kommission versucht, die Delegationse zelner Parteien und Volkskreise darzustellen und für die damalige Abordnung in einem an den Völkerbund erstatteten Bericht die Bezeichnung als „Pseudodelegation“ geprägt. Diese Handlungs⸗ weise hat aber einmütigen Protest aller Bezirksvertretungen sowie der großen politischen und wirtschaftlichen Vertretungen hervorgerufen, die in förmlichen Beschlüssen und in der Oeffent⸗ lichkeit erklärt haben, daß alle Volkskreise hinter jener Abordnung ständen und sie als berufene Vertretung der Interessen der Be⸗ völkerung beim Völkerbunde anerkennten.
Auch jetzt bei der neuerlichen Tagung des Völkerbundsrats ist wiederum eine die Klagen der Bevölkerung enthaltende Denk⸗ schrift durch eine neue Abordnung der politischen Parteien über⸗ reicht worden, die ausdrücklich von den Vertretungskörperschaften der Saarbevölkerung als ordnungsmäßig legitimiert anerkannt wurde, obwohl die Regierungskommission durch Verbot von Kreis⸗ tagssitzungen dies zu verhindern suchte.
Meine Damen und Herren, es gibt für die Regierungs⸗ kommission wohl keine vernichtendere Kritik als den Ausdruck des mangelnden Vertrauens der Bevölkerung, deren Wohl und Wehe hier zu treuen Händen vom Völkerbund anvertraut ist, mit der einzigen Aufgabe, „keine anderen Pflichten und keine anderen Interessen zu kennen als die Wohlfahrt der Saarbevölkerung“. (Sehr wahr!) Die Klagen der gesamten Saarbevölkerung richten sich dagegen, daß die Regierungskommission sich offensichtlich in erster Linie von außerhalb des Saargebietes liegenden Interessen leiten lasse, mit anderen Worten, daß sie ihre Regierungs⸗ maßnahmen vornehmlich auf die Unterstützung der politischen und wirtschaftlichen Ziele Frankreichs einstelle. (Sehr wahr!) Diese frankophile Tendenz wird an zahlreichen Vorgängen erkennbar. In der Belassung französischer Truppen im Saargebiet erblickt nicht nur Deutschland eine flagrante Verletzung des Friedensvertrages, sondern auch die Saarbevölkerung empfindet die dauernde An⸗ wesenheit des französischen Militärs als einen schweren Druck. (Sehr richtig!)
Der Friedensvertrag sieht nur örtliche (saarländische) Gen⸗ darmerie vor. (Sehr richtig!) Trotzdem stehen zahlreiche fran⸗ zösische Truppen und Gendarmerie im Saargebiet; auch haben französische Kriegsgerichte bis vor wenigen Monaten die Gerichts⸗ barkeit über deutsche Einwohner des Saargebiets ausgeübt.
Ein deutscherseits gegen die französische Besatzung beim Völker⸗ bund und bei der Regierungskommission eingelegter Protest hatte insoweit Erfolg, als die Zuständigkeit der Kriegsgerichte nunmehr auf Militärpersonen beschränkt ist. Die französischen Truppen (7000 Mann) bleiben jedoch einstweilen als Garnisontruppen auf Kosten Frankreichs, angeblich zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, namentlich im Hinblick auf den französischen Gruben⸗ besitz, im Saargebiet. Der Völkerbund hat sich vorbehalten, die Entwicklung der örtlichen Gendarmerie zu prüfen und festzustellen, inwieweit späterhin ein Abbau der französischen Truppenmacht möglich ist. Mit der Saarbevölkerung ist die deutsche Regierung der Ansicht, daß eine ausreichende Anzahl geeigneter Männer für die Aufstellung einer saarländischen Landjägerei, die bis jetzt nur in einer Stärke von 50 Mann besteht, sehr wohl im Saargebiet zu finden ist, und daß der von der Regierungskommission angegebene Grund, eine Rekrutierung der offenbar reichlich hochgegriffenen Zahl von 4000 Gendarmen aus dem Saargebiet sei nicht möglich, nicht stichhaltig ist. Vielmehr muß angenommen werden, daß die Bereitwilligkeit Frankreichs, für die Unterhaltung der Truppen im Saargebiet etwa 40 Millionen Franken jährlich aufzuwenden, in politischen Absichten den Hauptgrund hat. (Sehr richtig.)
Denkt man an die Handhabung der Militärdiktatur während der verschiebenen Streiks im Saarbecken, an die dabei geübte rigorose Ausweisungspolitik, die zahlreiche eingeborene Bewohner des Saargebiets willkürlich von Haus und Heimat trieb, an die drakonischen Urteile der französischen Kriegsgerichte, so wird klar, daß um des moralischen Druckes willen, den die ständige An⸗ wesenheit der Soldaten einer fremden Macht auf die Bewohner⸗ schaft ausübt, wegen des Uebergewichts, das Frankreich durch die Belassung von Tausenden von französischen Heeresangehörigen nicht nur physisch im Saargebiet erhält, die französisch orientierte Regierungskommission nicht auf dieses Machtmittel verzichten will.
Gegen die Belassung der fremden Wehrmacht werden von der Saarbevölkerung auch die schweren finanziellen Lasten geltend gemacht, die einzelnen Gemeinden durch Bauten für die Unterkunft der Truppen und durch Kosten für die Einrichtung von Wohnungen für die Besatzung auferlegt werden. Ebenso wird durch die In⸗ anspruchnahme zahlreicher Wohnungen für verheiratete Offiziere und Unteroffiziere die ohnehin schon furchtbare Wohnungsnot im Saargebiet außerordentlich verschärft.
Aus allen diesen Gründen muß daher mit allem Nachdruck darauf hingewirkt werden, daß der Abbau der französischen Militärkräfte, der ja grundsätzlich vom Völkerbund als notwendig bezeichnet ist, nicht willkürlich verzögert und damit die Verletzung des Friedensvertrages verewigt wird.
Das die Zusammensetzung der zur Führung der Verwaltung des urdeutschen Landes berufenen Regierungskommission, deren Mitglieder mit geringen Ausnahmen nicht einmal der deutschen Landessprache mächtig sind, (hört! hört!) nicht den Wünschen und Bedürfnissen der Bevölkerung entspricht, ergibt sich schon aus den beim Völkerbund dagegen unternommenen Schritten. Aber auch in fast alle leitende Stellen der Verwaltung sind, zum Teil im Widerspruch mit den seinerzeit den deutschen Beamten gegenüber erteilten Zusicherungen, Ausländer, und zwar fast durchweg Franzosen berufen worden. (Hört! Hört!) Dadurch wird der
französische Einfluß, namentlich beim Fehlen einer parlamen⸗ tarischen Vertretung, außerordentlich gestärkt. Auch dagegen wendet sich die eingeborene Bevölkerung mit vollem Recht und beansprucht die stärkere Berücksichtigung des saarländischen Elements bei der Aemterbesetzung.
Aber nicht nur durch die Haltung des französischen Militärs und durch Bevorzugung französisch gerichteter Beamten hat die Re⸗ gierungskommission bedauerlicherweise zur Verstärkung des Ein⸗ flusses Frankreichs beigetragen, sondern in der Hauptsache sind es Maßnahmen auf wirtschaftlichem Gebiet, die im Gegensatz zu dem Willen der Bevölkerung und unter Verletzung des Friedensver⸗ trages getroffen und rücksichtslos durchgeführt sind, lediglich um den französischen Interessen zu dienen.
Durch die von ihr begünstigte oder direkt erzwungene Ein⸗ führung der Frankenzahlungen hat die Regierungskommission eine große Verantwortung auf sich geladen. 8 6s
Nach dem Friedensvertrage ist die alleinige gesetzliche Währungsmünze im Saargebiet die deutsche Mark. Die Eigen⸗ schaft eines lediglich gesetzlich geduldeten Umlaufgeldes ist dem französischen Franken durch die Bestimmung beigelegt worden, daß der Umlauf französischen Geldes im Saargebiet nicht verboten und nicht beschränkt werden darf. Eine Gleichstellung des Franken mit der Mark erfolgt nur insoweit, als dem französischen Staat das Recht eingeräumt wird, sich zur Begleichung seiner Verbindlich⸗ keiten, die mit der Ausbeutung der in seinen Besitz übergegangenen Saargruben und ihrer Nebenanlagen zusammenhängen, des fran⸗ zösischen Geldes zu bedienen.
Von diesem Recht hat die französische Grubenverwaltung schon bald nach dem Inkrafttreten des Vertrages Gebrauch gemacht, in⸗ dem sie die Bezahlung der Kohlen in Franken forderte. Dadurch wandte sie ein sowohl politisch wie wirtschaftlich für Frankreich wirkendes Druckmittel an, da sie durch die von ihrem Willen ab⸗ hängige Art der Kohlenverteilung und die Preisfestsetzung in Franken in verhältnismäßig kurzer Zeit den größten Teil der blühenden Saarindustrie in französische Hände zu bringen ver⸗ mochte. Trotz anfänglicher Ablehnung der Arbeiterschaft wurde dann die Frankenlöhnung bei den Gruben⸗ und Hüttenarbeitern eingeführt. Infolge der plötzlichen Steigerung der Kauffähigkeit dieser Kreise entstand eine sprunghafte Verteuerung der gesamten Lebenshaltung für die übrige Bevölkerung des Saargebiets, die wirtschaftlichen und sozialen Gegensätze in der Bevölkerung ver⸗ tieften sich durch das Nebeneinanderbestehen der beiden Zahlungs⸗ mittel außerordentlich und führten zu unerwünschten Folgen in moralischer Hinsicht.
Konnte man den von der französischen Grubenverwaltung ausgehenden Maßnahmen die vertragliche Zulässigkeit nicht ab⸗ sprechen, so handelt es sich bei der von der Regierungskommission ohne Anhörung der Bevölkerungsvertreter angeordneten Erhebung aller Gebühren im Eisenbahn⸗, Post⸗ und Telegraphenverkehr in Franken nach deutscher Auffassung um eine glatte Verletzung des Friedensvertrages. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozial⸗ demokraten, in der Mitte und rechts.)
Durch die Erhebung der Gebühren in Franken wird ein gesetzlicher Zwang zur Zahlung in Franken eingeführt, dem Franken also die Eigenschaft eines gesetzlichen Währungsmittels beigelegt unter völliger Ausschaltung des wirklichen gesetzlichen Zahlungsmittels, der deutschen Mark. Gegen diese unter Ab⸗ änderung des Friedensvertrages ergangene Verordnung hat die deutsche Regierung sowohl bei der Regierungskommission wie beim Völkerbunde mit allem Nachdruck Einspruch erhoben und ihre Auf⸗ hebung verlangt. In dem daraufhin an den Völkerbundsrat erstatteten Bericht hat die Regierungskommission unter Be⸗ kämpfung der deutschen Rechtsauffassung in der Frage der Wäh⸗ rung des Saargebiets ihre Maßnahmen auch damit zu recht⸗
fertigen versucht, daß ihr nach § 33 des Saarstatuts zustehe, alle Zweifel über die Auslegung der vertraglichen Bestimmungen zu entscheiden. Der Völkerbundsrat hat sich diesen Darlegungen an⸗ geschlossen und erklärt, daß die durch die angefochtene Verordnung vom Regierungsausschuß getroffene Entscheidung zu irgendwelchen Völkerbundes keine Veranlassung gebe.
Bemerkungen des (Hört, hört!)
Bei dieser Sachlage ist leider auch in dieser Frage der Staats⸗ regierung vorläufig keine Handhabe geboten, etwas Wirksames gegen die verderbliche Vermehrung des Frankenumlaufs und die weitere Verdrängung der Mark zu unternehmen. Aus der dem Völkerbunde überreichten Denkschrift ergeben sich mit erschreckender Deutlichkeit die furchtbaren wirtschaftlichen Folgen der Franken⸗ politik für die gesamte saarländische Bevölkerung. Trotz der in der Denkschrift wiedergegebenen dringenden Warnungen der maß⸗ gebenden Wirtschaftskreise hat die Regierungskommission nicht nur durch Einführung der Gehaltszahlungen in Franken für die Staatsbeamten, sondern auch, und zwar unter schwerstem Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung, durch Erzwingung der Fran⸗ kenzahlungen an die städtischen Beamten weiter den Umlauf des französischen Geldes vermehrt. Ohne Rücksicht darauf, daß durch Bezahlung von Kohlen und Löhnen in Franken, durch Einführung des Frankentarifs im gesamten Verkehrswesen die Konkurrenz⸗ fähigkeit der Saarindustrie auf den allein für sie in Betracht kom⸗ menden deutschen Markt beseitigt wurde, hat die Regierungs⸗ kommission die schwerste Wirtschaftskrise über das Saargebiet heraufbeschworen, lediglich um die westliche Orientierung des Saar⸗ gebiets und die Exrreichung der politischen Ziele Frankreichs zu fördern.
Wie die bei der Januartagung des Völkerbundes von der Ab⸗ ordnung der politischen Parteien überreichte Denkschrift erkennen läßt, bilden noch zahlreiche andere Beschwerdepunkte den Gegen⸗ stand der berechtigten Klagen der Saarbevölkerung. Trotz ausdrück⸗ licher Ablehnung der Vertretungsorgane der Bevölkerung erließ die Regierungskommission ein Gesetz über die Eigenschaft als Saar⸗ bewohner, das eine Beschränkung der im Friedensvertrag gewähr⸗ leisteten Rechte der Saarbevölkerung zugunsten eingewanderter Ausländer und auch sonst nach deutscher Auffassung eine Verletzung des Friedensvertrages darstellt. (Allseitige lebhafte Zustimmung.) Dem von der deutschen Regierung erhobenen Protest ist nach Zei⸗ tungsnachrichten vom Völkerbundsrat leider nicht stattgegeben worden.
Eine weitere Klage der Saarbevölkerung bezieht sich auf die angebliche vorzugsweise Berücksichtigung von Ausländern bei der Wohnungszuweisung. Der Zuzug vieler landfremder Beamten und Offiziere beeinträchtigt mehr und mehr die Möglichkeit einer ange⸗ messenen und gesunden wohnlichen Unterbringung der Ein⸗ heimischen, insbesondere der weniger zahlungskräftigen Kreise.
Außer den politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen hat insbesondere ein auf kulturellem Gebiet liegender, gegen die deutsche Schule gerichteter Vorstoß der Regierungskommission eine tiefgehende Erregung nicht nur in der Bevölkerung des Saar⸗ gebiets, sondern im gesamten übrigen Deutschland hervorgerufen. (Lebhaftes Sehr wahr!) Schon früher war durch Einrichtung zahlreicher französischer Bergschulen und Erleichterungen ihres Be⸗ suches durch Kinder deutscher Eltern die Verbreitung französischer Sprachkenntnisse gefördert worden. Durch Entsendung von vierzig saarländischen Lehrkräften zu französischen Sprachkursen in Frank⸗ reich sollte angeblich die Erteilung fakultativen französischen Sprachunterrichts in deutschen Schulen gefördert werden. Plötzlich wurden in der Presse angebliche Anordnungen der Saar⸗Regie⸗ rungskommission veröffentlicht, die unzweideutig die Einführung
obligatorischen französischen Sprachunterrichts in allen deutschen Volksschulen bezweckten. (Lebhaftes Hört, hört!) Da den Saar⸗ gebietseinwohnern die Erhaltung ihrer, d. h. der deutschen, Schulen und ihrer Sprache im Friedensvertrage ausdrücklich gewährleistet ist, erhob sich gegen den beabsichtigten Vertragsbruch einmütig 8* gesamte Bevölkerung und die öffentliche Meinung des Saar⸗ gebiets in schärfster Ablehnung. Die Regierungskommission de⸗ mentierte darauf die Nachricht und erklärte, daß nur frei⸗ williger französischer Sprachunterricht beabsichtigt worden sei. Die Presse des Saargebiets hat durch Abdruck entsprechender Ver⸗ fügungen den Nachweis erbracht, daß tatsächlich die Absicht der Zwangseinführung der französischen Sprache mindestens an ein⸗ zelnen Stellen der Regierungskommission bestanden hat. (Rufe: Unerhört!) Wenn es durch die aufrechte Haltung der gesamten deutschen Saarpresse und der Bevölkerung gelungen ist, einstweilen diesen weiteren Französierungsversuch zum Scheitern zu bringen, so wird die Staatsregierung gleichwohl die weitere Entwicklu
der Frage sorgfältig beobachten und nötigenfalls mit allem Nach⸗ druck dafür eintreten, daß die Saarbevölkerung in einem Kampfe um ihr heiligstes Gut, die deutsche Muttersprache, die deutsche Re⸗ gierung an ihrer Seite findet. (Lebhafter Beifall.)
Daß die Saar⸗Regierungskommission versucht, auch die Presse ihren Wünschen gefügig und sie nötigenfalls mundtot zu machen, ist nicht nur dadurch klar geworden, daß bei dem früheren Be⸗ amtenstreik in erster Linie eine Reihe von Redakteuren und Ver⸗ legern der deutschgerichteten Blätter von der Ausweisungsmaß⸗ nahme getroffen wurden. Auch jetzt wieder hat die Regierungs⸗ kommission gegen den Redakteur Braun der „Saarbrücker Volks⸗ stimme“, die sich durch ihre aufrechte Haltung besonders auszeich⸗ nete, die Ausweisung verfügt. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung mußte sie die Anordnung zwar zunächst wieder zurück⸗ ziehen, hat aber vor kurzem zum zweiten Male die Landesver⸗ weisung ausgesprochen. Dem einmütigen Eintreten der Saarpresse für die Aufrechterhaltung der bedrohten Pressefreiheit sowie den von einzelnen Kreistagen erhobenen Protesten ist es wohl zu danken, daß auch jetzt wieder die Ausweisung auf unbestimmte Zeit vertagt worden ist. 8
Wenn man die überzeugenden Darlegungen der wirischaft⸗ lichen und politischen Vertretungen des Saarlandes liest, die sich ausdrücklich zur loyalen Mitarbeit bei der Ordnung der Verhält⸗ nisse des Landes nach den im Friedensvertrage niedergelegten Grundsätzen bekannt haben, so muß man zuversichtlich hoffen, daß sie auf die Dauer ihren Eindruck auch bei den Mitgliedern des Völkerbundes nicht verfehlen können. Leider ist es noch nicht so weit. Denn der Völkerbundsrat hat in seiner jüngsten Tagung die Regierungskommission in ihrer bisherigen Zusammensetzung auf ein weiteres Jahr wiedergewählt (Hört, hört!), obwohl in einer Reihe dem Völkerbunde zugegangener Eingaben der be⸗ rufenen Vertretungen der Bevölkerung und der politischen Organi⸗ sationen des Landes nicht nur das mangelnde Vertrauen gegen⸗ über der bisherigen Führung der Regierungsgeschäfte zum Aus⸗
druck gebracht, sondern geradezu die Abberufung der jetzigen Mit⸗
glieder der Regierungskommission gefordert wurde. 1“ Meine Damen und Herren, die tiefgehende gegen die bisherige Regierungsführung im Saargebiet erwachsene Volksbewegung, die
offenbar nur von schwerster wirtschaftlicher und politischer Not
diktiert wurde, zeigt überzeugender, als es in wohlbegründeten Protesten geschehen kann, auf welchem Wege allein dem Saarlande geholfen werden kann. Die deutsche öffentliche Meinung hat in erfreulichem Maße ihre Aufmerksamkeit den Saarfrage z⸗ gewendet. Daß auch das preußische Parlament und die pro jisce Regierung mit innigster Anteilnahme den Kampf der Brüder u. der Saar verfolgt und nach Kräften zu seinem Teil dafür sorgen und dazu helfen will, daß aus diesem so blühenden und schönen urdeutschen Lande nicht ein zweites Oberschlesien oder gar eine französische Kolonie wird, das zeigen die heute zur Erörterung stehenden Anfragen. Ist es nach den für uns bindenden vertrag⸗ lichen Bestimmungen leider nicht viel, was wir für das Saarland tun können, so ist doch die Staatsregierung nach wie vor gewill, mit voller Aufmerksamkeit die Geschicke des Landes zu verfolgen und, wo es geht, einzutreten für die Rechte seiner Bepölkerung, deren Treue zum Stammlande sich so vorbildlich bewährt hat. (Bravo!) Daß es nicht nur Worte sind, sondern daß wir es auch durch die Tat beweisen wollen, das hat die preußische Regierung auch dadurch gezeigt, daß sie bei jenem furchtbaren Unglück in Saarwellingen nach Kräften sich bemüht hat, durch eine, wenn auch noch so bescheidene Spende die Not der Betroffenen lindern zu helfen. (Bravo!) So soll es auch fernerhin bleiben. Möge man auch dort an der Saar sich vor Augen halten, daß es der preußischen Regierung jetzt nicht immer in erwünschtem Maße möglich ist, tat⸗ kräftig zugunsten der so treuen und uns so teuren Landsleute ein⸗ zutreten, daß aber Volk und Regierung die Stunde der Wieder⸗
vereinigung herbeisehnen, wo es möglich ist, Treue mit Treue zu
vergelten. (Bravo!)
z Abg. Metzinger (a3.) verbreitet sich in längeren Aus⸗ führungen über die wirtschaftliche Lage des Saargebietes. Die Aertschaftatris im Saargebiet ist zwar nur ein Teil der allgemeinen Weltwirtschaftskrise, ist aber durch das Eindringen en- französischen 6 jonders groß geworden. Das Saargebie ist auf die Einfuhr von Rohstoffen aus Deutschland angewiesen, die Landwirtschaft ist nicht imstande, die Bevölkerung un ernähren In der Glasindustrie kommen noch nicht 10 % Ausfuhr nach Frankreich in Frage, in der keramischen vnhust gehen 85 der Erzeugnisse nach Deutschland. Der wirtschaftliche Zusammenhang mit Deutschland ist ein absolut notwendiger und nicht zu zerstören. Während die Einnahmen der Industrie zu drei Vierteln in Mar 5,8 müssen die Ausgaben der Industrie zu 90 % in Franken erfolgen. Die Saargebietsindustrie kann daher ihre Erzeugnise 8 mehr nach Deutschland verkaufen. Betriebsstockung und2 atzlosigkeit drohen. Die Folge davon trifft vor allem die I olksschichten. Mit der Saarkohle hat Frankreich heute vgres Kohlenüberfluß, während auf den Kohlenhalden der Saararube⸗ 800 000 bis 1 Million Tonnen Kohle lagern. Trotz des Rües flusses herrscht im Saargebiet und in der Umgebung eine Koce⸗ not, da die Kohlen nicht zu bezahlen sind. Leute, die man söeh sn den besser gestellten Kreisen zählte, müssen heute bei den ; euten geradezu um einen Eimer Kohle bitten. Wohl hat he die Fuchreng des Franken ein Teil der Bevölkerung Vor er pehabt. die Tragweite der Einführung der Frankenwährung ist Be⸗ ei dem größten Teil verkannt worden. Die Kaufkraft der nkt völkerung mit einem Markeinkommen ist fast auf den Nullpung⸗ gesunken. Wir haben im Saargebiet einen Ausverkauf gehabt, Die In das de. Deutschland noch nicht kennen gelernt hat. ss sie evölkerung hungert unter dem französischen System mehr a ifen während des Krieges gehungert hat. Die Einführung des gram 2 hat nicht nur materiellen, sondern auch moralischen Schozrierung ursacht. Dazu kommt noch die politische Not. DHie Bevölle⸗ des Saargebiets ist heute rechtlos. Sie wird ohne Mitbestimm
*
Solt regkerk. Das Regiment ist vollkommen aukokratisch. Zu allem
bumt der Druck einer starken ausländischen Besatzung. Man geht mit Ausflüchten in der Saarregierung an der erpflichtung vorbei, eine örtliche Gendarmerie einzurichten. Die französische Regierung hat unbegründete Furcht vor einer Bevölkerung, die zu der ruhigsten, intelligentesten und fleißigsten Bevölkerung Deutsch⸗ lnands gesählt werden darf. (Beifall.) Die Besatzung wäre noch erträglich, wenn sie sich aus französischen, englischen, überhaupt aus europäischen Soldaten zusammensetzen würde. Was Frankreich mit seiner schwargen Besatzung an der Saar tut, das ist die größte Kulturschande des Jahrhunderts. (Lebhaftes Sehr richtig!) Die 750 000 Franzosen bestanden nur in der Phantafie französtscher Ftaatsmänner oder in einer bewußten Lüge, um einen bestimmten zweck zu erreichen. Was sich bei der ganzen Unterdrückung im Faargebiet entwickeln wird, wird zweifellos nicht dem Frieden der Welt dienen. Den Wünschen der Bevölkerung hat man in kiner Weise Rechnung getragen. Das Bild, das nian dem fran⸗ sisischen Volke und dem Auslande zeigt, steht im Gegensatz zu dem, was Wirklichkeit ist. Wir hoffen aber, daß Recht auch in der zukunft einmal Recht werden wird, und daß die Bevölkerung an der Saar auch in der Zukunft trotz aller Unterdrückung deutsch siin und bleiben wird. (Lebhafter Beifall.)
Abg. Bachem (D. Nat.) begründet die großen Anfragen seiner Partei. Es ist bedeutungsvoll für die gegenwärtige Lage Deutsch⸗ lands, daß gleichzeitig die srage mehrerer Grenzländer an die Volksvertretung herantritt. Es scheint manchmal so, als ob das Schicksal des ganzen Volkes mehr oder weniger durch das Grenz⸗ ondschicksal bestimmt wird. Redner geht auf die deutschfeindliche Tätigkeit der französischen Behörden im Saargebiet ein. Durch eine wohldurchdachte wirtschaftliche Einbringung wird mit immer nenen Methoden versucht, das Wirtschaftsleben des Saargebietes ron Deutschland zu trennen und mit dem Wirtschaftsleben Frank⸗ reiics zu verknüpfen. Ueber wirtschaftliche und militärische Ein⸗ fallspforten hinaus hat Frankreich versucht, sich kulturelle Einfalls⸗ pforten zu erschließen. „Die Haltung der Saarregierung gegenüber den Kreistagen stellt einen Schlag gegen die Demokratie dar. die och Frankreich dem Volke an der Saar bringen wollte. Die Saar⸗ bevölkerung hat keinen sehnlicheren Wunsch, als ihre Zugehörigkeit in Deutschland zu beweisen. (Bravo)! Frankreich wird bei der lbstimmung nicht wagen, eine ungeschminkte Willensäußerung zu ermöglichen. Wir wünschen besonders, daß das deutsche Volk in demselben Umfang sich zu den Saarländern jederzeit bekennt, wie die Saerev teeenah. ch zum Deutschtum zu bekennen nie auf⸗
all.
hören wird. (Bei
Abg. Hue (Soz): Wenn wir dem Saargebiet helfen wollen, dann bitte ich die rren von der Deutschnationalen Partei, in dem Vorzellanzaden möglichst wenig entzweizuschlagen. Die Innexionisten in unserem Lande arbeiten den Chauvinisten in oneren Ländern in die Hände. Tardieu, der Herausgeber der Legende von den 150 000 Fvanzosen, folgt nur den Spuren Martin epahns, der sich auch bemüht, die Deutschstämmigkeit von ans⸗ ländischen Volksteilen nachzuweisen. Wir Sozialisten kämpfen nicht nur gegen die deutschen Annexionisten, sondern auch gegen die underer Staaten. Die Unabhängigen Sozialdemokraten haben sich Uipp und klar auf den Standpunkt gestellt, daß das Saargebiet ils urdeutsches Land nach der 15 jährigen Trennung wieder an Peutschland zurückfallen muß. Ich seelle aber auch ausdrücklich est, daß die zahlreichen Anhänger der Kommunisten im Saar⸗ sebiet den Bestrebungen des Herrn Walz nicht folgen wollen. Der segierungsausschuß im Saargebiet fühlt sich als Vertreter des ftanzösischen Chaubvinismus und Annexionismus. Dadurch wird inmer wieder die Gefahr eines neuen Elsaß⸗Lothringens herauf⸗ bschworen. Die Aufrichtung einer Autokratie, wie wir sie in ganz kuropa nicht mehr haben, muß das hochkultivierte Volk an der zrar erbittern. Die Isolierung von Deutschland wird immer zutlicher, die Teuerung im Saargebiet ist durch die Einführung Franken ungeheuer gestiegen. Der Zentner Kartoffeln wird aSaargebiet schon mit 350 Mark bezahlt. (Hört, hört!) Durch ebertragung deutschen industriellen Eigenkums an den fran⸗ giischen Kapitalismus wird von deutscher Seite der Französterung Forschub geleistet. Es wäre für die deutschen Interessen das Richtigste und Wirksamste, wenn wir uns als Mitglied des Völker⸗ bundes zu gleicher Zeit in die Rechte des Mitverwalters des Saar⸗ gebiets begäben und auf die Geschicke des Saarlandes direkten Ein⸗ lluß gewrnen würden. (Beifall bei den Soz.)
Abg. Eichhoff (D. Vp.): Die ausgezeichneten Darlegungen des Ministerpräsidenten werden im Saargebiet lauten Widerhall finden. Sie haben einen Begriff von dem Kampf gegeben, den die Bevölkerung für das Deutschtum zu führen hat, und gleich⸗ fitig ein vernichtendes Urteil gefällt über den Völkerbund, der siner Aufgabe, zu treuen Händen zum Wohle der Bevölkerung das Land zu verwalten, in keiner Weise gerecht geworden ist, der sugelassen hat, daß die Regierungskommission vollständig unter dem Einfluß Frankreichs steht. Im Völkerbundsrat hat aus⸗ serechnet ein Chinese hier zu entscheiden gehabt. Es muß alles daran gesetzt werden, auf eine Aenderung der Zusammensetzung der Regierungskommission hinzuwirken. Frankreich darf darin nicht mehr vertreten sein, sondern es müssen Vertreter neutraler Staaten darin sitzen, und Leute, die auch von Land und Leuten die wotwendige Kenntnis haben. Selbst ein Mitglied des englischen Unterhauses hat die Auffassung öffentlich vertreten, daß das Vor⸗ sehen Frankreichs im Saargebiet ein Bruch des Friedensvertrages st. Ueber die verheerenden Wirkungen der Einführung der Frankenwährung wird mit Recht von allen Seiten lauteste Klage echoben. Dem „Hilfsbund für Markempfänger“ sollte die Re⸗
erung jede Unterstützung zuteil werden lassen. Durch die Ent⸗ vertung der Mark werden schließlich die Kleinrentner, Pensionäre und viese Gewerbetreibende zur Auswanderung gezwungen, und wrrauf scheint es abgesehen zu sein, vielleicht hofft man auf diese beise nachtröglich die 150 000 Clemenceau⸗Franzosen zu beschaffen und damit der Französierung zum Durchbruch zu verhelfen. Die Laarbrücker Polizei hat ein Plakat verboten, auf dem das deutsche note Kreuz zu sehen war. Die 800 000 Einwohner des Saar⸗ sebiets sind ohne parlamentarische Vertretung und werden voll⸗ ommen autokratisch regiert, noch dazu von Landfremden. Die neihsregierung hat sich bisber zu passiv verhalten, sie hätte sich vohl mehr aktiv betätigen können, um die Zusammengehörigkeit ds Saargebiets mit dem Deutschen Reiche und ihre Sympathie mst der Saarbevölkerung zu betonen. Für die von dort Ver⸗ iebenen sollte eine besondere Fürsorge stattfinden. Nicht von der eegierung allein ist das Heil zu erwarten, auch die Presse aller Varteien muß dafür sorgen, daß die Notschreie der Bevölkerung n der ganzen Welt gehört werden, dann wird die Absicht der Fran⸗ pfen, dieses urdeutsche Land nach 15 Jahren in die Tasche zu secten, zuschanden werden. 1
Abg. Jansen⸗Solingen (Dem.): Wenn man den angeb⸗ schen Aröfsan der angeblichen 150 000 Saarfranzosen so großen Wert beilegte, dann hätte man auf der anderen Seite doch auch em Saarbolke ein Parlament zugestehen müssen. Der Re⸗ serungskommi sion und der französischen Regierung machen wir en Vorwurf, 1. sie in drei Fällen den Friedensvertrag verletzt tat. Trotz des Vertrages stehen im Saargebiet 7000 schwarze Loldaten, eine Schmach für eine Kulturnation; trotz des Ver⸗ anges hat man durch ein Gesetz den Begriff des „Saarbewohners nichaffen, um auf diese Weise der späteren Annexion vorzu⸗ möeiten, trotz des Vertrages hat man die Frankenwährung ge⸗ witsam durchgeführt. Alle diese politischen und wirtschaftlichen ßnabmen verfolcen nur den Zweck. das Land vom Mutter⸗ unde loszureißen. Die Frage, ob es für uns vorteilhafter wäre wugt wir jetzt im Völkerbund vertreten wären. möchte ich. wenn 8 zweifelnd, bejahen, aber zunächst sind wir noch draußen nnh können nur immer wieder an das Gerechtigkeitsgefühl der 88 appellieren. Unser Volk wird nicht mehr auf Erfüllungs⸗ faltil einzustellen sein, wenn auf der anderen Seite Vertrags⸗ duch auf Vertragsbruch folgt. (Beifall.) erenog. Otter (u. Soz.): Die Frankenwährung ist von den Fegleuten selbst verlangt worden. Heute wird drei Viertel der 8 eiterscheft im Saarstaat in Franken entlohnt. Es muß alles werden, um durchzusetzen, daß auch bei der Entlohnung
allein ist zu, daß der verboten ist. Der
in Mark die gleiche Lohnhöhe ausgezahlt wird, dadur
der französische Einfluß matt zu setzen. Es trifft nicht Anschluß an deutsche Arbeiterorganisationen deutsche Vergarbeiterverband hat im Saargebiet zahlreiche Mit⸗ glieder. Die Fortschritte Deutschlands auf dem Gebiete der äußeren Politik können durch nationalistische Reden nur ge⸗ schädigt werden.
Abg. Dahlem (Komm.): Wenn nicht wieder alles zer⸗ schlagen werden soll, täten die Redner der Rechten bis zu den Deniokraten doch besser, nicht solche nationalistischen Töne wie heute zu riskieren. Es war auch kein Anlaß, heute von der „Schwarzen Schmach“ zu reden. (Unruhe rechts.) Jeder von uns, der während des Krieges draußen war, weiß doch, daß es auch Fälle von weißer Schmach gegeben hat. (Andauernde große Unruhe rechts; Zuruf: Sie glauben wohl, Sie sind hier in der französischen Kammer ) Die Einführung der Franlenwährung war zuerst rein wirtschaftlicher Natur, sie ist erst später auf das politische Gebiet herübergezogen worden. Die voriges Jahr nach Genf gegangene sogenannte Vertretung des Saarlandes (große Unruhe rechts) hat von der Arbeiterschaft kein Mandat gehabt. (Widerspruch und Zurufe des Abg. Hue.) Die Arbeiterschaft des Saargebiets hatte nichts vom deutschen Militarismus zu erwarten und hat auch nichts zu erwarten vom französischen Militarismus, sie nimmt ihre Stellung nach ihrem alten Grundsatz: Hie Arbeiter⸗ schaft, hie Kapital! Im Saargebiet arkbeitet französisches und deutsches Kapital Hand in Hand gegen die Arbeiterschaft. 1
Damit schließt die Erörterung. In persönlichen Be⸗ merkungen setzen sich die Abg. Dahlem und Hue noch weiter in sehr gereiztem Tone auseinander, wobei Ausdrücke wie: Lügner, Schwindler u. a. fallen.
Das Haus geht über zur gemeinsamen Beratung der Anträge und großen Anfragen, die sich auf die Besatzungszulagen, die Unterstützung der geschädigten Ge⸗ meinden im Kreise Monschau, auf die Ernährungsschwierig⸗ keiten im besetzten Gebiet, auf die widerrechtliche Besetzung von Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort, auf die Wirtschafts⸗ beihilfen für die Beamten des besetzten Gebiets und auf die Ueberwachung der Schulen des besetzten Gebiets durch einen Ausschuß der Rheinlandkommission beziehen.
Minister des Innern Severing: Ueber die Besetzung von Düsseldorf und Duisburg⸗Ruhrort ist seinerzeit unter Hervorhebung der Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme mit einer auch in der Tages⸗ presse veröffentlichten Note bei den alliterten und assoziierten Regie⸗ rungen nachträglich Verwahrung eingelegt worden. Nach Annahme des Londoner Ultimatums hat die Reichsregierung im Einvernehmen und auf ausdrücklichen Wunsch des preußischen Ministers des Innern bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf hingewiesen, daß nach ihrer Auffassung die weitere Aufrechterhaltung der auf Grund der Londoner Beschlüsse gegen Deutschland verhängten wirtschaftlichen und mili⸗ tärischen Sanktionsmaßnahmen sich auch vom Standpunkt der alliierten und assoziierten Mächte nicht mehr rechtfertigen lasse. Die Frage der Aufhebung dieser Maßnahmen hat darauf wiederholt den Gegenstand von Erörterungen zwischen den alliierten Regierungen gebildet. Diese Erörterungen haben dazu geführt, daß am 30. Sep⸗ tember v. J. das im Rheinland eingeführte besondere Zollregime in Wegfall gekommen ist, und daß über die Beseitigung des dort ein⸗ gerichteten besonderen Ein⸗ und Ausfuhrsystems Verhandlungen geführt werden konnten, die indes noch nicht zum Abschluß gelangt sind. Dagegen haben die alliierten Mächte die militärischen Zwangs⸗ maßnahmen bisher noch aufrechterhalten.
Nach Lage der Verhältnisse kann trotz der fortgesetzten, auf die Beseitigung dieses rechtswidrigen Zustands gerichteten Bemühungen der Reichs⸗ und Staatsregierung leider nicht damit gerechnet werden, daß die Aufhebung der Besetzung von Düsseldorf und Dufsburg⸗ Ruhrort vor Behebung der in der Reparationsfrage in neuerer Zeit entstandenen Schwierigkeiten von den alliierten Mächten in Erwägung gezogen wird. (Lebhaftes Hört, hört!)
Auf Anregung und in völligem Einvernehmen mit der preußischen Regierung und den Regierungen der übrigen Länder wird von der Reichsregierung gegenüber den Regierungen der Besatzungsmächte ebenso wie durch den Reichs⸗ und Staatskommissar für die besetzten rheinischen Gebiete bei der Rheinlandkommission dauernd auf die durch die Maßnahmen der Besatzungsbehörde hervorgerufene schwere Belastung der rheinischen Bevölkerung hingewiesen und Abhilfe verlangt.
Gegenüber der von den Besatzungsbehörden verlangten Neu⸗ errichtung von Exerzierplätzen, Flugplätzen und Schießplätzen ist noch in neuester Zeit insbesondere darauf hingewiesen worden, daß angesichts der im Rheinlande bereits vorhandenen umfangreichen militärischen Anlagen dieser Art ein Bedürfnis für Neueinrichtungen nicht vorliegen kann, und daß durch derartige Anforderungen einerseits die Bevölkerung auf das schwerste geschädigt, andererseits die Reichs⸗ finanzen in einer Weise belastet werden, die die Erfüllung der Repa⸗ rationsforderungen auf das nachteiligste beeinflußt. (Sehr wahr!) Der Herr Reichsschatzminister hat vor einiger Zeit dem Reichstage eine Denkschrift über die Besatzungskosten vorgelegt, die im Inlande und Auslande große Beachtung gefunden hat und die in ihren wesent⸗ lichsten Teilen auch in Uebersetzung weiteren Kreisen des Auslandes zugänglich gemacht werden wird.
Das Staatsministerium hat jede Gelegenheit hbenutzt, die rheinischen Wirtschaftskreise durch die zuständigen Handels kammern auf die im Einzelfalle drohenden Gefahren einer wirtschaftlichen Ueberfremdung aufmerksam zu machen. Das zuständige preußische Ressort steht mit den Handelskammern über diese Frage in ständiger Verbindung.
Das Staatsministerium bedauert es außerordentlich, daß zwischen dem Geist und der Ausführung des Rheinlandabkommens eine klaffende Divergenz entstanden ist. Wenn bei der Besetzung seinerzeit die Grundsätze aufgestellt wurden,
1. möglichste Verschonung mit Einquartierungslasten, d. h. Ein⸗
quartierungen in Kasernen und reservierten Zonen,
2. vollkommene Selbstverwaltung der deutschen Behörden,
3. Ausnahme der Selbstverwaltung nur für den Umfang mili⸗
tärischer Bedürfnisse, so zeigt sich in Wirklichkeit heute ein zunehmendes Militärregiment, das mit dem Geist des Rheinlandabkommens nicht in Einklang zu bringen ist. (Allgemeine Zustimmung.) Svpstematisch werden Be⸗ schwerden nach dem bekannten militaristischen Grundsatz dadurch unterdrückt, daß man die Beschwerdeführer wegen ihrer Be⸗ schwerde verfolgt. Eine Beschwerde beispieleweise über Ein⸗ quartierungelasten ist um deswillen unpraktisch, weil sie in der Wirkung nur stärkere Lasten und Belästigungen zur Folge hat. (Hört hört!) Desgleichen widerrät jeder erfahrene Verteidiger der Einlegung einer Berufung, da diese härtere als die erstinstanzliche Strasen zur Folge zu haben pflegt. Diese militärische Willkür soll angeblich die militärische Autorität schützen, die aber von keiner Seite angetastet wird. Es handelt sich vielmehr um eine sichtbare Tendenz, diese militärische Macht in der Verwaltung des besetzten Gebietes zu erweitern.
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Es ist Aufgabe aller Dienststellen und aller im öffent⸗ lichen Leben stehenden, ihrer Verantwortnng bewußten Personen und Organisationen, auf diese Besatzungsleiden moralischer und materieller Art immer wieder hinzuweisen. Die preußiꝛche Regierung stellt ihre Behörden und den Staatskommissar für die besetzten Gebiete willig jedem schutzsuchenden Rheinländer zur Verfügung.
Den Versuchen einer ausländischen Macht, rbeinisches Gebiet vom Reich und Preußen loszulösen, kann wirksam nur die rhein ische Bevölkerung selbst entgegentreten. (Sehr richtigt) Das Vertrauen der Bevölkerung zur Staats⸗ und Reichsregierung ist der sicherste Schutz gegen die von französischer Seite genährten Loslösungs⸗ bestrebungen. Dieses Vertrauen der Reichs⸗ und Staatsregierung zu sichern, ist u. a. der Zweck der wirtschaftlichen Fürsorge, die den Rheinländern werden soll. Die preußische Regierung hat ihrerseits zu dem gesunden Sinn der Mehrzahl der rheini⸗ schen Bevölkerung das Vertrauen, daß sie den französischen Einflüssen den kräftigsten Widerstand entgegensetzen wird. Es mag zum Teil aus geschichtlichen Gründen ein gewisser Mangel an Sympathie für den preußischen Staͤat und für eine preußische Ver⸗ waltung bei ihr bestehen, aber auch dieser Teil der Bevölkerung will seiner überwältigenden Mehrzahl nach die sich hieraus ergebenden Fragen nicht zur Lösung bringen, solange eine fremde Besatzung eine einwandfreie Lösung der Frage nicht zuläßt. (Sehr richtig!t) Die Mehrzahl der Bevölkerung wendet sich daher auch gegen die Agitation, die sich gegen die preußischen Verwaltungs⸗ und Zeutralstellen richtet, deren Lockerung der erste Schritt zu dem erstrebten Separatismus sein würde. Die Reichs⸗ und Staatsregierung, nie erlahmend in der Wahrnehmung der Interessen der Rheinländer, und die Rheinländer, unerschütterlich im Vertrauen zur Reichs⸗ und Staatsregierung, so muß es gelingen, allen ausländischen Lostrennungsbestrebungen mit Erfolg entgegenzutreten. (Bravo!)
Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Boelitz: Meine Damen und Herren! Die der deutschen Oeffentlichkeit zuerst aus der französischen Presse bekannt gewordene Entschließung der Interalliierten Rheinlandkommission, einen Untersuchungs⸗
ausschuß für den im besetzten Gebiet erteilten Unterricht einzu⸗
setzen, hat in den weitesten Kreisen der Bevölkerung des Rhein⸗ lands wie ganz Deutschlands lebhafte Beunruhigung hervor⸗ gerufen. (Sehr richtig!) Die Maßnahme wird in ihren Zielen als ein weder mit dem Friedensvertrag noch mit dem Rhein⸗ landabkommen im Einklang stehender Eingriff in die deutsche Schulverwaltung empfunden.
Sofort nach Bekanntwerden der Nachricht bin ich mit den beteiligten Reichs⸗ und Staatsbehörden in Verbindung getreten. Der Reichs⸗ und Staatskommissar für die besetzten rheinischen Gebiete hat dementsprechend bei der Rheinlandkommission ein⸗ dringliche Vorstellungen erhoben.
Wenn die Rheinlandkommission zur Begründung ihres auf⸗ fälligen Vorgehens sich auf die Versetzungen von Lehrern und Lehrerinnen aus dem unbesetzten Deutschland in die besetzten Landesteile beruft, so übersteht sie die Notlage, die für die Unter⸗ richtsverwaltung durch den Vertrag von Versailles und den au ihm beruhenden Verlust weiter deutscher Gebiete herbeigeführt ist. So haben wir für die anderweite Unterbringung einiger Tausende von Lehrern und Schulbeamten zu sorgen, die zum Verlassen ihrer bisherigen Heimat gezwungen sind. Unter ihnen befinden sich über 3000 katholische Lehrer und Lehrerinnen, fi 1 deren Versorgung nach der bestehenden Schulverfassung wesentlich katholische Gebietsteile in Frage kommen. Jede politische Tendenz liegt bei dieser auf dem Unterbringungsgesetz beruhenden Maßregel der Unterrichtsverwaltung völlig fern. Sie legt den größten Wert darauf, bei der Auswahl der Lehrer und der Ge⸗ staltung des Unterrichts den Heimatsgedanken und alle heimat⸗ lichen Zusammenhänge besonders zu pflegen. Dieser Gesichts⸗ punkt findet natürlich auch gerade für das besetzte Gebiet ernsteste Beachtung. Ihm auch in Zukunft Geltung zu schaffen, werd ich stets bestrebt sein. .
Ebenso achtet die Unterrichtsverwaltung selbstverständli darauf, daß die Unterrichtserteilung in den preußischen Schulen sich im Einklang mit dem Artikel 148 der Reichsverfassung be⸗ findet. Dieser Artikel sieht eine Erziehung der Jugend einerseits im Sinne der Völkerversöhnung, andererseits im Geiste de deutschen Volkstums vor. Es ist mir nicht ersichtlich, wie die Rheinlandkommission zur Begründung ihres Vorgehens sich auf diese Bestimmung glaubt berufen zu können. Der vaterländischen Erziehung im Geiste der Verfassung zu dienen, wird stets ein 8 der obersten Pflichten der preußischen Unterrichtsverwaltung sein. Sie kann dabei vertrauen auf die bewährte vaterländische Ge — sinnung gerade der unter der Besetzung schwerleidenden Volls⸗ teile. (Bravo!)
Abg. Schmidt⸗Cons (Zentr.) begründet die großen An⸗ fragen seiner Fraktion, über die Entschädigung der durch die Abtretung in üöee. Bedrängnis geratenen Gemeinden des Kreises Monschau, über die Lebensmittelversoraung im besetzten Gebiete, und die beiden Anträge, die restlichen 20 ℳ der von den Gemeinden gezahlten Wirts haftsbeihilfe für die Gemeindebeamten des besetzten Gebietes auf die Staatskasse zu übernehmen, und das Ersuchen, auf die Reichsregierung einzuwirken, im besetzten Gebiet ein beschleunigtes Abschätzungsverfahren der Kriegs⸗ und en zu veranlassen. Die erdrückende Mehrzahl der rheinischen Bevölkerung wendet sich allen Losreißungsbestrebungen geschlossen entgegen. (Lebhaftes Bravo.) Es müsse aber der Ein⸗ druck schwinden, als wollte man das rheinische Volk seinem Schick⸗ sale selbst überlassen. Die Lebensmittelversorgung sei im Rhein⸗ land so schwierig, daß man nur noch zu Valutapreisen kaufen ehen Landwirtschaft müsse im besonderen geholfen werden. (Beifall.
Abg. Bachem (D. Nat.): Obwohl Deutschland den An⸗ orderungen der Sanktionen restlos nachgekommen ist, ist die Be⸗ 55 der Brückenköpfe Düsseldorf * Duisburg nicht zurück⸗ gezogen worden. Die Besetzung auf dem rechten Rheinufer dauert fort, um bestimmte weitergehende Pläne der französischen Rhein⸗ landspolitik zu fördern, um auf diesem Wege zur Akschnürung des ganzen besetzten Gebiets vom übrigen Deutschland zu gelangen, um aber auch ein politisches Sprungbrett zu einem weiteren militärischen Vorstoß in das deutsche Herz zu praparieren, um Essen in den Bereich der französischen Geschüne zu bringen. Dazu bedient man sich mit mehr oder minder Geschick auch gewisser deutscher innenpolitischer Verhältnisse. Am Tage nach dem Ein⸗ marsch in Düsseldorf hat ein französischer Major den Vertretern der Arbeiterpresse erklärt: „Wir sind gekommen, euch zu helfen, den Kapitalismus der Stinnes und der übrigen Kriegshetzer und Kriegsverlängerer zu bekämpfen.“ Von der unabhängigen Presse ist dieser Versuch der Beeinflussung zurückgewiesen worden; er charakterisiert aber die französische Hohtik die auch diese innen⸗ politischen Vorgänge vor ihren außenpolitischen Wagen zu spannen bemüht war. Hinzu kommt, wie sich aus der französischen Presse
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