1922 / 27 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 01 Feb 1922 18:00:01 GMT) scan diff

die zahlreichen einzelnen Punkte eingehen, die in dem Bericht berührt worden sind, will aber doch folgendes hervorheben:

Herr de Lasteyrie rügt die Politik des Reiches auf dem Gebiet der Lebensmittelzuschüsse. Sie alle wissen, meine Damen und Herren, daß wir sehr ungern an diese Ausgaben herangegangen sind, daß sie aber unter Zustimmung aller beteiligten Stellen bisher in Deutschland bewilligt werden mußten, um nach den Stürmen der Folgezeit des Krieges die Ruhe im Innern zu sichern. Sobald es möglich war, ist die deutsche Regierung daran gegangen, diese Zuschüsse abzubauen, und zwar lange vor den Beschlüssen von TCannes, weil sie sich der Erkenntnis nicht ver⸗ schlossen hat, daß eine solche Zuschußwirtschaft mit den Grund⸗ sätzen einer ordnungsmäßigen Etatswirtschaft auf die Dauer unvereinbar ist. Es entspricht daher auch nicht der Sachlage, wenn der Herr Abgeordnete Graf Westarp gemeint hat, daß die Brotpreiserhöhung auf Befehl der Entente erfolgt ist. Vielmehr handelt es sich, wie dargelegt, nur um den weiteren Abbau der infolge des verlorenen Krieges notwendig gewordenen staatlichen Uebergangsmaßnahmen zur normalen Wirtschaft.

Ich darf schließlich Herrn de Lasteyrie daran erinnern, daß die Lebensmittelzuschüsse keine auf Deutschland beschränkten Maß⸗ nahmen waren, sondern in einer Reihe von Ländern, darunter auch Frankreich, eine erhebliche Rolle gespielt haben. (Hört! Hört! rechts.)

Die Regierung hat die bestimmte Absicht, den völligen Abbau bis zum Ende des Wirtschaftsjahres 1922 durchzuführen. Während im Laufe des Rechnungsjahres 1920/21 noch mit etwa 22 Mil⸗ liarden gerechnet werden muß diese gewaltige Summe ist wesentlich eine Folge der Zerrüttung unserer Valuta und der hohen Reparationsleistungen —, hoffen wir, im Jahre 1922 mit einem Restzuschuß von 1 Milliarde Mark auszukommen. Dabei ist allerdings Voraussetzung, daß eine weitere Verschlechterung der Valuta gegenüber dem jetzigen Stande nicht eintritt. Wenn Herr de Lasteyrie weiter rügt, daß die Regierung zahlreiche neue Aemter geschaffen und die Zahl der Beamten um mehr als 40 vH. vermehrt hat, so ist schon wiederholt darauf hingewiesen worden, daß die Vermehrung der Zahl der Beamten gegen früher im wesentlichen auf der Uebernahme der Beamten der Betriebs⸗, Finanz⸗ und Zollverwaltungen auf das Reich beruht.

Die Zahl der Beamten, Angestellten und Arbeiter, einschließ⸗ lich aller Hilfskräfte des Reichs, beträgt augenblicklich rund 740 000 gegenüber allerdings nur 201 000 im Jahre 1914. (Hört! Hört! bei den deutschen Demokraten.) Dieses Mehr von 540 000 Köpfen erklärt sich aber daraus, daß durch den Uebergang der bayerischen und württembergischen Postverwaltungen auf das Reich über 28 000 Köpfe, durch Uebernahme der Eisenbahnen auf das Reich 371 000 Köpfe übernommen worden sind und für die neue Reichssteuerverwaltung 55 000 Beamte erforderlich waren. Diese 455 000 Beamte sind daher der Zahl aus dem Jahre 1914 hinzuzurechnen, so daß sich insgesamt ein Mehr von nur etwa 85 000 Köpfen ergibt. Diese Vermehrung erstreckt sich in der Hauptsache auf die Betriebsverwaltungen, deren ernste Aufgabe es ist, die Möglichkeit einer weiteren Personalverminderung zu prüfen. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei.)

Wie sehr die Reichsregierung bestrebt ist, auf dem Gebiete der Personalverringerung alles Erreichbare zu tun, bitte ich auch daraus zu entnehmen, daß die 6 und 7 des früheren Haus⸗ haltsgesetzes auch in das neue Gesetz übernommen sind. Dadurch besteht die Möglichkeit, die Zahl der Beamten nach und nach auf 75 vH. zu vermindern.

Wenn Herr de Lasteyrie ferner der Reichsregierung zum Vor⸗ wurf macht, Mittel zum Bau von Arbeiterwohnungen ver⸗ schwendet zu haben, so muß ich zunächst hervorheben, daß im Haushaltsjahr 1921 Zuschüsse zu diesem Zweck überhaupt nicht verausgabt sind, daß es sich vielmehr nur um verzinsliche und zu tilgende Darlehn handelt. Auch der von Herrn de Lasteyrie an⸗ geführte Betrag von 3 Milliarden Mark zum Bau von Berg⸗ arbeiterwohnungen ist der Zahl nach nicht richtig. Es handelt sich vielmehr zuzüglich der Aufwendungen im Jahre 1920 insgesamt nur um 1,8 Milliarden, die, wie gesagt, dem Reich zurückzuzahlen sind. Ich muß hierbei aber ausdrücklich betonen, daß die Er⸗ bauung dieser Bergarbeiterwohnungen notwendig war, um die gewaltigen Lasten des Friedensvertrages auf dem Gebiet der Kohlenförderung zu erfüllen (sehr richtig! rechts), also wesentlich im Interesse Frankreichs hat erfolgen müssen. (Erneute Zu⸗ stimmung rechts.)

Zu diesem Zwecke sind seit dem Jahre 1919 insgesamt 196 000 Bergarbeiter mehr notwendig geworden (hört, hört! rechts), d. h. es ist die gesamte Belegschaft um etwa 25 vH. ver⸗ mehrt worden. (Erneute Rufe rechts: Hört! Hört!) Von diesen 196 000 Bergarbeitern hat trotz der vorschußweisen Gewährung dieser Reichsmittel nur etwa der zehnte Teil seßhaft gemacht werden können. Die Allgemeinheit mag daraus ersehen, daß irgendeine Verschwendung von Reichsmitteln der Reichsregierung keinesfalls zur Last gelegt werden kann.

Die wirtschaftliche Lage der Beamten, Angestellten und Arbeiter des Reichs wird von der Reichsregierung nach wie vor mit größter Aufmerksamkeit verfolgt und fortdauernd geprüft, in⸗ wieweit die fortschreitende Teuerung und Entwertung unseres Geldes eine weitere Erhöhung ihrer Bezüge, im Rahmen des Mög⸗ lichen, notwendig macht. Nach dem jetzigen Stande der Besoldungs⸗ regelung wird den Beamten der Gruppe Alll der Besoldungs⸗ ordnung das Sechzehnfache, der Gruppe A VII das Zehnfache, der Gruppe A X das Achtfache, der Gruppe B III der Einzelgehälter das Siebenfache der Friedensbezüge nach Abzug der Einkommen⸗ steuer gewährt. Die gesamten Aufwendungen des Reichs für die Beamten, Angestellten und Arbeiter, einschließlich der Wehrmacht. betragen über 50 Milliarden Mark, von denen 11,5 Milliarden auf die allgemeine Reichsverwaltung, der Rest aber auf die beiden Betriebsverwaltungen entfällt. Trotz dieser gewaltigen Summe ist nicht zu verkennen, daß sich ein Teil der Beamten, Angestellten und Arbeiterschaft in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befindet und unter den steigenden Kosten für die Lebenshaltung schwer zu leiden hat. Andererseits darf nicht übersehen werden, daß die Kosten für die Lebensführung in den verschiedenen Teilen des Deutschen Reiches große Unterschiede aufweisen und daß daher mit

allgemeinen Erhöhungen der Bezüge für das ganze Reichsgebiet sehr vorsichtig vorgegangen werden muß, damit nicht die Gefahr entsteht, daß in einzelnen Teilen des Reichs das private Wirt⸗ schaftsleben Schädigungen erfährt, weil die vom Reich gezahlten

Besoldungen die des privaten Wirtschaftslebens erheblich überholen und daher durch eine allgemeine Erhöhung das ganze Wirtschafts⸗ leben in diesen Gebieten wesentlich verteuert wird. Es wird da⸗ her eingehend geprüft werden müssen, ob den berechtigten Wünschen der Beamten, Angestellten und Arbeiter in denjenigen Gebieten, in denen dies nicht zutrifft, insbesondere in Orten mit besonders schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen, in einer anderen Weise Rechnung getragen werden kann.

Wie Ihnen bekannt ist, ist in Aussicht genommen, den Reichs⸗ arbeitern durch Gewährung von Ueberteuerungszuschüssen in Orten, in denen ihre Bezüge hinter denen der Privatwirtschaft wesentlich zurückbleiben, einen Ausgleich zu schaffen, der ihnen die Führung einer ausreichenden Lebenshaltung gewährleistet.

Wie bereits von der Reichsfinanzverwaltung in der Sitzung des Reichstages vom 21. Januar erklärt worden ist, ist die Reichs⸗ regierung bereit, die Frage, inwieweit auch für die Beamten und Angestellten in einer ähnlichen Form in den besonders teuren Orten eine Zulage gewährt werden kann, mit dem hohen Hause eingehend in aller Gründlichkeit durchzuprüfen. Diese Prüfung hat im 23. Ausschusse bereits eingesetzt, und es wird nach An⸗ hörung der Landesregierungen dem Reichstage in den nächsten Tagen Mitteilung von der Stellungnahme der Reichsregierung zu dieser Frage zugehen. Ich darf schon jetzt bemerken, daß sich meiner Ansicht nach ein gangbarer Weg finden lassen wird. Auch die Frage einer automatischen Anpassung der Bezüge der Beamten, Angestellten und Arbeiter ist, wie Ihnen bekannt, bereits Gegen⸗ stand eingehender Beratung in Ihrem 23. Ausschusse gewesen, und es ist dafür mit Rücksicht auf die Schwierigkeit der ganzen Materie ein Unterausschuß eingesetzt worden, der sich mit der Frage im Einvernehmen mit der Reichsregierung noch eingehend beschäftigen wird. Ebenso wird die Reichsregierung Wert darauf legen, hin⸗ sichtlich aller übrigen Besoldungsfragen mit diesem Hohen Hause in enger Fühlung zu bleiben und alle grundsätzlichen Fragen ein⸗ gehend mit Ihnen zu erörtern.

Sie wollen daraus ersehen, meine Damen und Herren, wie unverantwortlich es ist, wenn gewisse Teile der Beamtenschaft in einem Zeitpunkt, in welchem über alle diese grundlegenden Fragen noch eingehende Verhandlungen zwischen den nach der Verfassung berufenen Faktoren schweben, die Aussicht auf befriedigende Lösung eröffnen, zum Streik auffordern (sehr richtig; im Zentrum und rechts) und damit namenlosen noch gar nicht zu übersehenden Schaden für unser gesamtes Wirtschaftsleben heraufbeschwören. (Sehr richtig! im Zentrum und rechts.) Ich kann daher meiner⸗ seits namens der Reichsregierung alle Beamten nur dringend warnen, diesen Aufforderungen zu folgen. (Bravo bei den Deutschen Demokraten, Zentrum und rechts.) Ich möchte keinen Zweifel darüber lassen, daß die Reichsregierung allen derartigen Versuchen, die auf eine unverantwortliche Störung der bestehenden Ordnung und des Wirtschaftslebens hinauslaufen, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln nachdrücklichst entgegentreten wird. (Lebhaftes Bravo! im Zentrum und rechts.) Um auch die Bezüge der Pensionäre und Hinterbliebenen der Erhöhung der Bezüge der Beamten und Angestellten des Reichs anzupassen, sind an Pensions⸗ usw. Gebührnissen im vorliegenden Haushalt allein 10,7 Milliarden Mark ausgeworfen, von denen 8,7 Milliarden aus Anlaß des Weltkrieges entfallen. An erhöhten Zahlungen für die Militärrentenempfänger ist aus Anlaß der seit Herbst 1920 ein⸗ getretenen weiteren Teuerung ein einmaliger Betrag von 1,7 Mil⸗ liarden eingesetzt worden. Aus ähnlichem Anlaß sind auf Grund der in den letzten Wochen vor Weihnachten von dem Hohen Hause gefaßten Beschlüsse erhebliche Etatsansätze zur Linderung der Not weiter Volkskreise angesetzt worden. Ich verweise dafür auf den Betvag von 2,8 Milliarden Mark, der zu Zuschüssen zu Notstands⸗ maßnahmen zur Unterstützung von Empfängern von Renten aus der Invaliden⸗, Alters⸗ und Angestelltenversicherung ausgebracht worden ist.

In diesen beiden Punkten hat das Reich zu einem erheb⸗ lichen Teil Aufgaben übernommen, die an sich zur Zuständigkeit der Länder und Gemeinden gehören. Die Reichsregierung ver⸗ kennt nicht die schwere Notlage der Länder und Gemeinden, kann aber andererseits im Interesse der Erhaltung ihrer Selbst⸗ verwaltung und Selbstverantwortung nicht so weit gehen, alle Lasten auf das Reich zu übernehmen. Daher kann sich die Reichs⸗ regierung auch nicht mit dem Beschluß des Reichsrats abfinden, neben den zur Unterstützung der Sozialrentner ausgeworfenen 2,8 Milliarden Mark noch einen Betrag von 160 Millionen Mark zur Unterstützung derjenigen Gemeinden einzusetzen, die nicht in der Lage sind, den auf sie entfallenden Anteil von 20 vH. zu tragen. Auch die Beträge für Wochenhilfe und Wochenfürsorge haben mit Rücksicht insbesondere auf die Steigerung des Milch⸗ preises auf 340 Millionen Mark erhöht werden müssen.

Alle diese Summen sind im Haushalt des Reichsarbeits⸗ ministeriums ausgebracht worden, und ich möchte daher noch kurz auf einen der wesentlichsten Posten dieses Etats verweisen, nämlich die Mittel der Erwerbslosenfürsorge. Wie im Vorjahr sind dafür insgesamt 1,3 Milliarden Mark, davon 100 Millionen zur Unter⸗ stützung besonders stark in Anspruch genommener Länder und Gemeinden, ausgeworfen worden. Es kann damit gerechnet werden, daß ein großer Teil dieser Beträge dadurch erspart wird, daß im Laufe des Jahres das in Vorbereitung befindliche Arbeits⸗ losenversicherungsgesetz in Kraft tritt. Infolge der allgemeinen Wirtschaftslage läßt sich die Sorge nicht von der Hand weisen, daß die Zahl der unterstützten Erwerbslosen wieder anschwilltt. Daß trotz der Verringerung ihrer Zahl eine Ersparnis nicht möglich war, folgt daraus, daß die Unterstützungssätze der Geld⸗ entwertung entsprechend haben erhöht werden müssen. Die Reichsregierung gibt sich der Hoffnung hin, daß die produktive Erwerbslosenfürsorge, die dazu dienen soll, die demoralisierende Wirkung der Arbeitslosenunterstützung abzuschwächen und statt Zahlung der Unterstützungssätze für die Allgemeinheit nutz⸗ bringende Werte zu schaffen, auch auf diesem schwierigen Gebiet allmählich Wandel schaffen wird. Es muß aber Gewicht darauf gelegt werden, daß mit allem Nachdruck die gesetzlichen Bestim⸗ mungen in einer Weise durchgeführt werden, welche eine Unter⸗ stützung von Personen ausschließt, die keinen gesetzlichen Anspruch auf eine solche haben. (Zwischenrufe von den U. Soz.)

Ich darf dabei betonen, daß alle diese Maßnahmen auf sozialpolitischem Gebiete und auch auf dem der Ernährungswirt⸗ schaft erforderlich waren und zum Teil noch sind, um im Reich das innerpolitische Gleichgewicht zu erhalten und zu verhüten, daß durch Zusammenbruch der Staatsordnung die Erfüllung der

Verpflichtungen aus dem Friedensvertrage unmöglich gemacht wird. Ich gebe mich daher der Hoffnung hin, daß in dieser Erkenntnis auch die interalliterten Regierungen die Gründe zu würdigen wissen werden, die uns diese Aufwenoungen zur unab⸗ weislichen Pflicht staatlicher Selbsterhaltung machen.

Ich habe vorhin beiläufig darauf hingewiesen, daß das Reich in der Fürsorge für Sozial⸗ und Kleinrentner in wesentlichem Umfang Aufgaben übernommen hat, die ihm grundsätzlich nicht obliegen. Eine scharfe Abgrenzung der Aufgaben zwischen Reich, Ländern und Gemeinden ist wesentliches Erfordernis für eine end⸗ gültige Ordnung der Reichsfinanzen. (Sehr richtig! im Zentrum und rechts.) Es ist daher dringend geboten, hier klare Verhält⸗ nisse zu schaffen, insbesondere auch das Vorschußwesen hinsichtlich der Besoldungen möglichst bald einzustellen. (Sehr richtig! im Zentrum und bei der D. Vp.) Neue Vereinbarungen zwischen Reich, Ländern und Gemeinden werden notwendig sein. Voraus⸗ setzung hierfür wird aber sein, daß insbesondere auch bei den Ge⸗ meinden mit der gleichen Sparsamkeit die Verwaltung geführt wird, wie das im Reich geschieht. (Lebhafte Zustimmung.) Ohne hier im einzelnen Vorwürfe erheben zu wollen, fühle ich mich doch veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß bei einer großen Anzahl von Gemeinden Gehälter an Beamte gezahlt werden, die weder der Verantwortung der Beamten noch der finanziellen Leistungs⸗ fähigkeit der Gemeinden entsprechen. (Sehr richtig! bei den D. Dem., im Zentrum und bei der D. Vp.) Die Gemeinden werden hier zu zeigen haben, daß auch sie bereit sind, sich der Notwendigkeit einer sparsamen Haushaltsführung nicht zu ver⸗ schließen. (Sehr richtig! rechts.) Ich möchte dabei allerdings betonen, daß das Reich in keiner Weise einen Eingriff in die Finanzhoheit der Länder und Gemeinden und ihre Selbst⸗ verwaltung beabsichtigt. (Sehr gut! bei der D. Vp.)

Allergrößte Sparsamkeit ist auch hinsichtlich der Kriegsgesell⸗ schaften erforderlich, die die Reichsregierung weiter abzubauen be⸗ strebt ist. (Beifall rechts.) Ich darf in dieser Beziehung auf die Ausführungen des Herrn Reichsschatzministers im Haushalts⸗ ausschuß dieses hohen Hauses verweisen, nach denen von den insgesamt vorhanden gewesenen 198 Kriegsgesellschaften nur noch 2 vorhanden und 37 in Liquidation sind. 158 Gesellschaften sind bereits aufgelöst worden. Es wird weiter der ernstesten Auf⸗ merksamkeit bedürfen, daß auch bei der Abwicklung der letzten Reste dieser staatlichen Zwangswirtschaft ein beschleunigtes Tempo eingehalten wird. (Sehr richtig! bei den D. Dem.)

Ich möchte auch bei dieser Gelegenheit besonders darauf hin⸗ weisen, daß im Versorgungswesen die Einsparung einer erheb⸗ lichen Zahl von Beamten sich hat ermöglichen lassen, was Sie als Beleg dafür hinnehmen wollen, daß die Reichsregierung, wo sich immer die Gelegenheit bietet, die Beamtenstellen auf das erträgliche Maß verringert.

Dafür bietet ein weiteres Beispiel der Haushalt des Reichs⸗ schatzministeriums, aus dem verschiedene Arbeitsgebiete zum Zwecke der Einsparung von Kräften auf das Reichsfinanz⸗ ministerium übernommen worden sind. Dem Reichsschatz⸗ ministerium verbleiben in der Hauptsache nur die Vermögens⸗ verwaltungen für die besetzten rheinischen Gebiete, die Ange⸗ legenheiten der mit Reichsmitteln arbeitenden Industrie und die Mitarbeit bei der Bearbeitung der reichseigenen nicht mili⸗ tärischen Liegenschaften und Bauangelegenheiten. Dementsprechend ist dieses Ministerium selbst verkleinert worden.

Ein kurzes Wort zur Frage der Aufhebung des Schatz⸗ ministeriums und von Mini erien überhaupt. Diese Frage soll weiter sorgfältig von der Reichsregierung geprüft werden. Ich muß aber dabei darauf aufmerksam machen, daß es im einzelnen Falle nicht von finanzieller Tragweite zu sein braucht, ob das eine oder das andere Ministerium als solches weiter besteht, sondern daß der Schwerpunkt dahin zu verlegen ist, den Aufgaben⸗ kreis und den Umfang der Betätigung der Reichsverwaltung überhaupt einzuschränken und auf das unbedingt notwendige Maß zurückzuführen. (Sehr gut! bei den D. Dem., im Zentrum und rechts.) Wenn dies geschehen ist, wird zu prüsen sein, ob sich als Folge hiervon auch eine Auflösung einzelner Ministerien und eine anderweite Verteilung der Arbeitsgebiete ergeben kann.

Meine Damen und Herren! Ich komme nunmehr zu dem schmerzlichen Gebiet der unwirtschaftlichen Ausgaben, die uns durch die interalliierten Kommissionen auferlegt werden. Solche Ausgaben verursacht insbesondere die auf Erfordern der inter⸗ alliierten Militärkommission wiedereingerichtete Heeresbauverwal⸗ tung, deren Aufgaben mit Leichtigkeit durch die Reichsbauverwal⸗ tung hätten mitrersehen werden können. (Hört! Hört! im Zentrum.) Ferner müssen auf Anordnung dieser Kommission Munitiong und Kriegsmaterial, soweit sie zur Ersparung der Kosten der Ersatzbeschaffung und zur Schonung der Kriegs⸗ ausrüstung über die Sollbestände hinaus bisher noch zurück⸗ behalten waren, jetzt zerstört werden. Hierdurch entstehen für die Neubeschaffung im Jahre 1922 mindestens 50 Millionen unwirt⸗ schaftlicher Mehrausgaben, die sich in der Folgezeit noch erheblich steigern werden. (Lebhafte Rufe: Hört! Hört!)

Weiter entstehen unwirtschaftliche Kosten auch durch die Um⸗ stellung ungeeigneter Privatfabriken, auf welche die interalliierte Militärkommission die Herstellung von Kriegsmaterial beschrankt hat, obwohl Fabriken mit den für jenen Zweck erforderlichen Ein⸗ richtungen vorhanden sind. (Rufe in der Mitte und rechts: Hört, hört!) Es wäre dringend zu wünschen, daß die alliierten Regie⸗ rungen, die von uns so energisch Sparsamkeit verlangen, dafür Sorge tragen, daß ihre eigenen Organe uns nicht zu unwirtschaft⸗ lichen Ausgaben zwingen. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten, in der Mitte und rechts.)

Ich gehe nunmehr zu den Betriebsverwaltungen über. Diese haben zum ersten Male wieder einen balancierenden Haushalt vorgelegt. Die Tarife sind sowohl bei der Eisenbahn wie bei der Post gewaltig erhöht worden, und zwar im Eisenbahnpersonen⸗ verkehr auf das 15⸗ bis 19fache, im Eisenbahngüterverkehr auf das 32fache und im Post⸗ und Telegraphenverkehr auf das 21fache der Friedenssätze. Sie sind also zum Teil stärker erhöht worden, als es der inneren Entwertung der Mark entspricht. (Hört, hört! bei den Deutschnationalen.)

Die Verkehrsverwaltungen sind sich mit diesem hohen Hause darüber klar, daß die Balancierung ihres Etats nicht nur auf dem Wege einer schematischen Tarif⸗ und Gebührenerhöhung, sondern vor allem auch durch innere Sanierung der Betriebe erreicht werden muß. (Zustimmung bei den Deutschen Demokraten und der

Deutschen Volkspartei.) Zur Beschränkung der Ausgaben haben

daher beide Verwaltungen Reformpläne aufgestellt, welche Sicher⸗ heit dafür schaffen sollen, daß das mit Mühe hergestellte Gleich⸗ gewicht in ihrem Haushalt erhalten bleibt. Den inneren Resormen stellten sich einzelne Demobilmachungsvorschriften hindernd in den Weg. In gemeinschaftlichen Beratungen der beteiligten Ministerien der Arbeit, der Post, des Verkehrs und der Finanzen ist es aber gelungen, eine Grundlage für die Wegräumung des insbesondere durch § 12 der Demobilmachungsvorschriften gegebenen Hinder⸗ nisses zu erzielen, und ich darf feststellen, daß dieser von der Reichs⸗ regierung vorgeschlagenen Regelung in den letzten Tagen auch der Sozialpolitische Ausschuß des Reichswirtschaftsrats zugestimmt hat. Für die Reichsfinanzverwaltung darf ich bei dieser Gelegenheit die Erklärung abgeben, daß sie bei aller Erkenntnis von der Not⸗ wendigkeit eines beschleunigten Personalabbaues in den Verkehrs⸗ verwaltungen doch ihrerseits bereit ist, dazu beizutragen, im Rahmen des Möglichen etwa im Einzelfall entstehende Härten zu mildern.

Die Ausgaben im außerordentlichen Haushalt beider Verkehrs⸗ verwaltungen sind so weit eingeschränkt wie irgend möglich. Bei der Eisenbahnverwaltung betragen sie nur v. H. des Anlage⸗ wertes, während in der Vorkriegszeit darauf etwa 3 v. H. aufge⸗ wandt worden sind. Neue Bahnen sind seit dem Kriege überhaupt nicht in Angriff genommen worden, und von strategischen Bahnen, von denen Herr de Lasteyrie in seinem Berichte spricht, ist über⸗ haupt nicht die Rede. (Hört! Hört!) Die in Baden und Württem⸗ berg angelegten und von ihm bemängelten Linien sollen aus⸗ schließlich dazu dienen, den im Westen gesteigerten Anforderungen, insbesondere der Kohlenabfuhr, zur Erfüllung des Friedensvertrages zu entsprechen.

Meine Damen und Herren! Der Haushalt zur Ausführung des Friedensvertrages erfordert als laufende Ausgaben die ungeheure Summe von rund 148 Milliarden Mark und für außerordentliche Ausgaben rund 40 Milliarden Mark. (Hört! Hört!) Diese Aus⸗ gaben sind bemessen auf Grund des Londoner Zahlungsplans. Dabei ist ein Entwertungsfaktor von 45 für die Umrechnung der Goldmark in Papiermark zugrunde gelegt. Hier tritt wieder die völlige Unsicherheit der Aufstellung des Etats bei nicht stabiler Valuta deutlich in die Erscheinung. (Sehr richtig!) Ob dieser Faktor richtig gegriffen ist oder nicht, ist völlig unsicher. Die Lasten können sich, in Papiermark ausgedrückt, stark ermäßigen, sie können sih aber auch sehr erheblich steigern. Dazu kommt, daß wir noch nicht wissen, was das Ergebnis der jetzt schwebenden Reparations⸗ verhandlungen mit der Reparationskommission und den Alliierten Mächten sein wird. Wenn wir dies erhalten haben, werden wir die Höhe unserer Leistungen und die sich daraus ergebenden Ziffern für den Etat mit etwas größerer Sicherheit übersehen können.

Meine Damen und Herren! Sie haben inzwischen aus der Presse ersehen, welche Antwort die deutsche Regierung auf die Ent⸗ schließung der Reparationskommission vom 13. Januar gegeben hat. Die deutsche Regierung hat darin dargelegt, daß, wenn man das Reparationsproblem rein vom wirtschaftlichen Standpunkte an⸗ sehen will, Deutschland für das Jahr 1922 zu Leistungen in Devisen überhaupt nicht herangezogen werden dürfte. Die Produktivität der deutschen Wirtschaft, insbesondere auch der Landwirtschaft, ist er⸗ heblich zurückgegangen, und die Handelsbilanz Deutschlands ist in sehr beträchtlichem Maße passiv und wird es wohl auch bleiben, so daß es nicht möglich ist, die erforderlichen Barbeträge heraus⸗ zuwirtschaften. Der unentbehrliche Einfuhrbedarf an Rohstoffen und Lebensmitteln beläuft sich auf je annähernd 2 ½ Milliarden Goldmark. Während der Wert der Ausfuhr vor dem Kriege aber rund 10 Milliarden Goldmark betrug, ist er auf rund 4 Milliarden Goldmark gefallen, also unter Berücksichtigung der allgemeinen Steigerung der Weltmarktpreise auf etwa den vierten Teil der Aus⸗ fuhr vor dem Kriege. Daher ist die Zahlungsbilanz mit etwa rund 2 Milliarden Goldmark passiv und infolgedessen eine anhaltende Festigung der Mark nicht möglich. Unter diesen Umständen be⸗ dingt jede erhebliche Devisenzahlung eine neue Erschütterung des Markkurses und entwertet gleichzeitig die inneren Einnahmen unter Steigerung der Ausgaben. Dabei muß dann die Inflation weiter anschwellen und Deutschlands Fähigkeit zu Reparationsleistungen immer mehr schwinden.

Die deutsche Regierung hat sich trotz ihrer schwierigen Lage aber der Erkenntnis nicht verschlossen, daß aus politischen Gründen ein Hinausschieben der Barleistungen jetzt nicht möglich sein wird. Die deutsche Regierung hat stets die Bereitwilligkeit erklärt, für die Wiederherstellung der zerstörten Gebiete alles zu tun, was irgendwie in ihrer Macht steht. Sie hat sich daher darauf beschränkt, die Reparationskommission darum zu ersuchen, nochmals unter Berücksichtigung der in der Note angeführten Momente zu prüfen, ob nicht die in Cannes genannten Zahlen von 720 Millionen Mark in Gold in bar herabgesetzt werden sollen. Geschieht dies nicht, so würde sich im Kalenderjahr 1922 eine Reparations⸗ leistung Deutschlands bis zu 2,17 Milliarden Mark Gold ergeben. Bei einem Umrechnungsfaktor von 45 ich will der Einfachheit halber diesen dem vorliegenden Etat zugrunde gelegten Faktor bei⸗ behalten würde das einen Aufwand in Papiermark von rund 97,5 Milliarden Mark bedeuten. Das ist zwar weniger als die im ordentlichen Haushalt mit 135 Milliarden ausgeworfene Summe zur Ausführung des Londoner Zahlungsplanes; es ist aber immer noch eine Ziffer, die Deutschland unmöglich aus laufenden Ein⸗ nahmen oder aus Anleihen einschließlich einer Zwangsanleihe decken kann. (Sehr wahr! bei den Deutschen Demokraten.)

Werden die Leistungen in dieser Höhe festgesetzt, so bleibt nichts übrig, als wieder die Notenpresse in starkem Umfange in Bewe⸗ gung zu setzen, und damit ist das von den Alliierten selbst gewünschte Ziel der Stillegung der Notenpresse von vornherein vereitelt. Die Alliierten müssen sich darüber klar sein, daß die beiden Ziele, nämlich erhebliche Reparationsleistungen und Besei⸗ tigung der deutschen Inflation mit ihren bekannten Nachteilen für die Industrie der alliierten Länder nicht zu vereinigen sind. (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten, im Zentrum und bei der Deutschen Volkspartei.)

Meine Damen und Herren! Diese Ausführungen zeigen, daß mit einer Regelung für das laufende Jahr und sich etwa anschlie⸗ ßenden Regelungen für künftige Jahre das Reparationsproblem nicht zu lösen ist. Sie wissen, daß uns der Leiter der Bank von England in Uebereinstimmung mit den Auffassungen der Londoner Bankwelt mitgeteilt hat, daß, solange wir unter der Herrschaft der gegenwärtigen Bedingungen des Londoner Zahlungsplanes stehen, uns ein ausländischer Kredit nicht gegeben werden kann. Anders als mit einem großen derartigen Kredit können aber die

Bedürfnisse der Alliierten, insbesondere von Frankreich, auf Zah⸗ lung in Devisen nicht befriedigt werden.

Die Lösung der Frage kann nur so erfolgen, daß durch eine andere Gestaltung der uns auferlegten Bedingungen für die Repa⸗ ration die Kreditwürdigkeit Deutschlands wiederhergestellt wird. Wir müssen immer wieder auf diesen Kardinalpunkt des Problems den Finger legen. Wie groß auch unsere Anstrengungen sein mögen, sie werden ein unzulänglicher Versuch zur Regelung unserer Finanzlage bleiben, solange nicht die alliierten Länder an der Lösung dieser entscheidenden Frage der Weltwirtschaft in weit stärkerem Maße als bisher positiv mitarbeiten werden. (Sehr richtig bei den Deutschen Demokraten, im Zentrum und bei der Deutschen Volkspartei.) Nur die höchste Anstrengung unserer Leistungsfähigkeit in Verbindung mit einer ihr angepaßten Fest⸗ setzung unserer Reparationsverpflichtungen kann die Gewähr für eine allmähliche Abwendung von der heutigen unerträglichen Lage bieten. Es scheint, als ob diese Erkenntnis weiter auf dem Marsche ist, wenigstens in den Wirtschaftskreisen des Auslandes. Ob sie allerdings in absehbarer Zeit auch auf dem Gebiete der politischen Führung der Völker sich positiv auswirken wird, steht heute noch dahin. Und doch liegt gerade hier der Schwerpunkt. Die ungeheuere Disharmonie zwischen der politischen Gedanken⸗ welt und den wirtschaftlichen Notwendigkeiten lastet schwer auf der ganzen Welt (sehr richtig bei den Deutschen Demokraten) und ver⸗ strickt neben der deutschen Wirtschaft in zunehmendem Maße auch diejenige der anderen Länder in die schwerste Depression. (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten, im Zentrum und bei der Deutschen Volkspartei.) Noch schüttelt sich die nach Gesundung ringende Weltwirtschaft in schweren Fiebern, und noch sehen wir nicht die Zeichen einer wirklichen Rekonvaleszenz. Eins allerdings scheint mir sicher. Es muß und wird der Tag kommen, an dem der nackte Wille zum Leben die Völker dazu treiben wird, den heutigen Krankheitszustand der Wirtschaft der Welt gemeinsam zu heilen. Aber noch ist es völlig ungewiß, ob dieser Tag nah oder fern ist; und noch ist es auch durchaus ungewiß, ob es dem deutschen Volke trotz aller Mühen und Opfer gelingen wird, bis zu jenem Tage seine Wirtschaft und sich selbst weiter mühsam wie bisher über Wasser zu halten. (Sehr richtig! im Zentrum und bei der Deutschen Volkspartei.)

Es bleibt uns nichts übrig, als den kommenden Dingen ruhig, ohne Optimismus, aber im Gefühl unseres guten Rechtes, im Be⸗ wußtsein unserer äußersten Anstrengung zur Erfüllung unserer Verpflichtungen und schließlich auch mit dem selbstverständlichen Willen nationaler Daseinsbejahung entgegenzusehen. (Sehr gut! bei der Deutschen Volkspartei und im Zentrum.) Auch das deutsche Volk hat noch ein Recht zum Leben, wenn es sich auch damit ab⸗ finden muß und abgefunden hat, unter wesentlich härteren Be⸗ dingungen zu leben als vor dem Kriege.

Und noch auf ein anderes Recht dürfen wir Anspruch erheben. Die Tatsache, daß außerhalb unserer Grenzen immer wieder so namentlich in den letzten Wochen der ernste Erfüllungswille des deutschen Volkes angezweifelt wird, zwingt uns dazu, laut vor aller Welt auf unsere gewaltigen Leistungen zur Durchführung des Friedensvertrages und zur Heilung der durch den Krieg der Welt geschlagenen Wunden hinzuweisen. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei.) Der Zähigkeit des Irrtums müssen wir immer wieder die Wucht der Wahrheit entgegensetzen. (Bravo! im Zentrum, bei den Deutschen Demokraten und bei der Deutschen Volkspartei.) Es ist an der Zeit, daß die Welt nicht nur vom deutschen Erfüllungswillen hört, sondern auch unsere Erfüllungs⸗ tätigkeit erkennt und würdigt. (Beifall.) Gewiß ist die Welt heute im allgemeinen propagandamüde, und wir wollen sie auch nicht mit einer neuen großen Propagandawelle überziehen. (Leider! bei den Deutschnationalen.) Aber wenn sie immer wieder mit allge⸗ meinen Vorwürfen gegen Deutschlands Willen und Leistung be⸗ unruhigt wird, so dürfen auch wir nicht offensiv, sondern in be⸗ rechtigter Abwehr mit den konkreten Tatsachen an das Welt⸗ gewissen appellieren. (Zustimmung bei der Deutschen Volkspartei.)

Und noch eins darf ich zum Schluß hinzufügen. Die Not unseres Volkes ist so groß und der auf uns allen lastende Druck so furchtbar, daß es wahrlich einer noch weiteren Verschärfung unserer Lage nicht bedürfen sollte, um uns alle erkennen zu lassen, daß es an der Zeit ist, unseren häuslichen Streit mehr zu begraben (sehr gut! bei den Deutschen Demokraten) und uns daran zu er⸗ innern, daß wir alle Glieder einer großen eng verflochtenen Volks⸗ gemeinschaft sind, deren Wiedererstarkung eine gemeinsame Lebens⸗ notwendigkeit für uns alle darstellt. (Sehr gut! bei den Deutschen Demokraten.) Man braucht nicht Gegner der Austragung vor⸗ handener Interessengegensätze zu sein und kann doch den Wunsch hegen, daß unser Volk in großen nationalen, Sein und Nichtsein angehenden Fragen einig zusammenstehen sollte. (Sehr richtig! bei den Deutschnationalen, bei der Deutschen Volkspartei und bei den Deutschen Demokraten.) Nur so dürfen wir hoffen, die uns zukommende Aufgabe bei einer wirklichen Besserung der inter⸗ nationalen Lage zu erfüllen und die notwendigen Voraussetzungen für eine ersprießliche Arbeit bei der nächsten Etappe inter⸗ nationaler Fühlungnahme der Konferenz von Genua zu schaffen.

Wenn weiter das hohe Haus im Einvernehmen mit der Reichsregierung und dem Reichsrat sich die baldige Verabschiedung des Haushalts angelegen sein läßt, so werden wir, meine Damen und Herren, der deutschen Delegation die Möglichkeit bieten, die Verhandlungen in Genua mit dem Hinweis darauf zu erleichtern, daß das deutsche Volk alles aufbietet, um seiner aus dem Friedens⸗ vertrag geborenen Notlage gerecht zu werden. Daher geht meine dringende Bitte an Sie, die Beratung schnell und unter An⸗ wendung des Grundsatzes der äußersten Sparsamkeit durchzu⸗ führen. (Bravol im Zentrum, bei den Deutschen Demokraten und bei der Deutschen Volkspartei.)

„Abg. Scheidemann (Soz.): Die Zahlen des alten Etats erscheinen uns gen die jetzigen geradezu kleinlich; dieser Etat zeigt uns den furchtbaren Absturz unseres Landes. Wir sind zu einem Volk von Bettlern geworden, und es liegt nicht in unserer Macht, mit einem Schlage eine Besserung herbeizuführen. Przr dem Besiegten! Hätte man die Wechselwirkungen zwischen der äußeren und inneren Politik früher erkannt, so wäre uns der ent⸗ gene vielleicht erspart geblieben. Das deutsche Volk muß ie frühere Politik jetzt teuer bezahlen. S g von Schiebern und Kriegsgewinnlern, denen es glänzend geht, die aus der Not

des Volkes Gewinne ziehen, leidet das ganze Volk schwere Not. Bis vor zwei Monaten hatten die Sozialrentner täglich nur

3,20 Rente, die Unfallverletzten nur 2,40 ℳ, die Waisen nur

1,10 ℳ. Der Laib Brot wird in kürzester Zeit n das Toppelte des heutigen Preises kosten. Die Se e Fhen in die Höhe, die Mieten müssen gesteigert, sonst kann nicht gebaut werden; unsere Häuser werden in Ruinen verwandelt, während wieder aufgebaut wird. Die Statistik zeigt uns das Wohnungselend in Berlin. Die Einkommensteuer soll 23 Mil⸗ liarden erbringen, die Umsatzstener, die die Aermsten noch mehr belastet als die Reichen, 24 Milliarden. Auch die besitzenden Klassen müssen erkennen, daß sie sich einschränken und erheblich größere Opfer bringen müssen. Wenn unser Volk weiter so Not leiden soll, dann muß es wenigstens ein Ziel haben, für das es Fengen und friert, verfällt es dem Fatalismus oder der narchie. Und wir haben ein solches Ziel. Wir wollen ein ge⸗ sundes Volk als ein starkes und gleichberechtigtes Mitglied der Kulturwelt. Wir wollen vor allem eine geachtete und eine ge⸗ sicherte Republik. Leider sind wir von dem letzteren Ziele noch recht weit entfernt. (Zuruf bei den U. Soz.: Euere Schuld!) Unsere Rechtsprechung genießt heute weniger Vertrauen als je zuvor. Man braucht nicht zu unterstellen, daß unsere Richter etwa bewußt ungerecht sind, aber die Richter der Republik sind noch zum Teil die Richter des Kaiserreichs und haben sich mit der neuen Ordnung noch nicht abfinden können. Die Gräfin Schlieffen wurde wegen Anstiftung zum Mord mit 1 ½⅛ Jahren Gefängnis bestraft; eine Kommunistin, die während des mitteldeutschen Putsches einen Sanitätsdienst eingerichtet hatte, erhielt 6 Jahre Zu thaus. Als in einem Prozeß eine Prinzessin vernommen werden soll, schickt der Amtsrichter den bürgerlichen Gerichtsschreiber weg und läßt einen adeligen holen. Das sind Beispiele deutscher Richter, deren sich die Republik chämen muß. Zugunsten der Reaktion werden bg ozes je nachdem von den zuständigen Richtern auf Jahre verschleppt oder in einem abgekürzten Verfahren erledigt. Gegen einen Redakteur wurde Anklage erhoben, weil er bei einer Schilderung der Zustände in der Etappe behauptet hatte, die Offi⸗ 8* zeigten in der Mehrzahl nur Beispiele besonderer Zügellosig⸗ keit, der Kronprinz beherbergige einen Harem von Dirnen usw. Der Angeklagte benannte für die Wahrheit seiner Behau tungen 1500 Zeugen. Das Gericht wußte sich nicht anders zu be. als daß es alle gestellten Beweisanträge als wahr unterstellte. In Schöneberg hat ein Amtsrichter ein Urteil „im Namen des Pöbels“ erlassen. Andere Gerichte erlassen ihre Urteile nach wie vor „im Namen des Königs“. Noch toller sind die Zustände in den Gefäng⸗ nissen. Der vom Reichsgericht zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilte Leutnant Boldt ist aus dem Gefängnis entflohen. Gegen den Erlaß eines Steckbriefs legte die deutsche Offiziervereinigung Protest ein. Man hat den Leutnant bis heute noch nicht wieder⸗ gefunden, aber sein Kollege Ludwig Dittmar ist in der verflossenen Nacht aus dem Gefängnis in Naumburg entflohen. (Hört, hört!) Es gibt in Deutschland eine wohlorganisierte reaktionäre Ver⸗ brecherbande, die dafür sorgt daß die von einer Mörderzentrale ge⸗ dungenen Mörder, 858 z. B. die Erzberger⸗Mörder, nicht gefaßt werden, oder daß, falls so ein erbärmlicher Bursche gefaßt und ver⸗ urteilt wird, er wieder entfliehen kann. Welcher Kontrast zwischen den auffallend milden Urteilen gegen reaktionäre Verbrecher und den grausamen Urteilen, die wegen Teilnahme an dem Putsch in Mitteldeutschland verhängt worden sind! Ich bitte den Justiz⸗ minister dringend, Bestrebungen um Erlaß einer Amnestie im Kabinett zum Durchbruch zu verhelfen. Auch in der Verwal⸗ tung sieht es schlimm aus. Die Tatsache, daß Beamte sich weigern, den Eid auf die Republik zu leisten, zwingt uns die Frage auf, ob nicht schnellstens das Beamtenrecht revidiert werden muß. Beamte, die das Geld der Republik nehmen, aber ihre Gesetze und ihre Ver⸗ fassung sabotieren kann und darf die Republik gefallen lassen. Fälle von Zurücksetzungen, Schikanierungen, Maßregelungen seremengeratisches. demokratischer und sogar dem ange⸗ öriger Beamter haben geradezu in unglaublicher Weise zugenom⸗ men. Das sollten sich die Beamten einfach nicht gefallen lassen. Wir wollen wirklich keine Gesinnungsschnüffelei, aber wir müssen ver⸗ langen, daß die Beamten sich wenigstens loyal verhalten. Wenn der Staatssekretär Bredow aus dem Reichspost inisterium sich öffentlich auf dem Bahnhof als antisemitischer Agitator betätigt, so ist das 8 als eine Geschmacklosigkeit, und die Erklärung, die er und der Postminister gegeben haben, genügt uns in rer Weise. Warum verwendet man im Auswärtigen Amt die alten Siegelmarken aus der kaiserlichen Zeit? -g Reichswehr muß ein durchaus zuverlassiges Instrument im Dienste der Republik sein und bleiben; deshalb müssen alle ausgemerzt werden, die ge⸗ willt sind, sie zu mißbrauchen. Die Fälle von Selbstmord in der Reichswehr infolge ungebührlicher Behandlung durch Vorgesetzte mehren sich in B“ ise. Manche Offiziere scheinen drauf und dran zu sein, das Uebermenschentum im Heere wieder einzuführen. Es stände übel um die Republik, wenn sie nicht ersten Anfängen mit großer Energie entgegenträte. Nach dem Bericht der 8“ Nachrichten“ hat am 1. Januar der Kommandant eines Schiffes zwar die neue Reichsflagge aufziehen lassen, aber die der alten Flagge gegenüber üblichen bezeigungen wurden nicht erwiesen, sondern die Mannschaften er⸗ hielten einfach das Kommando: „Wegtreten!“ Dieses rt follte der Wehrminister auch jedem Kommandanten zurufen. Der Leipziger Prozeß hat enthüllt, was für Leute an dem Kapp⸗Putsch beteiligt waren. Die Jagow, Schiele usw. waren beim Kapp⸗ Putsch genau so tapfer wie im November 1918. Kapp verlangte von der Reichsbank 10 Millionen zur Besoldung seiner Truppen. Was ist es für ein Unterschied, wenn Hölz für seine Truppen Millionen erpreßt und Kapp für seine Truppen das gleiche ver⸗ 8 * In Leipzig gab es Enthüllungen kleinster Streberei und zutterkrippenpolitik. (Große Unruhe rechts: Reden Sie doch nicht von der Futterkrippe; Sie sitzen ja selber daran!) Beteiligt waren am Kapp⸗Putsch dieselben Leute, die durch ihre Schnoddrigkeit und Großspurigkeit die ganze Welt gegen uns aufgebracht, im Kriege durch ihr Maulheldentum alle Friedensmöglichkeiten sabotiert und durch ihre militärische Unfähigkeit das meiste zu der Niederlage beigetragen haben. (Lebhafte ei den Sozial⸗ demokraten, große Unruhe rechts.) dner zitiert unter Lachen und Zurufen der Rechten Stellen aus einem Buche von Delbrück, worin von u. a. Prjac wirb. Er sei nur Soldat und kein Stratege gewesen. Selbst enben ist vor den Angriffen der Deutschnationalen nicht sicher. (Die Rechte unterbricht den Redner mit Zurufen. Der Redner gerät dadurch in solche Erregung, daß er fortwährend mit der Faust auf das Pult schlägt.) Bezeichnennd für die Kampfesweise der Deutschnationalen ist ein Artikel des Hamburger Blattes „Die Reichsflagge“, worin die Verurteilung Eberts und Scheidemanns wegen Landesverrats ver⸗ langt wird. Die deutschnationalen Blätter leisten an Hetze das Schamloseste, was es gibt. (Zustimmung bei den Sozialdemokraten, roße Unruhe rechts.) Lesen Sie (nach rechts) doch die Rede ihres Parteigenossen Professor Roethe. Schämen Sie sich, daß ein Professor aus Ihren Reihen so spricht. Jetzt wird die Hetze besonders gegen Wirth betrieben. Sie sollten aber bedenken, daß das, was sür Deutsch⸗ land gerettet ist, nur gerettet wurde dank der Politik „dieses Herrn aus Baden“. Bei deutschnationaler Politik wäre alles verloren. (Großer Lärm rechts.) Von deutschnationaler Seite ist sogar die Frage aufgeworfen worden, ob Wirth an Paranoia oder De⸗ mentia leide. (Zurufe rechts: Was soll das von dieser Tribüne aus?) Die Etatsberatung ist normalerweise die einzige Gelegen⸗ heit, die gesamte Politik zu erörtern. Briand hatte in Washing⸗ ton recht, als er unterschied zwischen ahägen und vernünftigen Männern, die in Deutschland friedli demokratische Cr⸗ richtungen wollen, und anderen, die durch den Krieg nichts gelernt hätten. Die Briands sind ja auch in Deutschland noch nicht aus⸗ gestorben. Die reaktionären Herrschaften sind gewarnt, sie sollen nicht noch einmal mit dem Feuer spielen. Sie würden sich sonst die Finger weit schlimmer verbrennen. Wenn es nach Briand auch zwei Deutschlands gibt, so haben die verstiegenen Natio⸗ nalisten bei uns im großen ganzen doch nichts zu ten, wenn auch gerade heute wieder speziell aus Bayern in der „Welt am Montag“ Dinge verlauten, die zu denken geben könnten. Wir

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lesen da von der Aeußerung eines Hauptmanns, daß man auch