Wahl dem demokratischen Grundsatz. Sodann bietet sie die beste Moöglichkeit, die tüchtigsten Männer und Frauen an die Stelle zu bringen, die an einer guten Entwicklung des Volksschulwesens inter⸗ essiert sind. Wenn der Vorsitzende in diesen Körperschaften gewählt wird, steht er von vornherein in einem gewissen Gegensatz zu einem Teil der Mitglieder, wodurch ein glattes und reibungsloses Arbeiten erschwert wird. Vor allem liegt aber der Regierung daran, daß das Gesetz möglichst bald zustande kommt, damit sie mit den jetzigen un⸗ haltbaren Zuständen möglichst bald aufräumen kann. Deshalb stellt sie ihre Bedenken einstweilen zurück und wird einer Regelung, wie sie die Anträge vorsehen, nicht entgegen sein.
Die Anträge der beiden Parteien der Rechten und der Demokraten werden gegen Zentrum und Unabhängige angenommen, die Anträge der Unab⸗ hängigen werden abgelehnt.
Bei der Gesamtabstimmung wird das Gesetz gegen die Unabhängigen angenommen.
Es folgt die erste Lesun des Gesetzentwurss, betr. die Wahlen zum Hrer hi,. Landtage. In Ver⸗ bindung damit werden beraten der mit dem Entwurf eines Notwahlgesetzes verbundene Antrag Hergt (D. Nat.), die Regierung zu ersuchen, unverzüglich die erforderlichen Maß⸗ nahmen einzuleiten, damit die Meuwahlen zum Preußischen
Landtag spätestens am 12. Dezember 1920 stattfinden können, ssodann der Antrag Dr. von Richter (D. Vp.), die Regierung
zu ersuchen, die Wahlen zum Preußischen Landtag für den 12. Dezember 1920 anzuberaumen und diesen Wahlen das Wahlrecht der Reichstagswahlen vom 6. Juni 1920 zugrunde zu legen, aber die E. für die Wahl eines Abge⸗
ordnesfen von 60 000 auf 45 000 herab usetzen, endlich der Antrag Adolph † ffmann (U. Sos) vom 24. Juni 1920, die vefeffunh8g e Landesversammlung wolle beschließen: 1. sich für aufgelöst zu erklären, 2. die Staatsregierung zu er⸗ suchen, sofort Neuwahlen auszuschreiben.
Abg. Dr. von Richter⸗Hannover (D. B.): Für uns ist die Frage der Neuwahlen eine politische Frage aller⸗ ersten Ranges, aber keine Parteifrage. Die Zusammensetzung der jetzigen Preunß schen Landesversammlung entspricht dem Willen der preußischen Wähler nicht mehr. Gerade diejenigen, die sich zur De⸗ mokratie hekennen, müssen das größte Interesse daran haben, daß nicht der Wille der preußischen Wähler und die Zusammensetzung der preußischen Volksvertretung zwei unversöhnliche Gegensätze sind. Die Bedeutung dieser Volksvertretung kann nur darauf beruhen, daß sie den Willen der preußischen Wähler unverfälscht wiedergibt, sonst hat sie ihre Existenzberechtigung verloren und es tritt der Parla⸗ mentsabsolutismus an ihre Stelle. In Preußen haben wir nicht die Möglichkeit, durch Nachwahlen die Veränderung der Stimmung der Wähler feststellen zu können. Das ist gerade vom demokratischen Standpunkte aus ein Nachteil. Aber die allgemeinen Reichstags⸗ wahlen vom 6. Juni 1920 haben den in der Wählerschaft eingetretenen Stimmungsumschwung mit elementarer Gewalt zum Ausdruck ge⸗ bracht und sich für die bisherigen Iee beeee geradezu kata⸗ strophal gestaltet; die Mehrheitsparteien haben nicht weniger als 8 Millionen Stimmen verloren. Wenn die Regierung davon aus⸗ geht, daß in den Landesteilen, die nicht mitwählen können, solange nicht die Volksabstimmung stattgefunden hat, die Wahl genau so ausfallen würde, wie sie 1919 ausgefallen ist, so ist das ein Trug⸗ schluß. Der zweite Grund für die Notwendigkeit sofortiger Neu⸗ wahlen ist ein hochpolitischer, nämlich der zwischen der Reichs⸗ regierung und der preußischen Regierung bestehende Gegensatz. Früher haben die Demokraten diesen Gegensatz als unerträglich bezeichnet. Es ist kein Zufall, daß, seitdem die letzten Reichstagswahlen dieses Ergebnis 1. abt haben. in Preußen die Zügel der sozialdemokratischen Vorherrs um so stärker angezogen werden. Besonders der Minister Severing geht mit großer Schärfe und Rücksichtslosigkeit vor. Ihm und seinen Parteigenossen schwebt dabei wohl als Ziel vor, die reußzischen Noshvelen se lange hinauszuschieben, bis auch mit Aussicht auf Erfolg für sie im Reiche Neuwahlen vorgenommen werden können. Die preußischen Wähler werden nicht so töricht sein, diesen Plan nicht zu durchschauen. Wir ”. am 26. Januar 1919 gewählt, die Reichsverfassung kam im August 1919 zustande, wir warten auf die preußische fef g noch immer, und vor einigen Tagen hat es wirklich die Ies che Regierung fertigbekommen, uns einen Wahlge etzentwurf vorzulegen, zu dessen Fertigstellung wahr⸗ haftig keine besonderen Fähigkeiten gehörten. Entweder haben wir es mit dem bösen Willen der Regierung zu tun. Ulte die Regierung vermeiden, daß sie sich an die 8 lammert und daß sie nicht gewillt ist, der Volksstimmung Rechnung zu tragen. Der Volkswille muß zu seinen Rechten kommen. Das Volk ist souverän und die preu ische Landesversammlung auch. Wir sind überzeugt, daß die groge enge der Wähler in Preußen unserer Auffassung folgen wird. ( ifall rechts.)
Abg. Er pel (D. Nat.): Namens meiner Fraktion unterstreiche ich ausdrücklich, daß uns zu der Forderung der Neuwahlen nicht etwa parteipolitische, sondern ausschließlich hochpolitische Gründe assen. Unsere grundsätzliche Stellung⸗ nahme ist annt. In dieser vorgeschrittenen Zeit kann die Landesversammlung kaum noch ein definitives Wahlgeset rundsätzlich durchberaten. Deshalb ist unser Entwurf der einzig mö 8c nnsne. Wir protestieren gegen die ungebührlich lange Verschleppung un Finauszögerang der Einbringung des Wahlgesetzes, die doch wahrhaftig eine Rhs Leistung ist. Wir haben unseren Entwurf innerhalb einer Stunde zustande gebracht. Diese Hinausschleppung der Wahl ist wohl⸗ überlegt und wohlvorbereitet. Die Verantwortung trifft allein die sozialdemokratischen Regierungsmilzlieder und die Sozialdemokratische Partei. Es ist schon g- reuenh charakteristisch gewesen, daß sie nach Fertigstellung der Weimarer Versassung 6 ½ Monate zur Vor⸗ lage der Preußischen Verfassung gebrancht haben. Der damalige Minister des Innern Heine at ert ärt, sich erst mit den Mehrheits⸗ parteien verständigen zu müssen. Ich weiß nicht, ob dieser Kuhhandel so lange hat. Ein uhmestitel ist es mncht, wenn heute nach einem Jahre noch nicht einmal die Preußische Verfessung verabschiedet ist. Der Kapp⸗Putsch soll daran schuld sein, er diemt ja immer als faule Ausrede. Unter den heutigen Verhältnissen müssm wir gleich⸗ ggeartete Regierungen im Deutschen Reiche und in Preußen haben. Durch die Zusammensetzung der preußischen Regierung dar nicht die Reichepolitik sabotiert werden. Das Geheimnis hat ja der TWgeord⸗ nete Hauschild verraten; er hat ausdrücklich gesagt, daß sie noch eine Reihe wichtiger Fragen in diesem Hause er edigen wollen, bevor sie auseinandergehen. Der Minister darf nicht die Stimmen überhören. die aus Süddeutschland und vom Rheine kommen, die mit der Politik der preußischen Regierung nicht einverstanden sind, weil sie nie t nur den Bestand Preußens, sondern a Bestand des Reiches gefährde. Es wäre doch nichts .“ Frwesen, für die Neu⸗ wahlen das Reichstagswahlrecht als otgesetz, einzuführen. Was soll die neue Wahlkreiseinteilung? Zeugt sie nicht von einer eigenartigen Wahlkreisgeometrie? Warum ist die Zahl der Wähler für das Mandat auf 50 000 festgelegt? Man darf doch nach den bis⸗ herigen Erfahrungen für die Landtagswahlen nicht die Beteiligung der Reichstagswahlen annehmen. Warum sordert die sozialdemokratische Presse jetzt wieder Neuwahlen für den Rei stag, wo doch die Neu⸗ wahlen für Preußen sehr viel wichtiger sind? Der nächste Winter birgt he Gefahren, deshalb sollten wir uns einstimmig in dem Wansche aldiger Neuwahlen zum Wohle des preußischen Volkes zu⸗ sammenfinden. 1
Minister des Innern Severing: Ich stimme mit dem Herrn Abg. Rippel darin überein, daß wir im nächsten Winter vor die Lösung sehr schwieriger Aufgaben gestellt sind. Wenn man indes diese Debatte, wie sie bis jetzt über den vorliegenden Gegenstand gepflogen ist, auf sich wirken läßt, dann sollte man jedoch fast zu der Meinung kommen, daß wir keine 3 Millionen Arbeitsloser in
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Deutschland haben, daß wir nicht vor die großen Schwieriakeiten
gestellt werden, sondern daß wir uns heute den Luxus gestatten können, in kleinlichem politischen Gezänk uns zu zerfleischen. (Sehr richtig! — Lachen rechts.) Ich kann die Ausführungen meiner beiden Herren Vorredner nicht als einen Versuch anerkennen. sich sachlich mit der Vorlage der Regierung auseinanderzusetzen. (Zurufe rechts.) Meine Herren, ich bin gewohnt, in demselben Tone zu antworten, zu dem ich provoziert werde; und wenn Sie die Haltung der Regierung als ein Gemisch von Unfähiakeit und bösem Willen bezeichnen, dann können Sie von mir nicht verlangen, daß ich Ihnen mit Lavendel, Myrte und Thymian entgegenkomme. (Sehr gut! links. — Zurufe rechts.)
Der Herr Abg. v. Richter hat an die Spitze seiner Ausführungen die Beteuerung gestellt, daß die Frage für seine politischen Freunde wohl eine politische Frage allerersten Ranges sei, aber keine partei⸗ politische. Nun, meine Herren, wenn der Herr Abg. v. Richter in gleichem Atemzuge dann errechnet, wie das Wahlresultat sich für seine politischen Freunde nach den Ergebnissen des 6. Juni gestaltet hätte, dann, glaube ich, liegen seinen Betrachtungen doch auch vparteiegoistische Motive zugrunde (sehr richtig! links — lebhafte Zurufe rechts), und wenn die Herren aus ihrem Herzen keine Mördergrube machen wollten, so müßten Sie, glaube ich, hier anerkennen, daß für jeden dem es darum zu tun ist, die Schwierigkeiten des nächsten Winters zu beheben, die Wahlrechtsfrage eine rein praktische Frage ist, daß sie aber jetzt zu einer Frage der parteipolitischen Leidenschaften aufge⸗ zogen ist. (Sehr richtig! links — Zuruf rechts.) Nein, nicht von uns, sondern von Ihnen! (Sehr richtig! links.)
Herr Abg. Dr. v. Richter kommt in seiner Beweisführung zu den allergewagtesten Analogien. Er verwies auf England und sagte, wenn sich dort durch Nachwahlen herausgestellt habe, daß die Volks⸗ stimmung nicht mehr der Zusammensetzung des Parlaments entspräche, dann, ja dann — habe ich eigentlich den Zusammenhang mit Preußen vermißt. Wer soll hier auflösen? Hier kann doch die Regierung nicht auflöfen, und aus England habe ich noch nicht gehört, daß sich das Parlament nach solchen Nachwahlen selbst aufgelöst hätte.
Und dann, Herr Abg. v. Richter, bedaure ich, daß diese demokra⸗ tische Erkenntnis bei Ihnen und Ihren politischen Freunden so spãt kommt. (Sehr gut! links.) Wenn früher unter dem alten Regime einmal Nachwahlen ein ganz anderes Stimmungsbarometer der Be⸗ völkerung dargelegt hatten, hat sich die damalige Regierung, die Ihren politischen Auffassungen sehr nahe stand, nicht etwa dazu bequemt, dem Volkswillen Rechnung zu tragen. (Zuruf rechts: Sie wollen es anders machen!) Und nun, was wollen Sie etwa als die Volksstimmung bezeichnen? (Zuruf rechts.) Die Wahlen vom 6. Juni? Meine Herren, glauben Sie etwa, daß, nachdem sich herausgestellt hat, daß die Herren v. Raumer, Scholz, Heinze in der Reichsregierung doch auch noch nicht die Quadratur des Zirkels gefunden haben (sehr gut! links), daß die Herren auch nur mit Wasser kochen können (sehr richtig! links), daß nicht Besserungen in der politischen Situation Deutsch⸗ lands eingetreten sind, sondern im Gegenteil wirtschaftliche Ver⸗ schlechterungen, — glauben Sie, daß die Stimmung des Volkes Ihnen noch günstig wäre? (Zustimmung links — Zurufe rechts.)
Ich gebe auf die einzelnen polemischen Bemerkungen des Herrn Abg. Dr. v. Richter, die er mit Bezug auf das Tableau, das ich im Auftrage der Abgeordneten aus verschiedenen Parteien dem Hause unterbreitet habe, nicht ein.
Er hat bemängelt, daß wir für die Abstimmungsgebiete die Ziffern eingestellt haben, die wir aus dem Jahre 1919 ermitteln konnten. Er hat zwar anerkannt. daß eine Tendenz dabei wohl nicht zugrunde lag, meinte aber doch, daß durch die Einstellung dieser Wählerziffern der allgemeine Ueberblick verloren ginge oder doch ge⸗ trübt würde. Wir konnten beim besten Willen keine anderen Ziffern einstellen, weil wir keine anderen Ziffern hatten. Die Schlüsse daraus zu ziehen, die Herr Abg. Dr. v. Richter dann durchaus richtig gezogen hat —, das konnten wir doch wohl getrost den Herren Abgeordneten überlassen, denn diese wußten sehr genau, daß wir diese Ziffern nur als Material unterbreitet hatten, nicht aber zur Belehrung. Die Mitglieder dieses hohen Hauses sind keine politischen ABC⸗Schützen mehr, und wenn wir Ihnen Material unterbreiten, dann müssen wir es Ihnen schon überlassen, welche Nutzanwendungen Sie aus diesem Material zieheh wollen.
Aber, meine Herren, das sind doch alles Quisquilien, und ich fürchte, ich ziehe mir wieder den Vorwurf des Herrn Abg. v. Richter zu, daß ich durch eine lange „Obstruktionsrede“ mich bemühe, länger an der Macht in Preußen zu bleiben, wenn ich auf diese Einzel⸗ heiten eingehe. (Sehr gut! links.)
Viel wichtiger erscheint mir die Bemerkung des Herrn Abg. Dr. v. Richter, die er mit Bezug auf das Verhältnis der preußischen Staatsregierung zum Reich gemacht hat, viel wichtiger deswegen, weil diese Ausführungen nicht seine Erfindung waren, sondern weil sie heute Tag für Tag in der deutschnationalen und volksparteilichen Presse wiederkehren. Und wenn der Abg. Dr. v. Richter dem Abg. Hoffmann den Vorwurf gemacht hat, daß er immer dasselbe sage, dann muß ich in diesem Zusammenhang bemerken: Sie sagen auch nur immer dasselbe, ohne daß Sie irgendeinen Beweis für diese törichten Behauptungen erbringen können. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten. — Zuruf rechts.) Einer der demokratischen Reichs⸗ minister ist wiederholt in der Lage gewesen, sich öffentlich zu äußern über das Verhältnis der Reichsregierung zur preußischen Staats⸗ regierung. Der Abg. und Minister Koch hat in Köln ertlärt, er habe aus der Zeitung erfahren, daß das Verhältnis des preußischen Innen⸗ ministers zum Reichsinnenminister sehr schlecht sei. Das war die Zeitung, die dem Abg. v. Richter sehr nahesteht, der „Hannoversche Eourier“. (Heiterkeit.) Minister Koch hat weiter in Köln hervor⸗ gehwzen, daß das Verhältnis das denkbar freundschaftlichste ist, soweit es bei der Verwaltung Preußens und des Reiches nur sein kann. (Hört, Urt! bei den Sozialdemokraten.) Der Reichsinnenminister Koch vermedet jede unnötige Reibung, und auch ich bin bemüht, den Beweis dafür zu erbringen, daß, obwohl in Preußen ein sozial⸗ demokratischer Nnenminister amtiert, doch auch für diesen sozial⸗ demokratischen Inmnminister partikularistische Interessen nicht maß⸗ gebend sind, sondern eärnßg und allein das Be streben, Preußen und Deutschland aus den Schwierigkeiten von heute herauszubringen. (Bravo! bei den Sozialremakraten.) Der. Abg. und Reichsinnen⸗ minister Koch hat außerdem alß dem Parteitag der Demokraten in Ulm hervorgehoben, daß gerade ver preußische Innenminister sich bemühe, das Verhältnis zwischen Keichs⸗ und Staatsregierung so erträglich wie möglich zu gestalten. Hört, hört! bei den Sozial⸗ demokraten.) Das ignorieren Sie, Herr v. Richter, und darum bin ich genötigt, auf diese ständig wiederkehrenden vur parteipolitischen Agita⸗
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tion aufgestellte Behauptung näher einzugehen. zum Preußenhause auch eine Regierung zustande käme, die ungefähr der⸗ selben Konstellation entsprechen würde, wie sie heute die Reichs⸗ regierung zeigt, so bin ich fest überzeugt davon, daß bei der Duplizität der Verwaltung sich Reibungen auch dann nicht vermeiden ließen, daß es oft Meinungsverschiedenheiten zwischen Reichs⸗ und Staats⸗ ressorts geben würde. Das war früher so, und das würde künftig so sein. Und wenn an meiner Stege Herr v. Richter stände, dann würde er auch nicht immer in ungetrübter Ehe mit einem demokratischen Reichsinnenminister leben. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.)
Aber wenn Sie einmal in meinem Ressort Umschau halten würden, dann, glaube ich, würden Sie finden, daß ich oft unter Hintansetzung der besonderen Interessen meines Ressorts die Reichs⸗ interessen vorangestellt, daß ich oft gar nicht nach den Kompetenzen gefragt habe, daß ich auch dann schwierige Dinge für das Reich erledigt habe, wenn für einzelne Reichsressorte die Dinge recht schwierig zu werden drohten. Für die Richtigkeit dieser Behauptung habe ich schon im Hauptausschuß einige Beweis angeführt. Ich glaube, es verlohnt sich, auch hier darüber zu sprechen um die ständig wiederkehrenden unwahren Behauptungen auf ihren wahren Wert zurückzuführen. Erst gestern noch hat der Reichsarbeits, minister bei mir angefragt, ob es nicht möglich sei, auf dem Umwege über die preußische Verwaltung vermittelnd einzugreifen in den Streik der Berliner Elektrizitätsarbeiter. Ich habe mich gern b reit erklärt, alles das, was mir an Machtmitteln zur Verfügung stände, alles, was ich an geschickten Unterhändlern zur Verfügung hätte, dem Reichsarbeitsminister zur Verfügung zu sttellen. Dieses Angebot von Hilfe ist gegenstandslos geworden dadurch, daß gestern eine unmittelbare Einigung zwischen den Beteiligten zustande gekommen ist. Aber eine von mir im Juli angeforderte Hilfe für Schlesien, die ebenso notwendig war, um den schlesischen Bergbau vor schweren Erschütterungen zu bewahren, ist doch effektiv geworden. Im Juli drohte bekanntlich der Waldenburger Bezirk in Schlesien von der passiven Resistenz der Bergarbeiter deswegen er⸗ griffen zu werden, weil die Bergarbeiter sich mit der Wiedereinsetzung gemaßregelter Beamten nicht einverstanden erklären wollten. Der Delegierte des Reichsarbeitsministers hatte keinen Erfolg; er kehrte, ohne daß er seine Mission hätte ausführen können, nach Berlin zurück, und nun bat mich der Reichsarbeitsminister, des Charakters der Forderungen wegen, die Vermittlung in die Hand zu nehmen. (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.)
Ich habe nicht sofort die Machtmittel der preußischen Polizei in Aktion gesetzt — das schien mir damals eine Eisenbartkur zu sein —, sondern ich habe versucht, die Bergarbeiter durch weitere Verhand⸗ handlungen zur Einsicht zu bringen. Das ist gelungen, und auch erst in, den letzten Tagen habe ich durch eine erneute Vermittlung erreicht, daß die Waldenburger und Neuroder Bergarbeiter sich mit dem Spruch des Schiedsgerichts einverstanden erklärt haben, das ich im Juli einsetzen ließ.
Wenn ich Ihnen diese Dinge, die ein Ressort berühren, so ausführlich auseinandersetze, so geschieht es nicht, um eine Großtat meines Ressorts daraus zu machen, sondern um Ihnen zu zeigen, daß ich, als gehandelt werden mußte, nicht nach der Zuständigkeit meines Ressorts gefragt habe, sondern mit beiden Beinen in die Notwendig⸗ keit hineingesprungen bin, in Niederschlesien Ruhe zu schaffen. (Zu⸗ rufe rechts.) — Aber ja doch, ich weiß, daß ich als Preuße auch Deutscher bin, und darum gibt es bei mir keinen Partikularismus im Ressort.
Fragen Sie einmal den Herrn Reichsinnenminister nach Einzel⸗ heiten, wie ich mich bemühe, den Interessen der Reichsressorts Rech⸗ nung zu tragen! Glauben Sie, ich wäre vom Reichs kabinett mit Einschluß der Herren von der Volkspartei aufgefordert worden, als Beauftragter des Reichskabinetts nach Schlesien zu gehen, wenn die Herren zu mir nicht das Vertrauen hätten, daß ich als Reichsdeutscher die Interessen des Reichskabinetts vertreten würde? (Zurufe rechts.) Wenn Ihnen diese Dinge bekannt sind, und sie dürften Ihnen be⸗ kannt sein, dann verstehe ich nicht, wie Sie sich gerade hier her⸗ stellen können und das Gegenteil von offenkundigen Tatsachen be⸗ haupten können. (Zurufe rechts.)
Der Herr Abg. v. Richter hat mit besonderer Leidenschaftlichkeit meine Amtsführung unter seine kritische Lupe genommen und ge⸗ meint, daß besonders nach dem 6. Juni in meinem Ressort versucht werde, die Macht der Sozialdemokratie zu stabilisieren; so ungefähr hat er sich ausgedrückt. Ich bitte den Herrn Abg. v. Richter, doch nur einen Beweis für diese Behauptung beizubringen. Es wird ihm riesig schwer fallen. Wenn er etwa damit meint, daß ich eine Anzahl von preußischen Verwaltungsbeamten verabschiedet habe, so mache ich darauf aufmerksam, daß diese Maßnahmen lange vor dem 6. Juni getroffen worden sind. Nach dem 6. Juni war, wie auch heute noch, vielleicht noch hier und da ein Ausgleich notwendig; aber alle ent⸗ scheidenden Verfügungen, die er vielleicht im Auge hatte, sind schon im April getroffen.
Es ist nicht die geringste Aenderung in dem Verhältnis des preußischen Kabinetts zum Reichskabinett nach dem 6. Juni einge⸗ treten; überall, wo wir verpflichtet waren, mit Reichsressorts zu⸗ sammenzuarbeiten, ist das in der vollsten Uebereinstimmung geschehen, soweit sich diese Uebereinstimmung bei der Ueberwindung von Meinungsverschiedenheiten berstellen läßt. Sie wollen eben nicht ver⸗ gessen, daß es ja immer möglich ist, daß im Reiche eine andere Re⸗ gierung nach den Wahlen zustande kommt als in Preußen. Die Struktur des Reiches ist nicht die gleiche wie die Preußens. Es st in der Theorie wenigstens möglich, daß im Reiche wie in Preußen die gleichen Koalitionsregierungen zustandekommen, felbst mit Einschluß der Deutschen Volkspartei, und daß trotzdem Verschicen⸗ heiten bei der Verteilung der Kräfte in den Regierungen bleben, weil man nicht die gleichen Persönlichkeiten und die gleichen Prrtei⸗ vertreter an die Spitze der einzelnen Ressorts stellen kann. Ich habe eben schon darauf aufmerksam gema ht, es tönnte — in der Theorie — ein Herr von der Deutschen Volkspartei in Preußen Innenminister sein, im Reiche dagegen ein Lerr von der Demokratischen Partei. Auf diese Weise sind immer Reibunge flächen vorhanden, die nur be⸗
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seitigt oder gemildert werden, wenn auf beiden Seiten der gute Wille
dazu ist. Und dieser gute Wilee ist jetzt auf beiden S iten vorhanden. Fragen Sie einmal den Herrn Reichswirtschaftsminister, ob er etwa ohne die tägliche Mithilfe der Sozialdemokraten in der Lage wäre,
das Diktat von Spaa zu erfüllen, ob er ohne den Einfluß der Sozial⸗
demotraten im Ruhrrevier beispielsweise imstande wäre, die Berg⸗ arbeiter zur Ueberarbeit anzuhalten. (Zurufe rechts.) — Das ist eine berechtigte Frage. Dieser Hinweis soll folgendes: Er soll Sie warnen,
die Dinge auf die Spitze zu treiben (sehr wahr! bei der Soz .
zenn durch Reuwahlen.
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der Medeallle aufmerksam zu machen. demok atischen Partei — Zurufe rechts: Der Minister des Innern putscht, er soll für Ruhe sorgen!) — Da nehme ich von Ihnen kein
8 emokratischen Partei); denn wenn Sie mit diesen gehässigen und be⸗
weislosen Unterstellungen fortfahren, die täglich in der rechtsgerichteten Presse wiederkehren, so könnte es wohl sein, daß sich auf wirtschaft⸗ lichem Gebiet bald dieselben Kämpfe abfvielen, die wir heute auf parteipolitischem Gebiete haben. (Sehr wahr! bei der Sozialdemo⸗ katischen Partei — Zurufe rechts: Der Minister des Innern putscht!) — Ja, der Minister des Innern ist verpflichtet, auf diese Kehrseite (Sehr gut! bei der Sozial⸗
Rezept entgegen, das muß ich besser versteben. Gestatten Sie nun noch ein paar Bemerkungen zu den Aus⸗ ührungen des Abg. Rippel. Der Abg. Rippel war so freundlich,
8 mir ein politisches Darlehen seiner Partei zu offerieren. Wir haben in ein paar Stunden den Wahlgesetzentwurf fertiggestellt, sagte er.
Es ist richtig, Herr Kollege Rippel, in der Fixigkeit sind Sie mir üͤber, aber in der Richtigkeit glaube ich Ihnen über zu sein. (Heiterkeit.) Im Antrage der Herren Hergt und Genossen heißt es, daß die Wahlen am 12. Dezember stattfinden sollen. In § 12 des Initiativ⸗ antrages der Herren wird verlangt:
Die Wählerlisten und Wahlkarteien werden spätestens vier Wochen vor dem Wahltag acht Tage lang öffentlich aus⸗ gelegt.
Da haben wir zunächst vier Wochen. Die Wählerlisten und Wahl⸗ karteien müssen doch auch aufgestellt werden, das ist Ihnen doch bekannt, Herr Abg. Rippel? (Zuruf rechts: Die sind meistenteils fertigy) — Erkundigen Sie sich doch einmal in Berlin, besonders bei dem heutigen Stande des Berliner Magistrats und der Berliner Beamten, wie es mit den Berliner Wählerlisten aussieht. (Zuruf rehts: Berlin ist kein Vorbild!) — Sie können aber doch Berlin aus der allgemeinen Wahl nicht herausnehmen. Es müssen also die Wäͤhlerlisten aufgestellt und berichtigt werden. Das würde selbst der Herr Abg. Rippel, wenn er Innenminister wäre, nicht in weniger als einem Zeitraum von drei Wochen ausführen können oder ausführen lassen können.
In § 40 des Initiativantrages Hergt ist aber auch eine Landes⸗ wahlordnung vorgesehen, die der Innenminister aufstellen soll. Wir mässen diese Landeswahlordnung, die erst nach Fertigstellung des Wahlgesetzes aufgestellt werden kann, auch drucken lassen, wir müssen das Wahlgesetz drucken lassen. Das wird mit dem Ver⸗ fand einen Zeitraum von drei Wochen in Anspruch nehmen. Wir müßten also von dem Datum der Fertigstellung des Wahlgesetzes an noch 10 bis 12 Wochen fordern, wenn alles seinen ordentlichen Gang gehen soll, wenn wir die Dinge so einrichten sollen, daß wir von Ihnen nachher nicht den Vorwurf bekommen, wir machten Prä⸗ fektenwahlen. (Zuruf rechts.) Früher stand das Wahlgesetz fest, und früher gab es eine Wahlordnung, die nicht erst kurz vor den Wahlen vom Ministerium fertiggestellt zu werden brauchte. (Zuruf rechts.) Das ist heute alles erst fertigzustellen. Heute schwimmt doch alles bei uns. (Zuruf rechts.)
Meine Damen und Herren, ich habe außerdem den Eindruck, als ob die Landesversammlung auch nicht so ohne weiteres diesem soge⸗ nannten Notwahlgesetze, das die Herren Abgeordneten Hergt und
Genossen Ihnen vorlegen, zustimmen würde, sondern daß wenigstens noch eine Aueschußberatung erforderlich wäre. Selbst wenn diese Ausschußberatung außergewöhnlich schnell ginge, vermute ich, daß man doch eine Woche hindurch die Vorzüge des Hergtschen Entwurfs suchen und dem Wahlgesetz, das die Regierung Ihnen vor⸗ legt, gegenüberstellen müßte, (sehr richtig! links) und ich glaube, daß Sie schon bei einer oberflächlichen Prüfung zu der Auffassung kommen würden: so ganz sorgfältig ist der Hergtsche Entwurf doch auch nicht ausgearbeitet. Der Hergische Entwurf ignoriert die Wahl⸗ kreisverbände an verschiedenen Stellen. Der Wahlkreis der Provinz Pommern ist ident sch mit dem W ahlkreisverband Pommern; das gleiche gilt in bezug auf Schleswia⸗Holstein und Hessen⸗Nassau. An diesen Stellen ist Ihnen also ein Malheur unter⸗ laufen. Sie werden mir zugeben, daß die Plenarversammlung der Landesversammlung nicht die geeignee Stelle ist, das zu korrigleren, sondern das würde Sache der Ausschasberatungen sein. Wenn wir nur eine Ausschußberatung, zwei bis drei Tage für Fertiastellung der Landeswahlordnung, drei Wochen Druck und Versand des Wahlgesetzes und der Wahlordnung, drei Wochen für Fertigtellung der Wähler⸗ listen und vier Wochen für die Auslegung dieser Lrnen in Anrechnung bringen, dann kommt ein Zeitraum von 11 bis 12 Mochen heraus. Wie Sie dann den Termin vom 12. Dezember innehalten wollen, ist mir unerfindlich. Sie, Herr v. Richter, sind ein viel zu guer Ver⸗ waltungsbeamter (Widerspruch links und Zuruf des Abg. Dr. v. Rchter [Hannover]), — ich habe an den verwaltungstechnischen Qualitänn des Herrn v. Richter nie gezweifelt (Zuruf links) und sage, daß Herr v. Richter selbst anerkennen wird, daß dieser Termin nicht innezu⸗ halten ist, wenn eine geordnete Wahl garantiert werden soll. Wie Sie dies Erfordernis mit dem Datum des 12. Dezember in Einklang bringen wollen, das ist Ihr Geheimnis. (Zuruf rechts.) — Treiben Sie doch keine solche Geschichtsklitterung. Im Frühjahr, Ende März waren die maßgebenden Stellen der Nationalversammlung sich doch darüber klar, den 6. Juni als Wahltermin zu be⸗ stimmen. Es verging dann die letzte Märzwoche, die vier April⸗ wochen, die vier Maiwochen und eine Juniwoche. (Zuruf rechts.) — Nun ja, ich sage Ihnen ja, daß wir genau dieselbe Zeit ge⸗ brauchen, die bei den letzten Reichstagswahlen von der Reichsregierung in Anspruch genommen worden ist. Stellen Sie das Wahlgesetz heute fertig, dann können wir in zwölf Wochen wählen. (Zuruf rechts. . 2. Herr Abgeordnete von Richter fragte, warum das Wahlgesetz verschleppt worden sei. Sollte diese Frage einen versteckten Vorwurf on die Adresse der Staatsregierung enthalten, so möchte ich ihn mit aller Schärfe zurückweisen. (Zuruf rechts.) — Ich komme auf dieses Nicken. (Zuruf des Abgeordneten Graef [Anklam.]) — Herr Kollege Graef, ich wollte Sie gerade als Kronzeugen anrufen, Sie sind mir aber zuvorgekommen. Auf der Heimreise von Spaa am 9, oder 10. Juli — ich kann mich irren — hatte ich Gelegenheit, mit Herrn Kollegen Graef (Anklam) über den damals in den Zeitungen veröffentlichten Entwurf zu sprechen. Am 9. Juli waren die Grundsätze des Entwurfs durch die Presse schon bekannt. Herr Kollege Graef (Anklam) stieg in dem Gespräch in einige Einzel⸗ heiten hinein, zu denen er die Stellungnahme der Staatsregierung zu wissen wünschte. Ja, mehr konnte ich damals nicht tun, als der Presse die Grundzüge dieses Entwurfs mitzuteilen; denn einen Ent⸗ wurf der Staatsregierung kann ich Ihnen doch erst präͤsentieren, wenn er die Zustimmung der Mitglieder der Staatsregierung ge⸗
funden hat. (Zuruf rechts: Das ist doch drei Monate her!) Aber,
meine Herren, nicht Sie allein haben das Recht auf Ferien, sondern auch die Mitglieder der Staatsregierung. (Zuruf rechts: Das ist jedenfalls eine Erklärung!) Meine Herren, wenn Sie es im Juli so eilig gehabt hätten, hätte es nichts verschlagen, dem Hause damals schon den Hergtschen Iniliativantrag zu unterbreiten. (Abgeordneter Graef (Anklam): Sie haben urs damals versprochen, daß bei Wieder⸗ zusammentritt des Hauses der Entwurf vorliegen würde, und das Wort haben Sie nicht gehalten, Herr Minister!) — Meine Herren, noch einmal: ich habe, als das Resultat der Reichstagswahlen vor⸗ lag und als baldige Neuwahlen in Preußen immerhin im Bereich des Möglichen lagen, meinem Referenten im Ministerium den Auf⸗ trag gegeben, mir den Entwurf eines Wahlgesetzes baldigst vorzulegen. Ich wollte jederzeit dem Hause einen Entwurf des Staatsministeriums präsentieren können. Daß ich als Ressort⸗ minister dieser Zusage nachgekommen bin, das wollen Sie
Peben, Herr Graef (Anklam), aus dem Gespräch folgern, daß wir über
den Inhalt des Wahlgesetzes Anfang Juli gepflogen haben. Also von einer Verschleppung der Staateregierung kann nicht die Rede sein. (Lachen und Zuruf rechts: Nanu hört es auf!) Dann, meine ich, hätten wir uns aber den berechtigten Vorwurf der Herren von der Rechten zugezogen, wenn wir, d. h. die Staatsregierung, Ihnen noch einmal mit einem unzulänglichen Notwahlgesetz gekommen wären. In der Diskussion über den Vorschlag C, den der Reichsinnenminister Koch im April der Oeffentlichkeit unterbreitete, ist übereinstimmend von fast allen politischen Parteien anerkannt, daß er den Vorzug vor allen andern Syftemen verdiene. Verabschiedet ist dieser Entwurf deswegen nicht, weil die politischen Parteien im Reichstage schnell zu einer Entscheidung kommen mußten. Aber es ist in Aussicht ge⸗ nommen, in ruhigen Zeiten den Dingen nachzugehen, und die
politischen Parteien des Reichstags erklären heute noch — besonders
in ihren Führungen — daß sie geneigt sind, dem Vorschlag C des Reichsinnenministers bei der künftigen definitiven Reich tagswahl⸗ gesetzgebung zu entsprechen. Wenn das aber feststand, meine Herren, glaube ich, wären Sie nicht mit Unrecht über uns hergefallen, wenn wir Ihnen noch einmal jetzt, wo doch für eine leidenschaftslose und ruhige Durcharbeitung des Gesetzentwurfs Zeit genug zur Verfügung stand, ein Notwahlgesetz vorgelegt hätten. (Unruhe rechts.) — Ent⸗ schuldigen Sie,
regierung zu diesen Dingen zu sagen.
Wenn köünftig das Reich eine Wahlgesetzgebung gibt, dann wird sie nach den Erklärungen der Parteien anders aussehen als die Be⸗ stimmung des heutigen Notwahlgesetzes. Die politischen Parkeien wären, glaube ich, koum entzückt davon gewesen, wenn sie ihren Organisationsapparat in Preußen hätten anders einstellen müssen als künftig im Reich. (Zuruf rechts: Das weiß noch niemand!) — Nein, das weiß man in der Tat noch nicht, aber überlassen Sie es doch der Staatsregierung, die verhältnismäßig größte Uebereinstimmung mit der Reichsregierung auch in diesem Punkte herzustellen. Ich habe diesen Versuch schon vor einigen Wochen unternommen, bin aber aus Gründen, die auch nicht in meinem Ressort verschuldet wurden, nicht in der Lage gewesen, diese Dinge bis zu einem gewissen Ziel zu verfolgen. Wir werden in den nächsten Tagen schon erfahren, welche Absichten die Reichsregierung auf diesem Gebiete hat. Dann wird es Aufgabe der Kommission sein, den Gesetzentwurf mit den künftigen Absichten, die das Reich auf diesem Gebiete verfolgt, in Einklang zu bringen.
Das entspricht, glaube ich, den Interessen aller politischen Parteien
und der beiden gesetzgebenden Körperschaften.
Herr Abg. Rippel hat dann wiederholt die geschmackvolle Wen⸗ dung vom Kleben am Mandat und von der Futterkrippenpolitik ge⸗ braucht. Es kennzeichnet so recht das Niveau unserer politischen Auseinandersetzungen, daß man heute ohne diese Uebertreibungen nicht mehr auskommt. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten. — Zuruf rechts: Sind das Uebertreibungen )y — Ja, was glauben Sie denn? Stehen Sie ehrlich zu der Auffassung, daß ich am Mandat klebe? Bitte, sagen Sie Ja oder Nein! (Zuruf rechts.) Die Einzelpersonen nicht? Woraus besteht denn die Staatsregierung? Sie besteht doch aus Einzelpersonen! Mit solchen Redewendungen kommen Sie nicht aus! Die Bezeichnung Futtertrippe ist schon eine Beleidigung für diejenigen Männer, die in der schwersten Not des Volkes es über sich gebracht haben, die exponiertesten Posten zu über⸗ nehmen. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Vom Parteistand⸗ punkt aus betrachtet könnte man es vielleicht als einen Fehler be⸗ zeichnen, daß an den Novembertagen 1918 die Sozialdemokratie in die Regierung einzetreten ist, die Veran wortung mit übernommen hat. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Ich hätte einmal Ihre (nach rechts) Regierung, Ihre Wirtschaft in diesen Tagen sehen mögen! Ich glaube aber, die Befriedigung dieser Neugierde hätte u bitter, zu teuer mit dem Ruin unseres Volkes erkauft werden muissen. (Sehr gut! links — Lachen rechts.) — Kommen Sie jetzt wieder zur Regierung, Herr Abgeordneter v. Richter, dann legen Sie sich in ein neu gemachtes Bett! (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten. — Abgeordneer Dr. v. Richter (Hannover): In Ihr Bett, Herr Minister, lege ich mich nicht, es ist mir zu kurz!) — Ich glaube, daß die Achtung der Wihlermassen vor der Volksvertretung nicht gerade steigt, wenn Sie Tag für Tag durch die Parlamentsberichte ersehen, auf welchem Niveau die Zerhandlungen dieser Versammlungen statt⸗ finden. (Sehr richtig! links and rechts.)
Herr Abg. Rippel hat dann an den Minister des Innern den Appell gerichtet, die Stimmung in Bayern doch nicht ganz zu ignorieren, die so bedrohliche Formen angenommen habe, daß die Existenz des Reichs gefährdet erscheine, wenn nicht balb eine Umkehr erfolge. Die Stimmung in Bavern ist mir belꝛunt. Aber daß Sie (nach rechts) jetzt gerade Ihre Vorliebe für Bayen entdecken, ist auch ein Bildnis bezaubernd schön. (Sehr gut! ber den Sczial⸗ demokraten.) Früher war es sehr, sehr viel anders. Aber es ist nicht ganz uninteressant, einmal festzustellen, wie eigentüch die Stimmung in Bavern entsteht. Ich habe hier eine Zeitung, die einen Artikel „Bavern und das Reich“ veröffentlicht, in dem aus. einandergesetzt wird, daß die Lodderwirtschaft der heutigen preußischen Regierung eigentlich die Spannung in Bayern gegen das Reich hervorgerufen hat. (Hört! hört! links.) Das ist keine Zeitung aus Erlangen, aus Regensburg oder aus Passau, sondern die „Ostpreußische Zeitung“. (Heiterkeit links.) Man macht das heute so, daß man aus Königsberg, aus Pommern oder aus einer andern ostelbischen Provinz Spezialkorrespondenten nach München entsendet, die sich mit den Getreuen von Escherich in Verbindung setzen und dann hierher kommen, um über die „Stimmung in Bayern“ zu schreiben. (Sehr gut! links.) Nun, meine Herren, die Stimmung
meine Herren, wenn ich Ihre Priovatunterhaltungen störe, aber ich bin nun einmal verpflichtet, die Meinung der Staats⸗
von Bayern ist auch daraus zu erkennen, daß Großstadt ver⸗ hältnismäßig so viel kommunistische Stimmen bei der letzten Reichs⸗ tagswahl aufzuweisen hatte, wie gerade Münachen. Ich glaube, das sollte allen denen zu denken geben, die heute von Bavern als von dem ge⸗ festigsten Lande reden. Die Mißhandlung von Dr. Magnus Hirsch⸗ feld ist, glaube ich, auch nicht gerade ein Beweis dafür, daß in Bayern alles vom besten bestellt ist. Aber, meine Herren, ich habe gar nicht die Absicht, gegen Bayern irgend etwas zu sagen. Ich er⸗ kenne gern an, daß die bayerische Regierung bestrebt ist, Ordnung im Lande zu halten. Aber, es heißt doch wohl nichts anders als das eigene Nest beschmutzen, wenn man die Zustände in Preußen in der Darstellung verschlimmbösert, schimborassoartig verzerrt und Bayern als ein Land hinstellt, in dem gar nichts vorkommt. Ich habe schon im Ausschuß darauf hingewiesen: hätte Bayern das rheinisch⸗west⸗ fälische Kohlenrevier, hätte Bayern eine Provinz Sachsen oder andere industrielle Bezirke Preußens, dann würde es auch in diesem Lande sehr viel schwieriger sein, Ordnung zu halten, als es heute der Fall ist. (Sehr gut! links.) Meine Herren, während ein anderer füddeutscher Staat — den ich auch dazu beglückwünsche, daßer sich allmählich konsolidiert — große Zuckungen durchzumachen hat infolge des Widerstandes gegen den Steuerabzug, ist in Preußen diese Bewegung verhältnismäßig glatt verlaufen. Sie wollen aus diesen Dingen erkennen, daß Preußen und die Preußische Regierung nicht immer die herbe Kritik verdient, die Sie ihr angedeihen lassen, und daß es nur auf die ödeste Partei⸗ politik eingestellt ist, wenn Sie einen Gegensatz zwischen Preußen und Bayern gerade auf diesem Gebiete konstruieren. Herr Kollege Rippel hat dann die Wahlkreisgeometrie bemängelt . und gemeint, daß da auch wahrscheinlich parte politische Tendenzen mitgespielt hätten, wenn man nicht annehmen wollte, daß nur eine grenzenlose Sachunkenntnis die Feder des Ministers geführt hätte. Herr Kollege Rippel, wenn Sie ein klein wenig vorsichtiger gewesen wären und alle Materialien studiert hätten, die Ihnen hier vorliegen, so würden Sie gefunden haben, daß wir auch in bezug auf die Wahlkreiseinteilung die Vorlage wörtlich übernommen haben, die uns der Reichsinnenminister Koch unterbreitet hatte. (Zuruf rechts: Der⸗ selbe Unfug ist damals schon veröffentlicht worden, den haben Sie auch glatt übernommen, und dazu haben Sie so lange Zeit gebraucht!) — Nein, das bestreite ich. Ich habe Ihnen ja eben zugegeben, daß wir es übernommen haben, aber ich beftreite, daß wir so lange Zeit dazu verwendet haben. Meine Herren, mit der Wahlkreiseinteilung liegt es so. Als der Entwurf im einzelnen bekannt wurde, sind an mich Anträge aus verschiedenen politischen Parteien gelangt mit der Bitte, doch schon im bereinigten Entwurf diese Anträge entsprechend zu berücksichtigen, Anträge, die auf eine andere Wahlkreiseinteilun hinausliefen. Ich habe den Versuch dazu unternommen, bin aber schließlich zu dem Ergebnis gelangt, daß wie immer ich eine Vorlage in bezug auf Wahlkreiseinteilung präsentieren würde, doch damit die Wünsche sämtlicher Parteien nicht befriedigt würden. (Sehr richtig: links.) Deshalb habe ich dem Hohen Hause vorzu⸗ schlagen, es auch in dieser Beziehung so zu handhaben, wie die politischen Parteien des Reichstags für gut befanden in dem Wahlgesetzausschuß einen kleineren Unterausschuß zu be⸗ stimmen, der die Wahlkreiseinteilung vornimmt und diese Wahlkreis⸗ einteilung auf die Agitationsbezirke, die Provagandabezirke der politischen Parteien einstellt. So, glaube ich, würde die praktischste Arbeit geleistet. „ Das, meine Herren, auszuführen, habe ich mich für verpflichtet gehalten. Im übrigen möchte ich die Zeit des Hauses angesichts der Geschäftslage nicht weiter in Anspruch nehmen. Das eine möchte ich für die Staatsregierung noch hervorheben, daß sie keinen Auge blick die A sicht hat, durch ihre Haltung die Verabschiedung der Landesversammlung zu verzögern. Es steht bei der Landesversamm⸗ lung, welche Gesetze sie verabschieden will und ebenso, in welcher Art sie es tun will. Wenn Sie aber, Herr Kollege Rippel, und auch vorher der Herr Abg. v. Richter sich darüber beschwert haben, daß die Staatsregierung mit der Einbringung der Vorlage sich manchmal Zeit gelassen hat, und wenn Sie dabei auch ziemlich ungnädig meinen Herrn Amtsvorgänger kritisiert haben, dann glaube ich, aus diesen Vorwürfen das Recht herleiten zu können, Ihnen, besonders Ihrer Fraklion und der befreundeten Deutschen Volkspartei zu sagen, daß Sie an der Hinauszögerung der Arbeiten und dem langsamen Tempo der Landesversammlung Ihr voll gerüttelt Maß Schuld haben. (Sehr richtig! links, lebhafte Unruhe rechts.) Meine Herren, das Drucksachenverzeichnis der Landesversammlung ist Beweis für diese Behauptung. (Sehr richtig! links.) Die kleinen und die großen Anfragen, die schon im März und im April des vergangenen Jahres hier nur so regneten, haben mindestens in demselb Umfange die Verzögerung der Fertigstellung der wichtigst Gesetze herbeigeführt wie die angeblich lässige Haltung 1 Regierung. Und, meine Herren, das eine wollen Sie nich vergessen: Sie haben es leicht, vom sichern Port gemächlich raten. Die Männer aber, die heute in der Regierung sitzen, haben die verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, dafür zu sorgen, daß Sie hier überhaupt noch parlamentarisch tagen können. Sie haben nicht nur ihre Aufmerksamkeit darauf zu richten, daß Verordnungen und Gesetzes⸗ paragraphen pünktlich an das Haus gelangen, sondern sie haben auch dafür zu sorgen, daß das Staatsgetriebe überhaupt aufrechterhalten bleibt. Das ist in diesen Zeitläuften nicht so angenehm und nicht so leicht, wie Sie es in Ihbrer früheren Tätigkeit gewohnt waren. 1 Alles in allem! Ich wünschte wohl, daß wir einmal d Experiment der Verwaltungs⸗ und Regierungstätigkeit der Herren vo der rechten Seite machen könnten. Wenn Deutschland nicht daran zugrunde ginge, dann würde ich noch heute an Sie das Ersuchen richten: lösen Sie sich noch heute auf, damit wir sehen, was die Herren in der Zukunft leisten. Aber weil mir das Schicksal des deutschen Volkes höher steht als das Agitationsbedürfnis einzelner Parteien, deshalb bin ich der Meinung, daß die Mehrheit des Hauses wissen wird, was sie zu tun hat, um die Aufgaben, die ihr am 26. Januar des vorigen Jahres überwiesen worden sind, zu lösen. (Lebhafter Beifall im Zentrum und links.) — 8 Heilmann (Soz.): Die Vorlage wird ja an eine Kommission gehen. Die Frage der Wahltermine soll keine parteipolitische sein, so wird uns versichert; jetzt aber wollen die Deutschnationalen gerade das herbeiführen, was sie früher als nationales Verbrechen bezeichnet haben; sie wollen die Wahlen vornehmen, ehe in Oberschlesien die Volksabstim⸗ mung stattgefunden hatt Die Deutschnationalen sind in Wahrheit antinational dis auf die Knochen. Erst nachträglich sind sie zu der Erkenntnis gekommen, daß so rasch als möglich Neuwahlen statt⸗ finden müften als die Unabhängigen den gleichen Antrag schon vor
Monaten tellken, haben die Parkeien der Rechten ihn abgelehnt! Den Wahltermin bestimmen wir nach dem Stande der Landesver⸗
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