1920 / 90 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 28 Apr 1920 18:00:01 GMT) scan diff

Der Ständerat nahm laut Meldung des „Wolffschen Telegraphenbüros“ gestern die Vorlage, betreffend Sub⸗ ventionierung des Wohnungsbaues aus Bundesmitteln, die einen Kredit von 10 Millionen Franken vo sieht, an, ebenso die Vorlage, betreffend Erhöhung der Pensionen der Bundesräte, Bundesrichter und Richter bei eidgenössischen Versicherungsgerichten auf 40 Prozent des Gehalts. Der Nationglrat und der Ständerat genehmigten den Antrag, die Mindestzulagen für eidgenössische Beamte, die 25 Jahre alt sind und mindestens drei Jahre Dienst geleistet haben, auf 2200 Fr. bis zum Höchstbetrag von 5000 Fr. festzuse tzen. Dem⸗ enisprechend werden die Gehätter des Bundespersonals nun⸗

mehr 400 Millionen Franken jährlich betragen gegen 150 Millionen Franken vor dem Kriege.

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Dänemark.

Der König wird

Telegraphenbüros“ in Uebereinstin mung

Ministeriums vorzubereiten.

Die Wahlen zum Folkething hatten folgendes

Schlußergebnis: Liberale 48 Mandate (Gewinn: 4 Mondate), Sozialisten 42 Mandate (Gewinn: 4 Mondate), Konservative 28 Mandate (Gewinn: 7 Mandate), Radikase 17 Mandate (Verlust: 15 Mandate), Erwerbspartei 4 Man⸗ date (Gewinn: 3 Mandate), Freie Sozialdemokraten, Unab⸗ hängige Rechte, Unabhängige Rabikale je 1 Mandat Verlust.

Die Faröer (1 Sitz) wählen später.

Türkei. „Leaut Meldung des „Nieuwe Rotterdamsche Courant“ haben die alliierten Truppen in Konstantinopel den vormaligen Groß⸗ wefir Marschall Jzzet und den Vizepräsidenten des Senats, General Ali Riza, gefangen genommen.

Amerika.

Einer Meldung des „Wolffschen Telegraphenbüros“ zu⸗ folge geben die Militärbehörden von Sonora in Mexiko bekannt, daß die Streitkräfte der Aufständischen die Hafenstadt Manzanilla (Colima) genommen haben. Ein in Los Angeles eingetroffener Pampfer berichtet, daß auch Guaymas von den Sonoratruppen besetzt sei.

Nach einer Havasmeldung hat die aus 1 Bataillon Infanterie und 1 Detachement Kavallerie bestehende fran⸗ zösische Garnison von Urfa, dem östlichsten Posten zwischen Tigris und Euphrat, die Stadt räumen müssen und beim Rückzug im Kampf mit überlegenen tfürkischen und kurdischen Banden beträchtliche Verluste gehabt. Die Räumung sei not⸗ wendig geworden, weil die armenische Bevölkerung sich offenbar mit den Rebellen verständigt habe, den französischen Soldaten die Ernährung zu entziehen und die Wasserzusuhr abzuschneiden.

Wie der Pekinger Korrespondent der „Times“ meldet, verfolgt man im fernen Osten das Vorgehen der Japaner in Sibirien mit Aufmerksamkeit und schließt aus verschiedenen Anzeichen, daß eine Aenderung der japanischen Politik in Sibirien und der nördlichen Mandschurei eingetreten sei. Die Zapaner haben gleichzeitig bei Wladiwostok, Nikolsk und Chabarowsf die Russen angegriffen und geschlagen und befinden sich in dem Besitz der drei genannten Städte sowie verschiedener Eisenbahnstationen. Weiter westlich, wo die Japaner bereits mit der E“ begonnen hatten, find sie wieder vorgegangen und haben im Verein mit den Resten der Truppen Koltschaks und Semenows der Roten Armee eine Anzahl siegreicher Gefechte geliefert, wobei die japanischen Verluste sich auf über 3000 Mann belaufen.

Kunst und Wissenschaft.

Die staatlichen Museen haben eine große Bereicherung durch die Schenkung der Sammlung deutscher Bild⸗ werke von Dr. James Simon erfahren, der schon vor einigen Jahren dem Kaiser Friedrich⸗-Museum seine Sammlung italienischer Kunst übergeben hatte. Von der Sammlung konnte bei dem großen Platzmangel nur ein Teil dem Publikum zugänglich gemacht werden und wurde im Eingangsraum des Museums ausgestellt. Es wurden Proben aus allen Gebieten der mittelalterlichen Plastik gegeben, so⸗ daß man einen Ueberblick über die Bedeutung und Reichhaltigkeit der Sammlung erhaͤlt. Zu den frübesten Stücken gehören die beiden wohl südfranzösischen Grabsteine eines Ritters und seiner Frau, die der Tracht nach noch dem 13. Jahrhundert angehören. Nicht viel später sind Maria und Johannes von einer Kreuzigung, noch voll⸗ ständig in den ruhigen Linien der frühen französischen Gotik. Den ebergang zur Hochgotik vertritt die große französische bemalte

Steinmadonna um 1300. Sie gehört zu einer in der Ile de France weitverbreiteten Gattung, von der auch in Berlin sich noch ein schönes Beispiel in der Sammlung Benno Oppenheim befindet. Als Bei⸗ spiel für die deutsche Kunst des päten 13. Jahrhunderts dienen zwei Kölnische sitzende Marieen mit dem Kind; beide Werke noch in der guten alten Bemalung. Etwas später ist der hinter der kleineren aufgehängte Chormantel, eine sehr seltene englische Arbeit, zu der ein Gegenstück in dem Metropolitan⸗Museum in New York aufbewahrt wird. Die Weiterentwicklung der niederrheinischen Plastik, die in beständigem Zusammenhang mit Frankreich steht, wird am besten durch eine kleine unbemalte Katharina mit dem Rad veranschaulicht. Sie ist in der Mitte des 14 Jahrhunderts entstanden. An sie schließt

sich eine in der Vitrine stehende, noch wundervoll bemalte kleine

Marienfigur aus dem Ende des Jahrhunderts an, die die Eleganz Frankreichs mit der Innerlichkeit Deutschlands verbindet. Die

niederrheinische Plastik aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wird durch zwei große unbemalte Eichenholzstatuetten sehr gut ver-

treten: eine Maria mit Kind und eine hl. Katharina. Auch eins der sehr seltenen Werke holländischer Plastik finden wir hier, ein Haus⸗ altärchen mit der Kreuzigung. Die Flügel sind mit Malereien aus der Schule des Jan Scorel versehen. Herrliche Proben der reizenden Brüsseler Kleinplastiken, meist Marienstatuetten, sind in der Vitrine untergebracht.

versehen ist, sehen wir neben dem wundervol geschnitzten französischen Chor⸗ gestühl, zwischen dem ein aus Spanien stammender großer Schrein mit der heiligen Sippe seine Aufstellung gefunden hat. Die Haupt⸗ stärke der Sammlung liegt aber auf dem Gebiete der süddeutschen Holzplastik. Der barocke Stil Seinbergers, der im Museum schon mit glänzerden Proben vertreten ist, wird durch zwei Heiligenfiguren in glänzender alter Bemalung gezeigt. Die Kunst aus dem Kreise des Twolers Pader veranschaulichen die beiden stehenden großen Rirterfiguren. Aus dem Kreise Syrlins und der Kunst Ulms wurden

nach einer Meldung des „Wolffschen eleg mit dem gegen⸗ wärtigen Ministerium mit den Parteiführern in Ver⸗ bindung treten um die schleunige Bildung eines parlamentarischen

8 ““ kleinen köstlichen Ritterfiguren. Das Relief aus Solnhofer Stein, wahrscheinlich von dem Augsburger Meister Victor Kaiser, führt schon zu dem etwas flachen italienisierenden Stit der süddeutschen Hoch⸗ renaissance. Eine genaue Besprechung der Sammlung wird das nächste Heft der Berliner Museen bringen. Außerdem erscheint in Kürze ein illustrierter Führer.

Die Akademie der Künste beabsichtigte als Frühjahrs⸗ ausstellung eine Uebersicht über die Entwicklung der deutschen Porträtkunst im 19. Jahrhundert zu geben. Bei der Schwierigkeit des Transports ergab es sich nun aber, daß der Hauptteil der aus⸗ gestellten Arbeiten aus Berliner Besitz sich zusammensetzte. Man verzichtete auf die auswärtigen Werke und kam dadurch zu einer geschlossenen Uebersicht der Berliner Bildniskunst des vorigen Jahr⸗ hunderts. Viele verborgene Schätze konnten so gehoben werden, und man gewinnt einen vortrefflichen Ueberblick über das Gebiet der Berliner Porträtplastik, zugleich aber unternimmt man auch einen Gang durch die verschiedensten gesell chaftlichen Kreise der Stadt, der zeigt, daß doch auch hier vor dem Anwachsen zur Weltstadt eine eigenartige geistige Kultur herrschte. Den Anschluß an die graziöse Kunst des 18. Jahrhunderts, an Meister wie Pesne, gibt die ausgezeichnete Zusammenstellung verschiedener Porträts von Graff. In ihnen zeigt sich noch der koloristische Reiz, die große Farbigkeit des späten Rokoko. Zum eigentlichen Klassizismus leiten dann die Arbeiten Schadows und seines Kreises über. Fast als Gegenströmung setzt nun gegen diese etwas nüchternen Arbeiten die Kunst der Nazarener, die Neugotik, ein. Als eins der rei volsten Werke finden wir aus diesem Kreise das Porträt der Geschwister Humboldt von Schick. Steffeck, der mit einer großen Anzahl seiner tüchtigen Arbeiten vertreten ist, leitet schon zu den Malern der modernen Ge⸗ sellschaft, vor allem zu Lenbach und Böcklin über. Unter den Plastiken sind vor allem die Meister aus der ersten Hälfte des Jahr⸗ hunderts und unter ihnen besonders Schadow sehr gut vertreten.

Non kleineren Ausstellungen sind besonders die Ausstellungen von Meidner im graphischen Kabinett von Neu⸗ mann und von Kauffmann im Kunstsalon Gurlitt zu erwähnen. Letzterer lehnt sich stark an die französischen Pointillisten an. Seine Landschaften bieten farbig große Reize. öW

Theater und Musik. 8

Im Opernhause wird morgen, Donnerstag, „Figaros Hochzeit“, mit den Damen von Granfelt, Hansa, Marherr⸗Wagner, von Scheele⸗Müller und den Herren Schützendorf, Philipp, Kraus als Gast, Henke, Bachmann, Philipp und Krasa besetzt, unter der musikalischen Leitung von Dr. Fritz Stiedry, gegeben. Anfang 6 ½ Uhr.

Im Schauspielhause geht morgen „Der Marquis Keith“ in bekannter Besetzung in Szene. Anfang 7 Uhr.

1“

Mannigfaltiges.

Die Reichszentralstelle für Kriegs⸗ und Zivil⸗ gefangene teilt mit: Der Dampfer „Capetown Maru“ ist mit etwa 700 deutschen Kriegsgefangenen aus Ost⸗ sibirien nach Deutschland unterwegs. Er hat bereits am 24. April Schanghai verlassen und geht über Sabang, Port Said nach Hamburg. (W. T. B.)

In der Nacht zum 13. April wurde, wie hiesige Blätter melden, ein ECinbruch in die Schatzkammer des Hildesheimer Doms verübt, aus der ein Teil des Domschatzes geraubt wurde. Den Einbrechern waren u. a. folgende Stücke in die Hände gefallen: ein vergoldetes Kreuz aus dem 14. oder 15. Jahrhundert, ein aus Lindenholz hergestelltes, mit Goldlamellen überzogenes, reich mit Edelsteinen besetztes Muttergottesbild, vier silberne, stark vergoldete Kelche, zwei silbervergoldete Monstranzen, mehrere silberne und goldene Kreuze, ein gotisches und ein romanisches Siegel des Domstiftes und zwei silberne Sedisvakanztaler. Die Gegenstände haben Millionenwert. Die hiesige Kriminalpolizei nahm die Spur der Verbrecher, die nach Berlin wies, alsbald auf, und es gelang ihr, die beiden Kirchen⸗ räuber zu verhaften und alle gestohlenen Gegen⸗ stände, die zum großen Teil zerschlagen und verbogen waren, wieder herbeizuschaffen. Nach Ansicht von Sachver⸗ ständigen dürften sich die wertvollen Gerätschaften, da alle Teile vorhanden sind, einigermaßen wiederherstellen lassen.

Ueber die Witterung in Norddeutschland im Monat Februar 1920 berichtet das Preußische Meteoro⸗ logische Inssitut auf Grund der angestellten Beobachtungen: Wie der Januar, so hatte auch der Februar 1920 durchaus den Charakter eines milden Wintermonats. Seine Durchschnittstemperaturen, von 4-—6 Grad im linksrheinischen Gebiet abnehmend nach Osten hin bis auf 0 Grad im äußersten Ostpreußen, lagen überall erheblich über den Normalwerten. Doch zeigten die Wärmeüberschüsse diesmal keine in die Augen fallende geographische Anordnung, hielten sich vielmehr in ganz Norddeutschland ziemlich gleichmäßig zwischen 2 und 4 Grad. Auch im zeitlichen Verlauf der Temperaturen während des Februar machte sich eine für diesen Monat ungewohnte Gleichmäßigkeit geltend; nur die Tage vom 5. bis 8. brachten mit stärkerer Erniedrigung der Temperaturen, die fast überall zu den niedrigsten Werten des Monats führte, eine bemerkens⸗ werte Unterbrechung der milden Witterung. Fröste hielten sich auch da, wo sie noch häufiger auftraten, in recht mäßigen Grenzen, und allein der Nordosten hatte einige Tage aufzuweisen, an denen das Thermo⸗ meter dauernd unter dem Gefrierpunkt blieb. Die höchsten Tempe⸗ raturen wurden meist am 20. oder 25. beobachtet, sie erhoben sich im Westen bereits über 150 C. Geringe Bewölkung half neben den bohen Temperaturen die Februarwitterung großenteils freundlich gestalten. Namentlich zeichneten sich die Tage zwischen dem 16. und 25., in die auch die höchsten Temperaturen fielen, durch überwiegend heiteren Himmel aus. Ihnen ist es hauptsächlich zuzuschreiben, daß das Monatsmittel der Bewölkungsstärke geringer war als der vieljährige Durch chnittsbetrag. Dementsprechend wurde ein Ueberschuß an Sonnenschein gegenüber den zu erwartenden Monats⸗ summen registriert, der sich in den am meisten begünstigten Gegenden im Süden und Südwesten auf über 50 Stunden bezifferte. Eine Ausnahme machte allerdings der äußerste Nordosten, der stellenweise etwas zu trübe war. Die Monatsmengen des Niederschlags ent⸗ sprachen im größten Teile des Landes, besonders in den ebenen

Aber auch einen der größeren, zum Export berechneten Schnitzaltäre mit bemalten Flügeln, der mit der Brüsseler Fabrikmarke

zwet große Marienfi uren 1 auch eine reizende kleine säugende Maria mit Kind über dem Chorgestühl neben den beiden bayerischen

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Gegenden, mit Beträgen zwischen 30 und 50 mwm etwa den normalen Werten. Nur kleine Bezirke, die sich im Norden und Nordosten zerstreut finden, erwiesen sich als zu naß, dagegen traten Trocken⸗ gebiete in größerem Umfang in der südwestlichen Hälfte auf. Im Rheinland und am unteren Main blieben die Gesamtmengen vielfach unter 20 mm, zu beiden Seiten der Saale sowie in der Altmark gab es sogar Gebiete mit weniger als 10 mm, also nur rund dem vierten Teil des üblichen Februarniederschlags. Wie nach den Temperatur⸗ verhältnissen verständlich, hatte, vom Gebirge abgesehen, allein der Nordosten noch öfters Schnee; sonst wurde nur ganz selten Schneefall beobachtet, der zur Bildung einer Schneedecke kaum mehr ausreichte. Unfreundliches Wetter mit Niederschlägen leitete den Monat ein, da Randbildungen nördlicher Tiefdruckgebiete vorüberzogen, deren Einfluß trotz stark ansteigenden Barometers nur langsam nachließ. Erst vom 5. Februar an kam der Hochdruck voll zur Geltung und rie’ bei Ver⸗ lagerung seines Kernes nach Mitteleuropa eine kurze Periode trockenen, teilweise heiteren Wetters hervor. Der erwähnte Temperaturrückgang in diesen Tagen ist daher vornehmlich auf Rechnung der Ausstrahlung zu setzen. Schon vom 9. Februar an bewegten sich indessen neue Depressionen über Nordeuropa ostwärts, verschafften dabei auf ihrer Südseite warmen ozeanischen Luf strömungen Zutritt zu unserem Gebiet und beeinflußten die Witterung mit Trüͤßung und Niederschlägen. Namentlich der 10. Februar war im Küstengebiet ein niederschlagsreicher Tag: es gingen im äußersten Nordwesten und in Schleswig⸗Holsten Tages⸗ mengen über 20, in Memel sogar über 30 mm nieder, die für die

1“. ö“ Monatssummen natürlich stark ins Gewicht fielen. Den Abschluß die er Schlechtwetterperiode brachte der 15. Februar, an dem über Polen und Westrußland hoher Luftdruck festen Fuß faßte. Seine Auesbreitung verhinderte in der Foig⸗zeit das Vordringen westlicher Tiefdruckgebilde und gestaltete dadurch die Witterung bei uns zunächst beiterer, dann bei Winddrehung nach südlichen Richtungen auch milder. Nach kurz vorübe gehender Störung wurde vom 23. bis 25. Februar unser Wetter neuerdings von hohem Luftdruck beherrscht, der sich nun⸗ mehr aber über Mitteleuropa selbst befand. Er wich am 26. nach Südosten zurück, gestattete so wieder größeren atlantischen De⸗ pressionen bei uns einzuwirken, so daß der Monat mit schlechtem Wetter abschloß.

Leipzig, 27. April. (W. T. B.) hat die Revision des ehemaligen Fähnrichs Oltwig von Hirschfeld verworfen, der am 21. Februar vom Schwurgericht beim Landgericht I in Berlin wegen schwerer Körper⸗ verletzung, begangen durch einen am 26. Januar vor dem Moabiter Gerichtsgebäude auf den damaligen Reichsfinanzminister Erzberger 8. Pistolenschuß, zu 1 ½ Jahren Gefängnis verurteilt worden ist.

Das Reichsgericht

Wien, 28. April. (W. T. B.) Im Verlaufe einer Aus⸗ einandersetzung, die vorgestern in einer Studentenversammlung vor dem Rathause be onnen hatte, entfernten gestern früh die deutsch⸗ nationalen Hochschüler alle und sozialistischen Studenten aus der Universität. Es kam hierbei zu Tätlichkeiten und zum Einschreiten der Polizei, welche Studenten beider Parteien verhaftete. Als Mittags gegen tausend deutschnationale Studenten die Universitätsrampe besetzt hielten, erschien ein Kommunistenführer. Wie die Blätter melden, verlangte er beim Chef der Staatspolizei unter Drohung mit dem Eingreifen der Kommunisten die Enthaftung der sozialistischen Studenten und die Räumung der Universitätsrampe. Schließlich veranlaßte die Polizei die deutschnationalen Studenten, abzuziehen. Das Rektorat verfügte darauf die vorläufige chließung der Uni⸗ versität und die Einstellung der Vorlesungen. Die ameri⸗ kanische Mission wurde wegen der Zerstörungen in der von amerikanischer Seite eingerichteten jüdischen Mensa Academica bei der österreichischen Regierung vorstellig. Tschechische und polnische Studenten, die bei den Zusammenstößen verletzt wurden, haben bei ihren Gesandten Beschwerde eingereicht. Zu anderen Zusammenstößen kam es, wie die „Korrespondenz Wilhelm“ meldet, bei einer gestern vom Ständerat einbe⸗ rufenen Versammlung, da Arbeiter und Jugend⸗ liche in das Versammlungslokal einzudringen ver⸗ suchten. Hieran wurden sie von Polizei verhindert, die mit ge⸗ zogenem Säbel in die vor dem Hause angesammelte Menge stürmte und sie zersprengte. Zwei Bataillone Volkswehr verlangten die Auslieferung derjenigen Polizeibeamten, die von der Waffe Gebrauch gemacht hatten. Es kam zu Tätlichkeiten zwischen Polizeimannschaft und Volkswehrleuten. Schließlich einigten sich aber die Polizet und und Soldatenräte der Volkswehr, worauf die Volks⸗ wehr abzog.

minister hat entschieden, daß von jetzt ab der 1. Mai als Fest der Arbeit zu betrachten ist, und daß das von seinem Ministerium abhängende Personal zu feiern hat.

Aeronautisches Observatorinm. Lindenberg, Kreis Beeskow. 27. April 1920. Drachenaufstieg von 5 ¼ a bis 9 a.

Nelathe Wind euchtig⸗ Richtung Geschwind.

keit Sekund.⸗ Meter

Seehöhe Luftdruck Temperatur Oo0

1 vhcn unten

oben

122

300

500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 3750

745,4 5,8 92 729 710 669 629 590 552 518 486 470

WSW

und Zweiten Beilage.)

1 8 8 8

Opernhaus. (Unter den Linden.) Donnerstag: 88. Dauer⸗ bezugsvorstellung. Figaros Hochzeit. Anfang 6 ½ Uhr. Freitag: Tristan und Isolde. Anfang 5 ½ Uhr.

bezugsvorstellung. Der Marquis von Keith. Anfang 7 Uhr. Freitag: Alkestis. Anfang 7 Uhr. 8 1

Familiennachrichten.

Verlobt: Frau Marga verw. von Hornhardt, geb. von der Recke,

mit Hrn. Hauptmann Oskar von dem Hagen (Charlottenburg).

Verehelicht: Hr. Dr.⸗Ing. Carl Daeves mit Frl. Atta Schäfer⸗ Lansen (Bismarckhütte O. S.). Hr. Joachim Graf von

Arnim mit Freiin Luise von Loön (Botktschow).

Gestorben: Hr. Baurat Carl Dihlmann (Berlin). Hr. Haupt⸗ mann a. D. Rudolf von Brauchitsch (Halensee).

Verantwortlicher Schriftleiter: Direktor Dr. Tyrol,. Charlottenbura

Verantwortlich für den Anzeigenteil: Der Vorsteher der Geschäftsstelle, Rechnungsrat Mengering in Berlin.

Verlag der Geschäftsstelles Mengerina) in Berlin. 8

Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlagsanstalt. Berlin. Wilhelmstraße 32.

Sechs Beilagen

(iinschließlich Börsenbeilage)

Beil

Brüssel, 27. April. (W. T. B.) Der belgische Justiz.

Schauspielhaus. (Am Gendarmenmarkt.) Donnerst. 90. Dauer⸗

&

Erste Beilage

8

Kiichtamtliches. (Fortsetzung aus dem Hauptblatt.)

Deutsche Nationalversammlun 171. Sitzung vom 26. April 1920. Nachtrag.

Die in der gestrigen Nummer d. Bl. auszugsweise wieder⸗ gegebene Rede, die bei der zweiten Beratung des Gesetz⸗ entwurfs zur Ergänzung des 1“ e 8 über die vorläufige Regelung des Reichs⸗ haushaolts für das Rechnungsjahr 12920 in Er⸗ widerung auf Ausführungen des Abg. Dr. Grafen von Posadowsky⸗Wehner (D. Nat.) der Reichsfinanzminister Dr. Wirth gehalten hat, hatte folgenden Wortlaut:

Meine Damen und Herren! Ich bin der Rede des Herrn Abgeordneten Grafen v. Posadowsky mit großer Aufmerksamkeit gefolgt. Ich will seine Mahnung, unliebenswürdig zu sein, einmal einen Augenblick befolgen. Ich richte aber die Worte, die ich jetzt an den Herrn Grafen v. Posadowsky zu richten habe, nicht etwa gegen seine verehrungswürdige Person. Wir, die wir der jüngeren Generation der Politiker dieses Hauses ange⸗ hören, haben immer zu seiner Person mit Hochachtung aufgeschaut. (Sehr wahr! links.) Ich darf das wohl in Ihrer aller Namen sagen. (Lebhafte Zustimmung bei den Mehrheitsparteien.) Aber Herr Graf v. Posadowsky soll es mir nicht verübeln, seine Ausführungen, die er soeben gemacht hat, richten sich zunächst einmal in voller Schärfe gegen die hinter ihm sitzenden politischen Freunde. (Sehr richtig! bei den Mehrheitsparteien. Lachen rechts.) Die Herren sind zu un⸗ whig. Ich bin ja aufgefordert worden, nicht ganz liebenswürdig zu sein. (Sehr gut! und Heiterkeit.) Haben Sie jetzt noch einmal Ge⸗ duld für die Dinge, die ich Ihnen rein sachlich zu sagen habe. Ich will gar keine boshaften Bemerkungen hineinflechten. Der Herr Graf v. Posadowsky hat sich mit aller Schärfe gegen eine übertriebene Ver⸗ mehrung der Beamtenschaft gewandt, und das mit Recht. (Sehr richtig!) Es ist zweifellos eine ungeheure Mehrforderung von Be⸗ umten in allen möglichen Zweigen der Staatsverwaltung eingetreten, und vielleicht ist man nicht stark genug gewesen, im Laufe der Zeit diesen Forderungen gegenüber ein entschiedenes Nein zu sagen. Was sogt aber der Herr Graf Posadowsky dazu, daß mir heute ich war bei den Verhandlungen nicht anwesend ein Antrag Deglerk, Laverrenz, Dr. Oberfohren, Nr. 258, zum Entwurf eines Besoldungs⸗ gesetzes unterbreitet worden ist, in dem verlangt wird, in Ziffer 3 des § 6 den Abs. 2 des Gesetzes, das da in Frage steht, zu streichen und dafür zu setzen:

Die diätarische Dienstzeit darf 5 Jahre, bei Militäranwärtern

4. Jahre, bei den Post⸗, Telegraphen⸗, Fernsprech⸗ und Schreib⸗ gehilfinnen 7 Jahre nicht übersteigen. (Hört! hört! bei den Mehrheitsparteien.)

Die Zahl der einzustellenden Amwärter ist alljährlich von den Ressortministern im Einvernehmen mit dem Reichsfinanzminister festzusetzen.

(Zuruf rechts: Na also!) Ich will vom letzten Satz absehen, denn der letzte Satz spricht sich wegen der Aufnahme der Anwärter für die Zukunft aus. Aber der erste Teil hat die ungeheure Auswirkung, wie mir meine Herren mitgeteilt haben, daß wir dann gezwungen sind, in dem neuen großen Haupthaushaltsetat etwa 70 000 etatmäßige Stellen neu einzusetzen. (Stürmische Rufe bei den Mehrheitspar⸗ teien: Hört! hört! Wahlen!) Nun frage ich Sie, meine Herren: Sind sich die Herren, die den Antrag Deglerk usw. in der Kommission gestellt haben, der großen Verantwortung bewußt gewesen? (Vielfache Rufe: Neir! Wahlmanöver!) Ja, meine Damen und Herren, es ist nicht schwer für einige der Herren Abgeordneten, sich in der Kom⸗ mission populär zu machen.

Der Herr Graf Posadowsky hat gesagt: ein Finanzminister darf sich nicht populär machen, er muß sogar unliebenswürdig sein was mir als Junggesellen gar nicht gut anstehen würde. (Große Heiter⸗ keit.) Aber was soll man denn dazu sagen, wenn eine Partei sich populär machen will, deren großer Führer groß in seiner sozial⸗ politischen Vergangenheit hier im Hause —, wenn er sich auch zu uns wendet, doch tatsächlich in seinen Folgerungen sich mit voller Wucht gegen einen Antrag wendet, den drei seiner Freunde in der Kommission eingebracht haben. (Lebhafte Rufe bei den Mehrheits⸗ parteien: Hört, hört! Abgeordneter Deglerk: Ich werde schon ant⸗ worten!) Ja, wenn Sie mir antworten, darauf bin ich sehr ge⸗ spannt. Ich will nicht liebenswürdig sein, ich sage nur, meine Damen und Herren, die Herren, die den Antrag gestellt haben, sollen sich zetzt die Rede des Herrn Grafen Posadowsky zu Gemüte führen und morgen, wenn die Frage hier zur Entscheidung kommt, sagen: mea culpa, mea maxima culpal (Lebhafter Beifall bei den Mehrheits⸗ parteien.) 1

Der Herr Graf Posadowsky hat eine ganze Anzahl von Zahlen genannt; insbesondere hat er sich mit dem Mammutministerium, dem Reichswirtschaftsministerium, beschäftigt. Soweit ich gehört habe, sind die Zahlen folgende: am 1. Oktober 1919 sind 1399 Köpfe dort vor⸗ handen gewesen, am 1. April 1920 1199, jetzt, nach Abtrennung des Reichsernährungsministeriums, sind zirka 750 Personen dort vor⸗ handen. Dabei ist aber das gesamte Personal eingerechnet einschließ⸗ lich der Scheuerfrauen um die auch nicht zu vergessen. Ich glaube, die Angaben, die gemacht worden sind, sind außerordentlich übertrieben.

Nun hat der Herr Graf Posadowsky sich den Steuergesetzen zu⸗ gewendet. Er hat hier gleichsam das ist nicht eine boshafte Be⸗ merkung, sondern nur eine scherzhafte eine vierte Lesung der Steuer⸗

gesetzgebung vorgenommen. Das ist in diesem Hause nicht üblich. Ich gebe gern zu und habe das in meiner Rede anerkannt, daß der Besitz in Deutschland sehr schwer belastet ist. Das haben, glaube ich, alle anerkannt, die an diesem Gesetzgebungswerke mitgearbeitet haben.

daß draußen genau so wie in diesem hohen Hause Einstimmigkeit dar⸗ über herrscht —im Hinblick auf die kommende große Wahlbewegung —, daß man eben an dem Besitz nicht vorbeigehen konnte. (Zurufe rechts.) Ich wende mich ja gar nicht zu Ihnen. Machen Sie doch einmal Ihre Augen auf, überschauen Sie die Zeitungen, und sehen Sie, wie bereits eine große hetzerische Bewegung inszeniert wird, um die Leute mobil zu machen, die durch die große Steuergesetzgebung ge⸗ troffen sind. (Sehr richtig! bei den Mehrheitsparteien.) Aber wenn Sie mit uns diesen Gedanken vertreten, um so besser.

Nun hat der Herr Abgeordnete Graf von Posadowsky sich einzelnen Steuerproblemen zugewendet, die wir im Haushaltsausschuß erörtert haben. Die Zeitungsnotizen sind völlig unvollständig. Wir haben im Haushaltsausschuß aufrichtig die theoretischen Möglichkeiten erörtert, die uns jetzt noch zur Verfügung stehen, um dem Reich neue Einnahmequellen zu erschließen. Das ist allerdings mehr als eine rein akademische Frage, und wir sind auf den Kernpunkt eingegangen, nämlich auf die Frage, wo neue Steuerquellen sind, die dem Reich sofort größere Summen zuführen könnten. Da sind wir allerdings mit dem Herrn Grafen Posadowsky der Auffassung, daß auf dem Gebiet der direkten Steuern neue große Einnahmequellen vorerst nicht er⸗ schlossen werden können, wenn wir nicht das gesamte Wirtschaftsleben rasch erdrosseln wollen. Da sind wir also durchaus derselben Auffassung wie Sie. Es sind Anregungen an uns herangetreten, und in diesem Zusammenhang habe ich erwähnt, es werde in weiten Kreisen der Gedanke erörtert, ob es nicht möglich wäre, das Notopfer in gewissem Sinne zusammenzudrängen. Es gibt Kreise, die zweifellos dazu bereit wären, und ich glaube, es gibt auch Kreise, bei denen es sehr not⸗ wendig wäre, das Notopfer zusammenzudrängen (sehr richtig! bei den Sozialdemokraten), weil sie sonst aus ihrem kapitalistischen Kreise heraus das Notopfer in einer Form zusammenkratzen, durch Preis⸗ steigerungen und alle möglichen Manipulationen sich die Gelder be⸗ schaffen, so daß der Charakter des Notopfers verloren geht. (Sehr richtigl!) Das war also die rein akademische und theoretische Erörte⸗ rung. Welche Gestalt diese Erörterungen annehmen, wenn wir zum Hochsommer kommen, vermag ich zur Stunde noch nicht zu sagen. Herr Graf Posadowsky hat in weitgehenden Ausführungen einzelne Ministerien behandelt, insbesondere das Auswärtige Amt. Ja, Herr Graf von Posadowsky, ich habe auch mit Staunen die Ziffern im Etat gesehen, die mir da überreicht worden sind. Aber man möge doch einmal daraufhin den Etat prüfen, was die Beamter des Auswärtigen Amts, die außerhalb Deutschlands arbeiten müssen, unter der Berücksichtigung der Valuta für Summen ausgezahlt be⸗ kommen. Ich glaube, man kann 150 Millionen Mark ollein beim Auswärtigen Amt abstreichen, wenn man nicht die Valuta berück⸗ sichtigen müßte. Es ist ja undenkbar, die Beamten draußen zu be⸗ schäftigen, ehne daß mon ihnen das Geld in die Hand gibt, damit sie draußen leben können. Wir haben auch in Baden bei der Eisenbahn⸗ verwaltung die Erfahrung gemacht, daß wir unseren Beamten und Arbeitern, die auf Schweizer Gebiet wohnen, derartige Zuwendungen machen müssen, die mein Kollege Rückert aus Baden nickt mir zu allein für Baden, ich glaube, 70 bis 80 Millionen ausmachen; soviel müssen wir den Eisenbahnbeamten und ⸗arbeitern auf schweizeri⸗ schem Gebiet auszohlen. Man muß nur bedenken, daß ein solcher Mann 6 bis 7 Mark hinlegen muß, wenn er die angenehme oder auch unangenehme Manipulation des Rasierens an sich vollziehen lassen will. Das muß man bei dieser Gehaltsbemessung eben berücksichtigen. Ich führe diese Beispiele nur an, um zu zeigen, daß im Etat Aus⸗ gaben stehen, die unvermeidlich sind. (Zuruf rechts: Aber die Kopf⸗ zahl?!) Ueber die Kopfzahl wird der verantwortliche Vertreter des Auswärtigen Amts, wenn es nötig sein sollte, sich äußern.

Ich habe das Bestreben, die Zahl der Beamten, soviel ich als Finanzminister dabei mitwirken kann, nicht ins Ungemessene gesteigert zu sehen. (Sehr gut! rechts.) Aber gewiß, Herr Graf Posadowsky, ich kann mir auch vorstellen, daß es möglich wird, etwa in Deutschland Monopole aufzurichten in eigener Verwaltung und Regie der be⸗ treffenden Industriezweige, etwa in der Form eines sozialen Mono⸗ pols, ohne gleichzeitig ein ungeheures Beamtenheer auf die Beine stellen zu müssen. (Sehr richtig!) Ich habe diesen Gedanken auch in die Debatte geworfen, und warum? Ja, wir müssen uns doch, wenn der neue Reichstag zusammenkommt, wieder über die Frage der Ausgabendeckung unterhalten. Was wird denn die erste Aufgabe sein, die Sie bekommen? Sie werden einmal den Hauptetat des Jahres 1920 bekommen, und Sie werden in den ersten Tagen, möge der neue Reichstag zusammengesetzt sein, wie er will, z. B. zu prüfen haben, ob das Kohlensteuergesetz aufzuheben oder zu verlängern ist. Ich habe dargelegt, daß der neue Etat in einem der Hauptpunkte auf den Erträgnissen der Kohlensteuer aufgebaut ist, die mit 4,5 Milliarden in diesen Etat eingesetzt sind. (Hört, hört!) Glauben Sie, daß der Reichstag in die Lage kommen wird, etwa am 31. Juli d. J. diese Kohlensteuer aufzuheben? In diesem Zusammenhang, Herr Graf Posadowsky, habe ich angeregt, die Frage zu prüfen, ob bei der Kohlensteuer eventuell noch neue Einnahmen für das Reich herein⸗ zubringen sein werden, und ich habe in der Kommission auf diese unsoziale Seite der Kohlensteuer, die Belastung des Hausbrandes, mit aller Energie hingewiesen. Das haben wir getan, ehe wir die Mahnung des Herrn Grafen Posadowsky in diesem hohen Hause gehört haben. Seine Mahnung war berechtigt, sein Warnungsruf kann durchaus beachtet werden.

nzeiger und Preußischen Staatsanz

Berlin, Mittwoch, den 28 April

1920.

nach außen blendend wirken (sehr gut! und Heiterkeit links), aber solche Anträge müssen dann von dem Verantwortlichkeitsgefühl be⸗ gleitet sein, uns auch die nötigen Einnahmen für solche Anträge zu verschaffen. (Sehr wahr! bei den Mehrheitsparteien. Aber ich glaube, diese Einnahmen sind uns, was den Etat angeht, von der rechten Seite des Hauses versagt geblieben. (Sehr richtig!)

Ich bin also sehr gern bereit, den Anregungen des Herrn Grafen Posadowsky zu folgen; ich darf nur bitten, daß er im Kreise seiner Partei dahin wirken möge, daß seinen Anregungen auch in seinen eigenen Kreisen entsprochen wird. (Bravol bei den Mehrheits⸗ parteien.)

172. Sitzung vom 27. April 1920, Vormittags 11 Uh 5 (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger.)“*)

Auf der stehen zunächst Anfragen. Auf eine Anfrage des Abg. Dr. Hugo (D. Vp.) erklärt ein Vertreter des Verkehrsministeriums, daß unter ewissen Voraussetzungen die Vorarbeiten für den Werra⸗ ain⸗Kanal beginnen können.

Abg. Deglerk (D. Nat.)

schwerung der Abstimmungsvorbereitungen lesien. s. Ein Vertreter der Regierung erklärt, da die Zeit r die Abstimmung noch nicht feststehe, sei anzunehmen, daß jeder noch Zeit seine Eintragung in die Stimmlisten zu bewerkstelligen. ls Paß habe für S hles⸗ wig ein polizeilich abgestempelter Ausweis genügt, das dürfte auch für Oberschlesien zutreffen. Genügend Eisenbahnzüge zur Beförderung der Abstimmungsberechtigten würden zur Ver⸗ fügung stehen. 1 bg. Pohlmann (Dem.) bringt ebenfalls Klagen aus Oberschlesten vor, namentlich hinsichtlich des Verbots an die Staatsbeamten, den Bezirk zu verlassen, der Einführung des Paßzwanges, des Eingriffs in die Gerichtsbarkeit usw. Ministerialdirekkor Behrent: Die Befugnisse der inter⸗ alliierten Oberschlesien ergeben sich aus den Be⸗ stimmungen des Friedensvertrags. Die Einführung einer eigenen Briefmarke und das Ausreiseverbot für Beamte stellen sich als ein Mißbrauch dar. Der 1 ist noch nicht eingeführt. „Hinsichtlich der Gerichtsbarkeit steht die deutsche Regierung auf dem Standpunkt, daß die Einsetzung neuer Geriche nur im Wege des Gesetzes erfolgen kann. Gegen die willkürlichen Maßnahmen der Kommission haben sich die Richter durch Eintreten in den Richterstreik zur Wehr gesetzt. In einem Falle wurde der Richter, der den Amnestieerlaß für rechts⸗ ungültig erklärte, von der Entente seines Amtes entsetzt und binnen 24 Stunden abgeschoben. Auch darauf ist zurüc uführen, daß die Richter ihre Befugnisse nicht ausüben solange nicht die alte demo⸗ kratische Forderung der freiheitlichen Rechtsprechung gewährleistet ist.

Abg. Deglerk (D. Nat.) weist darauf hin, daß die preu⸗ ische Regierung in Uebereinstimmung mit der Reichsregierung

egen das Streikrecht der Beamten ausgesprochen habe, und ob die Reichsregierung diese Auffassung aufrecht er⸗ alte, nachdem sie sowie der Reichspräsident den Beamten für halt⸗ Streik während des Kapp⸗Putsches gedankt habe.

Reichsminister des Innern Koch: Die Auffassung der preußischen Regierung über das Streikrecht der Beamten deckt sich mit der Auf⸗ fassung der Reichsregierung. Mit dem Verhalten der Beamten während des Kapp⸗Putsches hat diese Frage nichts zu tun. Während des Kapp⸗Putsches haben sich die Beamten in anerkennenswerter Ver⸗ fassungstreue auf den Standpunkt gestellt, daß sie den Usurpatoren, die unter Bruch der Verfassung gegen den Willen der Mehrheit des Volbes die Gewalt an sich zu veißen versuchten, schärfsten Widerstand zu leisten hätten. Bei ihrem dementsprechenden Verhalten sind sie entweder den Weisungen ihrer Vorgesetzten gefolgt oder sie haben mangels solcher Anweisungen dem vermuteten Willen ihrer Vor⸗ gesetzten gemäß gehandelt, oder dort, wo die Usurpatoren sich in den Besitz der Gewalt gesetzt hatten, ihre Berufstätigkeit so lange unter⸗ brochen, bis der verfassungsmäßige Zustand wiederhergestellt war, offenbar in der Absicht, auf diese Weise den Erfolg des Putsches zu vereiteln. Tatsächlich haben die Beamten durch ihr Verhalten wesent⸗ lich dazu beigetragen, daß der verbrecherische Kapp⸗Putsch ohne blutige Abwehrmaßnahmen und ohne Bürgerkrieg zu Ende gebracht ist. Wie der Verfassung sind die Beamten auch der verfassungsmäßigen Re⸗ gierung treu geblieben. Wenn die Reichsregierung der Beamtenschaft ihren Dank und ihre Anerkennung für ihr Verhalten während des Kapp⸗Putsches ansgesprochen hat, so ist dies für die durch die Tat hewiesene Treue gegen die Verfassung geschehen. Die Reichsregierung ist der Ueberzeugung, daß die Nationalversammlung in ihrer Gesamt⸗ heit auch ihrerseits der Beamtenschaft ihren Dank und ihre Anerkennung für ihre Verfassungstreue nicht verweigert.

Abg. Deglerk 88 Nat.) teilt im Wortlaut eine von den Gewerkschaften entworfene Vollmacht mit, die der Reichs⸗ und Staatskommissar für Schlesien Dr. Köbisch erteilt hat, wo⸗ nach Eisenbahnbeamte und Arbeiter über die Vorgänge des Um⸗ sturzes vom 13. März verantwortlich vernommen werden können, und fragt, wie sich ein solches Verhalten des Reichs⸗ kommissars mit der Erklärung des Reichskanzlers gegen eine Nebenregierung der Gewerkschaften verträgt.

Geheimrat Wedel: Der oCG hat mitgeteilt, daß er eine solche Vollmacht niemals erteilt habe. Danach erübrigt sich die Schlußfolgerung der Anfrage. 1

Abg. Deglerl fragt zur Ergänzung, ob die Regierung dies ne aufrecht erhält, da den er eine focche Vollmacht vor⸗

beschwert sich über die Er⸗ in Ober⸗

Aber, Herr Graf Posadowsky, ich erinnere noch an einen zweiten Fall, der in schreiendem Widerspruch zu den ideal gehaltenen Aus⸗ führungen steht, die Sie soeben gemacht haben. In der Haushalts⸗ kommission oder in der Unterkommission war ein sehr populärer An⸗ trag, soviel ich mich erinnere, von dem Abgeordneten Beuermann ein⸗ gebracht worden bezüglich der Erhöhung der Grundgehälter für die Beamten. (Widerspruch und Zuruf rechts.) Nein, es war noch ein Antrag Beuermann gesondert eingebracht, der, soviel ich weiß, die Mehrkosten auf etwa 2 Milliarden gesteigert hätte. (Hört, hört!

Aber ebenso notwendig ist es, darzutun, daß es unmöglich ist, an dem Besitz vorbeizugehen. (Zuruf rechts.) Gut, wenn das keine Frage ist, so nehme ich das mit Dank entgegen. Ich möchte nur wünschen,

links. Widerspruch rechts.) Es liegt kein Irrtum vor, sondern es lagen Anträge vor, die Sie gewiß aus freudigem Herzen für die

1—

Beamten gestellt haben ich will Ihnen das nicht destreiten —,

gelesen habe. 3 Geheimrat Wedel: Die Vollmacht müßte erst vorgelegt werden.

Reichsminister des Innern Koch: Bisher ist uns eine derartige Vollmacht nicht vorgelegt worden, es ist uns lediglich ein Druck⸗ exemplar ohne Unterschrift vorgelegt worden. Wenn der Anfragesteller eine eingehendere Antwort hätte haben wollen, hätte er gut getan, die von ihm jetzt angekündigte Vollmacht rechtzeitig vorzulegen.

Abgeordneter Deglerk: Die Regierung gibt also zu, daß ein Vordruck mit diesem Wortlaut vom Reichskommissar ausgegeben ist. (Widerspruch.) h“

*) Mit Ausnahme der Reden der Herren Minister, die im Wort⸗ laut wiedergegeben werden.

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