1922 / 21 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 25 Jan 1922 18:00:01 GMT) scan diff

weitere kleinere Angestelltenverbände keigetreten sind. Er hat seinen Sitz in Berlin und faßt als Einheitsgewerkschaft die männlichen und weiblichen Angestellten und Lehrlinge in kauf⸗ männischen und technischen Betrieben, in Büros und Verwaltungen zu dem Zweck zusammen, die sozialen, rechtlichen, geistigen und wirt⸗ schaftlichen Angelegenheiten seiner Mitglieder auf gewerkschaftlicher Grundlage zu vertreten. Er zählte am 31. Dezember 1920 350 000 Mitglieder. Die Organe des G. d. A. sind der aus Ab⸗ geordneten der ordentlichen Mitglieder bestehende Bundestag, der alle zwei Jahre zusammentritt und das oberste Organ des Bundes dar⸗ stellt, der vom Bundestag gewählte Aufsichtsrat und der auf Vor⸗ schlag des Aufsichtsrats ebenfalls vom Bundestag gewählte Bundes⸗ vorstand. Während der Aufsichtsrat die geamte Betätigung des Bundes zu überwachen hat, liegt dem Bundesvorstand die Leitung und Geschäftsführung des Bundes ob. An Orten mit wenigstens zehn Mitgliedern werden Ortsgruppen und innerhalb der Ortsgruppen nach Bedarf örtliche Fachgruppen gebildet. Die Ortsgruppen werden durch Beschluß des Bundesvorstands mit Zustimmung des Aufsichts⸗ rats zu Gauen, die örtlichen Fachgruppen nach Bedarf zu Gau⸗ fachgruppen und zu Reichsfachgruppen zusammengefaßt.

Neben diesen drei Gruppen besteht als besondere Spitzen⸗ organisation der leitenden Angestellten die „Vereinigung der leitenden Angestellten in Handel und Industrie“ (Vela), Berlin, der die „Vereinigung von Oberbeamten im Bank⸗ gewerbe“, Berlin, und der „Verband oberer Bergbeamten“, Bochum, korporativ angeschlossen sind. Insgesamt gehören dieser Gruppe 13 100 Angestellte an.

Ebenso wie bei den Arbeitern ist auch bei den Angestellten die Bedeutung der „selbständigen“, keiner Zentrale angeschlossenen Verbände von Jahr zu Jahr gesunken. Heute gehören nur noch etwa 90 000 Angestellte solchen Verbänden an.

III. Beamtenverbände. Bei den öffentlichen Beamten,

bei denen der Organisationsgedanke sehr viel später als bei den Arbeitern und den Angestellten festen Fuß fassen konnte, kam es erst während des Krieges in der Gestalt der „Interessengemeinschaft deutscher Beamtenverbände“ zu einem umfassenderen Zusammenschluß der verschiedenen Beamtenverbände. An deren Stelle trat nach der Revolution der am 4. Dezember 1918 gegründete Deutssche Be⸗ amtenbund, der sich als „Zusammenschluß der deutschen Beamten⸗ und Lehrervereinigungen auf gewerkschaftlicher Grundlage zur Förde⸗ rung der rechtlichen, wirtschaftlichen und beruflichen Angelegenheiten der deutschen öffentlichen Beamten“ bezeichnet. Ihm waren Ende 1919 an⸗ geschlossen (neuere Zahlen sind noch nicht bekannt geworden) 52 Fach⸗ verbände mit 919 062 Mitgliedern. Seine größten Verbände sind die Reichsgewerkschaft der Post⸗ und Telegraphenbeamten und die Reichs⸗ gewerkschaft deutscher Eisenbahnbeamten und ⸗anwärter, letztere mit 200 000 Mitgliedern. Oberstes Organ des deutschen Beamtenbundes ist der alle Jahre stattfindende deutsche Beamtentag, der sich aus dem Gesamtvorstand und den Vertretern der angeschlossenen Verbände zu⸗ sammensetzt. Der Gesamtvorstand selbst besteht aus dem vom Be⸗ amtentag gewählten geschäftsführenden Vorstande und den von den unmittelbar angeschlossenen Verbänden bestimmten Mitgliedern. Der geschäftsführende Vorstand wiederum setzt sich aus 28 Personen zu⸗ sammen, sein Vorsitzender vertritt den Bund nach innen und außen. Ursprünglich gehörte dem deutschen Beamtenbund auch der Bund höherer Beamten an; dieser ist aber im Jahre 1920 aus⸗ getreten und umfaßt heute unter dem Namen Reichsbund höherer Beamten rund 75 000 Mitglieder.

Außerhalb des Deutschen Beanmitenbundes steht auch der mit den christlichen Arbeitergewerkschaften rverbundene „Gesamtverband deutscher Beamten⸗ und Staatsangestellten⸗ Gewerkschaften“. Die Führung der Geschäfte liegt hier dem aus drei Mitgliedern bestehenden Hauptvorstande ob. Außerdem besteht für jede Zentralbehörde oder Verwaltung ein Arbeitsausschuß. Hauptvorstand und Arbeitsausschuß bilden den Gesamtverbands⸗ ausschuß, dessen Vorstand gleichzeitig Vorstand des Gesamtverbandes st. In allen Orten, wo zwei oder mehr Gliederungen des Gesamt⸗ verbandes vorhanden sind, wird ein Lokalkartell des Gesamtverbandes

ildet. Im Gesamtverbande sind 10 Verbände mit 342 624 Mit⸗

gliedern vereinigt: der größte Verband ist die Gewerkschaft deutscher Eisenbahner und Staatsbediensteter mit 250 000 Mitgliedern, zum größten Teil Eisenbahnarbeitern, die gleichzeitig auch im Gesamt⸗ verband der christlichen Gewerkschaften organssiert sind.

Die Mitgliederzahl der Beamtenorganisationen, die sich keiner der erwähnten Zentralen angeschlossen haben, ist nicht beträchtlich. Sie beträgt etwa 65 000.

IV. Zusammenschluß der Arbeiter⸗, Ange⸗ tellten⸗ und Beamtenverbände. Dadurch, daß sich die Verbände der Angestellten und öffentlichen Beamten nach der Revolution zum allergrößten Teil auf gewerkschaftlichen Boden gestellt hatten, waren die Vorbedingungen für ein mehr oder weniger enges Zusammenwirken mit den Arbeitergewerkschaften gegeben. Die wirtschaftliche Not der Nachkriegszeit, die besonders schwer auf den in

en Angestellten⸗ und Beamtenverbänden vertretenen Bevölkerungs⸗ schichten lastete, beseitigte die letzten Schranken, die einem solchen Zu⸗ sammengehen im Wege standen. Kam es auch nicht zu den in den ersten Monaten nach der Revolution geforderten Industrieverhbänden sämt⸗ licher Kopf⸗ und Handarbeiter, so gelang es doch, die Zentralen zusammenzufassen. Beim freigewerkschaftlichen „Allge⸗ meinen deutschen Gewerkschaftsbund“ und dem gleichgerichteten „Allgemeinen freien Angestellten⸗Bund“ (Afa⸗Bund) geschah dies in er Form eines Organisationsvertrags, der am 12. April 921 unterzeichnet wurde. In ihm verpflichteten sich die beiden Bünde als organisatorisch selbständige Spitzenverbände zum Zu⸗ sammenwirken in allen gewerkschaftlichen, sozialen und wirtschafts⸗ politischen Angelegenheiten, welche die Interessen der Arbeiter und An⸗ gestellten gemeinsam berühren. Das Zusammenwirken zwischen den eiden Spitzenverbänden vollzieht s in folgenden Formen: Die beiderseitigen Vorstands⸗ und Ausschutzsitzungen und die Kongresse sind durch zwei bis drei Vertreter zu beschicken, die mit beratender Stimme teilnehmen. Im Bedarfsfalle sind gemeinsame Tagungen der beiden Bundesvorstände, bei wichtigen Fragen von gemeinsamem Interesse auch der beiderseitigen Bundesausschüsse, gegebenenfalls auch der Gewerkschaftskongresse abzuhalten. Die dauernde örtliche und bezirkliche Verbindung wird durch gegenseitige Entsendung von Vertretern in die beiderseitigen Vorstands⸗ und Kartelleitungen und durch gemeinsame Vorstandssitzungen der Orts⸗ ausschüsse des A. D. G. B. und der Ortskartelle des Afa⸗Bundes sowie der beiderseitigen Landes⸗ und Bezirksorganisationen gewährleistet. Die durch den Organisationsvertrag vom 12 April 1921 ver⸗ bundenen beiden freigewerkschaftlichen Zentralen zählen zusammen nach Ausschaltung der vorhandenen Doppelanschlüsse 8 351 491 Mit⸗ glieder. Auch mit dem Deutschen Beamtenbund hatte der freigewerkschaftliche Allgemeine deutsche Gewerkschaftsbund Verhandlungen gepflogen, die den Abschluß einer dem erwähnten Organisationsvertrage ähnlichen Vereinbarung bezweckten. Diese Ver⸗ handlungen haben aber nicht zum Ziele geführt. Der A. D. G. B. hat es daher bei seiner 14. Tagung im Dezember 1921 gebilligt, daß die ihm und dem Afa⸗Bund angehörenden Verbände, die Beamte organisieren, das sind hauptsächlich die im Verkehrsbund zusammen⸗ geschlossenen Verbände der Eisenbahner und Transportarbeiter be⸗ sondere Reichsabteilungen oder Reichssektionen für Beamte errlchten, und den Bundesvorstand ermächtigt, in Gemeinschaft mit dem Afa⸗ Bund eine Beamtenzentrale des A. D. G. B. und des Afa⸗Bundes zu errichten, die den Zweck haben soll, die in den angeschlossenen Verbänden vorhandenen Beamtengruppen zur gemein⸗ samen Vertretung allgemeiner Beamteninteressen zusammenfassen

Die zweitgrößte Arbeitnehmerzentrale bildet der Deutsche Gewerkschaftsbund (D. G. B.) mit dem Sitz in Berlin. Er umfaßt den Gesamtverband der christlichen Arbeitergewerkschaften Deutschlands, den gleichgerichteten Gesamtverband deutscher Angestellten⸗ gewertschaften und den Gesamtverband deutscher Beamten⸗ und Staatsangestelltengewerkschaften und zählt nach Ausschluß von oneltäblnigen 733 320 Mitglieder. Sein oberstes Organ ist der

Ausschuß, der aus den drei Gesamtverbänden in der Weise gebildet wird, daß jeder Gesamtverband in ihn drei Vertreter und außerdem uf je angefangene 100 000 Mitglieder einen weiteren Ver⸗ reter egtsendet. Kein Gesamtverband darf jedoch mehr als die

Hälfte der Mitglieder des Ausschusses stellen. Dem Ausschuß liegt

die Durchfübrung aller dem Deutschen Gewerkschaftsbunde über⸗ tragenen Aufgaben ob. Er hat den Vorstand zu wählen und die leitenden Beamten anzustellen. Er wird vom Vorstand nach Bedarf, mindestens aber einmal jährlich zusammenberufen. Der Vorstand besteht aus einem Vorsitzenden und zwei Stellvertretern, die aus den drei Gesamtverbänden entnommen werden müssen, einem Ge⸗ schäftsrührer und Beisitzern. Organe des D. G.B. in den einzelnen Orten und Bezirken sind die Orts⸗ oder Landesausschüsse, die in ihrem Wirkungsbereich sinngemäß die gleichen Aufgaben zu erfüllen haben wie der D. G.⸗B. w

Aus dem im Avpril 1918 begründeten freiheitlich⸗nationalen Arbeiter⸗ und Angestelltenkongresse. dessen Hauptträger die Hirsch⸗ Dunckerschen Gewerkvereine waren, entwickelte sich der „Gewerk⸗ schaftsring deutscher Arbeiter⸗, Angestellten⸗ und Beamtenverbände“, zu dem sich der Verband der deutschen Ge⸗ werkvereine, der Gewerkschaftsbund der Angestellten und der Allaemeine Eisenbahnerverband „unter voller Wahrung ihrer wirtschaftlichen und gewerkschaftlichen Eigenart als gleichberechtigte Glieder eines Ganzen zur Förderung ihrer gemeinsamen berechtigten Inter⸗ essen“ zusammenschlossen. Höchstes beschl'eßendes Organ ist der Kongreß des Gewerkschaftsrings, der erstmalig vom 27. bis 29. No⸗ vember 1920 in Berlin getagt hat. Die Geschäftsführung liegt in der Hand eines Vorstands, der von den drei Gliedverbänden bestellt wird. Daneben besteht als drittes Organ der Ausschuß. Be⸗ sonderen Wert legt der Gewerkschaftsring auf den örtlichen Zusammen⸗ schluß seiner Glieder, die er Gruppen benennt. Auch hat er eine eigene Betriebsrätezentrale ins Leben gerufen, die der Zusammen⸗ fassung sämtlicher den Verbänden des Ringes angehörenden Betriebs⸗ räte nach einheitlichen Richtlinien dient. Der Gewerkschaftsring zählte Ende 1920 657 998 Mitglieder.

Auch der bereits früher erwähnte wirtschaftsfriedliche „National⸗ verband deutscher Berufsverbände“ umfaßt neben Arbeiterverbänden Angestellten⸗ und Beamtenorganisationen, so den Reichsverband deutscher Angestellten⸗Berufsverbände mit rund 5000 Mitgliedern mit Unterverbänden für technische, kaufmännische und Bürvangestellte, Sparkassenangestellte und Werkmeister, den Deutschen Guts⸗ und Forstbeamtenbund mit rund 10 000 Mitgliedern, den Reichsverband deutscher Haus⸗ und Privatlehrerinnen mit rund 2000 und den Reichsbund deutscher Berufsbeamten mit 4700 Mitgliedern.

Die deutsche Gewerkschaftsbewegung bietet somit in ihrem jetzigen Stand ein Bild starker Konzentration, die sich vor allem in der Zusammenfassung gleichgerichteter Arbeiter⸗, Angestellten⸗ und Beamtenverbände unter großen Fachorganisationen äußert. Von den 12 530 000 organisierten Arbeitern, Angestellten und öffentlichen Be⸗ amten entfallen über 10 740 000 oder 85,7 vH auf die drei großen Arbeitnehmerzentralen Allgemeiner deutscher Gewerk⸗ schaftsbund, verbunden mit dem Allgemeinen freien An⸗ gestelltenbunde (Afa⸗Bund), Deutscher Gewerkschafts⸗ bund und Gewerkschaftsring. Nimmt man zu diesen Zentralen noch den Deutschen Beamten⸗ bund, den Reichsbund höherer Beamten, die Ver⸗ einigung der leitenden Angestellten in Handel und Industrie, die im Nationalverband deutscher Berufsverbände organisierten Wirtschaftsfriedlichen und die in den drei Unionen zusammengefaßten Syndikalisten und Kommunisten hinzu, so verbleibt für die an keine dieser Zentralen angeschlossenen Arbeitnehmerverbände eine Gesamtmitgliederzahl von 343 171, das sind 2,7 vH der in Deutschland überhaupt organisierten Arbeitnehmer. Der Schwerpunkt der Gewerkschaftsbewegung liegt heute durchaus bei den großen Arbeitnehmerzentralen, die damit eine bedeutende Rolle im öffentlichen Leben der Gegenwart spielen.

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Arbeitsstreitigkeiten.

Nach einer von „W. T. B.“ aus Dresden übermittelten Meldung dortiger Blätter kann der Eisenbahnerausstand in Dresden und Umgebung nunmehr als zusammen⸗ gebrochen gelten. Das Personal ist größtenteils wieder zur Arbeit erschienen, obwohl von einer geregelten Durchführung des Betriebs noch nicht gesprochen werden kann. Die Güterbahnhöfe sind zum Teil verstopft, Kohlennot erhöht die Schwierigkeiten, so daß bereits die Gefahr der Einstellung des Gaswerksbetriebs droht. Die Oberpost⸗ direktion teilt mit, daß die Annahme von Paketen und Wertsendungen vorläufig eingestellt ist.

Kunst und Wissenschaft

In der Januarsitzung der Anthropologischen Gesell⸗

schaft gedachte der Vorsitzende, Geheimrat Prosessor Hans Virchow des jüngst dahingeschiedenen Archäologen Professors Olshausen sowie des französischen Prähistorikers Cartailhac, dessen Werke über Altamira und die Vorgeschichte auf französischem Boden einen Peben Fortschritt bedeuten, und entwarf ein Lebensbild von Heinrich

chliemann aus Anlaß von dessen 100. Geburtstag, das er mit intimen Zügen aus eigenem Leben plastisch zu gestalten wußte. Man fragt sich bei Betrachtung Schliemanns, dieses Sprachgenies er sprach bekanntlich fast sämtliche europäischen Kultursprachen, wußte durch Vor⸗ lesung aus der Odyssee die Bauern auf Ithaka zu Tränen zu rühren und durch den Vortrag von Koransuren die Gläubigen in Arabien zum Gebete zu begeistern man fragt sich, was mehr an ihm zu bewundern ist: die geschäftliche Gewandtheit und Energie seiner kaufmännischen Begabung, mit der er sich ein Millionervermögen in kurzer Zeit in internationalen Handelsunternehmungen erwarb, oder die trotz aller Ablenkung zäh bewahrte Begeisterung für das Ideal seiner Kindheit: die Stätte Trojas aufzufinden und aufzudecken, die „Schätze des Priamus“ mit den eigenen Händen dem Boden zu entnehmen. In den Anfängen seiner Ausgrabungen auf dem Hügel von Hissarlik erfuhr er bekanntlich manche Ablehnung seiner Deutungen, aber je mehr Funde dem Boden entstiegen und je weiter er seine Grabungen durchführte und in Griechenland selbst die alten Paläste von Tiryns und Mykene ans Licht zog, desto mehr erkannse man den Wert seines ganz aus eigenen Mitteln durchgeführten großzügigen archäologischen Tuns für die Wissenschaft, von dem so zahlreiche Anregungen ausgegangen sünh und dessen Ergebnisse dem Homer nichts von seiner Schönheit geraubt haben. Darauf berichtete der Vorsitzen de über seine Untersuchungen der Hände von Wilhelm von Waldeyer⸗Hartz. Der große Anatom hatte bekanntlich bestimmt, daß sein Gehirn und seine Hände nach seinem Tode von Prof. Hans Virchow untersucht werden sollten. Schon früher hatte man solche Untersuchungen gemacht; so geschah es von dem Ana⸗ tomen David von Hansemann mit den Gehirnen von Helmholtz und Adolf Menzel, aber Virchow betonte, nur dann hätten solche Unter⸗ suchungen Wert, wenn sie sehr genau durchgeführt würden und wenn man die Objekte in exakter Weise konserviere. Virchow beschäftigt sich seit längerer Zeit mit den Versuchen, das „Skelett der mensch⸗ lichen Füße und Hände nach Form“ aufzustellen und dann zusammen⸗ usetzen, um über Statistik und Dynamik der Organe näheren Auf⸗ sälas zu erlangen. Er erreichte dies früher dadurch, daß er erst die Leichenhände gefrieren ließ, sie dann von allen Muskeln und selbst die Knochen von ihren Häuten befreite, um sie einzeln von neuem zusammenzusetzen. Gegenwärtig ist Virchow von diesem Gefrierverfahren abgekommen und sucht durch Einspritzung von Formalin und Alkohol in die Blutgefäße die Erstarrung der Hand und des Unterarms hervorzubringen, die dann in Gips geschlossen werden. Bei der weiteren Untersuchung werden die Präparate aus der Gipshülle entfernt, mazeriert und dann kann man die Knochen einzeln betrachten und zusammensetzen. Das Verfahren war ursprüng⸗ lich von Virchow zu Lehrzwecken angewendet worden, um dem bilden⸗ den Künstler zu zeigen, wieviel die Form der Hand der Skkelettgrund⸗ lage verdankt; eine nach diesem Verfahren zusammengesetzte Hand ist das, was der Künstler „lebendig“ nennt, und bietet mehr als ein bloßes schlaff hängendes Handfkelett. Wenn solche Arbeiten am Skelett mit Planmäßigkeit und Genauigkeit ausgeführt werden, so stellen diese Skelette selbst wieder Fragen an die Anatomen und regen ihn wissenschaftlich an. Die Betrachtung der einzelnen Knochen, dann gewisser Kombinationen, die sie bieten, später ihre vollkommene Zu⸗ sammensetzung leitet zum Verständnis des Organs der Hand, wie ein

21 r Bau nur aus den einzelnen Baugliedern, diese wieder nur a denseg dhn nn verständlich sind. Waldeyer selbst hat seine Hand als eine Schreibhand bezeichnet, und dies hat die Untersuchung be⸗ stätigt. Durch Aufhängung der Präparate wurde die Spannung be⸗ seitigt und die Eigensorm der Hand kam zum Vorschein⸗ auch wurde deutlich, daß Waldeyer die letzten 20 Jahre seines Lebens an chroni. scher Artritis (Gicht) gelitten hatte. Ein Verhältnis der Hand zur Handschrift Waldeyers wurde durchaus verständlich, er hatte eine schöne, in früheren Jahren eswas kleinere, später größere Handschrift Als Ergebnisse der Untersuchumg ist neben dem persönlichen Moment ein technisches festzustellen, indren die Methode der Untersuchung eine Unterstützung erhalten hat. Im allgemeinen handelt es sich be derartigen Untersuchungen nicht um Füiszebende Dinge, sondern um Aufgaben, die von der anatomischen T issenschaft erst in Zukunft zu

1 b ije Hände Waldeyers als Füh 6 ind, wobei uns nun auch die Hände 8 Fürer lösen sind, durch eine Anzahl sehr

dienen können. Die Darlegungen wurden guter Lichtbilder erläutert.

Theater und Musik.

Schloßparktheater Steglitz.

Das Trauerspiel⸗„Des Meeres und der Liebe Wellen⸗ von Franz Grillparzer, dessen Todestag sich am 21. d. M. zum 50. Male jährte, ging gestern im Schloßparktheater in Steglit in Szene. Eine schöne Frau, so teilt der Dichter in seinen bic⸗ graphischen Aufzeichnungen mit, trieb ihn zu diesem toffe, der Titel sollte nur ein Hinweis auf die allgemein men chliche Behandlung der Sage sein. Wenn Schiller am Schlusse seiner Ballade den Priesterberuf der Hero mit ihrem Opfertod, der ein Opfer für die Göttin der Liebe selbst bedeuten sollte, in Eintlang zu bringen suchte, so war es Grillparzer darum zu tun, der Priesterin innere Wandlung zu schildern, die durch den ersten An⸗ blick des Geliebten hervorgerufen wird, und die, ähnlich wie in der „Jungfrau vor Orleans“, dazu führt, ihren bisherigen inneren Widerspruch gegen die Liebe zu überwinden. Wenn die gestrige Auf⸗ führung den hohen Anforderungen des Stückes nicht in allem ent⸗ sprach, so lag das zum Teil an den beschränkten Raumperhältnissen des Theaters, zum Teil auch an der Spielleitung und auch an einigen Darstellern, die oft nur allzu äußerlich spielten, ohne ein tieferes Eindringen in den Geist der Dichtung zu bekunden. Das Beste leistete noch die Vertreterin der Titelrolle, Regula Keller, die für das erkrankte Fräulein Loose eingetreten war, und insbesondere das erse Zusammentreffen mit dem Geliebten sowie auch die Schlußszene in ergreifender Weise wiedergab. Weniger befriedigte als Leandet Gerd Fricke, dessen allzureichlich aufgewandtes Pathos in Ver bindung mit der oft wenig geschickten szenischen Anordnun zu wiederholten Malen Wirkungen bervorrief, die dem Charakter de Dichtung zuwiderliefen. Auch Ernst Bringolf als Naufleros neigte etwas zur Uebertreibung, während Robert Forsch, in dessen Hände auch die Spielleitung lag, den ernsten und strengen Oberpriester würdig verkörverte. Die Bühnenbilder waren trotz der Kleinheit der Bühne teilweise recht stimmungsvoll, besonders Heros Turmgemach mit dem Ausblick auf das Meer und den gestirnten Himmel. Das Publikum ließ es zum Schluß der Aufführung an lebhaftem Beifal⸗ nicht fehlen . h.

Im Opernhause wird morgen, Donnerstag, Leoncavallog Oper „Bajazzi“, mit Frau von Catopol und den Herren Bolz Ziegler Düttbernd und Philipp besetzt, auigeführt. Musikalischer Leiter ist Kail Ehrenberg. Anschließend gehen die Ballette „Amoretten“ und „Kostümball“ in Szene. Anfang 7 ½ Uhr.

Im Schauspielhause wird morgen „Peer Gynt“ mit Günther Hadank als Peer und Margarate Schön als Solbveig wiederholt. Anfang 7 ½ Uhr Infolge Erkrankung des Herm Kortner werden am Freitag, den 27. d. M, statt „Otbello“, „Leonce und Lena“ und „Der Diener zweier Herren“ gegesen.

In den Kammerspielen des Deutschen Theater wird morgen und am Sonnabend in Abänderung des Spiel⸗ plans Schnitzlers „Anatol“ aufgeführt, da der Pantonrimen⸗ abend infolge der Erkrankung zweier Hauptdarsteller auf Dienstag, den 31. Januar, verschoben wird. Bereits gelöste Karten be⸗ halten für den 31. Januar ihre Gültigkeit. Dagegen werden die he heute gekauften Karten für den 28. und 31. Januar an der Kast zurückgenommen oder für einen späteren Termin umgetauscht.

Nr. 3 des Zentralblatts für das Deuisär Reich, herausgegeben im Reichsministerium des Innern an 20. Januar 1922, hat folgenden Inhalt: 1. Allgemeine Ver⸗ waltungssachen: Herausgabe eines Druckwertkes über die abgetretenen Gebiete und das Saargebiet S. 23. Bekanntmachung über de Gewährung von Beihilfedarlehen zur Förderung des Wohnungsbaues S. 23. Berichtigung S. 23. 2. Konsulatwesen: Ernennung S. 23. Exequaturerteilung S. 23. 3. Steuer⸗ und Zollwesen Aenderungen des Warenverzeichnisses zum Zolltarife S. 24. 4. Militärwesen: Ungültigkeitserklärung von in Verlust geratenen Zivilversorgungsscheinen S. 24. 5. Versicherungswesen: Nach⸗ weisung über Ortslöhne S. 26.

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(Fortsetzung des Nichtamtlichen in der Ersten Beilage.)

Theater.

Opernhaus. (Unter den Linden.) Donnerstag: 23. Daucr⸗ bezugsvorstellung. Bajazzi. Amoretten. Kostümball. Anfang 7 ½ Uhr.

Freitag: Der Ring des Nibelungen. 2. Tag: Siegfried⸗ Anfang 6 Uhr.

Schauspielhaus. (Am Gendarmenmarkt.) Donnerst.: 25. Dauer⸗ bezugsvorstellung. Peer Gynt. Anfang 7 ½ Uhr. Freitag: Othellv, der Mohr von Venedig. Anfang

hr. 4 9 58 8 Monat Die Ausgabe der Dauerbezugskarten fůͤr den⸗ Bor⸗

S 26 Vorstellungen im Opernhause und; 8 tellungen im Schauspielhause erfolgt am 27. 28. 8- 30. d. M. zwilchen 9 ½ und 1 Uhr in der Theaterhauptkasse, Dorotheenstr. 3 II, egen Vorzeigung des Dauerbezugsvertrags, nes zwar: am 27. d. M. für den ersten Rang und das Parkett Opernhauses, am 28. d. M. für den zweiten und dritten N des Opernhauses und am 30. d. M. für alle Platzgattungen en Schauspielhauses. Entsprechend den gewöhnlichen Kaffenpreif 6, welche gemäß Ziffer 2 der Dauerbezugsbedingungen den Dauerbezuge, preisen zugrunde zu legen sind, betragen die Dauerbezugspreile. Schauspielhause (ausschließlich der Kleiderablagegebühr und 68 16 abgabe) für ersten Rang Loge 97 ℳ, für ersten Rang Sessel 1 für Parkettsessel 77 ℳ, für Parkett und Parkett Loge 57 ℳ.

ʒDaen

Verantwortlicher Schriftleiter: Direktor Dr. Tyrol, Cpartatt chis

Verantwortlich für den Anzeigenteil: Der Borstegr der Geschãf engering in Berlin. Verlag der Geschäftsstelle (MMengering) in Berlin. Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und balt 8 Berlin. Wilhelmstr. 32.

Drei Beilagen

eite und Dritte Zentral⸗Han

Anfang 7 ½ Ubrt

um Deutschen Neichsa

Nr. 21.

I 1“

Berlin, Mittwoch, den 25. Januar

1 Nichtamtliches.

(Fortsetung aus dem Hauptblaft.] .

Deutscher Reichstag. 158. Sitzung vom 24. Januar 1922, Nachmittags 1 Uhr.

GBericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger“).)

Auf die Anfrage des Abg. Wulle (D. Nat.) wegen der Kohlenversor, ung Tirols durch Deutschland wird regierungs⸗ seitig erwidert, daß Deutschland alles tue, was in seinen Kräften stehe, soweit die Verpflichtungen aus dem Friedensvertrage dies zulassen. Für Tirol und Vorarlberg im besonderen seien im vorigen Jahre monatlich 1000 Tonnen Kohlen freigegeben worden, welches Quantum im November aber auf 500 Tonnen herabgesetzt werden mußte. erner 8 Tirol neuerdings kleinere Kohlen⸗ nengen aus Westfalen erhalten. Eine weitergehende Kohlenver⸗ sorgung Tirols ist mit Rücksicht auf die bestehenden Verhältnisse und die eigene Not der deutschen Verbraucher nicht möglich. Die Verhandlungen in Paris haben dazu geführt, daß die Kohlenaus⸗ fuhr nach Oesterreich nur unter der Bedingung freigegeben worden ist daß wir bis zum April das Leistungs⸗Soll voll erfüllen. Im übrigen ist die Kohlennot in Tirol nicht allgemein, sondern es 5 sich nur um einen Mangel an Qualitätskohle. Bei der Greisfestsetzung ist zu berücksichtigen, daß Deutschland von den Kohlenpreisen eine Abgabe von 26 % an die Entente zahlen muß.

Abg. Dr. Roesicke (D. Nat.) wünscht Auskunft über die geplante Gründung einer Gesellschaft zum Handel mit landwirt⸗ zeftlichen Frzengnigser, insbesondere darüber, ob die Landwirt⸗ shaft in dieser Gesellschaft unberücksichtigt bleiben soll. Die Ant⸗ wort der Regierung bestätigt die in Aussicht genommene Gründung einer solchen Gesellschaft, an der aber alle in Betracht sommenden Interessenten, also 9 die Landwirtschaft, beteiligt ein sollen. Das Reich hat sich eine Beteiligung in Höhe von 25 98 vorbehalten. Eine Ergänzungsanfrage desselben Akgeordneten, varum nicht vorher die Landwirtschaft darüber befragt worden st, ob sie nicht ihrerseits zur Schaffung einer solchen Gesellschaft bereit gewesen wäre, und ob die Regierung sich bewußt sei, daß die geplante Gesellschaft ein Privatmonopol für Getreide bedeute, bleibt unbeantwortet.

Abg. Thiel (D. 890 beschwert sich darüber, daß das am 19. November vorigen res beschlossene Ergänzungsgesetz zum bersicherungsgesetz für Angestellte im besetzten Gebiet und im Faargebiet bisher nicht verkündet worden ist. Die Regierung ßt erwidern, daß die Reichsregierung IT Einfluß habe, nd daß z. B. im Saargebiet die vom Völkerbund eingesetzte gegierungskommission dafür zuständig sei.

Das Haus setzt darauf die Beratung über das Reichs⸗ hulgesetz fort.

Abg. Kunert (U. Soz.): Der Gesetzentwurf fördert die Zer⸗ genheft im Schulwesen. Rach der Verfassung ist 115. das Saer⸗ resen organisch auf der Grundlage der einheitlichen Grundschule nregeln. Die Lehrerschaft ist nicht rechtzeitig über ihre Ansicht

r den Gesetzentwurf befragt worden. Die Vorlage enthält alle Machteile eines Kompromisses, wie es in Weimar zustande ge⸗ (ommen ist; sie bedeutet die Auslieferung der Schule an die Kirche. Per § 3 mit der Bekenntnisschule macht einen Rückschritt in seütere Zeit, denn der Religionsunterricht soll den Unterricht be⸗ hertschen und alle anderen Unterrichtsfächer vergewaltigen. So

ird ein Verbrechen am Geist des Kindes begangen. Auch mit dem § 4 mit der weltlichen und Weltanschauungsschule kann man sich nicht ohne weiteres einverstanden erklären. Die Welt⸗ anschauungsschule ist ein totgeborenes Kind, denn man kann einem unreifen Kinde keine Weltanschauung beibringen. Die einzelnen Hestimmungen der Vorlage, die der technischen Ausführung des Gesetzes dienen, enthalten manche Verfassungsverletzung. Redner polemisiert gegen die Ausführungen der Abgeordneten Rhein⸗ änder und Mumm über die konsessionelle Schule und bestreitet, daß tche⸗ diese Schulart dem konfessionellen Frieden diene. Die Schulartikel der Verfassung, so führt Redner aus, haben ihre erste Frobe im Reichstag sehr schlecht bestanden. Ich beantrage, über den ganzen Entwurf zur Tagesordnung überzugehen. (Beifall bei

den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Abg. Weiß (Dem.): Die gegenwärtige Zeit mit ihrer dußeren und inneren Not ist die ungeeignetste zur Einbringung eines solchen Gesetzentwurfes, der soviel süerschaff findet. Die gestrige Debatte hat doch mit aller Deutlichkeit gezeigt, wie groß noch immer die konfessionellen Gegensätze sind. azu kommen die sifgehenden Unterschiede zwischen den verschiedenen Welt⸗ inschauungen. Allerdings scheint mir der Eingriff des Staates in jeligiöse Dinge, wie ihn dieser Entwurf bringt, nur die Reaktion arauf zu sein, daß z. B. die Dissidentenkinder jahrzehntelang ver⸗ maltigt worden sind. Angesichts der gestern vom Abg. Rhein⸗ ünder (Zentr.) vorgetragenen Wünsche erscheint mir ein annehm⸗ ares Ergebnis einer Ausschußberatung ziemlich zweifelhaft. Für mich steht fest, daß nach der Verfassung, der Staat der Schulherr ist; er hat nicht nur das Recht, sondern ie Pflicht, die öffentliche Jugenderziehung zu über⸗ nehmen. Es ist daher nicht richtig, wenn gesagt wird, daß Art. 146 Abs. 2 der Verfassung die Freiheit des Willens der Erziehungsberechtigten in erster Linie maßgebend sein muß. deftemdend ist es, daß Staatssekretär Schulz den Gesetzentwurf nit Rücksichten begründet. Ich möchte ihm raten, nach r heutigen Aussprache in stiller Kammer einmal ein Zwie⸗ espräch mit dem früheren Bildungsreformer Schulz zu führen, ob icht für diesen in 8. 2 Linie pädagogische Rücksichten in Betracht sekommen sind. Wenn das Zentrum befürchtet, daß die Bekenntnis⸗ chule dadurch verwässert wird, wenn auch Kinder anderer Bekennt⸗ jisse sie besuchen, so bin ich der Meinung, daß dadurch die Be⸗ tenntnisschule zu dem werden wird, was die Gemeinschaftsschule verden soll. Eine E ist nicht da, wo konfessioneller teligionzunterri t erteilt wird, sondern da, wo der ganze Unter⸗ cht von der Religion beeinflußt wird. Was die Gemeinschafts⸗ sule betrite so Pön. ich diese Bezeichnung ab, weil sie miß⸗ sständlich ist. Ich lehne aber auch die Begriffsbestimmung und den Inhalt ab, den der Entwurf dieser Schule gegeben hat, indem se diel zu wenig ihren erziehlichen Charakter beiont. Bezüglich 8 Religionsunterrichts stehe ich auf dem Standpunkt, daß die benl chule, wenn sie eine allgemeine Bildungsschule und * enschule sein soll, aus psychologisch, aus sozialen, aus kultu⸗ nianz Dründen den Religionsunterri 89 8 in 8 men muß. Aber so weit gehe ich nicht, zu behaupten, da nur der Neacnzumterrscht 8 erziehliche Kraft habe. Neben 88 aben auch andere weltliche Unterrichtsgegenstände, der Sprach⸗ nterricht, der Naturkundeunterricht, der Geschichtsunterricht eine beße erziehliche Bedeutung, und deshalb hatte der Abg. Rhein⸗ nder unrecht, wenn er g-. sagte, die Bekenntnisschule sei die öirs Erziehungsschule. Ich gkaube auch, die Wirkung eines mmterrichtsgegen tands, also die Wirkung des Religions⸗ wn dchts hängt nicht von der Anzahl der Stunden ab, sondern em Geiste, in dem er gegeben wird. (Sehr richtig bei den

it Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgehobenen Reden

29M i derren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind.

Demokraten.) Ich gebe zu, daß bei einer solchen Betrachtungs⸗ weise das konfessionelle Moment etwas zurücktritt, aber schadet das etwa einem Volke, das sich jahrhundertlang um seinen Kate⸗ chismus die Köpfe blutig geschlagen hat? (Sehr gut bei den Demokraten.) enn es eine Partei gibt, die sich das Ziel steckt, die Grundsätze des Christentums in die Politik einführen zu wollen, und die es doch ablehnt, eine konfessionelle Partei zu sein, dann muß es doch wohl erlaubt sein, die Politik und auch die Erziehungsgrundsätze nach allgemein christlichen Gesichtspunkten, und nicht nach konfessionellen Gesichtspunkten zu ordnen. (Beifall bei den Demokraten.) Was das Antrags⸗ 8 Anmeldeverfahren so bin ich der Meinung, daß der Kreis der Antragsteller erheblich erweitert werden ran Jeder, der für die öffentliche Schule bezahlt, hat auch das Recht, seine Stimme für die Ge⸗ taltung der Schule in die Wagschale zu werfen. Ich bin auch der Meinung, daß derjenige, der den Antrag auf eine Schule stellt, nicht sofort Fenötigt sein darf, sein eigenes Kind in diese Schule zu c gen, wird aber das Anmeldeverfahren eingeführt, dann muß au die Anmeldung zu einer gewissen Schulart verbindlich sein. Im allgemeinen halte ich es für viel zu weitgehend, wenn man bestimmen wollte, daß jeder jede Schulart beantragen kann. Gegen die Weltanschauungsschule haben auch wir grundsätzliche und namentlich auch finanzielle Bedenken. Die Gemeinden sind kaum in der Lage, ihr Schulwesen auf der jetzigen Höhe zu erhalten; da wäre es ein Luxus sondergleichen, neben den in Aussicht ge⸗ nommenen Schulen auch noch besondere Weltanschauungsschulen einzuführen. (Sehr richtig!) Der Abg. Rheinländer hat gestern ganz besonders das Recht der Kirche und das Recht der Eltern auf die Schule betont. eer die Geschichte der Entwicklung der deutschen Volksschule kennt, wird mich nicht Lügen strafen, wenn ich sage: Die deutsche Volksschule ist weder aus dem Wille der Kirche noch aus dem Willen der Erziehungsberechtigten ent⸗ standen. (Beifall und Zustimmung.) Ohne den modernen Staat wäre die deutsche Volksschule nicht entstanden, denn die beiden Voraussetzungen dazu, der Schulzwang und die Schulunter⸗ haltungspflicht konnten nicht durch den Willen der Eltern, sondern nur durch den Staat geschaffen werden und ohne die kulturelle Füre g. die die Volksschule durch die Gemeinden erfahren hat, hätten wir nicht unser blühendes Volksschulwesen erhalten. Zu⸗ gegeben werden muß, daß in den letzten Jahrzehnten die Staatsschule meistens von obenher organisiert worden ist und daß dabei zum Beispiel in der Frage des Berechtigungs⸗ wesens der Wille des Erziehungsberechtigten nicht ge⸗ nügend berücksichtigt worden ist. Zweifellos hat auch die Kirche ihre große Bedeutung für die erzieherischen Auf⸗ aben. Aber aus alledem ergibt sich meiner Ansicht nach, daß die Schulorganisation nicht einseitig nach dem Willen eines der an der Schule Beteiligten gestaltet werden darf, sondern daß die drei be⸗ teiligten Faktoren: Eltern, Kirche und Staat sich über die Ab⸗ grenzung ihrer Rechte und Pflichten zu verständigen haben. (Bei⸗ fall bei den Demokraten.) In diesem Sinne werden wir in der Kommission an der Um⸗ und Ausgestaltung dieses Entwurfs mit⸗ arbeiten, und wir hoffen, daß es gelingen wird, auf dieser Grund⸗

lage etwas Brauchbares zu schaffen. (Beifall bei den Demokraten.) Stand Staatssekretär Schulz: Dem Vorredner erwidere ich, daß ist eine faule Frn

die Regierung für den Zeitpunkt nicht verantwortlich ist, in dem das Gesetz zur Beratung kommt. Sie hat schon im Mai vorigen Jahres den Entwurf dem Reichstag übergeben, und ich habe mich des öfteren bemüht, die Parteien endlich zur Beratung zu ver⸗ anlassen. Es ist nicht unsere Schuld, daß wir den Entwurf in einem Zeitpunkt beraten müssen, wo uns Lebensfragen der Nation beschäftigen. Ich meine aber, weil wir in einer solchen politischen

Notlage uns befinden, müssen wir endlich für unser Schulleben

die entsprechende Form finden, die auch die konfessionellen Be⸗ dürfnisse ausgleicht. Ich bestreite, gesagt zu haben, daß bei dem Schulgesetz politische Gründe in Frage kämen.

erster Linie der Politiker und nicht der Pödagoge das muß. Ich selbst habe bei diesem Entwurf schwere innere Kämpfe

bestanden. Wenn Herr Kunert meinte, die Lehrer seien bei dem Entwurf nicht gefragt worden, wohl aber die Bischöfe, so ist das

falsch. Die Regierung hat absichtlich keine Interessenvertretung herangezogen. Im übrigen haben wir vorher mit Mitgliedern aller Parteien, von der öußersten Rechten bis zur äußersten Linken,

über die Grundzüge des Entwurfs gesprochen und die Wünsche der

Parteien entgegengenommen. Daß mit dem Entwurf selbst nie⸗ mand so recht zufrieden ist, ist kein Wunder. Die Unzufriedenheit entspringt aber ganz verschiedenen, sehr häufig entgegengesetzten

Motiven. Wir haben absichtlich alles draußen gelassen, was nicht unmittelbar mit Artikel 146 Abs. 2 zusammenhängt, sonst wären vase 8 für politischen Verfall seiner Partei. Wir sind zur Mitarbeit a Aus Gef

wird, so liegt das nicht daran, daß der Entwurf in Wirklichkeit S s.n n Formel des Die Gemein⸗

die Schwierigkeiten ungeheuer geworden. Wenn von rechts wie links der schwere Vorwurf der Verfassungswidrigkeit erhoben

versassungswidrig ist. sondern daran, daß die Weimarer Kompromisses verschieden auslegbar ist. schaftsschule soll das gemeinsame nationale Gut pflegen, und dazu ehört selbstver tändlich auch die Religion. Da wir aber ver⸗ chiedene Bekenntnisse haben, so handelt es sich hier um religions⸗ kundlichen Unterricht als einen Teil der Kulturgeschichte. Nach den Ausführungen des Abg. Runkel in Weimar ist gerade die jetzt vorliegende Form der Gemeinschaftsschule die verfassungsmößige. Daß die Gemeinschaftsschule als Regel gedacht ist, zeigt der Wort⸗ laut des Entwurfs. So habe ich es auch namentlich der drei Kompromißvarteien am 31. Juli 1919 in Weimar erklärt. Be⸗ züglich der Weltanschauungsschule ist es Sache des Reichstags, eine besser passende Form zu finden. Wir sind gern einverstanden damit, wenn diese Schulform bei den Ausschußberatungen ge⸗ strichen wird. Sie ist von uns lediglich aus juristischer Gewissen⸗ haftigkeit aufgenommen worden. Die Frage der Zugehörigkeit der Lehrer zu einem Bekenntnis und die Beschäftigung der Lehrer an den verschiedenen Schularten ist eine überaus ernste, und wir würden uns freuen, wenn der Reichstag dafür eine bessere Formu⸗ lierung zugunsten der Lehrer finden könnte. Der Abg. Hellmann nannte die Gemeinschaftsschule eine verkappte Bekenntnisschule, weil an ihr Religionsunterricht erteilt werden könnte; aber sie bat doch keinen bekenntnismäßigen Charakter. Es wäre Unsinn, die einklassige Schule zu erschweren. Wenn eine solche Schule auf dem Lande sre Vorzüge hat, so werden diese Vorzüge in der Stadt nicht spurlos verschwinden. Man hat mich den Vater dieses Gesetzentwurfs genannt. Ich danke für diese Eyre; aber es gibt hier nicht, wie beim Menschen, einen einzigen Vater, sondern fehr viele Väter sind an diesem Gesetz beteiligt. Sehr viele Behörden und sehr viele Persönlichkeiten und auch die Parteien des Reichs⸗ tags haben an der Vorbereitung mitgearbeitet. Die Unterrichts⸗ verwaltungen der Länder, das Reichskabinett, der Reichsrat haben den Entwurf durchberaten. Mir hat der Entwurf Unfreund⸗ lichkeiten in der Oeffentlichkeit eingebracht. Ich bin überzeugt, daß der Reichstag die sachlichen Schwierigkeiten ebenso wie die politische Notwendigkeit dieses Gesetzes würdigen wird. Möge in dieser überaus komplizierten, tief in das Kulturleben und in das Recht jedes einzelnen Staatsbürgers eingreifenden Angelegenheit die Form gefunden werden, die dem deutschen Volke auf dem wichtigen Schulgebiet nicht neue Zerklüftung bringt, sondern Beruhigung schafft. (Beifall.) Abg. Friu Lang⸗Brumann (Bayer. Vp.): Haben wir Religion, dann wünschen wir auch unsere Kinder darin zu er⸗

1 tisch b Ich habe gestern erklärt. daß bei diesem Gesetz, das aus schwerer politischer Not ent anden ist und das schwere politische Nöte beseitigen soll, in ort haben

nzeiger und Preußischen

und wünschen die Bekenntnisschule. Haben wir keine Religion, so wollen wir auch unseren Kindern sie nicht erhalten, und dann wünschen wir die weltliche Schule. Für ein Drittes, die sogenannte Gemeinschaftsschule, habe ich kein Verstandnis. Bis⸗ her hat sich kein Redner auf den Boden der Gemeinscha tsschule dieses Entwurfes gestellt. Die Tatsache, daß die Bekenntnisschule der Gemeinschaftsschule hintan gesetzt wird, genügt für uns, den Entwurf unannehmbar zu machen. Die Verfassung gewährt das Recht der religiösen Erziehung und den Schutz der Erziehungs⸗ berechtigten; es muß daher allen Erziehungsberechtigten Gelegen⸗ Fhit gegeben werden, ihre Kinder in eine Schule zu schicken, die sie ür döhag Si e dann, wenn in einem Ausnahmefall eine kleine Minorität eine rivatschule verlangt. Keine Schulart kann die Aufgabe der eih. nng p lösen wie die christliche Bekenntnis⸗ schule. Unsere Volksgemeinschaft braucht heute Menschen, die treu und standhaft sind, die die Familie heilig halten, Achtung, Liebe und Hilfsbereitschaft für die Mitmenschen haben, die sich in den Dienst der Volksgemeinschaft stellen, Ehrfurcht haben und sich selbst beherrschen können. Diese Ehrfurcht und Selbstbeherrschung nsalbs. in der Bekenntnisschule auf einem natürlichen Boden, auf dem Boden des Christentums. Es genügt auch nicht, daß der 1. dem Bekenntnis der Schüler angehört, sondern er muß von dem Bekenntnis erfüllt sein und seine ganze Erziehungsarbeit darauf einstellen. Lehrer, die durch Wechsel ber Anschauung dieer An⸗ Fsber er nicht genügen können, können auch nicht den Willen der Erziehungsberechtigten an den Kindern erfüllen (sehr richtig im Zentrum)'; sie sollten vesen an anderen Schulen verwendet werden. Es wird einem Lehrer eelbbst daran liegen, nicht an einer Schule beschäftigt zu sein, wo er seine Pflichten den Eltern gegenüber nicht erfüllen kann. Ein Zwang für einen Lehrer, an einer Schule zu le ren, kann nicht ausgeübt werden. Bekenntnisschulen und be⸗ kenntnisfreie Schulen sollen auf Antrag errichtet werden können, wenn der geordnete Schulbetrieb gesichert ist. Niemand kann sagen, wie ein geordneter Schulbetrieb aussehen muß; meines Erachtens ist er dann geordnet, wenn er das Erziehungsziel und das Lehrziel erreicht. Wir erwarten von dem kommenden Meicheschut esetz, daß es ein FPahmenseset im strengsten Sinne des Wortes lin wird. Ohne föderalistische Rücksicht kann ein Schulgesetz nicht leben. Wir verlangen und das ist eine Grundvoraussetzung für uns —, da die Bekenntnisschule der Gemeinschaftsschule völlig gleichgestellt wird. Vorhandene Bekenntnisschulen sind ohne weiteres als zu Recht bestehend anzuerkennen. Der Wille der Erziehungsberech⸗ tigten ist bei allen Schularten zu berücksi htigen. Wir fordern weiter, daß an Bekenntnisschulen bekenntnistreue Lehrer unter⸗ richten und daß kein Lehrer gezwungen wird, an einer Schule zu unterrichten, deren Tendenz er ablehnt. Wir sind für die Ueber⸗ weisung des Entwurfs an einen Ausschuß und behalten uns unsere endgültige Stellungnahme nach dem Ergebnis der Ausschuß⸗ beratung vor. (Beifall.)

Abg. Frau Zetlin (Komm.): Was der Staatssekretär Schulz hier vorgetragen hat, war nicht eine Begründung, sondern eine Entschuldigung, ein Plaidoyer für mildernde Umstände. Der

Gesetzentwurf taugt sowohl vom politischen wie vom pädagogischen

Standpunkt aus b Er enthält nichts Schöpferisches, sondern ht vom faulen Baum des Schulkompromisses.

erade auf dem Gebiete des Schulwesens gilt es, das wiederauf⸗ zubauen, was vernichtet worden ist. Darüber sind alle Parteien 8 einig, nur über das Wie gehen die Meinungen auseinander. r Staat darf sich als Erziehungsverpflichteter bei der Gestaltung des Schulwesens nicht durch das Bekenntnis der Eltern bestimmen lassen. Der Religionsunterricht darf nicht durch den Staat organi⸗ siert werden, das ist Sache der Eltern. Der Entwurf verankert nur die alte Bekenntnisschule, den alten Einfluß der Kirche über die Schule. Wir fordern die Weltlichkeit der Schule, die Beseitigung des Religionsunterrichts aus der Schule, aber nicht aus Feindscha gegen. die Religion. Wir wollen auch nicht eine Fortsetzung des eligionsunterrichts durch einen Moral⸗ oder Weltanschauungs⸗ unterricht, weil auch Moral und Weltanschauung nicht auf Flaschen gezogen verabfolgt werden können. Wir wollen eine ganz neue - Atmosphäre für den Unterricht, die aus dem Nüav- Unterrichtsstoff hervorgehen muß. Zu dem Unterricht muß die Sorge des Staates für das physische Wohl der Kinder treten. Neben den Elternbeiräten müssen auch die proletarischen Organi⸗ sationen daran arbeiten, den Schulbetrieb auf wirklich demo⸗ kratische Grundlagen zu stellen. In den Schulen muß auch die internationale Kultur ihren Einfluß geltend machen können. In Sowjetrußland haben wir ein blühendes Volksschulwesen, das sich unter der proletarischen Machtausübung ständig weiter entwickelt. (Heiterkeit rechts.) Staatssekretär Schulz hat, wie der Entwurf zeigt, eine Wandlung durchgemacht, die ich ihm nicht persönlich zum Vorwurf mache, da über ihm höhere Gewalten stehen. Aber

entwurfs bereit, wir werden unseren Kampf um die Schule nicht führen als einen Kulturkampf gegen die religiösen Bekenntnisse, sondern als einen Teil des proletarischen Klassenkampfes. (Beifall bei den Kommunisten.)

Staatssekretär Schulz: Es handelt sich hier noch gar nicht um ein umfassendes Reichsschulgesetz, für das verschiedene Cappen nötig sind. Zum Beispiel ein Lehrerbildungsgesetz, das möglichst bald verabschiedet werden sollte. Dazu gehören besondere Ver⸗ einbarungen mit den Einzelregierungen. Der vorliegende Entwurf hat lediglich die bittere Aufgabe, einen Ausgleich zu finden für die unglückselige weltanschauliche Zersplitterung unseres Volkes. Auf die persönlichen Liebenswürdigkeiten der Vorrednerin gehe ich nicht weiter ein. Meinen Anschauungen bin ich treu geblieben.

Abg. Adolf Hoffmann (Kommunistische Arbeitsgemein⸗ schaft): Wir sind jetzt bei der Beerdigung einer Zangengeburt. (Heiterkeit.) Dem Staatssekretär Schulz gegenüber kommt einem das Wort auf die Lippen: „Mensch, wie hast Du Dir verändert!“ Von keiner Seite des Hauses ist auch nur ein Wort der An⸗ erkennung für den Entwurf geäußert worden. Das ist der Fluch der bösen Tat: In Weimar haben Sie den Brei eingerührt, an dem Sie noch lange löffeln werden. Wo haben Sie, Herr Schulz, den Wandel geschaffen, als Sie Beamter wurden? Nicht einmal in den Lehrbüchern, die Sie früher so kritisiert haben! In einem Lehrbuch des Englischen, neueste Auflage finden sich Sätze, die auf den Geburtstag des Kaisers und die Sedanfeier Bezug nehmen. Die Aula einer Berliner Volksschule ist mit einem Kaiserbild und mit einem Bild Hindenburgs geziert. (Ironische Zurufe rechts.) Dos ist eine traurige Regierung, die hier sagt, der Entwurf, den wir bringen, taugt zwar nicht, aber Du, Reichs tag, mache was draus! (Heiterkeit.) Dem Staatssekretär Schulz scheint mit dem Bart die Kraft obhanden gekommen zu sein, wie Simson mit dem Verlust des Haares. (Große Heiterkeit!) 1 (Staatssekretär Schulz trug früher einen Vollbart.) Alle Parteien wollen den Entwurf „wesentlich“ umgestalten. Nun vergegen⸗ wärtigen Sie sich einmal, was da herauskommen wird! ist erst dann zufrieden, wenn in Berlin im Schloß der

apft sitzt. Die kapitalistische Gesellschaft will die Schule in der Hand behalten, um die Menschen weiter zum Kadavergehorsam zu erziehen. Der Zentrumsredner stand bei seinen Werteidigung der konfessionellen Schule turmhoch über dem Zeloten Mumm von der deutschnationalen Partei. Im Schulleben pulsiert das

des Volkes, darum hinaus mit dem Aberglauben, der HanHirh