Nichtamtliches.
Fortsetzung aus dem Hauptblatt.)
SDSeuutscher Reichstag. 145. Sitzung vom 17. November 1921, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger“).)
. Auf der Tagesordnung stehen zunächst Interpella⸗ tionen.
Die Interpellationen der Abgg. Mumm und Ge⸗ nossen (D. Nat.), betreffend die Bekämpfung der Schund⸗ und Schmutzliteratur, der Abgg. Graf v. Kanitz und Ge⸗ nossen (D. Nat.), über die Wirtschaftslage in Ostpreußen, und der Abgg Arnstadt und Genossen (D. Nat.), be⸗ treffend die Ratifizierung der Wiesbadener Protokolle ohne Zustimmung des Reichstages, werden nach den Erklärungen der Regierungsvertreter innerhalb der geschäftsordnungs⸗ mäßigen Frist beantwortet werden.
Ohne Debatte wird in allen drei Lesungen der Gesetz⸗ entwurf über Abänderung der Bekannt⸗ machung über ausländische Wertpapiere an⸗ genommen (Erstreckung des Ausfuhrverbots für ausländische sherthapiere auch auf Zins⸗, Gewinnanteil⸗ und Erneuerungs⸗
eine).
Der Gesetzentwurf über das Verfahren in
Versorgungssachen wird ohne Aussprache in erster
Beratung dem Ausschuß für die Kriegsbeschädigtenfürsorge
überwiesen.
Die am Freitag abgebrochene Besprechung über die Interpellationen der Deutschnationalen wegen Aufhebung der Zwangswirtschaft für landwirtschaftliche Produkte und wegen Getreideverschiebung sowie der Inker⸗ pellation der Sozialdemokraten wegen der Warenpreissteigerung und Wuchers wird fortgesetzt. In Ver⸗ bindung damit werden die Anträge der Unabhängigen Sozialist en über die Kartoffelregelung (Ausdehnung des Umlageverfahrens auf den Kartoffelverkehr) und Erhöhung der täglichen Mehlration auf 260 Gramm, über die Regelung des Getreideverkehrs, auf die sich auch ein Antrag der Sozialdemokraten bezieht (Stellung von Mitgliedern
in der Geschäftsabteilung der Reichsgetreidestelle durch die
Arbeiterorganisationen), sowie ein Antrag der bayerischen Volkspartei und des Zentrums über die Genehmi⸗ gungspflicht für den Aufkauf von Getreide und Kartoffeln beim Erzeuger beraten.
Abg. Hepp (D. Vp.): Wenn insbesondere von der linken Seite den sachlichen Gründen, die von sachverständiger Seite vor⸗ ebracht worden sind, so wenig Verständnis entgegengebracht wird, se wird es sehr schwwer sein, über die grundlegenden wirtschaft⸗ lichen Fragen eine Einigung zu erzielen. Das liegt aber wohl auch gar nicht im Interesse jener Seite des Hauses, denn dadurch würde ja die gesamte Grundlage ihrer Politik, insbesondere die
Gegnerschaft gegen die Landwirtschaft, zunichte gemacht werden. (Unruhe links.) Wir müssen der Landwirtschaft dankbar sein, daß sie trotz der dauernden Hetze Ruhe und Ordnung zu bewahren verstanden hat. Der Minister hat mit Recht darauf hingewiesen, wo die wahren Gründe der Teuerung zu suchen sind. Unsere ganze ist die Folge der sogenannten Erfüllungs⸗ politik des jetzigen Kabinetts. Es ist nun nicht richtig, die Land⸗ wirtschaft aus dem Zusammenhang mit der nzen Wirtschaft
herauszunehmen. Mit der Intensivierung der ndwirtschaft, die wir uns ja besonders angelegen sein lassen wollen, ist eine engede und innigere Verknüpfung der Landwirtschaft mit den übrigen Zweigen unseres Wirtschaftslebens eingetreten. Für die Teuerung kommt auch der Ausverkauf Deutschlands in Betracht. Nicht nur kommen die Ausländer nach Deutschland und kaufen uns hier aus, sondern das Unerhörte ist Tatsache geworden, daß deutsche Ge chäftsleute, die man hier ruhig unter die Rubrik der Schieber stellen kann, ins Ausland gehen und dort ihre Ware billig an⸗ bieten. Ich habe hier einen Ausschnitt aus einer holländischen Zeitung, wo ein deutscher Kaufmann annonciert, daß eine Reise nach Deutschland unnbtig sei. Es ist ein Berliner Fabrikant, der sich im Zentralhotel im Haag aufhält und seinen ganzen Vorrat zu niedrigen Preisen anbietet. Das ist das Schamloseste, was ich mir denken kann. Die Regierung sollte ihr besonderes Augen⸗ merk darauf richten, wie es gelingt, diesen Ausverkäufen endlich
mal ein Ende zu machen. Dann einige Worte zu der speziellen Frage der Teuerung auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Er⸗ zeugnisse. Durch die Zwangswirtschaft sind die Preise künstlich niedrig gehalten worden, und nachdem diese allmählich beseitigt ist, müssen sie natürlich auch den Weg gehen, den die Erzeugnisse der Industrie schon seit Monaten gegangen sind, mit anderen Worten, auch hier muß eine Anpassung der Preise an die Pro⸗ duktionskosten eintreten. Die Produktionskosten der Landwirtschaft sind ganz außerordentlich gestiegen, insbesondere auch die Preise fuür Düngemittel. 1913 kostete das Kilo Ammoniak 1,30 Mark, jetzt 14,70 Mark; das Kilo Kalkstickstoff 1,20 Mark, jetzt 1,90; Superphosphat 2,30, heute 8 Mark. Aehnlich sind die Preise für htttzenaitscf gestiegen, z. B. kostete 1913 der Zentner Kleie 4,50 Mark, heute 200 Mark, also eine Steigerung von 3540 %. (Hört, hört!) Schließlich muß es auch dem Dümmsten klar werden, daß ie Landwirtschaft, wenn sie ihren Betrieb aufrechterhalten will, durch Heraufsetzung der Kosten ihrer Erzeugnisse den gestiegenen Produktionskosten Rechnung tragen muß. Die Brotpreise sind auch deshalb gestiegen, weil das Reich nicht mehr in der Lage ist, die Verbilligungsaktion durchzuführen; wir können nicht mehr
10 ¾³ Milliarden für die Brotwerbilligung bereitstellen. Was die Preisbildung auf dem freien Markt betrifft, so hat hier die Land⸗ wirtschaft nur ganz geringen Einfluß, der Einfluß der Landwirt⸗ schaft auf den Getreldehandel, besonders auf die Produktenbörse, ist außerordentlich klein, und auch hier wieder zeigt sich der Zu⸗ sammenhang zwischen unserer kanzen wirtschaftlichen Lage und den Preisen der landwirtschaftlichen Erzeugnisse. In dem Maße, wie namentlich in den letzten Wochen die Mark im Werte ge⸗ sunken ist, sind die Getreidepreise an der Produktenbörse in die Höhe gegangen. Zur Kartoffelfrage ist mit Recht darauf hin⸗ gewiesen worden, daß neben einer immerhin geringeren Ernte doch in erster Linie die Mängel im Transportwesen an der augen⸗ blicklichen Notlage schuld gewesen sind. Wir bedauern lebhaft, daß das Reichsverkehrsministerium dieser Frage nicht rechtzeitig die nötige Sorgfalt zugewandt hat, obwohl von maßgebenden Stellen, insbesondere aus Kartoffelhändlerkreisen, rechtzeiti auf den Mangel an Transportmitteln hingewiesen worden ist. ’ verliest Stellen aus einem Briefe eines Berliner Kartoffelhändlers an die Handelskammer und das Verkehrsministerium, der vom 28. September datiert ist, worin auf die drohende Katastrophe hingewiesen wird mit dem Bemerken, daß schon damals in den Kreisen Stolp und Rummelsburg in Pommern mehrere 1000 Waggons fehlten. Auch die landwirtschaftlichen Großorganisationen haben rechtzeitig das Ministerium aufmerksam gemacht. Wegen der schlechten Ernte in Holland mußten die westlichen Ver⸗ raucher ihren Bedarf aus dem Osten decken. Vom Ministerium haben wir nun die beruhigende Zusicherung erhalten, daß unsere Ernte⸗ menge vollauf genügt zur Ernährung unseres Volkes. Von demo⸗ kratischer Seite liegt eine Anfrage an die Regierung vor, die von
einem angedrahten Lieferstreik der Landwirte spricht. Ich kann nicht vertehen, wie von einer bürgerlichen Partei, die doch immer⸗ hin noch gewisse Beziehungen zum Lande hat, eine solche Anfrage
gestellt wird. Jedenfalls möchte ich meinen Berufsstand ganz energisch dagegen verwahren, daß hier von einem Lieferstreik ge⸗ sprochen werden könnte. Die Zuckerknappheit hat ihren Grund in erster Reihe ebenfalls in dem Versagen der Transportmittel, ferner darin, daß die Zuchkerwarenindustrie an einem wahren Hunger nach Zucker leidet, und ferner in der Taktik der Reichs⸗
weiterer Zuckermengen
den Zucker zurückhält. Eine Freigabe G 2 8 8 Verhältnisse erheblich
rechtzeitig vor Weihnachten würde die 6 bessern. Die Angriffe gegen die Landwirtschaft jind unberechtigt und müssen entschieden zurückgewiesen werden. Die Sozialdemo⸗ kratie hat am wenigsten ein Recht, der Landwirtschaft daraus einen Vorwurf zu machen, daß sie sich jetzt auch organisiert. Die Land⸗ wirte sind zu der Erkenntnis gekommen, daß es ohne Organisation nicht geht, und werden sich durch nichts von dem nunmehr be⸗ schrittenen Wege abbringen lassen. Die Landwirte haben übrigens eine ganze Menge Nahrungsmittel zu mäßigen Preisen, teilweise sogar unentgeltlich an die Verbraucher abgegeben. So hat der Landbund eine Million Zentner Kartoffeln zum Preise von 25 bis 30 Mark pro Zentner geliefert, und die Stadt Breslan hat durch die Landwirte 5000 Zentner Weizenmehl zu einem sehr mäßigen Preise erhalten. Bedauerlich ist, daß das Zentrum hat erklären lassen, es werde, wenn im nächsten Jahre dieselben Schwierigkeiten auftauchen, sich für ein Umlageverfahren für Kartoffeln einsetzen. Es ist ein gründlicher Irrtum, anzunehmen, daß durch die Zwangswirtschaft die Versorgung der Verbraucher stichergestellt werden wird. Eine Zwangswirtschaft würde nur eine Verringe⸗ rung der Produktion zur Folge haben. Die Erfahrung hat ge⸗ lehrt, daß die Festsetzung von Richtpreisen, die kaum die Ge⸗ stehungskosten decken, nur dem Zwischenhandel und dem Schleich⸗ handel Vorteile bringt. Ganz entschieden müssen wir uns dagegen wenden, wenn, wie dies durch ein Wuchergericht in der Provinz Hannover geschehen ist, Landwirte verurteilt werden, die für Kar⸗ toffeln mehr als 40 Mark genommen haben. Durch derartige Bestrafungen wird die Versorgung überhaupt in Frage gestellt. Unzweckmäßig sind auch Ausfüuhrverbote für einzelne Kreise. Das bEööö“ in Hessen hat eine Verordnung über eine Kartoffelumlage erlassen. Das ist eine Durchbrechung der Einheit der Gesetzgebung. Dem Antrage der Unabhängigen auf Ein⸗ führung eines Kartoffelumlageverfahrens können wir nicht zu⸗ stimmen. Wir müssen aus den Erfahrungen lernen, die uns gezeigt haben, daß Zwangsmaßnahmen zu einem systematischen Rückgange der Erzeugung gefuͤhrt haben. (Widerspruch links.) Auch mit Rücksicht auf die staatliche Autorität lehnen wir eine solche Zwangsmaßnahme ab. In den „Sozialistischen Monats⸗ heften“ hat sich auch ein Sozialdemokrat über die bürokratische Zwangswirtschaft sehr abfällig geäußert. So wird dort erklärt, daß die Bürokratie das ganze Ernährungswesen nur als eine Frage der Erfassung angesehen habe. (Hört! Hört! rechts.) Ob eine Erhöhung der ö Mehlration möglich ist, das zu ent⸗ scheiden muß der Reichsregierung überlassen werden. Den weiteren Antrag der Unabhängigen auf Erhöhung der Umlage für Getreide von 2 ½ auf 3 ½⁄½ Millionen Tonnen lehnen wir ab. Die Landwirtschaft kann nicht mehr abliefern, als ihr jetzt vor⸗ geschrieben ist. Der Sinn des jetzigen Umlageverfahrens war doch der, daß nach Erfüllung der daraus sich ergebenden Ver⸗ ftsgetethen die Landwirtschaft von weiteren zwangsweisen Liese⸗ rungen befreit sein sollte. Die Erweiterung der Ümlage ist gar nicht durchführbar, weil der überwiegende Teil der Landwirt⸗ schaft darüber vingus⸗ kein Getreide besitzt. Die Teuerung können wir nur durch Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion verhüten. Wir brauchen eine “ Menge von Produktions⸗ mitteln und Sicherung der Arbeit auf dem Lande vor dem Streik, auch die Sicherung der Arbeit in den Industriebetrieben, die für die “ arbeiten. Die Stillegung der Leunawerke im März durch die Unruhen bewirkte einen Froduktionsaucfoll an Stickstoff von 35 000 Tonnen im Werte von 78 Millionen Mark. Das bedeutete für die Landwirtschaft einen Verlust von 120 000 Tonnen Getreide. (Hört! Hört! rechts. Unruhe links.) Wir sind bereit, an der Abhilfe für die Not des Vaterlandes mit⸗ zuarbeiten. (Beifall rechts; Ruf links: So sehen die Herren aus!) 1 . b
Abg. Trieschmann (Dem.): Es ist eine Versündigung am Volke, daß die schwierige Lage seiner Ernährung sowie seiner äußeren Politik parteipolitisch ausgenutzt wird. (Sehr wahr!) Es ist nicht wahr, daß, wie die Abg. Frau Wurm in der letzten Sitzung sagte, die Landwirtschaft kein Verständnis für die Not des Volkes habe. Unser Volk ist sehr leicht vergeßlich und vergißt, was Folge des verlorenen Krieges sein muß. Gegen die Bürger⸗ lichen, auch die demokratische Partei, ist der Vorwurf erhoben, daß durch Aufhebung der Zwangswirtschaft dem Schiebertum Tür und Tor geöffnet sei; aber gerade unter der Zwangswirtschaft hat das Schiebertum und Wuchertum geblüht, und gerade deshalb war die demokratische Partei für die Aufhebung der Zwangswirtschaft. Auch die Preissteigerung läßt sich durch die Zwangswirtschaft nicht verhindern, während der Zwangswirtschaft wurden schon für die Kartoffeln im Schleichhandel 50 bis 60 Mark sezahlt. Wir müssen vor allem die Produktion heben. Wer “ das ganze Wirtschaftswesen durch Zwang regeln zu können, soll nur an Rußland denken. Als Landwirt weiß ich wirklich nicht, wie das Umlageverfahren die Kartoffelversorgung verbessern sollte; im Gegenteil, die Versorgung würde verschlechtert werden. Zunächst kommt dieser Antrag zu spät; denn viele Landwirte, namentlich die kleinen, haben ihre Kartoffeln sämtlich auf den Markt ge⸗ bracht, und was soll mit den Landwirten geschehen, die wegen einer Mißernte keine Kartoffeln zur Verfügung haben? Deshalb können wir diesen Antrag nicht annehmen. Die Preisentwicklung ist durch die Stockung des Transportwesens ungünstig beeinflußt worden; dazu kam die Nervosität der städtischen Bevölkerung, die sich mit einmal für die Dauer eindecken wollte, und schließlich boten auch die Aufkäufer der Industrie die höchsten Preise an. Nach den Erklärungen des Ministers zur Getreideversorgung ist ja bereits zwei Drittel der Sollmenge eingegangen. In den be⸗ setzten Gebieten wird es aber den Landwirten schwer werden, das letzte Drittel aufzubringen, und ich möchte daher diesen gegen⸗ über Nachsicht empfehlen. Ob eine Erhöhun der Mehlration möglich ist, muß dem Ministerium Uberlassen werden. Die heutige Zeit ist nicht dazu angetan, um Bürger und Bauern gegen einander aufzureizen, sie sollen vielmehr gemeinsam arbeiten. Ich kann Ihnen die Zusicherung geben, daß wir Land⸗ wirte bereitwillig alles tun werden zur Sicherung der Volks⸗ ernährung. (Beifall.) Vor allen Dingen wird es notwendig sein, den Siedlungsgedanken praktisch zu verwirklichen, wir müssen unser Augenmerk auf die Beschaffung von Neuland richten. Man wird es im Volk nicht verstehen, daß in dieser schwierigen Zeit noch so viel unkultivierte Strecken vorhanden sind. Es muß Zeit eine Stelle geschaffen werden, vor der aus dieses große Werk in Angriff genommen wird. Nach meiner Ansicht könnte diese Stelle das im Abbau begriffene Reichsministerium für Ernährung sein. Man könnte diese Arbeiten in Verbindung bringen mit der Ar⸗ beitslosenfrage, mit der Wohnungsfrage und damit auch mit der Ernährungsfrage überhaupt. Ein Gesetzentwurf muß ausgearbeitet werden mit dem Grundgedanken: durch Arbeit zur Wohnung, durch Arbeit zur Siedlung und damit auch zur Ernährung des Volkes. Gibt man dem Arbeiter die Möglichkeit zu einer selb⸗ ständigen Existenz, dann werden sich viele in den Dienst der Sache stellen. Wir haben im Deutschen Reich mehr als 3 Millionen Hektar Moor⸗ und Oedland, das der Kultur erschlossen werden kann. Man fragt sich vergeblich, warum wird dieses Werk nicht endlich in Angriff genommen, damit der Notstand beseitigt wird und die Nahrungsmittel, die wir noch vom Ausland beziehen müssen für 60 Millionen Menschen in unserm eigenen Vaterland erzeugt werden können. Bei Durchführung dieses Gedankens würde man auch der Wohnungsnot beträchtlich steuern können. Wenn man 400 000 Siedlern auf diese Weise eine Existenz schaffen kann, so sollte man endlich ans Werk gehen. Ich bin auch der Ueberzeugung, daß weite Schichten deutscher Arbeiter, die nicht mehr unter den Schikanen der Polen in dem abgetretenen Ober⸗
*) Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgehobenen Reden der Herren Minister, die im Moeern wiedergegeben sind.
schlesien arbeiten
wollen, dann nach Deutschland zurückkehren
1“ 1u“ 8
zuckerwirtschaftsstelle, die den Preis gewaltsam niedrig hält und
werden und · ern ous Süd⸗ und Mitteldeu schlot
gingen, um Pioniere des Deutschtums
die einst an die Gkenze (Beifall.) Reichswirtschaftsminister Schmidt: Meine Damen Herren! Die Interpellanten haben bewegte Klagen über enorme Preissteigerung geführt, die wir in den letzten Monatz zu verzeichnen haben, und sie haben sehr recht mit ihrer weiten Beschwerde, daß diese Preissteigerung nicht in allen Fällen ein objektive Begründung findet. Ich bedauere, daß wir diese Pret steigerung in den letzten Monaten zu verzeichnen haben, me sehe mit banger Sorge der Zukunft entgegen; denn ich weiß, 8. diese Preissteigerung noch nicht ihren Abschluß gefunden h
Es ergeben sich natürlich für unser Wirtschaftsleben nicht m. auf dem Gebiete des Lebensmittelmarktes, die eingehend hier „ sprochen worden sind, sondern auch sonst auf dem Warenme ganz unbegründete Preissteigerungen, die ihre Rückwirkung a. unser gesamtes Wirtschaftsleben ausüben, es in seinen Tiigh erschüttern und politisch eine Erbitterung und Erregung in Bevölkerung hervorrufen, die zu beklagen ist.
Die Ursachen der Preissteigerung sind im Laufe i Debatte durchaus richtig dargestellt worden. Wir haben n Preissteigerung, die auf die Entwertung unserer Mark zu zuführen ist, die unmittelbar in der Preisbildung zum Ausdyg kommt bei allen Waren, die vom Ausland eingeführt were Hiergegen kann keine Regierung erfolgreiche Maßnahne ergreifen, es sei denn, daß sie in unserer Finanzgebarung, der Gestaltung des Wertes unserer Zahlungsmittel auf dem Aa⸗ landsmarkt eine Besserung erreichen können. Die Rückwirhm, ergibt sich auch für diejenigen Waren, die wir zum Teil in za heimischen Wirtschaft selbst erzeugen, den zur Deckung e inländischen Bedarfs aber noch erforderlichen Rest aus dem Anz⸗ lande beziehen müssen. Auch da solgt natürlich der Inlandsprat der Ware in sehr schnell aufsteigender Tendenz dem des Aes⸗ landsmarktes. Es gilt das auch von solchen Waren, die zu einen erheblichen Teil aus Rohstoffen hergestellt werden, die wir um aus dem Auslande beziehen können. Auch da sind die gleichen
preistreibenden Tendenzen zu verzeichnen, wie bei denjenigen Waren, die wir unmittelbar aus dem Ausland beziehen. Es hef sich ergeben, daß die Preisentwicklung auf dem Inlandsmat mäßiger ist, als bei den Auslandswaren. Ich halte das für eim sehr glücklichen Umstand und wäre froh, wenn wir in der Liy⸗ wären, diese Preisdifferenz aufrechtzuerhalten. Denn es ist nich begründet — der. Meinung möchte ich hier Ausdruck geben — daß die Inlandspreise bei der stark sinkenden Tendenz unsen Zahlungsmittel auf die Höhe der Auslandspreise steigen.
Bei der Bildung der Preise der heimischen Produktim handelt es sich doch um eine sachliche Kalkulation der tatsächlichen Herstellungskosten mit einem Zuschuß einer gering bemessene Gewinnquote. Wenn wir auf dieser Grundlage die Preise arf bauen könnten, würden viele Klagen beseitigt sein, die heun berechtigt erhoben werden. 2
Es ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß der gegen⸗ wärtige Preis für Kartoffeln nichts mehr mit den Produktions⸗ kosten zu tun hat und auch nicht mit einer mäßigen Gewinnqvon begründet werden kann.
Ich möchte auch die Herren von der Landwirtschaft und den Vorredner bitten, das anzuerkennen und diese Frage etra objektiver zu beurteilen. Ich weiß aus der Debatte und der Tagespresse, welche Erklärungen für die Preistreiberei beigebracht werden. Es ist gewiß bedauerlich, daß die Landwirte angereizt werden, hohe Preise zu fordern. Ich, weiß, daß es sehr viel Landwirte gibt, die es durchaus für unberechtigt halten, daß Er⸗ zeugerpreise für Kartoffeln von 80, 90, ja sogar 100 Mark fir den Zentner gewährt werden. Das ist eine durchaus ungesunde Erscheinung. (Sehr wahr!) Diese Erscheinung sollte meiner An⸗ sicht nach jeder objektiv denkende Landwirt, der nicht skrupellet die Konjunktur auszunützen sucht, ebenso verurteilen, wie ale anderen Kreise der Bevölkerung. (Sehr wahr! links.) Das be⸗ deutet bei einem Erzeugerpreis von 100 Mark, wie wir ihn heute zu verzeichnen haben, ungefähr das 40⸗fache der Preise, wie wir sie vor dem Kriege gehabt haben. Ich verurteile eine solche Preis⸗ steigerung.
Aehnlich verhält sich die Preissteigerung auch für Weizen⸗ mehl, wo wir gegenwärtig das 30⸗fache des Preises vor den Kriege zu verzeichnen haben.
Der Inlandspreis findet nun leider einen sehr starken Antric nicht nur auf dem Lebensmittelmarkt, sondern auch auf dem übrigen Warenmarkt, durch den planlosen Einkauf eines großen Teiles der Bevölkerung. (Sehr richtig!) Ich verstehe ja de leitenden Gesichtspunkte, von denen heute der Verbraucher aus⸗ geht. Jeder sagt sich: Der Preis geht weiter in die Höhe: es wird also vom Standpunkt des Käufers das beste sein, wenn er so bald wie möglich seinen Bedarf im Voraus deckt. Natürlih wird ein solcher Andrang auf den Warenmarkt nur dazu führen, daß wir auf dem Inlandsmarkt einen Mangel an Waren zu ber⸗ zeichnen haben, daß in allen Geschäften aufgekauft wird, daß unnötigerweise Waren im Haushalt angesammelt werden und nun bei dem Mangel an genügenden Vorräten zu gleicher Zeit auch eine preisaufwärtsbewegende Tendenz in die Erscheinung tritt. Wir treiben also durch diesen Aufkauf abermals die Preif noch über das Stadium hinaus, das schon durch die Entwertung unserer Zahlungsmittel eingetretenn ist.
Ganz unleidliche Zustände — das haben ja auch die einzelnen Redner hier ausgeführt — haben sich auch in den Grenzbezirket herausgebildet. Wir haben geradezu ein Leerkaufen unseren dortigen Warenversorgungsstätten und als notivenidge Folge dabon eine erhebliche Preissteigerung, die noch viel mehr zu beklagen it Wir haben festgestellt, daß beispielsweise im Monat Sevptember nicht weniger als rund 121 000 Personen über die dänische Grenze gekommen sind, um hier Einkäufe zu machen. (Hört, hört! rechts
sein.
ja
Das ist nicht nur volkswirtschaftlich sehr übel für uns, fürd Deutsche Reich, sondern in demselben Maße auch für die dänisch
Konkurrenz geschafefn wrd, die auch polttisch die unangenehmsten Rückwirkungen zeitigt. Die Aussichten für die künftige Geschüfts lage werden unter solchen Umständen die denkbar schlechtesten, denn ich befürchte, daß sehr bald nach diesem künstlichen Hinamf⸗ treiben der Konjunktur eine Zeit der schweren Geschäftskrisee
tritt, die wieder mit einer großen Arbeitslosigkeit verbunden in (Sehr richtig! rechts.) Was in unseren Kräften steht, müssen wit
.
deshalb tun, um diese Erscheinungen zu beseitigen, denn dags
sprunghaft n Konjunkt en schaden uns nur: sie nützen viell
Volkswirtschaft, weil dort eine ganz unsolide und untragbarg
em einzelnen momentan, haben aber für die Allgemeinheit keinen
nernden Wert.
Was den Grenzverkehr anlangt, so möchte ich auf das hin⸗ heisen, was vom Reichswirtschaftsministrium und von anderen inisterien unternommen worden ist, um diesem ungeregelten
herkehr zu hemmen:
1. Die Landesfinanzämter sind angewiesen worden, 8 die von ihnen für den kleinen Grenzverkehr gewährten Ausfuhr⸗ erleichterungen einer sofortigen Nachprüfung zu unter⸗ ziehen und ihre Zurückziehung vorzunehmen, soweit die veränderte Wirtschaftslage es erfordert.
2. Der Reichskommissar für Aus⸗ und Einfuhrbewilligung hat seine örtlichen Beauftragten ermächtigt, die von ihm erteilte Ermächtigung, die Ausfuhr gewisser Waren ohne Ausfuhrbewilligung zuzulassen, für den kleinen Grenz⸗ verkehr außer Kraft zu setzen. Wo derartige Beauftragte nicht vorhanden sind, hat der Reichskommissar die Außer⸗ kraftsetzung selbst vorgenommen, soweit es zur Abstellung von Uebelständen erforderlich war.
3. Der Reichskommissar hat die Zurückziehung der in den Ladengeschäften einiger Grenzstädte zur Benutzung im kleinen Grenzverkehr erteilten Sammelausfuhrbewilligung veranlaßt.
4. Da durch die unter Ziffer 2 erwähnte Zurückziehung der Ermächtigung des Reichskommissar, die Ausfuhr gewisser Waren ohne Ausfuhrbewilligung zuzulassen, das Textil⸗ gewerbe nicht berührt wurde, weil hierfür eine größere Anzahl von Waren das Ausfuhrverbot formell aufgehoben war, hat das Reichswirtschaftministerium durch Ver⸗ ordnungen zunächst für die badisch⸗schweizerische Grenze, dann auch für die westliche Reichsgrenze und die deutsch⸗ dänische Grenze und schließlich durch die Bekanntmachung vom 5. November 1921 für die gesamte Reichsgrenze die Ausfuhr aller Waren des 5. Abschnittes des Zolltarifs im kleinen Grenzverkehr ohne Bewilligung der zuständigen Stellen verboten;
5. Zur Verhinderung der Entblößung der Ladengeschäfte von Gegenständen des täglichen Bedarfs durch reisende Aus⸗ länder auch im Inneren des Reichsgebietes ist vom Reichswirtschaftsministerium zur Sicherung der Bedarfs⸗ deckung der inländischen Bevölkerung ein allgemeines Ver⸗ bot der Ausfuhr von Gegenständen des täglichen Bedarfs im Reise verkehr erlassen worden. Die bisherigen Ausfuhr⸗ erleichterungen für den Reiseverkehr sind, soweit sie diesem Verbote widersprechen, aufgehoben worden.
6. Ein Erlaß allgemeiner Ausfuhrverbote unterliegt zurzeit der Prüfung der zuständigen Stellen. Dem Erlaß solcher Verbote stand bisher die Haltung der Interalliierten Rheinlandkommission entgegen, welche ihre Ausdehnung auf das besetzte Gebiet ausschloß und sie damit zur Unwirksam⸗ keit verurteilte.
7. Auf dem Gebiete der Ueberwachung des Warenverkehrs hat das Reichsfinanzministerium für die Verstärkung der Grenzüberwachung an den gefährdeten Grenzstrecken durch
—Heranziehung von Zollbeamten aus dem Innendienst unter Zuhilfenahme von geschulten Kräften des Reichsbeauftragten für die Ueberwachung der Ein⸗ und Ausfuhr gesorgt sowie außerdem die Ueberwachungsorgane auf die sich aus der derzeitigen Wirtschaftslage ergebende Gefahr einer ver⸗ mehrten Umgehung der Ausfuhrbestimmungen hingewiesen und zur verschärften Ueberwachung des Verkehrs an⸗ gewiesen.
Sie sehen, wir haben eingegriffen. Mir ist berichtet worden, daß ein Tel der üblen Zustände bereits durch diese Maßnahmen beseitigt worden ist, wenn ich auch nicht der Ueberzeugung bin, daß wir bei der großen Differenz der Preislage des Inlandes zu der des Auslandsmarktes diese Zustände restlos beseitigen bnnen. 88 Der Herr Minister Hermes hat bereits darauf hingewiesen, was geschah, um Wucherverscheinungen und Preisüberhebungen zu bekämpfen. Als Herr Minister Hermes diese Ausführungen machte, ist hier im Hause der Widerspruch erhoben worden, daß unsere Gerichte doch nicht in genügender Weise gegen Personen vor⸗ gehen, die sich solcher Vergehen schuldig machen. Ich darf auf die Statistik der Wuchergerichte vom Jahre 1920 hinweisen, die ergibt, daß die Zahl der Strasverfahren und der zur Aburteilung kommenden Personen ziemlich umfangreich sind, und die Gerichte wuf diesem Gebiete doch eine sehr ersprießliche Tätigkeit ausgeübt haben. Im Kalenderjahr 1920 sind bei den deutschen Wucher⸗ gerichten gegen 27 524 Personen Verfahren anhängig geworden, darunter gegen 22 583 wegen Schleichhandels und gegen 4587 wegen Preistreiberei und Ueberschreitung von Höchstpreisen. Von diesen wurden 1635 an die ordentlichen Gerichte verwiesen. Von den übrigen wurden 2397 freigesprochen. Verurteilt wurden 23 492 Personen. Davon erhielten 11 920 Geldstrafen und von diesen wiederum 8612 solche bis zu 1000 Mark. Zu Freiheitsstrafen wurden 7700 Personen verurteilt, davon 5636 bis zu einem Monat befängnis. Nicht ganz 0,32 P erhielten 1 Jahr und mehr Ge⸗ fängnis, und 24 Personen wurden zu Zuchthaus verurteilt. Die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte erfolgte in 55, die Ein⸗ siehung der Waren in 4431 Fällen.
Also legen die Dinge doch nicht so, daß man den Gerichten den Vorwurf machen kann, in der Bekämpfung des Wuchers sei nichts geschehen.
Ich möchte mich nicht zu der Frage äußern, die immer bei allen Lebensmitteldebatten im Reichstag auftaucht, ob der Handel cder ob die Erzeuger den größten Nutzen haben. Ich sage: der
Verbraucher hat einen sehr starken Schutz, um sich gegen über⸗
mäßige Preisbildung des Handels zu wehren, in der Organi⸗
sation seiner Konsumgenossenschaften. Wenn er seine Waren in der Konsumgenossenschaft einkauft, kann er mit Sicherheit darauf vechnen, daß ihn hein übermäßiger Preisaufschlag seitens des
Handels bedrückt. Ich habe die Beobachtung gemacht, daß der
freie Handel nicht viel über die Preise der Konsumvereine hinaus⸗
geht, zum Teil sogar auf glercher Höhe mit ihnen steht. Das wãre ein Anhalt dafür, daß seitens des Handels übermäßige Preis⸗ aufschläge im allgemeinen nicht vorhanden sind. Aber es ist un⸗ bestreitbar, daß wir in der Preisbildung beim Erzeuger meiner
cht nach doch eine sehr ungesunde Tendenz der vollständigen
rung zu verzeichnen haben, die sehr zu bedauern ist. (Sehr wahr! links.)
Ich habe es auch gerade im Hinblick auf unsere gegenwärtige wirtschaftliche und politische Lage unangenehm empfunden, daß der Zentralverband des deutschen Großhandels in letzter Zeit sich bemüht, dahin zu wirken, daß die Wucherverordnung aufgehoben wird. Der gegenwärtige Zeitpunkt scheint mir dazu der un⸗ geeignetste zu sein, und ich glaube, ein wirklich ehrbarer Kauf⸗ mann braucht diese Wucherverordnung nicht zu fürchten und ist jederzeit gegen eine Anwendung dieser Strafbestimmungen ge⸗ schützt, wenn er sich auf reellen Bahnen im Handel und Verkehr bewegt. (Zustimmung links.) —
Ich bedauere es auch, daß der Einzelhandelausschuß des deutschen Industrie⸗ und Handelstages Abänderungen in der Preistreibereiverordnung verlangt. Diese Wünsche gehen im wesentlichen darauf hinaus, daß bei der Feststellung eines an⸗ gemessenen Preises nicht mehr die Gestehungskosten plus einem angemessenen Gewinn die Grundlage sein sollen, sondern die Aus⸗ nutzung der Marktlage, unter Umständen also auch der Notmarkt⸗ lage. (Hört! Hört! links.) Das sind Anforderungen, die in Ver⸗ braucherkreisen das Mißtrauen und die Unzufriedenheit sehr stark steigern und berechtigte Vorwürfe gegen andere Erwerbsschichten erheben lassen. Ich möchte bitten, daß man mit solchen Anforde⸗ rungen vorsichtiger ist und an den Empfindungen anderer Er⸗ werbsschichten nicht achtlos vorübergeht.
Im Zusammenhang damit möchte ich einiges über die Lebens⸗ haltung eines großen Teils unserer erwerbstätigen Bevölkerung sagen. Ich habe sehr oft im persönlichen Verkehr, hier und da auch in der Presse die Meinung angetroffen, daß wir gegenwärtig eigentlich in der Lebenshaltung nicht weit oder auch gar nicht gegen die Lebenshaltung vor dem Kriege zurückstehen. Das ist ein großer Irrtum. (Sehr richtig! links.) Dieser Irrtum, der uns auch in unserer Außenpolitik außerordentlich gefährlich wird, steigert sich, wenn Fremde aus dem Ausland herkommen und die Dinge in Deutschland oberflächlich betrachten. Wenn man in Berlin W auf den Straßen herumläuft und danach die Lebens⸗ gewohnheiten des Volkes taxiert, wird man immer zu einem Trug⸗ schluß kommen. Wenn man das Volk kennen lernen will, dann muß man nicht in sehr zweifelhafte Lokale hineinblicken, die leider üppiger emporgekommen sind als es uns lieb ist, sondern man soll das Volk aufsuchen in seinem Heim (sehr richtig! links), man soll es in seiner Armut beobachten da, wo es die Armut zu ver⸗ bergen hat. (Zustimmung links.)
Welcher Druck auf die Lebenshaltung unserer Bevölkerung ausgeübt wird, dafür ist ein Beweis der starke Rückgang im Fleischkonsum. Nach den statistischen Ergebnissen über die beschau⸗ pflichtigen Schlachtungen haben wir im ersten Halbjahr 1921 im Vergleich zum Jahre 1913 einen Rückgang des Fleischverbrauches, der aus den Schlachtungen umzurechnen ist, von 60 vH zu ver⸗ zeichnen. (Hört! Hört! links.) Das ist ein ganz erheblicher Druck auf die Lebenshaltung der erwerbstätigen Bevölkerung. Noch krasser tritt das in die Erscheinung, wenn ich mir die Einfuhr⸗ zahlen für Vieh ansehe und in Vergleich stelle zu den Zahlen des Jahres 1913. Wir hatten im Jahre 1913 eine Rindvieheinfuhr von rund 260 000 Stück; im Jahre 1920 ist die Einfuhr auf 36 000 Stück zurückgegangen. An Schweinen hatten wir im Jahre 1913 eine Einfuhr von 148 000 Stück; sie ging im Jahre 1920 auf 73 000 zurück. An Schafen wurden eingeführt im Jahre 1913 23 000 im vorigen Jahre haben wir nur 175 Stück eingeführt. Im Jahre 1913 haben wir 8 500 000 Gänse eingeführt, im Vorjahre 237 000. (Hört! Hört! links.) Nur beim Fleisch und bei den Fleischwaren haben wir eine starke Zunahme gegenüber dem Jahre 1913 zu verzeichnen. Wir hatten 1913 eine Einfuhr von 63 800 Tonnen und im Jahre 1920 eine Einfuhr von 222 000 Tonnen. Aber auch diese erhöhte Einfuhr an Fleisch und Fleisch⸗ waren deckt das große Manko nicht, das in der geminderten Vieh⸗ einfuhr und in der geminderten Schlachtung zum Ausdruck kommt. Darüber kommt niemand hinweg, und es wird gegen⸗ wärtig besonders notwendig sein, das gegenüber denjenigen Herren zu unterstreichen, die unsere Wirtschaftslage studieren und sich ein Urteil über die wirtschaftliche Lage der deutschen Bevölkerung bilden sollen.
Lassen Sie mich noch ein paar andere Einfuhrwaren auf dem Lebensmittelmarkt erwähnen, die auch darauf hindeuten, wie stark wir die Einfuhr gedrosselt haben und wie sehr die Lebenshaltung der Bevölkerung zurückgegangen ist. Wir hatten an Obst und Dörrobst im Jahre 1913 rund 545 000 Tonnen eingeführt, im Jahre 1920 112 000 Tonnen. Die Einfuhr an Südfrüchten betrug im Jahre 1913 318 000 Tonnen, im Vorjahre 88 000. Wir hatten an Kolonialwaren eingeführt im Jahre 1913 544 000 Ton⸗ nen und im Vorjahre 241 000 Tonnen. An Eiern haben wir ein⸗ geführt im Jahre 1913 171 000 und im Vorjahre 4654 Tonnen. Weiter ist eingeführt an Milch im Jahre 1913 52 000 Tonnen, im vorigen Jahre 31 000 Tonnen, an Butter und Käse 1913 79 000 Tonnen, im Vorjahre 30 000 Tonnen.
Alle diese Zahlen beweisen, wie stark der Einfluß der enorm hohen Preise auf die Gestaltung der Lebenshaltung unserer Be⸗ völkerung ist. Wenn sich die Damen und Herren das einmal ver⸗ gegenwärtigen, so werden sie auch verstehen, wie hart das Urteil draußen im Volke ist, wenn die Lebenshaltung noch weiter ein⸗ geschränkt werden muß. Denn diese Einschränkung muß bei den enorm hohen Preisen eintreten, weil die Löhne und Gehälter mit den Preisen für die Lebenshaltung noch nicht in Einklang kommen. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.)
Das Aufreizende ist, daß wir noch immer nicht am Ende der Preissteigerung sind. Gegenüber diesen Tatsachen gibt es kein Verschleiern. Es muß da, wo Wucher und skrupellose Ausnutzung der Notlage des Volkes vorliegen, eingegriffen werden, es muß rücksichtslos gegen diejenigen vorgegangen werden, die aus der Notlage des Volkes reiche Gewinne ziehen. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)
Die Stellung der Verbraucher sehe ich in der freien Wirt⸗ schaft durch die Organisationen der Genossenschaften gestärkt, auf die ich an dieser Stelle hinweisen möchte. Die Genossenschaften, die zugleich eine Konkurrenz gegen den Handel bilden, können die übermäßigen Preistreibereien im Handel unterbinden. Diese Erziehung schätze ich höher ein als die durch Strafgesetze. (Zuruf rechts.) In diesen Organisationen können die Verbraucher Selbst⸗
hinzuzufügen. Während des Krieges hat die Landwirtschaft wieder⸗ holt betont, sie werde dafür Sorge tragen, eine unmittelbare Ver⸗ bindung zwischen Produzenten und Verbrauchern herbeizuführen und alle Bestrebungen zu unterstützen, die das Ziel haben, über⸗ mäßige Preistreibereien in den Zwischenstufen des Handels unmöglich zu machen. Ich spreche die Hoffnung aus, daß die Landwirtschaft nun auch wirklich mit Ernst an diese Aufgaben herangeht und damit den Beschwerden entgegentritt, die auch jetzt wieder von seiten der Verbraucher erhoben werden, daß nämlich die Erfüllung dieses Versprechens zu wünschen übrig läßt. (Bei⸗ fall links.)
Abg. Gerauer (Bayer. Vp.): Ich bedauere, daß solche Interpellationen dazu benutzt werden, den Gegensatz zwischen Stadt und Land zu vertiefen. Auch wir verurteilen es, wenn Berufs⸗ genossen die Not der Verbraucher ausbeuten. Die hohen Preise werden aber nicht durch die Landwirtschaft verschuldet. Die Ernte an Kartoffeln ist diesmal in vielen Teilen des Landes schlecht ge⸗ wesen, dazu kommt, daß die fruchtbaren Gebiete der Provinzen Posen, Westpreußen uns fehlen. Weiter ist zu beachten, daß wir Kartoffeln an F und Belgien liefern müssen, daß infolge des niedrigen Valutastandes die Einfuhr aus Holland fehlt, und daß wir unsere notleidenden Brüder in Oesterreich nicht im Stich lassen durften. Die bayerischen landwirtschaäͤftlichen Organisationen haben bereits im September einen Aufruf an die Landwirte er⸗ lassen, nach Möglichkeit Kartoffeln an die Verbraucher abzugeben, und haben einen Richtpreis von 40 bis 45 ℳ festgesetzt. Dem Verkehrsministerium kann der Vorwurf nicht erspart bleiben, daß es nicht genügend vorgesorgt hat. Der Kartoffelmangel ist zu einem sehr erheblichen Teil auf die ungenügende Wagengeste lung ’ Die Wagenverteilung durch die Eisenbahnbehörde ieß außerordentlich viel zu wünschen übrig. Zu der schenden Verbitterung zwischen Verbrauchern und Erzeugern hat die mangel⸗ hafte Gestellung von Güterwagen in erster Linie beigetragen. Der Vorwurf, die Landwirte hielten Kartoffeln zurück, ist völlig unberechtigt. Die Landwirte haben kein Interesse an der Zurück⸗ haltung, denn das Ueberwintern ist ein großes Risiko. Ungerecht ist es auch, die Landwirte der Kartoffelschiebungen zu bezichtigen. die Landwirte haben gar keine Zeit zu solchen Schiehungen, die Schiebungen werden von anderer Stelle aus besorgt. Die Einführung eines lehnen wir ab, weil es die Versorgung durchaus nicht bessern, die Produktion aber ganz sicher hemmen würde. Unsere vornehmste Aufgabe muß es sein, d landwirtschaftliche Produktion „zu heben, um uns mög⸗ lichst vom Auslande unabhängig zu machen. Dazu ist es notwendig, daß ausreichend Saatgut aus dem Osten nach allen Teilen “ geleitet wird. Auf das energischste muß das Schiebertum bekämpft werden. Wir verlangen Konzessionierung des Getreide⸗ und Kartoffelaufkaufs und bitten das Haus, unsern entsprechenden Antrag (den Antrag hat auch das Zentrum unter⸗ zeichnet) einstimmig anzunehmen. An die Reichsregierung richte ich das dringende Ersuchen, mit allen Kräften dahin zu wirken, daß der Landwirtschat die erforderlichen Düngemittel zu eführt werden. Hieß es früher: „Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser“, so sage ich heute: Seneft liegt in der deutschen Land⸗ wirtschaft.“ (Lebhafter Beifall.) Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft Dr. Hermes: Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, zu einigen Ausführungen, die im Laufe der Debatte gemacht worden sind, kurz Stellung zu nehmen und mich im Anschluß daran auch zu den beiden Anträgen von Frau Agnes und Genossen zu äußern. Zunächst hat der Herr Abgeordnete Schlack auf die Frage der Freigabe des Zuckers hingewiesen. Ich darf hierzu bemerken, daß sein Wunsch auf weitere Freigabe des Zuckers inzwischen er⸗ füllt worden ist, und daß die Zuckerwirtschaftsstelle nach Be⸗ sprechung mit dem Reichsernährungsminigerium ein Drittel der Zuckerproduktion bis zum Ende dieses Jahres freigegeben hat. Ich darf damit annehmen, daß der Wunsch, der hier geäußert worden ist, in Erfüllung gegangen ist. (Zurufe links und Zuruf von den Soz.: Zu welchem Preise?) — Zu 700 Mark für den Doppelzentner Verbrauchszucker. Er wird schon in den Verkehr kommen. Meine Damen und Herren, wir müssen bei dem Uebes⸗ gang aus der gebundenen in die freie Wirtschaft immer etwas Geduld haben. Der Zucker ist freigegeben und Sie werden ihn bekommen. (Zuvuf links.) Aber es muß gerade auch bei der Frage der Zuckerversorgung immer wieder darauf hingewiesen werden, daß die Frage der Waggongestellung äußerst schwierig ist und auch hier sich hindernd bemerkbar gemacht hat.
Der Herr Abgeordnete Schlack hat weiter den Wunsch ge⸗ äußert, daß dze von mir erwähnte Vorlage zur Verschärfung der Konzessionierung des Handels für Kartoffeln auch auf Getreide ausgedehnt werden möchte. Diese Frage unterliegt der Erwägung, und ich hoffe, daß es möglich sein wird, auch diesem Wunsche bis zu einem gewissen Umfang Rechnung zu tragen.
Ich möchte dann noch meinen ersten Ausführungen hinzu⸗ fügen, daß inzwischen der Versuch des Reichsernährungs⸗ ministeriums, im Wege der unmittelbaren Beziehung zwischen Er⸗ zeugern und Verbrauchern Abschlüsse über Kartoffellieferungen zu tätigen, gewisse Erfolge gezeitigt hat. Es ist gelungen, 1 58 Mil⸗ lionen Zentner auf diese Weise sicherzustellen. Die Aktion geht weiter, und ich hoffe, daß wir auf diese Weise noch weitere Kar⸗ toffelmengen sichern können. (Zuruf Inks.)
Was die Ausführungen des Herrn Abg. Gerauer angeht, so habe ich sie vom Standpunkt der Förderung der landwirtschaft⸗ lichen Produktion besonders begrüßt. Ich unterschreibe voll⸗ kommen, was er über die Bedeutung guten Kartoffelsaatguts gesagt hat, und ich darf hierzu bemerken, daß gerade die Frage der Saatkartoffelzüchtung die ernsteste Aufmerksamkeit des Reichs⸗ ernährungsministeriums immer gefunden hat und daß wir durch die inzwischen erfolgte Angliederung des Kartoffelforschungs⸗ instituts an die Biologische Anstalt in Dahlem eine festere, sichere Grundlage für die intensive Bearbeitung aller dieser Probleme geschaffen haben, und wir hoffen, daß gerade die Tendenz, die die Forschungsanstalt in Verbindung mit Dahlem verfolgt, viel mehr als bisher für die Praxis zu arbeiten, daß diese Tendenz in einer vorteilhaften Auswirkung auch für die landwirtschaftliche Produktion sich zeigen wird. 1
Ich“ bin vollkommen mit dem Herrn Abg. Gerauer ein⸗ verstanden, wenn er die Bedeutung der Kunstdüngererzeugung und Kunstdüngerverwendung so nachdrücklich unterstreicht. Wir haben im Reichsernährungsministerium diese Frage besonders bearbeitet und es ist nicht das erstemal, daß wir eine Dskussion über diesen Gegenstand führen. 1
Was die Frage des Thomasmehls anlangt, so ist es natürlich völlig ausgeschlossen, daß wir unsere Hand dazu geben, daß Thomasmehl ins Ausland geliefert wird. Im Gegenteil, wir haben in den letzten Jahren erhebliche Mengen von Thomas⸗ mehl von dem Ausland ins Inland herangeholt. Gerade die Phosphorsäurefrage ist das Gebiet der Kunstdüngererzeugung Deutschlands, das noch die meisten Unvollkommenheiten aufweist.
die
hilfe üben.
Ausmutzung der Konjunktur und einer übermäßigen Preissteige⸗
Diesen Ausführungen habe ich noch einen dringenden Wunsch
Es ist uns beim Stickstoff gelungen, uns in sehr erheblichem