1921 / 127 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 03 Jun 1921 18:00:01 GMT) scan diff

v1116 89 sagen braucht. Das Schlimmste ist, daß die Regierung ni - st, daß gierung nicht sofort das Verlangen gestellt hat, daß sofort die Sanktionen aufgehohgn werden, die noch immer bestehen. Wir haben kein Wort über F. Politik der Regierung gegenüber den Verhandlungen zwischen England und Amerika und den Vorgängen zwischen Feeeg und England gehört. Das sind weltpolitische Ereignisse erster Ordnung. Frankreich setzt den Krieg gegen Deutschland fort, will Deutschland politisch und wirtschastlich niederreißen. Auch England ist unser eind. ie wirtschaftlichen Interessen Englands bilden die Grundlage für alle seine Politik, England hat immer Realpolitik ss niemals eine Politik der Freundschaft oder des Hasses. Als eutschland zur Unterschrift bewogen werden sollte, gab England Frankreich nach und überließ Frankreich die Leitung der Politik; sobald aber die Unterschrift geleistet war, traten die wirtschaftlichen Uteressen wieder in den Vordergrund, die es nicht zu⸗ assen können, daß das Ruhrgebiet in den Besitz 8 kommt und dadurch die englische Wirtschaft gefährdet wird. Da rief Lloyd George den Franzosen sein quos ego nu. Die Verhandlungen zwischen En land und Amerika haben das Ziel, die Gegensätze Senne. beiden Ländern wenigstens vorläufig auszugleichen. Von diesem Moment an war für England die Bundesgenossenschaft Frankreichs nicht mehr so bedeutend und Lloyd geer Keen⸗. seine Maske fallen lassen und wieder kair play gegenüber Deutschland erklären. Wir haben auch vom Reicha anler kein Wort über die österreichische Frage ehört, die alle Deutschen auf tiefste berührt (sehr richtig! rechts), au kein Wort über die Beziehungen Deutschlands zum Osten. Die deutsche Politik darf nicht immer die Politik den anderen sein Deutschland arf nicht immer nur Objekt der internationalen Politik sein. (Sehr richtial rechts.) In bezug auf die Wirtschaftspolitik waren auch die Vertreter der Arbeiter und der freien Berufe einmütig der Ansicht, daß die Forderungen der Entente völlig unannehmbar seien. Im Reichstag erklärte der Abgeordnete Müller⸗Franken unter dem Beifall der sozialdemokratischen Fraktion, daß eine deutsche Regierung sich nicht finden würde, die die damaligen Vorschläge der Entente unterschreiben würde, daß eine solche Regierung weder das Vertrauen des Inlands noch des Auslands verdiene und sich einer Unwahrheit schuldig machen würde (hört, hört! rechts), daß die zweiundvierzig Jahresleistungen die Leistungsfähigkeit des Volkes übersteigen. (Hört, hört! rechts.) Was jetzt unterschrieben ist, gehe noch weit über das Pariser Diktat hinaus. Diese Stimmung war auch im größten Teil der Parteien des vorhanden, und ein Umschwung vollzog sich erst durch die Verhandlungen mit Darstellungen der Verhältnisse, Auch der jetzige Minister Rathenau erklärte im „Berliner Tageblatt“ die Forderungen für unannehmbar, weil Deutschland nicht versprechen könne, was es nicht leisten könne. Wir erwarten, daß Herr Rathenau uns seinen Gesinnungswechsel deutet. Die Regierung muß uns erklären, wie sie die Bestimmungen des Ultimatums ausführen will. Der Reichskanzler hat darüber viele Worte gemacht, aber obwohl er auch noch Reichsfinanzminister ist nicht eine einzige Zahl enannt, auch keine Aufklätung darüber gegeben, wie er sich die zufbringung der Zahlungsmittel denkt. Bei den jährlichen Ver⸗ pflichtungen Deutschlands sind überdies nur die Reparationskosten in Betracht gezogen, nicht aber die hohen Besatzungskosten. Urser Handelsbilanz im abgelaufenen Jahre ist passiv gewesen. Unsere Wirtschaft muß Goldwerte schaffen, Papiermark dürfen wir unseren Gegnern nicht anbieten, deshalb ist die Lösung des Problems nicht auf dem Wege der Steuern zu erwarten, sondern auf dem Wege der Volkswirtschaft. (Sehr richtig! rechts.) Man darf nicht so vorgehen, daß man den ganzen Produktionsapparat zur Deckung des Bedarfs der ersten paar Jahre auflöst und zerschlägt, wie sollen da in der Zukunft, die weiteren Aufgaben gelöst werden können. Das Programm des Reichskanzlers gipfelte in die Worte: Verständigung, Wieder⸗ aufbau, Versöhnung! Als Worte genommen, können wir diesem zu⸗ stimmen, das Programm hat diese Devise aber wieder aufgehoben. Er hat davon gesprochen, die Annahme des Ultimatums habe uns

eine feste Bahn für die Zukunft gegeben, eine neue Zeit breche für

uns an. Weite Kreise unseres Volkes haben die Auffassung, daß wir am Grund und Boden angelangt sind, und daß wir in den Sumpf, in den wir geführt worden sind, mit dem Aufbau beginnen Die Wechsel aus dem Versailler Vertrage müssen ein⸗ gelöst werden, dabei wird sich zeigen, in welches furchtbare Elend diese Unterschriften das gesamte deutsche Volk, Unternehmer wie Arbeiter, hineingeführt haben. Der Reichskanzler hat einen Appell an alle Gutgesinnten gerichtet, mitzuarbeiten, daß Deutschland wieder in die Höhe komme. Unserer ist vorgeworfen worden, daß sie alles das, was zur Erfüllung der Leistungen notwendig sei, hinter⸗ treiben wolle, daß sie sich um die Steuern herumdrücken wolle. Nichts von dem ist wahr. (Sehr richtig! rechts.) Wir denken nicht daran, Sabotage zu treiben und uns der Steuer zu entziehen. (Lachen links.) Wenn die Regierung uns einen Weg zeigt, wie die über⸗ nommene Last getragen werden kann, ohne unsere Gesamtwirtschaft auszuhöhlen und das Volk in tiefstes Elend zu stürzen, dann sind wir bereit, diesen Weg mitzugehen. Der Reichskanzler hat dabei auch einen Appell an den Reichswirtschaftsrat gerichtet. Wenn der Reichswirtschaftsrat an der Erreichung des Zieles mitarbeiten soll, dann muß er aber auch von der Reichsregierung anders behandelt sein, als bisher, seine Gutachten sind noch nicht einmal dem Reichs⸗ tag mitgeteilt worden. Wir glauben nicht an die Möglichkeit der Erfüllung des Ultimatums. Das ist der Punkt weshalb wir ihn abgelehnt haben. Herr Wels hat den Abgeordneten Dr. Hergt als Propheten bezeichnet. Ich fürchte, daß der Ein⸗ 8488 doch kommen wird, wenn man uns vorher bis auf Hemd ausgezogen hat, weil wir Unmögliches versprochen haben. Das Ultimatum bedeutet für uns dauernde Lohnsklaverei, die um so schärfer empfunden werden wird, als wir die Schuldner nicht nur unserer Gegner, sondern der ganzen Welt sein werden. (Sehr richtig! rechts.) Wir werden in Zukunft in der ganzen Welt keinen Bundesgenossen mehr finden, es wird heißen, du hast unterschrieben, du mußt zahlen. Es hat sich ja schon gezeigt, welch verhänanisvoller Umschwung sich in Amerika für uns ergeben hat. Nach unserer Unterwerfung ist der Gedanke, mit uns einen besonderen Frieden abzuschließen, hinfällig geworden. Die von dem Reichskanzler angedeuteten neuen Steuerquellen sind von größter Bedeutung für unsere ganze Wirtschaft. Er hat von der 26 prozentigen Ausfuhrabgabe gesprochen in einer l die auch Herr Wels als nicht klar genug beanstandet hat. Er hat gesagt, daß diese Ausfuhrabgabe nicht auf die Dauer rück⸗ vergütet werden könne. Wenn aber Herr Wels von einer gegen⸗ seitigen Unterstützung des internationalen Kapitals in diesem Zusammenhang gesprochen hat, gegen die die deutsche Regierung Front machen müsse, so wissen wir nichts von internationalen Abmachungen dieser Art. ir wollen mit derartigen Machen⸗ schaften des internationalen Kapitals nichts zu tun haben. (Sehr richtig! rechts.) Wenn der Reichskanzler von der Erhöhung und dem Ausbau der direkten Steuern gesprochen hat, so fürchte ich, wird die Enttäuschung nicht ausbleiben. Eine erhöhte Grund⸗ steuer würde gerade den Mittelstand außerordentlich schwer treffen und Witwen und Waisen auf die Straße setzen. Der da ange⸗ deutete Weg dürfte nicht zum Ziele führen, auch die Mietsteuer, wäre ein Tropfen auf den heißen Stein, der Bogen sollte nicht überspannt werden. Nähern wir den Inlandskohlenpreis dem Welt⸗ marktkohlenpreis an, so wird unsere Industrie Fentarves pezichi. Der neue Etat schließt mit weiteren neuen Milliarden Schulden ab. Die ganze Mißwirtschaft ist hervorgerufen durch die heillose Ver⸗ wirrung, die durch das Gegeneinanderarbeiten der Reichs⸗ und Landessteuerbehörden zustande gekommen ist. Wie denkt sich der Reichskanzler die Möglichkeit aus dieser bisherigen Mißwirtschaft herauszukommen, nur eine Planwirtschaft kann wieder Klarheit schaffen. Wir werden nie bie Hand dazu bieten, die ganze Wirt⸗ schaft zum Zusammenbruch 5 führen, die das Henae Volk in das tiefste Elend bringen muß. Nun zum Wirtschaftsprogramm! Daß die Landwir chaft auf die höchste Produktion eingestellt werden muß, diese Forderun erhebt die Landwirtschaft seit vielen Jahren. (Sehr richtig! —:) Das ist die Lebensfrage des deutschen Volkes. Die Zwangzwirtschaft muß darum schnellstens obgebaut werden, alle anderen Hindernisse müssen beseitigt werden, vor allem die sinnlose Anwendung des Achtstundentages auf dem Lande. Die Landwirtschaft muß arbeiten, wenn die Sonne scheint, dann kann sie ihre Produktion steigern. Da sefhere prenfische b hat eine unheilvolle plitterung in

8 8 Landwirtschaft hineingetragen. Wenn man der Landwirtschaft jetzt eine neue Belastung durch eine Hypothek von 300 % des Friedenswertes auferlegt, kann die Landwirtschaft nicht produ⸗ zieren; dann ist jede Intensivierung unmöglich. Ich rufe den Herren der Regierung zu: Untergraben Sie nicht die Landwirt⸗ schaft, sonst untergraben Sie die ehistenz von Hunderttausenden. Mit der weiteren Ausnutzung der Bodenschätze sind wir einver⸗ standen, aber dann verlangen wir eine andere Einstellung der Arbeiterschaft, vor allem die Wiederaufnahme der Ueberschichten, durch deren Fortfall die Kohlenproduktion bedeutend vermindert ist. Wenn nach dem Reichskanzler die deutsche Volkswirtschaft sich auf Höchstleistungen einstellen soll, so ist dazu eine Plan⸗ wirtschaft gewiß nicht der richtige Weg, denn Schematisierung und Produktionssteigerung sind unlösbare Widersprüche. Wir haben pesehen, wie die Zwangswirtschaft die Landwirtschaft geschädigt hat. Industrie und Landwirtschaft müssen sich frei entwickeln können. Gewiß müssen wir ein Industriestaat und ein Agrar⸗ staat sein. Die Mahnung, daß die Landwirtschaft und die Industrie sich nicht ve. sollen, ist nicht angebracht, es hat niemals Feindschaft zwischen ihnen bestanden; wir hoffen nur, daß die Landwirtschaft und die Industrie nicht gemeinsam F zwungen sind, die Regierung als feindlich anzusehen. 1 r richtig! rechts.) S berschlesien hat die Regierung nur Worte ehabt, aber jede Tat ist ausgeblieben. Lloyd George hat Deutsch⸗ and gesagt, er könne nicht helfen, es solle sich selber helfen. Aber weniger als nichts ist geschehen. Die opferbereiten und todes⸗ mutigen Männer aus ganz Deutschland, besonders aus Bayern und Württemberg hat man zurückgewiesen, und die Regierung hat sich nicht enblödet, sie als Bandenunwesen zu bezeichnen. (Hört! Hört! Große Unruhe; Zwischenrufe rechts und links.) Wir haben in Süddeutschland kein so fischblütiges Volk, um mitanzusehen, wie Hunderte von Volksgenossen hingemordert werden. Die Haltung der Regierung war nicht politisch, nicht staatsklug (Ruf rechts: Nicht menschlich!); vor allem nicht vaterlandsliebend (Sehr richtig! rechts.) Setzt Ihr nur das Leben ein, so wird Euch das Leben gewonnen sein. (Aba. Ledebour: Setzt nur das Leben der anderen ein!) Deutschland wurde der Friede versprochen, wenn es nur die Demokratie einführe, aber die deutsche Demokratie ist noch viel schlechter behandelt worden. (Sehr wahr! rechts; Unruhe links.) Der nationaͤle Gedanke ist in der Demokratie leider in einem wilden Chaos verloren gegangen. Der nationale Gedanke in Frankreich hat nicht zur Demokratie, sondern zum Imperialismus geführt. Es hat mich gefreut, daß der Kanzler den aufrechten Männern in 1b Aber es fehlt jeder rechtliche Grund zur Auflösung der Einwohnerwehren in Bayern und zur Auflösung der Orgesch. Die Artikel 177 und 178 des Friedensvertrages sind in dieser Beziehung ganz klar. Es handelt sich hier um einen Einariff in die Verfassung. (Beifall rechts.)

Reichsminister für Wiederaufbau Dr. Rathenau: Meine Damen und Herren! Die Erwähnung meines Arbeitskreises und meiner Person durch den Herrn Reichskanzler gibt mir Anlaß, Sie um Gehör für einige Worte zu bitten. Dieser Wunsch wird bestärkt durch die Ausführungen des Herrn Vorredners, auf die ich mir erlauben werde, zurückzukommen.

Sie werden heute von mir weder ein Programm, noch einen Bericht erwarten dürfen. (Zuruf rechts: Erwarten wir wohl!) Es ist zu früh, Sie werden ihn bekommen. Der Arbeitskreis, in den ich mich einzuleben habe, ist groß, und es würde mir nicht eine Informationszeit von einigen Tagen genügen, um verantwortlich vor Sie hinzutreten. (Sehr gut! links.) Ich wünsche diesen Arbeits⸗ kreis aufs tiefste zu studieren, bevor ich das Recht von Ihnen erbitte, diesem hohen Hause Rechenschaft zu geben von dem, was geschehen ist, und von dem was geschehen soll. (Zuruf rechts: Was geschehen ist, ist zu spät!) Rechnung gibt man immer nur, wenn etwas geschehen ist.

Meine Damen und Herren! Leicht ist mir der Entschluß nicht geworden, mich an diese Stelle zu begeben. Es ist kein leichter Augenblick, wenn man mit einem Federstrich sich von einer großen Anzahl von Wirtschaftsgebilden trennen muß, mit denen man eng verwachsen war, die man hat errichten helfen oder errichtet hat und mit deren Gedeih man verknüpft war. Aber dieser Entschluß war leichter als der, sich zur Verfügung zu stellen für eine große, unüber⸗ sehbare Aufgabe, die nicht von uns selbst, sondern von anderen in ihrem Umfang hestimmt wird.

Es war auch nicht leicht für einen Außenstehenden, in vor⸗ gerücken Jahren sich denjenigen Stellen zu nähern, wo die Hoch⸗ spannungsmaschinen der Politik demjenigen, der mit ihrer Kon⸗ struktion und Wirkungsweise nicht genau vertraut ist, Schwierigkeiten bieten.

Was mir den Entschluß erleichtert, ist in erster Linie die Er⸗ wägung, daß das Arbeitsgebiet kein politisches ist. Nicht als Mit⸗ glied einer Partei bin ich vom Herrn Reichskanzler berufen worden. Ich entnehme dieser Tatsache das Recht, den Aufgabenkreis so un⸗ politisch zu halten, wie nur immer möglich. (Zuruf von den Ver⸗ einigten Kommunisten: Also nicht Rathenau, sondern Ratemal!l Heiterkeit.) Nein, das ist sachlich. Wenn es sich darum handelt, einen Arbeitskreis zu erfüllen, der in erster Linie ein organisatorischer, technischer und wirtschaftlicher ist von nationaler und internationaler Bedeutung, so ist das kein Aufgabenkreis, der dem eigentlichen poli⸗ tischen Gebiet entspricht, sondern der sich weit mehr nähert demjenigen Gebiet, auf dem ich bisher gearbeitet habe, nämlich dem privat⸗ wirtschaftlichen und industriellen. Es ist keine Besorgnis vorhanden, daß dieses Arbeitsgebiet sich verquicken wird mit solchen Begriffen, wie wir sie unter Kriegswirtschaft verstehen. Ich bin kein An⸗ hänger weder der Kriegswirtschaft, noch der Zwangswirtschaft. Ich bin nicht der Schöpfer der sogenannten Kriegswirtschaft, sondern ich bin der Schöpfer und Organisator der Kriegsrohstoffabteilung des Preußischen Kriegsministeriums. Als solcher habe ich die Aufgaben erfüllt, die mir damals gestellt worden sind, und diejenigen, die da⸗ mals die Verantwortung trugen, haben bezeugt, daß ohne diese Or⸗ ganisation der Krieg überhaupt nicht zu führen gewesen wäre. Ich bin aber nach achtmonatiger Tätigkeit aus diesem Wirkungskreise zurückgetreten, nachdem die Organisation geschaffen war, und habe das Amt und die entstandenen Rohstoffgesellschaften einem der be⸗ währtesten Offiziere als meinem Nachfolger übergeben, der sie in vor⸗ bildlicher Weise und zum Wohle des Landes weiter nach denselben Prinzipien verwaltet hat. Weder mein Nachfolger, noch ich selbst habe jemals etwas zu tun gehabt mit staatlichen Vergebungen, mit dem Ernährungswesen oder mit irgendetwas, was sonst unter dem odiösen Begriff der Kriegswirtschaft verstanden wird. Es wird also die Gefahr nicht bestehen, daß mein Arbeitskreis mit der Kriegs⸗ wirtschaft sich in irgendeiner Weise analogisiert. Ich bin fest ent⸗ schlossen, von diesem Arbeitsgebiet alles das fernzuhalten, was auch nur von weitem an Schieberei und Reparationsgewinnlerei er⸗ innert. (Bravo!)

Nicht nur als Nichtpolitiker habe ich die Ehre, zu Ihnen zu sprechen, sondern auch als jemand, der nicht zum Amt berufen wurde auf Grund irgendwelcher wirtschaftlichen Vortätigkeit. Meine induftrielle rled Meine wissenschaft⸗

Bayern Anerkennung gezollt hat.

liche ist es nicht, und ich denke nicht dar ie zu verleugnen. Nach wie vor bin ich der Ueberzeugung, daß unser Wirtschafts⸗ leben im Laufe eines Menschenalters erheblich umgestaltet sein wird, nicht nur bei uns, sondern in allen Ländern der Erde. (Sehr richtig!; bei den Sozialdemokraten.) Aber ich würde es für ver⸗ wegen halten, wenn ich mit einem großen Aufgabengebiet es wagen wollte, eine allgemeine Reform des gesamten deutschen Wirtschaftswesens zu verquicken. Und selbst wenn ich es vermöchte, würde ich den Augenblick nicht für den richtigen halten. Der deutsche Wirtschaftskörper ist viel zu krank, als daß es heute möglich wäre, ihn auf neue Lebensformen einzustellen. Zunächst gilt es, ihn zu heilen. Man exerziert nicht im Feuer, und in der Furt wechselt man nicht die Pferde. (Zurufe des Abgeordneten Ledebour.) Herr Abgeordneter Ledebour, ich glaube, es handelt sich hier nicht um einen Personenwechsel, sondern um die Frage, ob man einen schwerkranken Wirtschaftskörper grundfätzlich um⸗ stellen soll. Große wirtschaftliche Reformen versprechen erst dann Erfolg und Gelingen, wenn das Bewußtsein des Volkes sich auf ihre Notwendigkeit eingestellt hat. Man kann ein Volk nicht mit Ideen beglücken, die sich seinem Bewußtsein noch nicht einverleibt haben. (Sehr gut! im Zentrum.)

Ich leite daraus das Recht her, mich frei zu fühlen von irgendwelcher wirtschaftlichen Voreingenommenheit und dem⸗ entsprechend das Recht, das Amt, das mir übergeben ist, nach rein sachlichen Grundsätzen zu führen. (Bravol)

Was mich positiv bestimmt hat, die Arbeit zu übernehmen, das ist erstens das Bewußtsein, in ein Kabinett einzutreten, das der Herr Reichskanzler gestern als ein Kabinett der Versöhnung bezeichnet hat. Ich bin der Meinung, daß es endlich an der Zeit ist, diejenigen Wege zu finden, die uns mit der Welt wieder zusammenbringen. (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.) Ich bin überzeugt und weiß es, daß diese Politik von unserem Herrn Reichskanzler verfolgt wird. Ich wäre nicht in eine Kombination eingetreten, von der ich nicht die Ueberzeugung hätte, daß sie mit allen Kräften entschlossen ist, diesen Weg der Ver⸗ ständigung zu gehen. (Sehr gut!) Das sage ich für alle, diesseits und jenseits der Grenzen. Was mich fernerhin bewogen hat, ist die Ueberzeugung, daß Frankreich den Aufbau will. Vielfach wurde gemeint, der französische Aufbau sei nicht ernst. Ich habe mich davon überzeugt, daß er ernst ist. Jedem von uns fällt es schwer, in der Lage der Bedrückung und des Leidens, in der wir uns befinden, objektiv zu bleiben. Derjenige aber, der Gegen⸗ kontrahent Frankreichs sein soll, muß Frankreich gegenüber volle Objektivität behalten. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Diese Obejktivität besteht darin, daß wir festzustellen haben, daß Frankreich den Wiederaufbau deshalb will, weil es überaus schwer vom Kriege gelitten hat. Es ist Tatfache, daß 3,3 Millionen Hektar dieses Landes zerstört sind, daß 370 000 Häuser beschädigt und 300 000 vernichtet sind. Es ist ferner Tatsache, daß die fran⸗ zösische Schuld gewachsen ist auf 83 Milliarden äußere Ansprüche und zwar in Gold und 226 Milliarden innere. Es ist Tatsache, daß dieses Land eine Passivität der Handelsbilanz von 13 Mil⸗ liarden gehabt hat. (Abg. Dr. Helfferich: Jetzt schon wieder eine aktive!) Es ist besser geworden, Herr Dr. Helfferich, aber Sie werden mit mir darüber übereinstimmen: ein Land, das sich in dieser Lage befindet, will den Wiederaufbau und es wird ihn auch wollen in Gemeinschaft mit uns, denn auch darauf kommt es an.

Daß Frankreich schon heute gewaltige und erfolgreiche An⸗ strengungen gemacht hat, um seinen Wiederaufbau zu fördern, das ergeben die Zahlen, die den Stand dieser Arbeiten illustrieren. Es ist dem französischen Wiederaufbauministerium gelungen und das ist eine bedeutende Leistung —, von den Lokalbahnen und Brücken 60 vH wiederherzustellen, von der Landwirtschaft 50 vo, von den Fabriken 30 40 vH, von den Bergwerken 16 vH, von den Häusern allerdings nur 25 vH.

Meine Damen und Herren, mit deutscher Objektivität ist es nötig festzustellen, daß das eine bedeutsame Leistung ist. Der energische Aufbauwille besteht, und aus den Verhandlungen der letzten Tage glaube ich entnehmen zu können, daß auch der ernste Wille besteht, diesen Wiederaufbau in gegebenem Umfange mit Deutschland zu tätigen. Wenn aber der Wiederaufbau von der einen Seite gewollt wird, dann sind wir verpflichtet, ihn zu leisten.

Herr Abg. von Braun hat Auszüge aus einem Aufsatz ver⸗ lesen, den ich veröffentlicht habe. Dieser Aufsatz enthält das, was ich Ihnen ohne die Verlesung gesagt hätte, nämlich, daß ich die schwersten Bedenken gegen die Unterzeichnung des Ultimatums gehabt habe. Dem Herrn Reichskanzler und den übrigen Mit⸗ gliedern des Kabinetts ist das bekannt. Aber weshalb habe ich diese Bedenken gehabt? Das hat Herr von Braun Ihnen nicht gesagt. Er hat nicht gesagt, daß es nicht die Zahlen gewesen sind,

die ich angegriffen habe, sondern der Index. Diesen Index halte

ich allerdings nach wie vor für den unglücklichsten, der gewählt werden konnte. Ich bin davon überzeugt, daß sich schon heute auf der Gegenseite die gleiche Erkenntnis Bahn bricht, daß dieser Index ebensowenig den Interessen unserer Gegenseite als den unseren entspricht. Wenn das nicht die Pflicht eines jeden it, solange der Verhandlungskampf währte, dringend zu warnen, bevor ein Unglück geschehen ist, dann weiß ich nicht, was eine ehrliche Ueberzeugung sein soll.

Oder soll man gar, wenn man gewarnt hat und nachher trotz⸗ dem die Dinge geschehen sind, sich zurückziehen, schmollen oder sabotieren? Sie, meine Herren (nach rechts), sitzen doch auch hier, nachdem der Vertrag von Versailles unterschrieben ist. (Zuruf rechts: Es bleibt uns nichts weiter übrig! Gelächter links und Zuruf: Das durfte nicht kommen!) Ich glaube nicht an das eben zugerufene Argument, sondern Sie sitzen hier, wie wir alle, um dem Lande zu dienen, und wir dienen dem Lande vor Versailles wie nach Versailles, und vor dem Ultimatum und nach dem Ultimatum. (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.) Wer daraus, daß man eine Maßnahme für falsch hält, die Konsequenz zieht, daß man sich dem Lande versagt, ihm nicht zur Seite steht, dessen Ueberzeugung, meine Damen und Herren, verstehe ich nicht. (Zuruf rechts: Es ist aber etwas anderes, in die Regierung zu gehen!) Gerade dann muß man in die Regierung gehen, um das Uebel mildern zu helféen, wenn sich kein anderer findet, der es tun will und wenn einem gesagt wird: Du mußt, denn du kannst⸗ Dann ist man verpflichtet, auch wenn man Versailles und das Ultimatum erlebt hat. Und meine Herren, wenn der Tag kommt wo Sie Ihrerseits wieder diese Verpflichtungen zu übernehmen haben, werden Sie ebensowenig wünschen, daß Ihnen solche Vor⸗

1,

8 8

11““

Die Ueberzeugung, wie man sich übernommenen Verpflich⸗ zungen gegenüber, gleichviel ob sie freiwillig oder unfreiwillig übernommen sind, zu stellen hat, entnehme ich allerdings meinem früheren wirtschaftlichen Leben. Industrie heißt kaufmännische Anwendung der Technik. Industrie ist entstanden aus dem Hand⸗ werk und dem Kaufmannsstande. Der Kaufmannsstand aber in der ganzen Welt und in allen Jahrhunderten hat auf Vertrauen

beruht. Und dieses Vertrauen hat als Symbol das geschriebene

Vort, die Unterschrift. Wenn ein Papier die Unterschrift meines Hauses oder meines Namens, oder gar die Unterschrift meines Volkes und Reiches trägt, dann verteidige ich diese Unterschrift als meine Ehre (sehr gut! von den Soz.) und als die Ehre meines Landes. (Zuruf rechts.) Ich halte sie nur für erfüllbar, wenn wir entschlossen sind, uns in tiefe Not zu begeben. Darauf kommt es an. (Sehr richtig! bei den Soz. Zurufe und Hört, hörtl rechts. Erregte Zurufe von den V. K.) Zwischen Nichterfüllen und Erfüllen liegt der Faktor der Not. Die Not hätte ich gern vermieden, die kommen wird, wenn wir ehrlich erfüllen sollen. (Erneute Zurufe rechts.) Ob man erfüllen kann, hängt von dem Maß der Not ab, in die man sich begibt. (Erregte Zurufe rechts.) Es gibt keine absolute Unerfüllbarkeit, denn es handelt sich lediglich darum, wie tief man ein Volk in Not geraten lassen darf. Nun glaube ich aber ebenso wie Sie (nach rechts) es glauben, daß der Index der 26 Prozent, den ich für den gefährlichsten Teil des Abkommens halte, auf die Dauer nicht bestehen wird. Dieser Inder bedeutet heute einen Wert von 1,25 Milliarden und ist deshalb schon bedenklich; die 2 Milliarden feste Leistung habe ich niemals als absolut unerfüllbar bezeichnet, und ich kann mich dafür auf die Sachverständigen berufen, die mit mir gemeinschaft⸗ lich seinerzeit den Herrn Minister des Aeußern beraten haben. Gerade damals ist mir von Herrn von Braun der schwere Vorwurf gemacht worden, daß ich nahezu bis an 2 Milliarden herangegangen sei. Die Unerfüllbarkeit, von der ich sprach, liegt also nicht sowohl in der festen Zahl der 2 Milliarden, sondern in der Härte des Inder; und diese Härte, glaube ich, wird gemildert werden. (Sehr richtig,; bei den Soz.) Das ist also mein Standpunkt; ich glaube, zum dritten Male brauche ich ihn nicht zu erläutern. (Zuruf von der äußersten Linken.)

Meine Damen und Herren, ich darf weitergehen. Ich gehöre nicht zu denen, die sagen: wir wollen einmal sehen, wie weit es reicht, wie weit wir kommen. Wenn man etwas Schweres vor sich hat, das hart zu erfüllen ist, dann muß man sagen: Ich will es unter allen Umständen. Sie erinnern sich an den Quartettsatz von Beethoven, „Der schwergefaßte Entschluß“. Er beginnt mit langsamen Tönen: „Muß es sein?“ und am Schluß der Fuge endet er mit einem entschiedenen und kraftvollen „Es muß sein! Es muß sein!“ Wer nicht mit diesem „Es muß sein!“ an seine Aufgabe herantritt, der wird nur den halben Willen zur Lösung aufbringen, und der wird nicht das Recht haben, sich zu ent⸗ schuldigen, wenn ihm nicht das Aeußerste gelungen ist, was man von ihm, was er von sich erwartet hat. Je schwerer unsere Kistung sein wird, an ihr wird sich das Vertrauen messen, das wir in der Welt gewinnen. Die Welt besteht nicht zu 100 Prozent aus Chauvinisten. (Sehr richtig! bei den Soz.) Es ist ein Irr⸗ tum, zu glauben, daß die Welt lediglich aus 1500 Millionen Feinden besteht. Sie enthält genügend objektive Menschen. (Zu⸗ ruf von den V. K.: Sie (nach rechts) gehören nicht dazu Gegenrufe rechts.) Millionen von Augen richten sich in diesem Augenblick auf Deutschland und fragen: Was wird Deutschland machen? Wird Deutschland ein Leben der Versöhnung und der Erfüllung führen oder nicht? (Zuruf rechts.) Nicht der Sklaverei! Das wollen wir alle nicht, aber die Würde des Schuldners ist, zu zahlen. (Wiederholte Zurufe rechts. Erregte Gegenrufe von der äußersten Linken. Andauernde große Unruhe. Lebhafter Vortwechsel zwischen dem Zentrum und rechts. Wiederholte Zu⸗ rufe. Glocke des Präsidenten.)

Meine Damen und Herren, ich darf also fortfahren. Ich nehme an, daß der Herr Vorsitzende (Zurufe: Präsident!) mich darüber belehren wird, auf welchen Zwischenruf ich geantwortet habe. Ich habe auf gar keinen Zwischenruf geantwortet, sondern gewartet, bis es stiller wurde. (Abg. Ledebour: Es war Ihr gutes Recht, darauf zu antworten. Glocke des Präsidenten.) Ich habe gesprochen von der Notwendigkeit, eine Unterschrift zu erfüllen. Darüber hinaus ist es nötig, eine Aufgabe zu erfüllen, die nicht nur eine nationale, sondern eine Weltaufgabe schlechthin ist. Es besteht die Wunde am Körper Europas, sie gleicht der Wunde des Amfortas. Sie wird nur geheilt durch den Speer, der sie ge⸗ schlagen hat. Nicht früher wird der Friede in die Welt kommen, als bis diese Wunde sich geschlossen hat. Sie wird zum Symbol eines neuen Verhältnisses der Völker. Es handelt sich also nicht nur um die technische Aufgabe einer Rekonstruktion, es handelt sich nict nur um die Erfüllung eines staatlichen Versprechens, sondern es handelt sich um eine autonom aus sich selbst erwachsene Aufgabe, bei der es nicht gefragt wird, wie sie entstanden ist, unbenn die da ist und erfüllt werden muß. (Zuruf bei den Wie denn? Gegenrufe bei den V. K.: Indem Sie

Es handelt sich also nicht nur um eine reine Frage der Wirt⸗ caft, sondern um eine schlechthin zu erfüllende Aufgabe, die die aigenschaft hat, daß sie nichts Trennendes enthält für Parteien, 88 Berufe und für Stände. Zu dieser Ausgabe sind alle in utschand aufgerufen. Wir brauchen die Mitwirkung des ürbeiters, wir brauchen die Mitwirkung des Industriellen und drnfmanns; wir brauchen die Mitwirkung des Landwirts, und h brauchen nicht zum letzten auch die Mitwirkung des alten utschen Handwerks. (Abg. Hammer: Dann darf es aber nicht 8 werden!) Nein, das darf es nicht. Alle sind zu düüe. Werk aufgerufen; nicht für den Mann erbitte ich ihre 2 für das Werk. Das Werk muß sein. (Lebhafter

Reichskanzler Dr. Wirth: Meine Damen und Herren! Der

Mo Werr Abgeordnete von Braun hat vorhin in seine Rede eine Be⸗

rkung eingeflochten, die mich nötigt, sofort zu antworten. Er 1 u mir eine schwere Pflichtverletzung vorgeworfen, und zwar deshalb, hell, ich als Reichskanzler die Einwendungen der bayerischen 8ee gegen die Auflösung der Einwohnerwehr bei den Alliierten 2 . habe. Ich weiß nicht, woher der Herr Abgeordnete 8 Braun seine Kenntnis nimmt, um mir eine derartige Pflicht⸗ erletzung vorzuwerfen. Ich glaube, daß er über den Gang der Dinge

ficht orientiert ist, werde ihn aber in aller Oeffentlichkeit darüber rientieren.

8 8

Wir haben loyal die Erfüllung des Ultimatums versprochen, und vom ersten Tag meiner Amtsführung an war es meine Aufgabe, unter Wahrung der süddeutschen Eigenart zu einer freiwilligen (Rufe bei den Vereinigten Kommunisten: Schöne Eigenart!) Unterbrechen Sie mich doch nicht. Sehen Sie, den Redner nicht sprechen zu lassen, das ist das Gegenteil von der Eigenart, die ich in Süddeutschland meine. Ich habe vom ersten Tage (Andauernde Unruhe und Zwischenrufe. Glocke des Präsidenten.) Meine Herren! Ich habe vom ersten Tage an versucht, die bayerische Frage Entwaffnung und Einwohnerwehren durch Rücksprache mit führenden Persön⸗ lichkeiten zu einer freiwilligen Tat Bayerns und der dortigen führenden Männer umzugestalten, und ich bin allen denen dankbar, die diesen Gedanken der Freiwilligkeit in Bayern gefördert haben. Dieser Gedanke hat Fortschritte gemacht. (Abg. Malzahn: Der Gedanke ja, aber die Tat nicht!) Herr Malzahn, wollen Sie bitte abwarten. Sie haben die Erklärung der bayerischen Regierung gehört, und nun kommt der Vorwurf, als ob wir in der Reichsregierung die Wünsche der bayerischen Regierung nicht berücksichtigt hätten oder ihnen keine Unterstützung verliehen hätten.

Meine Damen und Herren! Der Herr Vorredner, der Herr Abgeordnete von Braun, hat zwei Dinge völlig durcheinander ge⸗ worfen, und ich hätte meinen dürfen, daß man, wenn man sich hier⸗ her stellt und einem Pflichtverletzung vorwerfen will, dann mindestens den Unterschied zwischen Einwohnerwehr und Orgesch hätte kennen müssen. Es handelt sich hier um zwei ganz grundverschiedene Dinge. Wenn der Herr Abgeordnete von Braun nicht einmal diesen Unter⸗ schied kennt, dann sollte er sich hüten, hier überhaupt von Pflicht⸗ verletzung zu sprechen. (Sehr richtig!) Aber, meine Damen und Herren, als wir Orgesch und Einwohnerwehren auf diese Liste setzten, waren wir uns der Verpflichtung, die das Ultimatum uns auferlegt, sehr wohl bewußt. Wir haben aber das, was der Herr Abgeordnete von Braun verlangt hat, getan. Ich habe die abweichende Auffassung der bayerischen Regierung hinsichtlich der Einwohnerwehren den Alliierten zur Kenntnis gegeben, und ich habe auch die Begründung, insbesondere das Gutachten des Obersten Landesgerichts in München, den Alliierten überreicht. (Abg. Dr. Rosenfeld: Leider!)

Aber, meine Herren, jetzt kommt die entscheidende Frage. Welches ist denn die Auffassung der Alliierten nach der Richtung? (Zuruf von den Deutschnationalen.) Haben Sie nur Geduld! Welches ist die Auffassung der Alliierten nach dieser Richtung hin

gewesen? Sollen wir uns von vornherein einer neuen Niederlage

aussetzen? (Sehr gut! links.) Ich habe keine Lust dazu. Aber die bayerische Regierung selbst und einzelne bayerische Herren haben ja Gelegenheit gehabt, wie ich höre, die Auffassung der Alliierten genau kennen zu lernen (hört, hört! links), insbesondere auch die Auffassung darüber kennen zu lernen, ob etwa in England bezüglich der Einwohnerwehr eine andere Meinung bestehe als in Frankreich. Ich weiß ich nehme an, nicht bei der bayerischen Regierung, aber bei einigen bayerischen Herren —, in Bayern war die Auffassung verbreitet, als ob für England an dem Tage, wo die Entwaffnung gesichert erscheine, die Frage der bayerischen Einwohnerwehr von selbst verschwinden würde. Meine Herren, ich habe mich um diese Frage bemüht, nicht durch Notenwechsel, sondern in mündlichen Besprechungen mit Vertretern der Alliierten. Ich bin in der Lage, Ihnen eine Willenskundgebung mitzuteilen, denn um die handelt es sich in diesem Falle, nachdem wir das Ja des Ultimatums gesprochen haben. Die englische Regierung hat der bayerischen Regierung ge⸗ antwortet, daß sie zur Vermeidung des automatischen Eintretens von Sanktionen unzweideutig erklären müsse, daß sie die Wehren auflösen werde. Der französische und italienische Vertreter in München sind angewiesen, sich diesem Schritte anzuschließen. Sie

sehen also, meine Herren, nachdem ich hier durch den Vorwurf der

Pflichtverletzung genötigt werde, es auszuführen was ich mündlich besprochen habe, ist nicht Gegenstand der Reichstagsverhandlungen ganz deutlich ein, daß wir hier das getan haben, was zur loyalen Erfüllung des Ultimatums gehört, daß wir das weitergegeben haben, und daß das Echo der bayerischen Regierung bekannt geworden ist. (Zuruf von den Deutschnationalen: Was ist denn das für eine Logik)) Was Logik ist, meine Herren, will ich Ihnen sagen: Wenn man das Ja gegeben hat, dann muß man den Inhalt des Ultimatums ausführen. Das ist logisch! (Zurufe von den Ver⸗ einigten Kommunisten: Logik ist bei denen nicht mode!) Ich kann mich durch keine Worte dazu hinreißen lassen, die Loyalität unserer Erklärung in irgendeinem Punkte abzuschwächen. (Bravol! bei den Sozialdemokraten, den Deutschen Demokraten und im Zentrum. Umruhe bei den Deutschnationalen.) Soll ich mich vielleicht nach Annahme des Ultimatums in der Sache für die bayerischen Ein⸗ wohnerwehren einer besonders schweren diplomatischen Niederlage aussetzen? Hatten Sie (nach rechts) das erwartet? (Zurufe von den Deutschnationalen: Nein!) Also, dann können Sie mir auch nicht Pflichtverletzung vorwerfen.

Einer der Herren Redner, der Herr Abgeordnete Wels, hat sich vorhin mit der auffallenden Aufforderung bei der Skagerrakfeier beschäftigt. Die Worte, die dort gefallen sind, sind, wenn die Presse⸗ nachrichten richtig sind, eine unerhörte Leistung. Der Polizei⸗ präsident in Berlin so wird mir eben mitgeteilt hat sofort nach Bekanntgabe der Aeußerung ein Strafverfahren wegen Hoch⸗ verrats und Vergehen gegen § 49a eingeleitet. (Zurufe links: Gegen wen?) Wir werden das Ergebnis abzuwarten haben. Sie haben ja den Namen vorhin gehört. Ich will auf die Einzelheiten nicht eingehen, ehe nicht in Zeugenvernehmungen diese ungehörigen Aeußerungen aufgeklärt sind.

Meine Damen und Herren! Ich bitte nun aber alle Kreise des Hauses, von links bis rechts, nicht aus jedem Vorgang in Deutsch⸗ land irgendeine große Aktion machen zu wollen, die unsere Politik nicht berühren kann. Wenn ich z. B. heute in den Zeitungen lese, daß große Militärtransporte durch Deutschland nach Oberschlesien gehen, „bayerische Oberschlesier“, so bitte ich Sie, meine Herren, Dinge, die sehr einfach zu erklären sind, nicht mit den sinnlosen Freikorpsbildungen verwechseln zu wollen. Es heißt z. B.:

„Gestern mittag gegen 1 ½ Uhr fuhr auf der Ringbahn gegen Westend ein langer Militärzug mit Artillerie, Maschinengewehren, Pferden usw., der mit blau⸗weißen Fahnen als bayerischer Trans⸗ port kenntlich gemacht war.“

Wenn daran nun schwerwiegende Erörterungen geknüpft werden, so darf ich dazu erklären, daß sie hinfaͤllig sind, denn es handelt sich um die in Berlin gewesenen Mannschaften der bayerischen Wacht⸗ kompagnie, die zu den bekannten Wachttruppen Berlins gehören. Ich bitte also, nicht aus irgendwelchen Kleinigkeiten heraus große Aktionen konstruieren zu wollen. Es können Irrtümer vorkommen,

Wir haben unsere Pflicht getan bei der Freikorps⸗

bildung, die wir nicht nur als einen militärischen Unfug angesehen haben, sondern die wir als eine schwere politische Gefahr für Deutsch⸗ land betrachten mußten. (Sehr richtig! im Zentrum und links.) Dort haben wir unsere Pflicht getan! Ich bitte aber, nun einen Transport einer bayerischen Wachtkompagnie, die wirklich ehrlich hier in Berlin ihre Pflicht getan hat, nicht zum Gegenstand von politischen Diskussionen machen zu wollen.

Ehe ich auf weitere Einzelheiten im Verlauf der Debatte noch eingehe, darf ich aber die Gelegenheit benutzen, um eine Aeußerung zurückzuweisen, die vorhin der Herr Abgeordnete von Braun getan hat, als er die Bestrebungen des jüdischen Kapitals berührte. Er hat gesagt: „Wir wollen nichts zu tun haben mit derartigen Machen⸗ schaften des jüdischen Kapitals“. Das stenographische Protokoll verzeichnet danach: lebhafte Zustimmung rechts. „Deswegen sehen wir gerade in der jetzigen Zusammensetzung des Kabinetts eine schwere Gefährdung.“ (Lebhafte Rufe: Sehr wahr! bei den Deutsch⸗Nationalen.) Meine Herren! Dieses „Sehr wahr!“ hätten Sie sich sparen können. (Sehr richtig! links.) Es war ein billiges Vergnügen, mir den Mangel an Gedanken vorzuwerfen, ein noch billigeres Vergnügen, mit diesem Gedanken eines vulgären Antisemitismus hier Männer attackieren zu wollen, die die reine Pflichterfüllung dahin geführt hat, wo sie heute sitzen. (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Abg. Henke (U. Soz.): (Fast alle Abgeordnete bis auf die äußerste Linke verlassen den Saal. Abg. Adolph Hoffmann ruft: Das Vaterland ist in Gefahr, deshalb rücken sie aus!) Der Reichskanzler hat viele schöne Worte von Freiheit, Gerechtigkeit, Versöhnlichkeit und Verständigung gesprochen. Kein Wort hat er für die Bluturteile der Sondergerichte gefunden. Eine Regierung, die von Freiheit, Gerechtigkeit, Verständigung und sozialem Geist spricht, hätte die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, in erster Linie dafür zu sorgen, daß dieser fluchwürdigen Re. tiz, die zur Verhetzung der Volksklassen beitragen muß, ein Ende bereitet werde. (Sehr wahr! links.) Trotzdem Ledebour noch kürzlich unsere Anträge begründet hat auf Beseitigung der Sondergerichte, hat sich Herr Wirth mit keinem Wort dazu geäußert. Eine Regie⸗ rung, die so an dieser brennendsten aller innerpolitischen Fragen vorübergeht, darf sich nicht wundern, wenn sie bei uns keine Unter⸗ stüsneg findet. Eine solche Regierung darf nicht von Gerechtigkeit prechen, während Tausende von Arbeitern in das e wandern. Wir fordern die sofortige Einbringung eines Gesetzes, das die weitestgehende veg 5 ausspricht. Will man im Aus⸗ lande dadurch imponieren, daß man die Landesverräter von rechts frei herumlaufen, aber die Nüse sich gegen die Arbeiter austoben läßt? Wir wissen längst, daß die Hauptschuldigen nicht in den Kreisen der Sftihier,, sondern in denen der Juristen zu 1 ind. Die Rückständigkeit der Juristen zeigt sich auch in dem Beschluß des 4. Deutschen Juristentages, der verlangt, daß die Frauen vom Amt der Schöffen und Geschworenen ausgeschlossen werden. (Hört, hört!) Diese Richter sind die hücher der vegseee. die sich in ihrem Profit durch die Arbeiterschaft bedroht fühlt. Zucht⸗ häuser und Gefängnisse werden bald nicht mehr groß genug sein, um die Zahl der Verurteilten aufzunehmen. Wie denkt sich die Regierung, die vielen Angehörigen der Verurteilten, diese er der Justiz zu versorgen? Bisher sorgt die Arbeiterschaft für ihre Klassengenossen. In diesem Augenblick kommt man nun mit direkten und indirekten Steuern. Die Regierung soll sich nicht wundern, wenn sie bei allen diesen Arbeitern kein Vertrauen mehr findet. Auf die bürgerliche Demokratie können wir nicht bauen, namentlich wenn sie von einem Kabinett vextreten wird, wie es jetzt vor uns sehen. Der Reichskanzler hat zu unserer Ueber⸗ raschung, statt auf Auflösung der .8. Einwohnerwehren zu drängen, den Herren seinen Dank ausgesprochen, daß sie dies frei⸗ willig besorgen wollen. Wer sind diese Leute? Das sind dieselben, die den Belagerungszustand gegen die Kommunisten und gegen meine Partei mißbrauchen und die Auflösung der Einwohnerwehr seit Monaten sabotiert haben. Die Entfaltung roter Fahnen und das Anbringen von Tafeln aus Anlaß unseres Parteitages ist in Bayern verboten worden. (Ruf links: Bagyerische Eigenart!) Wegen Rundschreiben werden Haussuchungen bei uns veran taltet. Das Spitzelwesen steht in hoher Blüte. Dieser bayerischen Eigen⸗ art smich der Reichskanzler seinen Dank aus. ie Ablieferung von Waffen der Einwohnerwehr wurde von diesen Leuten ver⸗ hindert. Die „Bayerische Staatszeitung“ fordert noch jetzt zur Bildung von für Oberschlesien auf. ie Arbeitgeber sollen ihren Arbeitern und Angestellten Löhne und Gehälter weiterzahlen, wenn sie na Oberschlesien gehen. Das alles klingt wie Hohn au das Ver⸗ halten der bayerischen Regierung gegenüber der Reichsregierung. In Oberschlesien ist eine nationale Hetze sondergleichen unter⸗ nommen worden auch von deutscher Seite. Dem muß auch von der Regierung entgegengearbeitet werden. Stattdessen duldet die Regierung diese Hetztätigkeit. Sie duldet auch, daß Konzentrations⸗ lager für Polen gebildet werden. Das sind Mißgriffe und schwere Fehler. Ein Preisabbau wäre möglich gewesen, er wird aber von vielen Seiten sabottiert, auch von Detailgeschäften, die Divi⸗ dendenpolitik der Aktiengesellschaften wird eine soziale e schlimmster Art zeitigen. Die Arbeiterlöhne im Inland sind immer noch viel niedriger wie die im Ausland. Sie müssen er⸗ höht werden. Die Hakenkreuzleute führen die Versöhnungspolitik des Reichskanzlers ad absurdum, der Hurra⸗Patriotismus dieser Herren steigt im Verhältnis zu dem gesteigerten teuren Alkohol⸗ genuß. Ein Beispiel dafür war die Hetze anläßlich der Feier der Skagerrakschlacht. Wie steht es mit den Prämien, die der Land⸗ wirtschaft ausgezahlt werden? Wir wollen von der Regierung klipp und klar wissen, daß mit diesem Liebesgabensystem ein für alle Mal wird. Man soll lieber die Organisationen der Landarbeiter fördern und darauf achten, daß die Agrarier nicht weiter Steuern hinterziehen. Jeder muß mehr Steuern zahlen als der Großgrundbesitzer, der ein Einkommen zu verschleiern versteht. Läßt man doch in diesen Kreisen besondere Anweisungen zirkulieren, mit der Frage, wie hinterziehe ich meine Steuern. Wenn die Kreise der Agrarier und namentlich der Schwerindustriellen gegen die Unterzeichnung des Ultimatums waren, so aus dem Grunde, daß sie unter allen Umständen, auch wenn 8868 unterzeichnet wurde auf ihre Rechnung kommen würden. Man weiß ja, daß die Schwerindustriellen die Besetzung des Ruhrgebiets geradezu herbeigesehnt haben. Sie wollten unter dem Schutz der Franzosen ihre Betriebe fortführen und dann, wenn die Halden gefüllt waren, eine Herabsetzung der Löhne durch⸗ drücken. Von Sozialisierung hat der Reichskanzler kein Wort ge⸗ Feea dafür hat Herr Edler von Braun von einer „sinnlosen

nwendung des Achtstundentags in der Landwirtschaft“ gesprochen. Als ob es einen Achtstundentag der Landwirtschaft überhaupt gäbe. (Sehr richtig! bei den U. Son Aber dieser Vorstoß ist bezeichnend 8 den Kurs, der nach dem Willen dieser Herren die Regierung egnen soll. Man plant die Durchbrechung des Achtstundentags, den Abbau der Löhne, die Entrechtung der Arbeiter. Herr von Braun hat von gewissen Begleite 225 der Revolution ge⸗ sprochen; aber von Kapitalschiebern wie dem Prinzen Eitel Friedrich, von Steuersaboteuren, wie dem Herrn von Kerkhoff und ähnlichen Sumpfpflanzen, hat er nicht gesprochen. Der Reichs⸗ kanzler hat uns neue Steuern, vor allen Dingen indirekte Steuern angekündigt. An eine Erhöhung der direkten Steuern kann im allgemeinen allerdings ni t mehr gedacht werden, nachdem trotz aller Lohn⸗ und Gehaltserhöhungen das Einkommen und damit auch die Steuerkraft der roßen Massen ganz erheblich zurück⸗ gegangen ist, soweit eine Erhöhung, wie bei den Besitzsteuern noch möglich ist, hat sich der Reichskanzler leider auf allgemeine An⸗ deutungen beschränkt. Dafür sollen die Konsumartikel der breiten Massen aufs neue herangezogen werden, und das in einem Augen⸗ blick, wo das gesamte organisierte Unternehmertum auf der Lauer I die Löhne der Arbeiter beschneiden. Nur im

8S8

1“