1920 / 92 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 30 Apr 1920 18:00:01 GMT) scan diff

solden seien, im Lanfe der Jahre „anz erbeblich gewandelt haben. Es war notwendig, ein ganz neues System zu finden. Zu diesem Zwecke sind die Beamten, die sich früher in 53 Besoldungsklassen befanden, in der neuen Besoldungsordnung in 13 Gruppen zusammengefaßt worden. Allein diese Zusammenziehung der 53 Besoldungsklassen in 13 neue Besoldungsgruppen in Verbindung mit der dadurch bewirkten Aufhebung der früheren starren Unterschiede zwischen unteren, mitt⸗ leren und höberen Beamten hat, wie Sie sich wohl denken können, nicht wochen⸗, sondern monatelang sehr eingehende Beratungen bedingt.

Schließlich kam als drittes Moment hinzu, daß die Besoldungs⸗ verhältnisse der preußischen Beamtenschaft nicht ohne weitgehende Uebereinstimmung mit der gleichzeitig in Angriff genommenen Negelung der Besoldungsverhältnisse im Reich geregelt werden konnten. Sie werden es alle billigen und verstehen, daß wir in jeder Phase der Beratungen den größten Wert darauf gelegt haben, uns in vollem Ein⸗ klang mit den Plänen und Entschließungen im Reich zu wissen. Das aber ist auch mit einer der wesentlichsten Gründe dafür, daß Ihnen die Besoldungsvorlagen erst heute unterbreitet werden können. Sie werden aus den Morgenblättern ersehen haben, gaß die Deutsche Nationalversammlung erst gestern nachmittag in später Stunde die ihr von der Reichsregierung vorgelegte Besoldungsordnung verab⸗ schiedet hat. Dabei ist noch eine Reihe nicht unerheblicher Aende⸗

rungen ongenommen worden, von denen wir also erst gestern abend in

sehr später Stunde endgültig Kenntnis nehmen konnten, und die daher erst von gestern abend ab in unsere preußischen Besoldungsgesetzent⸗ würfe hineingearbeitet werden konnten.

Meine Damen und Herren, wenn ich Ihnen gleichwohl bereits heute die preußischen Gesetzentwürfe für die Neuregelung der Beamten⸗ besoldung vorlege, so wird, glaube ich, kaum bestritten werden können, daß wir uns alle erdenkliche Mühe gegeben haben, so schnell wie nur möglich zu arbeiten. Sie werden es aber dann auch erklärlich finden, daß Ihnen die Gesetzen würfe nicht in der sonst üblichen Form über⸗ reicht werden können, da sie noch nicht gedruckt und allen Mitgl'edern des Hauses übermittelt werden konnten, sondern daß ich mich darauf beschränken muß, Ihnen je ein Exemplar der Entwürfe zu überreichen.

Von den Gesetzen, die ich Ihnen zu überreichen habe, bildet das Hauplstück der Gesetzentwurf, betreffend das Diensteinkommen der unmittelbaren Staatsbeamten, das eigenliche Beamtendienst⸗ einkommensgesetz. Dieses Hauplgesetz regelt die Besoldungs⸗ verhältnisse sämtlicher unmittelbaren Staatsbeamten einschließlich der ehemaligen Hofbeamten und der Beamten der Zentralgenossenschafts⸗ kasse. Ich habe bereits erwähnt, worauf dieses Gesetz beruht. Die Beamten sind in 13 Besoldungsklassen eingeteilt neben einigen Gruppen von Einzelgehältern. Die alten Unterschiede zwischen unteren, mittleren und höheren Beamten sind auf⸗ gehoben worden, in allen Stufen sind Uebergangsgruppen geschaffen worden so daß heute für zahlreiche Beamte die Möglichkeit besteht auf⸗ zuste gen, höhere Besoldungsgruppen zu erreichen.

Weiter ist bei der Festsetzung der einzelnen Gehaltssätze darauf Rücksicht genommen worden, daß die früheren sehr großen Unterschiede zwischen den hohen und den niedrigen Gehältern sich bei unseren heutigen Anschauungen nicht mehr aufrechterhalten ließen. Infolge⸗ dessen sind die Steigerungen der Gehaltssätze bei den niederen Einkommensklassen ganz wesentlich größer als bei den höheren. Ich will nur ungefähr andeuten, daß die niederen Gehälter um über 200 Prozent, die mittleren Ge⸗ hälter um etwa 130 Prozent und die höheren um 70 bis 80 Pro⸗ zent gesteigert sind. Auf diese Weise ist eine Ausgleichung der früher bestehenden starken Unterschiede herbeigeführt wornden und damit namentlich die dringend nolwendige Besserstellung der großen Masse der unteren und mittleren Beamten.

Die Beamten sollen in Zukunft zu ihrem Gru ndgehalt einen Ortszuschlag bekommen, der nach den Teuerungsverhältnissen der einzelnen Gemeinden gestaffelt ist und dazu dienen soll, die ört⸗ lichen Preisunlerschiede auszugleichen. reten dann noch Kinderbeihilfen, die in einem Verhäͤltnissatz vom Ortszuschlag bemessen werden, also auch wiederum dieses Moment des Ausglei hs der lokalen Preszunterschiede in sich kragen. Schließlich habe ich bereits erwähnt, daß dazu außerdem noch den Beamten ein besonderer Ausgleichszuschlag gewährt werden soll, der als Ausgleich für die allgemeine Teuerung gedacht ist und in größeren Zeitabschnitten eim jährlich gelegentlich der Beratung über den Haushalt für die Beamtenschaft auf ein Jahr festgesetz werden soll.

Die Regelung der Besoldung für die unmiltelbaren Skaats⸗ beamten bedingte es, daß bei dieser Gelegenheit auch die Besoldungs⸗ verhältnisse für einige andere Beamtengruppen mit geregelt wurden. Dazu gehören in erster Reihe die Lehrer und die Pfarrer, ferner die Altpensionäre. Die Besoldungsverhältnisse der nach dem 1. April in den Ruhestand tretenden Pensionäre wird durch das Hauptgesetz geregelt. Dagegen erlaube ich mir für die Regelung der Verhältnisse der Altpensionäre ein weiteres Gesetz, betr. die ander⸗ weite Regelung der Versorgungsbezüge der zum 1. April 1920 oder zu einem früheren Zeitpunkte in den Ruhe⸗ stand versetzten Beamten, deren Hinterbliebenen und der Hinterbliebenen der vor dem 1. April 1920 verstorbenen Beamten zu überreichen. b

Ferner überreiche ich Ihnen namens des Herrn Kultusministers den Entwurf eines Gesetzes, betr. das Diensteinkommen der Lehrer und Lehrerinnen an den öffentlichen Volksschulen, das sogen. Volks⸗ schullehrerdiensteinkommensgesetz ferner den Entwurf eines Gesetzes, betr. die Bereitstellung von Mitteln zur Aufbesserung des Diensteinkommens der Geistlichen der evan⸗ gelischen Landeskirchen und eines Gesetzes, betr. die Bereit⸗ stellung veon Mitteln zur Aufbesserung des Diensteinkommens der katholischen Pfarrer, schließlich den Entwurf eines Ge⸗ setzes, betr. das Diensteinkommen der Leiter und Lehrer an nichistaatlichen höheren Lehranstalten.

Durch diese sechs Gesetzentwürfe werden die Verhältnisse der in Betracht kommenden Beamten vollkemmen neu geregelt. Es ist begreiflich, daß eine so umfassende Neuregelung der Besoldungsver⸗ hältnisse eine sehr weitgehende finanzielle Be⸗ lastung für die Kasse des preußischen Staates bedeutet. Ich werde mir erlauben, Ihnen diese Belastung zahlenmäßig vorzutragen und Ihnen damit zu neigen, wie stark nach unferen Schätzungen die finanzielle Belastung des Staates durch die Neuregelung der Be⸗ soldungsverhältnisse sein wird.

Im Reiche ist der Nationalversammlung das Besoldungsgesetz

orgelegt worden, ohne daß gleichzeitig über die Deckung des ent⸗ ßehenden Geldbedarfs Gesetzentwürfe vorgelegt und Beschlüsse erbeten 8

N 21 Dazu

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worden wären. Ich beabsichfige, dieses Beispiel nicht zu befolgen, ich halte es vielmehr für dringend notwendig, daß gleichzeitig mit der Verabschiedung so umfassender Gesetze über die Reuregelung der Be⸗ solrung so zahlreicher Beamtenkategorien die Landesversammlung durch die Annahme entsprechender Gesetze dafür forgt, daß auch die erforder⸗ liche Deckung der Ausgaben beschafft wird, damit die neuen Besoldungen der Beamten nicht nur auf dem Papier stehen, sondern dem Staate auch die erforderlichen Mittel dafür aus geordneten Quellen zur Ver⸗ fügung stehen.

Durch die lange Dauer des Krieges, durch die Anleihewirtschaft, die während dieser Zeit betrieben worden ist, durch die unverhältnis⸗ mäßige Steigerung aller Ausgaben in der nachfolgenden Zeit sind leider unsere Finanzen, wie überall, in eine gewisse Unordnung geraten. Es scheint mir hohe Zeit zu sein, daß jede Gelegenheit benutzt wird, um die alte Ordnung auf diesem Gebiet wieder herzustellen. Deshalb möchte ich an dieses Haus die dringende Bitte richten, mit mir darin übereinzustimmen, daß der Grundsatz, keine Ausgaben ohne die erforderliche Deckung zu bewilligen, auch bei der Ver⸗ abschiedung dieser Besoldungsvorlagen verwirklicht werden muß.

Der Gesamtaufwand, der sich aus den neuen Besoldungs⸗ gesetzen ergibt, beziffert sich folgendermaßen. Es sind erforderlich für die Beamten 1942 Millionen, für die Volksschullehrer 2018 Mil⸗ lionen, für die Geistlichen 83 Millionen, das sind zusammen 4043 Mil⸗ lionen. Für diese Beträge gilt es also, die erforderlichen Mittel bereitzustellen. 1

Dazu ist folgendes zu sagen. Die Besoldungen der Volksschul⸗ lehrer wurden bisher in der Weise gedeckt, daß der Staat sich mit einem Viertel an den persönlichen Volksschullasten beteiligte. Dieses Ver⸗ hältnis, das die Gemeinden sehr stark, den Staat verhältnismäßig wenig belastete, wird nicht mehr aufrecht erhalten werden können. Die starke finanzielle Belastung der Gemeinden und die Inanspruchnahme der Einkommensteuer durch das Reich werden es den Gemeinden unmög⸗ lich machen, sich in Zukunft noch wie in dem bisherigen Umfange an der Aufbvingung der Volksschullasten zu beteiligen. Wir müssen uns daher, obgleich auch wir leider nicht mehr in dem früheren Umfange über Steuerquellen verfügen und in dieser Hinsicht ebenfalls sehr großen Schwierigkeiten begegnen, dazu entschließen, einen größeren Teil der

Volksschullehrer⸗Besoedungungen auf den Staat zu übernehmen. Wir

haben in Aussicht genommen, eine Regelung auf der Grundlage zu schaffen, daß das Verhöltnis von früher umgekehrt wird, daß, während früher die Gemeinden drei Viertel und der Staat ein Viertel der Lehrer⸗ besoldungen frug, in Zukunft die Gemeinden nur etwa ein Viertel tragen sollen, während der Staat drei

Viertel der Lehrerbesoldungen übernehmen wird. Wenn

man diesen Modus genehmigt, ergibt sich eine Verminderung der Gesamt⸗ belastung des Staates um die auf die Gemeinden entfallenden etwa 500 Millionen gleich ein Viertel der gesamten Aufwenndungen für die Lehrerbesoldung. Es bleiben daher noch aus Staatsmitteln zu decken 3525 Millionen.

Nun waren in dem Staatshaushaltplan, der dem Hause vorgelegt ist und demnächst zur Beratung gestellt wird, an alten Besoldungs⸗ beträgen bereits vorgesehen für die Beamten 773 Millionen, für die Lehrer 450 Millionen, für die Geistlichen 43 Millionen, das sind zu⸗ sammen 1266 Millionen, die also bereits im Etat vorgesehen und durch entsprechende Einnahmen gedeckt waren. Somit bleiben noch ungedeckt 2259 Millionen. Es sind jedoch im neuen Staatshaushaltplan im vorhinein zur Deckung der kommenden Mehraufwendungen für die Beamtenbesoldungen vorgesehen worden 726 Millionen, um die sich demnach der zu deckende Betrag weiter auf 1533 Millionen vermindert.

Diese 11 Milliarden Mark würden also noch besonders zu decken sein. Dafür steht uns zunächst etwas über Milliarde zur Verfügung dadurch, daß die Eisenbahnen des Preußischen Staates nunmehr durch die übereinstimmenden Beschlußfassungen der Landesversammlung und der Nationaversammlung mit Wirkung vom 1. April d. J. ab in den Besitz des Reiches übergehen. Dadurch vermindert sich die Ausgabenlast des Preußischen Staates um 290 Millionen Mark, die an Zinsen für die Eifenbahnanleihen erspart werden. Wir bekommen außerdem von dem Reich noch ein beträchtliches Kaufgeld, das uns an neuen Zinsen einen Betrag von 280 Millionen einbringen wird⸗ das sind zusammen 570 Millionen.

Wir haben ferner die Möglichkeit und darüber erlaube ich mir Ihnen zwei weitere Gesetzentwürfe zu überreichen, nämlich einen Gesetzentwurf, betreffend den preußischen An teil an der Grund⸗ erwerbssteuer, wweitens einen Gesetzentwurf, betreffend die Er⸗ hebung von Zuschlägen zur Grunderwerbssteuer —, aus der Grunderwerbssteuer uns weitere Einnahmequellen zu erschließen. Bisher standen uns nur 2 Prozent zu. Wir hatten in Aussicht ge⸗ nommen, davon nur 1 Prozent für den Staat in Anspruch zu nehmen. Diese 50 Millionen sind in den Haushalt eingestellt. Wir werden nun auch das andere Prozent mit weiteren 50 Millionen heranziehen müssen. Wir nehmen außerdem durch diese Gesetzentwürfe in Aussicht, daß wir von dem Recht Gebrauch machen, zur Grunderwerbssteuer Zuschläge zu erheben, und zwar in der Höhe von 2 Prozent, wovon wir dann aller⸗ dings die Hälfte, afso 1 Prozent, an die Gemeinden abzugeben haben würden. Uns verbleibt aber ein weiteres Prozent mit weiteren 50 Millionen, so daß im ganzen durch die beiden eben erwähnten Gesetze aus der Grunderwerbssteuer den Staatsfinanzen weitere 100 Millionen zugeführt werden können.

Wrr haben außerdem in dem Ihnen vorliegenden Staatshaushalt

einen Titel für die Umsatzsteuer vorgesehen, es sind aber hinter diesem Titel keine Beträge ausgeworfen worden, weil man damals noch nicht übersehen konnte, welche Beträge möglicherweise aus den preußischen Anteilen an der Umsatzsteuer fließen würden. Auch heute läßt sich das noch keineswegs einigermaßen zuverlässig übersehen. Wir sind jedoch in dieser Lage genötigt, alle möglicherweise verfügbaren Ein⸗ nahmequellen mit in Rechnung zu stellen. Ich möchte deshalb schätzungsweise annehmen, daß wir auch aus der Umsatzsteuer eine Ein⸗ nahme von vielleicht 200 Millionen Mark erhoffen können. Damit ergeben sich im ganzen 870 Millionen Mark an neuen Einnahme⸗ quellen, und es würde dann nachdem also alle die von mir genannten zum Teil neuen, zum Teil uns bereits zufließenden Steuerquellen in Anspruch genommen worden sind —, im ganzen noch ein ungedeckter Rest von 663 Millionen Mark übrig bleiben.

Nun kann man ja hoffen, meine Damen und Herren, daß es möglicherweise zu einer höheren Einnahme aus der Reichseinkommenster kommen wird. Die Einkommen⸗ verhältnisse haben sich in den letzten Jahren so außerordent⸗ lich verschoben, daß heute, zumal da die Veranlagung der Reichs⸗

einkommensteuer noch keineswegs feststeht,

noch keinerlei Ueberblick

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über die möglichen Ergebnisse der Einkommensteuer möglich ist. Aber es kann doch angenommen werden daß die Exrträge beträchtlich größer sein werden, als man sie bisber angenommen hat. Wir hatten im Staatshaushaltsplan eingesetzt ein zu erwartendes Aufkommen in der Höhe der vorjährigen Ergebnisse zuzüglich eines Satzes von 25 Prozent. Ich glaube aber, ohne zu optimistisch zu sein, kann man wohl sagen, daß die Einnahme aus der Reichseinkommensteuer größer werden wird. Ich möchte vorsichtshalber zunächst nur annehmen daß stakt der 25 Prozent mehr sich ein Mehr von vielleicht 37 ¼ oder 40 Prozent ergeben wird. Das würde bedeuten, daß wir auch hieraus mit einer Mehreinnahme von 250 Millionen Mark rechnen können, so daß es auf diese Weise möglich sein würde, den restlichen noch zu deckenden Betrag auf etwa 400 Millionen Mark herabzudrücken.

Meine Damen und Herren, ich muß leider bekennen, daß es bisher nicht möglich geworden ist, Ihnen zur restlosen Abdeckung dieses Betrages weitere Steuergesetze oder Vorschläge zur Erschließung weiterer Einnahmequellen zu unterbreiten. Ich werde aber weiter

bemüht sein, derartige Vorschläge zu finden und sie dem Hause sobald

als möglich zu unterbreiten. Ich möchte heute aber schon die Bitte

aussprechen, daß Sie diesen Ihnen zu unterbreitenden Vorschlägen

eine möglichst wohlwollende Aufnahme gewähren und im Zusammen⸗

wirken mit der Regierung dazu beitragen, daß gleichzeitig mit Inkraft⸗

treten der Besoldungsgesetze auch die Deckung der dadurch erforder⸗ lich werdenden Ausgaben gewährleistet ist.

Vas ich Ihnen vorgetragen habe, meine Damen und Herren, an Belastung der Staatskasse, ist ja nur die Belastung, die sich aus der Neuregelung der Besoldung der Beamten, Geistlichen und Lehrer ergibt sowie aus den Ausgaben für die Pensionäre. Es ist dabei voll⸗ kommen außer Acht gelassen, daß wir damit zu rechnen haben, daß uns auch noch weitere Belastungen erwachsen werden. Ich er⸗ wähne nur als sehr bald zu erwartende Belastung die Gehaltsaus⸗ gaben, die dadurch entstehen werden, daß der Abschluß eines neuen Tarifs für die höheren Lohnangestellten der Reichs⸗ und Staatsverwaltung, ferner eines Tarifs für die Besoldung der Lohn⸗ arbeiter in den staatlichen Verwaltungen nahe bevorsteht, und es ist wohl leider nicht daran zu zweifeln, daß sich auch in der Zukunft noch andere Belastungen ergeben werden, für die dann ebenfalls keine Deckung vorhanden sein würde.

Sie sehen also, daß die Finanzlage, in der wir uns bei Verab⸗ schiedung der Besoldungsvorlage befinden, durchaus nicht rosig ist, und daß wir alles werden aufbieten müssen, um durch gemeinsame Ent⸗ schließungen einen Weg zu finden, um das eventuell entstehende Loch zu decken und restlose Deckung für die notwendigen Ausgaben zu finden.

Ich schließe, indem ich Sie dringend bitte, alles, was in Ihren Kräften steht, zu tun um die Ihnen hiermit unterbreiteten Besol⸗ dungsvorlagen schnellmöglichst zu verabschieden; denn die Beamten haben einen berechtigten Anspruch darauf, endlich in den Bezug ihrer neuen Besoldungssätze zu kommen; sie haben schon viel zu lange darauf warten müssen. Aber auch das deutsche Volk hat einen Anspruch darauf, daß die preußische Landesversammlung diese beträchtlichen Ausgaben nicht beschließt, ohne daß zugleich Ge⸗ wißheit darüber geschaffen wird, woher die Mittel zu nehmen sind. Ich bitte Sie deshalb gleichzeitig vor der Vertagung des Hauses die Ihnen unterbreiteten und eventuell noch zu unterbreitenden Deckungs⸗ vorlagen anzunehmen und damit dafür zu sorgen, daß der alte Grundsatz wieder zur Geltung kommt, vaß keine Ausgaben ohne Deckung bewilligt werden sollen. (Lebhaftes Bravo!)

Auf Antrag des Abg. Linz (Zentr.) werden die Be⸗ soldungsvorlagen ohne Erörterung dem Ausschuß für Be⸗ soldungsfragen überwiesen.

Finanzminister Lüdemann: Ich wollte nur aussprechen. daß dieser Gesetzentwurf, der Ihnen in einem Probeabzug auf Druck⸗ sache 2340 vorliegt, mit zu den Entwürfen gehört, die ich dem Hause überreicht habe. Es ist das Mantelgesetz zu den gesamten darin einzeln aufgezählten Besoldungs⸗ und Deckungsvorlagen. Ich würde deshalb glauben, daß es geschäftsordnungsmäßig keinen Bedenken begegnen kann, über die weitere Behandlung dieses Ihnen gleichfalls über⸗ reichten Gesectzenkwurfs jetzt ebenfalls zu beschließen.

Nach dieser Erklärung wird auch der Entwurf eines Mantelgesetzes (eines Gesetzes, betreffend die Be⸗ reitstellung von Mitteln zu Dienstein⸗ kommensverbesserungen) in erster Lesung sofort erledigt und ohne Erörterung dem Haushaltsausschuß über⸗ wiesen.

Hierauf setzt das Haus die Besprechung der großen An⸗ fragen und Anträge, betreffend die Auflösuna der Ein⸗ wohnerwehren, die Bildung von Ortswehren, die Umbildung und die Verstärkung der staatlichen Sicherheits⸗ polizei, die Zustände im rheinisch⸗westfälischen Industrie⸗ gebiet usw., fort. Zu den großen Anfragen der Deutsch⸗ nationalen, der Deutschen Volkspartei und der Demokraten ist noch eine weitere große Anfrage Deerberg (D. Nat.) über Ent⸗ schädigung für den Aufruhr im Ruhrgebiet und Schutz der Einwohner und des Eigentums getreten.

Abg. Steinbrink (Soz.): Die unerhörte Aaitation und die anverantwortliche Hetze der Deutschnationalen Volkspartei hat wesent⸗ lich zum Kapp⸗Putsch beigetragen. In das Ruhrrepier ist die Unruhe erst durch die Reichswehr, besonders durch die Korps Lützow und Lichtscklag bineingetragen worden. In Düsseldorf baben sich sämtliche Parteien gegen den Major Rudorff als eine ungerignele Perfönlichkeit erklärt, und dieser Erklärung hat auch der Führer der Deutsch⸗ nationalen zugestimmt. (Lebhafte: Hört, hört! links.) Es war leßdig⸗ lich das prevokotorische Auftreten des Militérs was die Arbeiterschaft schließlich zu dem Standpunkt „biegen oder brechen“ gebrackt hat. Der hlene üieg der deutschen Arbeiterschaft hat in den Tagen des Kapp⸗ Putsches gesiegt. In jenen Tagen hoben sich auch die Einwohner⸗ wehren mit ganz winzigen Ausnahmen ale durch'reg regktonä; und kappistisch erwiesen; ihre Reichszentrale begrüßte den Sioaszstreich als die „Wiederberstellung einer ordnungsmaßigen Reaierung“. Mit allen Mitteln muß die allgemeine Entwaffnung durckgefuhrt werden, aber kann man es dem Arbeiter verdenken, daß er Lie Waffen nicht abliefern will wenn er erfährt, daß bez einem einzigen Guisbesitzer 2500 Eewchre vorgefunden wurden, daß bei einer Hausfuckung bei unserem Mitgliede, Herrn von Kessel, unter Stroh versteckt 6 Kanonen und außerdem zahlreiche Maschinenoewebre entdeckt worden find? Eecen den prerozierenden Militerikmus haben sich mit den foßal⸗ demokratiscken Arbeitern auch Hirsch⸗Dunckersche und Bhristlich organi⸗ fierte Arbeiter aufgelehnt urd zur Wehr gesetzt. Schließlich ist es dann zur Bildung der Roten Armee gekommen. Der Stagts. und Reichekemmissar Serering hat sich um die Bemthigung des Ruhr⸗ veviers die größten Verdienste erwerben. Aber die Deutscknationalen und zum Leil leider auch das Zentrum scheinen nichfs Drinalickeres zu wissen, gls in mer nieder auf ihn leszuhacken. Gerode das mili⸗ taristische Element hat auch das rasche Fortschreiten der Beruh aung verhindert, weil es die Arbeiter nicht abziehen lassen, weil es viel⸗

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mehr an ihnen sein Mütchen kühlen wollte. Zum Schlusse haben dann Heute

Banditenkorden und Verbrecherbanden das Feld behauptet. aber müssen wir die bittere Erfahrung machen, daß die vor der mili⸗ tärischen „Bestie“ flüchtenden waffenlosen Arbeiter zu Hunderten und Tausenden verhafter und zu unglaublichen Strafen verurteilt worden sind; auch sind zahlreiche Personen ohne Urteil erschossen worden, ob⸗ wohl es sich da nur ganz ve einzelt um Plünderer gehandelt hat.

Hierauf nimmt der Minister des Innern Severing das Wort, dessen Rede wegen verspäteten Eingangs des Steno⸗ gramms erst in der nächsten Nummer d. Bl. im Wortlaute wiedergegeben werden wird.

Geheimrat Weißmann: Mit der Verhaftung des Dr. Schreiber hat die preußische Staatsregierung nichts zu tun. Die Verhaftung ist der unerhörteste militärische Uebergriff, den man sich denken kann. (Hört, hört!) Für den 14. März hatte die demokratische Partei in Halle eine Versammlung angesetzt, die der Genehmigung be⸗ gurfte. Sie war erteilt worden, aber wieder zurückgezogen worden, weil die Einladung zur Versammlung durch Anschläge in der Stabt bekanntgemacht worden war. Anschlähe in der Stadt waren verboten. Aus diesem lächerlichen Grunde hatte der Militärbefeh shaber die Ver⸗ sommlung wieder verboten. Das Verbot konnte aber nicht rechtzeiti bekanntgemacht werden, deshalb fand eine Versammlung derer⸗ die vor dem Lokale erschienen waren, außerhalb der Stadt statt. Darauf hat der Militärbefehlshaber die Schutzhaft angeordnet. Das ist auch ein Verstoß gegen Art. 37 der Reichsverfassung, der offenbar dem Militärbefehlshaber vollkommen unbekannt war⸗ (Hört, hört!) Er hat nicht einmal den Regierungskommissar um Zustimmung zur Ver⸗ haftung gebeten, wie es nötig gewesen wäre. Er ist inzwischen ab⸗ berufen worden, seine Stelle ist inzwischen neu besetzt worden. (Weiter nichts?) Ich habe erst gestern diese Anfrage bekommen und mit Mühe diese Mitteilung erhalten. Was mit dem Herrn geschehen muß, ist zunächst Sache des Reichswehrministers. Auch das Strafgesetzbuch ist verletzt worden.

Abg. Stieler (Zenkr.); Der Kapp⸗Putsch ist nicht allein die Ursache der Unruhen im Ruhrgebiet. Der ganze Plan war bis ins einzelne hinein schon ausgearbeitet und man wartete in Ruhe auf den geeigneten Zeitpunkt. Es steht fest, daß auch während der Kampf⸗ tage eine bestimmte nachwe sbare Verbindung zwischen der Roten Armee und den Kommunisten des Auslandes bestanden hat. Das geht aus den Aeußerungen des berühmten Kommunistenführers Eppstein in Essen her⸗ vor. Der Kapp⸗Putsch ist zu früh gekommen und darum mußte zu früh losgeschlagen werden. Man hat schon vorher Waffen gehabt. Heute sind mehr Waffen abgeliefert worden, als die Einvohnerwehr und das Korps Lichtschlag gehabt haben. Das beweist, daß heimliche Waffen⸗ lager vorhanden gewesen sind, und daß dieser Plan längst vorbereitet war, lange vor dem Kapp⸗Putsch. (Sehr gut!) Für jeden im In⸗ dustriegebiet war es am 17. März klar. daß Spartakus und Genossen dasjenige versuchten was Kapp und Genossen nicht gelungen war. Man wollte die Diktatur des Proletariats. Schreckenstage im vollsten Sinne des Wortes hat die Bevölkerung dort ausgestanden. Wir sprechen denen die ihr Leben eingesetzt haben für die Wiederherstellung der Ordnung, unsern Dank aus. Es ist ein unerträglicher Zustand daß zu Kommissaren nur Anhänger der Sozialdemokratie eingesetzt werden. Die Reichswehrhetze, die sich heute im rheinisch⸗westfälischen In⸗ dustriegebiet breit macht, können wir nicht mitmachen. Wie soll bei einer solchen Hetze die Reichswehr verfassungs⸗ und regierungs⸗ lreu sein? Haß erzeugt Gegenhaß, und nur Liebe Gegen⸗ Rebe. Weshalb hat man die ins besetzte Gebiet Uebergetretenen gicht unter starker Bewachung den Heimatsbehörden zugeführt? Wir fordern, daß die Säuberungsaktion restlos durchgeführt wird. Eine allgemeine Entwaffnung ist allerdings vor dem 6. Juni nicht denkbar, denn wie sollen angesichks der jetzigen Zustände im bergischen Lande die Wahlarbeiten stattfinden? Ferner wünschen wir eine chnelle Justiz. Fälle aus dem Februar 1919 kommen jetzt erst zur Aburteilung. (Hört, hört!) Dann fordern wir von der Regierung Hilfsaktionen. Die Millionenschäden können die Gemeinden un⸗ möglich übernehmen, da muß das Reich helfen und entsprechenden Vor⸗ schuß zahlen. Wir ersuchen ferner die Staatsregierung, auf das Aus⸗ länderunwesen im Industriegebiet ihr Augenmerk zu richten. Nie⸗ mmd soll eine Waffe haben der dazu nicht berechtigt ist. Dem An⸗ trage Dr. Friedberg stimme ich zu. Ich wünsche daß die Regierung alles tut, um Ordnung zu schaffen und die Verfassung zu schützen ohne Rücksicht auf die Partei oder auf Personen. Wir sind bereit, den Vorfrieden abzuschließen, auf den Minister Severing hinwies als Biel unserer Politik. Wir wünschen, daß das deutsche Volk den

lauben an sich selbst und an seine Wiedergeburt finden möge. (Beifall.)

Abg. Dr. Jordan (Dem.): Wir danken dem Minister für seine Ausführungen und glauben, daß ohne seine Umsicht und kräftige Einwirkung das Unheil noch viel schlimmer gewesen wäre. Man darf nicht jede Gefahr leugnen. Es kommt darauf an, die Verfassung, die für uns Gesetz und Ordnung enthält, aufrecht zu erhalten. Wir müssen unker Vaterland von den vielen Ausländern befreien, die sicher nicht das Wohl des deutschen Volkes wollen. Die Einwohnerwehr hat an sehr vielen Orten versagt. weil sie einseitig eingerichtet war und weil die Zentrale durchaus unzuverlässig gewesen ist. Darum freuen wir uns daß sie wengstens im Industriegebiet des Westens aufgehört hat. Zur Beunruhigung hat ein nicht beträchtlicher Teil der Nresse beigekragen. Die grüne Sicherheitspolizei hat sich durch ihr männliches Auftreten das Vertrauen der Bevölkerung erworben. Ihre niform muß aber so beschaffen sein, daß sie möglichst nicht wie Soldaten aussehen, denn das ist ungeeignet, Sicherheit, Ruhe und Ordnung zu schaffen Gewehre dienen nicht ohne wei teres zur Beruhi⸗ gung der Bevölkerung. Wir bitten darum⸗ daß der Minister bei der Ren gung und Klärung der Verbältnisse der Sicherbeitswehr mit rößter Umsicht und Vorsicht verfährt, Er muß alles tun, um den

ännern der Sicherheitswehr das Vertrauen zurückzugeben, dessen ie bedürfen. (Sehr richtig!) Selbstverständlich ist es unmöglich,

utschisten in ihr zu dulden, aber es darf nicht nach der Partei⸗

gebörigkeit gefroal werden. Wer sich auf den Boden der öffent⸗ sichen Ordnung stellt und auf die Reichsverfassung sich verpflichtet, darf nicht zurückgewiesen werden. Selbstverständlich dürfen die Leute auch außerkalb des Dienstes nicht gegen die Behörde hetzen. die sie an⸗ stellt. Unser Antrag sagt alles, was zur Besserung der Ruhe und Prdnung getan werden kann. Den Antrag Ad. Hoffmann bitten wir abzulehnen. Wir wollen Ruhe und Ordnung und müssen dafür im Wablkampf eintreten. Wir stellen uns auf den Boden der Verfassung, krit'sieren scharf, aber verleumden nicht. Die Masse der Wählerschaft will nicht Verhetzung, sondern Aufflärung; sie will nicht niederreißen, sondern aufbauen. Das Vaterland über der Partei! (Beifall.)

Aba. Rippel (D. Nat.); Die. Macher des Putsches vom 9. November 1918 haben kein Recht, sich moralisch zu entrüsten über die Macher des Putsches vom 13. März 1920. Wir lehnen grundsätz⸗ lick eine gewalttätige Ummwälzung ab, komme sie von rechts oder von links. Schon am 15. März habe ich mich in der Stadtverordneten⸗ verfammlung in Hagen rückbaltlos gegen den Putsch ausgesprochen. dn die Entrüstung der Unabhängigen Sozialdemokraten, die seit

aren und Jabrzehnten die Revolution predigen babe ich kein Ver⸗ 5 Wir müssen zur Ruhe, Ordnung und Urbeitsamkeit kommen, sonst entgeben wir der Katastrophe nicht. Undere Feinde wollen uns nicht zur Rube kommen lassen. Das Vor⸗ gehen der Braß und Ernst hat die Franzosen vielleicht in ihrem Vor⸗ gehen und ihrer Rachepolitik bestärkt und unterstützt. Wir⸗ bätten im Rubrrevier den Putsch⸗ von links auch ohne den Kaxp. Putsch be⸗ kommen. In Hagen fanden schon am 13, März Abends Demon⸗ trationen att, die Mebrbeitssogolisten ließen ein Flugblatt er⸗ sche nen „Auf die Barrikaden!“ Die Unabhängigen Sozialisten ver⸗ keilten in der Nacht bunderttausend Flugblätter und am Montag wmurden zahlkose Nachtichten verbreitet wo überall die Arbeiterschaft sich der Gewalt bemächtigt habe. Herr Lud⸗ wig hat sich zuerst durchaus Mühe gegeben, Blutvergießen zu vermeiden, aber am Sonntag abend hat er veranlaßt, daß sich die Arbeiter zu Tausenden mit den Waffen des Hagener Rathauses aus⸗ rüsteten, daß Tausenden von bewaffneten Arbeitern 150 Reichswehr⸗

soldaten gegenüberstanden. Der Versuch des Herrn Ludwig, diese als

tändnis; das ist pharisäisch.

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Hannover herrscht Ordnung dank

Kappisten hinzustellen, ist durchaus minderwertig. Die Rote Armee trat ganz gleichzertig mit den plötzlich überall auftauchenden „Akt!ons⸗ ausschüssen“ in die Erscheinung. Der Kampf gegen die Reichswehr wurde proklamiert und sollte bis zue Enrwaffnung des letzten Sol⸗ daten fortgeführt werden. Zeitungsberichterstattern hat Herr Ludwig die Stärke der Roten Armee auf 50 000 Man angegeben, hinter denen aber noch Hunderttausende ständen. (Lärm b. d. U. Soz.) Die Frage der Entschädigung mußlte aufgeworfen werden, das ist in der Interpellation Deerberg geschehen. Die Regierung muß da schnell Für die vorgekommenen Räubereien müssen die Aktions⸗ ausschüsse verantwortlich gemacht werden. (Abg. Ad. Hoffmann ruft: Frechheit! und erhält dafür einen Ordnungsruf.) Den Reichs⸗ wehrkruppen haben wir für ihre schwere Arbeit unseren Dank aus⸗ zusprechen. (Lebh. Beifall.)

Abg. Ludwig (U. Soz.): Ich habe derartigen Blödsinn, wie er mir heute untergelegt wird, zu keinem Berichlerstatter geäußert. General v. Watter hat sich auch auf Aufforderung des Bürgermeisters nicht zu einer unzweideutigen Stellungnahme gegen die Kapp⸗Regie⸗ rung sesbeigelsssen, er war stets Monarchist und ist auch am 13. März

icht Republikaner geworden. Die Abmachungen von Bielefeld sind durch die Reichswehr nicht gehalten worden, alles wurde verhaftet, was am 13. März Waffen getragen hatte, auch wenn die Waffen inzwischen abgeliefert waren, und dann geschahen die furchtbaren Will⸗ kür, und Racheakte, die auch der Minister hat zugeben müssen. Zehntausende sind es, die so behandelt werden; wie soll da die Ruhe aufrechterhalten werden? Die Wut der Haß, die sich da aufhäufen, müssen sich doch einmal entladen, wenn die Regierung nicht schleu⸗ nigst dafür sorgt, die Arbeiterschaft gegen die Exzesse der verhetzten Truppen zu schützen. Sonst muß der Regierung der Kampf angesagt werden. Wenn ich diese Wirtschaft sehen muß, verstehe ich diejenigen, die sagen: Lieber in den Häünden der Engländer, als unter dem Schutze der Reichswehr! Daß die Freude am Einheiksstaat im Ruhrrevier verloren ist, daran sind die Kappisten und die Gönner der Reichs⸗ wehr schuld. Die Waffen der Hagener Einwohnerwehr haben die Arbeiter geholt; sie wollten verhindern, daß sie in die Hände der

Freunde des Herrn Rippel fielen. Das Eigentum ist geschützt; bald Reaktion von

eingreifen.

aber wird es nötig sein, die Allgemeinheit gegen die rechts zu schützen. (Beifall b. d. U. Soz.)

Hierauf nimmt der Minister des Innern Severing abermals das Wort; auch diese Erklärung wird erst in der nächsten Nummer d. Bl. im Wortlaute wiebergegeben werden.

Abg. Heilmann (Soz.): Ueber die Vorgänge im Ruhrgebiet ist schon sehr eingehend gesprochen worden. Wir haben hier eine Wahldebatte. Die Deutschnationalen und die Volksparteiler haben diesen Putsch nicht als Parteien gemacht, aber Parteimitglieder sind in führenden Stellungen dabei gewesen, wie Maretzky usw. (Zuruf: Winnig!) Winnig ist aus unserer Partei ausgeschlossen worden. So⸗ bald ekwas aufgedeckt wird was der Rechten unbequem ist heißt es: das haben die Lockspitzel gemacht. Es steht fest, daß sich die Deutsch⸗ ationalen an vwielen Orten begeistert auf den Boden der Kapp⸗Put⸗ chisten gestellt haben. Beide Rechtsparteien mußten sofort am 13. März erklären, daß sie mit diesen Putschverbrechern nichts zu tun hätten. Diese Erklärung haben sie nicht abgegeben, und dadurch das ungeheure Verbrechen verschuldet, das in letzter Zeit am deutschen Volke begangen worden ist. Das Offizierkorps hat sich mit dem Kom⸗ munismus verbrüdern wollen zum Kampf gegen die Entente. Oberst Bauer und General Ludendorff haben mit den Kommunisten ver⸗ handelt über ein gemeinsames Vorgehen. In Hannover ist durch ein rasches Zugreifen die Absicht der Welfischen Partei, Hannvover als selbständiges Königreich zu proklamieren, vereitelt worden. Das Mate⸗ rial wird im Laufe des Wahlkampfes jaksimiliert veröffentlicht. Deutschnationale Abgeordnete, nicht nur Welfen, waren in diesen Landesverrat verwickelt. (Hört, hört!) Da ist es selbstwerständlich, daß auf der äußersten Rechten und auf der äußersten Linken Putschrsten sitzen müssen. Zwei Herren der Deutschen Volkspartei haben noch am 17. März bei mir angefragt, ob ich nicht vermitteln könnte, daß an⸗ läßlich des Kapp⸗Putsches die Deutsche Volkspartei in die Reg erung mit aufgenommen, würde. Dann würden sie dafür sorgen, daß das Militär rasch aus Berlin verschwände. Stresemann wäre Demokrat geworden, wenn man ihn nur gewollt hätte. (Unruhe rechts. Der Kbg. Stendel wird wegen des Zurufs „Unverschämtheit“ zur Ordnung erufen.) Wer die Monarchie haben will, weiß genau, daß nur ein Gewaltstreich sie herbeiführen kann. Ich stelle fest, daß die äußerste Rechte und die äußerste Linke gewalttätig sind. (Heiterkeit.) Es st ein Unterschied zwischen Putsch und Revolution. Die Revolution ist der Abschluß einer langen, organischen Entwicklung, welche die letzten künstlichen Hindernisse zerbricht. Der Putsch ist ein wahnsinniger, aussichtsloser Versuch, unreife Früchte zu ernten oder längst zerfallene Früchte zu konservieren. Uns ist die Revolution des 9. November geglückt. Wer dies geschichtliche Faktum nicht anerkennt, ist ein Ruhe⸗ störer; er sorgt dafür, daß das deutsche Volk nicht zur Ruhe kommen kann; der züchtet den Bolschewismus. (Zurufe rechts.) Ich warne Sie (zur Rechten) vor serem Versuch eines neuen Putsches. Es ist eine starke Radikalisierung des Volkes eingetreten. Kapp⸗Lüttwitz haben ein Feuer angezündet, das weiter um sich gegriffen hat, als sie wollten. Wenn Sie noch einmal einen Brand sscfien dann frißt er ganz Deutschland auf. Die staatliche Aufsicht über die Waffen und die Ortswehr muß durchgeführt werden, damit sie zu einem Instrument der Ordnung werden. 1

Abg. Langer (D. Vp.); Gegenüber dem Abg. Heilmann wegen unserer Haltung beim Kapp⸗Putsch verweise ich auf die Er⸗ klärung des Dr. Heinze in der Nationalversammlung und Dr. v. Krause in der Landesversammlung. Selbstverständlich haben meine Freunde mit anderen Parteien darüber verhandelt, wie durch Zusammenfassung aller Kräfte die als Elemente der Ordnung zu betrachten waren, wir aus den großen Schwierigkeiten herauskommen konnten. Unter diesem Gesichtspunkte allein ist der Gedanke des Koalitionsministeriums ent⸗ standen. Wer die Vorgänge im Ruhrgebiet aus eigener Anschauung kennt, wird die Notschreie der Bevölkerung verstehen. Daß der Auf⸗ stand von langer Hand geplant gewesen ist, beweisen die Aufschriften auf den Armbinden der Roten Armee, die die Bezeichnung Februar 1920 tragen. Der schlimmste Fehler war die Anstiftung des General⸗ streiks. Wir verstehen nicht, daß ein demokratischer Reichsjustiz⸗ minister den Generalstreik als Staatsnotwendigkeit bezeichnen konnte.

Abg. Frhr. v. Wangen heim (D. Hann.): Die deutsch⸗han⸗ noversche Partei lehnt jeden Putsch, wie auch jede Diktatur von rechts oder links ab. Die Reguerung ist aber nicht imstande, uns vor Putschen zu schützen, deshalb müssen wir uns selbst schützen, vnd das geschieht am besten durch unsere wohlorganisierten Einwohnerwehren. In der Einwohnerwehr. Die Deutsch⸗ Hannoveraner lieben ihr Land und Volk; sie sind zuverlässig und brauch⸗ bar, wenn es darauf ankommt, Haus und Hof zu verteidigen. Als in der Stadt Hannoder die Einwohnerwehr gesprengt wurde, traten die Spvartakisten sofort mit Plänen auf. Der Abg. Heilmann hat Briefe verlesen, angeblich von einem Mitgliede des Direktoriums der deutsch⸗ hannoverschen Partei, wonach unsere Partei im Zusammenhang mit dem Kapp⸗Nutsch die Monarchie proklamieren wollte. Er hat den Namen nicht genannt. (Hört, hört!) Solange das nicht geschieht, erkläre ich diese Briefe für erstunken und erlogen. Die Deutsch⸗Hannoveraner 19 Ehrenmänner und treiben keine Politik mit dorpeltem Boden.

ir verfolgen unser Ziel nicht mit Gewalt, sondern auf verfassungs⸗ mäßigem Wege. Der Abg. Heilmann hat nur eine Wahlrede gehalten.

Präsident Leinert bedauert es, den Vorsitz nicht abtreten zu können, um die Ausführungen des Abg. v. Wangenheim als nicht den Tatfachen entsprechend zu kennzeichnen, da ein Vizepräsident nicht mehr anwesend ist.

Die Aussprache schließt, die Abstimmung wird ausgesetzt.

Ein Antrag Dr. Ritter (D. Nat.) auf Einführung von Fahrpreisermäßigungen für die Jugend wird angenommen.

Nächste Sitzung Mittwoch, 5. Mai, 1 Uhr: Siedlungs⸗ vorlage für das Ruhrgebiet, Vorlagen über die öffentliche

Krüppelfürsorge, Abstimmung über die Einwohnerwehr, Notetat.

Schluß gegen 8 Uhr.

In einer gemeinsamen Sitzung der sozialdemokrati⸗ schen und der deutsch⸗demokratischen Fraktion der Volkskammer wurde dem „Wolfsfschen Telegraphenbüro“ zu⸗ folge beschlossen, an der bisherigen Koalition unter voller Wahrung der programmatischen Selbständigkeit beider Frak⸗ kionen festzuhalten und der Kandidatur des früheren Kultus⸗ ministers Buck als Ministerpräsident zuzustimmen.

I11“

Oesterreich.

In der Nationalversammlung gelangten bei der Ver⸗ handlung üͤber das Kapitel Unterricht die jüngsten Wiener Studentenunruhen zur Sprache.

Laut Berscht des „Wolffschen Tel⸗graphenbüros“ erhob der jüdische Nationale Stricker gegen das Verhal en des Rektors und der Pofessoren Einspruch, die nichts unternommen hätten, um die Jugend zur Ordnung zu mahnen Der Kampf gegen die armen verbungerten tüödischen Studenten sei kein Kampf gegen das jüdische Großkapitak. Der Großdeutsche Ursin erklärte, die Kundgebung der deutscharischen Studentenschaft sei keine reaktionäre Demonstration gewesen sondern eine Auflehnung gegen die Judenberrschaft in Oesterreich. Der Redner verlangte in einer Entschließung die Fernhaltung der Ostjuden von den öster⸗ reichischen Hochschulen und die Beschränkung der Zulassung anderer Juden und die deutscher usländer zu dem Hochschulstudinm. Der Großdeutsche Pauly klagte über die Verjuvbung der Wiener Universität. Der Cbristlich⸗Soziale Kunschak verlangte hie Entfernung der Ostjuden aus Oesterreich. Die Studenken⸗ demonstrationen seien der Ausdruck der Volksseele gegen das sich ausbreitende Judentum. „Wir verurteilen, daß deutsche Studenten sich zu Ausschreitungen hinreißen lassen, verlangen aber von der Regierung Beseitigung der Ursachen.“ Der Sohzlal⸗ demokrat Hartmann (österreichischer Gesandter in Berlin) trat den Ausführurgen der Großdeutschen und der Christlich⸗Sozialen entgegen und erklärte bezüglich der Studentenkrawalle, es könne unter den Zivilisierten kein Zweifel darüber sein, daß das, was geschehen sei, Cne Barbarei set. Die Behauptung über die Verjudung der Wiener Ueiversität sei lächerlich. Von 24 Ordinarien an der medi⸗

zinischen Fakultäͤt seien nur zwei Juden oder jüdischer Abstammung.

Ungarn. Aluf Anfrage des Abgeordneten Sigray erklärte in der Nationalversammlung der Ministerpräsident Simonyi Semadam, er habe Bevollmächtigten der italienischen Sozialisten die Besichtigung des Interniertenlagers Heijmasker, wo Kommunisten untergebracht seien, ge⸗ stattet; diese hätten aber den Gefangenen Befreiung durch eine plötzliche Wendung in den inneren Angelegen⸗ heiten Ungarns verheißen, sie in Artikeln der Wiener Arbeiter⸗ zeitung im Namen der drilten Internationale begrüßt und die kommu istisch: Revolution zwäschen den Zeilen in Aussicht gestellt. Der Ministerpräsident protestierte gegen diesen Gast⸗ rech'smißbrauch und hofft auf mehr Loyalität bei den englischen Delegierten, die demnächst einteeffen wüteden. Die Nationalversammlung hat sich gestern bis zum 17. Mai vertagt.

Großbritannien und Irland. .“

Im Unterhause gab der Premierminister Lloyd George vorgestern die mit Spannung erwartete E klärung über dee Verhandlungen von San Remo ab. Er sagte dem „Telegraaf“ zufolge u. g.:

„Bevor die olliierte Konferenz in San Remo zusammentrat, waren einzelne Mißverständnisse enistanden, die an sich ernst genug waren, aber durch mutwilliges Hetzen sehr skrupelloser Per⸗ sonen doch noch viel ernster gemacht wurden. Es freut mich aber, erklären zu können, daß die Luft wieder rein ist. und soweit ich sehen kann, ist jeder von den Ergebnissen von San Remo be⸗ friedigt. Den Deutschen ist mitgeteilt worden, daß von dem Augenblick an, wo die Truppenzahl im Ruhrgebiet auf die in der Note der Alliierten vom 2. August 1919 zugestandene Höhe zurück⸗ gebracht ist, die französischen Trudpen Frankfurt und Darmstadt ver⸗ lassen werden. Die Konferenz hat jeden Verdacht beseitigt, daß der Vertrag von Versatlles nicht zur Anmendung gebracht werden könnte. Wir baben zum ersten Male beschlossen, deutsche Minister zu einer Zusaremenkunft mit alliterten Ministern einzuladen, um verschiedene Fragen zu besprechen. Es besteht keine Meinungsverschiedenheit übe die Entwaffnung, aber bei der Forderung auf Ent⸗ waffnung stößt man auf die große Schwierigkeit, daß viell icht niemand in Deutschland die genügende Macht besitzt, um diesen Beschluß auszuführen. Was die Inischäͤdigungsfrage anlangt, so wünschten wir zu erfahren, welche Vorschläge Deutschland zu machen bat, um seinen Verpflichtungen nachzukommen. Wir wissen sehr gut, daß Deutschlane bei seinen beutigen Zuständen nicht bezahlen kann, aber wir wünschen zu sehen, daß es seine Verpflichtungen anerkennt und darüber nachdenke, wie es sie erfüllen kann. Lassen wir also einen deutschen Minister nach Spaag kommen mit dem einen oder anderen Vorschlag über die Summe, die Deutschland be⸗ zahlen kann, und über die Art der Bezahlung, oder lassen wir ihn einen anderen Vorschlag über die Abtragung der Verpflichtungen Deutschlands machen.“ Lloyd George erwähnte dann die bekannten Beschlüsse über Syrien, Mesopotamien und Palästina und bemerkte, wenn Amerika die Aufforderung des Obersten Rates auf Uebernahme des amerikanischen Mandats ablehnen sollte, so solle Wilson ersucht werden, als Schiedsrichter bei der Fest⸗ stellung der armenischen Grenze aufzutreten. Lloyd George fügte hinzu, Großbritannien, das schon für so vieles verantwortlsch ‚ei, fönne das Mandat unmöglich übernehmen. Ueber Rußland sagte Lloyd Geor za der Oberste Rat habe den Beschluß auf Anknäüpfung von Handelsbeziehungen und Gewährung aller möglichen Erleich⸗ terungen bestätigt Die russische Handelsdelegation werde in Eng⸗ laond zugelassen werden mit Ausnahme von Litwinow, der seiner⸗ zeit seine Vorrechte als amtlicher Vertreter der Räteregierung miß⸗ braucht babe. Lloyd George fuhr fort: „Die Konferenz hat die vollste Har monie in allen Fragen bewirkt, und sie wird durch eine voll⸗ ständige Einigkeit und dieselbe Kameradschaftlichkeit gekenn⸗ zeichnet, die hei der siegreichen Beendigung des Krieges zwischen den Allsierten bestand. Der Lärm, der den Beginn der Konferenz begleitete, war nichts anderes als das Gejammer enttäuschten Ehr⸗ geizes. Die persönliche Verunglimpfung, für die in der inneren Politik Gelegenheit genug ist, die aher dabei, wie die letzten Wahlen gezeigt hese. wenig Schaden anrichten kann, war in diesem Falle darauf erechnet, zwischen uns und unseren Alliterten böses Blut zu machen, und ist dadurch zu einem Vexbrechen geworden.“ Nach diesem Aus⸗ fall gegen seine Kritiker schloß Lloyd George: „Die klaffenden Wunden Europas können nur allmählich geheilt werden, und San Remo bedeutet ein Stadium des Heilungsprozesses.“

Neber die Ruhrfrage sagte Ll yd George noch folgendes: Ueber die Frage der Wiedergutmachung, Entwaffnung usw. bestand zwischen den Alliierten keine M inungsverschiedenheit, sondern nur über solgendes: In einem Teile Deutschlands waren Ruhestörungen aus⸗ gebroch’n, die nicht allein für Deutschland, sondern auch für die übrige Welt eine Bedrohung i rüs Pie Kommunisten waren in dem großen Industriegebiet an der Ruhr geworden. Hätten se dort ihre Macht befestigt, dann würde diese Gefahr viellescht auch anderswohin übergegriffen haben. Die Frage war deshalb, wer sie unterdrücken solle. Die Franzosen waren der Meinung, daß dies