Ultimatum inzwischen zwrückgenommen worden? — Zuruf bei den Unabhängigen Sozialdemokraten: Wer hat es unterschrieben?) — Haben Sie nur Geduld! Es ist unterschrieben: Deutscher Eisenbahner⸗ verband, Reichsverband Deutscher Eisenbahnbeamten und ⸗amvwärter, Gewerkschaft Deutscher Eisenbahnbeamten und Staatsbediensteten. Von drei großen Verbänden, mit Namensunterschrift, mit Turte ge⸗
schrieben, war diese Sache dem Reichsverkehrsministerium, einem V
Beamten dort, übergeben worden, der es aber ablehnte, als Brief⸗ träger in dieser Sache zu fungieren.
Ja, meine Herren, nun frage ich mich: Ist das ein Ultimatum oder ist es keines? (Zurufe: Es ist ein Ultimatum!) Ich behaupte: das ist das schärfste Ultimatum, das jemals einer Behörde gestellt worden ist (sehr richtigt im Zentrum und rechts), und da war die Mehrheit des Ausschusses der Auffassung (Zuruf: Die Mehrheit?), — die Mehrheit —, daß man die Beratung aussetzen solle, um den Verbänden Gelegenheit zu bieten, eine offizielle Erklärung abzugeben, und ich als Minister habe erklärt, daß ich nicht in der Lage bin, auch einen Beschluß des Haushaltsausschusses auszuführen. Ich würde mich auch im Plenum dagegen erklärt haben, solange nicht eine der⸗ artige Sache aufgeklärt und, wenmn möglich, zurückgezogen ist. (Sehr richtig! rechts und bei den Deutschen Demokraten.) Wir begeben uns doch jeder Ehre als Minister wie als Regierung (Zuruf: Oder als Reichstag!), wenn wir in dem Augenblick, wo wir eine Einigung ge⸗ funden haben (sehr richtig! bei den Sozialdemokraten), uns derartig behandeln lassen. (Zustimmung rechts, im Zentrum, bei den⸗ Deutschen Demokraten und bei den Sozialdemokraten. — Zuruf bei den Unab⸗ hängigen Sozialdemokraten: Wir erwarten von der Regierung mehr Verständnis für die Lage der Eisenbahner und der Beamten !) — Sie sagen: Sie erwarten von der Regierung mehr Verständnis für die Lage der Eisenbahner, der Arbeiter und der Beamten. Herr Kollege, sind Sie sich in dieser Sache der Verantwortung bewußt? (Zuruf bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Ich weiß nicht, welcher Fraktion Sie angehören. (Zuruf rechts: Der Unabhängigen Sozial⸗ demokratie!) — Der Unabhängigen Sozialdemokratie. (Zuruf bei den Unabhängigen Sozialdemokraten: Das geht doch niemand ehvas an!) — Aber ich mache Sie darauf aufmerksam: Sind Sie denn hier ge⸗ wesen? Haben Sie nichts davon gehört, daß der Lohmntarif mit seinen neuen Sätzen vom Haushalltsausschuß bereits, was die Mehrleistungen betrifft, angenommen ist? Itt das nichts? (Zuruf bei den Unab⸗ hängigen Sozialdemokraten: Die Mittel sind noch nicht zur Verfügung gestellt!) Gerade das ist geschehen! (Zuruf rechts: Papiergeld ) Warten Sie doch ab, bis die Beschlüsse dieses Hauses gefaßt sind! Das ist doch alles in bester Ordnung! Der Lohntarif ist vom Haus⸗ haltsausschuß bezüglich seiner Mehraufwendungen genehmigt worden, und es bedürfte darüber keines Wortes mehr. Das ist das Unheil, das Sie mit Ihrem Zwischenruf anrichten. Das war doch alles fertig. Dazu haben wir die Hand geboten, und zwer die Gesamtregierung hat mit ihrem Kabinettsbeschluß dieser Sache zugestimmt. Also werfen Sie doch keine Fenster ein, wo es doch ganz unnötig ist! (Zustimmung.)
Ich sage: Wir wollen endlich aus diesem Streit, wo ein Ultimatum das andere ablöst, herauskommen. (Sehr gut!) Wir wollen in wirklich demokratischer Form diese Beamtemvümsche besprechen und wollen dabei Rücksicht nehmen auf die allgemeine finanzielle Lage Deutschlands. (Sehr gut!) Meine Damen und Herren, wir haben Ihnen eine Denkschrift über die finanzielle Lage des Reiches überreicht. (Zuruf: Nützt alles nichts!) Ich möchte gern die Herren fragen — gerade Sie, Herr Kollege, die Sie mir vorhin Verständnislosigkeit in der Sache vorgeworfen haben —, ob Sie durch die Lektüre dieser Zahlen nicht ein Verständnis über unsere Lage erhalten haben. (Zu⸗ rufe von verschiedenen Seiten des Hauses.) Ich sage: Ich empfehle diese Denkschrift nicht nur Ihrem Wohlwollen, sondern auch Ihrem Studium, und ich empfehle Ihmen, einige Abschnitte daraus auszu⸗ schneiden und in den Versammlungslobalen, wo in den nächsten Tagen Versammlungen abgehalten werden, anzuschlagen. (Zuruf bei den Unabhängigen Sozicaldemokraten: Und auch darunter zu schreiben, wer schuld ist an dem Schlamassel! — Zurufe rechts und im Zentrum. — Unruhe. — Zuruf rechts: Also mit der Unterschrift der Unabhängigen Sozialdemokratie!) — Herr Abg. Koenen, wem Sie einen Zwischen⸗ ruf machen, weiß ich immer, man könnte antworten so mit einem „Bumm“. Was wollten Sie denn jetzt damit sagen? Glauben Sie dem nicht, daß ein Finanzminister jede Preissteigerung, die ivgendwo stattfindet, am meisten empfindet? Was es an Preissteigerungen gibt, endet schließlich in einer Forderung im Finanzministerium. (Zu⸗ stimmung bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Ich habe des⸗ halb in mehrveren Reden darauf hingewiesen — lesen Sie nur einmal die Reden nach —, daß mit Steuexpolitik allein eine Finangpolitik nicht gemacht werden kann. (Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokvaten.) Steuer⸗ und Finanzpolitik muß Hand in Hand gehen mit einer Wirtschaftspolitik. (Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemobvaten.) Das habe ich von Anfang an immer betont. (Zuruf von den Unabhängigen Sozialdemokraten: Das ist vollständig richtig!) — Nur ist das Rezept des Herrn Abg. Koenen das unglück⸗ lichste zur Lösung dieser Probleme. (Lebhafte Zustimmung rechts, im Zentrum und bei den Deutschen Demokraten. — Zuruf von den Un⸗ abhängigen Sozialdemokraten: Das wird sich im Laufe der Zeit zeigen! Bisher haben Sie jedenfalls Umecht mit Ihren Rezepten behalten!) — Gegenruf von der Deutschen Volkspartei: Was haben Sie (zu den Unabhängigen Sozialdemokraten) für Rezepte? Etwa die Sozicllü⸗ sierung nach dem Muster der Eisenbahnen? — Erneuter Gegenruf von den Unabhängigen Sozialdemokraten: Das ist eine Verstaatlichung! — Glbocke des Präsidenten.)
Ich komme zum Schluß. Ich bitte das hohe Haus, aus den Vor⸗ kommnissen des heutigen Morgens im Haushaltsausschuß keine Schlüffe dahin ziehen zu wollen, daß wir nun die sachliche Erledigung der Beamtenprobleme gefährden wollen. Im Gggenteil, wir warten die Erklävung der Verbände ab, und ich zweifle nicht — sie ist teilweise schon erfolgt — — (Zuruf von den Sozialdemokraten: Das ist nicht klar genug von Ihnen gesagt! Das ist mit aller Schärfe vom Vor⸗ stand des Deutschen Eisenbahnerverbandes geschehen!) — Das habe ich vorhin gesagt. Ich habe ausgeführt, daß der Herr Kollege Kotzur diese Sache im Namen seines Verbandes abgelehnt hat. Die übrigen Ver⸗ bände haben noch nicht die Vollmacht gehabt, Erklärungen abzugeben. Es sind auch abschwächende Erklärungen abgegeben worden.
Ich sage: wir wollen am Montag in vein sachlicher Form, wenn uns die Erklärung zugegangen ist, zur Ehre der deutschen Beamtenschaft und zu ihrem Wohle das verabschieden, was ihnen gegeben werden muß, um die Ungerectigkeit aus der Welt zu schaffen. (Brapol rechts,
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im Zentrum, bei den Deutschen Demokraten und bei den Sozial⸗ demokraten.)
Nachstehend sind ferner zwei Reden des Reichspost⸗ Giesberts im Wortlaut nachgetragen, die schon im Reichstagsbericht in Nr. 170 auszügiich wiedergegeben waren:
„Auf die Ausführungen der Abg. Frau Zietz (U. Soz.) erwiderte der
Reichspostminister Giesberts: Meine Damen und Herren! Ich für meine Person will mich dieser Mahnung des Herrn Präsi⸗ denten gerne fügen. Nachdem Frau Zietz den Antrag zurückgezogen hat, will ich mich damit nicht beschäftigen. Ich habe nur den Wunsch und die Hoffnung, daß die Haushaltskommission in der Ein⸗ stufungsfrage eine Lösung finden wirnd, die möglichst die breiten Kreise der Beamtenschaft befriedigt und keine Verärgerung zurückläßt.
Dann möchte ich einige Irrtümer aufklären. Was die Vorschüsse anlangt, so treffen die Fälle, die Frau Zietz erwähnt hat, für die Reichs⸗ postverwaltung nicht zu. Mir ist nicht bekannt, daß bei uns jemand
mit 27 Pfennig abgefunden worden ist. (Sehr richtig! — Zuruf von den Unabhängigen Sozialdemokraten.) — Ich bin nicht für die Eisen⸗ bahnverwaltung verantwortlich, das müssen Sie beim Verkehrs⸗
ministerium vorbringen. Bei der Reichspostverwaltung ist den höheren Beamten der ganze Vorschuß einbehalten worden, bei allen anderen die Hälfte, und ich habe dann verfügt, daß am 1. Juli von der weiteren Hälfte nichts mehr einbehalten wurde, weil das der Mietstermin ist und ich die Beamten in ihrem Haushaltsetat nicht so belasten wollte, und für den Rest haben wir Teilzahlungen vorgesehen, die wir mit den Beamtenorganisationen durchgesprochen haben.
Es ist ein großer Irrtum von Frau Zietz, wenn sie glaubt, daß bei der Reichspostverwaltung die sachlichen Ausgaben schwerer wiegen als die persönlichen. Das Gegenteil ist der Fall. Ich darf die Ziffern einmal vorlesen, sie sind sehr bemerkenswert. Im Jahre 1914 be⸗ trugen nach dem Haushaltsplan die persönlichen Ausgaben bei der Reichspost⸗ und Telegraphenverwaltung 562,3 Millionen Mark oder 75 % des Gesamtetats, die sächlichen Ausgaben 187,2 Millionen glleich 25 % des Gesametats. In dem Haushalt des Jahres 1920, der jetzt im Herbst beraten wird, sind die persönlichen Ausgaben mit 4 Milliarden 568,7 Millionen Mark gleich 83,8 % der Gesamtausgabe und die sächlichen Ausgaben mit 883 Millionen Mark oder 16,2 % der Gesamtausgabe beziffert. Alfo die persönlichen Ausgaben sind bei der Reichspostverwaltung ganz enorm viel höher als bei der Eisenbahm.
Bezüglich der Personabakten wird das Reichsamt des Innern 6 aufklären, daß sie sich auch da im Irrtum befindet. (Sehr richtig!
Was nun, meine Herren, den Erlaß über die Beamtenausschüsse anllangt, so möchte ich zur Klarstellung folgendes ausführen. Als in Weimar der Beschluß gefaßt wurde, ein Betriebsrätegesetz einzuführen, habe ich mich mit meinem Beamtenbeinat sofort zusammengesetzt, und wir haben einen Entwurf ausgearbeitet für eine ähmliche Verordnung bei der Reichspostverwaltung, indem ich mir sagte, daß, wenn für die Arbeiter die Betriebsräte durchgeführt werden, möglichst gleichzeitig damit sie eine Vertretung bekämen. Während der Beratung des Betriebsrätegesetzes konnte ich selbstverständlich mit dieser Verondnung nicht herausrücken. Später war es dann die Auffassung des Reichs⸗ kabinetts, es sei nicht tunlich, daß ein Einzelressort diese Frage regele, sondem daß die Beamtemräte durch Gesetz geregelt werden müßten. Das Reichsamt des Innern hat einen solchen Gesetzentwurf vorbereitet und ziemlich abgeschlossen. Da aber die Sommertagung des Reichs⸗ tags unmöglich soviel Zeit für dieses sehr schwierige Gesetz, das die wichtigsten Lebensfragen der Beamten aufrollt und schließlich die ganze Existenzfrage der Beamten betrifft, aufwenden kann, habe ich das vorige Reichskabinett gebeten, auf Grund des Entwurfs, den das Reichsamt des Imern ausgearbeitet hat, ein Provisorium zu schaffen. Ich wollte diese Lücke für die Beamten nicht lassen, nachdem die Arbeiter die Betriebsräte haben und für die Beamten doch etwas ähnliches geschaffen werden muß. Ich stehe persönlich auf dem Standpunkt, daß, wenm die Sache so liegt, man sich nicht an Buchstaben und Para⸗ graphen klammern darf. Es kommt darauf an, daß eine Vertretung geschaffen ist, daß Menschen sich zusammensetzen und in gutem sozialem Geiste in einer Körperschaft zusammenarbeiten können. Und ich bin der Ueberzeugung, daß dieser Erlaß einen guten Boden als Provisorium bis zur endgültigen Regelung des Gesetzes abgibt.
Was die Gruppemwahl anlangt, so stehen sich hier die Meinungen der Beamtenschaft diametral gegenüber. Die mittblere Beamtenschaft steht geschlossen auf dem Standpunkt, daß es ihr nicht zugemutet werden könne, ihre Verkretung von den großen Gruppen wählen zu lassen. (Zuruf bei den Unabhängigen Sozialdemobraten.) — Das ist keine einseitige Auffassung von mir, sonder das ist eine Frage, die weit und breit in der Beamtenschaft erörtert worden ist, wo die Beamten eine Einigung nicht finden konnten. An sich halte ich es für richtig, daß verschiedene Gruppen mit verschiedenen Auffassungen in dem Aus⸗ schuß vertreten sind.
Was nun die Majorisierung anlangt, Frau Zietz, so glaube ich, daß der Schutz der Minderheit in dieser Interessenvertretung notwendig ist und daß wir die Majorisierung bei den kleinen Gruppen ver⸗ hindern müssen. Das kommt ebensowohl den unteren Beamten zugute, um den Ausdruck zu gebrauchen, wie den anderen, den mittleren. Um die gegenseitige Majorisierng zu verhindern, meine Damen und Herren, ist diese Bestimmung getroffen worden. Ich halte sie für sozial klug und berechtigt. Denn, meine Damen und Herren, damit kommen wir nicht zu Rande, wenn sich die Gruppen gegenseitig majorisieren. Sie müssen sich verständigen. Im übrigen habe ich, wenn Beschwerden an mich gelangt sind, sofort Anlaß genommen, mit den Beamten⸗ organisationen Fühlung zu nehmen. Es handelt sich für uns gegen⸗ wärtig darum, den Entwurf so zu gestalten, daß er marschfähig wird. Mehr möchte ich vorläufig zu dieser Sache nicht sagen.
Gegen den Schluß der Sitzung nahm der Minister dann nochmals das Wort und führte folgendes aus:
Reichspostminister Giesberts: Meine Herren! Ich möchte dem Herrn Abgeordneten Geck sagen, daß die Oeffnung der Auslands⸗ briefe nicht auf Veranlassung der Reichspostverwaltung geschieht, sondern auf Veranlassung des Reichsfinanzministeriums. Solange das Reichsfinanzministerium glaubt, darauf mit Rücksicht auf den Geldschmuggel ins Ausland nicht verzichten zu können, können wir dagegen nicht angehen.
Das gleiche gilt von der Ueberwachung der Telephone und der
Ich stehe mit dem Herrn Abgeerhneten Gocl grundsätz
1“
lich auf dem Standpunkt, daß das Post⸗ und Telegraphengeheimais eines der wichtigsten Postulate ist, das man nicht unnötig durchbrechen sollte. Aber es wird auch nur in Ausnahmefällen durchbrochen, und in diesen Fällen muß sich die Postverwaltung den höheren Zwecken fügen. Daß solche Fälle im Eatwaffnungsgesetz vorgesehen sind, da⸗ geegn habe ich auch große Bedenken gehabt. (Zurufe voa den Unab⸗ hängigen Sozialdemokraten.) — Ja, Herr Kollege Geck, dann bitte ich mir schriftlich die Dinge zugehen zu lassen, damit ich die einzelnen Fälle untersuchen kann. — Wir haben bei der Post keine Veranlassung, Tele⸗ phongespräche zu überwachen; denn die Beamten der Reichspost⸗ verwaltung sind froh, wenn sie mit folchen Dingen verschont werder. Sie haben so wie so geaug zu tun. (Zustimmung.)
Nun möchte ich Frau Zietz sagen: sie hat mir im Haushaltsaus⸗ schuß die Beschwerden über die Postillione vorgebracht. Ich habe sie dringend gebeten, mir das Material zu geben, die Namen und Aemter zu nennen. Wenn Sie sagen: In einer Reihe von Postanstalten kommt das vor, so frage ich: Wo ist die Reihe von Postämtern? Ich kann sie doch nicht ausfindig machen. Bitte, übergehen Sie mir die Namen von Mann und Pferd, dann werde ich die Fälle gern untersuchen lassen. Es wird vielleicht so seia, daß junge Aushelfer vom Lande in die Postillionstellen hineinkommen. Man kann es mir doch nicht übel nehmen, wenn ich als Postillione in erster Linie Leute nehme, die auf dem Lande groß geworden sind und die von Pferden etwas verstehen.
Zum Schluß noch eine kurze Bemerkung bezüglich der Aus⸗ führungen des Herrn Abgeordneten Bruhn. Er hat seinen Antrag ganz besonders mit großer Freundschaft für die Militäranwärter be⸗ gründet. Ich möchte doch nicht den Gedanken aufkommen lassen, als ob die Interessen der Militäranwärter von der Reichspostverwaltung vernachlässigt würden. Ich muß aber sagen: der Antrag, den er ein⸗ gebracht hat, ist mit Rücksicht auf die allgemeinen Interessen der Be⸗ amten im Notetat und mit Rücksicht darauf, daß er die Militär⸗ aagwärterfrage aus einem Etat herausgreiftt, so bedenklich, daß ich dringend bitten muß, ihn abzulehnen. Ueber die Militäranwärterfrage ist bereits eine vollständige Einigung zwischen uns und dem Reichs⸗ finanzministerium erzielt, und dem wird bei der Einstufung der Be⸗ amten, die jetzt erfolgt, vollgültig Rechnung getragen. (Bravo! rechts.) Im übrigen kama man nicht wollkürlich statt 40 000 50 000 Beamte setzen. Damit wird nichts erreicht, und eine solche Politik kann man nicht machen. Deshalb bitte ich Sie, diesen Antrag abaulehnen
16. Sitzung vom 2. August, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüöros des Vereins deutscher Zeitungsverleger.)“)
Ein Schreiben des Reichspräsidenten bestätigt den Empfang der Mitteilung von der Wahl des Reichstagspräsi⸗ diums. Der Reichspräsident begrüßt die Gewählten und spricht die Hoffnung auf ihr segensreiches Wirken aus.
Der Gesetzentwurf über das vorläufige Abkommen, über die Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen dem Deutschen Reiche und Lettland wird in allen drei Lesungen ohne Erörterungen ange⸗ nommen.
In der ersten “ des Vertrages zwischen der Deutschen und Niederländischen Regie⸗ rung über Kredit und Steinkohlen bemerkt
Abg. Dr. Pfeiffer (898 Dieses Abkommen ist als Anfang des Wiederaufbaues und der deö wirtschaftlicher Be⸗ ziehungen zu anderen Nationen von großer Bedeutung. Ich spreche unseren Dank dafür aus. Der Abg. 8* hat neulich schon in einer großen Versammlung in Bochum der holländischen Regierung gedankt und erklärt, daß die Bergarbeiter alles daran setzen werden, um dieses Abkommen zu erfüllen. Ich danke besonders deshalb, weil in lehhe Stunde verschiedene Schwievigkeiten das Zustandekommen erschwert haben. Ich freue mich, daß es der Energie des jetzigen
“ gelungen ist, diese Ernte in die Scheuer zu bringen.
Das Abkommen mit Holland ist von guter Vorbedeutung. Es ist
bereits durch den Finanzminister Erzberger begonnen sein e
er Initiative ist die erste Einleitung zu danken. Aber ich danke auch den Beamten des Reichswirtschaftsministeriums, die in ernster, zäher Arbeit den Vertrag abgeschlossen haben, sowie auch den wirischaft⸗ lichen Kreisen Hollands, die in schwerer Arbeit auch mancherlei Widerstande in ihrem Lande überwunden haben. Ich hoffe, daß weitere wirtschaftliche Abkommen baldigst folgen werden. (Beifall.)
In der zweiten und dritten Beratung wird der Gesetz⸗ entwurf einstimmig angenommen.
Der Gesetzentwurf zur Aenderung des Gesetzes über Post⸗ gebühren, der die Erhöhung der, Zeitungsge⸗ bühren erst am 1. Januar 1921 in Kraft treten läßt, wird in allen drei Lesungen ohne Erörterung angenommen.
Nächster Punkt der Tagesordnung ist die zweite Be⸗ ratung des Gesetzentwurfs über die Entwaffnung der Bevölkerung.
Präsident Löbe bittet, diesen Punkt auf eine spätere Tageszeit zu .“ da das Protokoll der Ausschußberatung noch nicht vorliegl.
Abg. Ledebour (U. Soz.): Ich bitte, diesen Gegenstand über⸗ haupt von der heutigen Tagesordnung abzusetzen. Am Sonnabend ist auch die dritte Lesung auf die Tagesordnung gesetzt worden ohne jeden Hinweis, daß dies gegen die Geschäftsordnung Phcta daher ist kein Widerspruch gegen die Ansetzung der dritten Lesung erhoben worden. Jetzt liegt noch nicht einmal der Kommissionsbericht vor. Wir können den Gegenstand morgen auf die Tagesordnung setzen.
Präsident Löbe bittet, darüber erst später zu entscheiden, wenn
das Haus besser besetzt ist. — Das Haus ist damit einverstanden.
Es folgt die Beratung des von den öö kraten eingebrachten Antrages, betreffend. Vor⸗ legung eines allgemeinen Amnestiegesetzes, in Verbindung mit der Beratung eines den gleichen Gegenstand betreffenden Antrags der Unabhängigen und der ersten Be⸗ ratung des von den Regierungsparteien eingebrachten Ge⸗ setzentwurfsüber die Gewährung von Straf⸗ freiheit.
Abg. Dr. Radbruch (Soz.): Wir haben in unserem Antrage gewünscht eine Vorlage, welche dem Inhalt des Bielefelder Ab⸗ kommens, dessen Erfüllung der Reichsjustizminister Blunck feierlich zugesagt hat, gerecht wird. Wir eine Amnestie verlangt für diejenigen, welche sich bei Bekämpfung des Kapp⸗Putsches strafbarer Handlungen schuldig gemacht haben. Der vorliegende Gesetzentwurf geht weiter. In ihm wird nicht nur den Kapp⸗Gegnern, sondern auch den Kappisten Straffreiheit gewährt. Die Amnestie muß nun auch erstreckt werden auf alle Revolutionäre des Jahres 191 , die schon einen großen Teil ihrer Strafe verbüßt haben, die viel geringere Schuld haben als die Kappisten (Sehr richtig! links). Auch die Münchener Revolutionäre von 1919 und die Teilnehmer an den
*) Mit Ausnahme der Reden der Herren Minister, die im Work⸗
laut wiedergegeben werden.
Nr. 171.
Verlin, Dienstag, den 3. August
nzeiger — 1920
—
Forisetzung aus der Ersten Beilage.) 8
““ “ “
Januar⸗ und Märzunruhen müssen einbezogen werden. Der Antrag der Regierungsparteien will die Straffreiheit beschränken lediglich auf hochverräterische Handlungen gegen das v und auf die Ab⸗ wehr solcher Handlungen. Hinter dieser Beschrankung auf den Hoch⸗ verrat gegen das Reich steht “ der Einfluß Bayerns, das Straffreiheit für die 1919 gegen den bayerischen Staat begangenen Hochverratshandlungen nicht wünscht (hört! hört), aus formal juristi⸗ schen und aus sachlichen Gründen. In der det) gaus sofme ist die ausdrückliche Bestimmung enthalten, daß eine Reichsamnestie eines Reichsgesetzes bedarf. Unzweifelhaft steht dem Reich auch das Amnestie⸗ recht gegenüber Bayern zu. Was die sachlichen Bedenken Bayerns betrifft, so scheint es kein besonderes Selbstvertrauen für Bayern zu bedeuten, wenn es glaubt, mit Erich Mühsam und seinesgleichen nicht fertig werden zu können, wenn sie freigelassen werden. Um sicher zu gehen, wollen wir die Worte „gegen das Reich“ bei der Straffreiheit gestrichen haben, die für hochverräterische Unternehmungen gewährt werden soll, um dadurch zu zeigen, daß es sich um eine politische Amnestie für alle hochverräterischen ndlungen, wo und gegen welchen Staat sie begangen sein mögen, handelt. Wir nehmen an, daß man lediglich die Führer des Kapp⸗Unternehmens von der Amnestie ausnehmean will, denn damit bleiben nur die nicht straf⸗ frei, die man nicht in der Hand hat. Nicht nur die höchsten und obersten Putschführer müssen belangt werden können, sondern auch sonstige Jührer, Regierungspräsidenten, Brigadekommandeure und dergleichen. Außerdem muß festgestellt werden, daß die Straffreiheit sich nur auf die kriminelle Straffreiheit bezieht, nicht auf die disziplinare. Als akademischer Lehrer, dem unsere akademische Jugend am Herzen liegt, wende ich mich an die Rechtsparteien, die durch ihre Presse und die von ihnen beeinflußte Lehrerschaft aa den Hochschulen und an den höheren Schulen die Jugend in ihrer Gefolgschaft haben. (Ruf: Gott sei dank! rechts.) Ich hoffe, daß Sie sich dann auch Ihrer Verpflichtungen be⸗ wußt bleiben. Sie verhetzen durch Inschriften, die beispielsweise in einer Gymnasialschule oberhalb eines von einer Kaiserbüste befreiten Sockels angebracht sind, die Jugend in unheilvollster Weise. Eine Kluft von Mißtrauen wird sie aufgetan zwischen unserem Volke und unserer akademischen Jugend. Sie bedauern immer, daß unser Volk ohne geistige Führer ist, gerade Sie haben Volk und akademische Jugend einander entfremdet. (Großer Lärm rechts.) Sie haben unsere Jugend hineingehetzt in eine Opposition. (Erneuter Lärm. Ruf: Sie sind der Hetzer!) Nichts ist billiger als Opposition, nichts ist häßlicher als Haß! (Ironisches Sehr wahr! rechts.) Es ist Ihr gutes Recht, die monarchistische Weltanschauung zu hegen, Sie stellen sich aber nach Ihrem Programm für den Augen⸗ blick auf den Boden der Republik und der Demokratie. Bringen Sie deshalb auch unserer Jugend den Wirklichkeitssina bei. Befreien Sie unsere Jugend von dem Gefühl einer bloßen Vorläufigkeit, in der sie sich befinde. Nur wenn diese seelischen Voraussetzungen geschaffen werden, kann diese Amnestie zu einer politischen Entspannung führen und unserem Volke zum Segen gereichen. (Lebhafter Beifall links.)
Abg. Dr. Herzfeld (U. Soz.): Wir haben sofort beim Zu⸗ sammentritt des Reichstages die Amnestie verlangt und damit aus dem Herzen von Millionen deutscher Arbeiter gesprochen. Die Gefängnisse, Zuchthäuser wad Festungen sind überfüllt, sie können neue Verurteille nicht aufnehmen, so daß die Rechtspflege bei uns in Deutschland zum Stillstand gebracht ist. Die Avrbeiterschaft muß einsehen, daß diese Revolution, in der sie gesiegt zu haben glaubt, vollkommen verpfusche ist, sie müsse sich nach anderen Methoden und einer anderen Führer⸗ schaft umsehen, um diese Revolution nach ihrem Wunsche zu gestalten. Die bisherigen Zlutionen standen unter dem Einfluß der Mehr⸗ heitssozialdemokraten, unter ihrer Herrschaft haben sich die Gefängnisse wad Zuchthäufer mit Proletariern gefüllt, eine Amnestie ist nicht ein⸗ getreten. Was uns jetzt geboten wird, ist nur ein Stück, ein Rumpf, das genügt was nicht. Dieses Gesetz soll auch die amnestieren, die an dem Kapp⸗Lüttwitz⸗Unternehmen mitgewirkt haben, das wird dazu führen, daß alle diese Putschisten in militärischen und zivilen Stellen amnestiert werden, nur nicht Kapp, Lüttwitz und vielleicht auch Bauer, die man nicht hat. Den Oberst Bauer hat man fortwährend gesucht aber nicht gefunden, trotzdem er im Reichswehrministerium aus⸗ vad einging. Statt dessen hat man im Ruhrgebiet 969 Angeklagte bereits nach den Militärgesetzen abgeurteilt, 4686 harven ihrer Aburteilung. Die Regierung hat dieses Gesetz durch ihre Parteien einbringen lassen. weil sie keinen Raum für alle diese Abgeurteilten mehr hat. Aehnliche Verhältnisse wie im Ruhrgebiet bestehen in den übrigen Reichsteilen. Wir fordern, daß die Amnestie gewährt wird für alle Vorkämpfer der Revolution Die Verpflegung in den Gefängnissen ist derart, daß die Leute verhungern, wenn sie nicht von auswärts noch Nahrung de⸗ kommen. Weit über die Höchstgrenze sind die Gefängnisse mit politischen Gefangenen belegt. Gegenüber der Tatsache, daß die Kapp⸗Leute alle frei ausgegangen sind, ist es eine Forderung der Gerechtigkeit, auch die Opfer der Revolution zu amnestieren. Die Revolution ist eine Ver⸗ letzung des ganzen Strafgesetzbuches. Wir beantragen, daß für alle politischen Vergehen im Ausland Amnestie gewährt wird. Die gegen⸗ wärtige Regierung hat in ihrer Programmrede erklärt, sie regiere nicht gegen die Arbeiter, sondern mit und für die Arbeiter. Wenn keine allgemeine Amnestie kommt, dann darf man sich nicht wundern, daß die Arbeiter eatsprechend handeln.
Abg. Burlage (Zentr.): Der Abgeordnete Radbruch hat ge⸗ meint, Amnestien seien Meilensteine am Wege der Revolution. Darap mag etwas Wahres sein, aber wir können an diesen Meilensteinen dock nur mit dem höchsten Ernst und dem größten Schmerz vorübergehen. Die Revolutionen haben in ihrem Gefolge die schwersten Straftaten, so daß man geradezu bange wird, wenn man sich fragt, wann in deutschen Landen endlich wieder Ruhe und Ordnung einkehre. Wir bedürfen vor allem der Stärkung der Autorität und der Achtung vor den Ge⸗ setzen. Gewiß müssen Gesetze vov ihrem Erlaß reiflich überlegt werden, aber sind sie einmal erlassen, so sind sie auch zu befolgen. Wir geben aber zu, daß man diese Forderung zurzeit nicht unbeugsam zur Durch⸗ führung bringen kann, und auch die Regierungsparteien erkennen an, daß die Zeit noch einmal in bestimmtem und begrenztem Umfang ei allgemeines Begnadigungsgesetz Se Der unglückselige Kapp⸗ Putsch und was daraus besonders im Ruhrgebiet hervorgewachsen ist, bietet den Anlaß. Herrn Dr. Herzfeld und seine Freunde bitte ich doch, auch daran zu denken, wie sie in den letzten Monaten zum Streik gehetzt und dadurch Unruhen herbeigeführt haben. (Stürmischer Wider⸗ spruch bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Haben Sie (zu den Unabhängigen Sozialdemokraten) schon vergessen, was in der National⸗ versammlung von Herrn Braß und seinesgleichen hier geredet worden ist Wenn Sie das gehört hätten, würden Sie Ihrer Entrüstung sichersich Zügel anlegen. Nur mit Beklemmung haben wir von allen diesen schweren Ausschreitungen und Gesetzesverletzungen Notiz nehmen können. Wer will bestreiten, daß die revolutionäre Bewegung noch nicht vorüber ist, daß man fühlt, der Grund und Boden wankt, auf dem wir stehen. Um so mehr sollte alles versucht werden, uns auf einer mittleren Linie zusammenzufinden. Das Fiat justitia darf nicht dahin führen, daß mundus pereat. Wir verkennen auch nicht, daß jene Tage der Aufregung, des Schreckens, der Verwirrung. manchen zu Taten verleitet haben, die er in ruhigen Tagen nicht begangen haben würde. Der Gewährung der bö. 88 aber besttiterte genües g.
eerden, sollen wir nicht gerade mit dem besten Teil unseres Veches in vegelhen F geraten. Unter allen Umständen soll nach Unserem Wunsche die Amnsftie ausgeschlossen sein für die Verbrechen
der vorsätzlichen Brandstiftung, der Mordbrennerei. Ebenso für die Verbrechen gegen das Leben, endlich für die Fälle des schweren Raubes und der schweren Körperverletzung. Ursprünglich war hier auch die Ge⸗ fährduag von Eisenbahntransporten angefügt worden, das hat man aber nachher wieder fallen lassen. Jedenfalls können wir nicht verantworten, daß gemeine Verbrecher von der Amnestie erfaßt werden; das würde den höchften Unwillen der gutgesinnten Kreise erregen, und darum stemmen wir uns dagegen mit aller Entschiedenheit. Amnestie soll er⸗ geben auch für die Beteiligten am Kapp⸗Putsch, mit Ausnahme der Ur⸗ heber und Führer. In diesem Sinne haben sich, als am 13. März die Nationalversammlung in Stuttgart tagte, fast alle Parteiführer geäußert. Herr Scheidemann verlangte strengste Bestrafung der Rädelsführer, Herr von Payer sprach von Bestrafung der Anstifter, H Becker⸗Hessen verlangte auch Einschreiten gegen die sogenannten Kädelsführer, ich selbst erklärte damals, ich hielte Milde für die Ver⸗ führten, aber eiserne Strenge gegen die Verführer und Rädelsführer für angebracht. Auch Herr Dr. Düringer hat später von der Bestrafung der Anstifter gesprochen, und danach könnten die Deutschnationalen eigentlich ihren heutigen Antrag, soweit er die Streichung der Urheber und Führer aus unserem Vorschlag bezweckt, zurückziehen. Die von der Linken vorgeschlagene Fassung geht uns zu weit. Wir meinen, der Entscheidung des richterlichen Ermessens solle man nicht allzu enge Schranken setzen, und auch deshalb halten wir unsere Fassung für empfehlenswerter. Bei der Straffreiheit für die Antikappisten, für diejenigen, die in dem Glauben, es handle sich um die Abwehr der Gegenrevolution, vorgegangen sind, wird keine Unterscheidung zwischen Urhebern und Führern einerseits und Verführten andererseits gemacht. Herr Kapp und seine Unterführer haben sich in den Märztagen eines furchtbaren Frevels und Verbrechens am deutschen Volke schuldig ge⸗ macht. In die inneren Verhältnisse eines Landes durch ein Amnestie⸗ gesetz einzugreifen, haben die Regierungsparteien Bedenken getragen. Selbstoerstäadlich aber werden auch die hochverräterischen Straftaten, die sich in Bayern gegen das Reich gerichtet haben, von diesem Amnestiegesetz erfaßt. Ob es theoretisch zulässig ist, durch 1. amnestiegesetz in die inneren Verhältnisse eines Landes, also auch Bayeras, einzugreifen, lasse ich dahingestellt, j⸗denfalls erscheint das zurzeit nicht angebracht. Versuchen wir doch in dieser Sache, die doch zu einem gedeihlichen Abschluß gebracht werden muß, uns auf ein positives Ergebnis zu vereinigen. (Beifall im Zentrum.)
Abg. Dr. Düringer (D. Nat.): In einem geordneten Rechts⸗ staat kann man nur aus “ Anlaß zu einer allge⸗ meinen Amnestie schreiten. Eine Amnestie für politische Vergehen könnte allerdings ein Zeichen der Macht und des Selbstvertrauens des Staates sein. Aber ich wage es nicht, in dieser Beziehung mich Illusionen hinzugeben und eine so freundliche Perspektive an die Amnestie⸗Entwürfe hier zu knüpfen. Eine politische .“ halten wir jetzt allerdings für angebracht, weil viele Volksgenossen infolge des Krieges, der Friedensbedingungen und der Revolution und der inneren Kämpfe das moralische Gleichgewicht verloren haben und sich zu Ausschreitungen haben verleiten lassen. Unser Volk ist psychisch krank, deshalb stehen wir der politischen Amnestie freund⸗ lich gegenüber. Der Antrag Ledebour nimmt den Kapp⸗Putsch aus, der Entwurf der Regierungsparteien schließt die Roheitsdelikte aus. Diesen letzteren vom interfraktionellen Ausschaß enehmigten Ent⸗ wurf erklärte die Regierung jedoch für unannehmbar mit Rücksicht auf Bayern, denn unter dieser Amnestie würden auch die bayrischen Hochverräter aus 1919 fallen, für die die bayrische Volfsvertr tung eine Amnestie bereits abgelehnt hat. Die bayrischen Vertreter der Regierung und der Fraktionen erklärten, daß solche Majorisierung Bayerns unter keinen Umständen geduldet würde, daß die Annahme eines solchen Reichsgesetzes schwere innere Kämpfe auslösen (hört, hört! links), ja, die Reichseinheit gefährden könnte. (Hört, hört! links.) Deshalb soll sich die Amnestie jetzt nur auf die Straftaten von 1920 beziehen. Ich selbst hätte der örtlich und zeitlich unbe⸗ grenzten Amnestie, die auch die Rädelsführer nicht ausnahm, am liebsten Folge gegeben, aber wir glaubten uns den bayrischen Be⸗ denken nicht verschließen zu dürfen. Die Justizhoheit eines Landes und das Votum seiner Volkskammer müssen respektiert werden. Wir sind daher für die Amnestie, welche nur die Straftaten von 1920 umfaßt und sich nur auf die hochverräterischen Unternehmungen gegen das Reich bezieht, dagegen bestehen wir darauf, daß auch in diesem Falle für die Rädelsführer keine Ausnahme gemacht wird, sondern auch diese unter die Amnestie fallen. (Sehr richtig! rechts) Unter dem ersten Eindruck des e sagte ich hier, die Dummheit sei immer die erste Todfünde, und den Kapp⸗Putsch halte ich für eine große politische Dummheit. Ein englischer Philosoph, der sic mit den Problemen des menschlichen Intellekts viel beschäf⸗ tigte, sagte einmal, die Deutschen seien das dümmste Volk der Erde, nur sei es erstaunlich, daß sie so viele ausgezeichnete praktisch ver⸗ wertbare Erfindungen machen. Ich lasse dahin gestellt, wie weit dieses Urteil jetzt noch zutrifft, aber man bedenke, wie viele unglaub⸗ liche Dummheiten in Deutschland von dem Tage der Entlassung des Fürsten Bismarck an bis jetzt gemacht sind. (Sehr wahr! rechts.) Eine Dummheit ist es auch, wie die Parteien sich über die Schuld am Kriege bekämpfen, wührend wir jetzt alle zusammenstehen sollten. Eine Dummheit ist es auch, daß wir uns streiten, ob die Führer des Kapp⸗Putsches von der Amnestie ausgenommen werden sollen, Wir können sie schon deswegen nicht von der Amnestie ausnehmen, weil ihnen die Amnestie versprochen worden ist. Bei den Verhand⸗ lungen zur Beendigung des Kapp⸗Putsches, an denen ich selbst teil⸗ nahm, wurden Kapp, Lüttwitz und Genossen zum sofortigen Rücktritt ohne Kampf und ohne Blutvergießen bestimmt. Ein wesentliches Verdienst daran hatte der damalige Reichsjustizminister Schiffer. (Hört, hört!) Allerdings war seine Haltung nicht klar, denn im Laufe des Tages trat er infolge eines Telephongesprächs mit der Regierung in Stuttgart von seinen ersten Vorschlägen zurück, da sie nicht rechtzeitig angenommen seien, er gestattete aber die FPets ung der Verhandlungen durch die Vorsitzenden der Fraktionen Trimborn, Gothein, Stresemann, Hergt mit den Generälen auf der anderen Seite, und zwar in den Räumen des Reichsjustizamts, die er dazu zur Verfügung stellte (hört, hört!, rechts), und in Anwesenheit des Unterstaatssekretärs des Reichsjustizamts. Das Ergebnis der Ver⸗ handlungen war, daß den Beteiligten am Kapp⸗Putsch ein Amnestie⸗ gesetz zugesichert wurde. Die politischen Fraktionsführer erklärten, daß sie sich ber ihren Fraktionen für dieses Gesetz einsetzen würden (hört, hört! rechts) und daß die Amnestie sicher sei. (Zwischenruf links.) Ein sozialdemokratischer Führer war allerdings nicht dabei. Ueber diese Verhandlungen wurde ein Schriftstück aufgesetzt und verviel⸗ fältigt. Herr Schiffer erklärte, daß er sich mit secpfem Amt dafür einsetze, daß ein Amnestiegesetz von der Nationalversammlung als⸗ bald gemacht werden würde. Ferner stand darin, die Fraktionsvor⸗ stände hielten die Annahme des Amnestiegesetzes für sicher. (Hört, hört!) Deshalb haben wir jetzt einen Entwurf beantragt, der ein allgemeines Amnestiegesetz einschließlich der Rädelsführer enthält. Damit muten wff Ihnen nichts Unmögliches zu. Dem Kaiser Sigismund wird immer als weltgeschichtliche Schmach vorgeworfen, daß er einem Angeschuldigten freies Geleit zugesichert, später aber sein Wort gebrochen habe und ihn habe verurteilen und verbrennen lassen. Infolge der Zusicherung der Amnestie haben die Kapp⸗Be⸗ teiligten ihre Aemter aufgegeben und sich der rechtmäßigen Regierung unterworfen. Mein Rechtsgefühl macht es mir und meinen Partei⸗ genossen unmöglich, ein von uns gegebenes Wort zu brechen. Die Führer des Kapp⸗Putsches haben sich auf die zugesicherte Amnestie verlassen, und konnien sich nach Lage der Verhälznisse auf sie ver⸗
Sonst haben wir an dem Entwurf der Koalitionsparteien nicht viel auszusetzen. Aber es fällt auf, daß in § 1 Abs. 1 die Rädelsführer nicht ausgenommen sind. Dagegen werden sie in dal⸗ Abs. 2 ausgenommen. Das ist doch eine schwere Ungerechtigkeit, wenn man die Rädelsführer der einen Seite anders behandelt als die Rädelsführer der anderen Seite. Wir haben unsere Anträge zu den einzelnen Abschnitten gestellt und einen zusammenfassenden Vorschlag eingereicht, welcher das Ziel des Gesetzes deutlicher zeigt. (Beifall.)
Reichsjustizminister Dr. Heinze: Meine Herren! Obgleich hier formell nur Anträge aus dem Hause vorliegen, möchte ich doch nicht unterlassen, die Stellungnahme der Regierung zu diesen An⸗ trägen zum Ausdrucke zu bringen. Ich sehe mich hierzu nicht nur aus dem Grunde veranlaßt, weil die Regierung ein ganz außerordentliches Interesse daran hat, daß die Anträge zu einem positiven Ergebnis führen, nämlich daß wir heute ein Amnestiegesetz bekommen, sondern auch deswegen, weil die Regierung tätig an der Formulierung des 2 von den Koalitionsparteien eingebrachten Antrages mitgewirkt hat. Die Regierung ist also in gewisser Beziehung für diesen Antrag mit verantwortlich.
Es sind hier Bedenken gegen eine Amnestie überhaupt vor⸗ gebracht worden. Ich verschließe mich diesen Bedenken durchaus nicht. Gerade in einer Zeit, wie der jetzigen, in der das allgemeine Rechts⸗ bewußtsein erschüttert und noch nicht wieder gefestigt ist, bestehen sehr schwere Bedenken, mit einer weitgehenden Amnestie einzugreifen und dadurch vielleicht wieder Hoffnung auf Straflosigkeit zu erwecken. Aber, meine Herren, ich habe die Bedenken, die gegen eine Amnestie sprechen, doch überwunden, und zwar überwunden, weil wir tatsächlich in Deutschland und namentlich im Ruhrgebiet unhaltbare Zustände haben. Im Ruhrgebiet liegen die Dinge so, daß wir, wenn Ruhe und Ordnung aufrechterhalten werden sollen, die ungeheuren Erregungen, die durch die fortlaufenden Strafprezesse stattfinden, beschwichtigen mesen. Wir müssen dort Oel auf die Wogen gießen; denn so kann es nicht weitergehen. Einer der Herren Redner hat die Zustände im Ruhrgebiet geschildert. Soweit ich seinen Ausführungen habe folgen können, stimmen die Zahlen im wesentlichen. Aber der Herr Redner hat doch eins anzuführen vergessen, daß schon Hunderte von Be⸗ gnadigungen im Ruhrgebiet erfolgt sind, daß die Regierung mit großer Aufmerksamkeit die Vorgänge verfolgt hat und mit Begnadigungen eingeschritten ist, soweit sie die Verantwortung dafür tragen zu können glaubte.
Die ganze Frage der Amnestie ist jetzt durch die Anträge, die im Hause gestellt worden sind, namentlich durch den Antrag der Ab⸗ geordneten Müller und Genossen, der von der Regierung direkt die
lassen.
Vorlage eines Gesetzes verlangt, ins Rollen gekommen. Die Rer..
gierung würde sich wahrscheinlich diesem Antrage, selbst ein Gesetz vorzulegen, nicht entzogen haben. Aber, meine Herren, die Zeit drängte. Wenn wir das Gesetz erst durch den Reichsrat hätten laufen lassen müssen, so würde es wahrscheinlich in dieser Tagung nicht mehr zur Verabschiedung gekommen sein. Die Regierung hat aber, wie ich nur immer wieder versichern kann, das allergrößte Interesse daran, daß die Amnestie in dieser Tagung mit einem positiven Ergebnisse verabschiedet wird. Darum haben wir uns mit den Regierungs⸗ parteien in Verbindung gesetzt und mit ihnen den Weg beschritten, der jetzt einges chlagen ist, um schneller zum Ziele zu gelangen.
Es liegen Anträge vor, die auf eine allgemeine Amnestie aller politischen Verbrecher gehen. Diese Anträge gehen zu weit. Sie gehen namentlich deswegen zu weit, weil sie politisch, staatsrechtlich nicht tragbar sind. Ich gebe zu, daß letzten Endes das Reich berechtigt ist, Amnestien im weitesten Umfange eintreten zu lassen. Aber an und für sich liegt die Justizhoheit noch bei den Einzelstaaten. Die Amnestie ist ein Gnadenakt, und man hat bisher immer davan fest⸗ gehalten, daß die Gnadenakte zweifellos als Ausfluß der Justizhoheit zur Zuständigkeit der Einzelstaaten gehören. Das Reich hätte also eine Amnestie nur erlassen können, wenn es über die Ansprüche, die die Einzelstaaten berechtigterweise erheben können, bis zu einem ge⸗ wissen Grade hinwoaggegangen wäre. Bayern hat seinerseits den be⸗ stimmtesten Widerspruch gegen eine allgemeine Amnestie erhoben. (Hört, hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Es hat darauf hin⸗ gewiesen, daß im bayerischen Landtage selbst eine Amnestie abgelehnt worden sei und daß es sich infolgedessen unter keinen Umständen vom Reich eine Amnestie aufzwingen lassen tvürde. (Unruhe und Zurufe bei den Unabhängigen Sozialdemokvaten.) Meine Herren, denken Sie on die politischen Zustände, in denen wir leben! Die jetzige Regierung hat, als sie die Regeierung antrat, hier öffentlich erklärt, daß sie die Rechte der Einzelstaaten wahren und über deren Rechte nicht himvweg⸗ gehen wolle. Wir erkennen das Recht Bayerns auf seine Justizhoheit an. Wir hallten den Widerspruch, den Bayern in politischer Beziehung erhebt, für berechtigt uond höchst beachtenswert. (Beifall bei der Baye⸗ rischen Volkspartei.) Eine Regierumng, wie die unsere, hat nicht nur
Gerechtigkeit den einzelnen Personen gegenüber zu üben, sondern sie haat — namentlich, da Deutschland ein Bundesstaat ist — in allerhöchstemn
Maße auch Gerechtigkeit den Einzelstaaten gegenüber zu wahren, nament⸗ lich dann zu wahren, wenn eim Einzelstaat auf sein Recht auf die Justiz⸗ hoheit Anspruch erhebt und gewillt ist, sich mit voller Bestimmtheit der Einwirkung des Reiches entgegenzustellen. (Unruhe und Zurufe bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Unabhängigen Sozicaldemokraten.) Nie und nimmer aber danf ein Bundesstaat vom Reiche vergewaltigt werden. (Unruhe und Zurufe bei den Unabhängigen Sozialdemokvaten.) Das muß unter allen Um⸗ ständen vermieden werden. Die Achtung der den Einzelstaaten zu⸗ kommenden Rechte ist die Basis für unsere politische Existenz in Deutschland. 8 Daher haben wir auf eine allgemeine Amnestie nicht zurückkommen können. Wir haben aber doch — und zwar durchaus im Sinne des Antrages, der von Hervn Müller und Genossen gestellt worden ist — den Gedanken weiter verfolgt. Soweit das Reich einen Strafanspruch
hat, sind wir zu dem Ergebnis gekommen, eine Amnestie herbeizu.
führen. Das Reich hat den Strafanspruch nach dem Strafgesetzbuch und der Strasprozehordnung, soweit Hochverrat gogen das Reich in
Wir haben das Gefühl gehabt, als müßten wir Bayern vergewaltigen. (Lachen und Zuuufe bei den