Politisch gesehen ist es zu spät.
Wenn die Zeit nicht schon so vorgeschritten wäre, würde ich aller⸗ dings diesen Anlaß benutzen, um Ihnen heute abend eine große Finanz⸗ ꝛvede zu halten. Denn darüber sind wir uns doch klar, daß mit dem Vorwegnehmen dieser Lohnzuschläge eigentlich die Politik auf finan⸗ ziellem Gebiete für die nächsten Monate festgelegt wird. Darüber ist doch kein Zweifel, daß durch die Zustimmung zu diesem Antrage der Haushalt des Reichs auf das empfimdlichste beeinflußt wird. Ich schätze die finanziellen Konsequenzen mit dem Inhalt des Antrages selbst auf 2,5 Milliarden Mark mindestens. (Hört, hört!) Vorhin ist schon erwähnt worden, daß die Reichspost damit für die Post⸗ aushelfer und die für Telegraphenarbeiter berührt ist. Ich weise noch auf einen anderen Betrieb hin. Die Heeresbetriebe, die dem Reichs⸗ schatzministerium unterstehen, werden durch den Antrag ebenso berührt. Deshalb ist der Satz aufgenommen: eine entsprechende Ermächtigung wird für die übrigen Zweige der Verwaltung erteilt. Mit anderen Worten: an den Finanzminister wird eine Blankovollmacht erteilt,
“ 88 besser, man kommt zuvor, als man kommt
aus dieser Preisrevolution in Bemessung der Löhne die nötigen Konse⸗
quenzen zu ziehen. Damit wird unsere Finanzpolitik natürlich auf das empfindlichste berührt. Ich werde noch im Laufe dieser Woche oder am Anfang der nächsten Woche Gelegenheit nehmen, in einer umfassenden Darstellung über unsere finanzielle Lage zu Ihnen zu sprechen. Ich werde aufrichtig, ernst und würdig, soweit es in meinen Kräften steht, der Lage gerecht werden, um Ihnen zu zeigen, auf welcher Bahn wir uns bewegen und welche Notwendigkeiten wirtschaft⸗ licher, politischer und finanzieller Art gegeben sind, die raschestens zur Ausführung kommen müssen, so rasch wie die politische Entwicklung und die bevorstehenden Wahlen es zulassen. Ich bitte, diesen Satz zu unterstreichen: die Lage wird berührt durch die Wahlbewegung. Die politischen Parteien werden sich, was die Frage der Einnahme⸗ beschaffung angeht, zu Beginn einer Wahlbewegung sehr schwer ver⸗ anlaßt sehen, das zu tun, was man bei einer ruhigen Entwicklung hätte tun können, sofern man die nötige Zeit dazu gehabt hätte. (Sehr richtig!)
Ich will weitere Ausführungen dazu nicht machen, weil ich gesagt habe, daß mir die Polemik fern liege, daß nichts unfruchtbarer ist für die Entwicklung eines Landes, als in polemische Streitigkeiten zu ver⸗ fallen.
Ich bitte Sie, dem Antrage des Haushaltsausschusses Ihre Zu⸗ stimmung zu geben. Ich weiß, daß der Entschluß schwer ist. Die finanzielle Gestaltung des Reichs ist trübe; Sie müssen dem wohl Rechnung tragen. Aber an einem werden Sie nicht vorbeikommen, den Männern, die in der Arbeit stehen, ihren Lebensunterhalt zu garantieren. (Bravol) 1X1“
1
168. Sitzung vom 22. April 1920, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger.)“) Ein Ersuchen des Reichsministers des Innern, den Abg.
(D. V.) im Disziplinarverfahren wegen der bei den Vorgängen dem Geschahtssed⸗
Dr. Maretzky Beschuldigung hochverräterischer Betätigun im März in Untersuchung zu ziehen, wir nungsausschuß überwiesen.
Ein Antrag des Ausschusses für Wohnungspolitik geht dahin, die Reichsleitung zu ersuchen, in den „Bestimmungen über die Gewährung von Beihilfen aus Reichsmitteln zur Er⸗ richtung von Bergmannswohnungen“ den Erzberg⸗ bau dem “ gleichzusetzen. r Berichterstatter Abg. D. Mumm (D. Nat.) befürwortet den aneg, mit dem Hinweis, daß für den Wiederaufbau Deutschlands die Förde⸗ rung des Erzbergbaues notwendig sei.
Abg. Osterroth (Soz.): Im Kohlenberabau ist die Woh⸗ nungsfrage fast gelöst. Für den Erzberabau sind Reichsmittel nicht erforderlich, denn die Herren vom Stahlwerksverband baber glas ende Geschäfte gemacht. Wichtiger ist der Kalibergbau, in dem oh⸗ nungen fehlen. Wir beantragen, dem rcer —s die enbeeng dn Wohnungsbaues aufzuerlegen und dabei den Kalibergbau mit Woh nungen zu versehen. Die Mittel dafür dürfen aber nicht aus einer Steigerung der Kalipreise, sondern aus den Auslandsüberpreisen ent⸗ nommen werden. Die daraus zu entnehmenden Mittel „ . in der⸗ selben Weise für Wohnungen verwendet werden wie im Kohlenberg⸗ bau, daß die Arbeiter an dem Besitz der Wohnungen beteiligt sind. Auf diese Weise leisten wir der Erschließung unserer Bodenschätze Verl hn⸗ und tun ein großes Kulturwerk unter der Parvle: ein freies
olk auf freiem Grund.
Reichsarbeitsminister Schlicke: Ich möchte mich nicht gegen die gestellten Anträge wenden, halte es aber für not⸗ wendig, darauf hinzuweisen, daß die Ausführung der Anträge auf sehr große technische Schwierigkeiten stößt. Von dem Herrn Vorredner ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß die Grundlage unserer ganzen Erzeugung zunächst die Förderung von Kohlen ist. Von der Förderung der Kohlen hängt aber auch die Herstellung von Baustoffen ab. Es ist bei dem heutigen Sbande der Baustoffwirtschaft gar nicht möglich, die Inangriffnehme eines noch weiter ausgedehnten Programms in Aussicht zu stellen, sondern wir wollen herzlich froh sein, wenn wir das Programm, das wir uns für den Steinkohlenbergbau gestellt haben, reibungslos durchführen können.
Abg. D. Mumm (D. Nat.): Der Ausschuß hat sich 14 Ta lang mit dem von mir einaebrachten Antrag beschäftiat, von sozial⸗ Seite wurde keinerlei Abänderung vorgeschlagen, ob⸗ leich “ mit 8 Mitgliedern im Ausschuß vertreten war. 88 geht nicht an, daß man jetzt plötzlich mit weitgehenden Anträgen kommt hinsichtlich der Einbeziehung des Kalis und daß man sogar
isse Vorschtiften über die Form der Erhebung der erforderlichen Mimet schaffen will. Ich bitte Sie, erschweren Sie die Sitnation nicht, wir alle haben Anlaß, uns gegen diese allzu aroßen Plötzlich⸗ keiten zur Wehr m setzen. . 11“
Abg. Henke (U. Soz.): Die Einwendung, 5 in der Kommission
nügend vurchgesprfgen seien, kann nicht auss dag. 8 kann man den Bericht an den Ausschuß zurück⸗ dem Antrage Osterroth zu.
Winnefeld (D. V.): Der Erzbergbau leidet schwer unter der Kohlenteuerung, auch ihm muß man zu Hilfe kommen. An sich habe ü9 nichts dagegen einzuwenden, die Auslandsüberpreise zur Deckung dieser Ausgaben zu verwenden, aber wer bürgt uns dafür, daß diese Ueberpreise solange anhalten werden, bis der ungsbau im Kali⸗ und Erzbergbau durchgeführt ist?
Der Ausschußantrag wird mit Einschaltung des Kaliberg⸗ baues und der Verpflichtung, die Mittel aus den Auslands⸗ überpreisen zu entnehmen, angenommen.
Der Gesetzentwurf über Maßnahmen gegen den Wohnungsmangel wird ohne Ausspra dem Wohnungsausschuß überwiesen. “
die Anträge nicht gebend sein, allenfal verweisen. Wir stimmen
*) Mit Ausnahme der Reden de EE 8 laut wiedergegeben “ Minister, die im Wort
“ ö“
Es folat die zweite Beratung des Rei gesetzes.
4 1 besagt: Reichstagswähler ist, wer am Wahltage Reichsangehöriger und I ahre alt ist. Jeder Wähler hat eine Stimme.
Berichterstatter Abg. Katzenstein (Soz.) gibt einen Ueber⸗ blick über den Inhalt der Vorlage und die Beschlüsse des Ausschusses. Er knüpft daran die Hoffnung daß das neue Wahlgesetz die Demo⸗ kratie im deutschen Volke festigen werde.
Meine Damen und Herren! Ich begrüße es mit großer Gemug⸗ tuung, daß die Vorlage der Regierung mit den Aenderungen, die sich aus der Sachlage ergeben, in der Verfassungskommission einstimmige Annahme gefunden hat. Ich begrüße das mit solcher Genugtuung nicht etwa deswegen, weil es uns der Notwendigkeit längerer Erörterungen überhebt, auch nicht aus der erklärlichen Freude des Urhebers dieses Gesetzentwurfs darüber, daß seine Vorschläge im wesentlichen Annahme gefunden haben. Nein, ich begrüße es vor allem deswegen, weil ich daraus hoffe, die Ueber⸗ zeugung entnehmen zu dürfen, daß der Wahlkampf nicht mit der Behauptung vergiftet werden wird, als wenn die Mehrheit de Nationalversammlung oder die Regierung versucht hätte, bei der Vor⸗ lage und Durchbringung dieses Gesetzentwurfs irgendeine Wahlkreis⸗ geometrie oder irgendwelche andere Wahlschiebung vorzunehmen. (Sehr gut! bei den Deutschen Demokraten.) Es ist bei der Leiden⸗ schaftlichkeit, mit der die Wahlkämpfe in Deutschland geführt zu werden pflegen, und mit der voraussichtlich auch der kommende Wahlkampf geführt werden wird, von außerordentlichem Wert, daß die Atmosphäre wenigstens von dem Vorwurf einer Wahlfälschung oder Wahlschiebung entgiftet wird. Wenn das also durch den einstimmigen Beschluß der Verfassungskommission und, wie ich hoffe, auch der Nationalversamm⸗ lung, erreicht werden wird, so ist damit vieles gewonnen.
Nun gebe ich mich nicht der Ueberzeugung hin, als wenn der Ver⸗ hältniswahlgesetzentwurf, der Ihnen vorliegt, alle die Mängel be⸗ seitige, die man in der Regel dem Verhältniswahlverfahren zuschreibt. Es ist ein Los aller derjenigen Länder, die die Verhältniswahl ein⸗ geführt haben, daß sie fast in jeder Legislaturperiode sich mit der Frage von Verbesserungen an ihrem bestehenden Wahlgesetz zu unter⸗ halten pflegen. Schließlich ist das aber auch kein Beweis für die Schlechtigkeit dieses Wahlsystems, sondern ein Beweis dafür, daß man mit der Verhältniswahl auf dem richtigen Wege ist, und daß man nur im allmählichen Fortschreiten zu dem Ideal eines Verhältnis⸗ wahlsystems gelangen kann.
Soviel steht jedenfalls fest: auch das roheste Verhältniswahl⸗ system krankt weniger an Ungerechtigkeiten als irgend ein Mehrheit⸗ wahlsystem, und wir haben deshalb alle Veranlassung, an dem Ver⸗ hältniswahlsystem festzuhalten und es in gemeinsamer Arbeit mit⸗ einander auszubauen.
Wenn nun einer der wichtigsten Vorwürfe gegen das Verhältnis⸗ wahlsystem häufig in dem System der gebundenen Listen gefunden wird, so kann ich demgegenüber nur feststellen, daß auch die gebundene Liste dem Wähler noch eine größere Aussicht bietet, einem Kandidaten seine Stimme zu geben, dessen Wahlaussichten irgendwie von Betracht sind, als das System der Mehrheitswahl, bei dem der Wähler zwar die Freiheit hat, jeden Kandidaten zu wählen, der ihm gefällt, bei dem er aber, wenn er nicht einer großen Partei in seinem Wahlkreise an⸗ gehört, überhaupt keine Aussicht hat, daß seine Stimme in angemessener Weise verwertet wird. Also auch das gebundene Wahlsystem, das ja jeder beträchtlichen Minderheit die Möglichteit erläßt, eine eigene aus⸗ sichtslose Liste aufzustellen, gibt dem Wähler noch eine größere Freiheit, als das Wahlsystem der Mehrheitswahl.
Von dem gebundenen Wahlsystem aber abzuweichen und die freie Listeinwahl einzuführen, hatte außevordentlich große Bedenken. Es führt dazu, daß nicht nur ein Wahlkampf zwischen den verschiedenen Parteien, die getvennte Listen aufgestellt haben, stabtfindet, sondern es führnt dazu, daß auch noch inmerhalb der Parteien ein erbirteuter Wahl⸗ kampf entsteht, indem jeder versucht, den Kandidaten, den die offizielle Pavtei an die Spitze gestellt hat, dupch eine andere Persönlichkeit zu ersetzen, doe nach ihrer ganzen Art, nach der Herkunft, nach dem Beruf des Wählers sein größeres Vertpvauen hat. Wir haben deshallb trotz der Wünsche, die nach dieser Richtung von mancher Seite laut ge⸗ worden sind, das System der freien Listenwahl ablehnen müssen.
Dagegen bedeutet es, wie mir scheint, eimen wesentlichen Fort⸗ schritt in der Techmik der Verhälbniswahl, daß wir uns entschlossen haben, von dem System einer künstlichen und schwierigen Errechnung des Wahlergebnisses abzusehen und statt dessen jeden Abgeordneten für gewählt zu erklären, der 60 000 Stimmen erhalten hat. Wir müssen aus der Verhältniswahll ein Wahlrecht machen, das auch der Mann auf der Stvaße versteht. Wenn wir, wie das bei der vorigen Wahl der Fall war, ganz Deutschland sich mit dem Rechenstift noch etwa eine Woche lang nach der Wahl hinsetzen lassen, bis endgültig festgestellt werden hann, wer denm gewählt ist, so ist das nicht gevade geeignet, das Interesse an der Wahl, die Wahlbeteiligung und die Erkenntnis von der Gevechtigkeit des Wahlsystems zu steigernn. Wenn wir dagegen dazu überngehen, jeden für gewählt zu erklären, der 60 000 Stimmen erhält, so erlangen wir ein volkstümliches und leicht verständliches Wahlrecht, ja wir kommen, wenn ich das als einen Vorzug bezeichnen darf, dann doch auch wieder dazu, daß wir am Abend der Wahl in der Lage sein werden, Wahlsiege zu feiem (Zustimmung und Heiter⸗ kert), und zwar bei dem Umstand, deß bei der Verhältniswahl nicht mur eime Partei gesiegt hat, in den meisten Fällen sogar sämtliche Parteien in allen Bezirken. (Sehr gutl und Heiterkeit.) Das scheint moͤr immerhim gogenüber den vielen Aufregungen des Wahllbampfes eine geeignete Lindenung zu sein. (Erneute Heiterkeit.)*
Richtig ist, daß bei dem System, das auf 60 000 Stimmen eimen Abgevodneten für gewählt erklärt, die Gesamtzahl der Abgeordneten von vomhereim nicht vollkonmnen füxiert ist. Je größer die Wahl⸗ beteiligung, um so gvößer die Zohl der Abgeordneten. Immerhin scheimt mir darin kein durchschlagender Fehler des Systems zu bemuhen. Wir werden bei gleicher Wahlbeteiligung auf die Ziffer von etiva 470 Abgeordneten zu rechnen haben. Sintt die Wahlbeteiligung um 10 , so wird die Zahll der Abgeordneten nicht über das bisherige Maß himausgehen.
Es ist der Gedanke angeregt worden, bei dieser Gelegenheit die Jahl der Abgeordneten für den Deutschen Reichstag überhaupt zu ver⸗ umgern. Dem muß emntgegengehellten werden, daß der Deutsche Reichs⸗ zag mit weniger als 500 Abgeordneten immerhin noch eims der aller⸗ kleinsten Parlamenten aller europäischen Großstaaten ist.
Richtig mag sein, daß es bisher, namentlich auch in der schwierigen
und überstürzten Arbeit der Nationalversammlung, nicht immer ge⸗
8
7
1“ 8 1 lungen ist, die richtige Oekonomie in der Behandlung des Menschen⸗
materials, das die Nationalversammlung uns geliefert hat, zu geben,
daß wir manchmal überstürzt an einzelnen Tagen in geringer Menge haben arbeiten müssen und daß wieder an anderen Tagen die volle Zahl der Abgeordneten auch da zur Verfügung stand, wo kleine Ziffern ge⸗ nügt hätten. Es wird eine der wichtigsten Aufgaben im neuen Reichs⸗ tag sein, daß Reichstag und Regierung sich über die Frage unterhalten, wie eine bessere Arbeitsteilung und eine bessere Zeiteinteilung für den Reichstag gefunden werden kann (sehr wahr! bei den Deutschen De⸗ mokraten), die es jedem ermöglicht, seinen Pflichten nachzugehen, ohne daß er fortwährend zu überstürzten Sitzungen plötzlich aus derjenigen Tätigkeit herausgerissen wird, die er sonst noch für sich beansprucht. (Sehr richtig!) Ich hoffe, meine Damen und Herren, daß das ge⸗ lingen wird, wenn wir wieder in normale Zeiten zurückgekehrt sind, In der Nationalversammlung war es bei dem Maß von Arbett, das ihr zugemutet worden war und das sie auch geleistet hat, nicht möglich. — .
Ich bedaure es, wenn wir bei der diesmaligen Wahl noch nicht zu wirklich kleinen Wahlkreisen gelangt sind. (Sehr richtig!) Aller⸗ dings bin ich der Ueberzeugung, daß die Vovlage der Reichsregierung, die kleine Wahlkreise vorsah, es aber den Parteien ermöglichte, da, wo ein Wahlkreis für sie zu klein wäre, um einen Abgeordneten durch⸗ zubringen, mehrere Wahlkreise zu einem gemeinsamen zusammenzu⸗ schließen, sich bei der Kürze der Zeit nicht mehr hat durchführen lassen. Für die Volkstümlichkeit der Verhältniswahl wird es von un⸗ gemeinem Belang sein, wenn wir dazu gelangen werden, die Wahl⸗ kreise zu verkleinern und damit die Fühlung des Abgeordneten zu seinem Wahlkreis wieder zu verstärken. Die gegenwärtigen großen Wahlkreise machen es dem Abgeordneten fast zur Unmöglichkeit, wirklich ein ört⸗ licher Vertreter seines Wahlkreises zu sein und sich in alle An⸗ schauungen und Interessen des Wahlkreises so einzuarbeiten, wie es er⸗ forderlich ist. Nach dem früheren Reichstagswahlrecht war es doch immerhin so, daß jede Partei in jedem Wahlkreis einen Kandidaten aufstellte, der selbst da, wo er nicht gerade Aussicht hatte, gewählt zu werden, es als seine Lebensaufgabe ansah, die Stimmen, die für seine Partei in dem betreffenden Wahlkreise abgegeben wurden, allmählich zu stärken, bis er zum Schluß seines Lebens vielleicht auf einen Wahl⸗ erfolg hoffen durfte. Dadurch ergab sich eine intensive Arbeit und Auf⸗ klärung in den einzelnen kleinen Wahlkreisen, die heute bei den großen Wahlkreisen der Verhältniswahl, wo die gesamte Last auf wenigen Abgeordneten ruht, zu verschwinden droht. (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.) Je eher wir also zu kleinen Wahlkreisen zurückkehren, je eher wird es möglich sein, die Fühlung des Abgeor⸗ neten mit der Wählerschaft wieder aufzunehmen und Aufklärung nicht etwa nur kurz vor den Wahlen, sondern dauernd in die Wahlkreise und damit in das Volk hineinzubringen.
Wir haben diesmal an der alten Wahlkreiseinteilung festhalten müssen, mit wenigen Ausnahmen. Es sind an einzelnen Stellen Härten beseitigt worden, nicht immer, ohne daß dann wieder an anderen Stellen über neue Härten geklagt worden wäre. Im ganzen aber ist es weder den Wahlbehörden noch den Parteiorganisationen zuzumuten gewesen, bei der beschleunigten Wahl, wie sie jetzt vorgesehen ist, sich noch in eine vollkommen neue Wahlkreiseinteilung hineinzugewöhnen.
Mit dem neuen Verfahren, nach dem auf 60 000 Stimmen ein Abgeordneter gewählt ist, ist es verbunden, daß ganz von selbst die Reste, die in den einzelnen Wahlkreisen überschießen, größer sind, als das bisher der Fall war. Schon bisher war aber in dem Umstande, daß erhebliche überschießende Reste den Parteien verlorengingen, eine Ungerechtigkeit vorhanden, die aus der Welt zu bringen unsere Auf⸗ gabe sein muß.
Das frühere System der verbundenen Listen war ein gewisser An⸗ klang an die wenig beliebte Einrichtung der früheren Stichwahl, indem es den Wähler zwang, jedenfalls eventuell das kleine Uebel zu wählen. Es hat aber auch nicht den Erfolg gehabt, daß er die Stimmreste wirklich in allen Fällen verwirklichte. Eine solche Verwertung kann nur gefunden werden, wenn man die Stimmen nicht innerhalb des Wahlkreises, sondern außerhalb einer Verwertung zuführt. Aus diesem Gesichtspunkte ist der Gedanke der Reichsliste entstanden, die aber, wenn wir alle Stimmen, die in den eingelnen Wahlkreisen über 60 000 oder 120 000 usw. überschießen, ihr zuführen würden, eine zu große Anzahl von Abgeordneten auf sich vereinigen würde.
Es ist deshalb der Gesichtspunkt des Wahlkreisverbandes in den Vordergrund gerückt worden, nach dem die überschüssigen Stimmen innerhalb der Wahlkreise noch einmal wieder innerhalb des Verbandes gesammelt werden und dort demjenigen Kandidaten zugute kommen, der die 60 000 Stimmen am nächsten kommende Stimmenzahl erreicht hat. Erst die überschüssigen Stimmen entfallen auf die Reichsliste. Es darf deshalb auch wohl von dieser Stelle aus betont werden, daß eine Ueberschätzung der Bedeutung der Reichsliste nicht angebracht ist, und daß es für keine Gruppe möglich ist, etwa nun die Führer ihrer Partei auf der Reichsliste anstatt in den einzelnen Wahlkreisen unterzubringen. Die Reichsliste kann nichts leisten, als besondere Härten ausgleichen und im übrigen dafür sorgen, daß überzählige Stimmen den Parteien nicht verlorengehen.
Mit diesem Charakter der Reichsliste wäre es aber unvereinber, wenn kleine Gruppen, die in einzelnen Wahlkreisen und Wahlverbänden überhaupt nicht die Bedeutung haben, um dort Kandidaten durch⸗ bringen zu können, nun mittels der Reichsliste in die Möglichkeit gesetzt würden, einen oder zwei Abgeordnete in den Reichstag zu ent⸗ senden. Ein demokratischer Reichstag, der andere Aufgaben zu lösen hat, als etwa nur Reden zu halten, kann sich nicht gefallen lassen, daß er durch eine solche Zersplitterung arbeitsunfähig gemacht wird. Wie also auch nach dem bestehenden Verhältniswahlrecht keine Möglich⸗ keit gewesen wäre, solche kleinen Splitter in einzelnen Wahlkreisen durchzubringen, so ist auch nach dem künftigen Verhältniswahlracht die Möglichkeit auszuschließen, daß solche Splitter in den Reichstag hineingelangen. Die Vorkehrungen, die dafür getroffen sind, hat Ihnen der Herr Berichterstatter bereits angegeben. b
Ich gehe nicht auf die kleinen technischen Verbesserungen ein, die mit dem neuen Reichstagswahlrecht verbunden sind. Ich weise nur darauf hin, daß denjenigen Berufen, die bisher genötigt waren, infolge Abwesenheit vom Wahlort auf die Beteiligung an der Reichstagswahl häufig ganz zu verzichten, in Zukunft die Gelegenheit gegeben sein wird, auf Grund eines Wahlscheines zu wählen. Das scheint mir ein Grundsatz der ausgleichenden Gerechtigkeit zu sein, der von keiner Seite Widerspruch erfahren wird. 1
Nun noch ein Wort über die Abstimmungsgebiete. Es liegt mir daran, die heutige Erörterung nicht in eine Debatte herabzuziehen, die zu einer Entfachung der Parteileidenschaften führt. Jc
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will deswegen nur das eine Wort fagen: ich bedeaure, daß die Darlegung der ernsten Gefahren, die für die Ab⸗ stimmungsgebiete und damet für unsere Nation mit einem früheren hier eindringlich vorzutragen, nicht im ganzen Hause auf Verständnis gestoßen ist. Ich habe den Eindruck, als wenn sich jetzt bei unseren Beratungen in der Verfassungskommission bei allen Parteien die Erkenntnis Bahn gebrochen hat, daß mit den Wahlen vor Erledigung der Abstimmung in den Abstimmungsgebieten ernste Schwierigkeiten und unter Umständen eine Gefährdung der deutschen Abstimmung in diesen Gebieten verbunden sein könnten. (Sehr richtig!) Wenn jetzt einmal gewählt werden soll — die Gründe dafür habe ich Ihnen ja vor einigen Tagen auseinandergesetzt —, so war es jedenfalls Aufgabe aller Parteien, sich auf einer Lösung zusammenzufinden, die diese Gefahren nach Möglichkeit ausschließt. Eine andere Lösung, als die Wahlen in ganz Ostpreußen und Oberschlesien, und vielleicht, wenn die Entscheidung nicht rechtzeitig fällt, auch in Schleswig⸗Holstein, zu ver⸗ tagen, hat allerdings innerhalb der Verfassungskommission nicht gefunden werden können. Es ist natürlich eine unerfreuliche Lösung, eine Lösung, die den neuen Reichstag zunächst in gewissem Grade als ein Rumpfparlament erscheinen läßt, aber immerhis eine Lösung, die die Gefahren, die in einer Erschütterung der Stimmung in den Ab⸗ stimmungsgebieten durch die Reichstagswahlen liegen, nach Möglichkeit in den Hintergrund treten läßt. Würden wir in den Abstimmungs⸗ gebieten wählen, so wäre damit für die Abstimmungsgebiete unverkenn⸗ bar eine Entfachung der Parteileidenschaften verbunden. Würden wir in ihrer nächsten Nachbarschaft, also im übrigen Ostpreußen und Ober⸗ schlesien wählen, so würde auch das noch dazu führen, daß das Getöse des Wahlkampfes in die Abstimmungsgebiete laut hineinschallte und sich die ganze Parteileidenschaft, die in der Nachbarschaft geweckt würde, auf die Abstimmungsgebiete übertrüge. Nur dadurch, daß wir das Abstimmungsgebiet sozusagen mit einem Sanitätsgürtel umgeben, ist es möglich, diesen Begriff auf ein Mindestmaß zu beschränken. Wir wollen hoffen, daß unter diesen Umständen der Schade, der durch die Verfrühung der Wahlen angerichtet ist, nicht allzu groß wird. Wir wollen hoffen, daß das laute Bekenntnis zum Deutschtum, das jene Gebiete mehrfach abgelegt haben, sich auch nach den Reichstagswahlen wiederholen wird.
Bedauerlich ist es, daß an den Reichstagswahlen Eupen⸗Malmedy und das Saargebiet nicht teilnehmen können. Die harten Bestimmungen des Friedensvertrags haben es der Regierung wie der Verfassungs⸗ kommission zu einer Pflicht gemacht, auf den Versuch zu verzichten, hier entgegen den Bestimmungen des Friedensvertrags eine Wahl herbe zuführen. Wir wissen, daß diese Gebiete ihre Zugehörigkeit zum Deutschtum trotzdem nicht preisgeben werden. Wir sind davon überzeugt und versprechen den Brüdern im Saargebiet und in Eupen⸗ Malmedy, daß, auch wenn ihr Gebiet im Reichstag nicht vertreten ist, trotzdem überall da, wo es gilt, ihre Klagen und Beschwerden zu hören, ein aufmerksames Ohr für sie vorhanden sein wird.
Mit diesen wenigen Geleitworten kann ich das Wahlgesetz, das von keiner Seite beanstandet worden ist, Ihrer Beschlußfassung empfehlen. Ich nehme an, daß, wenn die Verabschiedung des Wahl⸗ gesetzes heute erfolgt, unter allen Umständen an dem vorgesehenen Termin des 6. Jumi für die Reichstagswahl festaehalten werden kann. Bis dahin liegt es mir ob, die Wahlen vorzubereiten. Ich hoffe, Sie werden mir glauben, wenn ich erkläre, daß es meine Aufgabe ist, die Wahlen zu leiten, daß ich es aber von mir weise, die Wahlen zu machen. (Beifall bei den Mehrheitsparteien.)
Abg. Schmidt⸗Sachsen (Soz.): 8es im kaiserli⸗ Deuts UFan nannte man das Reichstagswahlrecht das a vai. und gleiche Wahlrecht. Allgemein war es aber nicht, weil die Armen⸗ unterstützung beziehenden Bürger von ibm ausgeschlossen waren, und von Gleichheit konnte man angesichts der un rechten Wahlkreis⸗ einteilung auch nicht sprechen. Eine der vornehmisten ö der Revolution ist das Frauenwahlrecht, ohne die Revolution hätten wir auf das Frauen⸗ und das Verhältniswahlrecht noch lange warten müssen. Der wirtschaftlich Schwächere wurde steis mit niederträchtigen Mitteln gezwungen, einen Wahlzettel abzugeben, wie er seinem Arbeit⸗ geber gene war. Anregung im Abstimmungsgebiet Ab⸗ geordneie zu ernennen, wie es von deutschnationaler Seite vorges chlagen worden ist, können wir nicht felhen⸗ der Abgeordnete 3 eben ge⸗ wählt werden. Der Ausschuß hat Tag und Nacht hindur ute Arbeit gele stet, der Gesetzentwurf kann sich in seiner 8259 assung in allen Kulturländern sehen lassen; hoffen wir, 8 auch der Reichstag von sich sagen kann, nach diesem Wahlgesetz gewählt
wird Abg. Brodauf (Dem.): In letzter Zeit wird in der Oeffent⸗ lichkeit besonders 88 die In edthes en Plenarsitzungen der —— Demgegenüben muß betont werden, daß das Schwergewicht unserer Arbeit gegenwärtig in den Nuss üssen und in den Fra barsbnng liegt, die vielfach während der Plenar⸗ togung stattfinden müssen. (Hört, hört! rechts.) In geradezu erstaunlich kurzer Zeit ist diese Vorlage so umgestaltet worden, sie nun allen berechtigten Ansprüchen gerecht wird. Auch die rechte Seite at sich überzeugen müssen, namentlich im Hinblick auf die Ab⸗ immungsgehiete, daß es durchaus triftige rründe waren, die zu dem Plan führten, die Wahlen erst im erbst vorzunehmen. Jetzt ist aber die Situation durch die unglaubliche Hetze gewisser Kreise Fern die Regierung und gegen die eehrheitsparteien ein früherer hltermin notwendig geworden, die Situation wurde inzwis He unerträglich. Der frül re Wahllermig ist nun das kleinere Uebel, um jene Hetze, jene Irreführung der öffenklichen Meinung abzustellen. Die Deutschnationalen, die die Ser . der Lebensdauer der Rationalversammlung für verfassungswidrig erklärten wollen nun bezüglich der Abstimmungsgebiete selber eine Verfassun swidrigkeit ins bee aufnehmen. Wir sind uns alle darüber klar, daß dies nicht ein Geseß wird, das auf längere Dauer berechnet ist, nach ihm wird wohl nur eine Parlamentswahl Faetiseches man hätte es benennen fönnen „Gesetz zur Wahl des ersten Reichstags. Es wird Aufgabe des künftigen Reichstags sein, das Verhältniswahlsystem auszubauen und au Finsichtlich der gebundenen Listen neue Bestimmungen zu treffen. Es ist nohwendig, daß der Reichstag sehr bald nach den Wahlen wieder zusammentritt. Die politische Reise unseres Volkes ist so weit vI daß man auch ohne Finfübrung. der gesetzlichen Wahlpflicht zu der Erkenntnis kommen wird, daß alle Staats 17 und Staatsbürgerinnen es als vornehmste Pflicht ansehen, das Wahl⸗
.“ Fehler des Verhäͤltniswahl Abg. Eichhorn (U. Soz.): Der Fehler des rhältniswahl⸗ ma liegt namentlich darin, daß den ehhen die Beziehungen zum
Ebgeordneten verloren r Die Listenverbindung in Wahlkreisver⸗
bänden hat keine Berechtigung, in der gegenwärtigen Situation aber
können wir uns nicht anders entscheiden, als dem Gesetz zuzuftimmen.
Die vorhandenen Fehler des Gesebes müssen vom neuen Reichstag
cfort — werden, nicht erst, wenn seine Wahlzeit zu Ende geht.
Wir verlangen, daß auch den Soldaten das Wahlrecht gegeben wird.
Wir müssen die Soldaten der Reichswehr vom Einfluß der reaktio⸗
nären Offiziere befreien, denen sie auch für Putsche ausgeliefert sind. un die Reichswehr unpolitisch bleibt dann wird sie zur Prätorianer⸗
truppe der reaktionäͤren Offiziere. Die Soldaten verpflichten sich zum großen Teil zur zwölfjährigen Dienstzeit, sie verheiraten sich und haben schließlich einen Familienstand, deshalb muß man sie in das bürgerliche eben eingliedern, und man darf ihnen, da sie eine Art Beamtenstellung
einnehmen, nicht das Wahlrecht vorenthalter. Auch hinsichtlich der Untersuchungsgefangenen genügen uns die Vorschriften des Gesetzes nicht. Wir stellen dahingehende Anträge, um wenigstens die gröbsten Fehler aus dem Gesetz zu beseitigen.
Abg. Dietrich (D. Nat.): Eine Bemerkung von mir im Aus⸗ schuß ist dahin ausgelegt wordeg, als ob wir reuige Sünder für die Hinausschiebung der Wahlen bis zum Herbst seien. Ich habe aber im Ausschuß lediglich mit Rücksicht darauf, daß die Entscheidung über die Grenzfestsetzung in Schleswig⸗Holstein vielleicht nicht allzu lange vor dem 6. Juni fallen würde, und daß die Abstimmung in Ostpreußen vermutlich am 27. Juni stattfinden würde, zur Erwägung anheim⸗ — ob man nicht die Wahlen um 14 Tage oder drei Wochen ver⸗ chieben solle. Das ist doch ganz etwas anderes als eine Vertagung bis zum Herbst. (Sehr richtig! rechts.) Als der Abgeordnete d⸗ stein im Ausschuß es unternahm, einen Gesinnungswechsel bei uns fest⸗ stellen zu wollen, habe ich dies sofort zurückgewiesen. Als der Minister im Ausschuß darüber sprechen wollte, hat ihm der Vorsitzende sehr scharf gesagt, darüber sei nicht zu diskutieren, der 6. Juni stehe fest. In bezug auf das Gesetz selbst hat der Ausschuß eine zufriedenstellende Arbeit geleistet, uns gefällt nur nicht das Ende, daß — sich aus dem dürftigen Reichssäckel noch eine große Anzahl Millionen für die Wahlkosten bewilligt haben. Das ist ein starker Schönheits⸗ fehler des Gesetzes.
Abg. Kempkes (D. V.): Wir meinen, daß dieses Wahlgesetz nach manchen Richtungen nur provisorisch ist und den billigen Wünschen entspricht. Der Gedanke der kleineren Wahlkreise muß zurücktreten, da sich die Organisationen im Lande nicht so schnell auf die neuen Verhältnisse einstellen können. Die Verwertung der Reststimmen nach dem neuen System bedeutet einen wesentlichen Fortschritt geggn⸗ über der bedenklichen gebundenen Liste. Der allgemeine staatliche Ge⸗ danke drängt dahin, die Wahlen möglichst bald vees rebeh. das hat ja jetzt überall Anklang gefunden. Nach dem Sinn der Notver⸗ fassung ist die Nationalversammlung erledigt. Daß das Wahlgesetz nicht früher vorgelegt ist, ist Schuld der 8 egierung. Den einzelnen Bestimmungen des Gesetzes wird man in wesentlichen zustimmen können. Eine Schwierigkeit liegt darin, daß die Reststimmen in den Abstimmungsgebieten bei der späteren Wahl daselbst nicht mehr dem Wahlkreisverband, sondern der Reichsliste zufallen, aber dos ist nicht sehr bedeutend. Ich halte es für angebracht, daß bei einer Sache, die so sehr Sache des Reiches ist, die Parteien einen Beitrag zu ihren Wahlkosten erhalten, nur sollte man einen anderen Maßstah als den der abgegebenen Stimmen dafür finden. Ich habe mich gefreut über das Wort des Ministers, er wollte die Wahlen leiten, aber nicht machen. Ich hoffe, daß dies nicht nur dem Worte, sondern dem Geiste nach guch von allen seinen Organen restlos durchgeführt wird, und daß die Regierung mit dem nötigen Takt ihre Machtmittel einsetzt, daß eine freie Wahl im ganzen Reich gewährt ist. (Beifall rechts.)
Abg. Schmidt⸗Sachsen (Soz.): In der Notverfassung wird gesagt, daß die Nationalversammlung alle dringenden Gesetze machen soll. Das Wahlgesetz früher einzubringen, war unmöglich. Der Ersatz der Stimmzettelkosten soll allen Parteien zugute kommen.
Abg. Waldstein (Dem. stellt nochmals den Vorgang im Aus⸗ schuß ausführlich dar. Es konnte sich nur darum handeln, ob die Wahlen bis nach der Abstimmung hinausgeschoben werden sollten. Von den Terminen der v veeer; die der Abg. Dietrich anführte, war damals noch nicht die Rede. Die Rechte hat immer erklärt, es müßte am 31. Mai Schluß gemacht werden, es könnte nur vor der Heuernte oder im Herbst gewählt werden. Der Abg. Dietrich war von der Darstellung der Schwierigkeiten in den Abstimmungsgebieten durch den Minister Koch überzeugt, daß doch wohl mit einer Wahl im Herbst gerechnet werden müßte. Die Herren wollten wohl die Folgen der ungemütlichen Situation, die sie im März selbst herbei⸗
eführt hatten, hinter einer patriotischen Aufwallung für die Ab⸗ timmungsgebiete mrücktreten lassen,
Präsident Fehrenbach erkläxt, daß ihm diese Erörterungen gerade nicht mit dem Wahlrecht im Zusammenhang zu stehen scheinen, und daß man sie den Wahlrednern im Lande vberlassen könne.
Abg. Dr. Fleischer (Zentr.): Wir nehmen das Gesetz in der Kommissionsfassung an. Weilergehende Wünsche, die auch wir haben, müssen in der drängenden Zeit zurückgestellt werden. Unser Traktions⸗ vorsitzender hatte aber Recht damit, daß wir wegen der ierig⸗ keiten in den Abstimmungsgebieten vorzeitige Wahlen nicht vornehmen können. Die Lösung aber, die die Feenssior gefunden hat, wird in den Abstimmungsgebieten auf das freudigste begrüßt. Wir betrachten die dortige Bevölberung nach wie vor als deutsche Bevölkerung. (Leb⸗ hafte Zustimmung.) Die Polen wollen jetzt die Abstimmung hinaus⸗ schieben; erst waren sie ihres Sieges sicher, jetzt aber sind sie meifal. haft Seensea s wollen die Bevölkerung erst bearbeiten. Gleich nach der Abstimmung können wir auch nicht wählen, die Grenz⸗ festsetzung durch die Entente wird sich ebenso hinziehen wie in Schleswig⸗Holstein. Die Bestimmungen zugunsten der Abstimmungs⸗ gebiete in diesem Gesetz werden 5— eitragen, daß die deutsche
inheitsfront daselbst, von den Sn demokraten bis zu den Deutsch⸗ nationalen, in keiner Weise erschüttert wird. Diese einmütige Ver⸗ teidigung des Deutschtums durch alle Parteien gibt uns die ähr, daß diese Bestimmungen das ihrige zum Sieg des Deutschtums beitragen werden. Die Reststimmen in den Abstimmungsgebieten werden nicht allein auf die Reichsliste verrechnet, denn der Reichs⸗ präsident ist ermächtigt, über die Verwendun diefer Reststimmen zu bestimmen; er kann also, wenn z. B. die spätere Wahl in Ober⸗ schlesien und Ostpreußen gleichzeitig stattfindet, anordnen, 89 die Reststimmen in Ostpreußen und Oberschlesien gegenseitig zunächst den Parteien und dann erst der Reichsliste zugeschrieben werden.
Abg. Dietrich (D. Nat.): Ich habe nur ungern den Vorgang in der Kommission nochmals erörtert und teile die Auffaffn des Prh⸗ sidenten, daß wir dies den Wahlrednern im Lande überlassen könmen.
1 wird angenommen.
u § 2 (Ausschließung vom Wahlrecht) beantragen die die Mehrheitssozialisten und die hna6,gsfn. die Soldaten nicht vom Wahlrecht auszuschließen. Die Unabhängigen be⸗ antragen ferner, die Untersuchungsgefangenen nicht vom Wahl⸗ recht auszuschließen.
Abg. Schmidt⸗Sachsen (Soz.) lehnt den Antrag der Un⸗ abhängigen wegen der Untersuchungsgefangenen ab, weil die Wahl⸗ agitation nicht in die Gefängnisse getragen werden könne, und tritt für das Wahlrecht der Soldaten ein. Wenn man sage, das Heer müsse entpolitistert werden, so würde das den Erfolg „daß das Heer von reaktionären Führem abhängig würde.
Abg. Haußmann Sena Dafür, daß man den Soldaten das Stimmrecht gibt, spricht der Grundsatz der Ausnahmslosigkeit für alle Staatsbürger und dann die Tatsache, 1. letzte Mal die Soldaten gie Uls das Wahlrecht hatten. mals kam aber ein ber von 9 Millionen aus Feindesland zurück, es war zum Froßen
eil noch nicht demobilisiert. Das Wahlrecht war ein kleines Zeichen der außerordentlichen Dankbarkeit des Vaterlandes. Jetzt aber haben wir es nur mit einem kleinen Bruchteil zu tun, der ni
mehr aus der allgemeinen Wehwflicht heworgeht. Gibt man dem eere das Stimmrecht, so erlaubt man seinen Angehörigen, nament⸗
— ware unweckmißiß. Sehr richtig!) oment dürfen wir nicht die Agitation in das Das kleine Heer muß ein wirklich kameradschaftlich ultes Voll⸗ 9 gorgan der Regierung werden. Von diesem Gesichtspunkte aus 2 wir die Anträge ab. 1* Abg. v. Gräfe (D. Nat.): Meine Partei steht grundsätzlich zu dem Gedanken, dnß die Politisierung der Armee für den Stagt ver⸗ derblich wäre. Als der politische Geift in unser altes Heer hinein⸗ getragen wurde, wat die Zersetzung ein. Teil meiner Freunde tritt der Vorlage bedingungslos bei. selber stehe auf dem Standpunkt, daß man unserm jetzigen Söldnerheer nicht zumuten kann, 12 Jahre lang auf alle politischen Rechte zu verzichten, da be⸗ kommt man schwerlich das Material, das wir im Reichsheer brauchen.
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Jetzt, wo die Soldaten das Wahlrecht haben, darf man es ihnen nicht nehmen. Bekommen wir die allgemeine Wehrpflicht wieder,
ich den Offtzieren, in der Kaserne Agitation zu treiben, und dieser
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dann muß die Politik und somit das Wahlrecht vus bem Heer ver⸗ schwinden.
Abg. Graf Pofadowsky (D. Nat.): Ich halte eine politisierte Armee für eine Gefahr für jede Regierung, sei sie rot, schwarz oder schwarz⸗weiß⸗rot. Gerade in diesen ernsten —— dauf man sich nicht nu allen Gebieten von parteipolitischen Ansichten leiten lassen, sondern sich zu einer höheren Auffassung emporschwingen und prüfen, was für den Staat unbedingt notwendig ist. Unserm jetzigen Heere liegt die Aufgabe ob, die Ordnung im Lande aufrechtzuerhalten, und dazu ist die Entpolitisierung des Heeres unbedingt nötig. Die Reichswehr muß ein Organ in der Hand der vollziehenden Gewalt sein. Die Ereignisse der letzten Zeit sind ein warnendes Beispiel. Wenn sich unser Heer darauf einläßt, Politik zu treiben und in die Staats⸗ gewalt einzugreifen, so würden wir zu Füftäangen wie in ien, in Mittel⸗ und Südamerika kommen. ierung
ür jede geordnete — ist die Politisierung des Heeres eine Gefahr, namentlich r bei
den jetzigen parlamentarischen Zuständen. Der Vorwurf, die Rechte sei schuld an den Ianiwahlen, darf jetzt nicht mehr erhoben werden, da Regierung und Mehrheit sich auf den gleichen Standpunkt gestellt haben. Daraus ecgibt sich, daß unsere Forderung eine demokratisch berechtigte war. (Beifall rechts.)
Reichswehrminister Dr. Geßler: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon der bisherige Gang der Debatte hat gezeigt, daß wir uns alle der ungeheuren Wichtigkeit der Frage bewußt sind, die hier zur Abstimmung steht. Es handelt sich um einen Bruch mit allen Traditionen, die bisher in der Auffassung, die wir von unserem Heere hatten, im Hause herrschend waren. Die Behandlung der Sache leidet darunter, daß wir uns bei der Abstimmung über ein Wahl⸗ gesetz über die Frage zu unterhalten haben, wie es mit der Politik künf⸗ tig im Heere zu halten sei. Ich beklage es, daß das Wehrgesetz, das vom Kabinett einstimmig verabschiedet war, wegen der Abkürzung der Session Ihnen nicht mehr unterstellt werden konnte. Darin war be⸗ absichtigt, die ganze Frage grundsätzlich im Sinne einer Entpoliti⸗ sierung des Heeres zur Entscheidung zu bringen. Da hätte sich ganz von selbst die Entscheidung ergeben, die Sie heute hier zu treffen haben. Entweder Sie wollen ein politisiertes Heer, dann müssen Sie auch die Wahlen für alle Parteien im Heere freigeben; denn eine ge⸗ wisse Abtemperierung nach der jeweiligen Mehrheit im Parlament ist ausgeschlossen. (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.) Ich meine, darüber wollen wir uns einig sein: wenn Sie das Recht der politischen Betätigung geben wollen, dann kann das nicht abgestimmt werden nach den Bedürfnissen der jeweils herrschenden Mehrheit, gleich⸗ gültig, wie diese Mehrheit ist. Deshalb wäre es nötig gewesen, daß wir uns über die ganze Frage der politischen Vereins⸗ und Versamm⸗ lungsfreiheit, die im Wehrgesetz zur Erledigung zu bringen gewesen wäre, vorher hätten entscheiden können.
Noch etwas anderes wäre nötig gewesen. Damit, daß man dem Heere etwa das politische Stimmrecht nimmt, ist die Sache nicht ab⸗ getan. Auch das Heer kann und darf nicht mundtot gemacht werden. Wenn schon dem Heere das aktive Wahlrecht genommen werden mußte aus den Lebensbedürfnissen des Heeres heraus; dann war Ihnen zu⸗ gleich der Vorschlag gemacht worden, eine Heereskammer zu schaffen, die beruhen sollte auf dem allgemeinen Wahlrecht, in dem das Heer in der Lage gewesen wäre, die Berufsfragen und die Fragen, die nun einmal zum Leben des Heeres gehören, in geordneter Weise dem Par⸗ lament gegenüber zu vertreten.
Ich beklage es, daß mun die Frage hier zur gelegentlichen Ab⸗ stimmung kommen muß, und daß dadurch bei der ganzen Stellung, die die verschiedenen Parteien des Hauses einnehmen, möglicherweise eine Zufallsentscheidung herauskommt; denn dazu ist die Sache schließlich zu ernst, als daß wir sie solchen Zufallsentscheidungen unterstellen dürfen
Ich beklage die Sache aber auch aus einem anderen Grunde. Es mag sein, daß die Entwicklung dazu führt, daß, wenn die Reichswehr gefestigt ist, wenn sie aufgebaut ist, wenn der innere Ausgleich ge⸗ schaffen ist, dann auch vielleicht die Frage des politischen Wahlrechts eine ganz andere Stimmung im Hause vorfinden würde als im gegen⸗ wärtigen Augenblick, wo sich die Reichswehr, das ist kein Geheimnis, noch in einer sehr schweren Krisis befindet und wo mmmehr durch den ganzen Wahlebampf wiederum diese Krisis verlängert würde.
Einer der Herren Vorredner hat darauf aufmerksam gemacht, daß trotz aller Erlasse draußen immer noch Maßregelungen vorkommen. Das ist durchaus richtig; der alte Gegensatz zwischen Erlassen und An⸗ ordnungen einerseits und Vollzug anderseits spielte natürlich auch bei uns seine Rolle, und es wird noch einige Zeit dauern bis die Drähte zu den äußersten Stellen hinaus funktionieren. Ich befürchte, daß deshalb auch jetzt, werm die Reichswehr etwa in diesem gegenwärtigen Zustand in den nächsten Wochen wählen sollte, Sie dann, sobald Sie zusammenkommen werden, sich nicht nur über den Kapp⸗Putsch wieder wie bisher zu unterhalten haben, sondern daß dann auch das Kapitel der Wahlbeeinflussung eine neue Rolle spielen wird, die es verhindert, daß die Reichswehr zu dem kommt, was sie unter allen Umständen haben muß, wenn sie gesunden soll, zu einer gewissen Ruhe. (Sehr wahr! bei den Demokraten.)
Ich muß Sie deshalb dringend bitten, es für heute wenigstens bei dem Entwurf der Regierung zu lassen und der Reichswehr wenigstens für die kommende Wahl das aktive Wahlrecht nicht zu geben. Dafür sprechen auch eine ganze Reihe von praktischen Gründen. Ein großer Teil der Truppen ist zurzeit gar nicht in der Garnison. Die Truppen stehen teilweise noch im Ruhrgebiet, sie stehen an der Ostgrenze. Es ist zurzeit eine starke Bevegung in der Reichswehr aus einer ganzen Reihe von Gründen im Gange, und schon aus diesem Grunde wird der Vollzug des Wahlgeschäfts die größten Schwierigkeiten mit sich bringen. Dann aber ist auch das Verhältnis zwischen den Vorgesetzten und den Angehörigen der Wehrmacht heute nicht so, daß wir es er⸗ tragen könnten, daß neue Konfliktsstoffe hineingetragen werden.
Man bann auch nicht sagen, daß der Reichswehr das Wahlrecht genommen wird; denn das, was voriges Jahr im Januar zur Natioral⸗ versammlung gewählt hat, war überhaupt kein Heer mehr. (Sehr richtigl bei den Demokvraten.) Damals bestand auch die Reichs⸗ wehr noch nicht. Es ist interessant, daß bei einer Abstimmung, die der Bund der Berufssoldaten vorgenommen hat, das aktive Wahlrecht für das Heer mit erdrückender Mehrheit abgelehnt worden ist. (Hört, hört!) Sie mögen daraus ersehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß auch die Reichswehr selbst in diesem Vertretungs⸗ Förper wenigstens im Augenblick das Wahlrecht nicht will, weil gerade die Herren, die in der Truppe sind, wissen, wie außerordentlich heikel und prekär dort die Situation im gegenwärtigen Augenblick ist.
Freilich etwas anderes wird nötig sein. Da das Wehrgesetz jetzt nicht verabschiedet werden kann, habe ich vor, schon in den nächsten Tagen die Wehrkammer einstweilen durch Verordnung einzuführen
so daß guch in dieser öffentlich⸗rechtlichen Vertretung dem Heere Ge⸗