ert wäre. Das haben wir in Spaa gesehen. Aber freie Ver⸗ bindungen, freie Kräfte werden jetzt schon in anderen Ländern gern als Gleiche unter Gleichen behandelt.
Nun ist mir vor wenig Tagen ein sehr interessantes Dokument zugeschickt worden, nämlich ein eigenhändig unterschriebenes, freund⸗ liches Schreiben von dem Peäsidenten des Internationalen Roten Kreuzes, Herrn Mor, einom Manne, der, wie Sie wissen, während des ganzen Krieges auf Grund seiner allgemeinen politischen und völkerrechtlichen Uoberzeugungen viel mehr auf der Seite der Entente, als auf der Seite Deutschlands gestanden hat. Dieser Mann schreibt mir, er habe mit großer Freude gehört, daß das deutsche Rote Kreuz sich mit der deutschen Wohlfahrtsstelle fusioniert habe und nunmehr daran gehe, seine ganze Tätigkeit in einem anderen Sinne aufzubauen. Die Datsache ist mir schon seit langem bekannt. Ich habe schon vor 34 Jahren als leitendes Präsidialmitglied des Reichsverbandes der deutschen Industrie dem jetzigen Präsidenten des deutschen Roten Kreuzes gesagt, er würde auf reichliche Gaben aus unseren Kreisen nur recknen können, wenn er das Rote Kreuz umgestalte aus einer wesentlich miliitärisch orientierten zu einer wesentlich friedlich orien⸗ tierten Gemeinschaft (Zustemmung), einer Gemeinschaft, die es ab⸗ stelle auf die Unterstützung jeder Liebestätigkeit im Frieden, die in den weiten Bezirken der Seuchenbekämpfung und der Notleidendenfürsorge gedacht werden kann.
Das ist tatsächlich jetzt im Werke, und es ist num außerordentlich interessant, daß Herr Ador uns auffordert auf Grund des Artiskells 25 der von uns mitgezeichneten Völlkerbundssatzung in den Kreis der⸗ jenigen Rote Kreuz⸗Organisationen hineinzutreten, die sich um diesen Artikal 25 herumgruppiert habe. Ich darf mir gestatten, den Artikel vorzulesen. Er lautet solgendenmaßen:
Die Bundesmitglieder verpflichten sich, die Errichtung und Zu⸗ sammenarbeit anerkannter freiwilliger nattonaler Organisationen des Roten Kreuges zur Hebung der Gesundheit, Verhütung von Krankheiten und Milderungen der Leiden im der Welt zu fördern und zu begünstigen. Deutzschland ist nicht Bundesmitalied, und wenn wir ietzt tvotz⸗ dem von dem Präsidenten des Roten Kreuzes aufgefordert werden, durch unser Rotes Kreuz, nicht etwa als Regierung, in diesen Teil der Gesamtorganisation einzutreten, so üsst das eine Tür, die uns ge⸗ öffnet wind in den Kreis derjenigen freien Organisationen, die uns als Gleiche unter Gleichen betrachten. Ich halte das für eine sehr annehmbare Form, in der wir uns dem Völkerbunde nähern können, annehmbarer, als wenn wir jetzt zu einer Zeit in den Völkerbund treten würden, wo seine Macht sich noch ausschließlich in den Händen unserer ohemaligen Kriegsgegner konzentriert. Ich danke auch hier an dieser Stelle öffentlich Herm Ador für seine hochherzige Anregung. Ich habe sofort im Kabinett den Antrag eingebracht und die Zu⸗ stimmung des Kabinetts erwirkt, daß die nöligen Schritte geschehen, um die Umorganisption des deutschen Roten Kreuzes herbeizuführen, und ich hoffe, dieser Tage Hereon Ador auch schriftlich anbworten zu können.
Zum Schluß gestatten Sie mir noch, bei dieser Uebersicht über unsere Stellung zu den anderen Delegotionen der Belgier zu ge⸗ denken. Wir haben twotz alles wenig Angenehmen, was in Spaa ge⸗ schehen ist, uns doch nur zu bedanken für die Gastlichkeit der belgischen Regierung. (Unruhe und Zumufe von den Deutschnationalen.) Namentlich der Heur Reichskanzler und ich haben in der Villa des Sorbiens eime sehr amgenehme, stille, waldumvauschte, wenn auch be⸗ scheidene Villa gehabt, die uns bei unserer Arbeit für unsere Nerven außerordentlich viel sympathischer war, alls die großen Hotels unten im Badeleben. Wir sind im dieser Villa ausgezeichnet verpflegt worden, und der Herr Generalsekretär der Konferenz hat alles getan, wos in seinen Kräften stand, um uns die schwierige Aufgabe auch als Mittelsmann mit den Alliierten zu erleichtern.
Wenn sich beim belgischen Volke vielfach noch Gefühle des Hasses gezeigt haben, so sind wir darauf vorbereitet gewesen. Ich möchte mich da der Meinung anschließen, die vor kurzem Lord Robert Cecil im englischen Parlament geämußert hat, und die davauf hinausgeht, daß. wenn sich ein Volk bei einem anderen unbeliebt machen will, es nur einen Teil seines Gebietes zu okkupieren braucht. Ich glaube aber daß der Haß nicht ewig dauern wird. Wir sind das matürbiche Hinter⸗ land von Belgien und daher auf natürliche Interessengemeinschaft angewiesen. So glaube ich, daß die Tätigkeit des neuen belgischen
Gesandten hier, des Grafen de la Faille. der mir vorgestern seinen Besuch gemacht hat, unter besseren Auspizien fortgesetzt wird als sie begonnen hat.
Meine Damen und Herren, Ich komme nun zu den urkundlichen Ergebnissen der Konferenz. Wie Sie wissen, handelt es sich um vier Themata: Die Frage der militärischen Klauseln, die Frage der Personen, denen Schuld in Behandlung der Kriegsfragen vorgeworfen wurde, die Frage der Kohlenlieferungen und die Frage der Wieder⸗ gutmachung im allgemeinen. Ich nehme vorweg Nr. 2, die Frage der Kriegsschuldigen. Hier ist von Anfang an durch das rasche Ein⸗ greifen Lboyd Georges eine natürliche und verständige Methode einge⸗ schlagen worden, kraft deren sich die beiderseitigen juristischen Sach⸗ verständigen bald über die strittigen Punkte geeinigt haben nämlich über die Art der Beschleunigung des Verfahrens. Der Erfolg ist gewesen, daß Aoyd Geonges im britischen Parlament anerbammt hat nicht bei Deutschland liege die Schuld an der Verzögerung des bis⸗ herigen Verfahrens. Wertvoll für uns war, daß bei diesen Ver⸗ handlungen der Sachverständigen die hohe Achtung zum Durchbruch kam, in der die Judikatur des deutschen Reichsgerichts bei den fremden Völkern steht.
Bei der Entwaffnungsfrage hatten wir seinerzeit eine Note nach San Remo gerichtet. um unsere jetzige Heeresstärke beizubehalten. Die Ententenote vom 22. Juni war eine starre Absage; sie war gleich⸗ zeitig ein Diktat, wie wir uns künftig in diesen Fragen zu verhalten haben. Diesem Diktat waren zwei Sätze beigefügt. Erstens: Ihr irrt euch, wenn ihr annehmt, daß wir uns in Spaa über militärische Klauseln mit euch unterhalten wollen; zweitens: Ihr irrt euch, wenn ihr glaubt, wir wollten in dieser Sache noch Noten von euch entgegen⸗ nehmen. Es war infolgedessen korrekt, daß wir wegen der militärischen Fragen nicht unsere ersten Männer nach Spaa brachten. Das hätte geheißen, sich aufzudrängen. Wir konnten nicht wissen, daß inzwischen die Entente anderen Sinnes geworden war, daß Frankreich es bei ihr durchgesetzt hatte, hier die Entwaffnungsfrage zum Probefall für die Vollstreckungsmaßnahmen des Einrückens im Ruhrgebiet herauszu⸗ nehmen. Deshalb war es für uns eine Ueberaschung, als Lloyd
George sagte: wir müssen Herrn Minister Geßler und Herrn General von Seeckt hier haben.
Wie die Verhandlungen verlaufen sind, ersehen Sie aus dem
Weißbuch. Unsere Stellung war schwierig wegen der Festlegung unseres militärischen Standes auf 200 000 Mann als die einzig ver⸗ tretbare Truppenstärke. Das Heruntergehen von diesem Standpunkt ist allmählich, Schritt für Schritt, vor sich gegangen, weil schließlich doch die Delegation der Meinung war, daß die sechs Monate besser waren als drei Tage, und die Entwaffnung in einem Vierteljahr besser als die Entwaffnung bis zum 10. Juli. Wir hatten keinen Rechtsboden unter den Füßen, um die Forderungen der Entente zu bestreiten, sondern bloß die Berufung auf die Schwierigkeiten. Den Appell, den nach dieser Richtung hin der Herr Reichskanzler an das deutsche Volk gerichtet hat, kann ich vom Standpunkte der auswär⸗ tigen Politik nur aufs dringendste unterschreiben.
Was die Frage der Einwohnerwehr betrifft. so hatten wir da als Sachverständigen und gleichzeitig als Regierungsvertreter den bay⸗ rischen Staatsrat von Meindl. Was die Sicherheitspolizei anlangt, so war, allerdings einen Tag später als die anderen, der preußische Minister des Innern Herr Severing zugegen. Aber bei der Methode des Diktats, die die Alliierten einschlugen, konnten diese Fragen nicht mehr sachlich erörtert werden.
Wegen der Einwohnerwehr könnte ich mir denken, daß die An⸗
wesenheit des französischen Gesandten in München eine Erleichterung
und Entspannung der Sachlage nach sich ziehen würde (Zuruf von den Unabhängigen Sozialdemokraten: Was soll das heißen?2), indem über die bayrische Einwohnerwehr, die ganz besonders schwer auf den Stand der Note vom 22. Juni zurückzuführen ist, unmittelbar Fragen und Antworten zwischen dem Ministerpräsidenten von Kahr und Herrn Dard gewechselt werden können, nachdem Herr Dard einmal da ist. (Hört, hört!)
Wegen der Umformung der Sicherheitspolizei wissen Sie aus der Presse, daß ich die Meinung gehabt habe, es wäre gegenüber dem
tiefen Mißtrauen der Entente nützlich für uns, für die Umformung
sachverständigen Rat der Entente zu erlangen, nämlich der franösischen, englischen und italienischen Kontrollkommissionen.
Konstablerschaft besteht. Man weiß, daß die Italiener eine berühmte Karabinieritruppe haben. Man weiß, daß die Franzosen ganz be⸗ sonders darauf aus sind, nachzusehen, daß bei uns in Militärfragen alles mit rechten Dingen zugeht. Also besteht die Auffassung, die die
Zustimmung des Kabinetts gefunden hat, daß man nach der Richtung
hin an die Entente herantreten kann. Vorbereitungen dazu sind im Gange. Wie weit sie sich erstrecken können, liegt nicht in meiner Macht, heute zu äußern.
Das schwerste ist die Frage der Entwʒinung. Ueber die Ent⸗ waffnung hat der Herr Reichskanzler schon einiges gesagt. Viel mehr zu sagen, steht mir nicht zu. Der Entwurf über das Entwaffnungs⸗ gesetz liegt mir hier vor. Er ist aber einstweilen an den Reichsrat gegangen, und Sie wissen, daß, bevor der Reichsrat sich damit befaßt hat, die Drucksache dem Reichstag selbst noch nicht vorgelegt und mit⸗ geteilt werden kann.
Meine Damen und Herren! Ostfragen außerordentlich innig zusammen. die Alliierten nicht eingesehen haben, daß ein Diktat gegen Deutsch⸗ land in der Entwaffnungsfrage, in der Desarmierungsfrage nur Sinn hat, wenn man sich vorher die Stellung Deutschlands zu den Ereig⸗ nissen im Osten gründlich überlegt hat. Das scheint nicht der Fall gewesen zu sein. Ich habe es unterlassen, und zwar mit voller Ab⸗ sicht, in dieser Stimmung, in der mit uns über die Entwaffnungs⸗ frage verhandelt worden ist, das Wort „Bolschewismus“ überhaupt in den Mund zu nehmen. Nur tiefstes Mißtrauen würde uns darauf geantwortet haben. Aber die Dinge selbst werden den Zusammen⸗ hang dieser Fragen den Alliierten inzwischen nahegebracht haben.
Es war die Pflicht der deutschen Regierung, nachdem der Kampf zwischen Polen und Rußland sich den Grenzen Deutschlands genähert hatte, die unbedingte Neutvalitätt Deutschlands auszusprechen. Das ist geschehen! Aber die Bedingungen des ersten Protokolls von Spaa machen es uns schwer, diese Neutralität einzuhalten. Zu den Pflichten der Neutralität gehört, daß man die Grenzen des neutralen Landes schützt gegen den Uebertritt sei es flüchtender, sei es verfolgender Truppen, und bei der schweren Herabsetzung unserer Machtfaktoren aller Art ist natürlich eine solche Aufgabe nicht mehr so zu lösen, wie sie gelöst werden müßte.
Es ist uns durch die „Times“ vorgeworfen worden, daß wir Obstruktion trieben und gegen Polen Stellung nähmen. Davon ist natürlich gar keine Rede. Wir wollen nur dem einen wie dem anderen gegenüber die völkerrechtlich unanfechtbare Basis schaffen. (Sehr gut! bei den Deutschen Demokraten.)
Aus Anlaß dieser Peutralitätserklärung sind in der Oeffentlich⸗ keit eine Reihe von Gerüchten herumgegangen, eine Reihe von Be⸗ sorgnissen entstanden, die durch den Transport von militärischen Zügen durch Deutschland erregt worden sind. Ich habe jedam dieser Ge⸗ rüchte, sobald es mir u. Ohren ham, sofort nachzuforschen gesucht und im allgemeinen bis jetzt nur folgendes gefunden.
Es ist einmal von Curhaven durch Sachsen nach der Tschecho⸗ slowakei ein militärischer Transportzug gegangen. Da handelte es sich um tschechische Legionäre, die als Gefangene oder als Ueberläufer sich in russischer Macht befunden, dann die Waffen ergriffen und als Legionäre gekämpft hatten und nunmehr über Amerika in ihre Heimat zurückbefördert wurden. Sie kamen in vollem Waffenschmuck nach Cuxhaven. Die Waffen wurden ihnen abgenommen. Die Sache wurde so arrangiert, daß der Zug zuerst die Truppen und dann die Waffen brachte; nachher bei Ueberschreitung der Grenze der Tschecho⸗ slowakei wurden ihnen die Waffen wieder ausgehändigt. Das ist, glaube ich, der Anlaß eines Vorfalls, den die Abgeordnete Frau Zietz dem Herrn Reichskanzler amitgeteilt hat.
Aber es sind noch andere Sachen vorgekommen. Ich habe hier eine Mitteilung. die ich weiter gegeben habe, und die heute in den Abendzeitungen stehen wird:
Amtliche Nachrichten bestätigen, daß ein augenscheinlich mit Kriegsmaterial beladener, nach Polen bestimmter Zug, aus Koblenz kommend, in Marburg aufgehalten worden ist. Es handelt sich offenbar um einen der sogenannten Polenzüge, die auf Grund des deutsch⸗polnischen Wirtschaftsabkommens vom 22. Oktober 1919 zum Teil mit Militärgütern, zum Teil mit Gütern für die Zivil⸗
Mit der Entwaffnung hängen die
bevölkerung durch⸗Deukschland geführt werden. Die Eisenbahn direktionen haben bereits vor dem Vorfall telegraphisch Anweisum erhalben, derartige Züge nicht mehr mitzunehmen
— es kommt nur roch ein kleiner Rest in Frage —, doch scheint dierer Zug beim Eintreffen der Anweiserna bereit auf deutschem Gebiete gewesen zu sein. Weitere Weisungen werden ergehen, sobald nähere amtliche Feststellungen über den Inhalt de Zuges vorliegen. G
Man weiß, daß z. B. in einzelnen Dominions, namentlich in Kanada, eine sehr gute
Es ist unbegreiflich, daß
Meine Damen und Herren, meiner Ansicht nach ist die Ney tralitätserklärung ein staatlicher Hoheitsakt, der, soweit es sich un Verletzungen der Neutralität handelt, früheren Verträgen vorgeh
Es ist das allerdings noch eine Streitfrage, die auch in der Geschichte
des Weltkrieges eine Rolle gespielt hat. Jedenfalls kann ich ver sichern, daß ich den Herrn Reichskanzler und das Kabinett so beraten werde, daß wir uns streng in den Bahnen des Rechts und in der Bahnen paritätischer Behandlung der beiden Kriegführenden halte Es ist auch jetzt vom Kabinett publiziert worden, und es wird heut abend folgende Entschließung herauskommen:
Die Reichsregierung hat unter dem 25. Juli eine Verordnu erlassen, wonach im Hinblick auf die Neutralität Deutschlands i Kriege zwischen Polen und Sowjetrußland die Ausfuhr und Durch fuhr von Waffen, unitioMn, Pulver und Sprengstoffen sowie von anderen Artikeln des Kriegsbedarfs verboten wird, soweit dieß Gegenstände für die Gebiete eines der beiden kriegführenden Lände bestimmt sind.
Die Reichsregierung hat mit dem Erlaß. dieses Verbots vo einer ihr nach anerkanntem Völkerrecht zustehenden und durch di Bestimmungen des Versailler Vertrages unberührt gebliebenen B. fugnis Gebrauch gemacht. Dadurch ist jeder Möglichkeit vorgebeug daß eine kriegführende Partei vor der anderen durch Zufuhren voß Waffen usw. durch deutsches Gebiet begünstigt wird.
Hier ist die völkerrechtliche Unterlage etwas anders wie bei der Nichtdurchlassen der Züge durch unser Territorium. Dann sind wir durt den Friedensvertrag in bezug auf Durchfuhr⸗ und Einfuhrfrage na⸗ moncher Richtumg hypothekarisch bellastet. Einmal haben wir na dem Friedensvertrage in bezug auf die Desarmierungsfrage d. Pflicht, eine große Masse von Material der Entente zur Verfügun zu stellen, und man könnte sich denken, daß die Entente beschließer V würde, dieses Material an Polen weiterzugeben. Das würde der
Friedensvertrage widersprechen; denn es heißt in dem betreffende Artikel ausdrücklich, daß die Waffen zur Zerstörung ausgeliefer werden (sehr richtig!); nicht, um zu neuem Waffengange zu diene sondern um Deutschland waffenlos zu machen, hat die Ueberlieferun zu erfolgen.
eine Anerkennung der russischen Sowjetrepublik liege, und es i uns ein Vorwurf daraus gemacht worden, daß wir eine solche An erkennung ausgesprochen haben. Das beruht auf einem Irrtum Die russische Sowjetrepublik ist in dem Moment anerkannt worder wo wir in Brest mit ihr in Friedensverhandlungen eingetreten simd (sehr richtig!), und seit dem Moment hat die Anerkennung niemalt eine Zurücknahme erfahren. Wir haben allerdings in unseren Be⸗
kau ermordet wurde, und als die Sowjetrepublik nicht in der Lage war, uns die Mörder zu stellen und sie zu bestrafen, haben wir die Beziehungen abgebrochen. Seit der Zeit sind offizielle Beziehungen nicht mehr zwischen uns aufgenommen worden. Wir haben weitern hin durch den Friedensvertrag von Versailles ausdrücklich auf all
insbesondere auch auf die Verträge von Brest. Hierdurch aber ist die Tatsache des Friedensschlusses und die Tatsache der Anerkennn nicht rückwirkend aufgehoben. (Sehr richtig!)
Wir haben ferner in dem Friedensvertrage alle diejenigen Ver träge als für uns verbindlich anerkannt, die in Zukunft einmal die Entente mit Rußland und anderen dem früheren russischen Reiche territorial angehörenden Staaten abschließen würde. Darin liegh aber keineswegs für uns ein Verbot, die Sowjetrepublik anzuerkennen und mit ihr in diejenigen Beziehungen zu treten, die uns angebracht erscheinen. (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.) Meine Damen und Herren, wir haben nicht vor, die Sowjetrepublik deswegen als Paria zu behandeln, weil uns ihre Regierungsmethoden nicht ge⸗ fallen, wir haben selbst zu sehr unter der Behandlung als Paria ge⸗
wollten. Meine Damen und Herren, ich sehe der Entwicklung im Osten nicht mit der Sorge entgegen, wie vielleicht manche unter Ihnen. Ich
einen ungewöhnlich klugen Mann. Ich glaube nicht, daß es im Inter⸗ esse der Sowjetrepublik liegt, Deutschland mit mordenden und brennen⸗ den Horden zu überziehen. Was die Sowjetrepublik braucht, ist wirt⸗ schaftliche Unterstützung. Sie haben sich durch Ueberspannung der Räteidee eines großen Teiles der wirtschaftlichen Kväfte beraubt, die die Wiederherstellung der zerrütteten Wirtschaftsordnung in Somwjet⸗ rußland ermöglichen. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die in Rußland nichts als Chaos sehen. Ich weiß aus eingehenden Berichten un⸗ abhängiger vnd kenntnisreicher Männer, daß in Sowjetrußland eine geradezu enorme aufbauende Wirtschaft geleistet wird, eine Arbeit, bei der wir gut täten, uns nach mancher Richtung hin ein Muster zu nehmen. (Hört, hört! und Sehr richtigl bei den U. Soz.) Ich bin gern bereit, Ihnen darüber Material zu geben. (Erneute Zurufe von den U. Soz.) Meine Herren, wenn sie wüßten, wie in Rußland das Problem der Vereinfachung der Krafwermittlung im Lande und das der Parallelisierung der gegeneinanderlaufenden Kräfte, der Vereinheit⸗
genommen ist, so würden sie vor der Tatkraft und der Kenntnis der damit betrauten Spezialisten Respekt haben. (Zurufe bei den U. Soz.: Das habt ihr nicht erwartet! — Heiterkeit.) — Meine Damen und — Herren, es ist mir vollständig einerlei, was Sie vom mir evwarten, wenn ich mich verpflichtet fühle, Ihnen zu sagen, was ich für die Wahr⸗ heit halte! (Zuruf bei den U. Soz.: Das war nicht an Sie gerichtet, sondern an die Rechte!)
Herr Lloyd George hat in seiner Rede gesagt, hier wäre eine große Versuchung für Deutschland, sich jetzt seiner Verpflichtung aus dem Friedensvertrage dadurch zu entziehen, daß es sich in die Arme Sowjet⸗
8— 8
(Fortsetzung in der Zweiten Beilage.) 8
Es ist dan gesagt worden, daß in dieser Neutralitätserklärunds
ziehungen allerlei Wechselfälle erlebt. Als Graf Mirbach in Mos
Verträge verzichtet, die wir bisher mit Rußland abgeschlossen hatteng
litten, als daß wir diese Behandlung anderen angedeihen lassen
habe Tschitscherin in Brest⸗Litowsk kennen gelernt und halte ihn für
lichung der Kraftquellen jetzt in Angriff genommen wird und in Angriff,
8
en Reichsanzeiger ud Preußischen Staatsanzeiger
Verlin, Dienstag, den 27. Fuli
8 1920
(Gortsetzung aus der Ersten Beilage.)
rußlands würfe, daß es, selbst um den Preis der Amanchie, den Alliierten
gegenüber träte und sich aus den Ketten des Vertrages von Versailles befreite. Meine Damen und Herren, das ist nicht unsere Absicht und nicht der Leitstern, den ich der auswärtigen Politik des Deutschen Reiches wünsche. Denn das würde heißen, daß Deutschland das Schlacht⸗ feld zwischen dem östlichen Bolschewismus und dem westlichen Im⸗ perialismus würde. (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.) Ich muß bei der Uebersicht der Ostfragen noch kurz Polen berühren. Wir wollen ebensowenig Polen schaden, wie wir Sowjetrußland sschaden wollen. Die Verantwortung für Deutschland, sich an einem Schritt zur Unterstützung Polens zu beteiligen, würde ungeheuer groß sein; aber ebensowenig wollen wir, daß durch unsere Mitwirkung Polen ein⸗ fach von der Bildfläche verschwindet. Wir werden damit rechnen müssen, mit dem polnischen Volke, das einer so außerordentlich starken nationalen Begeisterung fähig ist und eine so starke nationale Eigen⸗ art bewiesen hat, als Nachbar zum Nachbar zu leben, selbst, wenn auf die Dauer die internationalrechtlichen Bedingungen des polnischen Staates sich so gestalten möchten, daß sie nicht mehr ganz souverän sind. Ich stelle das nur als eine Möglichkeit hin. Selbst wenn es Sowjetrußland gelänge, bei Verhandlungen mit Polen durchzusetzen, daß Polen sich wieder unter eine Art von russischer Suzeränität stellte, selbst dann wäre es für uns wichtig, mit Polen gute Beziehungen zu erhalten.
Meine Damen und Herren, ich glaube allerdings, daß Polen eine sehr trübe, unsichere uhd unglückliche Zukunft haben wird, wenn es für seine Aufgabe halten wird, die Barriere zwischen Rußland und Deutschlanb zu sein (sehr richtig!), eine Barriere, zu der leider manche nicht gutberatene Politiker es machen wollen. Es wird aber eine glückliche und sichere Zukunft haben, wenn es sich entschließen kann, eine Brücke zwischen Rußland und Deutschland zu sein. (Erneute lebhafte Zustimmung.) Dazu, daß es diese Brücke wird, müssen wir aber auch das Unsrige tun. Deshalb beklage ich es so, daß eine Politik der Schikanen und der Ungerechtfertigtkeiten von polnischer Seite gegen uns getrieben wird, eine Politik, die es uvns gar nicht ermöglicht, uns mit der nötigen Regelmäßigkeit Polen gegenüber zu verhalten. Denn wenn die eine untergeordnete Behörde, aufgestachelt durch was weiß ich, eine Militärpartei oder eine Chauvinistenpartei (Zurufe von den U. Soz.) — gewiß, die gibts überall! — vorgeht, dann ist es nicht möglich, daß auch bei uns die unteren Behörden sich so gegenüber Polen verhalten, wie es unter Nachbarn erwünscht ist. Ich bin darüber mit Herm Schebeko, dem Minister und Geschäftsträger Polens hier in Berlin, vollkommen einer Meinung, und ich habe mich mit ihm in der Be⸗ ziehung so ausgesprochen, daß ich vollständig überzeugt bin, er wird seine Regierung nach der richtigen Seite beraten. Meine Damen und Herren, ich kann nur wiederholen, es ist bei gewissen Vorgängen von polnischer Seite außer halb meiner Macht, mit Repressalien von deutscher Seite zurückzuhalten. Aber die Besorgnis der französischen Presse, daß wir beabsichtigten, Polen von Preußen aus mit Krieg zu überziehen, ist eine Chimäre, und ich kann diese Besorgnis mur aufs nachdrücklichste als irrig mrüchweisen.
Ich bin nun begierig, meine Damen und Herren, ob bei den Ver⸗ handlungen, die demnächst über die Ostfrage zwischen der Entente und Sowie bruffland begimmen werden, und über die wir heute telegvaphissche Depeschen erhalten haben, die Entente wieder den Fehler machen wird, den sie in Versailles gemacht hat, als sie dort die Fragen des west⸗ lichen und mittleren Europas zu lösen untemahm, nämlich wieder ohne Deutschland vorzugehen. Wenn sie das tut, dann wird der Friede im Osten ein Kartenhaus werden noch viel wackliger und fallsüchtiger, als der Friede von Versailles je werden kann.
Bei der Frage der Neutralität im Osten ist uns nun neuerdings ein Zwischenfall vorgekommen, den ich doch noch mit wenigen Worten vor Ihnen auseinanderlegen möchte. Das ist die Frage des österreichi⸗ schen Kriegsgefangenentransports, den wir vor kurzem angehalten haben. Die Sache liegt folgendermaßen. Es bestehen drei Verträge: ein Vertrag zwischen Oesterreich und Deutschland, wonach Deutschland sich verpflichtet hat, die österreichischen Kriegsgefangenen russischer Nationalität auf Wunsch der österreichischen Regierung in Transport⸗ zügen unter österreichischer Bedeckung via Stettin nach Rußland zurückzubefördem, zweitens eine Vereinbamung zwisschen Deutschlland und der Entente, wonach uns die Entente zur Beförderung solcher Kriegs⸗ gefangenentransporte Schiffsraum zur Verfügung gestellt hat; endlich ein Vertrag zwischen Oesterreich und Sowjetrußland, wonach Oester⸗ reich sich verpflichtet, damit es die österreichischen Gefangenen aus wssischer Hand zrückerhäölt, gleichzeitig die volitischen Gefongenen. für die sich Sowjetrußland intressiert, mit den Kriegsgefangenen an Ruß⸗ auszuliefern. Sie sehen, meine Damen und Herren, daß dieser dritte Vertrag nicht in Eimkloma zu brimaen ist mit den beiden ersten Ver⸗ trägen, und deshalb hat Deutschland sich auch niemals damit einver⸗ standen erklärt, den dritten Vertrag zu erfüllen, im Gegenteil.
Nun hat Oesterreich trotzdem einem Kriegsgefangenentransport, der uns als solcher gemeldet war politische Gefangene zugesellt. Durch Ungeschicklichkeiten unterer Instanzen ist dies zur Kenntnis deutscher Behörden und schließlich der deutschen Regierung gekommen. Erst haben wieder einmal deutsche Behörden zugegriffen, ohne sich mit dem Auswärtigen Amt in Verbindung zu setzen. (Lebhafte Rufe links: Hört, hört!) Als aber das Auswärtige Amt devon in Kenntnis gesetzt war, daß sich untere Instanzen mit der Festhabtung des Tvamevontes be⸗ faßßt hatten, und als Kenntnis dovon erlangt war. daß der Tvansport nicht vertvagsmäßig umd vechtsmäffg war blieb uns gar michts anderes übrig, als den Transport festzuhalten. Denn was wäre geschehen, wemm wir ihn mumn hätten weitevgehen bossen? Wir hätten im selben Augenblick mit Ungarn und mit der Entente diplomatische Meinungs⸗ verschiedenheiten gehabt, und es wäre schließlich den volitischen Ge⸗ fangenen vielleicht sehr schlecht bekommen, wenn die Entente nunmehr
ben Twnsport aff hoher See untersuchd hätte. Andererferts waren
wir uns, wenn wir ihn festnahmen, darüber ganz klar, daß wir uns mit Oesterreich und mit Sowjetrußland querlegten. Aber das konnte mich keineswegs in meiner Entschließung schwankend machen. Sobald die Rechtslage geprüft war, habe ich das getan, was völkerrechtlich nötig war.
Inzwischen hat die österreichische Regierung, der ich den Vorwurf nicht ersparen kann, daß sie in dieser Sache etwas in die alten schwarz⸗ gelben diplomatischen Gepflogenheiten zurückverfallen ist (sehr gut! bei den Regierungsparteien), durch ihren hiesigen Gesandten in einer mich vollkommenen befriedigenden Form ihr Bedauern ausgesprochen und die Umstände näher dargelegt, aus denen heraus diese verschiedenen Miß⸗ helligkeiten entstanden sind, Umstände, bei denen ich hauptsächlich eine schwere Zwangslage der österreichischen Regierung anerkenne, aus der sie sich auf diese Weise herausziehen zu müssen geglaubt hat. Also, meine Damen und Herren, zwischen Oesterreich und uns ist dieser Fall geregelt. Wie weit er zwischen Ungarn und uns und zwischen Rußland und uns geregelt werden wird, hängt davon ab, wie sich das weitere Schicksal der beiden Personen gestaltet, die aus dem Kriegsgefangenen⸗ transport als allein politisch belastet herausgenommen worden sind. Diese beiden Personen sind in sicherem Gewahrsam. Soweit es an mir liegt, soll ihnen kein Haar gekrümmt werden. (Zurufe von den Un⸗ abhängigen Sozialdemokraten: Na! na!) — Soweit es an mir liegt! Ich kann nicht mehr versprechen, ich habe das Meinige geban. Jeden⸗ falls will ich Ihnen eins sagen. Jemehr Spektakel darüber gemacht wird, desto schwerer gefährdet sind die beiden Herren. (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.) Also uns ist mitgeteilt worden, und zwar amtlich durch den Vertreter Ungarns in Berlin, daß sich ein Kurier mit einem Auslieferungsbegehren der ungarischen Regierung bezüglich der einen der beiden Persönlichkeiten, nämlich Bela Khuns, auf dem Wege nach Berlin befinde. Es ist üblich und hergebrachten Rechtens, daß mach einer solchen Micteilung die bebreffende Persönlichkeitt so lamge fest⸗ gehalten wird, bis geprüft werden kann, ob das Auslieferungsbegehren zulässig ist oder nicht. Wir werden diese Prüfung vornehmen. Wir haben alles uns vorläufig zur Verfügung stehende Material bereits herangeholt, und Sie können überzeugt sein, daß wir uns bei dieser Prüfung weder durch Sorge vor einem Uebelwollen der Sowjetmacht, noch durch Sorge vor einem Uebelwollen der Regierung Ungarns und der hinter ihr stehenden Kräfte irre machen lassen werden. Wenn es sich herausstellt, daß der Mann ausgeliefert werden muß, so ist er eben auszuliefern. Stellt es sich aber heraus, daß er wirklich ein politischer Verbrecher ist und daß die Daten, die ihm vorgeworfen werden, nur so⸗ genannte konnexe Taten sind, d. h. solche Taten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der politischen Aktion stehen und deshalb nach geltendem Völkerrecht nicht zur Auslieferung führen, dann wird der Mann eben nach derjenigen Seite aus Deutschland herausgeführt, nach der er zu gehen wünscht. (Heiterkeit.)
Meine Damen und Herven, ich komme zum Schluß noch auf die zweite große Frage, die uns in Spaa befaßt hat, nämlich auf die Kohlen⸗ frage. Ich will Sie hier nicht lange mit dem Vortrage selbst aufhalten. Das lesen Sie alles sehr knapp und präzise in unserer Denkschrift. Ich möchte Ihnen nur eines sagen. Ebenso wie Ihnen der Herr Reichs⸗ kanzler dargelegt hat, welche gewaltigen Anstrengungen von unserer Ver⸗ waltung und unserer Gesetzgebung gemacht werden, um der Ent⸗ waffnungspflicht nachzukommen, ebenso gewaltige Anstrengungen wird unsere Wirtschaft machen, um den Kohlenverpflichtungen nachzukommen. Gerade um das besser zu können und um Sie, meine Damen und Herren, in die Möglichkeit zu versetzen, in dieser Lebensfrage unseres Volkes mit voller Kenntnis aller Tatsachen zu handeln, hat die Re⸗ gierung es für richtig gehalten, den Reichswirtschaftsrat vor dem Reichs⸗ tag einzuberufen. Denn jetzt haben wirklich die berufenen Sachver⸗ ständigen Ihnen alles Material gegeben, was Sie nur wünschen können. Ich darf mir gestatten, die wichtige Resolution, zu der die Sach⸗ verständigen gekommen sind, hier vorzulesen und damit zum Gegenstand meiner Darstellung zu machen. Ich bitte den Herrn Präsidenten um die Erlaubnis, die Resolution vorlesen zu dürfen.
Der vorläufige Reichswirtschaftsrat hat folgende Resolution be⸗ schlossen:
Der Reichswirtschaftsrat erblickt in dem Kohlenabkommen von Spaa, das unter der von den Ententevertretern angedrohten Besetzung des Ruhrreviers angenommen werden mußte, eine Belastung des denlsichen Wirtschoftslebens, deren Folgemn umabsehbar sind. (Hört, hört! bei den Deutschnationalen.)
Wenn die durch das Abkommen bedingte verschärfte Kohlenknapp⸗ heit nicht zu einer Katastrophe für Land und Volk führen soll, so muß sofort eine ungewöühnlich starke Steigerung der Kohlenproduktion ein⸗ treten.
Sie hat eine Kraftanstrengung der Bergarbeiter zur Voraus⸗ setzung, die bei den derzeitigen Ernährungsverhältnissen nicht geleistet werden kann.
Das erforderliche hohe Maß an Arbeitskraft, Arbeitsfreude und Arbeitsintensität macht die genaue Kenntnis der wirtschaftlichen Ver⸗ hältnisse des Kohlenbergbaues zur dringenden Notwendigkeit, damit die Bergarbeiter und Angestellten mehr als bisher zur klaren Einsicht der Verhältnisse im Bergbau gelangen und zu mitverantwortlichen Trägern der nach gemeinwirtschaftlichen Gesichtspunkten zu ordnenden Kohlenwirtschaft werden. 1
Der Reichswirtschaftsrat wird zur Art und Form der Soziali⸗ sierung des Kohlenbergbaues umgehend Stellung nehmen, sobald der Bericht der Sozialisierungskommission, der bis spätestens 1. Sep⸗ tember 1920 erwartet wird, vorliegt.
Zur Durchführung der eingegangenen Lieferungsverpflichtungen sind die nachstehenden Maßnahmen erforderlich:
Die Mehrabgabe von rund 900 000 Tonnen Kohlen monatlich kann nur durch erhöhte Förderung erzielt werden. Vorübergehend wird Ueberarbeit der Bergleute unvermeidlich sein. Sie ist im Ein⸗ verständnis mit den Bergarbeiterorganisationen zu regeln.
Die Lebenshaltung der Bergarbeiter ist mit allen Mitteln zu heben. Die Erzeugungsfähigkeit der heimischen Landwirtschaft ist. namentlich auch durch bessere Versorgung mit Düngemitteln, zu steigern.
Die Ansiedlung in den Bergrevieren ist unter Zurückstellung aller sonstigen nicht unbedingt notwendigen Bauten in verstärktem Maße zu betreiben mit dem Endzwecke, daß in kürzester Frist das Verfahren von Ueberschichten im Betgbau ganz oder teilweise aufhören kann.
In jedem Kohlenrevier wird eine Kommission aus drei Arbeit⸗ gebern und drei Arbeitnehmern zur Prüfung der betriebstechnischen und bergtechrischen Verhältnisse eingesetzt. Insbesondere soll auch ihre Aufgabe sein, auf eine möglichst gute Beschaffenheit der Kohle hinzuwirken. Die Kommission kann sich für Sonderaufgaben und zum Studium der Neuerungen im ausländischen Berghau vergrößern.
Eine scfortige gründliche Durcharbeitung der Kohlenverteilung nach volkswirtschaftlichen und verkehrstechnischen Gesichtspunkten und schärfste Maßnahmen zur Sicherung ihrer Durchführung sind erforder⸗ lich. Insbesondere ist die Auswertung der Kohlen in der Gas⸗, Wasser⸗ und Elektrizitätswirtschaft durch einheitliche Maßnahmen zu regeln. Vorbedingung hierzu ist die Gliederung des Reichsgebiets in Wirtschaftsgebiete, die lediglich nach wirtschaftlichen und verkehrs⸗ politischen Gesichtspunkten vorzunehmen ist.
Die weitgehendste Verwendung von Braunkohle ist durchzuführe Die Betriebe müssen, wo angängig, hiernach umgestellt werden.
Die weitere Ausnutzung der Wasserkräfte ist unverzüglich in Angriff zu nehmen.
Die Verkehrseinrichtungen zu Wasser und zu Lande sind der e höhten Kohlenförderung anzupassen. .
Die Wärmewirtschaft ist in allen Betrieben gewerblicher und industrieller Art mit allen Mitteln zu fördern und zu heben. Die Industrien werden angehalten, auf dem Wege der Selbstverwaltung geeignete Einrichtungen zu schaffen.
Zur Erfüllung der in Spaa übernommenen Verpflichtung ist die während der Verhandlungen in Spaa in Aussicht gestellte zureichende Belieferung der deutschen Wirtschaftsgebiete mit oberschlesischer Kohle zu sichern.
Es wird Aufgabe der kommenden Verhandlungen in Genf sein, deren Vorarbeiten und Durchführung in enger Gemeinschaft mit dem Reichswirtschaftsrat geschehen müssen, die allgemeinen Wiedergut⸗ machungsleistungen Deutschlands in die natürlich gegebene Beziehung zu der deutschen Kohlenerzeugung zu bringen.
Der Reichswirtschaftsrat ruft alle Kreise des deutschen Volkes auf, an der Erfüllung des von Deutschland unterzeichneten Abkommens von Spaa tatkräftig mitzuwirken.
Meine Damen und Herren! Wieweit Sie dieses Programm unterschreiben, weiß ich nicht. Ich weiß, daß außer dem, was der Reichswirtschaftsrat vorschlägt, dringend wichtig ist, daß die beiden Kommissionen eingerichtet werden, die uns die Entente versprochen bat, die Kommission in Essen und die in Oberschlesien. Leider haben wir kein unmittelbares Machtgebot dabei zu sprechen, sondern es sind die alliierten Regierungen, die die Einrichtung der Kommissionen in die Hand genommen haben. Wir werden nicht ablassen zu ermahnen, daß nach der Richtung hin keine Zeit verloren wird.
Dann darf ich mir vielleicht noch persönlich die Meinung gestatten, daß ich es nicht für richtig halte, wenn der Reichswirtschaftsrat sagt: nur durch verstärkte Förderung kann das erreicht werden. Nein, meine Damen und Herren, man kann auch immer noch sparen; freilich nicht bei der Industrie. Aber es ist nicht nötig, daß in deutschen Städten noch tief in die Nacht hinein Licht verschwendet wird für Kinos und für Cafés (sehr richtig!), da kann entschieden noch gespart werden.
Meine Damen und Herren! Ich komme jetzt zum Schluß. Der letzte Teil, die Wiedergutmachung, ist für Genf vorbehalten. Sie haben gehört/ daß Poincaré zu den Franzosen gesagt hat: geht nun und nimmermehr mwach Genf, da kann euch nur Unbeil blühen. Wir könnem vielleicht zu unseren Delegierten sagen: wenn ihr nach Genf geht, hütet euch, daß euch kein Unheil erwächst. Wer nach Genf geht, der mauß vollkommen die Leistungsfähigkeit Deutschlands und die Be⸗ dürfnisse der Länder beherrschen, die Forderungen an uns haben, und er muß aus diesen Bedürfnissen und Forderungen das Mittel ziehen, das dem einen gibt, was Rachtens ist, und dem anderen das läßt, was Rechtens ist, und Rechtens ist für uns das Benefizium des Vertrages von Versailles, daß die Entente uns niemals in der Wirtschaft so tief herunterdrücken kanm, daß wir unfähig werden, unsere Wirtschaft zu den Zwecken der Wiedergutmachung in Stand zu halten.
Meine Damen und Herren! Millerand hat erklävt: Genf kommt elwa Anfang September. Ob das der Fall sein wird, weiß ich nicht. Jedemfalls, wenn es der Fall sein wird, es wird uns gerüstet finden. Wir werden hingehen, wenn wir bei Ihnen das Vertrauen behalten, mit dem wir nach Spaa gegangen sind, und desegen sage ich, meine Damen und Herren, wir haben in Spaa gezeichnet, weil wir das Vertreuen in die Zukunft und ün die Leistungsfähigkeit des deutschen Volkes nicht verloren haben. Behalten Sie zu uns das Vertrauen, dann werden wir vielleicht in der Lage sein, in Genf ein Protokoll zu zeichnen, das uns weniger schwere Lasten auferlegt, alls die beiden von Spoaa. (Bravo! bei den Deutschen Demokraten.)
Die Besprechung der Regierungserklärungen wird auf morgen vertagt. In allen drei Lesungen erledigt das Haus darauf noch die Ergänzung der Vorschriften über den 8Nu“ Vorbehaltungsdienst und das Berner Abkommen vom 13. Juli 19220.
Schluß gegen ½8 Uhr.
Nächste Sitzung Dienstag 2 Uhr (Besprechung der Regie⸗ rungserklärungen; Interpellation, betr. das vertragswidrige Berkangen der Polen nach Abtretung von Gebietsteilen, die bei der Abstimmung vom 11. Juli deutsch gestimmt haben; Ergänzung zum Notetat; kleinere Vorlagen).