1920 / 245 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 28 Oct 1920 18:00:01 GMT) scan diff

wird es sein, solche Ve en Mi⸗ abzuwehren. (Beifall.) Das Recht, die eigene Meinung frei zu äußern, ist durch die Verfassung weitgehend gewahrt. Wir denken nicht daran, es einzuschränken. Aber dieses Recht macht Halt vor den Schranken der Gesetze. (Sehr richtigt) Wir warnen davor, diese Schranken zu überschreiten. Und unsere Warnung richtet sich an die kommunistische Partei. Diese Partei tritt handelnd auf, be⸗ kennt sich jum Moskauer Programm der gewaltsamen Durchsetzung der kommunistischen Despotie. Der Weg zu diesem Ziele geht nur durch den Bürgerkrieg. (Sehr richtig) Wer zu Moskau schwört, muß sich klar sein, daß er damit die Bereitschaft auf sich nimmt, den Umsturz des Reiches durch blutige Gewalt und inneren Krieg herbeizuführen. (Sehr richtig!) Er stellt sich damit außerhalb per Rechtsordnung. (Sehr richtig! Zuruf von der U. S. (Linke): Aus⸗ nahmegesetz!) Außerhalb der bestehenden Rechtsordnung, die wir nicht durch Ausnahmegesetze zu schützen brauchen, sondern mit den Gesetzen, die bestehen. (Sehr gut!) Und für russische Agitatoren, die sich amaßen, den Bürgerkrieg in Deutschland zu predigen und zu leiten, ist auf deutschem Boden hinfür bein Platz. (Beifall.) Wir werden alles daran setzen, um von unserem Volke das Unglück des Bürgerkrieges fernzuhalten, das aus dieser Verirrung droht, und wir werden der Gewalt des Unrechts, wo sie sich hervorwagt, die auf dem Recht basierende Gewalt des Staates entgegensetzen. (Beifall. Zuruf von den U. S. (Linke): Wie steht es mit dem Recht?) Ich habe bis jetzt nur vom Terror gesprochen. Ich habe sonst im übrigen noch nichts vom Terror und Predigen des Bürgerkrieges ge⸗ hört, als von der Seite, gegen die ich mich gewandt habe. (Lachen und Zurufe von der U. S. P. Rufe rechts: Ruhe!) Ich habe gemeint, Herr Kollege Ledebour, Sie ständen in dieser Frage durch⸗ aus auf meinem Boden. (Heiterkeit. —0 Abg. Ledebour: Nein! Das möchte Ihnen (zu den U. S. (Linke) so passen!!) Dann verstehen Sie 878 mehr, Herr Kollege Ledebour. er unserem Volke aus seiner Not heraushelfen will, muß si auf den Boden der Wirklichkeit und des 1ge stellen, 88 samkeit und Arbeit! Auch ich vermag kein besseres Motto für ein Programm zu finden, das eine pflichtbewußte Regierung über ihre Tätigkeit zu setzen hat. Wir sind ein armes Volk geworden. Wir dürfen nicht mehr leben, wie in Zeiten früheren Wohlstandes. Wir müssen auf Genüsse verzichten, die heute auf Kosten des kargen Nahrungsspielraumes gehen würden. (Zuruf von den Unabhängigen Sozialdemokraten [Linke): Aber nicht die Reichen!) Alle. . Meine Aufforderung geht an alle, (bravo!) und an die Reichen in allererster Linie. (Bravol) An die Armen brauche ich sie nicht zu richten, die leiden so wie so genug unter den heutigen Verhältnissen. Diese Auf⸗ forderung geht gerade an die Reichen. Wir müssen uns auf Tätigkeit konzentrieren, die das Notwendige schafft und das Nützliche sucht. Vor⸗ allen Dingen müssen wir daran festhalten: es gibt bei uns kein Vor⸗ recht auf unverdienten Genuß. Das Deutsche Reich kann heute kein Glied an seiner Wirtschaft dulden. (Lebhafter Beifall.) en Kabinett hat in vielfältigen Beratungen alle Fragen der 3 irtschaft und der Finanz durchgesprochen. Im Laufe der Etaterörterungen werden die einzelnen Minister für ihre Arbeitsgebiete diejenigen Gesichtspunkte entwickeln, nach denen das Kabinett zu arbeiten gedenkt. Dieses Programm geht darauf aus, in Landwirtschaft und Industrie alle Kräfte zur Wieder⸗ erlangung der deutschen Arbeitsfähigkeit mobil zu machen und den höchsten Nutzeffekt zu erzielen, unsere Verkehrspolitik zu sanieren, unsere Finanzen zu ordnen, unsere Rückkehr auf den Weltmarkt an⸗ zustreben, unsere Arbeiterpolitik nach modernen sozialen Grund⸗ sätzen fortzubilden. Die Richtlinien, die das Kabinett jüngst über seine Finanzpolitik aufgestellt hat, und die dem Finanzminister einé erhöhte Bedeutung im Interesse sparsamster Wirtschaft gewähren, zeugen von dem festen Willen des Kabinetts, nicht nur Worte zu machen, sondern zu handeln. Die Sparsamkeit, mit der der gegen⸗ wärtige Etat aufgestellt ist, beweist dasselbe.

Die Frage der Sozialisierung des Kohlenbergbaues ist Gegen⸗ stand eingehender Erörterungen im Reichskohlenrat und im Reichs⸗ wirtschaftsrat geworden. Die Regierung wird die sich hier ergeben⸗ den Anregungen bei der Feststellung ihrer in der Ausarbeitung be⸗ findlichen Vorlagen mit der Sorgfalt verwerten die ihr durch ihre Verantwortung für eine richtige Lösung dieser Grundfrage unserer gesamten Wirtschaft vorgeschrieben wird. Die Vorlage wird ihnen demnächst zugehen. Auch im übrigen wird es dem Reichstag an gesetzgeberischer Materie nicht mangeln. Auch bei der Beschränkung auf das Notwendigste werden wir doch genötigt sein, die Arbeits⸗ kraft des Hauses stark in Anspruch zu nehmen.

Die noch ausstehenden Ergänzungswahlen zum Reichstag hoffen wir so vornehmen zu können, daß sie gemeinsam mit den preußischen Wahlen stattfinden. (Beifall bei den Sozialdemokraten.) Das wird den Wünschen aller entsprechen, denen daran liegt, dem Reiche die Kosten und der Bevölkerung die Mühe doppelter Wahlen zu ersparen. (Sehr wahr!) Sollten die preußischen Wahlen sich noch erheblich verzögern, so würde in den Abstimmungsgebieten früher zur Wahl für den Reichstag geschritten werden müssen. (Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.) Wir führen über diese Frage Verhandlungen mit dem preußischen Kabinett, deren Abschluß bald zu erwarten steht.

Meine Damen und Herren! In all dem Traurigen und Trüben dieser Zeit ist es für uns alle doch ein Trost gewesen, daß das Gefühl der Zusammengehörigkeit sich unter dem Druck von außen in unserem Volke nur verstärkt hat. Dem Bekenntnis zum Deutsch⸗ tum, das in den deutschen Abstimmungsgebieten so eindrucksvoll ab⸗ gelegt worden ist, hat sich die Abstimmung in Kärnten angereiht. (Lebhafter Beifall.) Auch dort haben unsere Stammesbrüder treu zum deutschen Namen gehalten, der Zeit gewärtig, wo alles Deutsche nach dem Rechte der Selbstbestimmung innerhalb einer Reichsgrenze leben wird. (Lebhafter Beifalll) Wohl ist bei uns wie in Oesterreich bekannt, welche Hindernisse diesem Selbst⸗ bestimmungsrecht aus den Friedensverträgen noch gemacht werden. Das kann aber nicht hindern, daß die in dem Beschluß der National⸗ versammlung über den Anschluß in so schöner Einmütigkeit bekundete Sehnsucht des österreichischen Volkes bei den Brüdern im Reich das

erzlichste Echo findet. (Lebhafter Beifall.) Die Spekulation ge⸗ wisser ausländischer Kreise, daß es in den bösen Tagen, die über uns gekommen sind, vielleicht gelingen könnte, das eine oder andere Glied dem Reiche abwendig zu machen —, diese Spekulation rechnet nicht mit dem unzerstörbaren Gemeingefühl, das trotz der Stammesverschieden⸗

eiten unserem Volke innewohnt. Wenn auch in letzter Zeit sich gewisse Stimmen erhoben haben, die einige Zweifel an der Kraft dieses Ge⸗ meingefühls zu rechtfertigen schienen, so bin ich mir doch ganz gewiß, daß dies nur Erscheinungen der Oberfläche sind. Vor Verlockungen

eideukigen Zusagen brauche ich nicht zu warnen. Ueker die Be⸗ deutung solcher Winke ist unser Volk zu seinem schweren Schaden hin⸗ reichend belehrt. (Sehr gut!) Man überschätzt draußen die erklär⸗ liche Unrast in einigen Teilen des Reiches und die Abneigung, die sich zu Zeiten sehr drastisch gegen Berlin geltend macht. Es wäre aber auch falsch, wenn sich bei uns die Meinung festsetzen wollte, daß irgend ein Teil des Reiches Stiefkind der Reichsregierung wäre. Wir würden ja an den Grundlagen rütteln, auf denen das Reich steht, wollten wir Licht und Schatten ungleichmäßig verteilen. Aus den Trümmern des Reiches eine möglichst wohnliche Stätte für alle seine Glieder zu schaffen, ist unsere Aufgabe, der wir alle Kräfte widmen wollen. Bei der Verfolgung dieser Aufgabe sind wir auf viel Kritik gefaßt. Wo sie dazu dienen kann, zu bessern und zu helfen, ist sie uns willkommen. Anrdererseits müssen die Parteien und das Volk sich dessen bewußt sein, daß eine Kritik, die nur den Zweck hat, die Autorität der Regierung zu erschüttern, dem Wiederaufbau des Vater⸗ landes im Wege steht. (Sehr richtigl im Zentrum und bei den Deutschen Demokraten.) Die Mitglieder der Regierung bedürfen ihrer Kräfte zu positiver Arbeit. Diese Kräfte unnütz verzetteln, heißt, die positive Arbeit, auf die das Volk ein Recht hat, lähmen. Wessen wir bedürfen, ist die treue und einsichtige Mitarbeit aller Parteien. Meine Damen und Herren! Mehr wie ie haben wir die Pflicht, zurückzustellen, was uns trennt, und gemeinsam zu fördern, was uns allen obliegt: das Wohl von Volk und Reich. (Lebhafter Beifall.)

Reichsminister der Finanzen Dr. Wirth: Geehrte Versamm⸗ lung! Als das letzte Mal von dieser Stelle aus über die Reichs⸗ finanzen gesprochen wurde, standen wir vor der Konferenz von Spa. Wir hatten damals die Erwartung, daß man in Spaa endlich daran gehen werde, unsere Leistungen aus dem Friedensvertrag zu fixieren und in einer der Leistungsfähigkeit Deutschlands entsprechenden Weise zu umgrenzen. Die Verhündlungen haben einen anderen Verlauf genommen, als wir erwarteten. Die für eine weitgehende Finanz⸗ politik notwendige Klarheit ist noch immer nicht geschaffen worden. Spaa bedeutet eine Belastung für die deutsche Volkswirtschaft, ohne eine Beseitigung der herrschenden Ungewißheit gebracht zu haben.

Wenn Sie von einem Finanzminister verlangen, daß er Ihnen eine Finanzpolitik vorführt, so ist notwendig, daß wir, wie auch die ganze Welt, aus diesem Gefühl der Unsicherheit herauskommen. Es ist nicht schwer, auch persönlich nicht schwierig, alle Vierteljahre an dieser Stelle die Taktik der Zahlen zu wiederholen. Aber aus diesem Ticktack müssen wir heraus, wir müssen eine Umgrenzung unserer Leistungsfähigkeit bekommen, wenn nicht das deutsche Volk in Sklavenarbeit versinken soll; denn nur der Sklave weiß nicht, wie hoch die Lasten sind, die er zu tragen hat. Es ist in der Geschichte wohl vollkommen unerhört, daß zwei Jahre nach Abschluß des Waffenstillstandes und mehr als ein Jahr nach Unterzeichnung des Friedensvertrages die Lasten noch nicht bestimmt sind, welche der unterliegende Teil zu tragen hat. Kein Wunder, wenn nicht nur die deutsche Finanzlage sich von Monat zu Monat schwerer gestaltet, sondern wenn auch die internationale Finanzlage sich nicht entspannen will. Das ganze Getriebe der Weltwirtschaft kann nicht richtig in Gang kommen, solange vor allem der Druck der Ungewißheit auf diesem Gebiete vorhanden ist. Die Notwendigkeit, Klarheit zu schaffen, ist so evident, daß kein weiteres Wort darüber zu ver⸗ lieren ist.

Nun hat die Konferenz in Brüssel stattgefunden. Als der Ge⸗ danke dieser Konferenz vor einigen Monaten auftauchte, wurde nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Ländern an diese Konferenz mancherlei Hoffnung geknüpft. Viele Leute haben geglaubt, daß

Finanzprobleme gefunden würde, die mit erdrückender Wucht auf ganz Europa lasten. Da aber über den hauptsächlichsten Quellpunkt aller Finanzfragen, aller Finanznot, über den Friedensvertrag nach seiner wirtschaftlichen und finanziellen Seite, nicht debattiert werden sollte so war sofort klar, daß die Konferenz in Brüssel das gesamte Finanz⸗ problem nicht erschöpfen könnte. Dennoch halten wir, und ich als Finanzminister insbesondere, die Brüsseler Konferenz für sehr be⸗ deutsam. Zunächst ist doch wohl das eine erreicht worden, daß über die großen Finanzfragen und ihre Zusammenhänge mit der Wirt⸗ schaftspolitik einmal eine internationale Aussprache erfolgt ist. Wenn man sieht, wie wenig objektiv manchmal die Lage Deutschlands im Auglande behandelt mird, wie man zum Teil mit allen möglichen Rechenkunststücken die Belastung Deutschlands niedriger darzustellen sucht, als sie tatsächlich ist, so muß man es als einen großen Fortschritt begrüßen, daß einmal Männer zusammengekommen sind, die bestrebt waren, die objektive Wahrheit über die Finanzlage der einzelnen Länder zu erforschen und Grundsätze aufzustellen, nach denen die Heilung erfolgen soll. Auf diese Weise kann der Verbreitung der Wahrheit nur gedient werden. Man hat gesagt, die Brüsseler Finanzkonferenz sei mit einer Konferenz von Aerzten am Bette eines Schwerkranken zu vergleichen. Das ist richtig; aber, meine Damen und Herren, es genügt nicht, daß die Aerzte bloß feststellen, was und wo es dem Kranken fehlt, und daß sie den Ursachen der Krankheit nachgehen, es ist auch notwendig, daß die Mittel zur Behandlung angegeben werden, und zwar solche Mittel, die tatsächlich angewendet werden können. (Glocke des Präsidenten.)

Reichsfinanzminister Dr. Wirth: Ueber die Ursachen der Finanznot sind wir uns vollkommen klar. Nur konnte die Brüsseler Finanzkonferenz das mitteleuropäische Finanzübel nicht berücksichtigen infolge der gegebenen Umgrenzung ihres Themas. Es wäre für die Weltwirtschaft sehr gut gewesen, wenn sie einmal gehört hätte, was Deutschland schon hat leisten müssen, wenn die Wirkungen bis ins einzelne hätten klargelegt werden können, die die Beschlag⸗ nahme der Auslandsguthaben, die Wegnahme des Schiffsraums, die Requirierung von Milchvieh, die Ablieferung von Steinkohlen und viele, unendlich viele Dinge auf unser Wirtschaftsleben und damit für unsere Finanzen bereits gehabt haben. Man hätte dann an⸗ erkannt, daß die Valutanot der Gegenwart und ihre Rückwirkung auf den Welthandel wohl kaum wird beseitigt werden können, wenn es nicht gelingt, das deutsche Wirtschaftsleben wieder einigermaßen emporzurichten. (Sehr richtig! im Zentrum und bei den Deutschen Demokraten.)

Die Brüsseler Finanzkonferenz hat sehr gute allgemeine Grund⸗ sätze aufgestellt für die Heilung der Not der Staatsfinanzen, all⸗ bewährte Grundsätze. Sie forderte unter anderem erstens, daß jede Regierung die ordentlichen wiederkehrenden Ausgaben einschließlich des Schuldendienstes derartig einschränkt, daß sie durch die ordentlichen Einnahmen gedeckt werden können. Sie fordert weiter Einschränkung aller Rüstungen, drittens Vermeidung aller außerordentlichen

Ausgaben für unproduktive Zwecke und viertens Einschränkung

wenigstens in Brüssel die Grundlage für die Lösung der schweren

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der außerordentlichen Ausgaben selbst für produktive Zwecke. A anderer Stelle fordert die Brüsseler Konferenz daß jede Regierung alle wirtschaftlichen und künstlichen Maßnahmen, die dem Volke die wahre wirtschaftliche Lage verbergen, aufgeben solle. Vor allem sollen keine Unterstützungen mehr gewährt werden zur Verbilligung der Lebensmittel. Ich darf diesen Satz wiederholen: Vor allem ver⸗ langt die Brüsseler. Konferenz, daß keine Unterstützungen mehr gewährt werden zur Verbilligung der Lebensmittel und sonstiger notwendiger Waren. Auch sollen die Tarife für Post und Eisenbahn so ge⸗ staltet werden, daß die Kosten gedeckt werden. Ebenso wird gefordert, daß unter allen Umständen soviel Steuern gemacht werden, als man braucht, um die ordentlichen Ausgaben zu decken. Kredit soll nur in den allerseltensten Fällen und nur entsprechend den verfügbaren Er⸗ sparnissen aufgenommen werden. Die unfundierten Schulden sollen fundiert, das Drucken neuer Noten eingestellt werden. (Bewegung und Heiterkeit.) Die Gläubigerländer sollen den Schuldnerländern hei der Konsolidierung der Schulden möglichst entgegenkommen. Dazu wird Stärkung der Produktion verlangt und große Sparsamkeit auch innerhalb der Woskswirtschaft.

Meine Damen und Herren! Die in Brüssel aufgestellten Forde⸗ rungen sind für Deutschland und für uns Deutsche nichts Neues. Sie sind ich betone das ausdrücklich außerordentlich anerkennens⸗

wert und entsprechen den Grundsätzen, welche die Finanzwissenschaft schon lange vertritt. Nur ist von der Theorie bis zur Praxls unter

Umständen ein weiter, weiter Weg.

Was die Einzelheiten anlangt, so möchte ich darauf binweisen,

daß das deutsche Sparprogramm, wie wir es im Kabinett aufgestellt haben, fertiggestellt war, ehe Brüssel sprach. Was die Steuer⸗ bewilligungen anlangt, so können wir gleichfalls darauf hinweisen, daß kaum ein anderer Staat so einschneidende Steuergesetze geschaffen hat, wie gerade Deutschland. Auch die anderen Forderungen sind uns nicht nen; nur ist es etwas sehr schwer, sie in die Praxis umzusetzen, für ein Land wie Deutschland, dessen Volkswirtschaft außerordentlich mitgenommen ist. Hier liegt der Kernpunkt des Uebels. Die deulsche Volkswirtschaft ist so furchbar getroffen durch Krieg, Niederlage, Waffen⸗ stillstand, Revolution und Friedensvertrag, daß eine Durchführung der obengenannten Grundsätze, besonders der Aufgabe der Anleihe⸗ politik und anderer, nicht einfach glatt vonstatten gehen kann.

Es fehlt eben bei der ganzen Brüsseler Finanzkonferenz ein Punkt vor allem, und das ist der Friedensvertrag. Mit ihm ist dort nicht gerechnet worden. Würde man ihn allerdings in die Debatte gestellt haben, dann würden zweifellos die ernsten Männer der Wissen⸗ schaft und der Finanzpraxris den Nachweis geführt haben, daß eine Gesundung der deutschen Finanzen erst dann möglich ist, wenn eine klare Festlegung der deutschen Verpflichtungen auf Grund der deutschen Leistungsfähigkeit erfolgt ist. (Sehr richtig! bei den D. P.)

So dankenswert die gewiß nicht leichte Arbeit der Konferenz von Brüssel war, so ist sie doch nur ein Auftakt für die Lösung der großen europäischen Finanzprobleme, die in den nächsten Jahren Europa und die ganze Welt beschäftigen werden. Sie wird in gewissem Sinne noch vorbereitende Wirkungen haben für die Konferenz von Genf oder an einem anderen Orte, an deren Zusammentritt besonders der deutsche Finanzminister und die Finanz⸗ minister aller Länder interessiert sind. Obwohl wir einen Teil der von der Brüsseler Konferenz vorgeschlagenen Maßnahmen mit aller Energie bereits verfolgen, ist das Finanzbild Deutschlands doch außer⸗ ordentlich schwierig. Dies geht aus einer Betrachtung des Etats für 1920 ganz deutlich hervor.

Nun, meine Damen und Herren, darf ich Sie einen Augenblick mit einigen Zahlen belästigen. Sie liegen nicht nur Ihnen, sondern auch mir außerordentlich schwer im Magen. Ich muß Sie aber herzlichst und dringend bitten, dieses Heer der Zahlen nicht an sich vorüberrauschen zu lassen, ohne ihnen wenigstens etwas Aufmerksamkeit zu widmen.

Der Haushalt für 1920 ist endlich in Ihren Händen. Es ist ein umfangreiches Werk, das da geschaffen worden ist, es ist eine Zusammen⸗ fassung und Ergänzung der bereits von Ihnen verabschiedeten Notetats. Es ist mir eine ernste Sorge, ob es gelingt, diesen Haushalt in möglichst kurzer Zeit zum Abschluß zu bringen, und ich möchte ihm bereits im Haushaltsausschuß alle mögliche Beschleunigung wünschen. Er ist ja im Haushaltsausschuß ein großer Nachzügler. Lange hat man gerufen, bis er endlich in dieser Zusammenstellung vorhanden war. Aber ich brauche die beschleunigte Arbeit, wenn nicht unsere ganzen Maßnahmen für pie Sparsamkeit erledigt werden sollen, insofern, als ich dem n Haushalt, der beschleunigt aufgestellt werden soll, nicht fertig ellen kann, ehe nicht der alte aus Ihrer Beschlußfassung herausgekommen ist. Ich bitte Sie also berzlich. und dringend um Ihre weitestgehende Unterstützung. (Abg. Hoch: So⸗ weit es sachlich möglich ist!) Soweit es sachlich möglich ist! Herr Kollege Hoch, ⸗Sie sprechen mir aus der Seele, prüfen Sie diesen Haushalt nach allen Ecken und Kanten, soweit sachlich nicht bereits die Entscheidung im Sommer und unter der früheren Regierung gefallen ist.

Sie werden mich aber fragen, ob in diesem Haushalt, wie er jetzt in umfangreichen Bänden vor Ihnen liegt, die Forderungen für das laufende Haushaltsjahr zum Abschluß gekommen sind. Das ist leider nicht der Fall. Es fehlen insbesondere in diesem Haushalt die Aus⸗ wirkungen des Besoldungsgesetzes, wie es jetzt dem Besoldungs⸗ ausschuß vorliegt; und ich darf bei dieser Gelegenheit bitten, daß alle Parteien dieses hohen Hauses an die Mitglieder des Besoldungs⸗ ausschusses die dringende Bitte richten, möglichst rasch diese Be⸗ ratungen zu fördern, damit wir unsere Beamtenschaft aus dem Zu⸗ stande einer sehr bedauerlichen nervösen Unruhe herausbringen. (Sehr richtig; im Zentrum.) Es ist möglich, diese Beratungen rasch zum Abschluß zu bringen, wenn die Parteien sich ins Benehmen

setzen und ein Einverständnis über die noch ausstehenden Forderungen

herbeiführen. Meine Sorgen wegen dieses Besoldungsgesetzes sind außerordentlich groß. Nicht nur das Reich wird finanziell davon betroffen, auch die Länder und Gemeinden werden auf das empfindlichste berührt. Wenn ich so einige Herren in diesem hohen Hause bei diesem Teil meiner Ausführungen zusammenstehen und plaudern sehe, dann entspricht das nicht der Wichtigkeit der Frage, wie durch die Besoldungsgesetze in Reich und Ländern auch. die Gemeinden berührt sind. (Sehr gut! im Zentrum.) Lesen Sie

die Finanzausweise der Gemeinden, und Sie werden mir zustimmen,

wenn ich sage: Es ist eine Lebensfrage, daß wir möglichst rasch eine einheitliche ausreichende Besoldungsreform in Stadt und Land durchführen können. (Sehr richtig! im Zentrum.) Ich weiß, daß die Besorgnisse, die wir darüber in der Regierung haben, so weitgehende sind, daß die Reichsregierung sich entschlossen hat, dem Reichstage

in Sperrgesetz, einen Gesetzentwurf zur Sicherung emner einheiklichen Regelung der Beamtenbesoldung in Reich, Landen und Gemeinden vorzulegen. Dieses auch politisch hochbedeutsame Gesetz liegt bereits zur Beratung im Reichsrat vor⸗ Ichh vermag dann, meine Damen und Herren, wenn ich das über⸗ blicke, was wir in Nachträgen noch bringen, heute noch nicht abzu⸗

sehen, welche Aufwendungen dem Reich zu Lasten fallen werden für die Ernährung unserer Bevölkerung.

Ich darf mich, da das ein Kapitel von weitestgehender Bedeutung ist, auf wenige grundsätzliche Bemerkungen beschränken. Grundsätzlich muß die Reichsfinanzver⸗ waltung auf dem Standpunkte stehen, daß mit dem Verfahren, Reichsmittel für die Verbilligung der Lebensmittel bereit zu stellen, möglichst bald gebrochen werden muß. (Sehr richtig! im Zentrum.) Der Standpunkt ist auf einigen wirtschaftlichen Gebieten, so auf dem Gebiete dor Fleisch⸗ und Fettversorgung, bereits durchgeführt worden. Bei der Getreideversorgung läßt sich in Berücksichtigung der Gesamt⸗ lage dieser Grundsatz heute noch nicht verwirklichen. Es wird aber Aufgabe der Reichsregierung sein, für das nächste Wirtschafts⸗

jahr eine Wirtschaftsform zu finden, die das Reich von weiteren Zu⸗

schüssen möglichst entbindet und entlastet. Meine Damen und Herren! Was ich damit mit einem einfachen

prochen habe, wird Gegenstand Ihrer Sorge für mehr

wie ein Jahr darstellen. Die Ziffern, die genannt worden sind in

den Zeitungen leider, möchte ich hinzufügen —, nach denen das

deutsche Volk für die Bedarfsdeckung an Brotgetreide mehr als 2 Millionen Tonnen Einfuhr braucht, bedeuten eine Frage von

größter finanzieller Tragweite. Ich darf noch hinzusetzen, daß dam bereits an meiner Dienststelle heute sehr weitgehende Forderungen der

Beamten im Reich und in den Ländern, in den Gemeinden ange⸗ meldet worden sind. Und, meine Damen und Herren, Sie kommen um die Frage nicht mehr herum, ob von der Geldseite überhaupt noch eine Besserung der wirtschaftlichen Lage des ganzen Volkes, ins⸗

besondere der Festbesoldeten möglich ist. (Sehr richtig! im Zentrum.)

it meiner Auffassung nicht zurückhalten. Ich weiß, daß der Finanzminister da und dort, wenn er offen spricht, Anstoß erregt; manche leidenschaftliche Resolution, die in Versammlungen gefaßt worden ist,

fliegt mir auf den Schreibtisch. Ich lege sie zu den Akten, sofern sie

höflich, und wo anders hin, sofern sie unhöflich gehalten ist. Ich sage, meine Herren, es ist nicht möglich und jeder, der die Lage Europas und der Welt übersieht, wird mir zustimmen —, von der Geldseite, und zwar durch Neudruck von Noten, die ökonomische Lage des deutschen Volks zu bessern. (Sehr richtig! im Zentrum.) Welche Auffassung in den Kreisen der Beamtenschaft selbst herrscht, davon kommt ja in den Versammlungen genügend zum Ausdruck. Eine Stimme, die heute an mich gekommen ist, will ich aber nicht ver⸗ schweigen. Es heißt in einem beachtenswerten Artikel: „In so trost⸗ losen Verhältnissen, wie jetzt nach Einführung der neuen Besoldungs⸗ ordnung, hat die Beamtenschaft selbst in der schwersten Zeit des Krieges nicht gelebt, weil nie zuvor die Gehälter in einem so schreienden Mißderhältnis zu den wirklichen Kosten der Lebenshaltung gestanden haben.“ Meine Damen und Herren, ich muß Sie aber dringend bitten, von einem Irrtum sich, wie die den einzelnen Parteien nahestehenden Beamten, fernzuhalten. Die Besoldungsordnung ist nicht der Platz, wo diese Frage entschieden wird. Die Besoldungsordnung setzt die dauernde Besoldung, die gesetzliche Besoldung der Beamten fest. Der Ausgkeich gegenüber der herrschenden Notlage findet sich auf dem Wege des Etats. (Sehr richtig! bei den Soz.) Und darum, meine Herren, müssen die zwei Fragen sorgfältig auseinander gehalten werden. Es geht nicht an, vom Standpunkt der allgemeinen Notlage gegen das Besoldungsgesetz anzurennen. Es werden die Parteien und insbesondere die Herren des Hauses, die sich mit diesen Problemen ernsthaft beschäftigen, nicht darum herumkommen, nach außen die nötige Aufklärung zu schaffen.

Meine Damen und Herren! Zwei Grundprobleme sind von vitalster Bedeutung. Wir müssen für unser Volk das nötige Brot schaffen, und außerdem müssen wir ich möchte das hier einmal besonders betonen dafür Sorge tragen, daß das geistige Leben Deutschlands, daß seine Wissenschaft, daß seine Forschung nicht ganz zum Stillstand kommt. (Sehr richtig!) Der letzte Pfennig muß herangeholt werden, um jetzt wieder die deutsche Forscherarbeit in Gang zu setzen. (Bravo!) Ein Kulturzusammenbruch wäre das Schrecklichste, was dem deutschen Volke begegnen könnte. Gewiß, dar⸗ über will ich keinen Zweifel lassen, viele Fragen der Bildung, der Erziehung unseres Volkes, viele Fragen des Schulwesens, viele her⸗ vorragende und ideale Pläne werden aus finanzieller Not des Reichs,

der Länder und Gemeinden in Nichts zerrinnen. Man wird sich in Deutsch⸗

land nur allmaͤhlich daran gewöhnen, daß die Auswirkung des verlorenen

Kvrrieges auf die Bildung unseres Volkes den chwersten, niederschmetterndsten Einfluß ausüben wird. Aber unter allen Umständen müssen wir und dafür werde ich jederzeit die Hand bieten die Herren können mich darauf festlegen, und in dem vorliegenden Etat ist dem ja auch schon teilweise entsprochen dazu übergehen, die Forschungsinstitute, die Akademien, die Universitäten, sofern die Länder es nicht leisten

können, mit Mitteln des Reiches zu unterstützen. (Lebhafte Zu⸗ stimmung.) In dieser Hinsicht bin ich bereit, gemeinsam mit den Ländern die nötigen Beträge bereitzustellen. (Bravo!) Ich empfehle Ihnen, den Etat daraufhiu anzusehen und zur gegebenen Stunde mit der Regierung darüber zu beraten.

Meine Damen und Herren, ich darf dieses ernste Kapitel mit einer Notiz der Mantelnote schließen, die die alliierten und assoztierten Mächte an den Präsidenten der deutschen Delegation am 16. Juli 1919 gerichtet haben. Es heißt dort unter Ziffer 4:

. „Die deutsche Delegation hat offenbar die wirtschaftlichen und 8 finanziellen Bestimmungen in erheblichen Punkten falsch verstanden. Die alliierten und assoziierten Mächte haben keinerlei Absicht, Deutschland zu erdrosseln oder daran zu hindern, den ihm zu⸗ kommenden Platz im Welthandel einzunehmen 8 Hier wird alsv die Absicht bekannt, uns nicht zu erdrosseln. heißt dann weiter: b „Sie (die alliierten und assoziierten Mächte) wänschen, daß Deutschland diesen Wohlstand genießen soll ebenso wie die anderen Völker, obgleich viele der daraus gewonnenen Früchte notwendiger⸗ weise auf viele Jahre hinaus verwandt werden müssen zur Wieder⸗ gutmachung der an den Nachbarn begangenen Schäden.“

Meine Damen und Herren, es ist die größte Tragödie der wirtschaftlichen Geschichte der Erde, daß die deutsche Arbeiterwelt, die in großen Teilen der Fahne des Sozialismus gefolgt war und ihr heute noch folgt, in dem Augenblick, wo sie auf den politischen Gang der Dinge großen Einfluß gewonnen hat, sehen muß, wie die Mehr⸗ werte, die sie einstens mit Eroberung der politischen Macht aus der

Kapitalistenwelt herauszunehmen und

er Gesellschaft, der Gemein⸗ schaft zuzuführen hoffte, im Augenblick des politischen Fort⸗

schritts nach Auffassung dieser Kreise in einem gewaltigen

Umfang an die Alliierten abfließen. (Sehr richtig! rechts.)

Das ist die Tragödie. Sind sich die Arbeiter und alle, die

es mit unserem Vaterlande gut meinen, darüber klar, daß die an die

Alliierten abfließenden Mehrwerte tatsächlich genügen unsere Werte

der Produktion nicht, um unser Leben zu fristen durch die Noten⸗

presse, durch Erhöhung der Löhne und Gehälter nicht ausgeglichen werden können? (Lebhafte Zustimmung.)

Meine Damen und Herren, Sie werden, wie immer, so auch diesmal an mich die Frage richten: wie hoch ist die Schuld Deutsch⸗ lands heute, am 27. Oktober 1920? Ich darf Ihnen die Zahlen kurz nennen. „Die fundierte Schuld beträgt 91 Milliarden, die schwebende Schuld 157,3 Milliarden, darunter diskontierte Schatz⸗ anweisungen im Betrage von 138,6 Milliarden, Zahlungsver⸗ pflichtungen aus Schatzanweisungen im Betrage von 11,3 Milliarden, Sicherheitsleistungen mit Schatzanweisungen im Betrage von 7,1 Milliarden. Dazu kommen die Aufwendungen des Reichs gemäß § 59 des Landessteuergesetzes vom 30. März 1920 mit 14,5 Milliarden. Das sind zusammen 262,94 Milliarden. Hinzurechnen muß ich aber als eine Last des Reichs, die zu verzinsen ist, den Restbetrag der Eisenbahnschuld. Sie wissen aus meinen letztmaligen Ausführungen, daß 14,6 Milliarden von der Eisenbahnschuld bereits in die schwebende Schuld des Reichs übergegangen sind. Diese sind in den 157,3 Milliarden, die ich vorhin nannte, enthalten, so daß wir die restlichen 25 Milliarden der Eisen⸗ bahnschuld zu den 262,9 Milliarden hinzurechnen müssen. Alles in allem, abgerundet, ist die Schuld des Reichs heute auf 288 Milliarden zu beziffern. (Hört, hört! bei den Deutschnationalen.) Seien sie sich darüber klar, daß damit die Schuld mit dem heutigen Tage, an dem ich die Finanzrede halte, nicht eine obere Grenze gefunden hat. Wenn sie den Haushalt mit seinen gewaltigen Fehlbeträgen betrachten, die man nicht immer nennen darf ich habe es erlebt, daß in großen Beamtenversammlungen von seiten der Anwesenden jederzeit ein großer Unwille geäußert wird, wenn man die Fehlbeträge nennt; man muß es aber tun (sehr richtig! im Zentrum), teilweise sind sie natürlich heute schon in die schwebende Schuld übergegangen —, so werden Sie sich darüber klar sein müssen, daß mindestens 30 Mil⸗ liarden bis zu Ende dieses Rechnungsjahres noch hinzu⸗ kommen werden, und daß die Milliarden noch nicht genannt sind, die wir für die Getreideversorgung, für erhöhte Lebensmittelbezüge und andere Aufwendungen brauchen. Es wird Ihnen dann wohl deutlich genug sein, daß die Summe von 288 Milliarden bis zum Ende des Rechnungsjahres, bis zum 1. April 1921, um 40 Milliarden, vielleicht noch um viel mehr erhöht werden wird. (Hört, hört!)

Als ich vor einigen Monaten von dieser Stelle die Finanzlage des Reichs schilderte, ergab sich bereits ein ernstes Bild. Ich machte schon damals varauf aufmerksam, daß über den außerordentlichen Etat überhaupt noch keine hinreichende Uebersicht zu gewinnen sei und daß auch die Ziffern des ordentlichen Etats in der Hauptsache nur vor⸗ läufigen Charakter hätten. Das war aus dem Grunde der Fall, weig die damalige Aufstellung auf den Etaterhebungen bezw. Anmeldungen der Ressorts basierte, die bereits im Herbst und Winter angefordert worden, und die im Laufe des Frühjahrs eingegangen waren. Inzwischen aber hatten sich die Verhältnisse vollkommen geändert. Entsprechend der Entwertung des Geldes war auch der Bedarf des Reichs gestiegen. Der Haushalt gibt Ihnen nun im einzelnen ein Bild unserer überaus schweren Finanzlage. Ich weiß, daß es nicht angenehm ist, einen Gang durch die Ziffern anzutreten. Ein Blick auf dieses Hohe Haus zeigt Ihnen schon die Flucht vor Zahlen ganz deutlich —. (Heiterkeit.)

Der Haushaltsplan, den die Reichsregierung nach langen Arbeiten vorzulegen hat, gliedert sich seinem Inhalte nach in drei scharf aus⸗ einanderzuhaltende Teile. Unser Haushalt enthält erstens einen allgemeinen Reichshaushalt im engeren Sinne, dann einen Haushalt des Friedensvertrags und schließlich einen Haushalt der Betriebs⸗ verwaltungen.

Und nun, meine Damen und Herren, eine Bitte: Nehmen Sie den Haushalt des Friedensvertrags! Das ist das beste Agitations⸗ mittel, über das das deutsche Volk zurzeit verfügt. Wir sollten ihn zu Millionen über den ganzen Erdball verbreiten. (Sehr wahr!)

Durch diese Einteilung, die auch den Wünschen des Hauses ent⸗ spricht, soll größere Klarheit und Uebersichtlichkeit über den Etat mit seinen ungeheuren Ziffern ermöglicht werden. Eine solche Trennung war unbedingt nötig, damit auch der Reichstag wie auch das ganze Volk sehen kann, wie tatsächlich die Finanzlage des Reiches beschaffen ist, und auf welche Gründe die ungemein ernste Situation in der Hauptsache zurückgeführt werden muß.

Was den Haushalt im engeren Siune anlangt, so gliedert er sich nach der hisherigen Praxis in einen ordentlichen und einen außer⸗ ordentlichen Etat. Der ordentliche Haus halt fordert an Ausgaben 39,9 Milliarden Mark, darunter 4 ½ Milliarden sogenannte einmalige Ausgaben. Es liegt aber und darauf mache ich Sie besonders aufmerksam ein Bruttoetat vor, in welchem Ueberweisungen an die Länder mit 9,4 Milliarden Mark enthalten sind. Es hat diese Be⸗ merkung hier gemacht werden müssen, um in der Oeffentlichkeit vor Irrtümern zu bewahren. Bekanntlich geht nämlich ein Teil der neuen Steuern infolge des Landessteuergesetzes aus Anlaß der Ueber⸗ nahme der Hauptsteuerquellen von den Ländern auf das Reich an die Länder und Gemeinden zurück. Die Summe ist hier im Etat mit 9,4 Milliarden eingestellt, sodaß nach Abzug dieser Ueberweisungen an die Länder der Bedarf des Reiches im ordentlichen Haushalt sich auf 30,5 Milliarden stellt.

Diese Summe ist außerordentlich hoch. Ihrem Nennwert nach Nennwert zu unterstreichen ist die Summe so hoch, wie vor einem halben Menschenalter das gesamte deutsche Volkseinkommen geschätzt worden ist. (Hört! hört!)

Die Summen werden aber verständlich, wenn man sich vergegen⸗ wärtigt, für welche Zwecke sie notwendig sind. Jetzt erst tritt mit voller Klarheit hervor, welche gewaltigen Veränderungen in der Staatswirtschaft der Krieg mit seinen finanziellen Folgen nach sich zieht. Der ganze Haushalt des Volkes ist in niegeahnter und ungeheurer Weise mit dem öffentlichen Haushalt des Reiches verknüpft worden. Einige Ziffern zeigen sofort die Wirkung des Krieges. So sind für den Zinsendienst der Reichs⸗ schuld und die entsprechende Zinsleistung an die Länder 12,7 Milliarden Mark eingestellt, für Pensionen 4 Milliarden Mark, für Ernährungs⸗ zuschüsse ich darf sagen: bis jetzt 3 Milliarden Mark. Das sind

19,7 Milliarden Mark, die Sie ohne weiteres zu Läasten des Krieges

buchen können. Diese drei Posten allein machen zwei Drittel des gesamten ordentlichen Reichsbedarfs aus. Zwei Drittel aus Kriegs⸗ lasten! Sie sind bis auf einen sehr geringen Teil von einigen hundert Millionen als reine Folgen des Krieges anzusehen.

Aber auch sonst sehen wir überall die direkten Folgen des ver⸗ lorenen Krieges im ordentlichen Etat. Ich will hier nur darauf hin⸗ weisen, daß bei dem Reichsarbeitsministerium eine Summe von 890 Millionen Mark eingestellt ist für Behörden und Einrichtungen, für die Versorgung ehemaliger Heeres⸗ und Marineangehöriger, also für das Lazarettwesen, das ärztliche Versorgungswesen und die sonstigen Verwaltungen, die mit Rücksicht auf die Versorgung der genannten Personen notwendig werden. Auch die sonstigen Auf⸗ wendungen dieses Ministeriums für laufende Ausgaben, für Sozial⸗ versicherungen und dergleichen sind im hohen Grade bedingt durch den verlorenen Krieg.

Beim Heeresetat sehen wir ein gleiches. Indem uns der Friedensvertrag das Volksheer nimmt und uns ein Söͤldnerheer aufzwingt, wirkt er der so notwendigen Sparkamkeit direkt entgegen. Ein Söldnerheer ist teurer als ein Volksheer. Ein paar interessante Ziffern mögen Ihnen das beleuchten. Vor dem Kriege kostete ein Soldat durchschnittlich 700 Mark im Jahre; jetzt sind die reinen Mannschaftskosten 12170 Mark. (Hört! hört! rechts.) Einschließlich der Verwaltungskosten stellen sich die Ziffern der Vorkriegszeit auf 1200 Mark, und gegenwärtig stellen sich die Kosten für einen Soldaten der Wehrmacht auf 24 600 Mark. (Hört! hört! rechts und bei den D. Dem.) Hier sehen wir gleich⸗ falls, in welch starkem Maße der verlorene Krieg, besonders aber der Friedensvertrag, die Erhöhung der eigenen Ausgaben im Reiche ver⸗ ursacht. (Zuruf von den D. Nat.: Die Revolution nicht vergessen!) In diesem Sinne handelt es sich nicht um die Revolution; das Thema können Sie ja nachher erörtern.

der Reichsbedarf durch

Reiches durch die Folgen des Krieges und vor allem des Friedens vertrages bedingt.

Die Geldentwertung, unter der wir heute alle leiden, treibt auch die Ausgaben des Reichs mit der unentrinnbaren Konsequenz eines Naturgesetzes in die Höhe. Der gewaltige Sturz, den unser Geld⸗ wert im Ausland, besonders im Winter, durchgemacht hat, pflanzte sich von der Peripherie aus fort bis in die letzten Zweige und Ver⸗ ästelungen unseres volkswirtschaftlichen Lebens und hat nun auch im Laufe dieses Sommers alle öffentlichen Körperschaften erfaßt; denn auch das Reich steht unter derselben Wirkung der Preisgesetze wie jeder Privathaushalt. Wenn die Ausgaben des Privathaushalts heute wohl das Zehnfache des Friedenshaushalts ausmachen, so ist es kein Wunder, daß auch die Ausgaben des Reichs in entsprechendem Maße steigen müssen. Unsere Finanzlage ist aber nicht bloß durch rein finanzpolitische Tatsachen bedingt, sondern in noch stärkerem Maße verursacht durch die allgemeine wirtschaftliche Schwäche Deutsch⸗ lands, auf welche letzten Endes der Zusammenbruch unseres Geld⸗ wesens zurückzuführen ist.

Und nun, meine Damen und Herren, noch wenige Worte zum außerotdentlichen Haushalt. Was die außerordent lichen Ausgaben des engeren Haushalts anbelangt, so zeigt sich ein Bedarf von 11,2 Milliarden Mark. Die Hauptziffern dieses Bedarfs sind: Heeresabwicklung rund 4 Milliarden. Ich darf die Gelegenheit benutzen, um Sie darauf aufmerksam zu machen, daß in wenigen Tagen, vielleicht schon morgen oder übermorgen, der erste Teil einer Denkschrift über dieses Abwicklungsgeschäft Ihnen zugehen wird. Wir können hier im Plenum diese Dinge nicht in allen Einzelheiten behandeln. Aber den bekannten, berühmten fleißigen Mitgliedern dieses hohen Hauses empfehle ich die Denkschriften, die Ihnen demnächst allen zu Gesicht kommen werden. Ich habe nur das eine Bestreben, die Mitglieder dieses hohen Hauses in alle Einzelheiten unserer Arbeit hineinsehen zu lassen. Wir scheuen keine Kontrolle; im Gegenteil, ich wünsche nur, daß der Arbeit des Finanz⸗ ministers von seiten des hohen Hauses durch Darlegungen aller Einzelheiten der nötige Nachdruck verliehen wird.

Ich habe im außerordentlichen Haushalt 4 Milliarden für die Heeresabwicklung angegeben. Ich nenne weiter: für außerordentliche soziale Zwecke, Wohnungsbau, Bergabeiterernährung, Erwerbslosen⸗ fürsorge 2,3 Milliarden, außerordentliche Heereskosten 1,7 Milliarden, Reichsschuld 1,1 Milliarden, Wiederaufbau 0,9 Milliarden. Die letztere Summe wird größtenteils durch Ueberteuerungszuschüsse für den Aufbau unserer Handels⸗ und Flußfahrzeuge notwendig.

Sodann ist noch hervorzuheben ein Aufwand von 445 Millionen außerordentlicher Ausgaben beim Reichsschatzministerium, der für eine Reihe von Bauten, Entfestigungsarbeiten und für die Durchführung der Sozialisierung der Elektrizitätswirtschaft notwendig wird.

Diese außerordentlichen Ausgaben belasten den diesmaligen

Etat noch ganz erheblich. Einen gewissen Trost allerdings kann man daraus schöpfen, daß die Aufwendungen für die genannten Zwecke beim nächsten Etat sich sehr stark vermindern werden. Es werden vor allem die Heereskosten und die Abwicklungskosten hoffentlich ganz wegfallen. Wenn es uns gelingt, unser Wirtschafts⸗ leben durch eine großzügige Produktionspolitik wieder zu beleben, so werden auch die Ausgaben und Zuschüsse zu dem Wohnungsbau, für die Erwerbslosenfürsorge in entsprechendem Maße zurückgehen. In⸗ sofern tragen die angeführten Ziffern im vollsten Sinne des Worts den Charakter außerordentlicher Ausgaben. Sie stellen sich fast ganz als Nachwirkungen des Krieges dar und werden, wie ich eben betonte, hoffentlich in möglichst großem Umfange verschwinden. Nun komme ich, meine Damen und Herren, zum Kapitel der Einnahmen, zum Kapitel der Steuerfragen. Wie man ja sieht, sind die Probleme, wie sie aus ganz Deutschland auf dem Bankiertag iu Tage getreten sind, in sehr lebhafter Diskussion. Ich begrüße diese Diskussion; es war das auch die Absicht der hier an dieser Stelle ge⸗ haltenen Reden, durch die Wucht der Zahlen, durch die Notwendigkeit der Steuern unser ganzes Volk vor diese Probleme zu stellen.

Was die Einnahmen des ordentlichen Etats anbelangt, so ist kurz folgendes gesagt: es sollen aufkommen an fortdauernden Steuern und Abgaben 32 ½ Milliarden Mark, an einmaligen Steuern 4,5 Milliarden, an sonstigen Abgaben einschließlich der Einnahmen aus dem Bank⸗ wesen 2,2 Milliarden, aus der allgemeinen Verwaltung 0,7 Milliarden. Das gibt eine Gesamtsumme von Einnahmen im ordentlichen Etat von 39,9 Milliarden, so daß sich eine Balanzierung der Einnahmen

und Ausgaben im ordentlichen Etat auf dem Papier ergibt.

Es ließe sich noch eine Reihe von sonstigen Posten nach dieser Richtung hin anführen; aber schon die wenigen Beispiele zeigen, wie die Kriegswirkungen emporgeschraubt ist. Aber nicht bloß direkt, auch indirekt sind die riesigen Ausgaben des

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