Auf Grund des § 11 der Bekanntmachu forderung von Tieren zur Erfüllung des Friedensvertrags vom 2. Dezember 1919 wurden, wie das in der Bekanntmachung vor⸗ geeschrieben ist, vom Reichswirtschaftsministerium unter dem
18. Dezember 1919 die Preise für die Tiere festgesetzt. Der Beginn der Lieferung zog sich jedoch bis ins Frühjahr 1920 hinaus, so daß die im Dezember festgesetzten Preise den dann gültigen Markt⸗ preisen nicht mehr entsprachen. Infolgedessen hat das Reichs⸗ ernährungsministerium bei Beginn der Lieferungen die Preise ent⸗ sprechend erhöht. Daß diese Preise keineswegs über den Markt⸗ preisen lagen, geht daraus hervor, daß die Landwirte sich mit den vom Reich festgesetzten Preisen vielfach nicht begnügt haben, sondern, wie das in der Dezemberverordnung vorgesehen ist, die Entscheidung des Reichswirtschaftsgerichts angerufen haben und daß das Reichswirtschaftsgericht bereits in mehreren hundert Fällen einen höheren Preis als angemessen bezeichnet hat. (Hört! Hört! bei der D. V.)
Für die Lieferung der Tiere im laufenden Jahre wurden die Preise unter dem 23. April 1921 entsprechend den Marktpreisen fest⸗ gesetzt. Die vom Reiche aufgestellten Preise bewegen sich erheblich unter denjenigen Sätzen, die die Landesregierungen als notwendig bezeichneten. Die hohen Forderungen, die die gegnerischen Ab⸗ nahmekommissionen an die Qualität der Tiere stellen, führen be⸗ reits jetzt wieder zu Schwierigkeiten, indem die Anlieferer er⸗ klären, zu diesen Preisen nicht mehr liefern zu können.
Dies zu der Frage der Viehpreise. 8
Dann hat der Herr Abgeordnete Dr. Hertz noch kurz darauf Nigewiesen, daß ich bisher noch keinen Anlaß gehabt hätte, der Landwirtschaft einen Dank auszusprechen. Ich benutze gern den Anlaß, um hier anzuerkennen, daß große und weite Teile der deutschen Landwirtschaft bis in die neueste Zeit ihre Pflicht gegen⸗ über der Allgemeinheit restlos erfüllt haben. (Bravo! im Zentrum und rechts. — Hört! Hört! bei den U. S.) Wenn das nicht der Fall wäre, dann würden wir zweifellos schon zu einem Zusammen⸗ Fruch der Getreidezwangswirtschaft gekommen sein, der noch nicht eingetreten ist. Ich darf hierbei die Bitte aussprechen, daß bei iesen Fragen, auch was die Landwirtschaft und ihre Vertretungen angeht, dasjenige Maß von Objektivität und ruhiger Beurteilung angewandt wird, das wir alle brauchen, wenn wir aus dem Elend der Gegenwart herauskommen wollen. (Beifall im Zentrum und
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rechts.)
116. Sitzung vom 17. Juni 1921. Nachtrag.
Die Rede, die nach der Begründung der Interpellation der Abgg. Aderhold (unabh. Soz.) und 1. wegen der Ermordung des Mitglieds der unabhängigen sozia demokratischen Partei unc bayerischen Landtagsabgeordneten Gareis der Neichskanzler Dr. Wirth gehalten hat, hatte folgenden Wortlaut:
Reichskanzler Dr. Wirth: Geehrte Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Unterleitner hat die Interpellation der Herren Aderhold u. Gen. leidenschaftlich begründet. Ich verstehe manches, was er in seine Rede eingeflochten hat, ich verstehe die große Er⸗ regung, die weite Kreise des deutscheu Volkes erfaßt hat, als in der bekannten Nacht zum 10. Juni durch einen feigen, hinterlistigen Mord der Abgeordnete Gareis aus dem Leben geschafft worden ist. (Hört! Hört! b. d. U. Soz.) Meine Damen und Herren! Kein Wort ist zu scharf, um diese Schandtat genügend zu kennzeichnen. Sie muß ihre Sühne finden, und jede Staatsautorität, die den Anspruch erhebt, die Autorität eines Staates wirklich zu stützen, wird und muß sich alle Mühe geben, den Mörder der gerechten Strafe und Sühne entgegenzuführen.
Die Interpellation, die wir heute besprechen, wird in wenigen Tagen im bayerischen Landtag, wo, wie ich unterrichtet wurde, auch eine Interpellation der Unabhängigen Sozialdemokratie eingebracht worden ist, ihre Fortsetzung und ihr Echo finden. Ich möchte pünschen und hoffen, daß die große Erregung, die Deutschland weit⸗ hin durchzittert hat, allmählich durch eine ruhige und klare politische Aussprache ihrem Ende entgegengeführt werden könnte.
Ich unterscheide in dieser Interpellation zwei Dinge, solche Dinge, die der Kompetenz der Reichsregierung unterstehen, und folche, die nur der Kompetenz der bayerischen Staatsregierung unter⸗ stehen. Ich habe den Mord, der in München geschehen ist, genügend gekennzeichnet. Ich bezeichnete ihn als ein feiges, hinterlistiges Ver⸗ hrechen.
Nun kommt die Frage nach den Motiven dieses Mordes. Ich bitte Sie alle, die Sie bisher in Schärfe mit uns jeden derartigen Nord verurteilt haben, sich nicht zu voreiligen Schlüssen hinreißen zu lassen. (Sehr richtig!) Die letzten Motive dieses Mordes bedürfen der Aufklärung, und wie wir es immer als eine hesondere Ehre angesehen haben, in schwebende Verfahren richt einzugreifen, so müssen wir uns auch im Hinblick auf die Ermordung des Abg. Gareis vor voreiligen endgültigen Schlüssen zwräckhalten. Die bayerische Staatsregierung hat der Presse und auch uns eine amtliche Mitteilung zugehen lassen über den bisherigen Gang der Untersuchung. Ich darf daraus einiges mitteilen:
Die Untersuchung in Sachen des Abg. Gareis wird mit dem größten Eifer weitergeführt. Leider sind alle Bemühungen, eine einiger⸗ maßen verlässige Spur des Mörders zu finden, bis jetzt ergebnislos geblieben. Es existiert nur ein direkter Tatzeuge, der Begleiter des Abg. Gareis, der U. S. P.⸗Genosse Seraing, der bis heute keinerlei Angaben über den Mörder zu machen wußte, welche die Nach⸗ forschungen der Polizei nach dem Täter sachdienlich unterstützen könnten. Er könne keine bestimmten äußeren Kennzeichen des Nörders nennen. Die einzige Angabe über die Kleidung, ob der Xter Wickelgamaschen oder Strümpfe getragen hat, sind ebenfalls unbestimmt. Das später zum Tatort eilende Dienstmaͤdchen kann wiederum nur die Angabe machen, daß unmittelbar nach den Schüssen ein Mann über die Straße zum Hause Freystraße gelaufen sei. Fest steht also bloß, daß Seraing sich nach jener Freidenker⸗ versammlung im Hofe des Mathäser sich dem Abg. Gareis vor⸗ gestellt und sich zur Begleitung angeboten hat. Fest steht ferner, doß die Schüsse auf Gareis aus nächster Nähe mit einer Mehr⸗ ladepistole 7,65 abgegeben worden sind, daß der Begleiter Seraing aͤber keine besonderen Merkmale und Kennzeichen an dem Mörder bemerkt hat. Die Tat geschah kurz nach ½12 Uhr in dunkler menschenleerer Straße, 42 Schritte von der nächsten brennenden Laterne entfernt. Sie war in wenigen Augenblicken geschehen und der Mörder verschwunden. Die Polizei greift jeden, auch den
“ “ 11“ 8* u. Soz.) Aber die unvollständigen Angaben des Begleiters Seraing, sowie des Dienstmädchens bilden das einzige Material, mit dem die Polizei zurzeit arbeiten muß. Staatsregierung, Polizei und politische Parteien haben das gemeinsame gleiche Inter⸗ esse an der restlosen Aufklärung der Tat und ihrer Motive. (Lachen a. d. äußersten Linken.) Unmittelbar am Morgen nach der Tat sind von der Staatsregierung 10 000 ℳ Belohnung für die Er⸗ mütlung des Täters ausgesetzt worden. Ich habe vorhin in einer Zeitung gelesen, daß die Belohnung heute auf 30 000 Mark erhöht worden ist. Das ist das mir zugänglich gewordene amtliche Material. Meine Damen und Herren! Wir haben das unglückliche Opfer ebenfalls mit ehrenden Worten zu behandeln, wie das unten in Bayern von allen politischen Parteien geschehen ist, die dort den Ge⸗ danken der Staatsautorität hochhalten. Dieses Mitgefühl mit seiner Familie und das Beileid für seine Freunde bringe ich auch hier im Namen der Reichsregierung zum Ausdruck. Aber, meine Damen und Herren, mit dem Bedauern allein und mit dem Mitleid ist für ein solches Verbrechen eine Sühne noch nicht gegeben. (Sehr wahr! b. d. U. Soz. und den Ver. Kom. Dieser Mord — mag er auch geschehen sein aus irgendwelchen Motiven — ist ein Zeichen, daß wir in der innerpolitischen Ent⸗ wicklung Deutschlands wieder an einem Krisenpunkt angelangt sind. Möge auch äußerlich da und dort in deutschen Landeu die Erregung zurückgetreten sein —, darüber bin ich mir klar, daß in weitesten Kreisen der Arbeiterschaft Deutschlands und über die Grenzen hinaus eine Erregung außergewöhnlicher Art sich eingestellt hat. Diese Ver⸗ wilderung der Sitten, die in diesem Mord zum Ausdruck gekommen ist, ist der Ausdruck dafür, daß unsere wirtschaftlichen und politischen Zustände noch durchaus krankhaft genannt werden müssen. (Sehr richtig! bei den Demokraten.) Ich begreife die Erregung, wie sie von den Sozialisten zum Ausdruck gekommen ist. Es ist in einem solchen Mord und in der Verherrlichung, die er da und dort gefunden hat, das zum Ausdruck gekommen, was niemals Leitstern unserer Politik sein kann, nämlich die Verherrlichung der brutalen Gewalt. (Sehr richtig! b. d. Soz.) Dieser Kultus der Gewalt, wie er da und dort gepflegt worden ist und gepflegt wird, wäre geeignet, unserem Vaterlande den letzten, den Todesstoß zu versetzen. (Sehr wahr! b. d. Soz. — Ruf b. d. Ver. Komm.: Siehe Mittelmann! Für die Reichsregierung, für alle Mitglieder der Reichsregierung ist diese Tat, die da geschehen ist, eine Mahnung, alle unsere Kräfte daran zu setzen, daß wir zu Zuständen gelangen, die frei von barba⸗ rischen Zwischenfällen sind. Die Untaten, die in München begangen worden sind, bedeuten die denkbar größte Gefährdung unserer kommenden politischen Entwicklung, die wir nur unter einer friedlichen Demokratie für gesichert erachten. 1
Meine Damen und Herren! Der Herr Vorredner hat sehr leb⸗ hafte Angriffe auf die bayerische Staatsregierung und die dort führenden Männer gerichtet. Ich kann ihm auf dieser Bahn nicht folgen. Ich bin selbst aus einem süddeutschen Lande und habe in Baden anderthalb Jahre lang ein Ministerium geführt. Ich weiß, wie vorsichtig an diesem Platze von einem Reichsminister gesprochen werden muß, wie vorsichtig der Charakter der Selbständigkeit des Landes gewahrt werden muß, wenn man nicht das Entgegen⸗ gesetzte von dem erreichen will (Abg. Dr. Heim: sehr richtig!), was eine Interpellation eigentlich beabsichtigt. Ich werde mich des⸗ halb mit größter Vorsicht nach dieser Richtung hin äußern. Ich will mich aber über die Auffassung der Reichsregierung und auch über meine eigene Auffassung durchaus nicht etwa zuruͤckhaltend äußern Ich werde offen sprechen.
Man hat über die Weimarer Verfassung manchmal ein abfälliges Urteil darüber gesprochen als ob sie den föderalistischen Charakter des Reichs verwischt hätte. Ich glaube das nicht. Im Rahmen der Weimarer Verfassung ist ein selbständiges Leben der Länder möglich, Im Rahmen des Reichs, im Rahmen der Einheit des Reichs ist es möglich. Weil wir an eine Mannigfaltigkeit in einer festen Einheit glauben, die nötig ist, um die Geschäfte führen zu können, werden wir uns aber auch hüten, nun irgendwie in die Selbständigkeit der inneren Verwaltung eines Landes einzugreifen. Die Verfassung von Weimar muß uns davor hüten, in eine rechtmäßige Regierungs⸗ autorität in einem Lande einzugreifen, die so lange verfassungsmäßig ist, als sie von der Mehrheit des Landtages getragen ist. Ich bitte Sie also, es uns nachzufühlen, wenn wir uns, was die Kritik der Politik einer Landesregierung angeht, nur äußerst vorsichtig und zu⸗ rückhaltend äußern. (Jronische Zustimmung b. d. U. Soz.) 8
Ich darf aber eines hinzufügen. In allen Kreisen Bayerns soll man sich darüber klar sein, daß das, was in den letzten Wochen und Monaten an einigen Plätzen geschehen ist, geeignet ist, die Einheit des
Reichs zu gefährden. (Sehr richtig! links und bei den Demokraten.) Meine Herren, ich will von den persönlichen Verunglimpfungen ab⸗ sehen, die in einzelnen süddeutschen Organen in den letzten Monaten zum Ausdruck gekommen sind. Ich bedaure, sagen zu müssen: nicht allein in Bayern, sondern auch in anderen süddeutschen Ländern, haben sich einige Hetzorgane aufgemacht, die zweifellos mit diesen unwürdigen Hetzereien nach größeren politischen Zielen streben, als allein, damit führende Männer in der heutigen Reichsregierung mit Schmutz zu bewerfen. Das ist doch nur ein Mittel. Ich habe es aus manchem Munde schon gehört, was damit erstrebt werden soll: den Süden vom Norden zu trennen (lebhafte Rufe: Hört! Hört! links; Unruhe rechts: und in einem politischen Wirrwarr hernach von Süden her der Reaktion in Deutschland zum Sieg zu verhelfen. (Sehrrichtig! links. — Rufe rechts) Oha!) — Meine Herren, wundern Sie sich nicht! (Zuruf von den Dnat.: Doch, wir wundern uns! — Herr Kollege Schiele, ich kann Ihnen Beispiele aus den letzten Tagen aus Ihnen nahestehenden Zeitungen zeigen. Nehmen Sie nur die Zeitung, die in Stuttgart die Interessen der Deutschnationalen vertritt! Es spottet jeglicher Beschreibung, was da geleistet worden ist an schamlosester Beschimpfung von Männern, die in Stunden der Not an diesen Platz getreten sind. Ich will aber von persönlichen Dingen absehen. Es ist nicht so, wie es in der Süddeutschen Zeitung geheißen hat als ob wir uns hierhergestellt hätten, um für uns fette Pfründe zu erwerben. (Sehr richtig! bei den Soz., den Demokraten und im Zentrum.) Nein, die Männer der heutigen Regierung haben sich hierhergestellt, um unser Vater⸗ land, um unsere Freiheit retten zu helfen. (Bravo bei den Regierungs⸗ parteien.)
Es ist auch nicht richtig, wenn behauptet wird, wie von Herrn Düringer in Freiburg, daß ich irgendeiner Partei den christlichen Charakter absprechen wollte.
Seit einem Jahre oder seit zwei Jahren geht nun eine schamlose
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bees
8 G . * II6
4 bin Ferenett bo Süddeutschland in Versammlungen tätig gewesen,
und dort hat mir ein sehr ruhiger Mann ein Flugblatt aus der deutschnationalen Süddeutschen Zeitung in die Hand gedrückt, ein Pamphlet der niedrigsten Art gegen einen Mann, dem Sie selbst die Hochachtung nicht versagen können. (Hört! Hört! — Große Unruhe rechts.) — Warten Sie nur! — Ein Pamphlet, — — (Andauernde Unruhe rechts. — Glocke des Präsidenten.) Vizepräsident Dr. Bell: Ich bitte um Ruhe! (Zurufe rechts: Was hat denn das allen mit Gareis zu tun?) Dr. Wirth, Reichskanzler: — Warum haben Sie denn den Zwischenruf gemacht? (Zuruf rechts: Weil Sie so gesprochen haben! — Andauernde Unruhe. — Glocke des Präsidenten.) Vizepräsident Dr. Bell: Ich bitte doch, den Herrn Reichs⸗ kanzler ausreden zu lassen. Die weitere Aussprache wird ja allen Herren Gelegenheit geben, dann zu seinen Worten Stellung zu nehmen; aber es entspricht nicht der Sachlage, wenn jetzt der Herr Reichskanzler ständig durch Zwischenrufe gestört wird. (Zurufe rechts.) Dr. Wirth, Reichskanzler: Meine Damen und Herren! Ich nehme an — — (Zuruf rechts: Sie müssen objektiv sprechen!) — ich werde mich der größten Obiektivität befleißigen, Herr Abgeordneter Helfferich! — Ich habe nur darauf hingewiesen, daß in Süddeutsch⸗ land, nicht nur in Bayern, von einzelnen Preßorganen aus bestimmten Stellen dauernd Männer, die sich hier in die politische Verantwortung begeben, persönlich verunglimpft werden in einem Maße, für das mir hier jeder parlamentarische Ausdruck fehlt (hört! hört! und sehr währ! links), und ich habe darauf hingewiesen, daß selbst Organe, die Ihnen (zu den Deutschnationalen) parteipolitisch nahestehen, die die Träger Ihrer Bewegung sind, sich von derartigen Dingen nicht fernhalten und daß diese Bearbeitung der Oeffentlichkeit, um einzelne Per⸗ sonen herunterzureißen, seit Jahren fortgeführt wird in einer Weise, die es in der Zukunft geradezu als eine Gefahr er scheinen lassen muß, für jeden, der hier die politische Tribüne in exponierter Stellung betritt. Er läuft Gefahr, am ersten Tage, wo er hier verantwortlich auftritt, in den Mittelpunkt eines Kesseltbeibens gestellt zu werden. (Lebhafte Zustimmung b. d. Sop) Wenn Sie (zu den Deutschnationalen) sich dagegen entrüsten, bin ich Ihnen sehr dankbar. (Sehr gut! links.) Entrüsten wir uns aber bitte, meine Herren, gegen jedes Treiben, daß der politische Kampf zu einem Kampf des Hasses gegen Personen werden darf. (Erneute sti ng links und im Zentrum.)
und Herren! Ich wollte sagen: ich habe selbst Beispiele erlebt, wo die Person — und das muß ich an dieser Stelle einmal sagen —, die den Reichspräsidentenposten be⸗ kleidet, in einem Maße verunglimpft wird, das jeder Staats autorität abträglich sein muß. (Sehr richtig! b. d. Soz.) Es können ja Zeiten eintreten in der Geschichte jedes Volkes, wo der Reichspräsident jeweils, je nach dem Ergebnis der Wahlen, einmal nach links, dann nach rechts oder nach der Mitte hin orientiert 18 kann. Das müßte in Deutschland eine heilige Sitte werden, daß hr Reichspräsident außerhalb des politischen Kampfes steht (sehr richtig! bei den Regierungsparteien), daß er geschont wird, sofern er seine Pflicht tut. Und, meine Damen und Herren, ich glaube, “ Reichspräsident kann nicht Gegenstand bei der Debatte sein; — das eine aber wird man in ganz Deutschland dem Herrn Reichspräsidenten Ebert sagen können, daß er vom ersten Tage seiner Amtsführung an seine Pflicht in einem Maße wahrgenommen hat, die ihm den Dank des ganzen deutschen Volkes für sein Leben und darüber hinaus sichert. (Lebhaftes Bravo! bei den Regierungsparteien. — Zuruf bei den Dnat.: Was hat das mit Gareis zu tun? — Unruhe und Zurufe links.) — Soll ich Ihnen (nach rechts) das Pamphlet zeigen, was in Süd⸗ deutschland verbreitet worden ist? Sie haben nur den Zusammenhang nicht erkannt — — (Zurufe rechts: Nein, den können wir wirklich nicht begreifen, Herr Reichskanzler!) Ich habe vorhin ja erwähnt, 8 in Freiburg vor einigen Tagen gesprochen worden ist. Lesen Sie dos bitte nach. Herr Kollege Dr. Düringer hat mich auf dem Freiburger Parteitag in einer Art behandelt, die ich als gerecht empfinde. Ich bin dort aber auch ungerecht behandelt worden. Ich habe Vorwürfe hören müssen, als ob ich mir in bezug auf meine Auffassung von dem christlichen Charakter einer Partei irgendein Unrecht hätte “ kommen lassen. Diese Vorwürfe sind nicht gerechtfertigt. Ich habe in diesem Zusammenhang gesagt, daß schon vor Jahren Verun⸗ glimpfungen von Personen in einem Pamphlet stattgefunden haben, das von rechts kam und in dem der Herr Reichspräsident nach dem berühmten Muster von Auerbachs Keller von einem andern Politiker mit „Doppelschwein“ bezeichnet worden ist. (Pfuil! und Hört! Hört! b. d. Soz.) Diese Verwilderung durchtobt Deutschland jetzt seit zwei Jahren und erleben wir es, daß diese Verhetzung sich gesteigert hat und schließlich zu einer Atmosphäre führen kann, die zu Entladungen führen muß (sehr wahr! b. d. U. S.); ob die Herren in Süddeutschland das 6 sprünglich beabsichtigt haben, weiß ich nicht. (Große Unruhe und erregte Zurufe b. d. Dnat: Unerhört! Wahlrede! — Abg. Dr. Helf fe rich: Was soll das im Zusammenhang mit Gareis?) — Haben Sie doch Geduld, meine Damen und Herren! (Erneute Zurufe rechts. — Glocke des Präsidenten.)
Dr. Bell: Meine Damen und Herren! Ich bitte wiederholt, Ihre (nach rechts) Gegenäußerungen gegenüber den Dar⸗ legungen des Herrn Reichskanzlers nicht in Form von Zwischenrufen, sondern nachher bei der Aussprache zu machen.
Reichskanzler Dr. Wirth: Meine Herren! Sie fragen mich; ich will darauf gern antworten, um in ruhiger, keidschaftsloser Weise fortzufahren. (Lautes Lachen b. d. Dnat.) — Sind Sie denn sah so klug, daß Sie das, was ich jetzt erst sagen will, schon wissen (Heiterkeit i. d. Mitte u. links.) Ich bexgreife die Herren von rechts nicht. Ich meine, daß eine Kritik dieser Auswüchse Ihnen mindestens so wünschenswert erscheinen könnte wie den übrigen Parteien. (Zustimmung b. d. Soz. — Zurufe rechts.) — Was das mit Gareis zu tun hat, will ich Ihnen erläutern. Ich sehe in der Atmosphäre, wie sie in Süddeutschland von einzelnen Organen allmählich herbeigeführt worden ist und die in Muͤnchen zu Exzessen geführt hat, eine Gefahr für die Einheit des Reichs. Um dieser Gefahr zu begegnen, wende ich mich mit Schärfe gegen diese Auswüchse, und wenn wir die politische Atmosphäre in Deutschland einer Gesundung entgegenführen wollen, so dürfen wir den Monh der da unten geschehen ist, nicht jetzt hier behandeln vom Standpunk der Frage der Schuld und der politischen Motive, sondern wir müssen die politische Atmosphäre kennzeichnen, die mancherorts bisher vor⸗ handen ist und in die der Mord von neuem Aufregungen gebracht hat. (Sehr gut links).
Die Hauptfrage aber, die in diesem Zusammenhange die Inter⸗
leifesten Verdacht auf, um den Spuren nachzugehen kachen b. d. 2 9 8 8
Verunglimpfung einzelner Personen durch die deutschen Lande. Ich
S ellation an mich stellt, ist wohl die nach der Entwaffnungaktion 8
arbern. Meine Damen und Herren! Ich weiß das Opfer, das führende vuerische Kreise mit der Entwaffnung haben bringen miüͤssen, wohl zu wür⸗ ven. Ich habe seinerzeit hier meiner Auffassung offen Ausdruck gegeben. ns nar ein Opfer, ein politisches Opfer, und ich freue mich, Ihnen vittelen in können, daß nach den mir vorliegenden Zahlen die Ent⸗ feungsaktion in Bayern durchaus günstig fortgeschritten ist (Lachen 2 Zurufe b. d. Ver. Kom.) und daß das, was in einigen Kreisen wüürhtet worden ist, als ob nun die Waffenabgabe abgeschlossen sein vede, nicht zutrifft, sondern daß die Waffenabgabe glücklicherweise Fatschreitet, wie wir es in Erfüllung des Ultimatums versprochen
Nun komme ich auf die zweite wichtige große Frage, die Frage Aufbebung des Ausnahmezustandes, zu sprechen. Ich will mit persönlichen Auffassung nicht zurückhalten: ich werde dem 8 g mit aller Kraft zustreben, wo die letzte Spur des Aus⸗ hmelustands in Deutschland verschwunden ist. (Sehr gut! 2½) Ich bitte nur um eines: nicht alles mit einemmal und „einem Tage erstreben zu wollen. Wir haben drei Dinge 8 Füden zu vollenden: die Entwaffnung, die Auflösung gewisser Oraanisationen, hernach die politische Frage des Ausnahmezustandes aledigen. In zwei Fragen hoffen wir, glücklich zu einem guten
zu kommen; es ist zurzeit nicht möglich, was Bayern angeht,
„, driitte Frage heute zu einem definitiven Abschluß zu bringen. Ich kann den Herren aber versichern, daß nach meiner ersten Er⸗ laung im Reichstag wir die Verbindung mit den Ländern auf⸗ mommen haben, um den Abbau des Ausnahmezustandes nicht nur ers nur mit Worten vor Ihnen vorzuführen, sondern auch tatsächlich rhuführen. (Bravo! links.) Die Verbindung mit Preußen hat zu dem Ergebnis geführt, cz in Einvernehmen mit der preußischen Staatsregierung im cäßten Teil der Provinz Sachsen der Belagerungszustand siert aufgehoben werden soll. Die Erörterungen über Auf⸗ ung des Belagerungszustandes in Ostpreußen sind im bange, und ich hoffe, daß nach kurzer Zeit der Ausnahmezustand in greußen derschwunden sein wird. Nach dieser Richtung hin wird die scige Reichsregierung durchaus eine demokratisch positive Politik b ben, um aus diesem Zustand des Ausnabmezustandes herauszu⸗ temmen. (Sehr gut! links.)
Wir hoffen, daß selbstverständlich in der Zeit, wo diese Be⸗ inbungen im Gange sind, unsere Beratungen mit den Ländern nicht auch sinnlose Aktionen von irgendeiner Seite gestört werden. Solche kanlosen Aktionen standen in bedrohlicher Nähe — — (Zuruf bei en Ver. Kom.: Beim Auffahren der Panzerautos bei der Beerdi⸗ umg von Gareis!!) — Habe ich gehört! Daß man sie hat euffabren lassen, war kein glücklicher Gedanke. Wir müssen sanch streben — und ich bitte alle Mitglieder dieses hohen heuses, die Reichsregierung darin zu unterstützen —, daß wir in er nächsten Zeit von sinnlosen Torheiten unbedingt frei bleiben. ch kann mir nicht denken, wie Deutschland gerettet werden soll, wie rir eine Politik der Erfüllung des Ultimatums beginnen, die glück⸗ icherweise vorhandene internationale Entspannung weiterführen bonnen, wenn unser Vaterland innerlich von neuen politischen Wirr⸗ issen heimgesucht werden sollte. (Sehr richtig! b. d. Soz.) Ich zube, unsere Arbeit war nicht vergeblich, Lund ich bitte alle, die üten Willens sind, uns in diesem Bemühen — es mag schmerzliche pfer kosten, gewiß! — ich bitte alle, die guten Willens sind, uns diesen Bmmühungen zu unterstützen. Ich hoffe aber, daß in den
hen Ländern, in denen politische Spannungen vorhanden waren, d inneren Kräften eine gewisse Gesundung herbeigeführt wird.
Ich glaube, die Politik, die wir seit Wochen betrieben haben, sebesondere Bayern gegenüber, war auf dem Grundsatz aufgebaut, iß aus inneren politischen Kräften Bayerns heraus selbst eine Be⸗ nigung der politischen Atmosphäre erfolgen muß. (Sehr richtig! d. Soz.) Und das ist in gewissem Sinne geglückt. Lesen ie bitte, die Stimmen, die heute aus Bayern zu uns gekommen ind. Lesen Sie die neusten Stimmen der Bagyerischen Volkspartei gen den dort zutage tretenden Rechtsradikalismus und Sie werden ir zstimmen, daß doch eine Wendung eingetreten ist, die im Inter⸗ se der Einheit des Reichs nur zu begrüßen ist. (Zurufe aus der daverischen Volkspartei: Schon lange! — Zuruf v. d. U. Soz.: e Erfahrungen sind sehr teuer erkauft!) — Erfahrungen sind awer schmerzlich. Aber Sie wissen, in der politischen Welt ist mit⸗ ter erst eie Umkehr nach sehr bitteren Erfahrungen möglich. Sonst, aten Kriege in einem Maße, wie sie die Welt heimgesucht haben, emals wirklich geworden. (Sehr gut! b. d. Soz.)
Igch lese aber heute in der „Bayerischen Volksparteilichen Kor⸗ srondenz“ Ausführungen, die mir doch tatsächlich zeigen, vor welchen bühtmissen wir in den letzten Wochen gestanden haben. (Sehr wahr! 1d Soz) Ich darf nur zwei oder drei Sätze daraus anführen.
gibt leider sogennante Anhänger einer starken Staatsautorität, ie in Wirklichkeit nichts anderes als Unterwühler des Staats⸗ urfbaus sind.
irt! Hört! b. d. U. Soz.) bh darf nicht verkannt werden, daß tatsächlich Richtungen und Cliguen bestehen,
in Bayern nämlich! — denen die Entwicklung zu langsam geht und die mit verfassungs⸗ virigen Gewaltmitteln die Aufrichtung einer starken Staats⸗ zutorität erzwingen wollen. bärt. Hört! b. d. U. Soz.)
Ich darf noch einen Satz hinzufügenn: 8 daß eine Regierung und Parteien, deren oberstes Prinzip der bgile Staatsgedanke ist, diese illegalen Strömungen von rechts nit allergrößter Aufmerksamkeit betrachten und, wenn nötig, ihnen nit denselben energischen Mitteln entgegentreten müssen, wie es nach links geschieht, ist selbstverständlich.
Meine Damen und Herren, Sie sehen aus diesen Aus⸗ sungen, die doch parteiamtlichen Charakter tragen, ganz deutlich, 16 8. den Kreisen der Bayerischen Volkspartei selbst mit k Möglichkeit von Gewaltputschen von rechts in Bayern echntt worden ist. (Hört! Hört! b. d. U. Soz.) Wenn ich gesagt hätte ohne Bezugnahme auf die eben genannte cerespondenz, wäre vielleicht Anlaß zu großer Erregung vorhanden 8 88 Ich freue mich aber über diese Entwicklung zum legalen 8 iheaes der sich doch jetzt auf breiter Front in ganz Süd⸗
süchland bemerkbar macht. (Zuruf v. d. Dnat.: Das brauchen euns nicht zu predigen!) Und wenn diese Entwicklung von uns
or
vhelt werden kann — und wir werden sie mit allen Kräften för⸗
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geschaut haben.
Meine Damen und Herren! Ich will es mir gern zur ganz be⸗ sonderen Aufgabe machen, die Verbindungen mit den Ländern zu möglichst freundschaftlichen zu gestalten. Mir liegt es fern, den Län⸗ dern diktieren zu wollen. Ich glaube, die Länder haben Anlaß, sich in den nächsten Monaten und Jahren mit dem Reich zusammen⸗ zusetzen — denken Sie nur an die finanzpolitischen Gebiete — und zu beraten, wie man für Retch und Länder — und ich will auch ein⸗ schließen: für die Gemeinden; ich habe eben eine Besprechung mit Oberbürgermeistern gehabt — in freundschaftlichem, friedlichem Geist die großen zu lösenden Probleme meistern kann. Denn wir alle haben allen Anlaß, in einer friedlichen demokratischen Entwicklung den wirtschaftlichen Zusammenbruch unseres Vaterlands und seiner Zellen, der Gemeinden und der Länder, zu vermeiden. (Bravo!) In diesem Sinne reiche ich allen, die guten Willens sind, aus Süden und Norden freundlich die Hand und will über das weggehen, was persönlich über uns ergangen ist. Auch mir liegen die Zeitungen vor,⸗ die solche ungeheuerlichen Beschimpfungen gerade nach Norden dauernd richten. Ich weiß nicht, wer diese Pamphlete jede Woche in gewissen süddeutschen Zeitungen verfaßt. (Zuruf links: Thoma! — Wider⸗ spruch bei der Bayer. Volksp.) — Das wird bestritten. Ich würde jeden Literaten Deutschlands, jeden Künstler aufs tiefste bedauern, wenn er seine Feder zu einem derartigen Henkerswerk mißbrauchen wollte, Volksgenossen gegen einander aufzuhetzen, die im Dienste des Vaterlandes ihre Kräfte verzehren. Verzeihen und Vergessen, das ist die Parole, der ich auf diesem Gebiete folgen will. (Rufe von den Dnat.) — Sie sagen: davon hat man nichts gehört. Ich darf Ihnen sagen: ich habe bisher nicht in einer Form auf alle diese Dinge geantwortet. Ich habe in den letzten Wochen Briefe mit Unter⸗ schriften voll des schmutzigsten Inhalts erhalten. (Hört! Hört! links.) Ich reagiere darauf nicht. Ich kann sie Ihnen vorlesen. (Zurufe von den Dnat.: Kriegen wir auch! Papierkorb!) — Mit Unterschrift! Gui, lassen wir das. Ich bin Ihnen dankbar — — (Zurufe bei den Dnat.: Anonym!) — Die anonymen, dafür habe ich einen guten Papierkorb, die nehme ich überhaupt nicht zur Kenntnis. — Ich sage, ich bin Ihnen dankbar von rechts wie von links, wenn Sie uns helfen, aus diesem Sumpf des gehässigen politischen Kampfes herauszukommen. Das Reich braucht alle seine Kräfte, es braucht alle Söhne aus Süden und Norden, wenn wir die Einheit des Reichs, unser Volk und unser Vaterland überhaupt retten wollen. (Anhaltender lebhafter Beifall im Zentrum, bei den Dem. und Soz. — Zischen bei den Dnat.)
(Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger*).)
Ein Gesetzentwurf, betreffend das Ab⸗ kommen zwischen Deutschland, Polen und der freien Stadt Danzig über den freien Durch⸗ gangsverkehr zwischen Ostpreußen und dem übrigen Deutschland, sowie ein Gesetz, betref⸗ tend den Ergänzungsvertrag zum deutsch⸗ polnischen Vertrage überdie Entlassungfest⸗ gehaltener Personen und die Gewährung von Straffreiheit (deutsch⸗polnischer Amnestie⸗ vertrag), werden ohne Aussprache dem Ausschuß für aus⸗ wärtige Angelegenheiten überwiesen.
Sodann wird die Besprechung der Interpella⸗ tion der Unabhängigen Sozialdemokraten, betreffend die Ermordung des bayerischen Landtagsabgeordneten Gareis, fortgesetzt.
Abg. Gruber⸗München (Soz.): Der Reichskanzler hat mit
seiner gestrigen Rede zweifellos einen außerordentlichen Eindruck
auf das ganze Haus hervorgerufen. Ein Blick in die Presse der rechtsstehenden Parteien zeigt, daß die Berliner deutschnationale Presse in erfolgreiche Konkurrenz getreten ist mit dem Sauherden⸗ kton des „Miesdacher Anzeigers“. Der traurige Fall, der der Inter⸗ pellation zugrunde liegt, beleuchtet die Zustände in der Ordnungs⸗ zelle Bayern taghell. Bayern ist an sich ein Zustand geworden, der gefährlich zu werden droht in gans Deutschland und für die deutsche Einheit, ein Zustand, an dem ein wahrer Freund des
Vaterlandes und des deutschen Volkes sicher keine Freude haben kann, lediglich Dr. Helfferich und seine Freunde. Ich unter⸗ schreibe alles Wort für Wort, was der Reichskanzler zur Ver⸗ urteilung des gemeinen Verbrechens gesagt hat. Ich unter chreibe auch, was er gegenüber der unverantwortlichen Hetze in Bayern gesagt hat, die von der sogenannten Mittelpartei, dem bayerischen Ableger der deutschnationalen Volkspartei, getrieben wird. Die Korrumpierung der öffentlichen Meinung ist auf diese stinnesierte Presse zurückzuführen. Es ist höchste Peit, die Entgiftung der Atmosphäre herbeizuführen. Die deutschnationale Sumpfpflanze, die in Bayern bis dahin ein unbekanntes Gewächs gewesen ist, verbreitet einen verderblichen, pestartigen Geruch, der die ganze politische Luft vergiftet. Diese deutschnationale Sump planze in Bayern auszurotten, ist höchste Zeit, und ich hoffe auch, 889 die Kräfte 898 Aufgabe gewachsen sind. Von dem guten Willen des Reichskanzlers, die in der Interpellation gestellten “ sich in vollem Umfange zu eigen zu machen, bin ich überzeugt. Wir verlangen aber auch die entschiedene Durchführung dieser Forderungen. Der Abbau des Ausnahmezustandes ist uns in Aussicht gestellt worden, nun muß er aber auch in Erfüllung gehen. Die allgemeine Volksentrechtung hat im ganzen Reich zu großer Mißstimmung und Erbitterun beigetragen, und diese Ent⸗ rechtung gerade des arbeitenden Volkes führt auch dazu, daß wir nicht in der Lage sind, der Vergiftung der politischen Atmosphäre durch die rechte Seite und ihre Presse wirksam entgegentreten zu können. Zu den Widerständen, die in Bayern gegen die Beseitigung des Ausnahmezustandes sich geltend machen, gesellen sich solche auch in Preußen, wo noch der alte militärische Geist zu herrschen scheint, der muß endgültig endlich ausgerottet werden. (Zurufe rechts: Hörsing!) Dann erst ist an Beruhigung in Deutschland zu denken. Der Kanzler hat mitgeteilt, daß die Waffenabgabe in Bayern günstig fortschreitet. Wir haben alle Ursache, die Kund⸗ gebungen der bayerischen Regierung mit dem größten Mißtrauen aufzunehmen. Der Kanzler muß uns genaue Mittelungen über die Zahl der abgelieferten Waffen machen. Nach Tirol sollen nicht weniger als 112 000 Gewehre und 12 000 Maschinengewehre verschoben sein. (Hört!) Die Auflösung der Einwohnerwehren und der Orgeschorganisationen muß mit größter Beschleunigung erfolgen, und die bayerische Regierung ist verpflichtet, an den Maßnahmen zur Erfüllung des Ultimatums mitzuwirken. Da hören wir aber, daß der Landeshauptman Escherisch erklärt hat, er werde sich niemals dazu hergeben, in der Entwaffnungsfrage irgend etwas zu tun, und es sind Stimmen laut geworden, die die Auffassung vertreten: „Lieber das Ruhrgebiet preisgeben, als die Einwohnerwehr entwaffnen!“ Es heißt, die Wehren seien auf⸗ gefordert, sich freiwillig der Waffen zu entledigen. Tatsächlich ver⸗ anstalten die Einwohnerwehren noch heute Fahnenweihen und Festzüge. Die Regierung Kahr rührt sich nicht. Man gibt sogar zum Teil die abgelieferten Waffen den Wehren wieder zurück! An⸗ scheinend wird sozusagen mobil gemacht. Diese Wahrnehmungen
*— zann, glaube ich, ist die Gefahr für die Einheit des Reichs
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*) Mit Ausnahme der vree. hervorgehobenen Reden der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben ünd.
gebannt, der wir in den letzten Monaten so oft sorgenvoll entge n⸗
117. Sitzung vom 18. Juni 1921, Nachmittags 1 Uhr. “
passen dem Optimismus des Reichskanzlers sehr le gt Was an Tatsachen aus den Niederungen “ Heberas vom Interpellanten überreich beigebracht worden ist, genügt voll⸗ kommen, um die Mord⸗ und Totschlagatmosphäre begreiflich zu machen, die sich in Bayern so ausgebreitet hat. Man braucht sich über die Ergüsse einer solchen Hetzpresse nicht zu wundern, wenn man bedenkt, daß ein Führer wie Dr. Heim stets öffentlich in Bayern nur vom Berliner „Saustall“ spricht und immer wieder betont, Bayern müsse an der Reichsverfassung noch zugrunde Fhg. Herr Dr. Heim hat jedenfalls trefflich vorgearbeitet; er ist Geschäftsmann durch und durch, er witzelt gern über die Juden, itzt aber in Aufsichtsräten mit jüdischen Rechksanwälten zusammen. us diesem Boden ist die Geistesrichtung herausgeboren, die zu der Ermordung von Gareis geführt hat. Es handelt sich um einen Mord aus politischen Gründen. Die bayerische Regierung läßt durchblicken, es werde eine Ueberraschung geben. Da wird gesagt, Seraing sei der 12789 der zuletzt dabei war, von einem poli⸗ tischen Mord sei keine Rede, der Täter sei in der Nähe von Gareis zu suchen. Zu wessen Nutzen geschieht das? Die bayerische Regie⸗ rung ist ein Produkt des Kapp⸗Putsches. Ehe Herr von Kahr E1ö“ hat er gegen die damalige Regierung konspiriert und sich das Vertrauen des Dr. Heim erworben, ob⸗ wohl er Protestant ist. Der jetzige bayerische Justizminister Roth ist ein Mann nach dem Herzen des Herrn Helfferich, er hat sich der Malzschieber angenommen, die von ihrem Millionengewinn nur einiges an die Staatskasse abgeben sollten, womit dann alles ab⸗ Feent sein sollte. Wir Sozialdemokraten haben das vereitelt. er Münchener Polizeipräsident von Pöhner ist Kappist. Er be⸗ absichtigt, bürgerliche Redakteure zu verhaften, die den Kappisten nicht genehme Nachrichten brachten. Herr von Kahr hängt aber ganz von der Gnade des Herrn Escherich ab. Die Füße derer, die ihn hinaustragen werden, stehen schon vor der Tür. Wie lange ge⸗ denken noch die sogenannten Demokraten in Bayern und der Bauernbund jenes System zu stützen? Jede Zeitung wird unter⸗ drückt, die Herrn von Pöhner nicht genehm ist. Ist es ein Wunder, wenn die gesamte Arbeiterschaft sich über den an einem Arbeiter⸗ führer verübten Mord so aufgeregt hat? Der Mörder wird ja auch wieder nicht entdeckt werden wie in so manchen anderen Fällen, weil die Polizei ihn eben nicht finden will. Bei ver⸗ schiedenen Mordtaten, die in der letzten Zeit verübt wurden, hieß es nachher I“I Ach, die Kommunisten haben den Mord be⸗ gangen. Es ist ein Unglück, wenn Generäle und Seubere Politik machen, die im Krieg Gewalttätigkeiten und Mißachtung von Menschenleben gelernt haben. Der Fall Gareis ist ein Mord aus olitischen Gründen, der Schuß galt dem Vorkämpser der Arbeiter⸗ chaft und dem Vorkämpfer des Keichsgedankens und der Republik. Von dem Schuß ist die deutsche Republik getroffen. Die ungeheuren Schwierigkeiten, unter denen die bayerische Regierung, wie der Reichskanzler sagt, steht, sind von dieser selbst geschaffen worden. Man hat Helfferich den Gefallen tun und zeigen wollen, daß es auch ohne Sozialdemokraten geht, aber es geht eben nicht ohne die Sozialdemokraten. Von dem Proteststreik gegen die Volksknechtung, die Mordwirtschaft und die Militärwirtfchaft hat sich die christrich⸗ sotal. Seepn haft in einem Anfall von Gelbsucht ferngehalten, aber die klassenbewußte Arbeiterschaft ist dem Rufe gefolgt und hat der Regierung Kahr eine Warnung erteilt. Die bayerische Volks⸗ artei und die Demokraten halten aus Angst vor Putschen zu⸗ ammen. Das Ultimatum kann nicht erfüllt werden, wenn große Teile des Volkes der Regierung mit Mißtrauen gegenüberstehen, ohne oder gegen die Arbeiterschaft kann nicht regiert werden. Es genügt nicht, daß die bayerische Volkspartei sich von den Herren Escherich und Kanzler losgesagt hat, sondern sie muß sich auch von den Deutschnationalen lossagen. ie jetzige bayerische Politik schädigt das Reich und besonders die Interessen des Rheinlands, weil dieses zuerst unter den Sanktionen leidet. Deshalb hängt die Politik Bayerns mit dem Bestand des Reiches zusammen. enn wir das Ultimatum erfüllen und die Republit erhalten wollen, müssen alle Kräfte zusammenwirken. Dann würde nicht nur Bayern, sondern dem ganzen deutschen Volk ein Dienst erwiesen. (Beifall b. d. Soz.) G Abg. Schwarzer (Bayer. Volksp.): Während Herr Unter⸗ leitner von der Verwilderung in Bayern spricht, spielen sich Dinge im Reichstag, ab die die Verwilderung drastisch darstellen. Eunruße links.) Es bestehen keine besonderen Verhältnisse in Bayern. (Lachen links.) Alle Vorkommnisse, die man als Spezialität Bayerns anführt, kommen in allen Ländern des Reiches täglich vor. Es hat den Lii r. als ob das ganze Kesseltreiben der äußersten Linken den Zweck hat, den Fremdenverkehr nach Bayern zu unter⸗ binden. (Großes Gelächter.) Jedenfalls kann dies die Folge der Hetze sein. (Erregte Zwischenrufe des Abgeordneten Lede⸗ o ur.) Damit schädigt man die Arbeiter in der Fremden⸗ industrie. (Abgeordneter Ledebour sehr erregt: Es ist eine Er⸗ bärmlichkeit, die Arbeiterschaft so zu verdächtigen! — Präsident Löbe ruft ihn wegen des Ausdrucks Erbärmlichkeit zur Ord⸗ nung. Der Abgeordnete Ledebour fährt mit längeren er⸗ regten Zwischenrufen fort.) Seien Sie doch nicht so nervös. (Der Abgeordnete Ledebour spricht fortgesetzt dazwischen, es ent⸗ steht längere große Unruhe, die der Präsident mit Mühe durch die Glocke zu dämpfen sucht.) Die Linke mutet uns zu, ihre Vorwürfe und . stundenlang anzuhören (sehr wahr! rechts), aber sie ist zu feige, um anzuhören, was wir zu sagen haben. (Sehr wahr! rechts.) Die Linke Vorwürfe — machen. Fere⸗veeen. Lede gegen alle Mörder, von welcher Lärm und andere lebhafte Zwi 29 Wer nach Bayern kommt, kann Feehen, aß der Vorwu r Verwilderung, der Unfreiheit und Verfolgung nicht zutrifft. (Abgeordneter Kuhnt dn. Soz.]: Sie sind der Beweis dafür. Pröstzent Löbe ruft den Abgeordneten Kuhnt zur Ordnung.) Wir hätten viel mehr Ur⸗ sache, uns über den Terror durch die Arbeiter zu beklagen. Wir verwahren uns dagegen, daß aus einer noch völlig ungeklärten Mordtat und einzelnen, auch für uns unerfreulichen Er⸗ schetpunpen ein Haberfeldtreiben gegen Bayern gemacht wird. Die ordtat hat große Erregung hervorgerufen, aber eine Mordtat wird eben von jedem anständigen Menschen verurteilt. Die Kommunisten und die Ursggssn treiben mit dem Mord Agitation, suchen aus dieser verrückten Tat Kapital zu schlagen. (Unruhe links.) 89 kann mir nicht vorstellen, wie aus dieser vereinzelten Tat wierigkeiten entstehen könnten, wie sie der Kanzler andeutete, die zur I oder Trennung des Südens vom Norden Sas . führen könnten. So lange die Mordtat vS. nicht aufgeklärt und der Täter nicht ermittelt ist, hat überhaupt kein 25 das Recht, von einem u“ Mord zu reden. (Stürmischer Wider pruch links.) Der Mord ist bis zur Stunde nicht aufgeklärt. In München gehen auch unter den sozialistischen Arbeitern darüber die sonderbarsten Ge⸗ rüchte. Was Unterleitner und Gruber als Motive für die Mord⸗ tat hingestellt haben, sind auss 8eh Mit Be⸗ dauern stelle ich 8 daß auch der Reichskanzler in dieser Be⸗ ziehung die für ihn gebotene in gewissem Grade überschritten hat. ür die ganze Inter⸗ (Abgeordneter
at den Mut, uns our: Ich bin artei sie auch sein mögen!
u (Sehr nne rechts.) pellation besteht zurzeit noch gar kein Anlaß. Ledebour: Es ist noch veete gensg gemordet!) Die Unter⸗
2Sisn
ändigen Stellen. (Zuruf links: Das könnte Ihnen so passen!)
ie wollen Sie denn zu Ihrem Recht kommen, wenn Sie die Stellen, die mit der Ermittlung des Täters sic eüce schon im vorhinein derart verdächtigen? Sie haben also gar keinen Grund, von einer Verschleierung zu 1r.S Das ganze Verhalten der sozialistischen Parteien 9 dem Morde ist mir unbegreiflich. Es gibt in Bayern keine einzige maßgebende Stelle, die nicht un⸗ mittelbar nach dem Morde (Ruf links: Krokodilstränen geweint hättel!) den beteiligten Kreisen, den Verwandten und der Partei volle Genugtuung geleistet 18 Das bayerische Kabinett hat sofort nach der Tat seinen Abscheu und die schärfste Verurteilung über den Mord ausgesprochen, ebenso der eeP des Landtags, dem sich alle Parteien und die ganze Oeffentlichkeit anfes lossen
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söhosen örden und der bayerische Landtag sind die traig zu⸗ t
haben. Auf Entdeckun dseen rders ist von der eru eine Belohnung von 10 ter von 980 000 Mark ausges