1920 / 168 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 30 Jul 1920 18:00:01 GMT) scan diff

drohung Frankreichs eine als sie sie vorher gehabt hatte. Wir mußten unter allen Umständen damit rechnen, daß, wenn das Abkommen in Spaa nicht unterschrieben wurde, dann der Einmarsch Frankreichs, der Entente, in das Ruhrgebiet bevor⸗ stand und dann unsere deutsche Wirtschaft, wie das der Herr Reichs⸗ kanzler und wie das der Herr Minister des Auswärtigen ausein⸗ andergesetzt haben, vollständig zusammenbrach. (Zurufe von den Deutschnationalen: Und im Herbst?2) Nun wird uns entgegen⸗ gehalten: die Einmarschdrohung besteht noch weiter, der Einmarsch kann noch später erfolgen. Gewiß, er kann erfolgen; aber wenn uns mit der Vernichtung unserer Wirtschaft gedroht wird, dann, hoch⸗ verehrte Anwesende, möchte ich den Mann sehen, der bei Sinnen ist und der sagt: dann lieber heute als morgen. (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien und den Sozialdemokraten.) Solange wir irgendwie die Möglichkeit haben, den Einmarsch zu verhindern und die Möglichkeit besteht noch, und wir wollen hoffen, daß wir sie verhindern durch Anspannung aller unserer Kräfte —, so lange ist jede verantwortungsvolle Regierung in Deutschland verpflichtet, diesen Einmarsch zu verhindern, (erneute lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien und den Sozialdemokraten) und soweit sich der Einmarsch noch irgendwie aufschieben läßt, diesen Aufmarsch auf⸗ zuschieben.

1 Der Herr Vorredner kann auch nicht einmal behaupten, daß der Einmarsch mit Sicherheit bevorsteht. Es kann kein Mensch be⸗ haupten, daß dieser Einmarsch mit Sicherheit in Zukunft bevorsteht. Er kann auch nur sagen: er wird vielleicht erfolgen. Aber dieses Vielleicht wiegt für die Zukunft und für das Leben unseres deutschen Volkes ganz außerordentlich viel; und da wir nicht sicher sind, daß der Einmarsch erfolgt, müssen wir den Einmarsch zu verhindern suchen, soweit das irgend möglich ist.

Aus diesen Gesichtspunkten heraus hat sich die Regierung schweren Herzens entschlossen, auf die Bedingungen in Spaa einzugehen. Der Herr Reichskanzler hat darauf hingewiesen, daß diese Bedingungen in Spaa dem bisherigen Zustande, dem Zustande des Friedensvertrages gegenüber eine Erleichterung bedeuten. Das hat die Partei des Herrn Vorredners nicht berücksichtigt und auch der Herr Vorredner nicht.

Der Herr Vorredner hat dann gesagt, man hätte ablehnen sollen und damit das deutsche Volk zum nationalen Appell aufrufen sollen. Ich wäre der letzte, und die Regierung wäre die letzte, die das Volk nicht zum nationalen Appell aufpufen wollte, wenn es wirklich un⸗ bedingt nötig wäre und wenn es kein andres Mittel gäbe. Aber man sehe doch unser Volk an, wie es nach diesem Kriege schwer darnieder⸗ liegt, wie es unter den Lasten seuszt, die ihm der Krieg auferlegt hat, wie es sich nicht mehr zu derartigen Taten aufraffen kann, wie es sie vorher geleistet hat. Wenn man die Möglichkeit hat, das abzuwenden dann diese Möglichkeit nicht zu benutzen und dieses schwer darnieder⸗ liegende Volk noch einmal hochpeitschen zu wollen, nein, das hat die Regierung abgelehnt und wird es auch in Zukunft ablehnen. (Stürmischer Beifall bei den Regierungsparteien und den Sozial⸗ demokraten.)

Ich möchte aber mit diesen wenigen Worten meine Rede beenden. Der Herr Vorredner hat erklärt, das Nationale wäre auf seiner Seite, die Regierung hätte nicht in nationalem Sinne gehandelt. Ich will selbstverständlich die nationale Gesinnung der Deutschnationalen Volks⸗ partei nicht angreifen, aber dieselbe nationale Gesinnung, die sie für sich beansprucht, beansprucht die Regierung auch für sich. (Beifall bei

den Regierungsparteien.) Sie hat nach bestem Wissen und Ge⸗ wissen gehandelt, um die Wirtschaft des deutschen Volkes nicht zu⸗

sammenbrechen zu lassen und um die Zukunft des deutschen Volkes zu sichern, und sie hat das getan aus nationaler Gesinnung (Stürmischer Beifall bei den Regierungsparteien.)

E ι„ 88 . 888 8 4 8 1 8 9 5 3. Sitzung vom 29. Juli, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger.)*) Präsident Löbe eröffnet die Sitzung nach 1 ½¼ Uhr.

.Eingegangen ist ein Gesetzentwurf, betreffend die Abschaffung der allgemeinen Wehr⸗ pflicht, und eine Denkschrift über die finan⸗ zielle Lage des Reiches.

Hur zweiten Beratung steht der von den Sozialdemokraten ingebrachte Gesetzentwurf, betreffend Auf⸗ hebung der Militärgerichtsbarkeit. Der 15. Ausschuß hat den Entwurf mit einigen Abänderungen an⸗ genommen.

§ 1 erklärt die Aufhebung der. Militärgerichtsbarkeit, aögesehen

on dem Strasverfahren in Kriegszeiten und gegen die an Bord ein⸗ chifften Angehörigen der Reichsmarine, soweit die strafbare Hand⸗ ung zur Kringszeit an Bord oder im Ausland begangen ist. Außer⸗ 1 . § 1 die Ersetzung des strengen Arrestes durch den Mittel⸗ arrest vor.

Abg. Prof. Dr. Radbruch (Soz.): Es hat keinen Zweck, heute zum hundertsten Male Gesagtes zu wiederholen. Wir werden den Ausschußvorschlägen zustimmen, beantragen aber, in § 9 die Unter⸗ suchungshaft in den Fällen des Fluchtverdachts und der Gefährdung er Diszipllin zu streichen. Auf halbem Wege ist uns der Ausschuß hon entgegengekommen, da er den Ausdruck Untersuchungshaft be⸗ seitigt hat und nur noch von Verhaftung spricht. Wir empfehlen weiler die von uns gemeinsam mit den übrigen Parteien beantragte Abänderung zu §§ 10, 11 und 15, wodurch den bei den Militäranwälten beschäftigten Sekretären die von diesen gewünschte Gleichstellung mit den Zivilbeamten gleicher Kategorie zugesprochen werden soll. Demn nerensch⸗n Ankrag, der in § 6 eine Einschränkung der Anzeige⸗

flicht anstrebt, dönnen wir nicht zustimmen. Zur allgemeinen Kenn⸗ eichnung unseres Standpunktes nur noch das eine: Frankreich hat nur einen einzigen Dreyfusprozeß gehabt und ist dadurch in seinen Grund⸗ jesten etschüttert worden. Ueber uns sind seit 1 ½ Jahren duendweise solche Dreyfusprozesse, vom Liebknecht⸗Luxemburg⸗Prozeß an bis zu dem Marburger Zeitfreiwilligen⸗Prozeß, hergegangen. In der breiten Volksmasse ist dadurch das Gefübl für die Objektivität der Justi; chwer erschüttert worden. Man darf geradezu von einer Justizschmach sprechen, der dieses Gesetz ein Ende machen soll. BAbg. Gallwitz (D. Nat.): Der Militärgerichtsbarkeit ist ja das Todesurteil gesprochen. Der Sturmlauf gegen sie stützt sich nicht auf sachliche Argumente, sondern auf veeh Motive. Das demo⸗ kratische Frankreich hat seinerzeit auch die Militärgerichtsbankeit ab⸗ geschafft, sie aber dann wieder eingeführt. (Hört, hört! rechts.) Ja

2 1

spr nehmen; b als8 rufungsinstanz eine he Menge dieser gehen lassen. Der eine sachliche Einwand gegen die Institution be⸗ trifft den Gerichtsherrn. Zugegeben, daß er in die modernen Ver⸗ hältnisse nicht mehr paßt, aber der ungünstige Einfluß dieser Ein⸗ richtung wird doch sehr überschätzt und übertrieben. Es ist den Obersten und Generalen durchaus nicht darauf angekommen, einen unzulässigen und ungerechten Einfluß auf die richterlichen Organe auszuüben ode⸗ gar Rechtsbrüche zu begehen. Dabei unterschätzt man denn doch zu sehr den Gerechtigkeitssinn und das tiefe Pstichtgefühl der Offlziere und ebenso das Selbständigkeits⸗ und Verantwortungsgefühl sowie die absolute Charakterfestigkeit des richterlichen Personals. Ich nehme Gelegenheit, von dieser Stelle allen Beteiligten den wärmsten Dank für ihre Tötigkeit abzustatten und ihnen das Bedauern über das aus⸗ V zusprechen, was sie jetzt an Herabsetzung und abfälliger Beurteilung über sich ergehen lassen müssen. Es ist bei uns eingehender als in der Zwviljustiz gearbeitet worden. Daß jetzt noch 82 000 Sachen rück⸗ ständig sind, ist das Ergebnis der Kriegsverhältnisse; da konnten diese Sachen nicht mit der früheren Promptheit erledigt werden, schon weil ein unausgesetztes Hin⸗ und Herschieben der Formationen und ein fort⸗ gesetzter Wechsel in den Divisionen stattfand. Eine große Zahl der Fälle entfällt auch auf die zahlreichen Drückeberger und Fahnenflüchtigen, nicht auf die reguläre Truppe. Die Militärgerichtsbarkeit ist eine für jedes Heer notwendige Einrichtung, wenn sie auch beim Söldnerheer weniger in die Erscheinung zu treten braucht; nötig ist sie aber auch hier. Nun hat ja die Reichswerfassung die Aufhebung vorgeschricben. Wir haben uns im Ausschuß bemüht, unseren Bedenken gegen Einzel⸗ heiten zur Geltung zu verhelfen. Ich weise hier nur auf den sehr schwerwiegenden Umstand hin, daß der Uebergang der Militärjustiz an die Zivilgerichte eine ganz außerordentliche Verlangsamung in der Erledigung der Fälle nach sich ziehen wird, was doch gerade dem mili⸗ tärischen Interesse widerspricht. Gegen das im § 22 ausgesprochene ausdrückliche Verbot der Bilduag besonderer Schöffengerichte, Straf⸗ kammern oder Strafsenate zur Aburteilung von Militärvergehen habe ich große Bedenken. Von der Stellung von Anträgen haben wir indes abgesehen, auch bezüglich der künftigen Verwendung des Militärjustiz⸗ personals, gachdem in diesem Punkte seitens der Regierung immerhin wohlwollende Erklärungen abgegeben worden sind. Wir bleiben dabei, die Abschaffung der Migfiargerhtsbarkelt ist eine nicht zu rechtfertigede Maßnahnie, wir brauchen elwas wie sie unbedingt. Wir werden gegen die Vorlage stimmen.

Abg. Dr. Ros enfeld (N. Soz.): Man sollte es kaum fär möglich halten (Lachen rechts), daß sich hier noch jemand zur Ver⸗ teidigung der Militärjustiz finden würde. Die hohhen Offiziere, die binter der Front gepraßt haben, haben kein Recht, hier im Namen der Frontsoldaten zu sprechen. (Lärm rechts und Lachen.) Die Militär⸗ gerichtsbarkeit hat jedes Vertrauen im Volfe verloren. Sie ist nicht nur im Kriege ein System der ärgsten Unterdrückungen gewesen, sondern hat auch och nach der Revolution die Morde an Liebknecht und Frau Luxemburg auf dem Gewissen. (Unruhe und Lachen rechts.) Diese Vorlage entspricht nicht unseren Wünschen. Viele Straftaten gehen an die Strafkammern, die ja ein ganz besonderes Instrument der Klassen⸗ justiz sind. Eine Gesundung der Rechtspflege ist nur von der Be⸗ seitigung des Klassenstaates zu erwarten.

Abg. Bell (Zentr.): Man sollte so wichtige Vorlagen mit ge⸗ bührender Sachlichkeit behandeln. Wir stehen aus sachlichen Gründen auf dem Boden des Eatwurfs. Die grundlegende Umgestaltung, die unser Heer erfahren hat, muß auch die Aufhebung der Trennung von Zivil⸗ und Militärgerichtsbarkeit nach sich ziehen. Einige Verbesse⸗ rungsvorschläge werden noch zur Geltung kommen. Wenn andere Länder die Militärgerichtsbarkeit beibehalten haben, so brauchen ihre Gründe noch nicht für uns zuzutreffen. Wir müssen eben die besonderen deutschen Verhältnisse in Betracht ziehen. Daß die Militärgerichts⸗ justizbeamten sachlich gearbeitet haben, erkennen wir rückhaltlos an, ebenso unsere Pflicht, für ihre Zukunft zu sorgen.

Abg. Brüninghaus (D. Vp.): Man sollte es nicht für möglich halten (große Heiterkeit) daß der Führer der Unabhäöagigen Sozialdemokraten Dr. Rosenfeld es für angezeigt gehalten hat, den hoch⸗ verehrten General (ironisches Bravo! und Hurra! li -8), der in durch⸗ gus ruhiger und sachlicher Weise sich zu der vorliegenden Materie ge⸗ äußert hat, mit Schmutz zu bewerfen. (Vizepräsident Loebe unmter⸗ brechend: Das verstößt gegen die Ordnung des Hauses, ich kann es nicht zulassen.) Ich wurde durch Zwischenrufe von links unterbrochen und konnte meinen Satz nicht zu Ende führen. Ich wollte sagen, mit Schmutz zu bewerfen, insofern, als er ihn für das Glend und Unglück des deulschen Volkes verantwortlich gemacht hat. Dr. Rosenfeld hat sowohl wörtlich wie dem Sinne mach gesagt, daß dieses ganze Unglück der Offizierskaste zu verdanken wäre. (Sehr richtig! links.) Ich bin es dem Andenken der 10 000 Offiziere, die der grüne Rasen deckt, schuldig, dies zurückzuweisen. (Leute Zurufe links.) Kürzlich stand, wenn ich nicht irre, im „Tag“, daß in zehn Jahren das ganze deutsche Volk, diejenigen verfluchen werde, die die Revolution gemacht haben. 8. links.) Ich bia nicht dieser Ansicht, sondern ich meine und hofse, daß dieser Zeitpunkt noch viel früher eintreten wird. Was den vorliegenden Gesetzentwurf anlangt, so ist die deutsche Volfspartei der Ansicht, daß die Abschaffung der Militärgerichtsbarkeit, die ja durch die Weimarer Verfassung notwendig geworden ist, ein grundlegender Fehler wäre. Ich habe mich auch persönlich davon überzeugt, daß es ein großer Fehler ist, wenn man die Militärgerichtsbarkeit abschafft, ohne dafür etwas Gleichwertiges zu setzen. Wenn Dr. Bell ausführte, man dürfe auf die andereg Nationen nicht exemplifizieren und meinte, daß die Schweiz und alle übrigen Länder die Militärgerichtsbarkeit für not⸗ wendig gehalten haben und Framkreich sie wieder einführen will, so sollte uns das zu denken geben. Dr. Bell sagte, die anderen Nationen gehen uns nichts an. Das ist eine gewisse Ueberhebung. Wir werden gegen dieses Gesetz stimmen. Es ist auch eigenartig, daß dieser überaus ein⸗ schneidende Gesetzentwurf in der Form eines Initiativantrages der sozialdemokratischen Partei behandelt wird. Als die Kommisssion zur Beratung dieses Initativantrages zusammentrat, war ge⸗ vade dem Reichstage der Regierungsentwurf für die Aufhebung

Wünsche des großen Teiles eines Standes, des Wehrstandes, darf man doch nicht hinweggehen. Ich glaube, daß die verhältnismäßig sehr milden Strasen, die in der Militärstrafrechtspflege üblich waren, in der Zivilstrafrechtspflege nicht so in die Erscheinung treten wie bisher. Ich betrachte die Aufhebung der Militärgerichtsbakeit als einen großen Fehler und ich bin überzeugt, daß wir ebenso wie in Frankreich dazu kommen, sio wieder einzuführen. Ich möchte sie bitten, nach Kräften dafür zu sorgen, daß die demnächst zur Ent⸗ lassung kommenden Mannyschaften in der Industrie und Landwirt⸗ schaft untergebracht werden. . Abg. Dr. Haas (Dem.): Die Deutsche Volkspartei will nicht für dieses Gesetz stimmen. Es wäre bedenklich, wenn ein solcher Vorgang innerhalb der Koalition sich wiederholen würde. (Sehr richkig! bei den Demokraten.) Dieses Gesetz beruht zwar formell auf einem Initiativantrag der Sozialdemokraten, stimmt aber mit dem gleichen Entwurf der Koalitionsregierung inhaltlich überein. Sehr erfreulich waren die leidenschaftlichen Auscinandersetzungen heute nicht; man brauchte sich in diesem Stadium der Beratung nicht mehr gegenseitig so zu erhitzen. Die Rechte sieht die Militärgerichtsbarkeit als unbedingt herrlich, die äußerste Linke als unbedingt schlecht an. In manchen Beziehungen war die Militärgerichtsbarkeit fast muster⸗ gültig, denn ihre Laienrichter hatten immer das Bestreben, sich gründ⸗ lich in die Sache zu vertiefen, während der Berufsrichter sich eine gewisse Routine angewöhnen muß. Aber die Militärgerichtsbarkeit hat auch schwere Fehler gemacht, die Vorgesetzten zu milde, die Unter⸗ ebene ig bestraft. Es hieß, die Diszipli⸗ eentlich im gebenen zu streng estraft. 8 hieß, die isziplin, namentlich im Kriege, könne nur mit harten Strafen aufrechterhalten werden, aber im Kriege konnte man die unvernünftigen Strafen des Militärstraf⸗ gesetzbuches gar nicht amwenden, so daß mitten im Kriege Sachper⸗ ständige die Abänderung des Millitärstrafgesetzbuches wegen seiner unerhörten Strafen verlangten.“ Ein Manm kann eben nicht mit dem Tode bestraft werden, weil er einmal im Schützengraben eingeschlafen ist. Sodann hat die Militärgerichtsbarkeit da gefehlt, wo politische Erwägungen hineinspielten, sie hat gerade in den letzten Monaten Urteile gefällt, die in weitesten Kreisen nicht mehr verstanden wurden und es sogar außerordentlich schwer machten, an den guten Willen der Richter zu glauben. (Sehr richtig! links.) Bei unserer neuen Heeresorganisation, die nur noch ein Söldnerheer oder im wesent⸗ lichen nur eine Polizeiorganisation darstellt, 12 an eine Militär⸗ gerichtsbarkeit nicht mehr zu denken. Redner befürwortet schließlich den 8e seiner Partei wegen Einschränkung der Anzeigepflicht im § 6. 1 Reichswehrminister Dr. Geßler: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf ist die Einlösung eines in Weimar gegebenen Versprechens. Es hat deshalb gar keinen Wert, daß ich die Geschäftslage des hohen Hauses noch dadurch belaste, daß auch ich noch eine andere grundsätzliche Stellung zu ihm ein⸗ nehme als die, daß die Reichsregierung dieses Gesetz an⸗ nehmen wird. Ich möchte nur zwei Wünsche hinzufügen, grstens, daß damit endlich die Gerichtsbarkeit über unser Militär der At⸗ mosphäre politischer Leidenschaften entzogen wird. (Sehr richtig bei den Regierungsparteien.) Denn nichts ist weniger geeignet als die Justiz Gegenstand und Anlaß zu großen politischen Erörterungen zu sein, weil unter allen Umständen dadurch das Rechtsempfinden und die Rechts⸗ sicherheit iin Volke auf das tiefste erschüttert wird. (Zustimmung bei den Regierungsparteien.) Zweitens möchte ich wünschen, daß die meines Erachtens nicht minder dringliche Notwendigkeit einer Reform unseres bürgerlichen Strafverfahrens beschleunigt wird. Denn die Auf⸗ hebung der Militärgerichtsbarkeit kann bei dem engen Zusammenleben der Truppe in der Kaserne nur dann günstig wirken, wenn die bürger⸗ liche Strafrechtspflege rascher arbeitet, als sie es bisher gewohnt ge⸗ wesen ist. Das bürgerliche Strafprozeßverfahren schiebt heute Tat und Sühne leider Gottes vielfach so auseinander, daß damit dem Rechts⸗ bewußtsein des Volkes nicht Genüge getan wird. (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.) Gerade dos enge Zusammenleben der Truppe

S

gegen dea Vorgesetzten oöder gegen den Untergebenen richtet.

1 Ich darf dann noch zu den gestellten Anträgen Stellung nehmen. Den Abänderungsantrag auf Nr. 229 akzeptiert die Regierung, ebenso

den Antrag auf Nr. 252. Dagegen bittet sie, den Abänderungsantrag

zu § 9 Absatz 1 des Gesetzes abzulehnen. Ferner kann ich in Aussicht

stellen, daß der Entwurf eines Disziplinargesetzes für das Heer dem

hohen Hause bei seinem nächsten Zusammentritt vorgelegt werden

wird, da der Entwurf fertiggestellt ist. Ich möchte nur wünschen, daß sich nunmehr rasch und reibungslos der Uebergang in die bürgerliche Gerichtsbarkeit vollzieht. Mit besonderer Genugtuung begrüße ich es, daß wohl insolge dieses Gesetzes nunmehr auch der Marburger Fall, der so außerordentlich dazu beigetragen hat, die öffentliche Meinung aufzuregen, noch seine Nachprüfung vor dem bürgerlichen Gericht finden wird, und daß damit auch zur Beruhigung des ganzen hohen Hauses Licht in diese so surchtbare Tat kommt, weng das überhaupt menschen⸗ möglich ist. (Lebhafter Beifall.)

In der Abstim mung wird § 1 gegen die Stimmen

der Deulschnationalen und eines Teils der Deutschen Volks⸗ partei angenommen.

§ 6 gelangt mit dem erwähnten Antrag der Demokraten zur Annahme. Zu § 9 ist inzwischen noch ein Zusatzantrag der Unabhängigen eingelaufen: „Das Recht des Waffen⸗ gebrauchs des Militärs aus eigenem Recht, wenn bei förm⸗ lichen Verhaftungen sowie bei vorläufigen Ergreifungen und

der Militärgerichtsbarkeit zugegangen. Es wäre besser gewesen, wenn wir in der Lage gewesen wären, den Gesetz⸗ entwurf, betresfend die Stellung der Heeres⸗ und Marineanwälte in den Initiativantrag der Sozialdemokraten hineinzuarheiten. Wenn man eiwas abschafft, muß man doch dafür sorgen, daß nicht eine Lücke ein lecter Raum für einige Zeit eintritt, und das ist doch hier der Fall. Wir halten ein Disziplinargesetz für unbedingt notwendig. Es wäre richtig gewesen, enn uns dieses Disziplinargesetz gleich mit dem Gesetzentwurf, betr. Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit, uns zur Beschlußfassung vorgelegt worden wäre. Ich erwarte deshalb, daß die Regierung uns bis zum nächsten Zusammentrit: dieses Disziplinargesetz vorlegen wird, damit wir in der Lage sind, möglichs bis zum 1. Oktober 1920, an welchem Tage die Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit erfolgen soll, gewisse Lücken auszufüllen. Die Militärgerichtsbarkeit soll insofern eingeschränkt werden, nach dem Initativantrag der Sozraldemokraten und nach der früheren Fassung des Regiexungsentwurfs, als sie auf den im Dienst befindlichen Kriegsschiffen nur dann in Tätigkeit treten soll, wenn diese Schiffe sich im Auslande befinden. Wir halten das für eine Verschlechterung insofern, als dadurch gerade die eingeschifften Marinemannschaften der Gefahr ausgesetzt sind, nicht so einwandfrei und gerecht beurteilt zu werden, wie sie dies beanspruchen können. Die Verhältnisse an Bord sind doch wesentlich anders geartet als auf dem Lande, und können nur richtig eingeschätzt werden von Richtern, die das Leben am Bord kennen. Im § 7 heißt es: „Die Entscheidung, ob eine militärische

7

der Schweiz hat der vom Nationalrat eingesetzte Ausschuß einstimmig den Vorschlag der Regierung, die Militärgerichtsbarkeit abzuschaffen, abgelehnt. (Hört, hört! rechts.) Die deutsche Militärgerichtsbarkeit ist sehr vier besser gewesen als ihr Ruf. Cebhaftes Sehr richtig! rechts.) Ich kammn aus einer fünfzigjährigen Bekanntschaft mit der Militär⸗ gerichtsbarkeit ein kompelentes Urteil über ihre Wirksamkeit in An⸗ “) Mit Ausnahme der Reden der Herren Minister, die im Wort⸗ laut wiedergegeben werd

der Wehrmacht angehörige Person verletzt ist, dem Staatsanwalt zu.“

Straftat disziplinarisch zu ahnden ist, steht dem militärischen Disziplinarvorgesetzten, sofern aber ein Untergebener oder eine nicht

Das halten wir mit der Disziplin für unvereinbar, daß man von Anfang an dem Soldaten sags. Du findest bei deinen Vorgeftetzten überhaupt keinen Schutz. Die Disziplin muß sich ausfbauen auf dem gegenseitigen Vertrauen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Ueber 300 Petitionen haben vorgelegen von Heeresangehörigen, die die

Militär aford ung weiterbestehen zu lassen wünsch n. Ueber

Festnahmen der Verhaftete oder ein dem Militär zur Ab⸗ führung oder Bewachung anvertrauter Gefangener entspringt oder auch nur einen Versuch dazu macht, wird aufgehoben.“ Abg. Herzfeld (U. Soz.) begründet diesen Antrag unter Hinweis auf die zahlreichen Fälle, in denen Militär⸗ oder Zivil⸗ personen angeblich auf der Flucht niedergeschossen worden sind. Näher geht er auff en Fall Hans Paagsche ein. Es handle sich hier einfach um feige Morde, die in den Revolutionstagen zu Hunderten, ja zu Tausenden begangen 885 Diese Polizeigewalt habe sich längst zu einem Mittel ausgebildet, politisch mißliebige Verhaftete zu be⸗ seitigen. Angesichts dieser ungeheuerlichen Auswüchse der Militär⸗ gewalt könne man mit Recht von einem Zusammenbruch der Justiz echen Die andauernde Erregung des deutschen Volkes über die Untat in Thale rühre ja eben daher, daß die Mörder sich auf ein gesetzliches Recht berufen können. 8 Abg. Dr. Bel!, (Zentr.): Die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme hat der Vorredner überzeugend dargetan. Sie gehört aber in dieses Gesetz, das nur, formelle Verfahren ordnet, nicht hin⸗ ein. Bei anderer Gelegenheik wird die angeregte Frage sehr ein⸗ gehend geprüft werden müssen. Abg. Haas (Dem.): Auch ich bedaure alle die Fälle, wo Menschen ohne Not niedergeschossen worden sind, und erst recht die⸗ sen igen, wo ein starker Verdacht vorliegt, daß niemand geflohen ist ondern, daß die Flucht nur nachträglich behauptet wurde. Aber in dieses Gesetz paßt eine solche Vorschrift nicht, und ich beanstande auch ihre Fassung. Der Soldat, der einen Gefangenen transportiert muß unter Umständen auch das Recht des Waffengebrauches haben: er darf sich nicht auslachen lassen. Der Antragder Sozialdemokraten, die ersten drei Absätze des § 9 zu streichen, wird vom Präsidium, nach⸗ dem die beiden sozialdemokratischen Parteien sich dafür er⸗ hoben haben, angesichts der schwachen Besetzung der übrigen Teile des Saales für angenommen erklärt. Bei der

ese

fordert, daß der Tat eine rasche Sühne folgt, gleichgültig, ob sie sich

Abstimmung über den von den Unabhängigen Sozialdemo⸗ kraten beantragten Zusatz ergibt sich dieselbe Parteigruppie⸗ rung; die Abstimmung bleibt zweifelhaft, die Auszählung er⸗ gibt die Ablehnung des Antrages mit 192 gegen 142 Stimmen.

§ 9 wird in der so veränderten Gestalt angenommen.

Die §§ 10, 11 und 15 werden mit den von allen Par⸗ teien unterstützten Abänderungsanträgen Rudbruch und Gen. angenommen. Zu § 22 wird ein Antrag der Deutschnatio⸗ nalen auf Streichung des Verbots der Bildung besonderer Schöffengerichte, Strafkammern usw. für die Aburteilung von Militärvergehen gegen die Stimmen der Antragsteller ab⸗ gelehnt. Der Rest des Entwurfs ergibt keine Debatte mehr. Gegen den Vorschlag des Präsidenten, sofort auch die dritte Lesung vorzunehmen, erhebt Abg. Brüninghaus Widerspruch.

Die dritte Beratung vird in einer der nächsten Sitzungen stattfinden.

Es folgt die zweite Lesung d es ergänzenden Nothaushalts. Sie beginnt beim Reichspräsidenten.

Abg. Vogtherr (U. Soz.): Dem Reichspräsidenten sind Voll⸗ machten übertragen worden, die nicht im Interesse des Aufbaus einer sozialistischen Republik liegen. Ihm ist genau wie dem Fürsten der alten Schule die Möglichkeit gegeben, über Leben und Tod derjenigen zu bestimmen, denen der Rechtsspruch der Gerichte das Leben abge⸗ sprochen hat. Der Reichspräsident hat auch in minderschweren Fällen von seinem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch gemacht. Die Todes⸗ strafe verstößt gegen die Gesetze der Menschlichkeit, gegen Demokratie und Sozialismus. Auch das Bürgertum verhält sich gegen sie zu⸗ meist ablehnend, weil ein irrtümlich verhängtes Todesurteil nicht wieder gutgemacht werden kann. Als sozialdemokratischer, Abgeordneter hat Herr Ebert selbst gemäß dem Erfurler Programm für die Ab⸗ schaffung der Todesstrafe gewirkt, aber jetzt, nun er zur Macht ge⸗ langt ist, macht er nicht einmal von seinem Begnadigungsrecht aus⸗ giebigem Gebrauch. Sogar Fürsten hat es gegeben, die nie ein Todes⸗ urteil bestätigten, abgesehen von Wilhelm dem Letzten, der auch hierin wieder zeigte, bis zu welcher idiotischer Höhe sein Größenwahn ge⸗ stiegen war.

Vizepräsident Bell: Ich bitte solche Ausdrücke zu unterlassen. (Zurufe und Unruhe der U. Soz.)

Abg. Vogtherr: Ich lasse mir das Recht der Kritik nicht be⸗ schränker an einem Manne, der mitschuldig ist an dem Fluch der vier Kriegsjahre. Es ist wenig schmeichelhaft für den Reichspräsidenten, daß er mit der Bestätigung der Todesurteile den Bahnen dieses Mannes folgt. Die Verhängung der Todesurteile war nur möglich auf Grund des Ausnahmezustandes. Dabei sind die Aufstände in Hamburg und Bremen nur das Werk von agents provocateurs gewesen. Wir halten die Reichspräsidentenschaft für eine überflüssige Einrichtung; an ihre Stelle muß auf dem Wege des Rätesystems und der Rätediktatur der Wille des souveränen Volkes treten.

Abg. Müller⸗Franken (Soz.): Der Reichspräsident hat miemals seine verfassungsmäßige Vollmacht überschritten. Er ist nicht Träger der Souveränität, sondern an die Gesetze gebunden. Ich habe es immer bedauert, wenn einmal der Ausnahmezustand verhängt. werden mußte, aber die Verhältnisse zwangen dazu, ich erinnere besonders an die Münchener Räteregierung. Die Fälle, in denen während meiner Amtszeit Todesurteile bestätigt wurden, lagen sehr schwer, es handelte

2 deo

Lich um ganz schwere Verbrecher, und ich würde mich hüten, diese keute für die Arbeiterschaft zu reklamieren. Auch die revolutionären

Regierungen haben auf die Todesstrafe nicht verzichtet.

Vizepräsident Bell: Die frühere Gepflogerheit des Reichstages, wonach die Person des Kaisers nicht in die Erörterung gezogen werden sollte, hat natürlich seit der Begründung der Republik keine Be⸗ V deutung mehr. Der ehemalige Kaiser muß es sich gefallen lassen, hier kritisiert zu werden wie jeder andere Staatsbürger. Aber auf der anderen Seite darf jeder Staatsbürger erwarten, daß die sachliche Kritik an ihm nicht gusartet in gehaässige und beschimpfende Formen. Dagegen wird der Präsident des Hauses ebenso wie jeden anderen Staats⸗ bürger auch den ehemaligen deutschen Kaiser zu schützen wissen.

Abg. Schultz⸗Bromberg (D. Nat.): Ich betrachte Kaiser Wilhelm nicht als gewöhnlichen Staatsbürger, sondern nenne ihn nach wie vor unseren Kaiser. Fnis der Todesstrafe erinnere ich an das geistreiche Wort des Franzosen, der sagte: Mögen es die Herren Mörder anfangen; wenn die entmenschten Bestien aufhören werden mit Morden, dann wird es auch keine Todesstrafe mehr geben. (Zuruf links: Marloh!) .

Abg. Vogtherr (U. Soz.): Der Abgeordnete Müller⸗Franken hat festgestellt, daß es zu den diskretionären Vollmachten des Reichs⸗ präsidenten gehört, Todesurteile zu bestätigen oder nicht zu bestätigen. Die einzige Anforderung, die ich an den setzigen Inhaber des Amtes des Reichspräsidenten stelle, ist die, daß er im Besitz einer solchen Voll⸗ macht zu handeln nach seinem eigenen Ermessen verpflichtet, wäre und daß er Todesurteile nicht bestätigt, eben weil es in seinen freien Willen

um die fällige Gewerbesteuer einzuziehen und bei dieser Gelegenheit eine abfällige Bemerkung über das Verhalten der Roten am Wasserturm machte, erklärte er den Beamten für ver⸗ haftet und brachte ihn zum Polizeipräsidium. Er gab ihm zu ver⸗ stehen, daß er bei einem Fluchtversuch von seiner Waffe Gebrauch machen würde.

Am 22. März erklärte der Verurteilte, der auf der Straße Posten stand, den Kaufmann Götte, der sich mit ihm in ein Gespräch eingelassen hatte, für verhaftet und nötigte ihn, mit zum Rathaus zu gehen, wo Götte bis zum Abend festgehalten wurde.

Am 1. April zwang der Verurteilte, begleitet von zwei be⸗ waffneten Rotgardisten, den Tiefbauunternehmer Conzen zur Aus⸗ zahlung des Lohnes an die Arbeiter für die Streiktage in Höhe von 408 ℳ. Außerdem hat er noch auf einen über Essen kreuzenden Flieger der Reichswehr geschossen.

(Hört! hört! rechts und in der Mitte.) Die Sache sieht also wesentlich anders aus, als der Herr Vor⸗ edner dargestellt hat. (Hört! hört! rechts und in der Mitte. Zu⸗

rufe von den U. Soz. Glocke des Präsidenten.) Ich bitte, den Herrn Redner nicht

Vizepräsident Dr. Bell: zu unterbrechen.

Reichsjustizminister Dr. Heinze: Der Herr Vorredner hat dann den Fall Konopka erwähnt. Ich bitte, doch einmal seine Dar⸗ stellungen mit den Darstellungen im Urteil zu vergleichen. Der Herr Vorredner hat gesagt: Konopka hat am 15. März ein Gewehr getragen, er ist sonst weiter nicht beteiligt gewesen; Urteil: 6 Monate Gefängnis, Begnadigungsgesuch ist vom Reichspräsidenten abgelehnt. Das klingt ja ganz schauerlich. In Wahrheit verhält sich die Sache nach dem Urteil folgendermaßen:

Am 15. März 1920 wurde der Verurteilte in Kray von dem dortigen Polizeioberwachtmeister angehalten, weil er mit einem Gewehr bewaffnet war. Er weigerte sich hartnäckig, das Gewehr abzugeben, äußerte zu dem Polizeibeamten, er werde ihn eher erschießen, als das Gewehr abgeben, und machte Miene, das Gewehr von der Schulter zu nehmen. Erst als der Beamte ihm seine Pistole auf die Brust setzte, kam er der Aufforderung nach. Der Fall liegt also vollkommen anders, als ihn der Herr Vorredner dargestellt hat. (Sehr wahr! rechts. Zurufe von den U. Soz.)

Ich bin leider nicht in der Lage, den dritten Fall, den der Herr Vorredner vorbrachte, des Josef Podleck, auch in der Weise zu beantworten, weil mir die Akten in diesem Falle nicht vorliegen. Die beiden Fälle werden genügen, um zu beweisen, wie der Herr Vorredner mit den Tatsachen umgegangen ist. (Widerspruch bei den U. Soz.)

Abg. Vogtherr (U. Soz.): Was Dr. Heinze betreffs der Gnadengesuche anführt, trifft nicht den Kern der Sache. Genau das⸗ selbe was er sagt, habe auch ich mit wenigen Worten gesagt. Die Aus⸗ übung des Begnadigungsrechts des Reichspräsidenten unterliegt der. Zu⸗ stimmung und der Verantwortlichkeit des Justizministers. Das stand schon in der alten Verfassung und steht auch in der neuen. Wenn der Reichspräsident das, was der zuständige Minister etwa ausspricht, auch befolgen müßte, so würde dies den Reichspräsidenten in seiner Würde derart degradieren, daß er in seiner Entschlußfreiheit überhaupt ge⸗ hemmt oder gehindert wäre. Die Mitverantwortlichkeit des zuständigen

Ministers entlastet den Reichspräsidenten noch lange nicht von seiner eigenen Verantwortlichkeit. (Sehr richtig! links.) Und wenn er nach unserer Ueberzeugung von seinem Begnadigungsrecht einen falschen oder keinen Gebrauch macht, wo es sich gehört, dann rügen wir nicht den be⸗ reffenden Minister, sondern wir halten uns an den Reichspräsidenten, der seinen Namen darunter setzt unter Gegenzeichnung des Ministers.

Abg. Haußmann (Dem.): Was der Abg. Vogtherr ausführte, ist die Proklamierung des persönlichen Regiments gegen die niemand stärker gekämpft hat, als Ihre Partei (zu den U. Soz.). Es liegt also hier die größte Inkonsequenz vor.

Abg. Vogtherr (I. Soz.): gesagt hat, bestätigt eben wieder nur meine eigenen Ausführungen. Hat der Reichspräsident den eigenen freien Willen nicht, dann ist sowohl die verfassungsmäßige Bestimmung wie auch die Gegenzeichnung des zu⸗ ständigen Ministers eine Farce. Meine gesamte Partei ist einmütig gegen die Schaffung der Institution des Reichspräsidenten der Republik überhaupt gewesen. Man kann uns also nicht vorwerfen, als wären wir irgendwie für die Errichtung des persönlichen Regiments gewesen.

Zum Haushalt des Reichstags bemerkt Abg. Haußmann (Dem.): Ich möchte die Kollegen bitten, bis

gestellt ist, und da er an Gerichtsurteile nicht gebunden ist, hat er die Möglichkeit, seine ganze Persönlichkeit in die Wagschale zu werfen. Daß er das nicht getan hat, mache ich ihm zum Vorwurf. Unter den früheren Fürsten hat es auch welche gegeben, die niemals ein Todes⸗ urteil unterzeichnet haben. Auch in weiten Kreisen der Parteipresse hat jenes Vorgehen Eberts eine außerordentlich und berechtigte Kritik erfahren, seine eigene Gewerkschaft hat ihn daraufhin aus der Gewerk⸗ schaft ausgeschlossen und erst später ist seine Wiederaufnahme in den Sattlerverband erfolgt. Betreffs der Frage, wie ich mich zu den Fällen in Rußland stelle, habe ich zu erklären, daß kein Sozialist vewpflichtet ist, alles, was in Sowjetrußland geschieht, unbesehen zu billigen. Bei der Todesstrafe handelt es sich um eine grundsätzliche Entscheidung, die man so oder so treffen kann. Was die Begnadigungsgesuche anlangt, die in großer Zahl beim Reichspraͤsidenten eingelaufen sind, so ist eine ganze Reihe von Fällen zu verzeichnen, in denen die Verweigerung der Begnadigung besonders auffallend ist. Redner führt drei Fälle aus der heutigen „Fretheit“ an. Dem Abgeordneten Schultz⸗Bromberg erwidere ich: Es ist mir unverständlich, eine Person mit einer so gemeingefährlichen politischen Vergangenheit sich nach trie vor als seinen Kaiser vorzustellen, obgleich er gerade in der Stunde der Gefahr sich seiner Pflicht durch feige Flucht entzogen hat, in demselben Augenblick, wo gerade diejenigen auf ihn gerechnet haben, die jetzt diese historische Strohpuppe in Schutz nehmen. ’8 Neichsjustizminister Dr. Heinze: Ich bin während der Ausführungen des Herrn Vorredners nicht durchweg im Saale ge⸗ wesen; mir ist nur mitgeteilt worden, daß er gegen die Art, wie der Herr Reichspräsident das Begnadigungsrecht ausübe, verschiedene Vor⸗ würfe erhoben hat. Demgegenüber stelle ich fest, daß der Herr Reichspräsident unter Verantwortung des Reichsjustizministers das Gnadenrecht in voller Uebereinstimmung mit der Verfassung ausübt,

und daß er die einzelnen Fälle auch pers önlich aufs gewissenhafteste prüft.

Im übrigen kann ich auf die Einzelheiten, die der Herr Vor⸗ redner zangeführt hat, gleich eingehen. Der Herr Vorredner hat gesagt, der Anstreichermeister Vincon aus Essen habe als Mitglied der Sicherheitswehr zwei Leute vorgeführt und 3 Jahre Gefängnis erhalten. Der Fall liegt vollkommen anders, als ihn der Herr Vorredner dargestellt hat. (Hört! hört! rechts und in der Mitte.) Ich habe hier einen Auszug, das Urteil lautete folgendermaßen:

Vincon gehörte zur Arbeiterwehr in Essen. Als am 21. März ein Vollziehungsbeamter zu ihm in die Wohnung kam,

zum Herbst darüber nachzudenken, wie wir die Handlungsfähigkeit unseres Parlaments, das ja eine vergrößerte Bedeutung nach der Ver⸗ fassung hat, noch zweckmäßiger ausgestalten können, als es jetzt schon der Fall ist. Ich bitte auch zu erwägen, daß die Minister unter der Ueber⸗ last ihrer Arbeit nicht allzulange ihren Aufgaben entzogen werden. Wir müssen auch mit der öffentlichen Meinung möglichst in Kontakt bleiben. In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister. Darum ist es wünschenswert, wenn das Parlament eine Selbstbeschränkung des Rede⸗ bedürfnisses ausübt.

3

eichskanzler und die Reichskanzlei wird folgende vom Hauptausschuß beantragte Entschließung angenommen: Die Reichsregierung zu ersuchen, einem vom Hauptausschuß ein⸗ zusetzenden Ausschuß von sieben Mitgliedern genaue Rechen⸗ schaft über die von der „Zentrale für Heimatdienst“ und ihren seit November 1918 wirkenden Vorgängern geübte Tätigkeit zu geben, die sich auf Förderung der Regierungspolitik im Reich bezieht. Zum Haushalt für das Reichswirtschafts⸗ ministerium befürwortet Abg. Dr. Herz (U. Soz.) wiederum die sofortige Sczialisierung des Bergbaues. Trotz des gestrigen ablehnenden Beschluss es des Hauses werde seine Partei mit aller Entschiedenheit in den Kreisen der Berg⸗ leute sich für eine große Massenbewegung zugunsten dieser Forderung einsetzen. Der Redner verlangt sodann die Veröffentlichung der Er⸗ eebnisse der Beratungen der neuen und auch der alten Sozialisierungs⸗ ommission. Schließlich bespricht er die im Haushalt ausgeworfene Position von 40 Millionen Mark für die Lieferung von Holzpapier an die Presse; die Papierindustrie erhalte hier vom Reiche für vier Monate einen erheblichen Zuschuß, obwohl sie aus eigenen Mitteln eine wesentliche Ermäßigung der Preise zuzugestehen imstande wäre.

Zum Haushalt für das ministerium krittsiert neuen Reichsversorgungsgesetz einzelner Gliedmaßen entschädigt werden sollen, als zu niedrig.

rechtigten Forderungen der Kriegsbeschädigten.

dessen Bestimmungen nur wie eine Verhöhnung de egsbeschädigte und der Hinterbliebenen der Gefallenen erschienen 1

Abg. Berthels (U. Soz.) die Prozentsätze, nach denen in dem n- die Kriegsbeschädigten die Verluste V

EEIn

Reichsarbeitsminister Dr. Brauns: Meine Damen und Herren]

Der Herr Vorredner hat sich über die Festsetzung von Renten⸗ ansprüchen der Kriegsbeschädigten beklagt, die jetzt durch die Aus⸗ führungen zum Reichsversorgungsgesetz erfolgen soll. Ueber die Fest⸗

macht worden.

bis sechs Gefängnissen, die nur für deshens dreitausend Alle diese Ungeheuerlichkeiten, die im

Was der Abg. Haußmann eben Jahre

setzung wird ja in der Kommission noch ausführlich verhandelt werden Ich möchte aber schon jetzt hervorheben, daß es sich bei den Sätzen, die der Herr Vorredner beklagt hat, um Mindestsätze handelt, die zum Schutze derjenigen Kriegsbeschädigten festgesetzt sind, die über⸗ haupt noch keine weitere wesentliche Schädigung an ihrer Erwerbs⸗ fähigkeit erlitten haben. Ich betone es nochmals: es handelt sich um Mindestsätze. Für denjenigen, der eine größere Einbuße an seiner Erwerbsfähigkeit erlitten hat, werden diese Sätze bei der Zuerkennung der Rente tatsächlich erhöht werden. Ich glaube, daß durch die Verhandlungen des Ausschusses die nötige Aufklärung über den Sinn der Ausführungsbestimmungen erfolgen wird, und daß die Klagen des Herrn Vorredners dann ihre Erledigung finden werden.

Zum Haushalt für das Reichsmilitär⸗ gericht bemerkt

Abg. Dr. Rosenfeld (U. Soz): Das Mißtrauen gegen die volksschädliche Rechtssprechung des Reichsmilitärgerichts Feesf von Tag zu Tag. Als Revisionsgericht genießt es den übelsten Ruf, da es fast durchweg die harten Urteile der unteren Gerichte bestätigt. Noch heute schmachtet auf Grund von militärgerichtlichen Urteilen eine Un⸗ zahl von Personen in Zuchthäusern und Gefängnissen; die von uns vom Ausschuß verlangte Uebersicht über die militärgerichtlichen Urteile, die jetzt noch vollstreckt werden, sollte uns die Regierung schleunigst zu⸗ kommen lassen. Noch immer besteht das Reichsschutzhaftgesetz. Noch immer werden Personen in Schutzhaft genommen, auch wenn sie nichts begangen haben, weil angeblich die Sicherheit des Staates durch die betreffenden gestört wird. Noch immer wird blindlings drauf los ver haftet, noch immer bleiben die Verhafteten monatelang der Freiheit beraubt, ehe das Reichsmilitärgericht auch nur einen Verhandlungs⸗ termin ansetzt. Die Praxis des Reichsmilitärgerichts, hinter ver⸗ schlossenen Türen zu tagen, wenn es sich um solche Schutzhaftfälle handelt, ist mit der heutigen Zeit unvereinbar und unverträglich. Das Richterkollegium muß so zusammengesetzt werden, daß nicht von vorn⸗ herein Mißtrauen in die Unparteilichkeit der Rechtssprechung entsteht. Es muß auch der Schein gewahrt werden, es geht nicht an, daß in dem Schützhaftsenat, wenn es sich um revolutionäre Arbeiter handelt, fast nur adlige Offiziere sitzen.

Zum Haushalt des Reichsjustizministe⸗ riums beantragt der Ausschuß eine Entschließung, den Reichsjustizminister um wirksame Bekämpfung des gewerbs⸗ mäßigen Glücksspiels zu ersuchen.

Abg. Ludwig (U. Soz.): Im Falle Dorten ist der Mißsrif der unteren Behörden durch den Reichsjustizminister unwirksam ge⸗ Der Minister sollte auch dafür sorgen, daß auch in anderen Fällen, wo es sich um ungerechtfertigte Verhaftungen handelt, alsbald die Freilassung erfolgt. In Frankfurt am Main ist der

Kommunisst Winster verhaftet worden, und sein Verteidiger wird in

seinen Maßnahmen in der unerhörtesten Weise beschränkt. Ungeheuer⸗ lich ist das Gerichtsverfahren, wie es im Ruhrrevier anläßlich des Kapp⸗Putsches beliebt wird. Gegen sechabanseng I ist ein Strafverfahren eingeleitet; über viertausend Personen sitzen in fünf s latz haben. heinland passiert sind, sind erst eine Folge des Einrückens der Reichswehr. (Widerspruch rechts.) Bis zum 13. März war im Ruhrrevier alles in Ruhe und Ordnung. Am 14. März hat man Militär dorthin beordert und damit zog die Unordnung ein. Die Arbeiter wurden mißhandelt, d..es 8 Hunderten und Tausenden verhaftet und verschleppt. Aus dem Bergischen flüchteten die Arbeiter nach Süden; ein Aufruf von General Watter und Minister Severing rief sie zurück, unter dem Vorgeben, es werde niemand verhaftet werden, die Extrazüge aber, in denen die flüchtigen Arbeiter zurückbefördert wurden, leitete man der Reichswehr in die Hände und die Arbeiter sind dann verprügelt worden, und jeder aus dem Bergischen Lande gekommene galt ohne weiteres als Angehöriger der Roten Armee. So ist es u. a. 152 Arbeitern aus Remscheid gegangen, die am 15. Appil in Schwer ausgeladen wurden. Das Vieleselder Abkommen mit der verheißenen Amnestie wurde nicht gehalten. Gegen 822 Personen wurden 1088 Freiheitsstrafen verhängt. In vielen Fällen sind Arbeiter ohne jedes Gerichtsverfahren niedergeschossen worden. Bei einer Ausgrabung von 10 Leichen hat sich herausgestellt, daß die Leute nicht in ehrlichem Kampf gefallen waren, sondern, 82h man ihnen de Schädel eingeschlagen oder die Hälse durchschnitten hatte. Eine Liste der Namen von 2⸗—300 Erschossenen lege ich hier aus. Wir fordern, daß endlich den Leuten, die solche Morde verübt haben, der Prozeß gemacht wird und daß die grundlos verhafteten Personen freigelassen werden. Abg. König seen In der Tat sind viele Arbeiter bestraft worden wegen Handlungen, die sie in dem Glauben begingen, dam

Zum Haushalt für das Reichsministerium, V den R.

Reichsarbeits⸗

Entwurf entspreche nicht im geringsten den Wünschen und den be⸗ 1 8 Am 1. August würden diese durch ganz Deutschland Proteste gegen den Entwurf veranstalten,

die Republik zu schützen. Deshalb verlangte ja das Bielefelder Ab⸗ kommen die Amnestie Wir wünschen und erwarten, daß das Amnestie⸗ geset * in diesen Tagen, also morgen oder übermorgen, heraus⸗ kommt. Abg. Düwell (U. Soz.): Das Ee sollte lieber beute als morgen erscheinen. Wir fordern es aber nicht als eine Gnaede, sondern als etwas Selbstverständliches zur Wiederherstellung des verletzten Rechts. Der Redner führt eine Anzahl von Fällen aus Mitteldeutschland an, in denen unberechtigte Peseege vor⸗ gekommen seien. Es ist bewiesen, 88g die Naumburger Garnison sich voll und ganz auf den Boden der Kapp und Lüttwitz gestellt hat. (Als der Redner von der Unverschämtheit eines Landgerichtsdirektors spricht und diesen Ausdruck trotz der Rüge des Vizepräsidenten Dr. Bell wiederholt, wird er zur Ordnung gerufen.) Wir verlangen die allerstrengste Untersuchung und Bestrafung der Richter, die es an jeder 8. haben fehlen lassen. Es ist ja richtig, daß in einem Klassenstaate, der darauf basiert, daß eine Volksklasse die andere ausbeutet, die Angestellten eines solchen Staates gar nicht objektiv sein können. Die Richter müssen ällen, sie können nicht anders auf Grund ihrer Weltan und ihrer ganzen Erriedemg. Die verschiedenartige Behandlung der Arbeiter auf der einen Seite und der deutschnationalen beveren auf der anderen Seite, muß ja dazu führen, daß die Empörung mal die Schranken bricht. Wenn Sie verhüten wollen, daß eines Tages die bis aufs Blut gepeinigte Aabeiterscfaft die Besinnung verliert, so sorgen Sie, daß hier eine baldige Besserung eintritt.

Hierauf nahm der Vizekanzler, Reichsjustizminister Dr. Heinze, das Wort. Seine Rede kann wegen verspäteten Ein⸗ ganges des Stenogramms erst morgen mitgeteilt werden.

Vizepräsident Dr. Bell: Was die formelle Seite der Kritik an den Gerichtsurteilen anlangt, so war dies durch meine Rüge er⸗ ledigt. Was die materielle Seite anlangt, so wäre es meine che gewesen, den Redner zur Sache zu rufen, wenn er Dinge vorbrachte die nicht im Zusammenhang mit der Tagesordnung standen. Ich habe das nicht getan, weil nach meiner J und nach 5 bisherigen Gepflogenheit des Reichstages der Redner in seinem Recht war, wenn er eine Kritik übte. Es ist stets im Reichstag üblich gewesen, im Anschluß an den Reichsjustizetat auch an den Verfahren der Gerichte eine gewisse Kritik zu üben.

Abg. Düwell:; Ich verstehe ja, wenn der Minister den Versuch macht, die Verantwortung für die Justizschande ab⸗ znulehnen. (Vizepräsident Dr. Bell bittet den Redner dringend, selche Ausdrücke nicht zu gebrauchen.) Der Minister will ja nicht