lassen und daneben der Industrie die Mittel zuzuführen, damit sie noch immer weiter unverkäufliche Sachen produzieren kann. Ich glaube, daß daraus doch vielleicht ähnliche Folgen entstehen können, wie sie uns vorhin Herr Dr. Kalle geschildert hat, für den Fall, daß man die Industrie künstlich zwingen will, weiter zu arbeiten, um keine Arbeiter zu entlassen, um der Erwerbslosigkeit entgegenzutreten. Die Folge wird sein, daß die Waren auch weiterhin nicht abgenommen werden, daß die Läger immer weiter anschwellen, daß volkswirtschaftlich wert⸗ volle Stoffe nutzlos verbraucht werden und letzten Endes doch vielleicht die Katastrophe eintritt. Man würde so die Dinge vielleicht ver⸗ schlimmern, anstatt sie zu bessern.
Die Dinge liegen mi einmal so, daß vielfach in unserem wirt⸗ schaftlichen Leben die einzelnen in unserem Volke sich noch gar nicht klar darüber geworden sind, daß die Not der Gesamtheit auch die Not der einzelnen ist, und daß wir nicht nur jetzt, sondern auf die Dauer einer ganzen Menge von Bedürfnissen und Ansprüchen werden entsagen müssen, von denen wir uns noch immer nicht trennen können. (Sehr richtig! rechts.) Je eher dieser Prozeß eintritt, je eher solche Luxuswaren, die noch produziert werden, die schließlich doch keinen Käufer mehr finden können, verschwinden, desto besser für uns. In unserem Volke hat man vielfach dafür noch kein Verständnis. Eigent⸗ lich müßten die Aelteren, die verständig sein sollten, rühmlich voran⸗ gehen. Das ist leider nicht der Fall; man kann offenbar die Erinne⸗ rung an dasjenige nicht los werden, was man alles früher gehabt hat. Ich habe deshalb jetzt in meinem Ministerium Anweisung gegeben, daß Pläne aufgestellt werden, wie wir insbesondere in unseren Fort⸗ hildungs⸗, in unseren Fach⸗ und gewerblichen Schulen, in den Haus⸗ Haltungsschulen an unsere Jugend herankommen können, daß Methoden aufgestellt werden, die Jugend sowohl in moralischer Beziehung auf das hinzuweisen, was sie der neuen schweren Zeit schuldig ist, und nach dem auch in produktiver Beziehung die heranwachsende Jugend des Gewerbestandes unterrichtet wird, wie etwa diejenigen Artikel aus⸗ sehen müssen und können, deren wir uns in Zukunft noch werden bedienen können. (Sehr richtig!)
Wir müssen, das ist der allgemeine Ruf, zu einem Preisabbau kommen. Er kann aber nicht auf die Art gefördert werden, daß wir etwa in solche Industrien, die unverkäufliche Artikel produzieren, immer noch neue Mittel mit Hilfe öffentlichen Kredits hineinstecken.
Aber noch eine andere Frage! Die Sparkassen sollen hier in den Dienst des Industriekredits gestellt werden. Vielleicht ist es nicht ohne Gefahr, wenn gerade die Sparkassen, die doch liquide sein sollen, ihre Mittel für solche Zwecke hergeben. (Sehr richtig)) Sie müssen ihre Werte mündelsicher anlegen. Und wenn etwa durch taatlichen Druck die Sparkassen zu einer solchen Einrichtung kommen, ist es ganz selbstverständlich, daß das Reich mit seiner Garantie vor die Sparkassen treten muß. Ob sich aber der Herr Reichsfinanz⸗ minister dazu entschließen wird, eine solche Garantie zu übernehmen, steht doch auch noch sehr dahin. So kann man doch natürlich die Sache nicht einrichten, daß eine Sparkasse irgendwo an einem Orte, wo vielleicht eine Industrie darniederliegt, wo alles danach ruft, daß die Arbeiter beschäftigt werden, um die Industrie lohnend zu machen, das Geld nun ohne weiteres im Vertrauen auf die Garantie des Reiches hergibt. Es ist ganz selbstverständlich, daß der Herr Reichs⸗ finanzminister in allen diesen Fällen genötigt sein würde, in eine Prüfung einzutreten, ob er eine solche Garantie übernehmen kann oder nicht. Ich fürchte, daß aus dem so erforderlichen Apparat ein Institut erwachsen würde, das der praktischen Lösung der Dinge kaum entsprechen würde.
Herr Abgeordneter Esser hat dann Klagen vorgebracht, die sich auch in einer Interpellation des Herm Abgeordneten Loehr vorfinden, Klagen über eine Vorzugsbelieferung Süddeutsch⸗ lands mit Kohle vor Norddeutschland. Ich habe mich dieser⸗ halb mit dem Herrn Reichskohlenkommissar in Verbindung gesetzt; nach dem, was er mir darüber mitteilte, kann von einer solchen angeb⸗ lichen Bevorzugung keine Rede sein. Der Herr Reichskohlen⸗ kommissar hat mir auseinandergesetzt, daß allerdings infolge der Schwierigkeiten des Transports in manchen Monaten die Beliefe⸗ rungen Süddeutschlands, nicht nur Bayerns, erheblich zurückgeblieben sind; das habe dann zur Folge gehabt daß in anderen Monaten er diese süddeutschen Staaten entsprechend höher beliefern mußte. Vielleicht ist die von Herrn Abgeordneten Esser vertretene Auffassung dadurch entstanden, daß in einem bestimmten Monat eine solche Vorzugsbelieferung Süddeutschlands Platz gegriffen hat. Sie ist nichts anderes gewesen als ein Ausgleich für das Manko, das für die betreffenden Staaten in früheren Monaten eingetreten war.
Herr Abgeordneter Hammer hat mich gebeten, mich einer Ein⸗ gabe anzunehmen, die der Verein für Kolonialwarenhandel in Berlin hinsichtlich der Fettverteilung an mich gerichtet hat. Diese Angelegenheit ist Sache des Staatskommissars für Volksernährung; ich habe aber trotzdem Erkundigungen eingezogen und erfahren, daß die Sache dadurch gegenstandslos geworden ist, daß die Stadt Berlin ihre Absicht aufgegeben hat: angesichts des geringen Fettquantums, das zur
Verteilung kommen soll, wird Berlin vielleicht eine behördliche Organisation überhaupt nicht länger aufrechterhalten.
Wenn der Herr Abgeordneter Esser weiter gebeten hat, dafür zu sorgen, daß die Beamten der öffentlichen wirtschaft⸗ lichen Interessenvertretungen eine ausreichende Besoldung erhalten, so möchte ich darauf erwidern, daß ich in wiederholten Erlassen insbesondere die Handelskammern auf die Not⸗ wendigkeit hingewiesen habe, für eine ausreichende Besoldung ihrer Beamten zu sorgen; ich weiß auch, daß diese Beamten sich wiederholt bei ihren Körperschaften auf diese Ministerialerlasse berufen haben. Aber, meine Herren, wenn wir bedenken, daß wir vielfach kleine Handels⸗ kammern haben, in deren Bezirk ein Gewerbesteuersoll von vielleicht höchstens 100 000 ℳ vorhanden ist, und daß ich mich heute schon trotz aller Klagen über die hohen Gewerbesteuem genötigt gesehen habe, Zuschläge bis zu 40 % allein für Handelskammerzwecke zu gestatten, dann kommen wir doch erst auf eine Einnahme von 40 000 ℳ. Es ist natürlich nicht möglich, mit einem solchen Betrage den Betrieb einer Handelskammer in gehöriger Weise aufrecht zu erhalten, Beamte zu besolden und auch noch die nötigen Räume, Materialien, Drucksachen usw. zu beschaffen. Daher kommt es dann, daß man versucht, an den Gehältern zu sparen. Für mich und, so hoffe ich, auch für dieses hobe Haus und die Nachfolgerin dieses hohen Hauses ist das gewiß ein Anlaß mehr, sich freundlich den Plänen gegenüberzustellen, die wohl mein Herr Amtsvorgänger wie ich verfolgt haben, daß wir mlich zu einer Ausgestaltung unserer Handelskammern in der Rich⸗ tung kommen, daß wir möglichst überall größere leistungsfähige Körper⸗ schaften begründen (sehr gut! und Bravo!), die dann auch in der FZage sein werden, die Beamten guskömmlich zu besolden und mit
Hilfe tüchtiger Beamter die wirtschaftlichen Interessen ihrer Bezirke wirkungsvoll zu fördern. (Allgemeiner Beifall.)
Der Herr Abgeordnete Haberland und nach ihm zum Teil auch der Herr Abgeordnete Christange haben dann die große Frage unserer Wirtschaftsführung, namentlich die Frage der Ernährung be⸗ handelt. An sich sind ja an den Ernährungsfragen in erster Reihe der Herr Kommissar für die Volksernährung und der Herr Minister für Landwirtschaft beteiligt; aber zu einem gewissen Teile ist auch mein Ministerium an diesen Arbeiten interessiert. Nun habe ich mich immer bemüht, gerade diese Frage möglichst losgelöst von allen Schlag⸗ worten nach rein sachlichen Gesichtspunkten zu beurteilen und zu be⸗ handeln. (Bravo!) Da ergibt sich nun für uns einmal die Tatsache, daß wir nicht in einer normalen Wirtschaft stehen, daß uns nicht, wie vor dem Kriege, zum Ausgleich des Fehlbetrages in unserem Nahrungsmittelbedarf das Ausland zur Verfügung steht; im Auslande selber ist Knappheit und Teuerung vorhanden, und mit Recht hat auch der Herr Abgeordnete Kalle vorhin anschaulich auseinandergesetzt, daß wir jpfolge des Stockens der Ausfuhr nicht die Möglichkeit haben, die vom Auslande zu beziehenden Nahrungsmittel mit Exportartikeln zu bezahlen. Wenn wir also vom Auslande alle Nahrungsmittel hereinholen wollten, die uns fehlen, so würden wir bares Geld her⸗ geben müssen; das hätte zur Folge, daß unsere Valuta sich immer mehr verschlechtert und das Elend unserer Mark immer noch größer wird. Deswegen ist es heute mehr als je Pflicht der Konsumtion, die Interessen der Produktion im Inlande zu berücksichtigen. (Sehr richtig)) Die Konsumtion kann ihre Ansprüche nur dann befriedigen, wenn wir dafür sorgen, daß unsere Produktion hinreichende Mengen Waren erzeugt; nur dann kann auch der Handel seine Aufgabe er⸗ füllen, die Waren an die Verbraucher zu verteilen.
Wenn man diesen Standpunkt für richtig erklärt, darf man nicht einseitig von der ungeheuren Bereicherung sprechen, die der Landwirt bei den jetzt bestehenden Preisen erzielt. Gerade in den allerletzten Tagen ist die Denkschrift des Ministers für Landwirtschaft, des Herrn Ministers Braun, über unsere Kunstdüngerwirtschaft veröffentlicht worden. In ihr wird auseinandergesetzt, wie unser Produktions⸗ ertrag in der Landwirtschaft zum großen Teil deshalb zurückgegangen ist, weil der Boden nicht mehr die nötigen Kräfte in sich birgt, weil er immer mehr verarmt, und wird auf der andern Seite geschildert, wie Mittel und Wege zu finden sind, dem Boden wieder den nötigen Kunstdünger zuzuführen. Der Ausgangspunkt des Herrn Landwirt⸗ schaftsministers ist hierbei der, daß er sagt: unsere Landwirtschaft ver⸗ fügt nicht über die Betriebskapitalien, um aus eigener Kraft diese Düngemittel bei den heutigen Preisen zu beschaffen. (Widerspruch und Zurufe links.) Meine Herren, ich glaube, daß mein Herr Kollege von der Landwirtschaft doch wohl am besten aus eigener Kenntnis der Dinge diese Frage beurteilen kann. Ich gebe ohne weiteres zu, daß es eine ganze Reihe von Landwirten gibt, denen es recht gut geht, die ihre Hypotheken abgezahlt haben, die große Kapitalien, wenn leider vielfach auch nicht auf der Sparkasse, so zu Hause im Strumpf auf⸗ bewahren. Aber, meine Herren, verallgemeinern in dem Sinne, wie es vielfach geschieht, darf man die Sache nicht, sonst kommt man zu falschen Ergebnissen und Schlüssen über das, was notwendig ist.
Die Produktion, sage ich, muß gefördert werden. Man kann sie selbstverständlich nicht dadurch zu fördern suchen, daß man fortgesetzt die Preise für die Produkte steigert. Es ist dann schließlich kein Mensch mehr da, der die Produkte bezahlen kann. Daher sagt der Herr Land⸗ wirtschaftsminister ganz folgerichtig: wir müssen dafür sorgen, daß der Boden wieder mehr hervorbringt, daß der Ausbreitung der extensiven Wirtschaft entgegengetreten wird, daß wir weiter zur intensiven Wirt⸗ schaft gelangen.
In bin für mein Teil niemals der Ansicht gewesen, daß man die Zwangswirtschaft plötzlich beseitigen könnte. Ich habe, wo ich Gelegenheit hatte, amtlich in diesen Dingen mitzuwirken, immer den Standpunkt vertreten, daß hier allmählich und schrittweise vor⸗ gegangen werden muß, und ich lasse es dahingestellt, ob man bei den Maßregeln, wie sie jetzt ergriffen sind, überall das richtige Tempo innegehalten hat. Aber die Frage darf ich mir doch wohl gestatten: War denn der Konsument bei der früheren Wirtschaft, wie wir sie im vorigen Winter noch geführt haben, zufrieden, oder haben wir nicht auch da über die damals geführte Zwangswirtschaft sehr leb⸗ hafte Klagen gehört? Die rationierte Versorgung war vielfach die Ausnahme und der Schleichhandel war die Regel geworden, und die Aufhebung der Zwangsbewirtschaftung auf einer Reihe von Gebieten ist nichts anderes gewesen, als daß man den Strich unter die Rechnung gemacht hat. Wenn man vielleicht einwendet: ja, die Behörden haben dann ihre Schuldigkeit nicht getan, sie haben nicht genügend zugegriffen, wir würden das anders und besser machen, — nun, meine Herren, mir haben Männer, die reiche Erfahrungen auf diesem Ge⸗ biete haben, die nach ihrer amtlichen Tätigkeit das höchste Interesse daran haben, daß die Zwangswirtschaft funktioniert, daß das ab⸗ geliefert wird, was sie verteilen sollen, gesagt: ja, glauben Sie denn, daß die neuzeitlichen Landräte etwa mehr abgeliefert haben als der frühere bürokratische Assessor, der vielleicht doch noch glaubte, daß er an seiner vorgesetzten Behörde eine gewisse Rückendeckung finden würde? Nein, ganz im Gegenteil, die Dinge haben sich vielfach so gestellt, daß man aus Furcht, es mit seinem Kreise zu verderben, auch unter⸗ den neuen Landräten zu einer, keineswegs besser zu nennenden Ablieferung gelangt ist (hört, hört! rechts); und so ist es denn dahin gekommen, daß die Zwangswirtschaft vollständig in sich zusammengebrochen ist.
Nun sagte ich: der Konsument selber war nicht zufrieden. Gerade jetzt ist das Jahrbuch des Zentralverbandes deut⸗ scher Konsumvereine erschienen, und in diesem findet sich ein eingehender Bericht über die Generalversammlung der Konsumvereine, die am 13. Juni d. J. in Harzburg stattgefunden hat. Einen breiten Raum in diesen Verhandlungen hat die Frage der Zwangswirtschaft eingenommen. Die Tagung war von etwa 1000 Vertretern aller Arbeiterkonsumvereine beschickt, und da wurde mit allen gegen 15 Stimmen eine Entschließung angenommen, die am Schluß lautete:
Der Genossenschaftstag stellt ferner fest, daß die zwangsläufige Bewirtschaftung der wichtigen Nahrungsmittel nicht mehr geeignet ist, die Not des Volkes zu lindern und daher systematisch abgebaut werden muß. 11A4“
ͤc 1144141“ Die Einbeziehung der Kommunalverbände in die Ernährungswirt⸗ schaft führt nur zu gegenseitigen Preistreibereien, erhöht die Ver⸗ teilungskosten und legt die notwendigen Funktionen in die Hände durchaus ungeeigneter Organisationen und Personen. Die Bewirt⸗ schaftung von Milch, Fleisch und Fettwaren ist baldigst aufzuheben. Bei der Aufhebung der Bewirtschaftung ist Vorsorge zu treffen,
daß die Belieferung von Kranken und Kindern gewährleistet wird. Für die Bewirtschaftung von Karioffeln empfiehlt sich ein Ueber⸗ gangsstadium in der Weise, daß ein zur Gewährung eines Existenz⸗ minimums an die minderbemittelte industrielle Beoolterung be⸗ nötigter Teil der Kartoffeln bewirtschaftet, der Rest frei gehandelt wird. Diese Methode dürfte bei ordnungsgemäßer Durchführung dahin führen, daß auch mit dem Abbau der Bewirtschaftung von Brotgetreide begonnen werden kann. 1 Also meine Herren, ein Beweis dafür, daß auch die Männer, die geradezu ihre Lebensaufgabe darin erblicken, die Arbeiter mit guten, billigen Nahrungsmitteln nach Möglichkeit zu versorgen, auch dieser Auffassung waren und angesichts der früheren Verhältnisse nach Auf⸗ hebung der Zwangswirtschaft und der Freiheit der Wirtschaft ge⸗ rufen haben. (Zuruf links: Fragen Sie sie heute mal!)
Einer der Redner, der diese Entschließung befürwortete, sagte:
Mit einer solchen Wirtschaft müssen wir Schluß machen, und ich möchte sagen, mit der Kartoffelwirtschaft kann überhaupt Schluß gemacht werden. Die zur menschlichen Ernährung benötigten Kar⸗ toffeln wachsen dreifach in Deutschland. Wenn die Ernte auch schlecht ist, sind dreimal so viel Kartoffeln vorhanden als wir brauchen. Ich möchte behaupten, daß viele Jahre hintereinander ein großer Teil der Kartoffeln verdorben ist, denn jeder einzelne hat Kartoffeln gehamstert. Teilweise konnten die Großstädte sie nicht lagern, sie mußten erfrieren usw. Ich meine, mit einer solchen Wirtschaftsweise können wir nichts mehr machen, und sie muß ver⸗ schwinden. Allerdings schlagen wir auch in unserer Entschließung vor, daß für einige Industriebezirke und Großstädte, wenn die Zwangswirtschaft verschwindet, Reserven angelegt werden müssen.
Meine Herren, genau danach ist gehandelt.
Wenn mir zugerufen worden ist: „Fragen Sie die Herren heute mal!“ so antworte ich, nein, die Herren haben in ihrer Tagung voraus⸗ gesehen, daß eine solche Aufhebung vorübergehend zu einer Teuerung führen würde, und haben ausdrücklich ausgeführt, diese Teuerung müsse hingenommen werden während eines Uebergangsstadiums. Wenn dann mehr produziert würde, kämen wir erst zu einer Gesundung der Ver⸗ hältnisse. (Sehr richtig!)
Meine Herren, Sie ersehen daraus, daß auch in den Augen von Männern, die die Sache nicht vom Standpunkt der „Gewinnsucht“ der Produzenten ansehen, die Dinge ein ganz anderes Gepräge haben, wie wir es vielfach draußen in der Agitation finden.
Die ganze Frage, ob diese Wirtschaft, wie wir sie hatten, aufrecht⸗ erhalten bleiben könne oder nicht, hat auch eine andere sehr ernste Seite. Wir klagen darüber, daß Treu und Glauben in unserm wirt⸗ schaftlichen Leben vielfach abhanden gekommen sind. (Sehr richtig!) Worauf beruht denn das? Seien wir doch keine Pharisäer! Den möchte ich sehen, der hier den ersten Stein aufhebt und ihn als erster auf den andern wirft! Wir waren alle Sünder. Im ganzen Publi⸗ kum hat sich der Glaube verbreitet daß es gewissermaßen eine be⸗ rechtigte Notwehr gegen den Hunger sei, wenn man auf diesem Gebiete die staatlichen Gesetze übertrete. Meine Herren, von hier aus ist die Sache weiter gegangen und der Schieber und Schleich⸗ händler, den man Unter den Linden nicht grüßen mag, — an der Hintertür haben ihm alle die Hand gedrückt. (Heiterkeit. — Sehr richtig!) Es ist aber so gekommen, daß von diesem Gebiet aus die Unmoral weitergefressen hat, daß sich auch auf vielen anderen Ge⸗ bieten das Schieber⸗ und Schleichhändlertum breit macht und an dem Ruin Unserer Wirtschaft arbeitet, und schließlich sind auch die Pflichten gegen den Staat immer mehr ins Hintertreffen ge⸗ kommen. Das sehen wir alle aus der sinkenden Steuermoral, über die sich die Herren Finanzminister zu beklagen haben. Nein, meie Herren, wenn Gesetze in dieser Weise nicht mehr von der Volks⸗ gesamtheit innegehalten werden, dann ist es höchste Zeit, daß sie aufgehoben werden.
Ich sagte, mit einem Male die gesamte Zwangsversorgung der Bevölkerung aufzuheben, würde ich für einen außerordentlich schweren Fehler halten, und nachdem uns die Getreidewirtschaft als Rückgrat unserer Volksernährung erhalten ist, muß mit allen Kräften dafür gesorgt werden, daß diese Wirtschaft auch wirklich durchgeführt wird. Hier erwachsen unseren Landwirten und den Organisationen der Landwirte kategorische Pflichten gegen die Allgemeinheit.
Herr Haberland hat recht, Herr Dr. Kalle hak es auch heuts unterstrichen, an einen Lohnabbau können wir bei den jetzigen Preis⸗ verhältnissen nicht denken. Aber es ist auch richtig: Die Lohnerhöhung.
die etwa heute Platz greift, ist nicht etwa in voller Höhe eine Steige⸗
rung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Der Abg. Christange hat ja darauf hingewiesen, wie nach einer Lohnerhöhung die Lebensmittel⸗ preise wenige Stunden darauf erhöht wurden, wie ein großer Teil des⸗ jenigen, was der Arbeiter mehr bekommt, sofort wieder weggeht, weil die Preise erhöht werden. Die Decke ist eben zu kurz. Es reißen an allen Ecken und Enden die Konsumenten an dieser Decke, und der⸗ jenige, der gerade der Stärkste ist, der das meiste Geld hat, zieht sie an sich, und wenn eine andere Kategorie eine Zulage bekommen hat und nun wieder wirtschaftlich stärker ist, reißt sie die Decke zu sich hinüber. So entsteht dann drüben wieder die Forderung nach höheren Löhnen, und wir befinden uns in einem ewigen Kreislauf und kommen niemals zur Ruhe in unserer Wirtschaft. Wir können nur zu gesunden Ver⸗ hältnissen kommen, wenn schließlich doch die Löhne abgebaut werden, aber erst nach vorangegangenem Abbau der Preise für die notwen⸗ digsten Produkte. Ich hoffe, wenn wir unsre Landwirtschaft in die Lage setzen, den Boden sachgemäß zu bearbeiten, daß dann eine solche Steigerung der Versorgung Platz greifen wird. Aber hier tritt eine Mahnung an alle heran, die im Produktionsprozeß beteiligt sind, Maß zu halten und sich in ihren Gewinnen zu bescheiden mit demjenigen, was man der Allgemeinheit gegenüber vertreten kann, und dafür zu sorgen, daß, wenn solche großen Konjunkturgewinne erzielt sind, wie wir su heute haben, sie in erster Linie verwendet werden, um die Preit zu senken und den allgemeinen Abbau herbeizuführen. Es darf nicht dahin kommen, daß die Gewinne, die aus unserm Valutaelend erzielt sind, aus dem doch wieder am letzten Ende alle diese Kämpfe um Lohn und Gehalt fließen und aus dem das Darniederliegen unsrer Volkswirtschaft im allgemeinen folgt, daß sie dazu dienen, um einigen Wenigen ungeheure Vorteile zuzuwenden. Wir leben im Zeitalter der Organisation, des Zusammenschlusses, und wo solche gewinn⸗ süchtigen Kreise sich zeigen, muß die Organisfation sie im Zaum halten und sie dazu führen, das zu tun, was wir alle unserm ge⸗ meinsamen Volkskörper schuldig sind.
Verschiedene Redner haben sich dann mit der Lage des Kleingewerbes und mit der Fürsorge für das Hand⸗ werk beschäftigt und das Ersuchen an mich gerichtet, das Hand⸗ werk zu fördarn. Ich habe wiederholt in diesem hohen Hause und in
den Ausschüssen dargelegt, wie ich zu diesen Fragen stehe und daß ich durchaus meine, daß unser Handwerk, unser gewerblicher Mittelstand eine wichtige Rolle in unserm Wirtschaftsprozeß erfüllt und auch weiterhin erfüllen wird, vielleicht heute mehr denn je. Ich bin durch⸗ aus bemüht, die entsprechende Politik weiter von meinem Ministerium aus zu treiben. Das Fortbildungs⸗ und Fachschulwesen wird ge⸗ fördert werden, soweit mir nur die Mittel zur Verfügung stehen. (Bravol) Wig haben uns beschäftigt mit der Beliefecung von Roh⸗ stoffen für Handwerk, und wir haben auf mancherlei Gebieten Erfolge gehabt. Ich habe die Preußische Landesauftragsstelle be⸗ gründet, auch unter dem Gesichtspunkt dafür zu sorgen, daß das Hand⸗ werk seinen Anteil an den öffentlichen Lieferungen erhält. Ich werde mich weiter bemühen, dem Genossenschaftswesen Förderung ange⸗ deihen zu lassen. (Bravo! rechts.)
Ich kann meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß es, zum Teil mit meiner Förderung, dahin gelangt ist, daß die beiden großen Verbände im kleingewerblichen Genossenschaftswesen, der Allgemeine Verband und der Hauptverband der Handwerkergenossenschaften, sich in diesem Jahre in Nauheim zu einer Vereinigung zusammengeschlossen haben. Nicht Mißgunst gegen diese oder jene Richtung hat mich geleitet, sondern der Glaube, daß in unserer heutigen schweren Zeit kein Raum für Sonderorganisationen ist. Die Zeit ist zu ernst, um diese oder jene Frage lediglich vom parteipolitischen Gesichtspunkte aus zu beurteilen. Ich meinte vielmehr, daß durch diesen Zusammen⸗ schluß der Gesamtheit des Handwerks Nutzen gebracht werden könnte. Ich hoffe, daß, nachdem dieser Zusammenschluß stattgefunden hat, an keiner Stelle ein Stachel zurückbleibt, daß im Gegenteil jeder seine
Befriedigung darin findet, wenn dieser Zusammenschluß dem deutschen
Handwerker zum Segen dient.
Wir sind aufeinander angewiesen. Mancherlei Kämpfe, die die Produktionsstände früher miteinander geführt haben, ruhen Gott sei Dank in der Not der Zeit und man arbeitet Hand in Hand mit⸗ einander. Auch innerhalb der einzelnen Stände vereinigt man sich. Während sonst auf dem Gebiete des Genossenschaftswesens bei diesem Etat manche hitzigen Kämpfe in diesem Hause ausgefochten wurden, ruhen heute die Waffen, und die früher feindlichen Brüder sind einmütig in der Arbeit für das gemeinsame Ganze. Dieses Zu⸗ sammenstehen wollen wir erhalten.
Das gilt nicht etwa nur für die Unternehmer, sondern ebenso gut für die Arbeiter. Herr Abgeordneter Haberland hat auf die Haltung der Bergarbeiter in dieser schweren Zeit hingewiesen. Ich schließe mich seinen Worten ausdrücklich an und halte es für meine Pflicht, den Bergarbeitern dafür zu danken, daß sie die Not der Zeit erkannt haben und daß sie sich bereit finden, nach dem Ab⸗ kommen von Spaa Ueberschichten zu leisten und so dafür zu sorgen, daß der volle Zusammenbruch möglichst verhindert wird. Gewiß, es gibt dunkle Mächte draußen, denen es nicht toll genug hergehen kann. Aber sie haben Gott sei Dank in unserer Arbeiterschaft noch lange nicht die Majorität, und der gesunde Sinn der Mehrheit wird hoffent⸗ lich siegen. (Sehr richtig!) Ich hoffe, daß sich weiter alle in gemein⸗ samer Arbeit zusammenfinden, dann wird es uns doch schließlich gelingen, unsere Wirtschaft wieder zu besseren Tagen emporzuführen.
(Bravo!)
176. Sitzung vom 16. November, Nachmittags 1 Uhr. Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger“).)
Präsident Leinert eröffnet die Sitzung um 1 Uhr 15 Minuten.
Auf der Tagesordnung stehen zunächst kleine An⸗ fragen.
Eine vom 6. Mai datierte Anfrage des Abg. Mentzel⸗Stettin D. Nat.) beschäftigt lich mit der Schutzhaftverhängung über die echsjährige Tochter des Majors Bischoff aus An⸗ aß der damals gegen den Major Bischoff schwebenden Untersuchung. Ein Regierungsvertreter erklärt, daß diese Angelegenheit längst durch die Aufhebung der Schutzhaft erledigt sei, und ents ldigt die Verzögerung der Antwort.
Auf Anfrage deutschnationaler Abgeordneter wegen der Ver⸗ weisung des Majors a. D. von Hertzberg, der sich im Felde große Verdienste erworben hat, von der Forstakademie Hemn. Münden, weil er durch Anschlag am schwarzen Brett sich politisch für die Wahl zum Reichstag betätigt habe, erwidert ein g ierungs⸗ vertreter, daß innerhalb der Akademie politische Agitation nicht betrieben werden dürfe, daß Major Hertzberg eine Warnung nicht Hhücdttt häbe und deshalb seine Verweisung von der Akademie gerecht⸗
ertigt sei.
„Auf Anfragen von deutschnationaler Seite wegen Hilfsmaßnahmen für Ortschaften im Netzedistrikt, die durch Unwetter am 13. Juli verheert sind, von unabhängiger sozialdemokratischer Seite wegen einer Sedanfeier im Merseburger Seminar und von deutsch⸗hannover scher ite wegen Anstellung von Beamten in Hannover, die der plattdeutschen Sprache mächtig sind, bleiben die Antworten der Regierungsvertreter unverständlich.
Eine Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion wird dahin be⸗ antwortet, daß die Regierung nicht beabsichtigt, die Novelle zum Feuerbestattungsgesetz in nächster Zeit einzubringen, da diese Vorlage nicht als eine keinen Aufschub duldende betrachtet wird.
Die Deutsche Volkspartei fragt an, welche Schritte die Re⸗ gierung getan hat, um gegen die Beschlagnahme der Staats⸗ domäne Armade im Bezirk Wiesbaden durch die französische Rheinarmee vorzugehen. Vom Regierungstisch wird erwidert, daß gegen diese Beschlagnahme, die weder im Friedensvertrag noch im Besetzungsabkommen irgendeine Rechtsgrundlage findet, Ein⸗ spruch erhoben worden sei. Ein Ergebnis dieses Einspruchs liege noch nicht vor.
Die sozialdemokratische Fraktion verlangt in einer Anfrage, daß die bei der Bildung der neuen Gemeinde Berlin überflüssig werdenden Hilfspolizeibeamten einzelner Vororte nicht ent⸗ lassen, sondern anderweitig im Staatsdienst beschäftigt werden. Die Regierung sagt dies zu.
Eine A“ Anfrage verlangt Aufklärung über die Gerüchte, daß der neue Staat Groß⸗Thüringen beab⸗ sichtige, preußische Landesteile ohne Befragung der Bevölke⸗
rung sich anzugliedern. Staatssekretär Göhre: An die preußische Staatsregierung eines Groß⸗Thüringens
sind von thüringischer Seite seit Bildung e ür
Wünsche nach Ang iederung preußischer ietsteile an Thüringen nicht gelangt. Sollten derartige Bestrebungen erneut auftreten, dann würde sich die preußische Staatsregierung entsprechend dem Beschlusse der Landesversammlung vom 4. Februar und dem unzweideutig ge⸗ äußerten Willen der Bevölkerung aller Parteirichtungen nach wie vor ablehnend verhalten. Sie würde nie die Hand dazu bieten segen den Willen der Bevölkerung eine Neuoronung der staatsrechtlichen Verhältnisse anzuerkennen. Die preußische Staatsregierung beab⸗ sichtigt nicht, auf die weitere beeSee Thüringens Einfluß zu üben. Sie begrüßt die Bildung Groß⸗Thüringens und hat ihr im Reichsrat ihre Zustimmung gegeben. Sie sucht die Entwicklung Groß⸗Thüringens nicht zu erschweren. Sollten Wünsche nach wirt⸗
9 Mit Ausnahme der Reden der Herren Minister, die im
schaftlicher oder peltisce Annäherung an sie herantreten, so würden ihrer Erfüllung keinerlei Schwierigkeiten in den Weg gelegt werden.
Die Vorlage wegen Durchführung des Staatsvertrages über die Uebertragung der preußischen Staatseisenbahnen an das Reich wird in zweiter und dritter Lesung, der Gesetzent⸗ wurf, betr. die Dienststrafgewalt über die in den Reichsdienst nicht übernommenen Beamten der früheren preu⸗ sischen Verwaltung der Zölle und indirekten Steuern, in dritter Lesung durch unveränderte Annahme ohne Erörterung erledigt.
Es folgt die zweite Beratung des Gesetzent⸗ wurfs, welcher die in den Gesetzen vom 13. Februar 1854 und vom 1. August 1909 zugelassene Erhebung von Konflikten bei beri Verfolgungen wegen Amts⸗ und Diensthandlungen der Be⸗ amten und bei Klagen gegen den Staat wegen Amtspflichtverletzungen von Beamten bei Ausübung der öffentlichen Gewalt zu beseitigen bezweckt.
„ Der Rechtsausschuß hat die Vorlage mit 10 gegen 7 Stimmen unverändert angenommen. Von den Deutsch⸗ nationalen ist beantragt, lediglich die Erhebung von Konflikten auf Grund des Gesetzes von 1909 (Klagen gegen den Staat) zu beseitigen. Abg. Dr. Seelmann (D. Nat.): Unsere in erster Lesung bereits vorgebrachten großen Bedenken gegen diese Vorloge sind durch die Ausschußberatungen nicht beseitigt das zur Begründung der Notwendigkeit durch r. worden ist, ist ungenügend. Durch die Beibehaltung er Konfliktserhebung wird eine 9b Rechtspflege nicht aufgehalten, dafür bürgt das Oberverwaltungsgericht, das in letzter Instanz über die Lenfliktserhebꝛang zu entscheiden hat. Man soll dem Beamten den Schutz, den er noch hat, nicht lediglich deswegen nehmen, um einer popularen Strömung nachzukommen. Es ist kein Fall nachweisbar, wo einem Rechtsuchenden der Rechtsschutz bversagt worden ist, auch soll man nicht ohne äußeren Anlaß, ohne Not oder Dringlichkert diese einzelne Materie aus dem gesamten Be⸗ amtenrecht heraus⸗ und ihre Regelung vorwegnehmen. Eventuell Abg. Göbel (Zentr.): Auch wir sind Gegner der Vorlage. Nicht die Verwaltung trifft darüber die Entscheidung, ob der Konflikt er⸗
worden. Was
hoben werden soll oder nicht, sondern das Oberverwaltungsgericht, also eine unabhängige richterliche Behörde. Es handelt sich ja auch nicht um ein Sonderrecht oder Privilegium der Beamtenschaft; vielmehr wird der Beamte durch die Möglicht⸗ it der Konfliktserhebung gegen die Ge⸗ aee. gedeckt, die ihm aus Handlungen entstehen könnten, die mit einem Beruf in Zusammenhang stehen. Wenn, wie im Ausschuß angeführt wurde, im Reiche die Absicht, eine entsprechende Bestim⸗ mung zu treffen, sich schon zu einer Vorlage verdichtet hat, so soll man so lange warten, bis die Reichsgesetzgebung ergangen ist: einst⸗ weilen steht noch dahin, wie der Reichstag entscheidet. Andererseits ist erst vor kurzem in der Reichsabgabenordnung eine Einrichtung geschaffen worden, welche der Konfliktserhebung ganz verzweifelt aähnlich sieht. Die Arbeitsfreudigkeit und die Energie des Beamten wird zweifellos gelähmt, wenn er sich bei jeder Amtshandlung erst immer vorher noch mehr als bisher überlegen muß, ob er sich damit nicht einer Verfolgung aussetzt. Auch wir werden eventuell für den deutschnationalen Antrag stimmen.
Abg. Dr. Berndt (Dem.): Meine Fraktion ist einstimmig der Ansicht, daß diese veraltete Bestimmung zu fallen hat. Der Konflikt stellt lediglich eine Maßnahme dar, um einen Teil der Bevölkerung, nämlich die Beamtenschaft, dem ordentlichen Richter zu entziehen, wenn die Behörde i line Veranlassung hat. es nicht zu einer gerichtlichen Verhandlung kommen zu lassen. Wir verlangen auch hier gleiches Recht für alle. Den Unbequemlichkeiten, die sich daraus für die Beamten ergeben, ist jeder Staatsbürger aus⸗ gesetzt. Die Beamten wollen kein Vorrecht, sondern nur gleiches
ht.
Abg. Freymuth (Soz.): Der leitende Gesichtspunkt bei dem Gesetze von 1854 ist der gewesen, die Verwaltung von der Justiz unabhängig zu machen. Diese Auffassung ist jetzt als falsch erkannt worden. Wir stimmen durchaus der Stellungnahme zu, welche die Demokraten zu der Vorlage genommen haben. Es handelt sich hier tatsächlich um ein veraltetes Gesetz, welches den Beamten einen Schutz gewährt, den sie gar nicht brauchen und auf den sie keinen Anspruch haben.
Der Antrag der Deutschnationalen wird abgelehnt, die Vorlage unverändert und sofort in drittern
Lesung angenommen.
Dann wird die zweite Beratung des Staatshaus⸗ haltsplanes für 1920 bei dem Haushalt der Justiz⸗ verwaltung fortgesetzt. Der Hauptausschuß beantragt Entschließungen betreffs zeitgemäßer Erhöhungen der Prü⸗ fungsgebühren für die Mitglieder der Prüfungskommissionen und besserer Ausgestaltung des Güteverfahrens in Rechts⸗ streitigkeiten.
Abg. Dr. Seelmann (D. Nat.) beantragt die Einsetzung einer Ministerialkommission zur Ausarbeztung eines Gesetzentwurfs über die Neuordnung des Strafvollzugs und des Anstaltswesens sowie einer einheitlichen Dienst⸗ und Verwaltungsordnung für die Gefäng⸗ nisse und Strafanstalten.
Abg. Hauschildt (Soz.) und Genossen beantragen die Zu⸗ lassung der Frauen zum juristischen Vorbereitungsdienst und zur Stellung als Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte.
Abg. Hauschildt und Genossen beantragen ferner die tatsäch⸗ liche Durchführung der Ablösung der Familienfideikommisse, Erb⸗, Stammgüter und Lehen unter voller Berücksichtigung der Agnaten⸗ ansprüche; bei der Auflösung der Thronlehen soll der Staat voll entschädigt werden.
Abg. Bubert (Soz.) und Genossen wünschen die Fortführung des Verfahrens in der Untersuchungssache gegen die Schuldigen an den mit einer schweren Körperverletzung eines Osnabrücker Bürgers verbundenen Exzessen gelegentlich einer Versammlung der Deutschen Friedensgesellschaft am 8. März in Osnabrück.
Abg. Schulte (Zentr.): Die unparteiische Rechtsprechung ist ein Fundament des Staates, und der Justizverwaltung muß trotz des großen ungedeckten Defizits gegeben werden, was sie braucht. „Wir hätten gewünscht, daß noch eine größere Zahl planmäßiger Beamtenstellen in den Etat eingestellt wäre. Die Einnahmen des Etats aus der Beschäftigung der Gefangenen müßten erheblich höher angesetzt werden, denn die leider gesteigerte Kriminalität muß mehr Geldstrafen einbringen. Die Geldstrafen müssen dem jetzigen Geldwert angepaßt werden. Eine Geldstrafe von 20 ℳ ür eine Körperverletzung ist geradezu lächerlich und wird nicht als Strafe empfunden. Bei Betrug, Wucher und Lebensmittelverschie⸗ bungen darf der Richter sic nicht scheuen, auch Geldstrafen von 100 000 ℳ zu verhängen, soweit es das Gesetz nur zuläßt. In pielen Gesetzen ist der Strafrahmen nicht weit genug gezogen. Ein Leder⸗ schieber bekam eine Geldstrafe von ganzen tausend Mark neben einer Gefängnisstrafe von einem Monat. Er bot nicht nur 100 000 ℳ für die Entlassung aus der Haft, sondern auch für jeden Tag der Gefängnisstrafe 5000 ℳ für die Umwandlung in Eeldstrafe Im 1e ist die Staatsanwaltschaft die bestgehaßte Be⸗ hörde, völlig zu Unrecht. Als früherer Staatsanwalt mit zwanäig⸗ jähriger Praxis darf ich sagen, die Staatsanwaltschaft ist, von wenigen Nusnahmefs en abgesehen, eine durchaus objektive Behörde (Wider⸗ spruch und Ruf links: Wer'’s glaubt, zahlt einen Taler!) Nur bei einer verschwindend kleinen Zahl der einlaufenden Anzeigen wird An⸗ klage erhoben. Standesvorurteile und politische Gesichtspunkte
haben nach meiner Erfahrung niemals eine Rolle gespielt. Aus
die Regierung vor⸗
Zeitungsberichten erhält man allerdings kein Urteil über einen Strafprozeß. Wenn einzelne Ausnahmefälle vorgekommen sind, so sind die Richter und die Staatsanwälte auch Menschen. An Un⸗ abhängigkeit und Unparteilichkeit sind die preußischen Gerichte nicht zu übertreffen. (Abg. Adolf Hoffmann; Siehe Prozeß Culenburg!) Der Prozeß Eulenburg steht im wesentlichen auf dem Gutachten der Sachverständigen. Die Gerichtskosten und die Gebührenordnung der Rechtsanwälte und Notare müssen auch den Zeitverhältnissen angepaßt werden. Ebenso müssen die Prüfungsgebühren erhöht werden. Die Entschädigung eines Prüfungskommissars macht einen Stundenlohn aus, mit dem ein ungelernter Handarbeiter nicht zufrieden ist. Für die Ausbildung der Studenten und Referendare ist erfreulich, der Minister den jungen Juristen gleich nach dem Examen Ein⸗ blick in den Dienstbetrieb geben will. Auch auf der Universität stehen Theorie und Praxis in Verhbindung. Das soziale Verständnis konnte den jungen Juristen durch Teilnahme an Gewerbegerichten und auch an Tarifrerhandlungen vermittelt werden. Die auf drei Jahre ver⸗ kürzte Ausbildungszeit der Referendare muß voll ausgenutzt werden. Die zusammenhängende Amtsgerichtsstation von 15 Monaten ist im Ausschuß gebilligt worden; aber ob es sich bewährt, mit dem Land⸗ gericht im Anschluß an die Universität zu beginnen, wird erst die Praxis ergeben. Die große wirtschaftliche Notlage der Referendare ann die üble Wirkung haben, daß nur noch Sohne wohlhabender Eliern zum Rechtsstudium übergehen. Der Dispositionsfonds zur Unterstützung notleidender Referendare muß erhöht werden. Es be geradezu eine Flucht der Assessoren aus der Justiz eingesetzt, weil sie in anderen Verwaltungen bessere Anstellungsbedingungen finden. Ich möchte eine Warnung vor dem juristischen Studium ins Land hinaus⸗ rufen. Der Bedarf an Juristen ist überreichlich gedeckt, wir werden
bald zu einer Art numerus clausus kommen müssen. Der Antrag
Hauschildt, der die Frauen als Richter, Staatsanwälte und Rechts⸗ amwälte zulassen will, ist wegen der gegenwärtigen Ueberfüllung nicht zeitgemäß. Die Ueberlastung der Anklagebehörde ist so groß, daß man geradezu von einer Rechtsverweigerung sprechen kann. Die Staats⸗ anwälte brechen unter dreifachen Arbeitslast zusammen. Sie arbeiten 14 S und kennen keine Feiertage. (Zuruf bei Unter der Ueberlastung der Staatsawälte leidet gerade die notwendige einsehen, daß die Vermehr
ist. Das Heitanglesen sollte
laubt werden auch die Versorgung mit Nahru
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(Widerspruch bei den So.)
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1 bin t er Lage, Zusage zu geben, Verredner angestrebt und für notwendig gedalten ist, daß eine starke B rung der Stellen im nächsten Haushalt erfolgen wird. Im Reich t der Herr Finanzminister unier Zu⸗ stimmung inetts Prinzip aufgestellt, daß im nächsten Jahr Prinzip für ein Jahr durchgeführt werden muß Der Herr Vorredner hat dann den Wunf die Gerichtskosten erhöht werden möchten. Der W werden, und zwar so, daß manche Leute wünschen möchten, daß de Wunsch hier gar nicht vorgetragen wäre. (Sehr gut! — Heiterkeit.) Die Erhöhung der Gerichtskosten wird dann aber die Folge haben, daß die Leute mehr auf den Weg des Vergleichs ein⸗ gehen. Sie werden dann sehen, daß ein magerer Vergleich besser ist als ein fetter Prozeß, bei dem die Kosten von dem einen oder anderen Teil getragen werden und schließlich so groß werden, daß das ganze Objekt dagegen völlig verschwindet. Ich nehme an, daß die Ent⸗ schließung, die im Ausschuß vorgeschlagen worden ist, eigentlich durch die Ereignisse überholt worden ist; denn der Herr Reichsjustizminister hat bereits unter Zuziehung aller beteiligten Stellen eine Prüfung der Frage veranlaßt, wie ein Sühneverfahren eingerichtet werden kann. Es haben schon Verhandlungen stattgefunden; sie haben aber noch zu keinem festen Resultat geführt und werden fortgesetzt werden, so daß damit die Entschießung wohl in Wegfall kommen kann.
Dann ist von dem Herrn Vorredner die Entschließung vor⸗ getragen worden, die im Ausschuß gefaßt worden ist, die Staats⸗ regierung zu ersuchen, nach Möglichkeit für eine sachgemäße und zeit⸗ gemäße Erhöhung der nichtruhegehaltsfähigen Ge⸗ bühren für Prüfungen und für Beaufsichtigung von Prüfungsarbeiten für die hauptamtlichen und die neben⸗ amtlich beschäftigten Mitglieder der Prüfungskommissvonen im Staatshaushaltsplan für 1921 Sorge zu tragen. Die Lage der Examinatoren ist im Ausschuß eingehend besprochen worden, und, so⸗ weit ich feststellen konnte, waren alle Mitglieder der Auffassung, daß die Bezüge der Herren zu gering sind. Das, was vorgeschlagen worden ist, findet wohl den Beifall aller Mitglieder des Hauses, wie es auch den Beifall der Regierung findet. Nicht gesagt ist aber, woher das Geld genommen werden soll. Da gehen die Auffassungen sehr aus⸗ einander. Ich habe die Befürchtung, daß die beiden Kategorien, die da in Betracht kommen könnten, sich ablehnend verhalten werden, näm⸗ lich auf der einen Seite der Herr Finanzminister, und auf der anderen Seite die Herren Referendare. Was die letzteren anlangt, so stütze ich meine Befürchtung, daß sie nicht gewillt sind, eine Erhöhung der Ge⸗ bühren hinzunehmen, darauf, daß sie mit Petitionen an mich heran⸗ getreten sind, ihnen die Gebühren überhaupt zu erlassen. Die Ent⸗ schließung ist also ganz gut, aber ich möchte wissen, woher das Geld genommen werden soll. Das steht nicht drin. (Heiterkeit.)
Der Herr Vorredner hat dann wiederum von der Aus⸗ bildung der Rechtsstudenten gesprochen. Das ist ein Thema, was schon im Ausschuß ausgiebig behandelt worden ist. Ich meinerseits bin für möglichste Vereinigung von Theorie und Praxis. Deshalb habe ich angeordnet, daß den Rechtskandidaten Gelegenheit gegeben werden soll, einen Einblick in das Rechtswesen zu bekommen. Sie sollen nicht mit schwierigen Rechtsfragen befaßt werden — davon kann keine Rede sein —, sondern sie sollen sehen, wie sich ein Prozeß ab⸗ spielt. Sie sollen in das Amtsgericht geführt werden, damit sie sehen, was ein Grundbuch ist; sie sollen in ein Schwurgericht kommen. damit sie die Stellung des Vorsitzenden, des Staatsanwalts und des Verteidigers kennenlernen und auf diese Weise die Vorlesung desser verstehen. Haber die jungen Leute erst einmal ein Aktenheft in der Hand gehabt und gesehen, wie sich ein Prozeß entwickelt, dann fallen
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ihnen die Schuppen von den Augen, dann können ste ohne weiterds dem Vortrag des Professors folgen. Ich habe es en mut seldst erfahren, daß man ohne diese Kenntnis der Praris die Verkefung über Zivilprozeß nicht in sich aufnehmen kann. Auf der andenen Seite darf aber auch des Guten nicht zu viel getan werden. Der Herr Vorredner bezeichnete es als erwünscht, daß die Stndente zu den Mieteinigungsämtern usw. gingen. Das balte ich micht für richtig; denn über allzu reichlicher Beschäftigung mit der Prarts vergißt der Student, daß die Jurisprudenz cine Wissenschaft t, 8