1920 / 286 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 16 Dec 1920 18:00:01 GMT) scan diff

(Hört, hört! bei den Sozialdemokraten. Abg. Dr. Böhme: Ich habe Ihnen aber geschrieben!) Ja, aber erst nachdem ich diesen Brief von Ihnen extrahiert habe, nachdem ich Sie gebeten habe, mir einmal zu begründen, wie Sie dazu gekommen seien, in einer Versammlung in Halberstadt ein Mißtrauensvotum gegen mich wegen meiner Tätigkeit auf dem Siedlungsgebiete zu beantragen. (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Da habe ich Sie gebeten, mir die Tatsachen mitzuteilen, die zu diesem Mißtrauensvotum ge⸗ führt haben, und da haben Sie einen langen, gewundenen Brief ge⸗ schrieben, in den Sie unter anderem ausführen, die mangelnde Initiative bei mir auf dem Gebiete der Siedlung ersähen Sie daraus, daß mein Genosse Georg Schmidt auf einem Parteitag eine Rede gehalten habe und letzten Endes hätte ein Landarbeiter in Ost⸗ preußen in Stanaitschen vor dem Kulturamtsvorsteher nun gegen die Aufteilung eines Gutes eine Rede gehalten, und das wäre Beweis dafür, daß ich als Landwirtschaftsminister meine Pflicht auf dem Siedlungsgebiet nicht täte. (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Ja, verehrtester Herr Abgeordneter Böhme, ich habe mir überlegt ich bekam den Brief auf dem Krankenbett —, ob ich darauf eine

Antwort diktieren sollte; ich habe den Brief zweimal durchgelesen,

um wirklich etwas Konkretes zu finden, aber schließlich habe ich mir gesagt: der Brief verdient wahrlich keine Antwort. Wenn Sie mit derartigem Material beweifen wollen, daß mein Ministerium auf diesem Gebiet nicht seine Pflicht erfülle, dann muß ich Ihnen schon sagen: derartige Argumente kann ich nicht ernst nehmen. (Sehr gut! bei den Sozialdemokxaten.) Ein Landarbeiter hat ven seinem Standpunkte ganz verständig —, als der Kulturamtsvorsteher

auf einem großen Gut gewesen ist, das zur Aufteilung gelangen

sollte, erklärt ob ihm das von seinem Großagrundbesitzer ein⸗

gegeben ist, weiß ich nicht in einer wohlgesetzten Rede: wenn

hier aufgeteilt wird, müssen sämtliche Arbeiterfamilien, die wir hier seit Generationen auf diesem Gut sitzen, einfach unser Päckchen schnüren und davongehen nach der Stadt, wo es schon so viele Arbeitslose gibt, wir wissen nicht, wo wir bleiben sollen, wir sind daher dafür, daß die Wirtschaft so bleibt, wie sie ist; es wird hier intensiv gewirtschaftet, für die Lebensmittelversorgung wird sehr viel abgeliefert, also sind wir gegen eine Aufteilung. Das ist der Stand⸗ punkt dieses Arbeiters. Der Kulturamtsvorsteher hat nach Zeitungs⸗ berichten gesagt, daß er diesen Standpunkt durchaus verstehen könne, vom Standpunkt dieses Arbeiters sei er ganz verständig. Ich habe übrigens jetzt den Landeskulturamtspräsidenten aufgefordert, den Kulturamtsvorsteher um einen Bericht zu ersuchen. Sobald mir der Bericht zugeht, werde ich authentisch wissen, wie sich der Vorgang eigentlich abgespielt hat, ob er sich so abgespielt hat, wie Herr Dr. Böhme ihn in der Zeitung dargestellt hat. Aber, meine Herren, ist das ein Beweis für die mangelnde Initiative des Landwirtschafts⸗ ministeriums auf dem Gebiete der Siedlung? Der ist doch so weit hergeholt, daß man damit nur in einer Versammlung Urteils⸗ unfähiger operieren kamn. (Seht wahr! bei den Sezialdemokraten.)

Nun hat Herr Dr. Böhme hier einige Fälle genannt, darunter den Fall des Kulturamtsvorstehers in Stendal, von dem er auch nicht genau und konkret angegeben hat, was er getan hat. Dasselbe gilt von dem Fall des Kulturamtsvorstehers Breslau usw. Ich werde nunmehr an Hand des Stenogramms der Rede des Herrn Dr. Böhme Anlaß nehmen, amtlich sestzustellen, was an diesen Behauptungen ist. Ich werde dann auch dem Haufe das Ergebnis dieser Fest⸗ stellungen mitteilen, damit Sie ein Bild davon bekommen, in⸗ welcher Weise Herr Dr. Böhme das Beweismaterial für die mangelnde Siedlungstätigkeit des Landwirtschaftsministeriums beibringt.

Auf die Einzelfälle kann ich hier natürlich nicht eingehen, weil sie viel zu wenig substantiiert sind, weil sie auf Andeutungen cus un⸗ kontrollierbaren Zeitungsnachrichten beruhen. „Ich hätte bei einem Besuch einem Manne etwas gesagt, was sich gegen die Siedlung richtet.“ Ja, Herr Dr. Böhme, es wäre besser gewesen, Sie hätten mir das schriftlich mitgeteilt. (Abg. Dr. Böhme: Es ist Ihnen schriftlich mitgeteilt worden!) Zu mir kommen im Laufe der Zeit so viel Leute, mit denen ich über die mannigfaltigsten Dinge spreche. Wie kann ich nun im einzelnen sagen, ob das richtig ist, was Sie hier aus⸗ geführt haben oder nicht! Jedenfälls hätten Sie mir, wenn Sie eine Beschwerde auf dem Gebiete haben, dies leicht mitteilen können ich sitze da in Ihrer Nachbarschaft —, ich hätte Sie aufgeklärt, und dann hätten Sie keinen Anlaß mehr, in der Pose des Anklägers das Landwirtschaftsministerium in Grund und Boden zu verdammen. (Abg. Dr. Böhme: Es ist sogar eine Anfrage deswegen gewesen!)

Was die Domäne Simmern anbelangt, so ist es unrichtig, daß die Domäne unter Uebergehung der Regierung verpachtet worden ist Sie ist den Anträgen der Regierung entsprechend zur Verpachtung gekommen. Die kleinen Leute, die Pachtland haben, haben anderweitig ebenso gutes Pachtland, nicht unkultiviertes Land das gibt es dort in der Gegend gar nicht —, sondern geeignetes Ackerland für ihre Zwecke erhalten. (Abg. Dr. Böhme: Das widerspricht aber dem, was mir Herr Oertel eben gesagt hat!) Ich sage Ihnen ja, die Domänen werden überhaupt nur auf Vorschlag und nach gründlichster Nachprüfung durch die örtlichen Regierungsorgane verpachtet.

Wenn weiter Herr Dr. Böhme erneut darauf hinweist, daß im „Vorwärts“ gestanden hätte, daß auch jetzt bei der Abgabe von Do⸗ mänen fiskalische Interessen sich geltend machen, so ist das eine Wen⸗ dung, mit der sich auch nichts anfangen läßt. Wenn ich erklärt habe, es brauche nicht alles richtig zu sein, was im „Vorwärts“ steht, wie überhaupt nicht alles richtig ist, was in den Zeitungen steht, ganz gleich, welcher Richtung sie sind, so ist daraus nicht zu schließen, daß ich einen Mangel an Vertrauen zum „Vorwärts“ habe. Jedenfalls habe ich zu ihm etwas mehr Vertrauen als zu den Organen der Partei -S. 98b (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Aber, en, mit einer solchen allgemeinen Wendung, daß bei einer Abgabe von Domänen fiskalische Interessen sich geltend machen, ö üeege beweisen gegen die Siedlungstätigkeit des 8 ] 8 vena vne-aen Ja, meine Herren, soll ich denn die Domänen verschleudern? Ich bin als Minister verpflichtet, eine geordnete, gewissenhafte Vermögensverwaltung durchzuführen, und da muß allerdings bei der Veräußerung der Domänen auch das fiskalische Interesse geltend gemacht werden. Denn so überreich sind wir jetzt

nicht der preußische Staat ebensowenig wie das Reich —, daß wir

die fiskalischen Interessen vollständig beiseite lassen und die Domänen an kleine Landwirte verschenken können. Nein, das fiskalische Inter⸗

esse. muß sich geltend machen. Aber gerade ich bin von Beginn meiner

Amtstätigkeit an hestrebt gewesen und oft habe ich das erst gegen⸗ über dem Finanzressort nach sehr harten Auseinandersetzungen durch⸗ setzen können —, zu angemessenen Preisen den Kleinsiedlern und ins⸗ besondere dem Kleinwohnungsbau fiskalische Ländereien herzugeben. Ich weise Sie nur darauf hin, daß z. B. hier in der Nähe von Berlin

seit Jahren über erhebliche Flächen für die Kleinsiedlung verhandelt wurde, daß mein Vorgänger vor dem Kriege drei Mark pro Qudrat⸗ meter verlangt hat und ich, und zwar ohne daß man an mich heran⸗ trat, aus eigener Initiative es durchgesetzt habe, daß dieses Land jetzt nach dem Kriege für 98 Pfennige pro Quadratmeter zur Kleinsiedlung verkauft worden ist. Sie können aus diesem Vorfall vielleicht den Vorwurf konstruieren, daß ich den Staat geschädigt hätte durch zu billige Hergabe von Ländereien, aber nicht das Gegenteil. Wenn Sie mir auf diesem Gebiet etwas vorwerfen wollen, Herr Abgeordneter Dr. Böhme, dann dürfen Sie sich nicht auf eine allgemeine Wendung in einem Artikel des „Vorwärts“ berufen, sondern müssen tatsächliche Angaben machen, mit denen Sie das beweisen wollen.

Herr Dr. Böhme hat erneut daran festgehalten, daß die Anlieger⸗ siedlung der Neusiedlung vorgehe, und daß das der Sinn des Ge⸗ setzes sei. Er hat gemeint, ich stellte die Autorität der National⸗ versammlung hinter die Autorität der Volksbeauftragten. Ich habe die Volksbeauftragten nur erwähnt, um Ihnen zu zeigen, daß die Initiative auf diesem Gebiet nicht von Ihren Parteigenossen aus⸗ gegangen ist, wie Sie geklissentlich glauben machen wollen, sondern daß es Sozialdemokraten waren, die die Initiative auf diesem Gebiet sofort nach der Revolution ergriffen haben (sehr gut! bei den Sozial⸗ demokraten), und daß erst in der Nationalversammlung die zweite Zweckbestimmung in das Gesetz noch aufgenommen worden ist. Es heißt nämlich in §. 1: Die Bundesstaaten sind verpflichtet, wo ge⸗ meinnützige Siedlungsunternehmungen nicht vorhanden sind, solche zu begründen zur Schaffung von Neusiedlungen sowie zur Hebung bestehender Kleinbetriebe. Ich glaube, ich handle im Sinne dieser Bestimmung des Gesetzes durchaus richtig, wenn meine Organe an⸗ gewiesen werden, als erstes die Neusiedlung zu betreiben und da⸗ hinter kommend erst die Anliegersiedlung. Die praktischen Schwierig⸗ keiten ergeben ohnehin, daß man auf dem Gebiete der Anliegersiedlung jetzt mehr tun muß als bei Neusiedlungen, weil man Neusiedlungen jetzt nicht machen kann.

Bezüglich der Abstimmung über das Ausführungsgesetz in der Preußischen Landesversammlung irrt Herr Dr. Böhme nach wie vor. Wenn er sich auf die „Deutsche Tageszeitung“ beruft, so entbehrt es ja nicht eines gewissen Reizes der Neuheit, daß der demokratische Herr Dr. Böhme auf einmal diese Zeitung als autoritativ gegen mich ins Feld führt. Wenn die „Deutsche Tageszeitung“ eine der⸗ artige Darstellung bringt, so ist die Darstellung falsch. Ich habe mit aller Entschiedenheit die Verschlechterung meines Entwurfs bekämpft, und zwar bis zuletzt. Wenn ich aber sehe, daß fortgesetzt eine kompakte Mehrheit dagegen stimmt, dann brauche ich nicht immer wieder in allen Lesungen dasselbe Lied herzuheten bis zum letzten Ende. Ich weiß nicht, welche Erfahrung Herr Dr. Böhme im parlamentarischen Leben in dieser Beziehung hat; aber ich mache nicht gern überflüssige Arbeit. Wenn ich sehe, daß es in der ersten Lesung nicht gelungen ist und in der zweiten Lesung auch nicht, dann ist die Sache für mich erledigt. Und wenn dann meine Parteifreunde, nachdem sie alles versucht haben, um eine andere Fassung durchzusetzen, in der Gesamtahstimmung für das ganze Gesetz stimmen, so könne man doch hinterher nicht erklären, wie es Herr Dr. Böhme tut, die strittige Bestimmung sei mit Zustimmung des Ministers und seiner Parteifreunde angenommen worden. Ein solches Vorgehen des Herrn Dr. Böhme ich möchte nicht einen zu scharfen Ausdruck gebrauchen ist doch immerhin nicht ganz parlamentarisch. Also die Fest⸗ stellungen, die sich auf die Darstellung der Deutschen Tageszeitung“ stützen, gehen durchaus fehl. Ich bleibe dabei, daß es Mitschuld Ihrer, der Demokratischen, Partei ist, wenn die Landlieferungsverbände heute noch nicht in Tätigkeit sind und demgemäß noch keinen Hektar Land enteignet haben. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

Zum Schluß noch ein Wort zu der sogenannten Verschleppung. Da gebe ich das eine zu, daß die Veröffentlichung des preußischen Ausführungsgesetzes allerdings etwas sehr spät erfolgt ist, aber ohne Verschulden meines Ministeriums. Es ist, wie ich später festgestellt habe ich habe selbst persönlich eingegriffen durch ein Versehen im Staatsministerium die Veröffentlichung im Staatsanzeiger um zwei bis drei Wochen verspätet erfolgt. Daraus aber gegen mich den Vorwurf der absichtlichen Verschleppung herzuleiten, dazu gehört doch eine besondere Stirn, besonders wenn man nicht vorher fest⸗ stellt, wie diese Verspätung zustandegekommen ist.

Was aber die Ausführungsbestimmungen anlangt, gegen deren späte Herausgabe Herr Dr. Böhme sich ganz besonders wandte, so möchte ich darauf hinweisen, daß das preußische Ausführungsgesetz vom 15. Dezember datiert ist, daß demgegenüber aber die erste Aus⸗ führungsbestimmung, eine vorläufige Bestimmung, schon am 6. De⸗ zember hinausgegangen ist, nachdem ich eben gerade die Fassung des Gesetzes in der Kommission genau kannte, bevor noch das Gesetz verkündet war und bevor noch die Schlußabstimmung stattgefunden hatte. (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Da habe ich an die Behörden hinausgeschrieben, sie sollten schleunigst die Vorarbeiten für die Errichtung der Landlieferungsverbände machen. (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Die erste Ausführungsbestimmung, eine sehr umfangreiche Arbeit, ist am 27. Dezember 1919 heraus⸗ gekommen, die zweite, auch sehr umfangreich, am 29. Januar 1920, die dritte am 7. Februar 1920, die vierte am 3. Februar und die fünfte am 13. Februar 1920. Es handelt sich um lauter umfang⸗ reiche Arbeiten, die Schlag auf Schlag, fast Woche für Woche hinausgegangen sind. Wenn man angesichts dieses Tempos der Arbeiten meines Ministeriums von einer Verschleppung, ja geradezu, wie Dr. Böhme in Nürnberg, von einer Sabotierung des Siedlungs⸗ gesetzes spricht, so fehlt mir leider auch wieder der parlamentarische Ausdruck, um das richtig zu charakterisieren.

Ich habe mich auch nicht dagegen gewandt, daß Arbeiter und kleine Leute für ihr Papiergeld Land kaufen (sehr richtig! bei den Sozialdemokraten), sondern habe lediglich festgestellt, daß die Kultur⸗ amtsvorsteher zu prüfen haben, ob das Landbedürfnis, das die ein⸗ zelnen Leute zum Ausdruck bringen, berechtigt ist, ob nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen zu erwarten ist, daß das ihhen zuge⸗ führte Land auch intensiv im Interesse der Volksernährung bewirt⸗ schaftet wird (sehr wahr! bei den Sozialdemokraten), daß sich da⸗ gegen dort, wo das Landverlangen lediglich darauf beruht, daß Bauern, die längst genug Land besitzen (sehr richtig! bei den Sozial⸗ demokraten), die aber ihr Papiergeld in Land umsetzen möchten, die lediglich aus diesem Grunde Land kaufen wollen, die Kulturamts⸗ vorsteher sich dagegen wenden sollen (sehr wahr! bei den Sozial⸗ demokraten); denn da wird das Land lediglich Spekulationsobjekt und nicht für eine geregelte wirtschaftliche Tätigkeit verwandt. (Lebhaftes Bravo bei den Sozialdemokraten.) 8

1ö6““ 47. Sitzung vom 15. Dezember 1920, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger“))

Das Haus wiederum sehr schwach besetzt. Präsident Löbe teilt mit, daß der Reichsminister des Innern die Ge⸗ nehmigung zur Einleitung der Strafverfolgung des Abg. Erzberger wegen Verletzung der Eides⸗ pflicht nachsuche. Das Ersuchen wird dem Geschäfts⸗ ordnungsausschuß überwiesen. Die vom Rechtsanwalt Dr. Henning in Neuruppin nachgesuchte Genehmigung zur Durch⸗ hems eines Privatklageverfahrens gegen das Mitglied des keichstags Dr. Maretzky (D. V.) wegen Beleidigung wird Antrag des Geschäftsordnungsausschusses ver⸗ agt.

Der Gesetzentwur f über die weitere vorläufige Rege⸗ lung des Reichshaushalts für 1920 (Erstreckung des Not⸗ haushalts auf den Monat Januar 1921) wird in allen drei Lesungen ohne Erörterung angenommen In zweiter und dritter Beratung wird der Gesetzent⸗ wurf gegen die Kapitalflucht (Uebersendung von Wertpapieren nur durch Vermittlung pon Banken usw.) ohne Erörterung nach den Ausschußbeschlüssen angenom men. Der Ausschuß hat für Banken im Sinne dieses Gesetzes auch die Schuldbuchverwaltungen erklärt und ferner hinzugefügt, daß die zur persönlichen Mitnahme von Zahlungsmitteln nach dem Ausland zulässigen 3000 von den Finanzämtern auf Antrag erhöht werden können. Das Gesetz soll am 1. Juls 1921 außer Kraft treten.

Auf der Tagesordnung folgen dann die Abstim⸗ mungen über die Anträge zum Haushalt des Er⸗ nährungsministeriums, sie können jedoch noch nicht vorgenommen werden, da sie gestern ausdrücklich auf 2 Uhr angesetzt sind. Auch die Besprechung der Interpellation der Deulschnationalen wegen der bolschewistischen Propaganda in den russischen Internierungslagern in Deutschland kann noch nicht begonnen werden, weil infolge der unerwartet schnellen Erledigung der ersten Punkte der Tages⸗ ordnung noch kein Regierungsvertreter erschienen ist.

Infolgedessen schlägt der Präsident Löhe um 11½ Uhr vor, die Sitzung bis 2 Uhr zuunterbrechen. Das Haus ist damit einverstanden.

48. Sitzung vom 15. Dezember 1920, Nachmittags 2 Uhr.

Um 214 Uhr wird die Sitzung wieder eröffnet. Das Haus ist jetzt sehr stark besetzt und nimmt zunächst die Ab⸗ stimmung zum Haushalt des Ernährungs⸗ ministeriums vor. 3 Von den Entschließungen des Ausschusses wird die erste, welche schärfste Maßnahmen zux Ablieferung von Brot⸗ getreide, Gerste und Hafer verlangt, gegen die Stimmen der drei sozlalistischen Parteien abgelehnt. Die Entschließung. die das Verbot der Herstellung von Kuchen gebäck enthält, wird unter Heiterkeit gegen die Stimmen der Deutsch⸗ nationalen angenommen. Einstimmig angenommen werden die Entschließungen des Ausschusses wegen besserer Verbindung zwischen den landwirtschaftlichen Erzeugern und den Verbrauchern behufs schnellerer und billigerer Uebermittlung der landwirtschaftlichen Er⸗ ugnisse und wegen Aenderung des Reichsviehseuchengesetzes zur Bekämpfung der Mauk⸗ und Klauenseuche, des Milzbhrandes usw. Die Entschließung betreffs Nebertragung der Veterinärfragen vom⸗

Ministerium des Innern auf das Ernähungsministerium wird I

der von den bürgerlichen Parteien heantragten Form, daß diese Frage geprüft werden sollt, mit großer Mehrheit angenommen. 88

Der Antrag der Deutschnationalen, wonach die Landwirte 84 9e 8 die Ablieferung von Brotgetreide, Gerste un Hr ber Futtermittel beziehen können, wird mit großer Mehrheit angéẽnommen.

Der Antrag der Demokraten, daß bei der Erfassung der Hafer⸗ ernte die Kleinbetriebe von der Umlage verschont S wird gegen die sozialistischen Stimmen angenommen.

In der Frage der Düngemittel wird der Antrag der sozial⸗

demokratischen Fraktion auf, Uebernahme der Erzeugung und des Vertriebs der küͤnstlichen Düngemittel auf das Reich gegen die sozialistischen Stimmen abgelehnt. Zu dem Antmwag der Deutschnationalen, die Stickstoffindustrie in den Stand zu setzen, ihre Produktionskosten zu verbilligen, und zu diesem Zweck Vorschüsse in die Vorschußkasse zu geben um so die Stickstoffdüngemittel für die Landwirtschaft zu ver⸗ billigen, sowie die überschüssigen Düngemittel auszuführen und die Ueberschüsse daraus zur Begleichung der Vorschüsse des Reichs zu verwenden, der ferner finanzlelle Beihilfe hei der Einfußs von Roh⸗ phosphaten wünscht, endlich Kredite der Länder zur Anschaffung von Duͤngemitteln durch die landwirtschaftlichen rganisationen und Lieferungsverbände des Handels verlangt, liegt der Abänderungs⸗ antrag der Sozialdemokraten für den ersten Punkt dahin vor daß Reichsmittel zur Verbilligung der Stickstoffdüngemittel für die Land⸗ wirtschaft bereitgestellt werden. Dieser Abanderungsantrag wird durch Hammelsprung mit 156 Stimmen der bürgerlichen Parteien mit Aus⸗ schluß einiger Demokraten gegen 153 Stimmen abgelehnt. Der An⸗ trag der Deutschnationalen wird unverändert angenommen.

Für den Antrag der Rechtsunabhängigen auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusles für die Vorwürfe gegen den Reichs⸗ ernährungsminister Dr. Hermes stimmen nur die drei sozialestischen

teien, der Präsident TLöbe erklärt jedoch unter der Heiterkeit des Hauses den Antrag für angenommen, da für ein solches Verlangen 50 Stimmen genügen. ,

Der Antrag der Kommunisten, die Erklärungen des Reicks⸗ kanzlers zu diesem Etat zu mißbilligen, wird mit großer Mehrheit gegen die Stimmen der Unabhängigen und der Kommunisten ab⸗ gelehnt.

Endlich wird die Entschließung des Ausschusses auf Ausgestaltung der Biologischen Anstalt mit großer Mehrheit gegen die äußerste Linke angenommen.

Es folgt die Interpellation der Abgg. Hergt und Genossen (D. Nat.), die fragt, ob zt Reichs⸗ regierung bekannt ist, daß in den russischen Kriegs⸗ gefangenen⸗ bezw. Internierun gslagern in Deutschland die nichlbolschewistisch gesinnten Ge⸗ fangenen der brutalsten. Vergewaltigung ausgesetzt sind, ohne daß ihnen deutscherseits ein Schutz zuteil wird. Gefrag! wird ferner, ob es zutrifft, daß die Reichsregierung mit Herrn Vigdor Kopp ein Abkommen getroffen hat, wonach sich die deutschen Lagerkommandanten jeglicher Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Kriegsgefangenen zu enthalten haben, und daß an ihrer Stelle von Herrn Vigdor Kopp er⸗ nannte bolschewistische Kommissare mit daelt..r per⸗ fönlicher Machtbefugnis und Disziplinargewalt ausgestattet ind. Weiter wird srase. —s der Reichsregierung bekannt ist,

6 in den russischen . seste bolsche⸗ wistische Heeresverbände aufgestellt und einexerziert werden. Was gedenke die Regierung zum Schutz der vergewaltigten Gefangenen und gegen die unverhohlene bvolschewi stische

Wühlarbeit Vigdor Kopps und seiner Genossen zu tun?

Wortlaule wiedergegeben werden.

*) Mit Ausnahme der Reden der Herren Minister, die „.

Zur Betzeündung der Inlerpellation nimmt das Wort Abg. Henning (D. Nat.); Für Kriegsgefangene gelten die besonderen Abmachungen dahscen Deutschland und Sewia⸗ zußland, wonach eine Lagerzeitung von jeder Seite beraus⸗ gegeben werden darf, aber unter ausdrücklicher Verpflichtung, daß sie nicht zu vrshenseen sondern nur zur Aufklärung in bezug auf den transport der 2927 herausgegeben werden darf. Nach dem Völkerrecht ist es außerdem unmöglich, einen Internierten gegen seinen Willen in sein Heimgtland zurückzu⸗ zefördern. Die Internierten können lediglich als lästige Ausländer zusgewiesen werdeng wenn sie sich danach benehmen, aber in das Land, wohin sie wünschen. Bei uns hat man nun die internierten Kussen nach ihrer Kriegsgliederung in Lagern untergebracht, die Strafgewalt ist den russischen Vorgesetzten übertragen. Die deutschen Lagerkommandanten haben keine Strafgewalt uüͤber die Internierten zekommen, worüber ich mich an zuständiger Stelle informiert habe. Die Stellung der deutschen Lagerkommandanten i auch sonst geradezu unwürdig und unmöglich, sie haben guch keine Strafgewalt über die Wachmannschaften. Als Wachleute über diese vielen Zehn⸗ taufende haben wir nicht einen einzigen Soldaten, sondern Arbeits⸗ lese, die auf Ziwilvertrag angestellt sind (Hört, hört! rechts.) Diese Lute darf der Kommandant nicht entlassen, dann hbekommt er es mit dem Schlichtungsausschuß zu tun, oder er kann sie im ordentlichen rozehwege verklagen. Die Linksparteien haben das in geschickter Weise ausgenützt. Die Wachmannschaften bestehen zu 80 bis 90 % auns Kommunisten. (Hört, hört! rechts.) Es hat sich sogar ein Betriebsrat gebildet. (Lärm bei den Kommunjsten.) In den Laern befinden sich auch Letten und Ukrainer, die nun auch den wssischen Kommissaren untergeordnet sind., Welche Rechtsgrundlage besteht dabei? Wir haben doch eine ukrainische Gesandtschaft? Die Mrainer sind dem Terror der russischen Kommissare ausgesetzt. Fortwährende Zurufe der Kommunisten, die sich um die Redner⸗ süüne zusamniengedrängt haben. Präsident Löbe ersucht, den Faum um die Rednertribüne zu räumen, mit dem Bemerken, daß sie Herren, die die Zwischenrufe machten, doch auch Anhänger der Redefreiheit seien.) Vigdor Kopp hat die Forderung erhoben gegen⸗ iber unseren Behörden, daß alle diejenigen Leute, die früher dem zeistischen Rußland angehörten, den russischen Kommissaren unter⸗ sellt werden. Nun wird von diesen Kommissaren ein unge⸗ jeurer Terror ausgeübt, Aus meinem Material, das der Regie⸗ zung zur Verfügung steht, greife ich nur einige Fälle herwaus. Ich habe eine Masse Briefe von Russen, deren Namen ich aus bestimmten Gründen nicht nennen kann, weil sie sonst den Kom⸗ missaren sofort bekannt werden, wofür auch gewisse Kreise hier im Hause sorgen. (Lärm bei den Kommunisten.) Redner zitiert zu⸗ nächst Stellen aus einem Briefe, den der dentsche Kommandant des Lagers Salzwedel in seiner Verzweiflung an den Landrat gerichtet hat, weil er von den obersten deutschen Behörden auf seine Be⸗ schwerden niemals eine Antwort erhalten hat und niemals Instruktionen,. bekam. Darin heißt es: „Ein Berxicht der Deutschen Zeitung“ über die Zustände im Lager Salzwedel entfpricht voll und ganz den Tatsachen. Ein Terror ohne⸗ gleichen wird von einem russischen General ausgeübt, der im Lager ein Revolutionstribungl errichtet hat. Die Beschwerden der Internierten hat die Leitung des Lagers weitergegeben.“ Dann wird gesagt, daß auf die weitergehenden Beschwerden niemals etwas érfolat ist. Es ist aber die unglaubliche Tatsache eingetreten, daß die Beschwerden und die Listen mit den Namen der Beschwerde⸗ führer den russischen Kommissaren ausgeliefert wurden. (Zuruf rechts: Unerhört!) Die Leute, die diese Listen an Kopp und seine Oraane gegeben haben, womit die Leute, die die Beschwerde erhoben haben, als Nichtbolschewisten denunziert werden, haben das Leben der Familienangehöricen dieser Intemierten auf dem Gewissen. Gerade in letzter Zeit sind Ueberfälle und unglgaubliche Mißhandlungen vorgekommen. Davon habe ich mich sebst im Lager Salzwedel überführt. Diejenigen Leute, die sich weigern, sich zurücktrans⸗ portieren zu lassen, werden nicht nur mit dem Tode bedroht fondern, nachts aus den Betten gerissen und halbtotgeschlagen. Hart, hörtl rechts.) Als dem Kommandanten pon Salzwedel bekannt wwede, daß in der Nacht wieder derartige Mißhandlungen vorkommes wuͤrden, ließ er einen Anschlag machen, worin die Kommissare mit Verhaftung bedroht wurden, und daraufhin haben diese sich gefügt. Aus dem Schreiben des Kommandanten geht hervor, doß sich im Lager ein Revolutionstribungl befindet, das die Internierten zburtelt, die Strafen sollen erst in Rußland vollstreckt werden Im Lager Salzwedel sind nicht weniger als 30 russische Derere von diesem Tribungl abgeurteilt worden. Nun hat der ssche Kommissar Eitow an die Internierten eine Hetzrede gehalten, worin er sagte, die Internierten seien verpflichtet, mit den Uinksradikalen in Deutschland zusammen zu kämpfen und müßten diesen zur Verfügung stehen, nachdem sie ihnen rechtzeitig Waffen ausgeliefert haͤtten. Warum haben die deutschen Beamten da nicht eingegriffen, wavum darf Eitow weiter hetzen? Wenn Leute ihnen unbequem sind, verlangen die russischen Kommissare einfach deren Strafversetzung in andere Lager; die deutschen Behörden unter⸗ uchen nicht einmal die Fälle, sondern willfghren einfach den Russen. Ich habe hier fünf Schreiben im Original von Offizieren, die sich dber solche Fälle beschweren. (Zwischenrufe links.) Ich werde die Originale ber Regierung zeigen, Sie interessiert es nicht. (Ruf links: Fwohl, das intmessiert uns! Ruf rechts; Das simd die mussischen Beaauftracten!) Der Redner bringt eine große Fülle weiteren Mate⸗ rials für die Zustände in den russischen Lagern vor, wird über andauernd von dem Lärm und den Zwischenrufen von der Linken so gestört, daß Präsident Löhe energisch eingreift und er⸗ klärt, daß eine ordnungsmäßige Geschaftsführung so nicht weiterzu⸗ fihren sei, daß jedes Mitglied eine gewisse Selbstzucht üben muß. Der Prisident ruft wegen einer solchen Störung den Abg. Höl lein zur Ordnung. Der Redner fährt dann fort: Der Schweizer Major v. Steiger vom Internationalen Roten Kreuz hat einem Lager⸗ kommandanten mitgeteilt, daß die Nichtbolschewisten bereits bei der Ankunft in Narwa erschossen werden. Die Bolschewisten genießen vollständige Bewegungsfreiheit, sie haben sich organisiert, gehen auf die Dörfer und halten Versammlungen ab, sie machen Umzüge und terro⸗ risieren die ganze Bevölkerung, (Fortgesetzte errgete Zwischenrufe von der äußersten Linken.) Von den Internierten sind Be⸗ schwerden an die Behörden gegangen. Wo sind aber alle die Be⸗ schwerden und die Berichte der deutschen Lagerkomrmandanten geblieben? In dem Schreiben eines russischen Kommissars an einen anderen beißt es, daß die Nichtbolschewisten guf die Transportliste gesetzt werden sollen, damit sie in Rußland späte so bestraft werden können, wie Sowjetrußland solche Leute bestraft. (Förtgesetzter Lärm auf der äußersten Linken.) In einem Schreiben von Sol⸗ daten heißt es, daß sie sich an alle Regierungen und diplomatischen Siellen mit der Bitte gewandt hätten, sie von dem Terror zu⸗ be⸗ freien; sie befänden sich vollständig in den Händen der Kommunisteg; der deutsche Kommandant lehne es ab, zu helfen, das widerspreche den Versprechungen, die ihnen beim Uebertritt in Ostpreußen ge⸗ macht worden 15 Man erkläͤve ihnen, daß sie nicht berechtigt seien, die Rückreise nach Rußland zu verweigerg. Das schreiben 150 Soldaten. (Erregte Widersprüche auf der ußersten Linken) Das schreiben einfache Soldaten aus den Lagern, Sie können sich davon überzeugen. Die e e. brüsten sich immer damit, die deutschen Behörden hinter ihnen ständen. (Hört, hört! rechts. Von den Kommissaren und von den deutschen linksstehenden. Parteien sind Aufrufe verbreitet, die die Leute aufforderg, einen Linksrutsch u unterstützen, der in nächster Zeit zu erwaxten sei. (Lärm links. Abg. Arolf Hoffmann: Wann wünschen Sie den Putsch⸗), Die deutsche Regierung müßte die Leute unter ihren Schutz stellen und sie getrennt von den Bolschewiken in besonderen Lagern unterbringen. die roten Formationen in den Lagern bilden eine Gefahr, 46 wird hon davon geredei, daß sie demnachst mit den deutschen Genossen hulter an Schulter kämpfen würden. Es liegt der Verdacht vor, der General Geier unter anderem Namen heute noch in Deutsch⸗ land berumreist und Brandreden hält. Ich bitte, diesen Mann endlich sortzuhringen. Es jst interessant, wie die deutschen Kommunisten diese Tätigkeit unterstützen. Kennen Sie (zur äußersten Linken) nicht eine russische Sektion bei der Kommunistischen Partei in Berlin? Ein deutscher Unteroffizier, der russisch spricht, hat über die Aufreizungen gegen Deutschland in einer solchen Ver⸗

Kommunisten, die sich abermals um

sguelung ein Protokoll verfaßt. ch habe hier Schreiben und Proklamationen, die aufreizen und Waffenlieferungen versprechen, die unterzeichnet sind von per russischen Sektion bei der Deutschen Kom⸗ munistischen Paxtei. Darin wird u. a. von der Erregung von Auf⸗ ständen in den Interniertenlagern gesprochen. Unsere Linksradikalen grbeiten also mit den Bellchewiki in den Lagern zusammen, und ich könnte Ihnen dafür noch Tutzende von Beispielen beibringen. Nach⸗ dem unsere Interpellation gekommen ist, ist man so eilig mit der Verleihung der Strafgewalt an die Kommandanten vorgegangen, daß man sich nicht mal die Zeit genommen hat, sie zu umgrenzen. Am 2, Dezember wurde dem Lagerkommandanten von Salzwedel auf seine Frage mitgeteilt, daß der betreffende russische General nach Rußland abgefahren sei. Ist dies richtig, dann handelt es sich um einen Neutralitätsbruch. (Fortgesetzte erregte Zwischenrufe der ommuni die Rednertribüne drängen. Vizepräsident Dr. Bell ersucht abermals, die Zwischenrufe zu unter⸗ lassen, namentlich wenn sie in unmittelbarer Nahe der Stenographen gemacht würden und diesen ihre Tätigkeit erschwerten.) Wir haben kein Recht, einseitig Internierte an Rußland zurückzugeben. Kurze Zeit nachher hat aber dieser selbe General in Frankfurt a. M. an einer Sitzung der Kommunistischen Partei teilgenommen. (Großer Lärm bei den Kommunisten.) Der Lagerkommandant von Salzwedel ist entfernt worden, weil er Ihnen (zur Regierung) unbequem war, einer Regierung, die seit Monaten diese Dinge geduldet hat. Gestern waren hier zwei Russen im Hause, von denen der eine durch Schle⸗ singer, der andere durch mich eingeführt war. Der letztere, obwohl er einen regelrechten Paß hatte, wurde guf Betreiben Schlesingers aus dem Hause gewiesen. (Rufe rechts: Unerhört!) Wenn ein Abgeord⸗ neter jemand einführt, so steht der Eingeführte doch unter dem Schutz des Präsidenten. (Großer Lärm bei den Kommunisten, die den Redner fortwährend mit erregten Zwischenrufen unterbrechen, so daß er zu⸗ nächst nicht peitersprechen kann. Vizepfäsident Dr. Bell hittet dringend um Ruhe und schwingt unaufhörlich die Glocke. Der Lärm dauert aber fort, und es erschallen bei den Kommunisten Rufe: Frech⸗ heit! Unerhört! Vizepräsident Dr. Bell schwingt unaufhörlich die Glocke, bis es ihm schließlich gelingt, die Ruße wieder herzustellen, wobei er bemerkt, daß das Verfahren der äußersten Linken nicht der Würde des Hauses entspreche.) Sie 8 .d. Komm.) sind ja alle Bolsche⸗ wiken. Ich bin der einzige, der die bo spemwistische Wirtschaft gesehen hat, ich bin 10 Monate in Petersburg und Moskau gewesen und kenne alle diese Herren, Lenin, Trotzki usw. (Erneuter großer Lärm b. d. Komm. und S ere Ich weiß, was ein Einbruch der Bolschewisten in Deutschland bedeutet, und wenn Sie mix mit Zwischenrufen kommea, so kann ich mich auf eigenen Augenschein berufen, und hier im Angesicht des deutschen Volkes muß ich jenen Herren die Maske vom Gesicht reißen. Großer Lärm b. d. Komm.) Schlesinger scheut sich nicht, in zweifelhaften Lokalen muit bolsche⸗ wistischen Kommissaren zusammenzukommen. (Großer Lärm b. d. Komm.) Vigdor Kopp bes seine Verpflichtung nicht gehalten, daß er hier keine Propaganda treiben darf, seine offiziellen Kommissare reisen überall umber, um gegen die deutsche Regierung aufzureizen. (Erneuter Lärm b. d. Komm.) Dafür ist der Minister verantwort⸗ lich. Auch wir wollen keine Verschärfung des Loses der deutschen Gefangenen in Rußland, wenn wir auf die Verletzung des Völker⸗ rechts hinweisen. Vigdor Kopp aber darf drohen, daß die deutschen Gefangenen nicht zurückkehren. Wir haben die Pflicht, unser Vater⸗ land vor solchem Treiben zu bewahren. Alles, was die Interpellation enthält, ist Wort für Wort wahr. (Lebhafter Beifall rechts.)

Vizepräsident Dr. Bell: Der Abg. Henning hat einen Fall mitgeteilt, wonach die Sitzungspolizei von einem Unbeteiligten ausgeübt sein soll. Ich werde Peranlassung nehmen, daß das untersucht wird. Selbstverständlich darf die Sitzungspolizei hier von niemand anders ausgeübt werden als vom Präsidium des Reichstags. (Zuruf rechts: Nicht von Schlesinger!)

Reichsminister der Finanzen Dr. Wirth: Meine. Damen und

Herren! Es ist vorhin geltend gemacht worden, daß ernste Sorge

der Grund gewesen sei, diese Interpellation einzubringen. Ich will dem Recht geben; aber dann darf ich auch darauf hinweisen, daß, wenn ernste Sorge der Grund war, diese Frage hier vorzubringen, diese ernste Sorge auch die ganze Debatte beherrschen muß. Jedes unvor⸗ sichtige Wort, das heute gesprochen wird, wird das Los der mehr als 5000 Kriegsgefangenen, unserer deutschen Brüder, die unter der Sowjetrepublik leben, erschweren. (Sehr richtig! links.) Ich meine deshalb, daß diese Frage in ruhigster Sachlichkeit und leidenschafts⸗ lofer Erwägung behandelt werden muß. Ich darf vorausschicken:

Im Laufe der Monate August und September dieses Jahres sind

bekanntlich aus Anlaß der kriegerischen Ereignisse im Osten über 50 000 Angehörige der russischen Sowjetarmee in Ostpreußen über die Grenze getreten. Die Verpflegung, Unterbringung und Bewachung dieser Truppenmengen bereitete den militärischen und bürgerlichen Be⸗ hörden große Schwierigkeiten, und die Bevölkerung fühlte sich durch sie beunruhigt. Da zudem nach internationalem Recht ihre Inter⸗ nierung in gehöriger Entfermnung von der Landesgrenze geboten war, mußten sie schleunigst nach dem Innern Deutschlands abbefördert werden. Hier standen zu ihrer Internierung lediglich die Lager der ehemaligen russischen Kriegsgefangenen, die nach Abbeförderung ihrer Insassen zum Teil schon aufgelöst waren, zur Verfügung.

Diese Lager unterstanden dem Heeresabwickelungshauptamt. Das ist die Vereinigung der ehemaligen Kriegsministerien der deutschen Heereskontingente. Es hätte nahegelegen, diese Internierungslager, die mit dem alten Heere nichts mehr zu schafffen hatten, nunmehr dem Reichswehrministerium zu unterstellen. (Sehr richtig! rechts.) Da aher dieses Ministerium nicht über den erforderlichen Verwaltungs⸗ apparat verfügte, und da insbesondere auch während der Periode der Neubildung des Heeres und seines Abbaues bis auf den Stand des 100 000⸗Mann⸗Heeres die Gestellung militärischer Bewachung nicht möglich war, übernahm das Heeresabwicklungshauptamt zunächst die Verwaltung der Lager. Sie sehen also, daß das aus der Not heraus geschehen ist. Diese Behörde verfügte aus der Kriegszeit über die nötigen Erfahrungen auf diesem Gebiete. Ich erinnere an die zahl⸗

ichen feindlichen Kriegsgefangenen und die internierten griechischen Armeekorps. Auch konnte der zum Teil bereits abgebaute Ver⸗ waltungsapparat der Lager ohne allzu große Schwierigkeiten wieder ergänzt werden. Da die Reichswehrtruppen und die Sicherheits⸗ polizei wegen zu geringer Stärke eine Verstärkung der Wehrmacht aus diesem Anlaß hat die Entente abgelehnt (hört, hört! rechts) die Bewachung der Lager nicht übernehmen konnten, kamen als Be⸗ wachungsmannschaften nur Zivilpersonen in Frage⸗ Man wählte hierzu möglichst nur solche Leute, die im Heere gedient hatten. Auf diese Weise sind die internierten russischen Truppen unter die Obbut des Reichsabwicklungskommissars und des ihm übergeordneten Reichs⸗ finanzministers gekommen. Sie dürfen glauben, daß die Verant⸗ wortung dafür zu übernehmen nicht etwa von uns erstrebt worden ist, sondern aus der Not der Lage heraus ist das dem Heeresabwicklungs⸗ amt zugeschoben worden. Daß bei dieser Regelung der Internierten⸗ frage große Schwierigkeiten zu überwinden und daß auch Unzuträg⸗ lichkeiten nicht immer zu vermeiden waren, liegt auf der Hand.

Hierbei ist noch zu bedenken, daß die Reichsreglerung von vorn⸗ herein nicht mit einer längeren Dauer der Internierung gerechnet hat, Nachdem sich herausgestellt hat, daß der endgültige Abschluß des Friedens zwischen Rußland und Polen sich noch längere Zeit hin⸗ zögern kann, ist alsbald eine Reihe von Maßnahmen getroffen worden, die die Verhältnisse gebessert haben. Zudem hat das Kabinett bereits

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vor Eingang der Interpellation, nachdem die Umbildung des Heeres nahezu durchgeführt ist, eine Uebernahme der Zuständigkeit auf das Reichswehrmintsterium in Aussicht genommen. Die Uebernahme wird in nächster Zeit erfolgen. Dabei werden die Bestimmungen über die Behandlung der Internierten und die Abmachungen mit der Somwjet⸗ republik über die gegenseitige Behandlung der Kriegsgefanengen in vollem Umfange beachtet werden.

Zu den von dem Herrn Interpellanten gestellten Fragen werde ich im einzelnen selbst nicht Stellung nehmen. Der Herr Stagats⸗ sekretär Grzesinski wird Anlaß nehmen, die Einzelheiten zu be⸗ sprechen. Ich darf mir aber wenige Worte gestatten. Meine Herwen, nicht als ob ich in dem Augenblick die zufällig dem Reichsfinanz⸗ minister zugefallene Vervantwortung ablehnen wollte, gar nicht. Für das, was geschehen ist, was Sie hervorgehoben haben, sofern es meine Verantwortung berührt, bin ich selbstverständlich bereit, auch die Ver⸗ antwortung zu tragen. Zunächst ist es aber notwendig, die Herren zu hören, die im Heeresabwicklungsamt bisher dafür die Verant⸗ wortung übernommen haben, und da kann ich dem Interpellanten nicht ersparen, ihm eines zu bemerken.

Geführt sind die Geschäfte, ich glaube, fast in allen Einzelbeiten, die erwähnt worden sind, von ehemaligen Offizieren, die sich im Kriege bewährt haben. (Hört, hört! guf der äußersten Linken.) Ich kenne eine Anzahl dieser Herren, die sich außerordentlich verdient gemacht haben. Geführt sind aber auch, was insbesondere die Rückführung unserer Kriegsgefangenen aus dem Auslande nach Deutschland angeht, die Geschäfte von Herren, die sich, glaube ich, der Dankharkeit des ganzen deutschen Volkes versichern müssen. Es ist ganz Hervorragendes geleistet worden. Meine Herren, ich bin mit Herrn Schlesinger nicht verwandt, nicht verschwägert; ich habe den Mann zufällig kennen ge⸗ lernt. (Zuruf rechts: „So sehen Sie auch nicht aus!) Aber, Herr Abgeordneter von Graefe, das darf ich Ihnen sagen, auch eine Re⸗ gierung muß gegenüber einem Mann, der angegriffen worden ist, die Pflicht der Dankbarkeit tragen, und was die Frage der Zurückführung der Kriegsgefangenen aus Rußland nach Deutschland angeht, hat Herr Schlesinger sich ganz horvorragende Verdienste erworben. Das muß anerkannt werden (sfehr richtig! bei den Soz. und der V. K. P.). mögen Sie dem Mann gegenüber denken wie sie wollen! Ich weiß seine politische Stellung nicht. (Rufe rechts: Das ist eine andere Frage.) Das ist eine andere Frage! Aber die Tatsache steht fest, daß er in der Zurückführung der Kriegsgefangenen aus Rußland 8 ganz ausgezeichnet gearbeitet hat. Wenn Sie des näheren wisten wollen, welche dornenvollen Aufgaben zu erfüllen waren, dann fragen Sie unseren Kollegen Stücklen, der sich in dieser Sache in den letzten zwei Jahren ganz vorzügliche Kenntnisse zugelegt hat.

Ich frage noch ein weiteres. Der Herr Interpellant hat die Entfermung einer Anzahl Herren aus dem Heeresabwicklungsamt ge⸗ fordert. Wenn Sie alle, die einmal an einem Trinkgelageg teilge nommen haben, aus ihren Aemtern entfernen wollten, würde in Deutschland ein großes Reinemachen losgehen. (Sehr richtig! und Heiterkeit.) Das ist noch kein Anlaß, Beamte aus ihren Aemtern zu entfernen. Ich kanm es nicht billigen, daß, ehe die zuständigen Herren darüber unterrichtet worden sind, wegen einer solchen Lappalie hier ein Interpellation begründet werden muß. Das kann ich nicht verstehen. (Lebhafter Widerspruch bei den⸗D. Nat.) —Ja, jetzt werden Sie aut einmal wieder entrüstet. Ich stelle nur sest (Zuruf von den D. Nat.: Das ist doch keine Lappalie!) Ich habe kein Wort von Lappalie wegen der allgemeinen Angelegenheit gesagt, sondern ich habe nur zurückgewiesen, daß die Interpellation versucht, daß man derartig Lappalien heranzieht, wenn es sich, wie Sie (zu den D. Nat.) be⸗ haupten, um eine große ernsthafte Sache handelt. (Sehr richtig! links.) Ich kann nicht zugeben, daß durch die Interpellation allein schon vachgewiesen ist, daß man vier oder fünf Herren, die im Heeres⸗ abwicklungsamt an hervorragender Stelle tätig sind, von heute auf morgen entfernen muß. 1

Mein Nachbar zur Rechten, Herr Staatssekretär Grzesinski, i

verantwortlich für das Heeresabwicklungsamt; er wird Rede und Antwort stehen, und wir werden deß Verlauf der Interpellation a. warten. Ich bin bereit, das Material, das Sie gegeben haben, zu prüfen, soweit ich in der Sache zuständig hin. Sie haben auch ge⸗ hört, daß das Reichswehrministerium die Sache in die Hand Jehmen will. (Zuruf links: Das ist die richtige Behördel Zuruf bei de Deutschnationalen: Dem Finanzministerium habe ich keinen Vorwu gemacht!) Ich stelle nur fest, wie alles gegangen ist. Ich muß auch dem Herrn Vorredner widersprechen, wenn er von einer geheimen Kabinettssitzung gesprochen hat. Eine solche Sitzung hat nicht stattgefunden, sondern es handelte sich um eine Chef⸗ besprechung, wo diese Angelegenheit erörtert worden ist. Ich stehe nicht an, zu erklären, daß der oder die Betreffenden, die aus dieser Chefbesprechung Einzelheiten weiter gegeben haben, ihre Pflicht gröblich verletzt haben, (Lebhafte Zurufe. Glocke des Präsidenten.) Ich habe festgestellt, daß die Reichsregierung bereit ist, das Ma⸗ terial sorgfältig zu prüfen, und ich habe weiter festgestellt, daß wir uns der Verantwortung nicht entziehen, und das Heeresabwicklungs⸗ amt Gelegenheit bekommt, durch den Herrn Staatssekretsr Grzesinski die Einzelheiten der Interpellation zu Beantworten. (Bravo! im Zen trum.)

Staatssekretär Grzesinski; Es ist eigentümlich, daß wir mit einer Flut von Angriffen überschüttet werden, die nicht erörtert werden können, weil wir nicht die andere Seite gehört haben. Der Interpellant hätte sein Material der Regierung vorlegen können,

ofern er die Abficht hatte, bessernd einzugreisen. (Hört, hört! links.) Die angegriffenen Beamten haben in jeder Weise ihre Pflicht getan. Die pielen Tausende deutscher Kriggsgefangenen und das dentsche Paterland müffen diesen Herren danken, daß der Abtransport unserer Gefangenen gus erreicht ist. e semeu rechts.) Ich

muß es ablehnen, mich von Ihnen zur Sache rufen zu lassen. Der Interpellant hat, die Internierten und die Kriegsgefangenen oft ducheinandergeworfen. Die Kriegsgefangegen bilden den Rest der ursprünglich 1,4 Millionen umfassenden Kriegsgefangenen der alten russischen Armee, die im Kriege in unsere Gewalt gekommen sind. Deren Heimtransport wurde im vorigen Jahre durch die Entente zeitweise unterbrochen und konnte erst im letzten Mai wieder auf⸗ genommen werden. Der Abtransport erfolgte über die Ostsee, und auf demselben Wege werden die deutschen Kriegsgefangenen gus Rußland befördert. Die Grundlage sür den Austausch bildet unser Abkommen mit der Sowjetregierung vom 9. Aprik 1020, das von der Nationalversammlung ieponisft ist. Im allgemeinen perläuft der Ahbtransport der Russen ziemlich glatt. Non den fechfen befindet sich ein Teil in Lagern, ein anderer in Arbeits⸗ sten en, eine Anzahg geht frei umber, und deren Verhalten uf en Arbeitsplätzen lst Gegenstand der Interpellation. Innerhalb vier

Monaten werden die gesamten kessen aus Deutschland furscheühet

ndwirtschaftlichen Arbeitge

Zunsch der landwir rrbeitgeber ist ein Teil der Kriegsgefangenen der vandwfütsthaft zur Verfügung ge⸗ stellt. In den Richtlinien dafür ist bes die Krieggs⸗

werden können. Auf

immt, de gefangenen gegenüber den decsge Arbeitern keine i Fnta ein