schaftlichen und neben dem sozialen, während es diejenigen Leistungen
vollbrachte, die ich erwähnt habe. Ich glaube nicht, daß es ungerecht
ist, zu fragen, ob je ein Volk in geschichtlichen Zeiten im Frieden einer härteren Probe unterworfen worden ist. (Sehr richtig!)
Wie aber hat sich Deutschland diesen Verhältnissen gegenüber
selbst gehalten? In dieser Zeit der schwersten Not, der schwersten
der stärksten moralischen und physischen Anspannung, ist
schland dasjenige Land gewesen, das Europas Zivilisation er⸗
Zeit in Umsturz gleiten lassen, so wäre für die europäische Zivilisation eine Rettung nicht mehr erwachsen. (Sehr richtig!) Wir verlangen für das, was wir geleistet haben, von außen keine Anerkennung und keinen Dank; aber wir dürfen erwarten und verlangen, daß sich die Welt endlich entschließt, die deutschen Verhältnisse so zu sehen, wie sie sind. (Sehr gut!) Es ist nötig, daß in die fremden Länder die⸗ jen gen Stimmen hineindringen — und veshalb darf ich auch die meine erheben —, die behaupten und beweisen, daß die Leistungen Deutschlands die Achtung der Welt verdienen.
Da, wo unser schwerstes Unglück liegt, entspringen aber, wie ich glaube, auch die Quellen unserer Hoffnung, die leider heute noch spärlich fließen. Denn sind diese Dinge wahr, die ich ausgesprochen habe, und sie sind es, so haben sie die Unaufhaltsamkeit der Wahrheit. Die Wahrheit ist ein Strom, der sich nicht in Flaschen versiegeln läßt. Es ist zweifellos, daß man die Wahrheit lange Zeit unter⸗ drücken kann; aber schließlich macht sie ihren Weg um die Erde, und wen die Wahrheit den Weg um die Erde antritt, dann ist auch für uns der Augenblick des Friedens gekommen, den wir ersehnen.
Ich kehre zur Reparationsnote zurück. Ihre Beantwortung hat der Kanzler gestern deutlich umschrieben. Er hat ausgesprochen, daß die Tür der Verhandlungen nicht geschlossen ist; denn dieser Verhandlungen bedürfen wir schon deswegen, um zurückzukommen auf diejenigen Goldleistungen, die von der Reparationskommission in Aussicht genommen worden sind. Wir haben die Absicht, der Reparationskommission zu sagen, daß unter den heutigen Verhältnissen der Geldentwertung wir einen anderen Zahlungsplan für 1922 er⸗ warten. Richtlinien für die Verhandlungen mit der Reparations⸗ kommission aber bleiben die beiden vom Kanzler ausgesprochenen: ein Neubau unseres Steuerkompromisses ist nicht möglich und ebenso wenig möglich ist ein Eingriff in unsere Staats⸗ und Finanzhoheiten.
Herr Stresemann hat die Mahnung ausgesprochen, an die ich mich zu halten beabsichtige, nicht auf diejenigen Punkte zurückzugreifen, die in der Vergangenheit die Auffassungen innerhalb dieses Hauses getrennt haben. Es sind gestern schwere Vorwürfe gegen die ver⸗ gangene Politik des Kabinetts erhoben worden. Ich gehe darauf nicht ein, weil ich auch den Wunsch habe, daß wir gemeinschaftlich an der Zukunft und nicht getrennt an der Vergangenheit arbeiten. (Lebhafte Zustimmung in der Mitte.) Aber eins möchte ich nicht ungesagt sein lassen: Ich glaube, daß das Kabinett es für sich beanspruchen darf, daß es ihm möglich gewesen ist, im Jahre der stärksten Gefahr die Einheit und Unversehrtheit des Reichs zu erhalten, und ich behaupte, daß mit keiner anderen Politik die Unversehrtheit und Einheit des Reichs gewahrt worden wäre. (Sehr richtig! in der Mitte.)
Die Politik, die wir zu führen beabsichtigen, ist die Politik des Friedens. Wir führen sie in der freien Ueberzeugung und in dem Glauben an unsere gute und gerechte Sache.
Wir wollen die Erfüllung, soweit sie im Rahmen der Mög⸗ lichkeit liegt, nicht als Selbstzweck, sondern als Weg zum Frieden. Wir wollen den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete als Weg zum Frieden, und wir wollen nach Kräften beitragen zur Ent⸗ bürdung und zum Wiederaufbau der Welt.
Freilich, vom wahren Frieden sind wir noch sehr weit ent⸗ fernt. Noch immer herrscht ein tiefes Mißtrauen zwischen den Völkern, gesteigert oftmals bis zur Feindseligkeit des Wortes und der Handlung. An Stelle gemeinschaftlicher Arbeit verkettet den Erdkreis ein Ring gemeinschaftlicher Verschuldung. Europa starrt von Waffen. Und es findet sich nicht der Staatsmann und nicht die Nation, die sich zum befreienden Gedanken und zur befreien⸗ den Tat aufrafft. Nach dreijährigem Frieden ist unser eigenes Land noch immer friedlos, zum Teil militärisch besetzt, zum Teil militärisch kontrolliert.
Kann nun Genua dieser friedlosen Welt den ersehnten Frieden bringen? — Amerika hat die Beteiligung an Genua ab⸗ gelehnt, mit der Begründung, Genua sei eine politische Kon⸗ ferenz; Hauptfragen der wirtschaftlichen Probleme werden in Genua nicht behandelt und somit bleiben wir fern. In Boulogne ist nochmals bekräftigt worden, daß die Probleme der Reparation, der Grundlagen des Versailler Friedens, nicht der Beschluß⸗ fassung unterliegen sollen. Dennoch hat der Kanzler gestern in seiner Rede die hoffnungsvollere Seite von Genua erwähnt. Ich stimme seinen Ausführungen bei und will das von ihm selbst be⸗ schränkte Maß von Hoffnungen nicht herunterstimmen. Dennoch werden wir unsere Stellung zu Genua erneut zu prüfen haben. Wir müssen erwägen, mit welchen Gedanken, aber auch mit welchen Gefühlen wir uns einer Konferenz nähern, auf der das Schicksal und der Aufbau einer Welt behandelt werden soll, aber nicht der unseren, nicht unser Aufbau und nicht unser Schicksal. Läßt sich eine Brücke finden, — gut! Läßt sie sich aber nicht finden, so wird Genua das Schicksal von vielen anderen Kon⸗ ferenzen teilen.
In diesem Zusammenhang ein Wort in Anknüpfung an die Aus⸗ führungen des Herrn Stresemann über Rußland! Zweifellos wird Genug für Rußland manches Wesentliche bringen, und ich will nicht einen Augenblick die Auffassung der Regierung unausgesprochen lassen, die dahin geht, daß wir nach Ausmaß unserer Kräfte uns aufrichtig be⸗ mühen werden, am Wiederaufbau Rußlands mitzuwirken. Dabei ist der Weg von Syndikaten nicht der entscheidende. Syndikate können nützlich sein, und von solchen Syndikaten sollten wir uns nicht aus⸗ schließen. Dagegen wird das Wesentliche unserer Aufbauarbeit zwischen uns und Rußland selbst zu besprechen sein. (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten und der Deutschen Volkspartei.) Solche Besprechungen haben stattgefunden und finden weiter statt, und ich werde sie mit allen Mitteln fördern. Es ist kein Gedanke daran, daß Deutschland etwa die Absicht hätte, Rußland gegenüber die Rolle des kapitalslüsternen Kolonisten zu spielen. Ich freue mich ganz besonders, daß von seiten des Herrn Stresemann und seiner Freunde heute eine solche Stellung Rußland gegenüber gewünscht wird, denn ich erinnere mich an eine Periode, in der ich mit meiner Auffassung über die Notwendigkeit, Rußland zu Hilfe zu kommen, bei dieser Seite keine Gegenliebe gefunden habe. (Sehr wahr! bei den Deutschen Demokraten und Sozialdemokraten.) Soll, meine Herren, aus dem Chaos der Welt ein Ausweg gefunden werden, so ist
es nötig, den Rahmen weller zu spannen, als es durch die Note der Reparationskommission geschehen ist. Es ist schlechterdings nicht möglich, daß eine niedergebrochene Welt aufgerichtet werde lediglich durch die Arbeit eines einzigen Landes, auch wenn dieses Land noch so gutwillig an diesem Aufbau mitzuwirken gewillt ist. Alle Nationen der Erde, nicht nur die ehemaligen Kämpfer, müssen erkennen, daß sie sämtlich am Aufbau der Welt in gleichem Maße interessiert sind. Sie müssen erkennen daß sie einander wechselseitig bedürfen als Produ⸗ zenten und als Käufer; sie müssen erkennen, daß sie alle die gleichen Rohstoffe dieser Erde nötig haben. Sie müssen sich vereinigen zu einer Sanierungsaktion der Welt, von der sich niemand ausschließen darf, der aus den Vorräten der Welt schöpft.
Deutschland aber bedarf, um im Kreise der Völker die ihm ge⸗ stellte Aufgabe des Aufbaus zu erfüllen, einer Atempause, die nur durch äußere Anleihen geschafft werden kann. Um aber sein Ver⸗ hältnis zu seinen Gläubigern zu regeln, und zwar zu regeln in loyaler und ehrlicher Weise, muß Deutschland das Recht haben, sich mit seinen Gläubigern an einen Tisch zu setzen. (Sehr richtig!) Das bedeutet kein Uebergehen der Reparationskommission, die immer noch genügend Aufgaben zu erfüllen haben wird. Es kann aber dem Schuldner nicht verwehrt werden und ist ihm zu keiner Zeit verwehrt worden, sich mit seinen Gläubigern zusammenzusetzen und mit ihnen diejenigen Mittel zu beraten, wie wechselseitig das Verhältnis ge⸗ ordnet werden kann, nicht nur auf dem Gebiete des Geldes, sondern auf allen Gebieten, die Gläubiger und Schuldner gemeinschaftlich berühren.
Ich kann es verstehen, daß man sich formal auf den Standpunkt gestellt hat: das deutsche Reparationsverhältnis kann in Genua nicht verhandelt werden, weil dort 40 Nationen vertreten sind, die, nur zum Teil an Reparationsfragen beteiligt, nicht beschließen können, wie Deutschlands Verhältnis zu seinen Gläubigern sich gestalten soll. Ich sage, ich kann es formal verstehen. — Sachlich hätte ich eine andere Lösung gewünscht. Aber, wenn man sich auf diesen Stand⸗ punkt stellt, daß Genua für diese Kernfrage der gesamten Weltwirt⸗ schaft unzuständig ist, so ist es um so mehr notwendig, daß eine Re⸗ gelung zwischen Deutschland und seinen Gläubigern durch gemein⸗ schaftliche Verhandlungen gefunden wird. Es ist gestern in der Debatte Amerika erwähnt worden. Ich halte es für falsch, auf ein einzelnes Land, sei es das stärkste und edelste der Welt, alle Hoffnung zu setzen. Es entspricht der Gewohnheit verzweifelter Schuldner, alle Hoffnung an einen einzigen Anker zu hängen. In der Regel werden solche Hoffnungen getäuscht. Ich kenne sehr wohl die Ab⸗ neigung Amerikas, sich auf die wirtschaftlichen Verhältnisse Europas einzulassen. In erster Linie ist es eine schwere Europamüdigkeit, die Amerika befallen hat, nach den Erfahrungen des Krieges und nach den Erfahrungen des beginnenden Friedens. Wer das Tun und Treiben in Europa mit unbeteiligten Augen überblickt, dem liegt es freilich nahe, und man kann es ihm nicht verdenken, die Augen abzu⸗ wenden.
Ein anderes Motiv Amerikas, sich nicht einzumischen, besteht darin, daß die Auffassung in volkswirtschaftlichen amerikanischen Kreisen herrscht, die amerikanische Ausfuhr bedeute nur einen kleinen Bruchteil, man spricht von 7 Prozent, der amerikanischen Produktion. Diese Zahl hält der Nachprüfung nicht stand, und ich glaube, daß man in kurzer Zeit in Amerika erkennen wird, daß der Prozentsatz der Ausfuhr im Verhältnis zur Produktion ein ganz bedeutend größerer ist. Ich schätze das Verhältnis der Ausfuhr zur amerikani⸗ schen Fertigproduktion auf mindestens 20 bis 25 Prozent. Auf eine solche Ausfuhr aber wird Amerika auf die Dauer nicht leicht verzichten.
Plausibel für die amerikanische Nichteinmischung aber ist noch ein dritter Grund. Amerika sagt: Warum sollen wir unser Geld Europa zur Verfügung stellen, einem Kontinent, der es nur für seine Rüstungszwecke verbraucht? Das ist ein Einwand, den man ver⸗ stehen kann. Aber ich glaube, Amerika wird empfinden, daß man einem Ertrinkenden keine Bedingungen stellt. Es ist nicht möglich, zu warten, bis der Geist des Friedens in Europa durchgedrungen ist, um Europa zu helfen. Am 1. April wird der künftige amerikanische Botschafter Houghton sich zu Schiff begeben um nach Deutschland zu kommen und hier seinen Posten zu übernehmen. Ich rufe ihm ein Willkommen entgegen und hoffe, daß seine Mission in Deutschland für beide Länder fruchtbringend sein wird. Wir selbst haben einen der stärksten Leiter unseres Wirtschaftslebens Geheimrat Wiedfeldt be⸗ stimmt, uns in Washington zu vertreten. Ich hoffe, daß diese Wahl von Amerika gut aufgenommen wird. Denn Amerika wünschte sich einen starken Mann der Wirtschaft, und ich hoffe, daß Herr Wiedfeldt ein gesegnetes Feld seiner Tätigkeit finden wird. Noch nie hat eine Nation so unentrinnbar das Schicksal eines Kontinents in der Hand gehalten wie Amerika im gegenwärtigen Augenblick. Eine gewaltige Verantwortung ist mit dieser Machtstellung verbunden, zu der die⸗ jenige des Krieges hinzutritt, den Amerika entschieden hat, und des Friedens, den es gleichfalls bestimmte. Wir dürfen hoffen, daß Amerika, das wir nicht lediglich als ein Land materieller Interessen ansehen dürfen, sondern von dem wir anerkennen müssen, daß es ein Land mit starken moralischen Impulsen ist, sich einer Beratung, die sich mit der endgültigen Regelung der deutschen Schuldverhältnisse befaßt, nicht entziehen wird.
Der Osten Europas ist niedergebrochen, das unglücklichste aller Länder, Oesterreich, dem wir die herzlichste brüderliche Teil⸗ nahme entgegenbringen (lebhaftes Bravo!) ist diesem Nieder⸗ kruch leider gefolgt. Deutschland ringt mit allen seinen Kräften um seine Existenz, es ringt mit den Kräften seines Willens und seiner Arbeit und kämpft gegen seinen Niederbruch an. Der Niederbruch Deutschlands aber ist der Niederbruch Europas. Deutschland verlangt von niemandem in der Welt Mitleid. Aber Deutschland verlangt die Einsicht der Nationen in die Einheit und in die Verflochtenheit der Weltinteressen. Deutschland verlangt von den Nationen der Welt die Möglichkeit einer Mitwirkung zum gemeinsamen Wiederaufbau. Eine solche Mitwirkung aber läßt sich nicht durch Diktate erzwingen, sie läßt sich nur durch ein frei⸗ williges, ehrliches, gutgewolltes Zusammenarbeiten der Nationen erreichen, von denen es keine gibt, die heute nicht der Hilfe bedürfte.
Wir aber, die wir gemeinsam mit Ihnen und in Ihrem Auftrag die Verantwortung für die Politik des Reiches tragen, wir kämpfen für dreierlei: Wir kämpfen für die Existenz des Volkes, wir kämpfen für die Unversehrtheit und Einheit des Reiches, wir kämpfen für den Frieden und den Aufbau (sehr richtig! in der Mitte). Dieses Ziel ist uns allen gemeinsam. Es gibt nicht eine Seele in diesem Hause, die sich davon ausschließt. Deshalb lassen Sie uns auch dieses Ziel in Einigkeit verfolgen. (Lebhaftes Bravo!) 8
mitteleuropäischen Redensarten abgespeist.
Akg. Dr. Breitscheid (n. Soz.): Die Note der Repara⸗ tionskommission hat in allen Volksschichten, auch in denen meiner Partei, den stärksten Unwillen hervorgerufen. Diese berechtigte Stimmung würde freilich wirksamer sein, wenn nicht ein großer Teil der bürgerlichen Presse, auch ein Teil der demokratischen Presse, Töne angeschlagen hätte, als müsse der Gedanke der Wehr⸗ kraft des deutschen Volkes neu belebt werden. In der Rechtspresse fanden sich Andeutungen, als ob die leitenden Staatsmänner an dem Niedergang der Mark beteiligt seien. Es wurde von der großen Einheitsfront geredet, aber man war nicht weit davon, die Kriegstrommel zu rühren. Ich habe den Eindruck: die nationale Einheitsparole, die gestern von Herrn Hergt ausgegeben wurde,
atte nur den Zweck, den Interessen bestimmter Gruppen und Parteien zu dienen. Aber was hilft es, in diesem Augenklick mit allen Methoden die Volksseele zum Kochen bringen zu wollen? Damit werden, wie schon so oft in den letzten Jahren, nur Illu⸗ sionen erweckt, die nicht in Erfüllung gehen können. Was uns not tut, ist und Besonnenheit; jedes Wort und jede Geste, die den Weg zu neuen Verhandlungen erschweren könnte ist ungeheuer gefährlich und bedenklich für das ganze Volk. Au wir verurteilen auf das schärsste den Ton, der in der Note an⸗ geschlagen worden ist. Dieser Ton entspricht nicht den Verkehrs⸗ methoden zwischen souveränen Staaten, und der einzige Erfolg. den die Entente damit erzielt, ist die Stärkung des Nationalis⸗ mus. Wir verlangen, daß sachlich mit uns verhandelt wird. Gegenüber all dem, was an Kränkendem, Beleidigendem, Nach⸗ teiligem für Deutschland in der Note enthalten ist, muß aber doch auch auf der anderen Seite festgestellt werden, daß sie uns, wenigstens für dieses Jahr, eine Herabsetzung unserer Leistungen um den Betrag von mehr als eine Milliarde Gold bringt. Schon deshalb ist das Gerede von einer Bankerotterfüllungspolitik hin⸗ fällig und lächerlich. Niemand hat geglaubt, daß eine Erfüllungs⸗ politik uns in wenigen Jahren eine vollständige Revision des Ver⸗ sailler Vertrages bringen würde; jeder hat damit gerechnet, daß im besten Falle nur schrittweise Erleichterungen für Deutschland erzielt werden können. Wir sind für die Erfüllungspolitik, weil auf diese Weise schwerere wirtschaftliche Nachteile von uns fern⸗ gehalten werden, weil auf diesem Wege bei der Entente der Wille geweckt werden kann, uns entgegenzukommen, weil endlich nur auf diesem Wege bewiesen werden kann, daß unter dem Versailler Friedensvertrag nicht nur das deutsche Volk, sondern die Wirt⸗ schaft der gesamten Welt einschließlich der Ententestaaten leidet. Herr Hergt sprach gestern von Katastrophenpolitik. Das ist ein
ort, das in einem solchen Zusammenhang am allerwenigsten von einem Deutschnationalen in den Mund genommen werden sollte. (Sehr wahr links.) Wie tief würde wohl heute die Mark stehen wenn die Politik des Herrn Hergt befolgt worden wäre — soweit man überhaupt von einer Politik oder von einem politischen Programm der Deutschnationalen sprechen kann — (sehr gut links). Wenn man danach fragt, wird man ja doch nur mit allgemeinen Herr Hergt sprach von passiver Resistenz. Wenn ich mir darunter überhaupt etwas vor⸗ stellen kann, so kann es nur etwas sein, was das gewaltigste Elend für die gesamte arbeitende Bevölkerung zur Folge haben würde. Herr Hergt fordert Auflösung des Reichstags. Sicher wäre es erwünscht, wenn wir öfter Neuwahlen hätten, aber was im gegen⸗ wärtigen Augenblick sie für einen Zweck haben sollten, ist mir völlig unerfindlich. enn wir jedesmal, wenn eine Drohnote von der Entente kommt, neu wählen müßten, dann kämen wir für die nächsten zehn Jahre gar nicht aus den Wahlen heraus. Eine Regierung aber, die die Politik oder die Nichtpolitik des Herrn Hergt machen wollte, würde auch nicht einmal für einen Augenblick auf eine Mehrheit im deutschen Volke rechnen können. Deshalb bleibt nichts weiter übrig, als vorläufig auf dem Wege der Erfüllungspolitik fortzufahren und alles zu tun. um die Tür für neue Verhandlungen offenzuhalten. Auch nach unserer Auf⸗ fassung ist es technisch und sachlich unmöglich, die geforderte Summe von 60 Milliarden neuer Steuern und den Termin ein⸗ zuhalten. Das Steuerkompromiß haben wir bekämpft, weil es die arbeitenden Klassen ungebührlich belastet. Der Reichskanzler sagte, daß die Steuerpolitik ein integrierender Teil unserer Aus⸗ andspolitik ist. Wir haben die auswärtige Politik des Reichs⸗ kanzlers bisher unterstützt. In Konsequenz seiner Worte wird er erkennen, daß uns diese Unterstützung um so schwerer gemacht mwird, je mehr 8 dem Gebiete der Steuerpolitik für uns unannehbare Wege eingeschlagen werden. Gewiß, der Reichskanzler kann sich die Unterstützung anderweit suchen, aber wir hegen die Furcht, daß er sich dann in die Hände von solchen Leuten begibt, die zwar mit der finanziellen Fundamentierung der Erfüllung einverstanden sind, aber dem Prinzip der Erfüllung innerlich ablehnend gegenüberstehen. Es müssen neue Wege der Steuerpolitik in der Tat gefunden werden durch Erfassung der Sach⸗ werte. Die Forderung der Sozialisierung des Bergbaues muß erneut betont werden. Erhebliche Ersparnisse können bei den Ausgaben für Heer und Marine erzielt werden. In die Elendsquartiere der deutschen Arbeiter kommen die Entente⸗ kommissionen nicht hinein, sondern nur dahin, wo geschlemmt und gepraßt wird. Der bayerische Mliltärattaché, der nach Berlin kommen soll, ist ein ö welche Meldung ich anfangs für einen Fastnachtsscherz hielt. Die Notwendigkeit der Sparsamkeit wird auch in den Kreisen der Regierung nicht voll erkannt. Wozu ist in unserer Lage der ganze Apparat des Bundesstaates nötig? Neben Reichstag, Reichsrat, Reichswirtschaftsrat haben wir Land⸗ tag und Staatsrat und in jedem Bundesstaate eine Volksvertretung und eine eigene Regierung mit einem selbständigen Verwaltungs⸗ apparat. Es muß heißen: Erschließung neuer teuerquellen, Er⸗ fassung der Sachwerte und Sparsamkeit. Dazu muß aber auch von außen mehr geschehen. Wir werden das Defizit nicht beseitigen, solange uns nicht die internationale Anleihe gegeben wird. Dazu muß aber auch die deutsche Regierung mit ernstem Willen der In⸗ flation entgegenarbeiten. Auch wir verlangen, daß Rußland nicht als Kolonie behandelt wird. Zweck des Aufbaues ist Rußland und das russische Volk selbst. Für die Abwehrfront des Abg. Hergt danken wir. Wir sind für eine Einheitsfront, nämlich für die Front des klassenbewußten, sozialistischen, internationalen Proletariats. (Beifall und Händeklatschen auf der Tribüne.)
Abg. Dr. Haas (Dem.): Wir erblicken in der Note der Wiedergutmachun skommission einen Verstoß gegen den Geist einer ehrlichen und wahrhaftigen Demokratie, egen die Grundsätze einer gesunden und verständigen europäischen Politik. Wenn die Repa⸗ rationskommission das deutsche Wirtschaftsleben noch mehr ver⸗ wirren soll, als es ohnehin ist, dann scheint die Note allerdings ein Meisterstück zu sein. (Sehr richtig!) Der Schuldner wird nicht zahlungsfähig dadurch, daß man ihm auf offenem Markt die 85 Zwangsmethoden androht. Solche Methoden versagen. “ ;) Hinsichtlich des Moratoriums haben wir keinen Anlaß, uns für den Großmut zu bedanken. (Lebhaftes Sehr richtig!) Daß die Forderungen letzten Endes doch aufr terhalten werden sollen, darin kommt zum Ausdruck jener Geist, der unerträglich ist, wenn dieses Problem überhaupt gelöst werden soll (Zu⸗ stimmung), der Geist eines Gläubigers, der sieht, daß, der Schuldner nicht bezahlen kann und der trotzdem sich nicht dazu bringen kann, wenigstens einmal einen Teil seiner Forderungen nachzulassen, der sich nicht entschließen kann, seinen Schuldner wieder arbeitsfreudig zu machen. Wenn über Nacht der Feldberg im Schwarzwald sich in Gold verwandelte, dann würde das unsere Gegner auch nicht befriedigen. Dann würde der Goldkurs genau so ins Schwanken — wie jetzt der Kurs des Papiergeldes. Und wenn wir die Zahlung der von uns geforderten Leistungen durch Erträgnisse unserer Arbeit leisten 18e9 so würde dies für die Entente jeden⸗ falls große Nachteile haben. Ich weiß nicht, ob man Sachwerte in die fremde Wirtschaft übertragen kann. Wenn aber der Versuch
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Deutschen Nr. 7
Verlin, Donnerstag, den 30. März
Staatsanzeiger
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(Fortsetzung aus der Vierten Beilage.) 8
gemacht werden sollte, auf irgendwelch 3 1 zu legen, so sollte man boch dabei 8 IE“ die mit der Liquidation ehemaligen deutsch zermögens 1 . . g utschen Vermögens gemacht worden sind. Wir haben durch die Liquidationen ungeheure Summen verloren, aber unsere Feinde haben dabei viel, viel weniger ermorben, als wir verloren haben. Durch diese Liquidationen sind also ungeheure Werte vernichtet worden. Nach Mitteilungen aus und Elsaß können viele dortige Unternebmer, die solche zetriebe erworben haben, diese nicht mehr weiterführen, zahlreiche Unternehmungen sind stillgelegt. Es geht eben auch auf diesem Gebiete nicht mit der stümperhaften und armseligen Methode der Gewalt. Gewiß leiden wir unter einer gewissen Neigung, Steuern zu defraudieren. Glaubt aber die Reparationskommission, mit solchen Methoden, wie sie in der neuesten Note enthalten sind, die Steuer⸗ freudigkeit bei uns zu stärken? Ich habe die feste Ueberzeugung, daß die letzte Note das Ergebnis der neuesten Steuergesetzgebung außerordentlich ungünstig beeinflussen wird. Sachleistungen in dem geforderten Ausmaß können aus der deutschen Volkswirtschaft nicht rausgeholt werden. Aber es wäre zweckmäßig, jetzt einmal den Versuch zu machen, statt in Devisen zu zahlen, die gegnerischen Wünsche durch Sachleistungen zu befriedigen. Frankreich möge uns doch endlich einmal mit der Arbeit in den zer⸗ störten Gebieten den Anfang machen lassen. Wir wollen ja diese Arbeit leisten, und die Bewohner der zer⸗ störten Gebiete schreien nach deutscher Arbeit und nach deutschen Lieferungen. Ich will nicht glauben, daß französische Politiker den Wunsch haben sollen, die zerstörten Gebiete in ihrem jetzigen Zustande bestehen zu lassen, um so eine Quelle des Hasses und der Zwietracht zu erhalten. Ich will auch nicht prüfen, in⸗ wieweit etwa egoistische Wünsche der französischen Industrie unserer Arbeit entgegenstehen. Wenn aber auch nur die französische Bureaukratie den Beginn der Aufbauavbeiten unmöglich macht, so wäre das ein Unglück für die französische Wirtschaft und für die Lösung des Reparationsproblems. Diejenigen, die über ein blühendes Wirtschaftsleben in Deutschland nach dem Auslande be⸗ richten, sollten ernster die Verhältnisse prüfen, und sie würden dann ein anderes Bild gewinnen. Das Leben und Treiben in gewissen Gaststätten beklagen auch wir aufs allertiefste. Es ist ein Verbrechen gegen das Vaterland und eine Gemeinheit, in dieser Zeit der Not, wo Hunderttausende hungern, vor allem eben des⸗ halb, weil ein solches Leben zu falschen Schlüssen im Auslande führen muß. In Wahrheit liegen die Verhältnisse bei uns so, daß in den Kreisen, die man früher zum Mittelstande zählte, es in vielen Fällen an Hemden für die Kinder mangelt. So sieht das Land in Wirklichkeit aus, das so Ungeheures leisten soll. Unsere Volkswirtschaft wird von Tag zu Tag ärmer. Gegenüber dem Verlangen der Entente, uns einzuschränken, ist zu sagen, daß wir solche Belehrungen nicht brauchen, denn die Verhältnisse zwingen uns von selbst zu größter Sparsamkeit. Dabei ist der Gegenseite auch folgendes zu sagen: Wenn die deutsche Wirtschaft dadurch lebt, daß der deutsche Arbeiter einen Hungerlohn bekommt und sich in einer Form nähren und kleiden muß, die von der Gewohn⸗ heit der übrigen Arbeiter Europas abweicht, so wäre das erst recht eine ungeheure Gefahr für die Volkswirtschaft Frankeichs und Englands. Im Hauptausschuß haben wir uns schon vor der Note bemüht, die Ausgaben herabzusetzen. Wer im Ausschuß mit⸗ gearbeitet hat, weiß, daß der Reichskanzler Recht hat mit dem Hinweis darauf, daß das, was gespart werden kann, nur ein ver⸗ hältnismäßig geringer Betrag ist im Hinblick auf die Etatposten, die unbedingt aufgebracht werden müssen. Der Auffassung des Abgeordneten Breitscheid, auf die Ausgaben für Armee und Marine u verzichten, können wir uns nicht anschließen. 5 — 1 hrmacht haben, wollen wir uns erhalten, einmal, damit wir nicht der Willkür selbst des allerkleinsten Nachbarstaates wehrlos preisgegeben sind. Man soll aber auch nicht zu diplomatisch über eine andere ite der Sache sprechen und diese auch nicht ver⸗ schweigen. Wir wünschen, daß die Welt zu einem ehrlichen Frieden kommt und daß der Gedanke der Rüstungsbeschränkungen und schließlich vollständiger Abrüstung siegreich durchgeführt wird. Wenn es aber anders werden sollte und in Wirklichkeit etwa der französische Militarismus nicht bereit ist, irgendwelche Zugeständ⸗ nisse nach dieser Richtung hin zu machen, dann, wir sprechen es offen aus, hoffen wir, daß der Tag kommen möge, an dem auch das deutsche Volk wieder dasselbe Recht hat wie andere Völker. (Lebhafte Zustimmung.) Ich halte es für völlig unmöglich, daß die Weltgeschichte etwa so läuft, daß wir auf Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte hinaus das einzige Volk in der Welt sein sollen, das nicht mehr das Recht hat, auf dem Gebiete der Wehrkraft dieselben Maßnahmen zu ergreifen wie andere Völker. Ich bitte dringend, daß man diese Ausführungen nicht etwa als eine militaristische Rede dcgs Gegen diese Auslegung sollte ich persönlich wohl auch geschützt sein. Wir wünschen die Völkerverständigung und die Rüstungsbeschränkung, wenn diese aber nicht kommt, dann wollen wir für das deutsche Volk dasselbe Recht wie für andere Völker. Es hat ja keinen Wert, wenn man an die Menschlichkeit appelliert, aber sagen darf man es doch, daß die Unterhaltung von Kommissio⸗ nen, die gar keinen Zweck haben, ein Verstoß gegen die Humanität ist, während weite deutsche Kreise hungern. (Sehr wahr!) Bei der äußeren Anleihe kommt es weniger auf unseren guten Willen on als auf die Vernunft der anderen, und eine solche Note der Reparationskommission scheint mir ein sehr schlechter Weg zu sein, um die Welt bereit zu machen, uns zu helfen. Man fordert von uns, daß wir uns darum bemühen sollen, daß kein deutsches Kapital mehr ins Ausland abwandert und das bereits abgewan⸗ derte Kapital steuerlich erfaßt wird. Oh, wie gern! Jedenfalls kann ich namens meiner Partei erklären, es wäre einer unserer freudigsten Tage, wenn wir ein sicheres Mittel gegen Kapital⸗ flucht fänden. Die Erfassung des bereits geflüchteten Kapitals ist nur möglich auf Grund internationaler Vereinbarungen. Ueberall zeigt es sich, daß die vom Krieg zurückgelassenen Probleme nicht mit den Mitteln der Gewaltpolitik zu lösen sind. Schlimmer aber noch als ihre wirtschaftliche Unsinnigkeit ist an der Note, daß sie den schroffsten Verstoß darstellt gegen alles demokratische Denken. (Beifall bei den Demokraten.) Wenn die Reparationslommission es wirklich so machen will, wie sie es vorschlägt, dann sollte sie lieber gleich die ganze Arbeit in die Hände von Generalen legen; dann läßt General Nollet den Reichstag antreten und kommandiert: „Stillgestanden! Bis zum 31. März werden 60. Milliarden neue Steuern biwilligt! Rührt Euch!“ (Heiterkeit.) Demgegenüber sagen wir mit aller Deutlichkeit: Befehle nimmt der deutsche igen, mi nicht entgegen. Errbhasten Beifoll.) Wenn man uns ere Ausgaben vorschreibe C“ sn unserem Haushalt sind, dann hat unsere ganze parlamentarische Arbeit keinen Sinn mehr und von De⸗ mokratie könnte man nicht mehr reden. (Beifall.) Gegenüber den uns gegebenen feierlichen Versicherungen, man denke nicht daran, in das Recht der Ausschreibung und . L“ 688 ei ie Note einen nackten Verstoß ge 1 zugreifen, “ (Beifall und Zustimmung.) Wir
len des Friedensvertrages. t 88 ja des ris die Entente kann den Vertrag heute so, morgen
o auslegen; aber dann muß sie gleich die ganze Gesetzgebung in Heutschkond in die Hand nehmen — im Saargebiet hat sie sa schon den Anfang damit gemacht — dann soll sie aber auch die volle Verantwortung dafür tragen. Geifall.) Als
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——
—
Was wir an
in will, so daß wir überhaupt
seinerzeit auf
des Prinzen Max
Verlangen Ludendorffs gegen den Rat wurde, da ant⸗
ein Waffenstillstand von uns erbeten wortete die Entente, erst müsse in Deutschland ein verantwortliches demokratisches System eschaffen werden. Das war eine schwere Belastung für die deutsche Demokratie, denn die Demokratisierung war auf dem Wege, und sie hätte sich ohne das Eingreifen der Entente ruhiger und besser entwickeln können. Darf man aber nun jetzt mit einem demokratischen Staatswesen in einem solchen Tone verhandeln? Für uns ist ein Hauptstück der Demokratie, daß sie auch die Rechte und die Würde anderer Völker achtet und respektiert. (Beifall.) In dieser brutalen Form sind die alten Staatssysteme nicht mit besiegten Gegnern umgesprungen, sondern sie haben sich wenigstens in der Form besserer und ritter⸗ licher Methoden befleißigt. Aber mit diesen brutalen Formen erniedrigen unsere Gegner nicht uns, sondern sich selbst, und vor allem entwürdigen sie damit den Gedanken der Demokratie. (Beifall.) Als in London verhandelt wurde, hofften wir, daß jetzt doch endlich die törichte Methode des Diktierens vorbei sei. Möge unsere Regierung diesesmal deutlich zum Ausdruck bringen, daß solch schwerwiegende Probleme nicht gelöst werden können im Wege des Diktats. Ob unsere Erfüllungspolitik richtig war oder nicht, darüber entscheiden nicht wir, sondern die Entente. (Sehr richtig!) Kommt sie noch rechtzeitig zur Vernunft, die uns zur Gesundung führt, dann will mir es scheinen, daß die Erfüllungspolitik richtig war; kommt sie nicht zur Vernunft, und wir brechen zusammen und auseinander, und das Chaos bricht über Europa herein, dann hat es keinen Zweck, dar heute zu streiten. Eines ist sicher: Parteitaktisch zu diesem Pr em Stellung zu nehmen und daran sein Parteisüpplein kochen zu wollen, das ist klein und armselig. (Beifall.) Was die Erklärung der Regierung betrifft, so sind wir mit ihr einverstanden; damit ist alles gesagt, was wir zum Miß⸗ trauensvotum zu sagen haben. Im übrigen habe ich den Eindruck, daß die Herren (nach rechts) nur parteiagitatorische Maßnahmen mit ihrem Mißtrauensvotum bezwecken. Herr Hergt sagt, diese Regierung sei nicht mehr möglich, eine andere müsse an ihre Stelle treten. Da möchte ich zunaͤchst mal wissen, welche Politik andere Regierung treiben sollte. Sie (nach rechts) sagen, sie soll die Politik des reinen rücksichtslosen „Nein“ machen. Eine Regierung, die sich dazu entschließen wollte, müßte entschlossen siin⸗ das Alleräußerste über das deutsche Volk hereinbrechen zu lassen. Dann müßte sie aber auch das ganze deutsche Volk geschlossen hinter sich haben einschl. der sozialistischen Arbeiterschaft aller Richtungen. Aber glauben Sie (nach rechts) im Ernst, daß es klug wäre, wenn eine deutschnationale Regierung ein solches „Nein aussprechen würde? Ich meine: Wenn schon einmal der Augenblick kommen sollte, wo wir es auf das alleräußerste ankommen lassen müßten, unter deutschnationaler Führung dürfte das unter keinen Umständen gemacht werden. Geifall bei den Demokraten.) Vom Abg. Hergt ist die Frage aufgeworfen worden, welche Stellung wir zu gewissen Auslassungen und Artikeln des Herrn Bernhard in der Vossischen Zeitung einnehmen. Gerade auf die drei größten Blätter, die als demokratische angesprochen werden und sich auch im wesentlichen auf dem Boden der demokratischen Politik bewegen, haben wir als Partei keinen Einfluß; sie sagen und sie nehmen für sich in Anspruch, daß sie völlig frei und selbständig ihre Politik machen. Wir sind auch nicht wie die Deutschnationalen und die Deutsche Volkspartei in der glücklichen Lage, mit vielen Millionen Zeitungen kaufen oder Pecerscc en zu können. Jedenfalls, auf die großen demokratischen Blätter haben wir als Partei irgendeinen Einfluß nicht. Was nun zunächst die Artikel betrifft, in denen Bernhard Untersuchungen darüber angestellt hat, ob eine Anleihe möglich sei unter Bürgschaft der deutschen Industrie oder vielleicht mit Schaffung großer Steuergenossenschaften — ja, da hat Herr Bernhard nichts weiter getan, als was andere auch tun — er hat sich mal den Kopf angestrengt und hat überlegt, ob es nicht eine Methode gibt, die uns aus dem wirtschaftlichen Elend heraus⸗ bringen könnte; ob die Methode, die er empfiehlt, richtig war oder nicht, dazu brauche ich jetzt nicht Stellung zu nehmen. Wir sind und wir waren mit manchem nicht einverstanden, was Herr Bern⸗ hard geschrieben hat, vor allem auch nicht mit dem Artikel, der unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Note erschien. Wenn aber Herr Hergt nun sagt, dieser Artikel und die Haltung, die der Artikelschreiber darin einnehme, grenze an Landesverrat, so meine ich, wenn man auch schon verschiedener Meinung ist, so sollte man doch nicht ohne weiteres dem Andersdenkenden den guten Willen absprechen. (Sehr richtig!) Der Gegner will doch auch nichts anderes als dem Vaterlande dienen — warum also gleich mit der⸗ artig wilden Angriffen, das sei Landesverrat oder grenze an Landesverrat, gegen die ehrliche Ueberzeugung des anderen zu Felde ziehen? Im übrigen finde ich, daß gerade Herr Hergt gestern in manchen Punkten auffallend unvorsichtig ge⸗ sprochen hat. (Sehr richtig! bei den Demokraten.) Er hätte vielleicht besser getan, sich manche Stellen seiner Rede vorher gründlich zu überlegen. Wer selber so unvorsichtig ist, der sollte mit solchen wilden Angriffen gegen andere doch etwas vorsichtiger sein. GBeifall bei den Demokraten.) Dem Herrn Kollegen Hergt gegenüber möchte ich sagen, daß zwischen der wirtschaftlichen Organisation Deutschlands und der Türkei ein großer Unterschied besteht. Es ist auch geradezu uner⸗ träglich, wenn er sagt, mehr Schneid müsse die Regierung haben. Ohne starke Uebertreibung kann man wohl sagen: vielleicht liegt ein großer Teil unseres Unglücks in dem verhängnisvollen Wört⸗ lein Schneid. (Zustimmung.) Wenn man die Menschen in Preußen und Deutschland nur mehr zu wirklicher Energie bringen könnte. Schneid ist soweit wundervoll, bei einem Staatsmann aber uner⸗ träglich und verderblich. Wir wollen, daß unsere Regierung mit Vernunft, Ueberlegung und Energie Politik macht, mit einer Ueberlegung, die sich klar ist über das Kräfteverhältnis. In reich sollte man sich darüber klar sein, daß auf dem deutschen Boden immer wieder deutsche Menschen geboren werden, die den Gedanken der deutschen Einheit in ihrem Herzen tragen. (Lebhaftes Sehr wahr!) Ich hoffe aber auch auf Einkehr bei unseren Feinden, und daß man uns es ermöglicht, am friedlichen Wiederaufbau Europas mitzuarbeiten. Wir wollen eine leise Hoffnung haben, daß die Menschheit doch noch zur Vernunft kommt, daß vielleicht Genua uns doch ein kleines Stück weiterführt der Vernunft entgegen, und vielleicht das erreicht wird, daß das arme Europa wieder lächeln lernt. (Beifall.)
Auf Vorschlag des Präsidenten wird die Beratung hier abgebrochen.
Der Gesetzentwurf über die Verlängerung der Gültigkeitsdauer von Demobilmachungs⸗ verordnungen wird noch in dritter Lesung debattelos unter Ablehnung von Abänderungsanträgen angenommen.
Nächste Sitzung: Donnerstag, den 30. März, Nachmittags 1 Uhr. (Kleinere Vorlagen und Fortsetzung der Besprechung über die Regierungserklärung.) -
8
Schluß gegen 7 Uhr.
eh erx Lanbzz 122. Sitzung vom 29. März 1922, Mittags 12 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger“).)
Der Gesetzentwurf über Aenderungen in der Beamtenbesoldung wird debattelos an den Aus⸗ schuß für Beamtenfragen verwiesen.
Darauf setzt das Haus die zweite Beratung des Haus⸗ halts der landwirtschaftlichen Sö“ beim Abschnitt Ministerium, Landwirtschaft⸗ liche Lehranstalten, Viehzucht, Fischerei, Allgemeine Ausgaben usw. fort.
Abg. Brandenburg (Soz.) geht auf die Lage der land⸗ wirtschaftlichen Arbeiter ein. Nichts wäre falscher als die Be⸗ hauptung, daß die hohen Lohnsteigerungen an den Preiserhöhun⸗ gen Schuld seien. Die Lohnerhöhungen betrügen im Durchschnitt das Zehnfache, im günstigsten Falle das Zwölf⸗ bis Dreizehnfache. Bei den Arbeiterinnen variierten sie vom Acht⸗ bis Zwanzig⸗ fachen. Die weit größere Erhöhung der Lebensmittelpreise und Preise für alle Bedarfsartikel zeigten, wie unwahr und hohl dieses Gerede sei. Das ganze Verhalten der Arbeitgeber auf dem Lande sehe aus wie eine beaksichtigte Provokation der Land⸗ arbeiterschaft. Ueber etwaige Folgen sollte man sich daher nicht wundern. Wir haben beantragt, fährt Redner fort, daß die Technische Nothilfe nicht als Streikbrecherorganisation venutzt wird. Das wäre für die Landarbeiterschaft einfach unerträglich. Im Kreise Segeberg in Schleswig wurde 39 Funktionären des Deutschen Landarbeiterverbandes gekündigt, ohne daß ihnen ein Verschulden nachgewiesen werden konnte. In Pommern, Ost⸗ preußen, Schlesien und Brandenburg kommen ebenso häufig Fälle willkürlicher Entlassung vor. In einer Rundfrage des Landwirt⸗ schaftsministers an die Regierungspräsidenten wurde gesagt, daß die Schuld auf seiten der Arbeiter liege, wenn in manchen Be⸗ trieben noch keine Betriebsräte bestünden. Die Arbeiter hielten zum Teil eine Interessenvertretung für unnötig, zum Til hielten sie ihre Interessen durch den Arbeitgeber vertreten. (Hört, hört!) Ich kann nicht annehmen, daß der Minister diese Antwort für ernst nimmt. Durch wiederholte Maßregelungen von Betriebsräten wagt man es nicht, neue zu wählen. Die Auslassungen von Führern des Landbundes zeugen nicht von Verantwortungsgefühl. Ein Führer des Brandenburgischen Landbundes, Herr v. Natzmer⸗ kezeichnet die Steuergesetze als vaterlandsfeindlich und empfiehl: einen organisierten Boykott gegen sie. Redner schildert weitere Fälle rigorosesten Verhaltens der Arbeitgeber gegen die landwirtschaft⸗ lichen Arbeiter, insbesondere auch in bezug auf die Wohnungs⸗ frage. Waschküchen, stallähnliche Räume dienten für vielköpfige Familien als Unterkunft. Zu dem Antrag, auf die Reichsregie⸗ rung einzuwirken, auf beschleunigte Aenderung der Mieterschutz⸗ ordnung, daß auch die Kündigung und Räumung Wohnungen, die die Deputat⸗ und sonstigen wirtschaftlichen Arbeiter auf Grund von Dienstver⸗ trägen innehaben, der Genehmigung der Mietseinigungsämter bedarf, werden wir namentliche Abstimmung keantragen. Dann wird sich ja zeigen, wer für die Lage der Landarbeiter etwas übrig hat. In einem Bezirk befindet sich bei 40 Landarbeiterhäusern kein Abort. Für den Ausbau von Schlössern und Herrschaftshäusern hat man aber genug Geld übrig. Auch über den Antrag, auf Vor⸗ legung eines Gesetzentwurfes, durch den jeder landwirtschaftliche Arbeitgeber, der ausländische Arbeiter beschäftigt, verpflichtet wird, für einheimische Landarbeiterfamilien Wohnungen zu bauen, werde wir namentliche Abstimmung beantragen. Als der pommersch Landbund im vorigen Jahre 10 000 bolschewistische Soldaten; Landarbeit beantragte, befanden sich zu gleicher Zeit in Pommern eine große Anzahl landwirtschaftlicher Arbeitsloser. Der größte Teil der Arbeitgeber in Preußen ist der landwirtschaftlichen Arbeiter nicht wert, die bescheiden und fleißig sind. Redner geht sodann auf das Schlichtungsverfahren ein und erklärt, daß die pommerschen Arbeitgeber sich um die Schiedssprüche gar nicht kümmerten. Die Arbeiterorganisationen sind ehrlich bestrebt, die deutsche Landwirt⸗ schaft wieder vorwärts zu bringen. Störungen kommen immer von seiten der Arbeitgeber. Der gute Wille von beiden Seiten ist not⸗ wendig, um der Schwierigkeiten Herr zu werden. (Beifall bei den Sozialdemokraten.)
Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Dr. Wen dorff: Meine Damen und Herren! Durch die Verhandlungen des Hauptausschusses sowohl wie durch die Ausführungen der Herren Redner des gestrigen Tages hat sich wie ein roter Faden die Be⸗ tonung der Notwendigkeit gezogen, die landwirtschaft liche Erzeugung mit allen Mitteln zu fördern und zu heben.
Die Erkenntnis ist wohl Allgemeingut, jedenfalls Allgemeingut der
überwiegenden Mehrheit dieses hohen Hauses geworden, daß es uns vor allen Dingen darauf ankommen muß, die landwirtschaftliche Er
zeugung zu steigern, um die Ernährung der einheimischen Be⸗ völkerung je länger je mehr aus den Erzeugnissen der heimatlichen Scholle befriedigen zu können und sie dadurch in fortschreitendem Maße von der Einfuhr aus dem Auslande unabhängig zu machen,
einer Einfuhr, die um so unerschwinglicher wird und zur Un⸗
möglichkeit zu werden droht, je mehr der Dollarkurs steigt und je weiter der Kaufwert unserer Mark sinkt. In der Hebung der Pro⸗ duktion sehe auch ich meine wichtigste Aufgabe, und ich begrüße es dankbar, daß das hohe Haus bereit ist, mich in der Erfüllung dieser wichtigsten Aufgabe zu unterstützen. Man darf allerdings die Größe
dieser Aufgabe nicht unterschätzen. Wir sind weit von dem Ziel ent⸗
fernt, dessen Erreichung uns allen als notwendig erscheint. müssen uns die Tatsache gegenwärtig halten, daß wir vor dem Kriege, als unsere Wirtschaft in höchster Blüte stand und unsere Landwirt⸗ schaft sich der denkbar besten Kultur erfreute, immerhin eine Einfuhr an mittelbaren und unmittelbaren Lebensmitteln in Höhe von etwa ein Fünftel des gesamten Nahrungsbedarfs im Werte von zwei Milliarden Goldmark hatten. Ferner sind während des Krieges durch die Unmöglichkeit, dem Acker die notwendigen Düngemittel zuzuführen. unter der zwingenden Notwendigkeit, die Arbeitsintensität, was die Leistungen der Gespanne und der Menschen betrifft, herabzumindern, sind unter diesen unglücklichen Verhältnissen — sage ich — einerseits die Erträge von der Flächeneinheit — es handelt sich da auch heute noch um ein Herabsinken um etwa 30 vH — heruntergegangen, andererseits mußten die angebauten Kulturflächen gleichfalls erheblich zurückgehen und bleiben auch heute noch um 16 bis 19 vH hinter der Anbaufläche vor dem Kriege zurück. Es handelt sich also darum, einen Ausfall auszugleichen und darüber hinaus das Mehr zu erzeugen, was uns schon vor dem Kriege fehlte. Dazu kommt weiterhin die hedauer⸗
Wir
*) Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgehobenen Rede der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind.