1920 / 171 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 03 Aug 1920 18:00:01 GMT) scan diff

Frage kommt. nsoweit wollen wir von dem uns zustehenden Recht⸗ Gebrauch machen und nunmehr in allerweitestem Maße amnestieren.

Die Vorlaße der Koalitionsparteien geht von dem Gedanken aus, daß der gegen das Reich gerichtete Hochverrat amnestiert werden soll. Aber wir gehen auf dem Wege, den uns der Antrag Müller und Ge⸗ nossen gewiesen hat, weiter. Wir wollen nicht nur den Hochvercat selbst amnestieren, sondern und zwar selbstverständlich mit an erster Stelle alle Abwehrhandlungen, die sich gegen den Hoch⸗ verrat richteten, und nicht nur diese, sondern auch alle Handlungen, die sowohl mit dem Hochverrat wie mit den Abwehrhandlungen in ursäch⸗ lichem Zusammenhange stehen.

Das ist eine staatsrechtlich klare, juristisch scharf formulierte Fassung der Amnestie!

Von diesem weit ausschauenden Gedanken müssen wir Ausnahmen machen (Unruhe und Zurufe bei den Unabhängigen Sozialdemokraten). soweit gemeine Verbrecher in Frage kommen. Niemand im Hause will gemeine Verbrecher amnestieren. Auch das Bielefelder Abkommen hat ausdrücklich gemerne Verbrecher ausgenommen.

Weiter haben wir aber die sogenannten Rädelsführer ausge⸗ nommen. In der Vorlage der Koalitionsparteien heißt es: „Urheber und Führer“, mit anderen Worten: Rädelsführer. Der Begriff des Rädelsführers ist durch die Ausdrucksweise des Gesetzentwurfs schärfer gefaßt. Die Koalitionsparteien und auch die Regierung bei ihrer Mit⸗ arbeit mit den Kvalitionsparteien haben sich nicht entschließen köanen, auch die Rädelsführer beim Hochverrat zu amnestieren. Wer derar namenloses Unglück über Deutschland gebracht hat (Unruhe und Zu⸗ rufe bei den Unabhängigen Sozialdemokraten), kann nicht amnestier werden. Deshalb hat es die Regierung abgelehnt, die Rädelsführer beim Hochverrate in die Amnestie einzubeziehen.

Dieser Antrag der Koalitionsparteien, der unter Mitarbeik den Regierung zustande gekommen ist, folgt, wie gesagt, dem Bielefelder Abkkommen in gewisser Richtung. Er unterscheidet sich jedoch sowohl von den Anträgen der Unabhängigen wie von dem Bielefelder Ab⸗ kommen als auch von den Anträgen der Deutschnationalen. Von dem Antrag der Deutschnationalen unterscheidet er sich in verschiedenem Punkten, namentlich in der Umschreibung der Personen und Taten, die unter die Amnestie fallen sollen. Der Aatrag der Deutschnationaler ist unklar. Es heißt einfach: politische Straftaten. Der Begriff der politischen Straftat ist nicht klar. Es ist nicht ersichtlich, ob durch dern Antrag der Deutschnationalen auch die Abwehr gegen den Hochverrat mit getroffen werden soll. Alles das wird viel schärfer durch unsere Begriffsgestaltung des Hochverrats umschrieben.

Von dem Bielefelder Abkommen weicht unser Antvag auch ab, und darauf möchte ich ebenfalls hinweisen. Von dem Bieleselder Ab⸗ kommen unterscheidet er sich ganz wesentlich dadurch, daß er weiter geht als dieses. (Zurufe bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Der Antrag der Koalitionsparteien will den Hochverrat und will die ganze entstandene Unruhe in durchgreifenderer Weise beseitigen, als das durch das Bielefelder Abkommen möglich gewesen ist. Das Bielefelder Abkommen ist erstens zeitlich beschränkt, unser Antrag ist zeitlich unbeschränkt. Das Bielefelder Abkommen beschränkt sich auf den Kapp⸗Putsch, unser Antrag ist demgegenüber vollkommen unbeschränkt. Das Bielefelder Abkommen bezieht sich lediglich auf die Abwehr des Kapp⸗Putsches und der hochverräterischen Unternehmungen. Wir haben geglaubt gerecht sein zu sollen, indem wir nicht nur die Abwehr, sondern auch den Hochverrat selbst amnestieren. Nur dann können wir das erreichen, was das Bielefelder Abkommen will: nämlich eine Beruhigung herbeizuführen. Aus diesem Grunde haben wir auch den Hochverrat selbst mit in die Amnestie einbezogen. Dadurch werden selbstverständlich auch die am Kapp⸗Putsch Beteiligten amnestiert, soweit sie nicht Rädelsführer waren. Daß alle Mitläufer amnestiert werden, erscheint nicht mehr als recht und billig.

Meine Herren, von seiten der Roten Armee und der mit ihr ver⸗ bundenen Kreise liegen nicht nur Abwehrhandlungen vor, sondern auch Hochverratshandlungen. Dieser Hochverrat wird ebenfalls durch das Gesetz getroffen. Ich weise auf den großen Tangermünder Prozeß beim Reichsgericht hin, der etwa 150 Angeklagte umfaßt. Dieser Hoch⸗ verrat hat mit dem Kapp⸗Putsch nichts zu tun. Es würde keiner der Beteiligten amnestiert werden, wenn wir uns lediglich auf das Biele⸗ felder Abkommen beschränkten. Sie werden aber amnestiert, wenn wir die weitere Fassung der Koalitionsparteien wählen. Ich will hier die Einzelheiten des Tangermünder Falles nicht vortragen. Ich möchte nur diejenigen, die behaupten, durch die Ausdehnung der Amnestie auf den Hochverrat selbst würden nur die Kapp⸗Leute amnestiert, darauf aufmerksam machen, daß auch für die andere Seite die Amnestie wegen Hochverrats von Bedeutung ist und auch für sie die vorgesehene Straffreiheit eintreten wird. (Hört! Hört!) Auf diese Weise haben wir geglaubt, zu Ende zu kommen. Unter Zugrunde⸗ legung dieser Gesichtspunkte hat sich die Regierung an den Arbeiten der Koalitionsparteien beteiligt. Wir haben geglaubt, daß nur durch die schärfere Fassung des Antrags der Koalitionsparteien und gleich⸗ zeitig mit der von ihm vorgesehenen weiteren Ausdehnung die Be⸗ Auhigung eintreten wird, die wir alle wollen, und wir haben uns bei ddieser Mitarbeit an dem Entwurf der Koalittonsparteien von dem Grundsatz leiten lassen, nach rechts und links Gerechtigkeit zu üben. (Bravol bei der Deutschen Volkspartei, im Zentrum und bei den Deutschen Demokraten. Zuruf des Abgeordneten v. Graefe [D. Nat.]: Und die alten Versprechungen?) Die Regierung hat nichts versprochen.

Abg. Dr. Kahl (D. Vp.): Die Deutsche Volkspartei hat sich

nur unter großer Selbstüberwindung zur Einbringung dieses Gesetz⸗ entwurfs entschließen können. Vom Rechtsstandpunkte aus müßte für uns eine solche Amnestievoplage unannehmbar sein. Die Absichten, die auf Zertrümmerung der Staats⸗ und Gesellschaftsordnung ausgehen, nehmen täglich zu, die Revolution ist noch nicht abgeschlossen. In solchen Zeiten kann eine Amnestiegewährung für jeden, der ein starkes Veranbwortlichkeitsbewußtsein hat, als seichtfertige Handlung erscheinen. Diese Bedenken verschärfen sich angesichts der in den jüngsten Tagen er⸗ folgten Beseitigung der Militärgerichtsbarkeit, wobei nicht Gnade, sondern Recht veylangt wurde. Von diesem Gesichtspunkte aus können wir eine Amnestie nicht gewähren. Wir wollen ausdrücklich Gnade geben. Sehen wir uns in dieser Absicht getäuscht, so würde die Deutsche Volkspartei in Sachen einer Amnestie in absohbarev Zeit nicht mehr zu sprechen sein. Wir wollen den vositilchen Frieden, wir erkennen eine . Staatsnotwendigkeit in höherem Sinne für den Erlaß einer Amnestie durchaus an. So sehr wir uns bewußt sind, daß ee unserer Wähler es nur zu seltsam finden, daß gusgerechnet in dieser Zeit Hoch⸗ verräter amnestiert werden sollen. Die Inszenierung dieser Amnestie hatten wir uns Fesnc anders vorgestellt. MWir bedauern außerordent⸗ lich, daß die Versuche einer Verständigung über eine einheitliche, großzügige Aktion gescheitert sind. Eine Amnestie für alle politischen Straftaten können wir unmöglich erlassen, dazu ist der Begriff der politischen Straftat zu unbestimmt und unfaßbar. Wir können auch

nur einer Amnestie zustimmen, die sich beschränkt auf Straffreiheit für hochverräterische Unternehmungen gegen das Reich. Ich halte dafür, daß Amnestiegesetze mit rechtlicher Wirkung vom Reiche auch für ein⸗ zelne Länder erlassen werden können, aber ob das Reich von diesem Recht Gebrauch machen soll, ist eine rein politische Frage, die wir in diesem Falle unbedingt verneinen, um nicht Bayern auf dem Wege der Reichsgesetzgebung eine unerwünschte Amnestie zu oktroyieren. Die Freiheit Bayerns, die aus dem bundesstaatlichen Charakter des Reiches olgt, müssen wir respektieren, wir mögen zum Einheitsstaat stehen, wie wir wollen. Auch eine einseitig auf das Biele⸗ elder Abkommen beschränkte Amnestie lehnen wir ab. Wir schenken Herrn Kapp kein Tipfelchen von seiner Schuld, aber es steht fest, daß, nachdem der Kapp⸗Putsch längst er⸗ ledigt war, die hochverräterischen Unternehmungen im Rußrgebiet ihren Fortgang nahmen oder erst dann zu ihrer rechten Stärke er⸗ wuchsen. Einen inneren oder außeren Zusammenhang zwischen den Maivorgängen von 1919 in Bayern und den Märzvorgängen von 1920 kann doch nur ein Amnestierungsfanatiker behaupten. Es ist und bleibt ungerecht, wenn man zwar für Verbrecher, nicht 1 für disziplinare Straftaten Amnestie erteilen will. Es sollte doch dem Geiste des Gesetzes entsprechend in dis Beziehung die Landesgesetzgebung beeinflußt werden; eine bezügliche Resolution haben wir vorbereitet. Herrn Pr. Radbruch liegt, wie mir, unsere akademische Jugend besonders am Herzen. Diese nach der Seite des Kommunis⸗ munismus, Spartakismus, Bolschewismus hinüberzuführen, das machen wir nicht mit. Selbstverständlich schärfen wir den Studenten die Treue gegen die Verfassung ein, aber die Demokratie gibt uns das Recht, durch Gewinnung der öffentlichen Ueberzeugung auch die Zukunft so zu gestalten, wie es unseren Idealen entspricht. Sie werden von uns nicht verlangen, daß wir die Jugend von den gyoßen geschichtlichen Grundlagen unseres deutschen Staats⸗ und Volkslebens und von den großen Idealen Deutschands und Preußens Loslösen. (Lebhafter Bei⸗ fall bei der Deutschen Volkspartei.)

Abg. Schiffer (Dem.): Wir haben schmerzlich bedauert, daß

die Führer der Kapp⸗Bewegung sich dem Strafrichter und der Ver⸗ urteilung haben entziehen können. Wir sehea darin eine bedauerliche Schwäche der Staatsgewalt. Andererseits ist es ja fast zur Gewohn⸗ heit geworden, daß bei einer revolutionären Bewegung zunächst die Zuchthäuser und Gefängnisse geöffnet werden, daß man sich nachgerade, selbst wenn man eingesperrt, darauf verläßt, daß bald Gelegenheit da sein wird, sich der Strafe zu entziehen. Unter solchen Verhältmissen verlsiert die Strafandrohung des Gesetzes völlig ihre Wirkung. Wenn rasch hintereinander Amnestien erlassen werden, wenn sie sogar auf das Steuergebiet übergreifen, so prägt sich im Volke bald der Gedanke ein, daß über kurz oder lang wieder einmal amnestiert wird. Wir haben schließlich aber unsere grundsätzlichen Bedenken gegen die Amnestie zurückgestellt. Wir können ihr auch nur dann zustimmen, wenn sie nicht in die politische Sphäre eines Landes mit Gewalt eingreift, und auch nur dann, wenn sie beide Seiten gleichmäßig erfaßt. Die Führer des Kapp⸗Putsches, die eine ganz ungeheure Verantwortung auf sich geladen und so viel Leid über andere gebracht haben, haben sich durch die Flucht in Sicherheit gebracht; das macht sie der Amnestie unwürdig. Man würde ja auf ihr Verhalten noch eine Prämie setzen, wenn man ihnen auf deese Weise die unbehelligte Rückkehr in das Vaterland ermöglichte. Wenn Herr Düringer seine Freunde für moralisch gebunden erklärt, für Kapp und seine Leute einzutreten, so liegt eine solche moralische Verpflichtung nicht auf den anderen Fraktionen oder gar auf der Regierung. Wenn Herr Düringer das glaubt, so befindet er sich in einem Irrtum über die tatsächlichen Verhältnisse. Herr Düringer hat eine merkwürdige Mischung von Wahrem und Falschem vorgetragen. Ich habe die Abgesandten des Herrn von Lüttwitz empfangen, aber die Bedingungen, die sie zu stellen suchten, mit der Erklärung abgewiesen, daß ich mit Rebellen und Meuterern auf gleichem Fuße zu verhandeln ablehne. Ich habe ihnen erklärt, angesichts des Generalstreiks und des Verhaltens der Unterstaatssekretäre sei ihr Unternehmen verloren. In diesem Zu⸗ sammenhange kam auch die Amnestiefrage zur Sprache, da habe ich erklärt, ich hätte schon lange vor dem Putsch den Vorschlag einer ganz allgemeinen Amnestie für den Herbst erwogen. Wenige Stunden später ließ mir Herr von Lüttwitz mitteilen, er sehe keine Ver⸗ anlassung, die Truppen zurückzuziehen. Hierauf ließ ich sagen, daß von nun an keine Beziehung mehr zwischen den Herren und mir bestehe, daß ich alle von mir persönlich abgegebenen Erklärungen zurückziehe. Nachher habe ich dem Major Pabst, der selbst auf die Amnestie zu sprechen kam, noch ausdrücklich erklärt, er habe kein Recht, sich auf mich zu berufen. Meine Handlungsweise ist also ganz einwandfrei, und das sogenannte Protokoll 6 bloß ein Stück Papier. Es hat mir nicht vorgelegen, es ist vom Unterstaats⸗ sekretär Joel aufgenommen worden. (Große Unruhe rechts, Rufe: Unglaublichl!) Die Regierung in Stuttgart hat nichts damit zu tun, ich bin bloß persönlich verantwortlich. Gothein hat seine Er⸗ klärungen damals für sich und nicht für die Fraktion abgegeben. Wir sind ihm nicht beigetreten und stehen auf dem Standpunkt, daß eine Begnadigung der Kapp⸗Führer nicht in Frage kommen kann. Eine moralische Bindung der Regierung oder meiner Person oder der Fraktion liegt nicht vor, wir sind vollkommen frei in unserer Entschließung. Ich bin deshalb zurückgetreten, weil ich nicht haben wollte, daß jemand sagen könnte, dies oder jenes geschieht nur, weil man dem Rechnung tragen müsse, was das Mitglied der Regierung getan hat. Durch meinen Rücktritt ist also der Regierung die not⸗ wondige Freiheit gewahrt worden. Wir lehnen es ab, diejenigen Männer die Amnestie zu gewähren, die nichts als Unheil über das Vaterland gebracht haben.

Abg. Emminger (Bayr. Vp.): Amnestien dürfen nicht zur Untergrabung der Autorität der Regierungh führen. Die Bayerische Volkspartei ist von Anfang an gegen eine allgemeine Amnestie ge⸗ wesen, da sie ein Angriff auf das Rechtsempfinden des Volckes ist. In Bayern sind von den Mitläufern etwa 90 % im Wege der be⸗ dingten Begnadigung begnadigt worden. Das hat mit zur Beruhigung beigetragen. Daß Hochwerrat gegen das Reich amnestiert werden kann, muß unbedingt in den Antrag hineingenommen werden. Wenn die hochverräterischen Handlungen in Bayern im März, April 1919 Erfolg gehabt hätten, würden sie sich auch gegem das Reich gewendet haben. Es ist wünschenswert, daß nur die Mittläufer von der Amnestie ge⸗ troffen werden, nicht die Führer irgendeines hochverräterischen Unter⸗ nehmens. Deshalb bitte ich um Zurückziehung dieser Anträge.

(Beifall.) s räsident Löbe bittet, nachdem nunmehr Redner aller Parteien das Wort ergriffen haben, die Aussprache nicht übermäßig auswachsen zu lassen, damit nicht durch ein beschlußunfähiges Haus morgen oder übermorgen die an dem Gesetz Interessierten arger Enttäuschung aus⸗ gesetzt würden. 1 Abg. Dr. Stresemann (D. Pp.): Die Verhandlungen der Parteiführer mit General Lüttwitz sind so verlaufen, wie Dr. Düringer es darstellte. Wir haben auf Lüttwitz eingewirkt durch das Versprechen, für eine allgemeine Amnestie einzutreten, um blutige eee zu vermeiden. Von den Fraktionen waren die Verhandelnden natür⸗ lich nicht beauftragt, das verbot die Situation. Es ist eine moralische Verpflichtung, jetzt noch dafür einzutreten, daß die Urheber des Kapp⸗ Unternehmens in die Amnestie einbezogen werden. Es wäre Pflicht der Herren Gothein und Trimborn gewesen, noch auf Grund dieser Verhandlungen in der Nationalversammlung für ein solches Amnestie⸗ gesetz einzutreten. Jetzt werden meine Fraktionsfreunde in eine außer⸗ ordentlich schwierige Lage gebvacht, wenn für das Kapp⸗Unternehmen nicht auch Straffreiheit für Führer und Unternehmer eintritt, diese für andere Vorgänge zuzubilligen, die nicht im ursächlichen Zusammenhang mit diesen Vorkommnissen stattgefunden haben. Für meine Person muß ich an den damals gegebenen Versprechungen festhalten und in deren Konsequenz für den Antrag Hergt stimmen. Abg. Ludwig (U. Soz.): Wir sind von jeher der Ansicht ge⸗ wesen, daß eine allgemeine Amnestie notwendig sei. Die Verfassung ibt uns das Recht, auch für Bayern eine Amnestie auszusprechen. Bei 8 guten Beziehungen der Regierung zu Süddeutschland wird es nicht schwer fallen, auch dort den Willen des Reiches durchzusetzen, zumal es

dem Kapp⸗Unternehmen verglichen werden könnte. Wäre die

sich nicht um hunderke, sondern nur um wenige Personen handekt.

Bayern braucht wegen dieser wenigen Personen keine Angst zu haben.

Die Absplitterungsbestrebungen würden durch eine Verweigerung der Amnestie für Bayern nur noch gefördert. Es ist unmöglich, man sich gegen das Reich Verstöße leisten darf, nicht aber g. Glieder dieses Reiches. Die Regierung hat zum Generalstreik aufgerufen, da kann man unmöglich diejenigen bestrafen, die danach gehandelt haben. Die Abwehr des Kapp⸗Unternehmens war für diese Leute doch kein Tang⸗ vergnügen. In Rheinland⸗Westfalen ist nichts vorgekommen, was mmit Regierung früher zu Verhandlungen bereit gewesen, es wäre viel Unheil verhütet worden.

Sollen nun auch die Führer lokaler Unternehmungen von der Straffreiheit ausgeschlossen bleiben?

Reichsjustizminister Dr. Heinze: Ich möchte auf eine Frage des Herrn Vorredners sofort antworten. Der Herr Vorredner hat gefragt, was unter Urhebern und Führern des Unternehmens zu verstehen sei, ob darunter auch Führer der Abwehrunternehmungen zu

verstehen seien.

Der Antrag der Regierungsparteien geht dahin, daß die Ur⸗ heber und Führer des hochverräterischen Unternehmens von der Amnestie ausgeschlossen sein sollen. In diesem Zusammenhange ist unter Unternehmen die Gesamtaktion, das hochverräterische Unter⸗ nehmen in seiner Totalität zu verstehen. Derjenige, der die Ge⸗ 2 samtaktion, das Zentralunternehmen veranlaßt oder geführt hat, ist von der Amnestie ausgeschlossen. Eine ähnliche Bestimmung für die 1 Abwehr des hochverräterischen Unternehmens zu schaffen, war nicht nötig, denn während beispielsweise das Kapp⸗Unternehmen ein ein⸗ heitliches großes Unternehmen war, zersplitterte sich die Abwehr in zahlreiche lokale Unternehmungen, so daß hier von einem Urheber oder Führer des Gesamtunternehmens nicht geredet werden kann. Die Urheber oder Führer der lokalen Unternehmungen sind straffrei,

gleichgültig, ob sie auf Seite eines Hochverrats oder seiner Abwehr

tätig geworden sind. Abg. Hergt (D. Nat.): Es war nicht unsere Absicht, die

Spezialdebatte über dieses Gesetz hervorzurufen oder zu vertiefen. Bei

den damaligen Verhandlungen erklärte der damalige Ministerpräsident

Hirsch, es würde ihm außerordentli schwer sein, 5 Büstinöwene einer tei zu einem allgemeinen Amnestiegesetz zu erlangen. hab

Fartes au düne 8 stische der Regierung. und Kapp⸗

die allergrößte Mühe gegeben, r Re k 9 größ Die Zeit drängte, denn am

Üüttwitz einen Ausgleich herbeizuführen. ängte, Füttn 8 8...e. gnn. sollte von den Nerrae zen⸗— ein Aktionskomitee gebildet werden. Die bekannten acht Be⸗ dingungen kamen unter diesem Druck zustande, zu hege. ge⸗ hörte auch die Frage der Amnestie. Bei den E“ waren die Herren Trimborn, Gothein, Oeser Becher, Stresemann und Südekum zugegen, ebenso der Polizeipräsident Ernst und Unterstaats⸗ sekretär Schulz. (Abg. Schulz [Soz.) Ich protestiere dagegen, daß ich dagewesen sei!) Ich habe das große Vergnügen gehabt, Sie an diesem Abend kennen gelernt zu haben. (Widerspruch.) Es ist mir Feng zu hören, daß es kein Vergnügen war, Sie kennen gelern zu haben. (Heiterkeit.) In der Sache waren wir ziemlich eimg. . Nach einem Telephongesprͤch mit Stuttgart brach Minister Schiffer die Verhandlungen ab, da die Regierung sich nichts gefallen „lassen könnte. Die Parteiführer haben abev weiter verhandelt, und für den Mimister blieb der Unterstaatssekretär Joel zugegen. Man . 8 dahin, die Sache bis zum nächsten Reichstag zurückzustellen. s. von Lüttwitz hat keinen Zweifel darüber gelassen, daß 8 Amnestiefrage für ihn eine conditio sine qua non sei, weil er sanß die Truppen nicht aus Berlin zurückziehen könne 98 en Dingen ihren Lauf lassen müsse. Auch die Führer „des app⸗ Unternehmens sollten unter diese Aminestie fallen. Ein dahingehendes Protokoll wurde aufgesetzt, die Parteiführer veh sich, für die allgemeine mnestie zu wirken, und Unterstaats⸗ fire ia Joel zeichnete gegen. Eine Ausfertigung dieses Protokolls ist uns nicht zugegangen. Am nächsten Tage erfuhr 18 19 Reichsjustizministerium, daß Minister Schiffer. nicht zu⸗ dem Pro odo stehe. Als Abgeordneter will jetzt Herr Schiffer dicselben Personen von der Amnestie ausschließen, für die er sich bei den Unte vhandmmgem 19 eingesetzt hat. Das Urnteill übey sein Verhalten überlasse ich bem Reichstag. (Beifall.) 1

Abg. Frau Zetkin (Kom.): Wir haben es hier mit der eigentüm⸗ lichen Erscheinung zu bun, daß die Verhandlung zu einer Art Familiem⸗ wäsche der bürgerlichen Parteien gekommen ist, die wäh vend des Fas Putsches nicht ganz fleckenlos geblieben ist (Haiterkeit), und das 1 b. sowohl für die Vertreter der Monarchie wie für die Ver fechter der Demokvatie. Ich hoffe, die Massen draußen werden aus den heutigen Emthüllungen, Feststellungen, Erkläru ogen und Gzegenerklävungen die richtigen Folgemungen ziehen. Die Erörkerung hat gezeigt, daß die Parteien eine allgemeine politische Amnestie nicht wollen. Die ver⸗ kappten Kappisten sind nicht nur nicht bestrast 1 ie sind vi el⸗ 686 belohnt, sie sind heute in der Macht. Die Verfreter der alien Welt, der kapöhalistischen Ausbeutung und Hernschaftsgewelt sind in der Revolution zunächst die Sieger geblieben, sie fürchten aber die Ueberwundenen, gegen die sie jetzt ihre Klassenjustiz, ihre Ausnahme⸗ gerichte aufbieten, aber die Zeit wird kommen, wo die Revolution die Kerkertore öffnen wird. b

Abg. Müller⸗Franken (Soz.): Herrn Hergt gegenüber stelle ich fest, deß weder Herr Hirsch noch Herr Südekum, der Reichsregierung angehörten, daß keiner von ihnen Vollmacht zu. Verhandlungen in der Zeit des Kapp⸗Putsches hatte, daß sie auch für Verhandlungen üben eine Amnestie nicht in Frage kamen. Richtig ist, daß „auch uns nach Stuttgart gemeldet wurde, daß den Herren Kapp und Lüttwitz von der Roten Armee“ ein Ultimatum gestellt sei. Wir haben das von An⸗ fang an für einen Schwindel gehalten, und auf den ist niemand hinein⸗ gefallen. ig Abg. Schiffer (Dem.) bleibt bei seinen vorhin abgegebenen Er⸗ klärungen stehen. Er habe nicht die geringste Veranlassung gehabt, in einer vertraulichen Unterredung Herrn Hergt Mitteilungen darüber zu machen, wie er in der Amnestiefrage als Abgeordneter stimmen würde⸗

Abg. Hoffmann⸗Berlin (U. Soz.): Am Abend des 15. März wurden Rosenfeld und ich, als wir im Rathaus saßen, ersucht, nach dem Abgeordnetenhaus zu kommen, dort solle Aeltestenrat stattfinden. Das Landtagsgebäude war noch won den Kappisten besetzt, aber wir gingen hin, es war nicht nur der Aeltestenrat vom Landiage, sondern auch der vom Reichstage da, und Trimborn hatte den Vorsitz. Auf unsere Frage⸗ ob hier Aeltestenrat stattfinde, hieß es, das stehe nicht fest, gegenwärtig

werde Herr Kapp von den Rechtsparteien telephonisch um seine Zr⸗

stimmung ersucht. Nachher hat uns Trimborn mitgeteilt, die Ver⸗ .en; finde nicht statt, weil Kapp geantwortet habe, der Landtag sei aufgelöst. Der Bitte, dazubleiben und mit den Parteien zu verhendeha, entsprachen wir nicht, sondern gingen weg. Nachher sollen einige Kapp⸗ Offiziere bedauert haben, daß wir so schnell das Heus verlassen hätten. (Große Heiterkeit.,) Die Herren haben, es waren auch Hirsch, Süde⸗ kum und Eugen Ernst da, weiter verhandelt. Nun saat uns Heru Hergt vielleicht, was sie verhandelt haben. (Heiterkeit.)

Die Abgg. Schultz⸗Bromberg und Dr. Delbrück (D. Nat.) bestätigen die Richtigkeit der Darstellung des Abgeordneten Hergt⸗ während Abgeordneter Schiffer wiederum bei seiner Darstellung beharrt.

Damit schließt die erste Lesung. Das Haus tritt in die zweite Lesung der vorgeschlagenen Fefehentsset⸗ ein. Der Antrag Müller⸗Franken auf Vorlegung eines n 8441 wird für erledigt erklärt. Der von den Unabhängigen bean⸗ tragte Gesetzentwurf wird in zweiter Lesung in allen seinen

Teilen gegen die Stimmen der beiden sozialdemokratischen Parteien abgelehnt, ebenso der von den Denn, , . ein⸗

gebrachte Gesetzentwurf, gegen die Stimmen der Antragsteller. Darauf wird in die zweite Lesung des von den HRegierungsparteien eingebrachten Gesetzentwurfs Becker⸗Arns⸗

8 8 8 8 berg, Becher⸗Hessen, Schiffer, Leicht eingetreten. Der Ent⸗ wurf wird nach kurzer Debatte unter Ablehnung der von den Deutschnationalen und von den Unabhängigen Sozialdemokraten gestellten Abänderungsanträge unverändert im einzelnen an⸗ genommen und sofort darauf in dritter Lesung gegen die Stimmen der Deutschnationalen definitiv genehmigt. „Eingeschoben wird an dieser Stelle die dritte Lesung der beiden Vorlagen, durch welche Art. 168 Preußische Stimmen im Bundesrat) und 178 (Helgoländer Gemeindewahlrecht) abgeändert wird. Gegen die etzterwähnte Vorlage stimmen nur die Unabhängigen; die erstere wird einstimmig angenommen. Der Präsident erklärt, daß den Vorschriften für die Abänderung der Verfassung mit diesen beiden Abstimmungen genügt ist. 8 Hierauf wendet sich um 6 Uhr das Haus der Fortsetzung der zweiten Lesung des Nothaushalts zu. Der Haushalt des Reichsministeriums des Innern wird ohne Aussprache mit den Ausschußanträgen angenommen. 1 Zum Haushalt des Reichswehrministeriums liegt ein Antrag Müller⸗Franken (Soz.) vor: Die im Gesetz⸗ entwurf zur weiteren vorläufigen Regelung des Reichshaus⸗ lts für 1920 geforderten Offizierstellen werden nur vor⸗ fig und vorbehaltlich der endgültigen Beschlußfassung beim Hauptetat bewilligt. Ferner sollen 8 Millionen Mark für Be⸗ chaffung von Zivilkleidung für die zur Entlassung Kommenden

bewilligt werden.

88 Abg. Schöpf lin (Soz.) wendet sich gegen die große Zahl von Offizierstellen, was ein grober Unfug der schlimmsten Art sei. Ein derartiges Hinauswerfen von Geldern sei in der heutigen Zeit bei der Finanzlage des Reiches nicht zu billigen. Die dann folgende Rede des Reichswehrministers Dr. Geßler kann wegen verspäteten Eingangs des Stenogramms erst morgen veröffentlicht werden.

Abg. Lipinski (U. Soz.): Die Reichswehr hat das Leipziger Vollohaus verwüstet, ohne daß bisher die Reichsregierung ehwas gegen die Urheber veranlaßt hätte. Minister Schwarz war genau vorher über die Absichten der Reichswehr informiert, trotzdem ist nichts gescheben, um den Genera! Senfft von Pilsach von der Ver⸗ wüstung abzuhalten. Die Reichswehr wurde kurz nach Ablauf des Waffenstillstandes von Studenten beschossen. die sie zum Sturm auf das Volkshaus veranlassen wollten. Telephonapparate und Schreib⸗ maschinen wurden gestohlen, und 26 Gewerkschaften wurden ihres ganzen Mobiliars und ihrer kostbaren Bibliothek beraubt. Die Reichs⸗ regierung muß für die Greuel des Militärs aufkommen und gegen die Anstifter vorgehen.

Abg. D. Mumm (D. Nat.): Der Reichstag ist in einer Ein⸗ gabe aus der Reichswehr selbst dringend gebeten worden, die Militär⸗ seelsorge beizubehalten. Es handelt sich nur um eine geringe An⸗ zahl hauptamtlich angestellter Secelsorger, im übrigen um Verträge mit der Pfarrgeistlichkeit. Wollen wir an den Wiederaufbau unseres Vaterlandes gehen, so dürfen wir nicht nur an die Wirtschaftskraft, sondern besonders auch an die seelische Kraft unseres Volkes denken.

Abg. Dr. G öt (Dem.): Die Darstellung des Abg. Lipinski über die bedauerliche teilweise Vernichtung des Leipziger Volkshaufes war vollkommen einseitig, eine Aufklärung hat bisher überhaupt nicht stattfinden können. General Senfft von Pilsach hat sich durchaus einwandfrei verhalten. (Zuruf: Woher wissen Sie das?) Das weiß ich aus den Aussagen des Generals selber. Heiterkeit.)

Abg. Brünimghaus (D. V.) beffürwortet eine Resolution fast

aller Parteien, durch die den Marinezahlmeistern günstigere Aufstiegs⸗ bedingungen gewährt werden sollen. * Ein Vertpeter der Regierung bittet, die Resolution in der vorliegenden Form gbzulehnen, es sei nicht möglich, dis Besoldungs⸗ ordnung zu durchbrechen, überdies sei man den Wünschen der Marinezahlmeister durchaus gerecht geworden.

Die zum Haushalt für das Reichswehrministerium vom Ausschuß beantragte Entschließung, die Reichsregierung zu er⸗ suchen, Fachoffiziere in möglichst weitgehendem Maße weiter als Offiziere zu verwenden, wird angenommen, ebenso der Antrag, betreffend die Marinezahlmeister. 1

„Zum Haushalt des Reichsschatzmin isteriums wird auf Antrag Müller⸗Franken (Soz.) die Zahl der Ministerialsekretäre im Ministerium von 24 auf 38 erhöht; die vom Ausschuß zu diesem Haushalt beantragten Entschlie⸗ ßungen, betreffend Vereinigun g der gesümten Liegenschafts⸗ und Bauverwaltungen und betreffend die Reichsvermögensver⸗ waltung in den besetzten Gebieten, gelangen zur Annahme.

Der Haushalt des Reichsfinanzministe⸗ riums wird bewilligt, ebenso der des Landwirt⸗ schaftsministeriums.

Zum Etat des Finanzministeriums bemerkt der 5

Reichsminister der Finanzen Dr. Wirth: Meine Damen und Herren! Sie waren am Samstag Zeugen unliebsamer Vorgänge, die sich im Anschluß an ein Schriftstück, das im Haushaltsausschuß zur Kenntnis gebracht worden ist, entwickelt haben. In der Zwischen⸗ zeit ist dieser Sturm vorbeigegangen, und es ist nicht mehr daraus entstanden als ein Sturm im Wasserglas. Ich hoffe, daß man draußen in den Kreisen der Beamtenschaft allmählich zu der Er⸗ kenntnis kommt, daß es besser ist, das Ende von Verhandlungen ab⸗ zuwarten, ehe man derartige Schriftstücke mit Unterschriften weiter⸗ gibt. (Sehr richtig!) Ich bin aber verpflichtet, dem hohen Hause noch Kenntnis von einem Telegramm zu geben, das mir aus Süd⸗ deutschland, aus Bayern, zugekommen ist. Es ist ein erfreuliches Telegramm (hört, hört!), und ich wäre den Herren dankbar, wenn sie es mit Aufmerksamkeit anhören wollten. (Zuruf links: Mal was Gutes aus Bayern!) Ja, es kann aus Bayern (Zuruf links: auch mal was Gutes kommen!) ja, Sie haben den Satz ergänzt; ich hätte es aber vorsichtiger ausgedrückt. (Heiterkeit.) Es heißt hier:

München. Mit dem von Großorganisationen ohne unser

Wissen angekündigten Demonstrationsstreik des Verkehrspersonals

im Hinblick auf die schwerwiegenden politischen Folgen unter keinen

Umständen einverstanden. ö’ (Bravo!)

Die Mitglieder der vereinigten Verbände des bayerischen Verkehrs⸗

personals, Eisenbahn und Post, lehnen in der Frage der Einstufung

den Streik ab (Bravol)

und benützen nur legale Mittel in der Erwartung, daß Reichs⸗ regierung und Reichstag die berechtigten Forderungen des Verkehrs⸗

personals nunmehr erfüllen. Vereinigte Verbände des bayerischen Verkehrspersonals.

gez. Raedlinger.

(Bravo!) Meine Herren, nachdem wir heute zu einer Einigung gekommen sind, ist die Sache für mich erledigt. Der Haushalts⸗ ausschuß hat eine Form gefunden, die wohl nach allen Richtungen hin

8

Die Ausführung dieser Sache ist aber

nicht einfach. Wir werden uns Mühe geben, in der verhältnis⸗

mäßig kürzesten Frist die Einstufungsfrage zu erledigen und dann

auch die Zahlungen vorzunehmen, und der Reichstag hat ja später

dann Gelegenheit in einer besonderen Gesetzgebungsnovelle die Ein⸗ stufung nachzuprüfen. . . 9.

Meine Damen und Herren, ich muß Sie aber auf eins aufmerk⸗ sam machen, was diese Frage außerordentlich kompliziert. Nicht nur das Reich ist in der Lage, und zwar in der unangenehmen Lage, einen Umbau seiner Reichsbesoldungsordmung vornehmen zu müssen dazu haben ja die Verhandlungen jetzt gedient, sondern auch einzelne Länder sind durch das Vorgehen der übrigen Länder wieder genötigt, ihre be⸗ reits verabschiedeten Besoldungsordnungen weitgehend umzubauen. So treibt ein Keil den anderen, und ich habe bereits aus einem Lande einen schwerwiegenden Mahnruf bekommen, wie man sich im Reiche denn das vorstellt, wie die Länder, die mit ihren Mitteln bisher spar⸗ sam umgegangen sind, die Mittel aufbringen sollen, um die Umformung der Reichsbesoldungsordnung im Sinne der anderen Länder vorzu⸗ nehmen. (Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren! Die Entwicklung der letzten Monate auf diesem Gebiete war ein Unglück (sehr richtig!), und die Länder, die da das Beispiel gegeben haben, indem sie gerabezu Uibenal über Geldmittel, die fie nicht haben, nach ihrer Anschauung verfügten, sollen sich darüber klar sein, welche Konsequenzen das für uns herauf⸗ beschwören wird. (Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren! Ich hätte es gern gesehen, wenn im Anschluß an die Erledigung des Budgets eine ausgedehnte Finanz⸗ debatte in diesem hohen Hause stattgefunden hätte. Ich wundere mich nicht darüber, wenn die verehrten Herren Kollegen mitunter fragen, wie es mit den Finanzen steht. Ich wundere mich vielmehr darüber, daß nicht mehr gefragt wird. Ich hoffe, daß Sie sich in der Zwischen⸗ zeit die Finanzdenkschrift etwas zu Gemüte geführt haben. Ich will mur einen Satz angeben: Die Entwicklung unserer Reichsfinanzen ist eine katastrophale. Die umlaufenden Schatzanweisungen sind nach dem letzten mir vorliegenden Berichte vom 28. Juli auf 119 Milliarden emporgeschnellt. (Hört, hört!) Dazu kommen 11 Milliarden weitere Zahlungsverpflichtungen und Schatzanweisungen und Schatzwechsel, das sind 130 Milliarden. (Hört, hört!) Dazu kommen die 16 Milliarden, die ich schon wiederholt genannt habe, die wir von den Ländern übernommen haben anläßlich der Erledigung des Landes⸗ steuergesetzes, das sind 146 Milliarden. Dazu kommen die 92 Milliarden fundierte Schuld. Damit haben Sie heute eine Schul von 238 Milliarden. Dazu die 39 Milliarden, die wir anläßlich der Eisenbahnen übernommen haben. 8

Ich meine, die Wucht der Zahlen allein müßte es in Deutschland ermöglichen, in eine sachliche aber ernste Diskussion unserver Finanzlage allüberall einzutreten. (Sehr wahr!) Ich wiederhole meinen Mahnruf insbesondere an die Beamten der Länder, des Reichs, wie der Ge⸗ meinden: Nicht die Sorge drückt mich, sie ist gewiß nicht leicht zu nehmen, wie wir den neuen Umbau der Reichsbesoldungsordnung mit seinen Mehreufwendungen von Hunderten von Millionen machen wollen, sondern die Sorge bewegt den Reichsfinanzminister, wie lange noch die jetzigen Gehälter und Löhne überhaupt gezahlt werden können. Sehr richtig!) Das ist aber eine Frage, die mit diesem Satz nicht erledigt ist, sondern das ist eine Frage unserer Wirtschafts⸗ und unserer Preispolitik. (Sehr richtig!) Und in die Diskussion dieser Frage wird der Reichstag sofort nach seinem Zusammentreten ein⸗ treten müssen, wenn er ernsthaft Wert darauf legt, daß wir überhaupt das Chaos vermeiden wollen. (Sehr richtig!)

Ich glaube, mich auf diese wenigen Ausführungen beschränken zu · dürfen. Ich hätte es begrüßt, wenn wir zu einer ausgedehnten Debatte gekommen wären. Ich weiß, daß eine Sache auf die Aussprache über die Reichsfinanzen hemmend wirkt; das ist die Ungewißheit über die Größe der Verpflichtungen, die das deutsche Volk und das Reich übernehmen müssen. Solange diese Ungewißheit nicht von uns ge⸗ nommen ist, ist es außerordentlich schwer, in der Finanzpolitik eine sichere Linie aufzunehmen.

Es gehen ja wieder ungeheuerliche Zahlen von gegnerischer Seite durch die Welt. Wenn Sie die Zeitungen aufmerksam verfolgen, so kommt aus Frankreich wieder geradezu eine Fata Morgana von Milliarden, die das deutsche Volk aufbringen könne, zu uns herüber. Es ist, scheints, noch nicht möglich, die Menschen aus der Illusion der Milliarden herauszubringen. Es ist noch nicht möglich, die Menschen auf die Basis einer sachlichen Diskussion zu führen. Nicht das Spiel der Milliarden ist entscheidend für Europa, sondern die Frage der wirt⸗ schaftlichen Produktion und der Abgabe von Produktionsüberschuß zu⸗ gunsten der Wiedergutmachung der durch den Krieg geschädigten Länder. (Sehr vichtig!) Ich hätte heute morgen gern amläßlich der Frage der Erledigung des holländischen Kreditabkommens dazu einige Ausfüh⸗ rungen gemacht. Ich wollte sie auf heute Abend verschieben. Nach⸗ dem aber heute eine Finanzdebatte nicht mehr erwünscht ist, kann ich davauf verzichten. Das darf ich aber doch noch sagen.

Wenn Sie den Friedensvertrag von Versailles einmal in wuhigen Stunden auf sich wirken lassen und ihn nach allen Richtungen hin durch⸗ forschen, so finden Sie nichts darin oder kaum ehwas, was den Wieder⸗ aufbau Guropas irgendwie in Angriff nimmt. (Sehr vichtig!) Nur Lasten, mur Bestimmungen, nur Bestimmungen, die, wenn man sie rest⸗ los durchführt, die Versklavung des deutschen Volkes (lebhafte Zu⸗ stimmung) und die Fesselung der deutschen Arbeiterschaft für ein ganzes Jahrhundert bedeuten. Das können Sie damwmus entnehmen. Aber einen großen emporreißenden Gedanken, wie man Europa wieder auf⸗ bauen könne, suchen Sie vergebens in dem sogenannten Friedensvertrag von Versailles. (Lebhafte Zustimumng.)

Heute morgen ist in aller Ruhe ohne Leidenschaft ein wirkliches Friedenswerk hier über die Tribüne des Reichstags gegangen, die Er⸗ ledigung des holländischen Kreditabkommens. Daß ist ein wirkliches Wiederaufbauprogramm. Gewiß, es war auch ein Geschäft für beide Beteiligte, aber ein ehrliches Geschäft. Es war der erste Vertrag zwischen einem zusammengebrochenen Volk und einem kleinen Volk, den Holländern, ein Vertvag, der allen Beteiligten, insbesondere aber dem holländischen Volke, zur großen Ehre gereicht. (Bravol) Es war der Gedanke des Wiederaufbanes, der das holländische Volk ge⸗ leitet hat. Dieser Staatsvertrag, der ein Ausfluß des Vertrauens in die Wicdererweckung der Wirtschaftskräfte auch Deutschlands ist! Das ist etwas anderes, als das, was zu uns herüberkommt von Frankreich, als die phantastischen Zahlen, die in Paris genannt werden, die außer⸗ halb des Bereichs der Leistungsmöglichkeitz Uiegen und außerhalb der

europäischen Vernunft stehen. Alllein genügt es hier, in dieser Lage an die Vernunft der Völker der Erde zu appellieren? Ich weiß es nicht. Hoffentlich kommen wir in Genf so weit, daß wir uns wenigstens aus dem Vereich des Diktats entfernen, daß wir uns einmal ehrlich am einen Tisch setzen und uns über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Völker Rechenschaft geben und dann schauen, wie wir den Weg finden, um dem armen Europa und den durch den Krieg geschädigten Ländern, aber uch dem deutschen Volke, wieder vorwärts und aufwärts zu helfen. (Lebhafte Zustimmung.)

Der Haushalt für das Reichsfinanzministe⸗ rium wird bewilligt.

Zum Haushaltdes Ministeriums der Aus⸗ wärtigen Angelegenheiten befürwortet 1

Abg. Freiherr von Lersner (D. Pp.) die Herausgabe eines kurzen übersichtlichen Volksbüchleins, welches die Hauptbestimmangen des Versailler Vertrags enthält, besonders für Schulzwecke ver⸗ wendbar ist und zu bibligen Preisen abgegeben werden kann.

Außenminister Dr. Simons ist mit der Tendenz dieser An⸗ regung durchaus einverstanden und wird deshalb mit dem Finanz⸗ minister ins Benehmen treten.

Abg. Dr. Breitscheid (U. Soz.): Es besteht vielfach der Eindruck, daß entgegen unserer Neutralitätserklärung affen⸗ und Munitionstransporte durch Deutschland nach Polen gefahren werden. Schon haben Eisenbahnarbeiter solche Transporte an⸗ gehalten. Bei einem derselben, der in Erfurt angehalten wurde, befand sich auch eine Kompagnie französischer Infanterie. In London soll demnächst eine Konferenz zur Regelung der Ostfragen im Benehmen mit Sowietrußland stattfinden. Mit großem Erstaunen stellen wir fest, daß Deutschland zu dieser Konferenz nicht eingeladen ist. Unter diesen Umständen ist die ganze Konferenz zweck⸗ und sinnlos. Will man uns in London nicht haben, so können wir doch unmittelbar mit Rußland in Verbindung treten. Die Londoner Konferenz wird nichts Brauchbares zustande bringen; an uns ist es, Schritte in dieser Richtung zu tun. In einem Artikel der „Daily News’ legt uns der englische Kriegsminister Hinston Churchill nahe, uns als einen Wall gegen die bolschewistische Gefahr zu exweisen, und verspricht uns dafür irdische und himmlische Erfolge. Natürlich, daß man jetzt Deutschland diese Rolle zumuten will, nachdem der polnische Wall zusammen⸗ gebrochen ist. Churchill stellt uns in Aussicht die Aufnahme in den Völkerbund; an der kann uns nichts liegen, solange er bloß eine Orgaaisation zur Ausbeutung und Unterdrückung sckwacher Völken ist. Dann aber seien auch wir berufen, das Christentum zu ver⸗ teidigen! Ich nehme an, daß auch unsere Regierung nicht wollen wird, daß Deutschland den Gendarmen des wesklichen Kapitalismus gegen den Bolschewismus vorstellt.

Hierauf nimmt der Minister der Auswärtigen Angelegen⸗ heiten Dr. Simons das Wort. Seine Rede kann wegen verspäteten Eingangs des Stenogramms erst morgen im Wort⸗ laut mitgeteilt werden.

Abg. Dr. Becker⸗Hessen (D. Vp.): Der Reichstag hat schon

beschlossen, daß ein Ausschuß von sieben Mitgliedern über die Tätig⸗ keit der Zentrale für Heimatdienst uns genaue Rechenschaft geben soll. Ich bitte deshalb, die Abstimmung über diese Resolution betreffs der Zentrale für Heimatdienst bis zum Oktober zu perschieben.

Beim Etatsgesetz beantragt

Abg. Morath (D. Vp.) Wiederherstellung der vom Ausschuß 3 estrichenen Bestimmung, wonach beim Freiwerden von Beamten⸗ stellen in erster Linie anderweitig freigewordene Beamte berücksichtigt werden sollen. Würde hiernach gehandelt und nicht die betreffenden Stellen auf dem Wege des Privatdienstvertrages besetzt werden, so würde das die Ersparnis großer Summen bedeuten. Der frühere Reichsarbeitsminister Schlicke habe für derartige neue Beamte sogar Unterrichtsstunden in der deutschen Sprache und im Kopfrechnen einrichten müssen.

Abg. Giebel (Soz.): Hirter diesem Antrage auf Wieder⸗ herstellung der ursprünglichen Fassung steckt etwas ganz anderes als die Rücksicht 8 Sparsamkeit. Würde man nicht die Privatdienst⸗ veeeige he ag⸗ haben, so würden die alten Rückstände in den Aemtern noch weik größer sein. Nur die Tüchtigkeit darf bei Besetzung dieser Posten ausschlaggebend sein, sonst wäre das Sparsamkeit am ver⸗ kehrten Ende.

Abg. Schlicke (Soz.): Ich habe stets den Standpunkt ver⸗ treten, daß namentlich die Versorgungsämter, Versorgungsstellen und Lazarette abgebaut werden müßten. Bei Besetzung der Beamten⸗ stellen habe ich mich stets an die mich bindenden Kabinettsbeschlüsse gehalten. Irgendwelche Aussichten auf dauernde Anstellung babe ich den auf Grund des Privatdienstvertrages Angestellten niemals gemacht.

Abg. Morath 18. Vp.): Der Kabinettsbeschluß ist gegen den Minister Schlicke zustande gekommen, der mehr als 40 Prozent Beamte verlangte. Das Deutsche Reich braucht diese Männer mit ungenügender Vorbildung nicht. Unsere unteren Beamten müssen eine andere Bildung nachweisen.

dhg. Schlicke: Der Beschluß ist ganz unabhängig vom Kabinett zustandegekommen.

Abg. Bauer (Soz.): Im Kriegsministerium sind ein Drittel der Beamten kriegsbeschödigt. Nach dem Pensionsgesetz können sie nicht entlassen werden und bedürfen der Weiterbildung.

Das

§ 4 wird nach der Ausschußfassung angenommen. Etatsgesetz wird angenommen.

Nächste Sitzung Dienstag 10 Uhr. Zweite Lesung der Entwaffnungsvorlage, dritte Lesung des Notetats und anderes. Schluß 9 ½ Uhr.

Statistik und Volkswirtschaft.

Arbeitsstreitigkeiten.

Als am Sonnabend die Direktion der Schweinfurter Fräsishonskugellagerwerke Fichtel & Sachs aus Anlaß des 25 jährigen Bestehens der Firma die ältesten Beamten ehren wollte, erschien, wie „W. T. B.“ berichtet, auf dem Fabrikhof die gesamte Belegschaft, etwa 3500 Mann, und entsandte ier Direktion eine fünfköpfige Abordnung, die die sofortige Rückzahlung der bereits einbehaltenen Steuerbeträge und Unterlassung fernexer Abzüge für diesen Zweck orderte. Der Vorschlag, am 8ge. durch den Betriebsrat die

orderungen vorzulegen, wurde von der Menge schroff abgelehnt.

ie Abordnung erklärte, daß bei nochmaligem Steuerabzug j die Felsnh Sicherheit des Direktors Sachs keine Gewähr bestehe.

ie Direktion gab dem Terror nach und machte die Arbeiterschaft dem Staat gegenüber verantwortlich.

In der Amtshauptmannschaft Meißen sowie in den benach⸗ barten sächsischen Landesteilen ist, wie „W. T. B.“ er⸗ fährt, gestern ein Landarbeiterausstand ausgebrochen. Allgemein haben die Arbeiter gestern früh die Arbeit nicht aufge⸗ nommen. Wie verlautet, verlangen die Landarbeiter eine Lohn⸗ a 1 serung um 100 vH, während die Arbeitgeber nur 30 vH bewilligten. Die Einigungsverhandlungen dauern fort. .

„Nieuwe Rotterdamsche Courant“ meldet aus Johannis⸗ burg: Der Bund der Maschinisten beschloß, jeden Sonn⸗ tag zu feiern, bis die Forderungen betreffend die So nntags⸗ arbeit bewilligt sind. Dem Beschluß zufolge sollen auch die Pumpenarbeiten in den Bergwerken am Sonn⸗ tag unterbleiben, wodurch viele Maschinen mit Ersaufen be⸗ droht werden.

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