Dentsche Nationalversammlung. 169. Sitzung vom 23. April 1920, Nachmittags 3 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger.)“)
Auf der Tagesordnung stehen zunächst Anfragen.
Abg. D. Mumm (D. Nat.) fragt wegen der zugesagten, aber noch nicht durchgeführten Zollfreiheit für die Einfuhr von Baumwollgarnen aus dem Elsaß zum Zweck der Verarbeitung in der badischen Textilindustrie an.
Geheimrat Günther: Nach dem Friedensvertrag genießen während 5 Jahre die Roh⸗ oder Fert'gerzeugnisse von Elsaß⸗Lokhringen vollständig Zollfreiheit. Die von der französischen Regierung Mitte aufgestellte Liste der zollfrei in Deutschland einzulassenden
ren bedurfte einer Richtigstellung. Nunmehr ist die Freiliste den Landesfinanzämternn zugegangen, und die elsaß⸗lothringischen Erzeug⸗ nisse werden zollfrei eingelassen, die bisher erhobenen Zollbeträge
erden erstattet. Die Pollfreiheit schließt auch die Freiheit vom oldaufgeld ein.
Auf eine Anfrage des Abg. Zöphel (Dem.) erwidert eine Vertreterin des Reichsarbeitsministeriums, daß die Reichsverordnung vom 8. Februar 1919 die rechtliche Grundlage für die soziale Fürsorge für die Krieashinterblie⸗ benen bietet. Gegen die Verfügung der Fürsorgestellen ist den Hinterbliebenen das Recht der Beschwerde an den Beirat der ’ und weiter an die Hauptfürsorgestelle und deren
eirat gegeben.
Auf Anfrage des Abg. D. Mumm wegen Abhilfe für die schwierige Lage, in die ein großer Teil der Industrie, besonders der badischen, oberländischen und wiesenthaler Industrie, durch Verbindlichkeiten in frembder Währung aus der Vorkriegszeit ekommen ist, erwidert Geheimrat Wessig, daß im Reichs⸗ justizministerium ein Entwurf fertiggestellt sei, der diese Schwierigkeiten beseitigt und insbesondere bei Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften, Gesellschaften m. b. H., Genossen⸗ schaften und anderen juristischen Personen die Verpflichtung zur Konkursanmeldung aufhebt, wenn die Ueberschuldung durch die Umrechnungskurse entstanden ist. Ein Moratorium ver⸗ biete sich dagegen wegen der Erhaltung des deutschen Privat⸗ kredits im Ausland. Die Konsolidierung der privaten Valuta⸗ kredite werde zurzeit im Einvernehmen mit den wirtschaftlichen Organisationen geprüft.
Auf Anfrage des Abg. Dr. von Delbrück wegen ein⸗ seitiger Verteilung der Notreserve an Konserven an die Konsum⸗ genossenschaften erwidert Geheimrat Dr. Huber. daß aus der Notreserve an Konserven von einer Million Kilogramm die gemüseknappen Gebiete, besonders Industriezentren, bedacht werden und daß sowohl dem Handel als auch den Konsum⸗ genossenschaften je ein Viertel der Reserve zugewiesen werden soll.
Abg. Dr. Herrmann⸗Posen (Dem.) fragt nach Maß⸗ nahmen dagegen, daß die Polen die Gründunagsversammlung der Deutschen Partei verhindern, und nach der Einrichtung der diplomatischen Vertretung in Posen.
Ein Regierungsvertreter: Im Peeeee haben sich die Polen nur einverstanden erklärt, mit den alliierten und assoziterten Mächten einen Vertrag über den Schutz der Minder⸗ heiten in Polen abzuschließen. Dieses am 28. Juni 1919 . schlossene Minderheitsabkommen ist unzureichend. Die Reichs⸗ regierung wird kein Mittel unversucht lassen, um trotz der ablehnenden
altung der Polen bindende Vereinbarungen mit ihnen zu treffen. Fölt hat sich wiederholt über das Minderheitsabkommen hinweg⸗ gesetzt. Die Abwanderung der Deutschen aus dem Abtretungsgebiet 89 eine, Folge der rücksichtslosen polnischen Schulpolitik, die das
inderheitsabkommen verletzt. In der Stadt Posen haben Per⸗ mmlungen der „Vereinigung des deutschen Volkstums in Polen“ tattgefunden. Damit ist die erste Vorbedingung für den Zusammen⸗ tritt aller Deutschen erfüllt. Allerdings i die Polen partei⸗ politische Versammlungen nicht genehmigt. Die Reichsregierung hat feine Handhabe, um sich in die politische Organisation des deutschen Volkstums in Polen durch Vorstellungen bei der polnischen Regierung einzumischen. Gegen die Erschwerung der staatsbürgerlichen Rechte der Deutschen könnte nur beim Völkerbund auf Erfüllung des zu⸗ gesicherten Minderbeitsschutzes gedrungen werden. Der für Warschau in Aussicht genommene Geschäftsträger, Graf Oberndorff, wird sich nach Herstellung von seiner Erkrankung in den nächsten. Tagen auf seinen Posten begeben.
Auf Anfrage ves Abg. Dusche (D. V.) erwidert ein Regierungsvertreter, daß der Entwurf einer Pacht⸗ schutzverordnung fertiggestellt sei, sofort an den Reichsrat gehen und voraussichtlich in kürzester Frist dem 28 er Ausschuß der Nationalversammlung vorgelegt werden werde. b
Auf eine weitere Anfrage des Abg. Dusche (D. V.) wegen anderweitiger Verpachtung des zu Siedlungszwecken be⸗ stimmten Rittergutes des Grafen Gneisenau bei Völpke (Pro⸗ vinz Sachsen), wozu der Landrat Fischer, ein früherer sozial⸗ demokratischer Parteisekretär, die Genehmigung erteilt habe, erklärt
ein Vertreter des Reichsarbeitsministers: Tatsache ist, daß das Gneisenausche Rittergut verpachtet worden ist, ohne daß dabei in größe rem Umfange daraus Siedlungsland für das von der Reichsregierung wie von der preußischen und braunschweigi⸗ schen Regierung geförderte Unternehmen des Hauptmanns Schmude zur Verfügung gestellt worden wäre. Zuständig für die Erteilung der Genehmigung zur Vexwachtung ist der Landrat. Die Reichs⸗ regierung hat sich alsbald an die zuständigen preußischen Ministerien mit der Bitte um Aufklärung gewandt, eine Antwort ist noch nicht eingetroffen. (Hört, hört!) Diese wird dem Abg. Dusche schriftlich zugehen. .
Abg. Löffler (Soz.) fragt nach dem beabsichtigten Ver⸗ kauf der Kuxenmehrheit der westfälischen Kohlengewerkschaft b8 J bis III an eine französische Unternehmung, der das Vorrecht besonderer Kohlenzuweisung zugestanden werden soll.
Geheimrat Wessig: Das Angebot der ftenaost. Unter⸗ nehmung soll nur gelten, wenn 1501 Kure, d. h. ein dux mehr als die Hälfte aller Kuxe zur Verfügung gestellt werden. Der der Felder ist zweifelhaft. Die Bergwerksgesellschaft ist schon im Frühjahr 1906 gegründet worden, irgendwelche Ausbeute ist noch nicht gemacht, wohl aber waxen starke 8 1. erforderlich. Das Flöz⸗ vorkommen ist durch Schächte von fast 1000 Meter Teufe 8 Pülclossen. liegt also recht tief. Besondere Schwierigkeiten für den
bau bereiten die hohe Grubenwärme und die stark salzhaltigen Wasserzuflüsse. Für die Gewährung der Hüttenzechenvorräte würde das Rheinisch⸗Westfälische Kohlensyndikat zuständig sein, das einen Antrag auf Gewährung von Vorrechten ablehnen würde. Sollte wider Erwarten das Syndikat der Gewerk 585 dennoch die Hütten⸗ z exen at e er. so würde der Neichskohlenkommissar die Ausfuhr ür die französische Gesellschaft nicht zulassen.
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nommen. namentlich abgestimmt. Die Abstimmung nahme mit allen abgegebenen 300 Stimmen.
Präsident Fehrenbach: Damit sind beide Gesetzentwürfe an⸗ eenommen. (Lebhafter Beifall.) p die Wünsche der Regierung übermittelt. Bedürfni lichsten Wünsche hinüberzuschicken Wir wünschen Coburg eine glückliche Zukunft im Bayernlande, und wir wünschen dem schönen Thüringen, das uns in Weimar so ans Herz gewachsen ist,
die Erweiterung der Krankenversicherungspflicht bis zum von 12 000 Mark vorgesehen, der Ausschuß ist aber bis zu 20 000 M.
ihre Arztkosten selber zu bezahlen. Einkommens als Krankenkassenbeitrag in der höchsten Stufe erhoben werden, so sind beim Einkommen von Versicherungsbeitrag zu zahlen. eine kolossale Belastung. Aerzte vollkommen lahmgelegt.
82
Auf eine Anfrage des Abg. Hoch (Soz.), betreffend die Holzteuerung, erklärt ein Vertreter des Reichsernäh⸗ rungsministers, rung der Lage auf dem deutschen Holzmarkte bereits zu ver⸗ zeichnen seien. barungen mit den Zentralbehörden der Länder in Vorbereitung, auch werde die Holzeinfuhr begünstigt werden. Belieferung von an gemeinnützigen Bauten beteiliaten Genossen⸗ schaften müsse von den Ländern geregelt werden; 8 werde wohlwollend daran mitwirken.
Auf eine Anfrage des Abg. Voigt⸗Breslau (Soz.), für aus Reichomitteln ür die aus den abzutretenden Landesteilen zuströmenden Flüchtlinge 00 Millionen des Reichsarbeitsministers, die Schaffung von Wohnu Sonderzuwendung in verlangter Höhe für Schlesien bedürfe bei der gegenwärtigen Finanzlage des Reiches einer eingehenden Prüfung. die Anregung werde jedoch weiter verfolat werden. Abg. Frau Zietz (U. Soz.) beschwert sich über Quälereien und schikanöse Anordnungen. die den Insassen der bayerischen Festungshaftanstalten zuteil würden.
Ein Regierungsvertreter erklärt: des Strafvollzugs ist Sache der Länder, der Reichsregierung nur das Recht zur Aufsicht zu. führungsbestimmungen stehen mit den reichsgesetzlichen Bestimmungen in Einklang. Wiederholt haben im bayer 8 über diese Frage stattgefunden. nochmals mit
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daß Anfänge für eine Verbesse⸗
Für die nächste Holzversorgung seien Verein⸗ Die freihändige
das Reich
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und von
niederschlesischen Städte zur Beschaffung
Beamten eine Mark verlangt,
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ngsgelegenheiten sei Aufgabe der einzelnen Länder, die
Die Durchführu⸗
sie Die von Bayern erlassenen Aus⸗
en Die eee wird sich a . yern in Verbindung setzen. folgt die dritte Beratung des Entwurfs Gesetzes über die Befriedigung der
Parlamentsgebäude. Bei § 4, der die Strafbestimmungen vorsieht. erklärt Abg. Brodauf (Dem.): In der Begründung dieses Para⸗ raphen heißt es über die Präsident von den ihm Publikum, nicht etwa au
lizeigewalt des Präsidenten, daß der Feenn Befugnissen nur gegenüber dem — gegenüber Abgeordneten, den Mit⸗ der Regierung und des Reichsrats Gebrauch machen werde.
liedern
Räiche erwähnt sind hierbei die Angehörigen der Presse, und das b eine gewisse Beunruhigung .
in Widerspruch ergeben, wenn ich sage: Es ist nicht die Absicht des Hauses, die Presse durch § 4 zu bringen. 1t gedacht worden ist, so ist es wohl deshalb geschehen, weil sie als integrierender Bestandteil des Parlaments 8 ist.
Ueber das Gesetz wird darauf in namentlicher Ab
n. Es wird sich wohl
4 etwa in eine ungünstige Stellun Wenn der Presse in der Begründung nicht ausdrücklich
(Beifall.) stimmung entschieden. eine Verfassungsänderung darstellt, müssen mindestens zwei aller Abgeordneten amwesend sein, und von diesen zwei Drittel Gesetz votieren, das sind 282 Mitglieder.
Es stimmen ab 305 Mitglieder, von diesen stimmen mit
mit nein 15 Abgeordnete. Das Gesetz ist somit end⸗
gültig angenommen.
Es folgt die dritte Beratung des Entwurfs eines Reichs⸗ wahlgesetzes.
Eine Generaldiskussion findet nicht statt.
Zu 8 2 wird der Antrag wiederholt, den Soldaten das Wahlrecht zu geben. Stimmen der Unabhängigen, der Mehrheitssozialisten
Der Antrag wird gegen die und Deutschnationalen (u. a. von Graefe. Bruhn, Behrens,
Semler, Deglerk, Frau Schirmacher, Laverrenz. Oberfohren, Jandrey) abgelehnt. verändert nach den Beschlüssen zweiter Lesung angenommen. Für die Gesamtabstimmung, die namentlich ist, ist eine Zweidrittelmehrheit Reichspräsidenten, den Wahltag für die Abstimmungsgebiete festzusetzen, stimmung 301 Stimmen.
Die Vorlage wird im einzelnen un⸗
erforderlich, da die Ermächtigung des
Verfassungsänderung darstellt. Die Ab⸗ die einstimmige Annahme mit
eine ergibt
folgt die erste Beratung der Ges etzentwürfe, betreffend nigung Coburgs mit Bayern und betreffend
das Land Thüringen.
Das Wort nimmt der Reichsminister des Innern, Koch, dessen Rede wegen verspäteten Eingangs des Stenogramms erst
nächsten Nummer d. Bl. im Wortlaute wiedergegeben wird.
Damit schließt die erste Beratung.
der zweiten auch auch sogleich in der dritten Beratung beide Gesetzentwürfe ohne weitere Erörterung ange⸗ Da sie eine Verfassungsänderung bedeuten, wird ergibt die An⸗ (Beifall.)
Der Reichsminister des Innern hat — Es ist auch ein 8 der Volksvertretung, der Nationalversammlung, die herz⸗
cken in das Herz des deutschen Landes.
eine glückliche staatliche Zukunft. (Lebhafter
In zweiter und dritter Beratung wird der Gesetzentwurf über die Gewährung von Straffreiheit und Straf⸗
rung in Disziplinarsachen (Erlaß der Ord⸗
nungsstrafen für Dienstvergehen, die vor dem 9. November 1918 begangen sind) nach den Ausschußbeschlüssen angenommen. Eine vom Ausschuß angenommene Entschließung wegen Wiedereinstellung von Beamten, die während des Krieges wegen Dienstvergehen entlassen sind, wird gleichfalls ange⸗ nommen. 8 Ein von den sämtlichen bürgerlichen Parteien gestellter
will die vom 6. Ausschuß am 31. März 1920 be⸗
schlossene Verordnung über die Heraufsetzung des Grundlohnes und Ausdehnung der Versicherungspflicht in der Kranken⸗ versicherung aufheben und die Regierung auffordern, als⸗ bald den Entwurf einer neuen Verordnung vorzulegen.
Bartschat (Dem.): Der 6. Ausschuß hat mit mehr als Richtigkeit gearbeitet. In der Verordnung war nur inkommen
Selbst die Krankenkassen sind dazu nicht geneigt. Die An⸗ mit einem Einkommen über 12 000 Mark sind in der Lage, (Sehr richtigt) Da 8 % des
20 000 Mark 1600 Mark Das ist selbst bei diesem Einkommen Dadurch wird ferner die freie Tätigkeit der
Es liegt im Interesse der Volksge⸗ daß der Aerztestand nicht en. weiter proletarisiert wird.
sunoreit ir bitten deshalb um Annahme des Antrages.
Molkenbuhr (Soz.): Der Versicherung darf nicht wie r Grundlohn zugrunde gelegt werden, sondern der wirklich Lohn, die Kassen können nicht mehr das leisten, wozu sie
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verpflichtet sind, Krankengeld, Arzt und Apotheker sind nicht die einzigen Leistungen der Kasse. In den Krankenhäusern beträgt das tägliche Pflegegeld heute schon in der III. Klasse vielfach 12 Mars Von den Aerzten kommen die eigenartigsten Notschreie, ein Bewets, bcß die Herren keine Ahnung von der wirklichen Lage haben. Sie behaupten, neun Zehntel ihrer Privatpraxis ginge ihnen verloren. In erster Linie wird es sich bei der Ausdehnung der Versicherungs. pflicht um die Werkmeister, die technischen Beamten, Handlungsge⸗ hilfen, Lehrer und Erzieher handeln. Im ganzen werden in Ju⸗ kunft etwa 25 000 Versicherungspflichlige in Frage kommen, auf die esamte ärztliche Praxis wird das nur wenig Einfluß haben. In riedenszeiten war die Gehaltsgrenze für die Krankenversicherungs⸗ pflicht 2400 Mark, d. h. in Goldwährung, umgerechnet müßte dann heute die Gehaltsgrenze auf 25 000 Mark festgesetzt werden. Die Befürchtung, daß die Arbeiter simulieren würden, hege ich nicht. Nach meiner Effaserns kommt es viel häufiger vor, daß kranke Arbeiter “ heit simulieren, als gesunde Krankheit. bitte, den Antrag Bartschat abzulehnen.
Abg. Behrens (D. Nat.): Würde Abg. Molkenbuhr im Krankenversicherungswesen praktisch tätig sein, so würde er seinen Optimismus hinsichtlich der Simulation aufgeben. Die Menschen sind nicht so ideal, die Kasseneinrichtungen als Nothilfseinrichtungen anzusehen. Wir dürfen den Versicherten nicht den Anreiz zu un⸗ berechtigter Fenußung der Kasseneinrichtungen geben. Die Verord⸗ nung hötte nicht dem 6. Ausschuß übergeben werden sollen, in dem nur Wirtschaftspolitiker tätig sind, sondern dem 7., dem sozialen Ausschuß, dieser würde die ganz unmögliche Verordnung nicht ange⸗ nommen haben. (Sehr richtig!) Sie muß zum Ruin unserer ganzen Krankenkasseneinrichtungen führen. (Sehr richtig! rechts). Es geht nicht an, baß 7. bis 800 Mark, von denen zwei Drittel der Arbeit⸗ nehmer zu bezahlen hat, jährlich allein an Krankenkassenbeiträgen zu zahlen sim das eg. die Kraft der Arbeiter und belastet unser sesames Wirtschafts eben ungeheuer. Die Verordnung darf nur
8 Allernotwendigste bringen, der Antrag Bartschat ist durchaus berechtigt. Ueber die Arztfrage ist der Abg. Molkenbuhr leicht hi weggegangen.
Abg. Becker⸗Arnsberg (Zentr.): Wären Sozialpolitiker bei der Vorberatung der Verordnung tätig gewesen, der vorliegende Beschluß wäre nicht zustande gekommen. (Sehr richtig!) Die 20 000 ℳ⸗Gren entspricht nicht den Wünschen der Angestellten. Quälen Sie doch nicht die Menschen mit Wohltaten. Dieser Beschluß ist ein Schritt auf dem Wege zur allgemeinen Volksversicherung, und den machen wit nicht mit. Wer den Streit mit den Aerzten hat durchfechten e. ist sich klar darüber, daß es bei einer Versicherungsgrenze von 20 000 ℳ einfach undenkbar sein wird, mit den Aerzten zu Verträgen zu kommen. Im Dezember ist es noch mit vieler Mühe gelungen, einen Fatisverna mit ihnen zustande zu bringen. Ein namhafter heee. etie Arzt sagte mir heute, bei der Volksversicherung müsse das ganze Arzt⸗ system auf eine andere Grundlage gestellt werden. Den freien Arzt will ich im Interesse der wissenschaftlichen Ermittlung nicht missen. Auch die Grundlöhne müssen eine Grenze nach oben haben, letzten Endes ist es keine Wohltat mehr, wenn der Versicherte 1000 ℳ für die Krankenkasse bezahlen muß schließlich kommt noch die Familien⸗ versicherung hinzu. Heutzutage spielen wir ja mit Milliarden, wo bleibt da aber schließlich der Verstand? (Sehr wahrv! rechts und im Zentrum.) Die Angestellten müssen auch noch die Invalidenpersiche⸗ rung bezahlen, dann kommt die Arbeitslosenversicherung. Niemand wird aber in Zukunft die Arbeitslosenunterstützung in Anspruch nehmen, sondern in Zeiten der Arbeitslosigkeit wird sich jeder vom Rheumo⸗ tismus heilen lassen. Würde, wie Abg. Molkenbuhr es darstellt, nicht mit Simulantentum zu rechnen sein, weshalb hat man dann die ärzt⸗ liche Nachuntersuchungskommission eingerichtet? Zu den Leistuggen des einzelnen kommen noch die außerordentlich hohen Steuerlasten, ein Mann mit 20 000 ℳ Einkommen muß 4000 ℳ Steuern bezablen, ungerechnet die neuen Steuern, die wir noch schaffen müssen, die Ge⸗ werkschaften, die Parteien und sonstige vE“ verlangen auch ihre Beiträge. Es ist notwendig, daß 4⸗ erordnung aufgehoben und eine neue geschaffen wird. Den Grundlohn muß man dabei aller⸗ dings von 15 auf 20 ℳ erhöhen. Der Theorie zu Liebe dürfen wir die Volksversicherung nicht einführen. 82*
Abg. Dr. Most. (D. V.): Diese Verordnung würde den Ruin
vertrag nicht zustande zu bringen sein, sonst wäre es mit dem selb⸗ ständigen Aerztestande zu Ende (Sehr richtig!) Diese Verordnung würde nichts weniger als die Sozialisierung des Aerztestandes und damit die Ausschaltung eines der wichtigsten deuten. Se. ehaen Wir lehnen die 8 Berufe ab. Diese Verordnung hat in der Bevölkerung große Ent⸗ rüstung ausgelöst, die Proteste der Angestelltenorganisationen müssen berücksichtigt werden. Wir haben schon am 25. November v. J. einen Antrag gestellt auf Abänderung und Er des Ver⸗ icherungsgesetzes für Angestellte mit wesentlicher Erhöhung der ahresverdienstgrenze und der Versicherungsleistungen. Wie in der Arbeiterversicherung, muß auch hier den veränderten Verhältnissen Rechnung getragen werden. Die Privatangestelltenversicherung muß auf Grund der Selbstverwaltung ausgebaut werden.
Abg. Brühl (U. 8 Diese wichtige Verordnung wollte man gestern ohne jede Debakte erledigen. Man muß diese Uheethode an den Pranger stellen, da es sich um die wichtigste sfrage für die Arbeiterschaft, handelt. Abg. Behrens hätte seinerzeit gut getan, ür die Beseitigung der Betriebskrankenkassen einzutreten⸗ die den Ortskrankenkassen die Mitglieder nehmen. Sie “ ist, auf den Profit der Arbeitgeber Rücksicht zu nehmen. Die Leistungen der Kassen müssen den wirklichen Löhnen ert⸗ sprechen. Die Kassen sind vielfach gezwungen, die Patienten in Privatkliniken unterzubringen, wo 14 — 15 ℳ Tagessätze zu zahlen
nd. Diese 6. können die Kassen gar nicht kragen. Die Kassen müffen zu wirklichen sozialen Einrichtungen ausgebaut werden. Ge⸗ rage die bessersituierten Arbeiter müssen permöge ihrer hohen Leistungen zum Ausgleich der Beiträge der minderbemittelten Arbeiter herangezogen werden. (Hört, hört!) Die Kassen dürfen sich nicht erst des Kranken annehmen, wenn er umfällt, sondern noch rechtzeitig durch Vorbeugung bei Tuberkulose, Geschlechtskrankbeiten ufw. eingreifen, sie müssen Erholungs, und Genesungs heime schaffen, damit der Arbeiter rechtzeitig sein Leiden heilen kann. e Ver⸗ ordnung bedeutet einen wesentlichen Fortschritt. Den Antrag Bart⸗
ind.
dieser Verordnung ab. Der neue Reichstag wird eine gründli
Reform der RVO. vornehmen müssen. Abg. Molkenbuhr (Soz.): Die Aerzteschaft wird durch die
Vevordnung nicht geschädigt, das Gegenteil dürfte der Fpen ein.
n Wird dem Antrag Bartschat entsprochen, so wird das Gese alsbald
wieder geändert werden müssen.
Der Antrag Bartschat wird gegen die Stimmen der beiden sozialdemokratischen Parteien angenommen. (Beifall.)
Strafverfolgung des Abg. Braß u. a., deutsch⸗französisches Ad⸗ kommen über Zahlung der elsaß⸗lothringischen Pensionen, Post⸗ und Telephongebühren, kleinere Vorlagen). Schluß 6 ½ Uhr.
Preußische Landesversammlung.
12386. Sitzung vom 23. April 1920, Mittags 12 Uhr. (Gericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher geitungsverleger.)) Auf der Tagesordnung stehen zunächst Anfragen. Aluf eine Anfrage der deutsch⸗hannoverschen Abgeordneten
wegen Viehverschiebungen im Kreise Stolzenau a. Mesers ce auf eine Schuld des Vertrauensmannes des hannoverschen Vie
*) Mit Ausnahme der Reden der Herren Minister,
Wortlaute wiedergegeben werden.
der Krankenkassen bedeuten, mit den Aerzten würde ein Tarif-
freien Berufe be Sozialisierung der freien
Da zeigt sich, daß für
schat lehnen wir ab. Warten Sie doch zunächst einmal die Wirkung
Nächste Sitzung Sonnabend 1 Uhr (Genehmigung zur
handelsverhandes Meyer zurückgeführt werden, werden regierungsseitig diese Vorfälle auf ein Versehen Meyers zurück⸗ geführt, aber mitgeteilt, daß die Erhehungen über Vorgänge dieser Art aus der letzten Zeit noch nicht abgeschlossen seien. Auf eine Anfrage des Abg. Lüdicke (D. Nat.) wegen Ent⸗ ziehung der bisherigen amtlichen Publikationskraft des Kreis⸗
blattes für das Osthavelland und Uebertragung derselben an
das in Spandau außerhalb des Kreises erscheinende sozialdemo⸗ kratische „Volksblatt“ durch den kommissarischen Landrat des Kreises Osthavelland auf Grund eines Beschlusses des Kreis⸗ ausschusses erwidert der Regierungsvertreter, daß der Kreisausschuß die Herausgabe eines Kreisblattes beschlossen haden daß aber das „Volksblatt“ in Spandau lediglich ein Ange⸗
ot für den Druck gemacht habe; endgültige Entscheidungen seien noch nicht erfolgt.
Auf Anfrage der deutsch⸗hannoverschen Abgeordneten wegen mangelnder Lieferung von Bienenzucker an die hannoverschen Jana erwidert ein Regierungsvertreter, daß eine Zuckerreserve zur Verteilung gelangen solle, mache, die Zuckerzuteilung von 2 ½ auf 4 Kilogramm für das Bienenvolk zu erhöhen.
„Eine Anfrage des Abg. Lüdicke (D. Nat.) beschäftigt sich mit dem Vorschlag des Kreistages des Kreises Oberbarnim, den Regierungsassessor Mengel in Freienwalde a. O. zum Landrat
u ernennen. Der Vorschlag sei mit 18 gegen 17 Stimmen be⸗ gestge es müsse aber ein sozialdemokratisches oder demokrati⸗ sches Mitglied entgegen der “ für Mengel gestimmt haben. Die sozialdemokratisch⸗demokratische Mehrheit habe dann aber einen Protest gegen den Vorschlag von Mengel eingereicht. Die Regierung wird gefragt, ob sie den Reglerungsassessor Mengel zum Landrat ernennen wolle.
Ein Regierungsvertreter erwidert, daß die Ab⸗
stimmung über den Vorschlag vom 10. Oktober 1919 nicht der
Mehrheit des Kreistages entsprochen habe, daß aber bei einer erneuten Abstimmung infolge des Protestes sich eine Mehrheit für Mengel ergeben habe, so daß seine Ernennung zum Landrat werde genehmigt werden.
Die Höchstmietenverordnung vom 9. Dezember 1919 wird mit dem dazu ergangenen Ausführungserlaß an den Gemeindeausschuß überwiesen.
Der Antrag des Bevölkerungsausschusses, das Hospiz in Norderney auf Staatskosten instand zu setzen, wird, da noch einige tatsächliche Aufklärungen ausstehen, von der Tages⸗ ordnung abgesetzt und die Verhandlung auf Montag verschoben.
Hierauf gelangt der Gesetzentwurf über die Bildung einer Stadt Groß Berlin zur zweiten Lesung. Den sehr umfangreichen schriftlichen Bericht des 17. Ausschusses hat Abg. Bruns (Soz.) erstattet. Von sämtlichen Parteien sind Ab⸗ änderungsanträge eingebracht. Bei § 1, der die Stadtgemeinden, Landgemeinden und Gutsbezirke aufzählt, die, evtl. unter Aus⸗ bn aus den Kreisen Teltow, Niederbarnim und Osthavel⸗ land und der n; Brandenburg, die Stadtgemeinde Berlin bilden sollen, findet eine allgemeine Besprechung statt.
Abg. Wutzky (Soz.): Die Verabschiedung dieses Gesetzes ist eine der bedeutendsten Arbellen der preußischen Landesversammlung, denn sie soll den seit Jahren währenden Kampf über die Frage der Ein⸗ gemeindung beenden und geradezu unhaltbare kommunale Zustände eseitigen, die die Großberliner kommunalen Verhältmisse unter einer Zerrissenheit leiden, wie sie schlechterdings nicht mehr ertragen werden ann. Jeder unbefangene Kommunalpolitiker muß zu dem Ergebnis kommen daß die Gemeinden nicht nur geographisch sondern euch wirt⸗ schaftlich und sozial zusammengeschweißt sind, daß es unmöglich ist, weiter verwaltungstechnisch richkig arbeiten zu können. Es haben sich Betriebs⸗ und andererseits Wohngemeinden herausgebildet, für die ein Ausgleich unh din t notwendig ist; in den ersteren werden die Werte geschafft, die Massen der Bevölkerung drängen sich in ihnen zusammen, wodurch die Gemeindelasten unerträglich werden, und auf der anderen Seite haben namentlich im Westen die befttsenden Klassen ihr Domizil aufgeschlagen wodurch diese Gemeinden mühelos einen gewissen Wohl⸗ erlangen. Es muß selbstverständlich Aufgabe der Gesetzgebung sein, diese Folgen großstädtischer Entwicklung auszugleichen. Es ist schlechterdings üngeschar daß in der einen Gemeinde das ganze Ein⸗ kommensteueraufkommen ausschließlich für die Zwecke der Schulver⸗ waltung verbraucht wird, ohne auch nur die notwendigsten Ein⸗ richtungen für die Schulen schae u können, die Klassen sind stark frequentiert und die berechtigten? Künsche der Lehrpersonen können nicht erfüllt werden. Andere Gemeinden dagegen verbrauchen für Schul⸗ zwecke infolge der hohen Steuerkraft kaum die Hälfte des Einkommen⸗ steueraufkommens und können dabei doch mustergültige Schulen ein⸗ richten. Diese Gemeinden können dann in 288 ihren Armen beispringen, während den anderen es -. ich ist, auch nur das Allernotwendiaste für die Zwecke der Armenpflege aufzubringen. Gleiche Verhältnisse bestehen in allen anderen Verwaltungszweigen. Es ist undenkbar, so auf sozialem Gebiete weiterzugrbeiten. Es ist höchste Zeit, Einheitlichkeit in die Kommunalpolitik Groß Berlins hineinzubringen und mit der Kirchturmpolitik, aufzuräumen, an der man mit einer Beharrlichkeit festhält, die einer besserrn Sache wert wäre. (Sehr richtig links.) Wenn nun beanttagt worden ist, das erstrebte Ziel durch Ausbau des Zweckverbandes zu erreichen, diesem weitere Aufgaben zuzuweisen, und auf ihn die Provinzialverfassung anzuwenden, so ist dieser Vor⸗ chlag fan meine Partei glatt unannehmbar. Die Vertreter dieser Idee wuͤnschen jedenfalls, daß auf diese Weise wieder das indirekte Wahlrecht für die Gemeinden eingeführt wird. Es bleiben nur zwei Wege offen, ob man die Form der Gesamtgemeinde wählen soll oder ob man der Regierungsvorlage folgend eine einzige Gemeinde zur Durchführung bringen kann. Nach unserer besten Ueberzeugung wird man die Schwierigkeiten nicht beseitigen können, wenn man nicht einen entscheidenden Schritt tut und auch die Finanzwirtschaft in Groß Berlin in eine zentrale Hand legt. Mit dem weckverband kommt man nicht zum Ziel. Ebenso kommt man mit der Gesamtgemeinde den Schwierigkeiken nicht bei. Ich war noch während des Krieges ein eifriger Anbänger dieser Idee, aber die Entwicklung der Groß Berliner Kommunalverwaltung während des Krieges hat mich davon abgebracht. Nur die Einheitsgemeinde ist das Mittel, den Schwierig⸗ eiten zu begegnen. Auch der Oberbürgermeister einer der größten Verwaltungen hat sich zu der gleichen Ansicht bekehrt. Nur durch die Einbeitsgemeinde kann Schluß gemacht weden mit der Zerrissenheit in Groß Berlin. Wir glauben nicht den Unkenrufen, daß eine schroffe Zentralisation den Bürgern die Freudigkeit an der Mitarbeit an der Kommunalvpolitik nimmt und daß die Selbstverwaltung cusgeschaltet wird. Wir würden, wenn wir die Zentaglisierung nicht durchsetzen das Wort wahrmachen: „Es erben sich Gesetz und Rechte wie eine ewige Krankheit fort.“ Wir dürfen nicht verhindern, daß diese Krank⸗ heit endlich beseitigt wird. Wir stimmen dem § 1 der Vorlage ohne weiteres zu und alle Abänderungsanträge, die zu ihm ein⸗ gegangen sind. ab. Besonders sind wir dagegen. die reichen westlichen Gemeinden aus dem Rahmen des neuen Bezirks herauszunehmen. Das wäre ein außerordentlich schwerer Fehler. Wir werden geschlossen für diesen Gesetzentwurf stimmen, entgegen den gesseäußerungen der letzten Tage, die wohl nur den Zweck eines Versuchsballons haben. Es ist die Befürchtung ausgesprochen worden, daß, wenn dieses Gesetz zur Tatsache würde, man in der Reichshauptstadt eine sozialdemo⸗ kratische Herrschaft erleben würde. Es wäre sehr töricht wenn man diese Vorlage unter parteipolitischen Gesichtspunkten betrachten wollte. Jedenfalls ist dieses Moment für uns im Ausschuß in keiner Weise ausschlaggebend gewesen, sondern wir waren uns klar darüber, daß
die es möglich
die Verhältnisse so nicht weiter e ragen werden könnton, und eine Vereinheitlichung der Groß Berliner Kommunalpolitik schon längst (nötig war, damit eine Zweckmäßigkeit, eine Ordnung in die Kommunal⸗ verbände hineinkommt, wee sie unter allen. Umständen nötig ist. Ich bitte Sie, sich diesen Gesichtspunkt zu eigen zu machen und ebens wie wir dem Gesetze zuzustimmen. Sie müssen sich von jeder partei⸗ olitischen Beurteilung losmachen und die ganze Frnge lediglich im Interesse der Allgemeinheit der Groß Berliner Bürgerschaft lösen. Es ist eine Lebensfrage vieler Groß Berliner Gemeinden. Bei einer anzen Reihe von ihnen handelt es sich jetzt einfach um Sein oder Nichtsein. Wenn wir heute nicht zum Resultate kommen, daß wir die Vorlage annehmen, werden binnen kurzem viele Groß Berliner Gemeinden, besonders viele östliche Gemeinden, vor dem Bankerott Söeamn Sümmen Sie, bitte, geschlossen wie wir für die Vorlage. (Beifall. Abg. Gottwald (tr⸗ Der Zweckverband hat seinen Zweck nicht erfüllt. Gegen viele Punkte des Gesetzentwurfes haben wir Bedenken. Wenn eine Gemeinde von vier Millionen Menschen von einer Stelle aus verwaltet werden soll, so wird damit alle Selbstver⸗ waltung untergraben. Der Widerspruch der westlichen Gemeinden wird verständlich, wenn man hört, daß sie mit ihrer Steuerkraft aus⸗ elfen sollen, um den östlichen Gemeinden die Lasten abzunehmen. ir wollen versuchen, das Gesetz mit den Aenderungen zu versehen, die uns notwendig erscheinen, um eine lunde Grundlage für die Entwicklung Groß Berlins zu schaffen. ir haben immer auf dem Standpunkt gestanden, daß eine Eingemeindung ni t gegen den Willen einer Gemeinde geschehen soll; und hier sträubt sich eine ganze Reihe von Einzelgemeinden gegen die Eingemeindung,. Wir stellen folgenden Abänderungsantrag: Fm § 1 Abs. 1 das Wort „Stadtge⸗ meinde“ zu ersetzen durch „Gesamtgemeinde“ und dem Abs. 2 folgende Fassung zu geben: „Die Gesamtgemeinde Berlin bildet für sich einen von der Provinz Brandenburg ahgesenzerte⸗ Kommunalverband und Verwaltungsbezirk. Die für die bisherige Stadtgemeinde Berlin in ihrer Eigenschaft als Kommunalverband, sowie als Verwaltungsbe⸗ zirk geltenden gesetzlichen Vorschriften finden auf die Gesamtgemeinde Berlin Anwendung, soweit nicht etwas anderes in diesem deeae⸗ be⸗ stimmt ist!“ Wir bitten unserem Antrage das stimenfs. Geifall.)
Abg. Lüdicke (D. Nat.): Der frühere Minister des Innern ist in 1— einzigen der zwanzig visschügge anee⸗ anwesend ge⸗ ve. Etwas derartiges würde vor dem 9. November 1918 ausge⸗ schlossen gewesen sein; unter dem altem Regime hätte ein Minister bei einem solchen Gesetz selbst das Wort ergriffen. rn könnte man erwarten, daß ein Minister an den Beratungen des Parlaments teil⸗ nimmt, wo das Parlament doch die Souveränität hat. Es handelt ich hier um ein eminent politisches Gesetz für ganz Preußen, nicht nur ür Berlin. Mehr als ein Zehntel der Bewohnerschaft von ganz Preußen foll in die Einheitsgemeinde Berlin einbezogen werden. In diesem Gesetz sind s. die ersten Ansätze dafür enthalten, daß ein Freistaat Berlin sich im Freistaat Preußen bildet. Die Berliner Stadtverordnetenversammlung wird keine Stadtverordnetenversamm⸗ lung im landläufigen Sinne sein sondern ein Politik treibendes Par⸗ lament. Der Goß Berliner Magistrat wird ein Ministerium sein müssen. Der frühere Minister des 1 des Gesetzes leicht gemacht, indem er gegen das alte Regime den Vorwurf erhob, es habe Berlin nicht groß werden lassen. Ich habe diesen Vorwurf schon damals zurückgewiesen und muß guch gegenüber dem Abg. Dominicus dabei bleiben, daß es 1891 und 1894 gerade der Magistrat von Berlin und die Berliner Gemeindebehörden überhaupt gewesen sind, die der Eingemeindung erfolgreichen Widerstand ent⸗ aegengsseßzt haben, während gerade die vS g.e Parteien an der Ehacfc ichen Ausgestaltung der Groß herliner Verhältnisse im
inne der Vereinheitlichung geneigt gewesen sind. Entscheidendes Ge⸗ wicht hat die Kommissionsmehrheit auf die finanzielle Kalamität ge⸗ legt, die für die Mehrzahl der Groß Berliner Kommunen besteht um zur Einheitsgemeinde zu kommen. Die Regierung hat die Aktiva auf drei Milliarden, die Passiva auf 2,9 Milliarden berechnet. Die tatsächliche Schuldenlast ist ganz erheblich größer und auch durch ein Einhbeitsberlin erscheint die angestrebte finanzielle Sicherheit keines⸗ wegs garantiert. Die Verantwortungslosigkeit, mit der bei der Be⸗ williaung von Ausgaben ohne Deckung verfahren wird, ist mehr als bedenklich. Wir befürchten, daß hinsichtlich der Fingsefraßh eine bittere Enttäuschung eintreten muß, wenn wir das Einheiksberlin erst haben. Es heißt auch der Bevölkerung Sand in die Augen streuen, wenn man in einem Einheitsberlin eine wirkliche lokale Selbstverwaltung im Sinne der Städteordnung noch für möglich hält. Die Einheitsgemeinde bedeutet die Vernichtung der lokalen Selbstverwaltung und den Uebergang zur reinen Bureaukratie. Die Bezirksämter werden blutleere Gebilde bleiben.
Abg. Dominicus (Dem.): Die Kommissionsberatung er⸗ möglicht es der großen Mehrbeit unserer Fraktion, für die Vor⸗ lage in der Ausschußfassung zu stimmen. Der Vorschlag, an die Stelle der Einheitsgemeinde wieder den Zweckverband 8 ehen. muß zurückgewiesen werden, da es unmöglich ist, die einheitlichen Be⸗ ziehungen von Groß Berlin auf ganz wenige Gebiete 8 beschränken.
Innern hat sich die Einführung
Der Antrag der Deutschnationalen greift acht solche Punkte heraus. Ich gebe zu erwägen, daß es unter den heutigen Verhältnissen geradezu ünmöglich erscheint, die für die Finanzen der Gemeinden beinahe ent⸗ scheidende Festsetzung der Löhne und Gehälter anders als einbeitlich für ganz Groß Berlin zu regeln. Gegen den zweiten Vorschlag, den der Gesamlgemeinde, Stellung zu nehmen, wird gerade mir schwer der ich seit Jahren als Vorsitzender des Bürgerausschusses und noch bis vor kurzem dafür eingetreten bin. Die meisten Anstände, die den Uebemang zur Einheitsgemeinde erschwerten, sind indes im Laufe der Kommissionsberatung ausgeräumt worden, und ich habe meiner⸗ seits dazu nicht unerheblich beigetragen. Durch die Kommissions⸗ fassung wird zwischen der notwendigen Zentralisation und der ebenso notwendigen Dezentralisation die mittlere Linie in zweckentsprechender Weise hergestellt. Früher hat die Rechte immer von dem Staat im Staate gesprochen, der durch die Eingemeindung in Berlin ge⸗ schaffen würde, und auch heute klang es durch die Rede des Zentrums⸗ vertreters durch, daß der Einfluß der Gesamtheit gesichert werden müsse, d. h. doch, daß die Selbstverwaltung der Stadt Berlin durch staatliche Eingriffe zu beschränken sei. Da machen wir nicht mit. Man befürchtet, Groß Berlin werde in seiner Vertretung eine starke linksradikale Mehrheit bekommen und das werde auch über den Bereich Preußens hinaus bedauerliche Folgen haben. Auch wir sehen eine solche radikale Mehrheit voraus und leugnen keineswegs, daß auch so manche Hemmungen in den jetzigen Stadwerordnetenversamm⸗ lungen nicht dazu angetan sind, der Achtung und der Würde dieser Versammlungen Vorschub zu leisten. (Zuruf des Abg. Dr. Weyl.) Die Art und Weise, zum Beispiel wie gerade Herr Dr. Weyl in Berlin die Fübrung der Geschäfte handhabt, hat Anlaß zur Kritik in den weitesten Kreisen der Berliner Bürgerschaft, auch bei den Sozial⸗ demokraten, gepgeben. (Unruhe b. d. U. Soz.) Wir fürchten Miß⸗ bräuche durch eine solche radikale Mehrheit deshalb nicht, weil die Reichseinkommensteuergesetzgebung dafür gesorgt hat, daß die Fest⸗ setzung der Steuereinkommen nicht mehr in der Selbständigkeit der Kommunen lsegt, und andererseits sind wir als ehrliche Demokraten überzeugt, daß der gesunde Sinn der gae schon selbst darüber wachen wird, daß solche Auswüchse recht schnell ad absurdum ge- führt werden. Durchschlagend ist aber der sinanzpolitische Gesichts⸗ punkt. Das Zugrundegehen auch nur eingelner Groß Berliner Ge⸗ meinden würde bei der wirtschaftlichen Einheitlichkeit von Groß Berlin nicht ohne verhängnisvollen Einfluß auf das Ganze bleiben. Wir sind gegen Zurückperweisung der Vorlage an den Ausschuß und lehnen die zu § 1 gestellten Abänderungsanträge ab. 3
Abg. Dr. Leidig (D. V.): Die weitesten Kreise der Ber⸗ liner Bevölkerung bringen dem künftigen Groß Berlin sehr wenig Interesse entgegen, das beweift der schwache Besuch des Hese ins⸗ hefondere der Tribünen. Man könnte daraus schließen, daß die Bevöl⸗ kerung mit dem jetzigen Zustande durchaus zufrieden ist. Und doch han⸗ delt es sich darum, daß für alle Gemeinden mit Ausnahme der Stadt Berlin das Ende ihrer Selbstverwaltung gekommen sein soll. Den einzelnen Bezirken verblerbt auch nach der verbesserten Kommissions⸗ fassung keine Selbstverwaltung, sondern nur eine ganz unter⸗ geordnete Betätigung. Vor allen Dingen wird diesen Gemeinden
die finanzielle Selbständigkeit genommen.
Das Interesse an den Verwaltungsarbeiten wird beim Publikum ungefähr so groß sein wie das Interesse an den heutigen Beratungen. Der jetzige Zustand bedarf ’ einer Aenderung, die Notlage einzelner Gemeinden, namentlich im Osten, wird von den westlichen Vororten durchaus anerkannt, ein Ausgleich muß stattfinden. Die sogenannten wohl⸗ habenden Vororte sind aber inzwischen selber hilfsbedürftig geworden infolge der unverantwortlichen Finanzpolitik, da unter Führung der . Sozialdemokraten unüberlegt Bewilligungen vor⸗ genommen worden sind, durch die unsere Finanzen in völlige Un⸗ ordnung geraten sind. Die heutige Zeit ist nicht . tan dazu, die hier vorgeschlagene Organisation durchzuführen und FErxperimente zu machen. Wir dürfen nicht den Kreisen um Adolph Hoffmann und Dr. Weyl entscheidende Bedeutung für die Kommunalpolitik ein⸗ räumen. (Zuruf bei den U. Soz.: Geldbeutel!) Es handelt sich nicht um den Geldbeutel, sondern um Ideale. Wir können nicht den Sprung ins Dunkle mitmachen es handelt sich um das Schick⸗ 8 von 4 Millionen Menschen. Wir verstehen nicht, wie die Demo⸗ aten ch 89 den von ern Dominicus gekennzeichneten Stand⸗ punkt stellen können, er hat die Interessen des Bürgertums nicht gewahrt. Gehen wir vielmehr den Weg, eine Gesamtgemeinde ein⸗ zurichten, dann haben wir immer noch die Möglichkeit, sobald die Verhältnisse sich gefestigt haben, zur Einheitsgemeinde überzugehen. Die Gegensätze zwis den Parteien müssen sich erst ausgleichen. Organisatorisch ist der Gesetzentwurf falsch aufgebaut. Wir können nicht auf die Selbstverwaltungsorgane in den einzelnen Gemeinden verzichten. Die formale Demokratie die darin ihren Ausdruck findet, be alle vier Jahre der Wähler eine von den Parteiführern auf⸗ ellte Liste abgeben darf hat mit Selbstverwaltung verflucht wenig zu tun. Wir verstehen unter kommunaler Selbstverwaltung etwas ganz anderes: der Bürger muß zu tausenden und abertausenden an den wichtigen Arbeiten der Gemeinde persönlich teilnehmen. Dieses Moment wird bei dieser Einheitsgemeinde ö. Berlin erheblich verschwinden. Bezeichnend ist, daß im Ausschuß von linken Seite schon ausgesprochen worden ist, unbesoldete Mit⸗ glieder gehörten in den Magistrat überhaupt nicht mehr hinein. Shlleßch ist zu bedenken, daß der Ruf „Los von Berlinl“ ge⸗ radezu ein politischer Schlachtruf geworden ist. Wir fürchten, daß die Linke die ihr in die Hand gegebene Macht quch ausnutzen wird, und daß aus dem „Los von Berlin!“ ein „Los von Preußen! werden wird. Wir gründen mit dieser Vorlage tatsächlich einen Freistaat Berlin, der Loslösungsgedanfe wird durch diese 3 8S a und der Gegensatz zwischen Berlin und dem übrigen Deutf a
nd verstärkt. (Beifall.)
Unterstaatssekretär Dr. Freund lauf der Tribüne bei der Un⸗ ruhe des Hauses schwer verständlich): Ich bitte, es bei der Ein⸗ heitsgemeinde zu lassen. Ich meine daß gerade die jetzige Zeit dazu geeignet ist, um den Gedanken der Einheit eeinde zu verwirklichen; denn gerade jetzt muß man sich auch auf allen anderen Gebieten auf Neues einstellen. erade die Neubildung der Zentralisation ver⸗ spricht eine gesunde Entwicklung. Gesamtgemeinde und Zweckverband ist dasselbe. In demselben Moment, wo die einzelnen Gemeinden
inen tverband. Es handelt um das allmähliche Aufgehen der Sel tandigkeit der Einzel⸗
irke in die Gesamtgemeinde. Peßn bie
Abg. Leid (U. Soz.): Wir haben süre Bedenken jetzige Kommissionsänderung. Wir wünschen dringend, die Verwaltung der Polizei in die Hand der Gemeinden Frlogt wird; die Staatsregierung 89 alles tun, um dies zu verwirklichen. Der Charakter der alten Städteordnung ist beibehalten worden; das weikammersystem soll nach wie vor bestehen. Das ist auf die er vollkommen unhaltbar. Der Entwurf bringt eine sehr große Verschlechterung in bezug auf die Schulen. Es sind der neuen Zeit keinerlei Konzessionen gemacht worden von den alten Geheim⸗ räten aus dem Ministerium Haenisch. Die Verwaltung der Stadt Berlin soll in sechs Bezirke zerschlagen werden. So sehr wir an⸗- erkennen, daß eine Dezentralisation für Berlin Platz greifen muß, so sind wir doch dagegen, daß noch sechs neue Magistrate geschaffen werden sollen. Wir müssen ein einheitliches Groß Berlin scha und es der Entwicklung der Dinge überlassen, wie sich dann die ess abwickeln. Vom grünen Tisch aus kann man nicht regieren, shalb war es nicht notwendig. im einzelnen von vornherein festgelegt wurde, welche Aufgaben die einzelnen Bezirke haben fer Die Aufgaben ändern sich ja fortwährend. Es ist falsch, Halbheiten zu schaffen. Nach einer gewissen Zeit wird eine derung der Ge⸗ setzbestimmung “ sein, schon im Hinblick auf die kommende Städteordnung. Dem Abg. Dominicus stimme ich vollkommen bei; die Schaffung einer ““ wird nur auf einen geänderten Zweck ind hinauslaufen, wovon wir schon genug haben. Man muß sich wundern, daß ein solches onstrum überhaupt noch existiert, in dem sich die Vertreter der alten Klassenparlamente zu⸗ sammenfinden. Die Vorlage muß schleunigst verabschiedet werden. Die Ausschußverhandlungen sind durch über 150 Anträge, die zur Hintertreibung oder Verböserung dieses Gesetzentwurfs gestellt worden sind, verzögert worden. Der Abg. Leidig macht kein Hehl daraus, daß für seine Partei Gründe politischer RNatur ausschla gebend sind. Nicht nur Berlin, sondern alle Gemeinden sind dur n Krieg an den Rand des Bankerotts Püernns Wenn die west⸗
dgen würden, haben wir eben einen 3 i
lichen Gemeinden finanziell sich besser stehen als die übrigen Ge⸗ meinden, so liegt das daran, daß sie die Arbeiterdevölkerung sich möglichst ferngehalten haben. Wir werden aus pem offenen Ein-. eständnis des Abg. Leidig die notwendigen Schlüsse ziehen. entrum hat alles getan, um den Entwurf zu verschlechtern. Auch ür das Zentrum waren in erster Linie politische Gründe ma gebend. Das Zentrum, dos ja mit in der Koalitionsregierung sitzt, hat den Regierungsentwurf mit sabotiert. Sollte das Gesetz mit Hilfe des Zentrums und der Demokraten abgelehnt werden, so würde das be⸗ weisen, daß sie unfähig sind, in dieser Landesversammlung überhaupt etwas Positives zustande zu bringen. (Lachen.) Was bisher aus dieser Versammlung herausgekommen ist, ist keinen Schuß Pulver wert. Positive Ergebnisse in bezug auf die Verwaltung liegen nach keiner Richtung hin vor. Wir hoffen, daß die Einheitsgemeinde eine solche wird, die auch in der Tat den Namen verdient. Wir werden trotz aller Bedenken für den Gesetzentwurf stimmen.
Hierauf wird ein Schlußantrag angenommen. Der Antrag Lüdicke auf Beibehaltung des Zweckverbandes wird gegen die Stimmen der beiden Parteien der Rechten abgelehnt. Ueber den Antrag des Zentrums, eine Gesamtgemeinde Berlin zu errichten, wird namentlich abgestimmt, wobei zum ersten Male das neue T1L.Ja Menr es durch Kartenabgabe zur Anwendung kommt. — “
Der Antrag fällt mit 134 gegen 121 Stim⸗ men, drei Mitglieder enthalten sich der Abstimmung.
Das Abstimmungsresultat wird von der Mehrheit mit Beifall begrüßt. Im übrigen wird § 1 unverändert nach den Ausschußvorschlägen gegen die Deutschnationalen, die Deutsche Volkspartei, das Zentrum und eine kleine Minderheit der Demokraten angenommen. —
In der weiteren Einzelberatung liegen zu § 4, der für die notwendig werdenden Auseinandersetzungen ein schieds⸗ gerichtliches Verfahren nach Recht und Billigkeit unter Auf stellung einer Anzahl von Richtlinien vorschreibt, Abänderungs⸗ anträge der beiden Parteien der Rechten vor. In den Hüht. linien ist u. a. vorgeschrieben, daß bei der Feststellung von Ent⸗ schädigungen nicht die Steuerkraft der abzutrennenden meinde, sondern die Erhaltung der Leistungsfähigkeit des ver bleibenden Kommunalverbandes maßgebend sein soll. 8
Abg. Dr. Leidig: Der Kreis Teltow wird durch das Gesetz außerordentlich geschädigt. Der Begriff „Leistungsfähigkeit“ ist erwas durchaus Subjektives. Bisher ist immer für die Bemessung von Entschädigungen die Steuerkraft ausschlaggebend gewesoen Wir be⸗ antvagen daher, die neue Einschränkung zu streichen.