite von 180 Kilometern. Auf Grund welchen Kartenmaterials mag in Fei den Polen dieser Länder⸗ zuwachs zugestanden worden sein? Was es für Ostpreußen bedeutet, vom übrigen Lande abgeschnitten zu sein, und was es für einen Deutschen bedeutet, wenn er bei der Durchfahrt durch den polnischen Korridor polnische Soldaten und 2eehg Beamte schalten und walten sieht, wenn er sieht, wie die deutschen Ortsnamen durch polnische ersetzt worden sind, kann man sich nicht vorstellen, wenn man ni aus jener Gegend stammt. Wir haben die Zähne zusammengebissen und den Friedensvertrag auch Polen gegenüber bis zum „tz“ erfüllt. Alles haben wir den Polen gogeben: unser Eisenbahnmaterial, Ge⸗ stüte, öffentliche Gebäude, nur um mit den Polen in Frieden und Freundschaft zu leben. Die ihnen tene 2 haben die Polen aber nicht ergriffen sondern sogar stolz zurückgestoßen. Alle Maß⸗ nahmen der Polen kann man nicht anders als feindselig bezeichnen. Das ungehinderte Durchfahrtsrecht hatten wir absolut keinen Anlaß, irgendwie in Zweifel zu ziehen, nach dem Wortlaut des Friedens⸗ vertrages steht es uns unbedingt zu. Die Sperrung des Elsenbahn⸗ verkehrs wird von den Polen mit vollkommen nichtigen ründen belegt. Orß sie nicht genügend Eisenbahnmaterial hätten, kann nicht alz stichhalfig anerkannt werden, denn wir haben den Polen unser er. Eisenbahnmaterial, welches damals bis Warschau im Be⸗ triebe war, überlassen. Der einst blühende Bahnhof Dirschau liegt jest still da wie ein Kirchhof. Die Reisenden müssen entweder große
mwege machen oder aber sich den unerträgli Belästigungen unterwerfen. Die Regierung ist schon im März durch mehrfache An⸗ fragen von allen Parteien auf diese Zustände aufmerksam ge⸗ macht worden. Der Redner schildert im einzelnen die Schwierig⸗ heiten, denen die Reisenden durch die polnischen Maßnahmen aus⸗ gesetzt sind. Wer kein polnisches Paßvisum hat, wird an der Weiter⸗ reise verhindert. Die Reise wird verlängert und verteuert, ohne daß dafür ein Schadenersatz erfolgt; tatsächlich ist der Personen⸗ verkehr gesperrt, die Erschwerungen betreffen aber auch den Güterverkehr und den Post⸗ und Paketverkehr. Hoffentlich er⸗ veicht es die Regierung wenigstens, daß die deutschen Beamten aus dem besetzten Gebiet apziehen können. Polen wird schließlich doch merken, daß es auf gute Beziehungen zu Deutschland angewiesen ist, wir können aber nicht warten, bis die Polen zur Besinnung kommen; die Lage in Ostpreußen verlangt ein schnelles Eingreifen. Die Be⸗ völkerung bekommt den Eindruck, daß die deutsche Regierung nichts tut. Ich mache die Regierung mit allem Nachdruck auf die Gefahr einer Josrei ung Ostpreußens aufmerksam. Ostpreußen ist immer ein gutdeutsches Land gewesen, es ist auf Gedeih und Verderb mit Deulschland verbunden. (Zustimmung.) Ich bin 8 daß die Ab⸗ stimmung in hereußfn für Deutschland ausfallen wird, denn es kennt seine Pflicht. Wenn die Verhandlungen mit den Polen zu keinem Ergebnis führen, sollte sich die Regierung an den Obersten Rat in Paris wenden, der do ein so gutes Verständnis für die Verslich iehen Deutschlands hat. Wir müssen verlangen, daß ein Teil der Reichswehr nach Ostpreußen zur Abwehr des Bolschewismus gesandt wird (Zustimmung), daß das Verkehrsnetz in Ostpreußen ausgebaut und Ostpreußen wirtschaftlich gestärkt wird. Die Ubgeord⸗ neten Ostpreußens haben diese Wünsche der Regierung bereits vor⸗ getragen, wir müssen darauf bestehen, daß sie erfüllt werden. Schließ⸗ lich bitte ich die Reichsregierung, sich auch der Interessen der Stadt Danzig anzunehmen. Danzig hat das Gefühl, daß es durch Deutsch⸗ land im Stich gelassen werden kann; wir müssen sein Deutschtum
wahren. (Lebhafter Beifall rechts.) Meine Damen
Reichsminister des Auswärtigen Dr. Köster: und Herren! Die Sperrungsmaßnahme der polnischen Regierung, die
der Anlaß zu dieser Interpellation ist, scheint mir zunächst zu be⸗ weisen, wie recht wir hatten, als wir uns während der Waffen⸗ stillstands⸗ und Friedensverhandlungen mit aller Macht gegen die Einrichtung dieses polnischen Korridors stemmten. (Sehr richtig!) Sie scheint mir ferner zu beweisen, wie recht wir hatten, als wir diesen polnischen Korridor schon damals eine rein künstliche Kon⸗ struktion nannten, die mit gesunden volks⸗ und nationalwirtschaft⸗ lichen Prinzipien beim Neuaufbau Europas nicht übereinstimmt, ihnen vielmehr direkt ins Gesicht schlägt. Drittens scheint sie mir zu beweisen, wie notwendig es ist, daß wir unverzüglich zu jenem definitiven Abkommen mit der polnischen Regierung kommen, auf das wir nach § 98 des Friedensvertrages ein Recht haben. Wir müssen zu diesem Abkommen kommen, wenn wir nicht gänzlich
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*) Mit Ausvahme der Reden der Herren Minister, die im Wort⸗ wiedergegeben werden. 8