1922 / 121 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 26 May 1922 18:00:01 GMT) scan diff

1 Schokolade mit einem Mindestgehalt von 40 % Kakao⸗ bestandteilen nur in Nettopackungen von 250, 200, 125, 100, 62 ½, 50 und 25 g-Tafeln sowie in Automatenpackungen.

Tafelschokoladen mit Mandeln, Nüssen, Creme, Nougat, Trüffeln, Fruchtkaramel, Feigen und Makronekn nicht weniger als 40 % Kakaobestandteile Schokolade enthalten.

„Für Nuß⸗ und Cremeschokoladen besteht der Packungszwang nicht; werden sie aber in Packungen hergestellt und abgesetzt, so müssen sie die unter a bis c aufgeführten Angaben auf der Packung enthalten.

Milch⸗ und Sahnenschokoladen (auch mit Zusatz von Mandeln und Nüssen) sowie Vollei⸗Schokoladen dürfen, soweit die Verwen⸗ dung von Milch zur Herstellung von Schokolade nach anderen Vor⸗ schriften nicht verboten ist, mit mindestens 25 % Kakaobestandteilen hergestellt werden.

2. Schokoladenpulver (uuch fetthaltiges und grob⸗ körniges) mit mindestens 40 % Kakaobestandteilen nur in Netto⸗ packungen von 500, 250, 125 und 50 g.

3. a) Kakaopulver mit der

Packung als zwar 1. mit mehr als 20 % Fett („schwach entölt“), 2. mit weniger als 20 % Fett („stark entölt“), b) Mischungen von Kakaopulver mit Eichelmehl, Hafermehl, Bananenmehl usw. nur in Nettopackungen von 500, 250, 125 und 50 g.

Als Eichelkakao, Haferkakao, Bananenkakao usw. dürfen nur solche Mischungen mit Kakaopulver bezeichnet werden, die mindestens 50 % Kakaobestandteile enthalten. Mischungen mit weniger als 33 ½ % Kakaobestandteilen sind nicht als Kakaoerzeugnisse im Sinne dieser Bestimmungen anzusehen.

4. Auslandskakaopulver in Kisten oder Fässern unter Einhaltung der Bestimmungen zu 3.

Die Fackung hat folgenden Aufdruck zu tragen:

Auslandskakaopulver schwach

Berpackt nach Vorschrift der Kakao⸗Wirtschaftsstelle für die

Firma N. N. in X. durch N. N. in Z. onrg netto

9222— reie ..—n.— Einfuhrbewilligung

Ueberzugsmasse (mit einem Zusatz bis zu 5 %

Nüssen) mit mindestens 40 % Kakgaobestandteilen (in der verwen⸗

deten Schokolade bei Zusatz von Nüssen) in Nettopackungen von 5 und 2 ½ kg.

6. Kakaomasse in Nettopackungen von 15, 12 ½, 5 und 2 ½ kg. Die Kakaosorte ist zu deklarieren.

7. Kaka bmtter

a) für die Abgabe im Kleinverkauf unter Einhaltung der Bestimmungen zu I, mit Ausnahme der Vorschrift über Angabe der Kakaobestandteile unter b, in Nettopackungen⸗ von 500, 250, 125 und 100 g,

b) für die Abgabe an Hersteller oder Händler unter Ein⸗ haltung der Bestimmungen zu I, mit Ausnahme der Vor⸗ schrift über Angabe der Kakaobestandteile unter b, in Nettopackungen von 15, 12 ½, 5 und 2 ½ kg.

I

Napolitains, Kroketts, Schokoladeplätzchen, Katzenzungen, Mokkabohnen, Schokoladereliefs und sonstige S chokoladephantasieformen, ferner Schokoladefiguren und Baumbehang, Schokolade⸗ zigarren und ⸗zigaretten sowie Borkenschoko⸗ lade dürfen lose bezw. unverpackt hergestellt und abgesetzt werden.

Werden diese Artikel in Packungen hergestellt und abgesetzt, so

8

muß die Packung den Vorschriften des Artikels I Absatz 2 entsprechen. III.

Werden Pralinen in Packungen hergestellt und abgesetzt, muß ihre äußere Kennzeichnung den Vorschriften des Artikels 1. Absatz 2 mit Ausnahme von b entsprechen.

IV.

Zuwiderhandlungen gegen die vorstehenden Bestimmungen sind gemäß §§ 7 bis 10 der Ausführungsbestimmungen zur Verordnung über Kolonialwaren vom 15. Mai 1919 (RGBl. S. 458) mit Geld⸗ strafe bis zu 100 000 und mit Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre oder mit einer dieser Strafen sowie mit Einziehung bedroht.

Die Kakaowirtschaftsstelle kann Ausnahmen von den Be⸗ stimmungen unter I—II zulassen

VI.

Vorstehende Bestimmungen treten am Tage der Bekannt⸗ machung im „Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Staats anzeiger“ in Kraft. 8

Berlin, den 26. Mai 1922.

Die Kakaowirtschaftsstelle. der Vorsitzende des Fabrikationsausschusses: Max Hoffmann.

Krokant, dürfen in der verwendeten

21 d Kennzeichnung auf der „schwach entölt“ oder „stark entölt“, und

Bekanntmachung

über Ausgabe von Schuldverschreibuugen auf den Inhaber.

Mit Ministerialentschließung von heute ist genehmigt worden, daß das Ueberlandwerk Oberfranken A.⸗G. in Bamberg mit 5 vH verzinsliche Schuldverschreibungen auf den Inhaber im Gesamtbetrage von 30 Millionen Mark, und zwar Stücke zu 10 000 ℳ, 5000 ℳ, 2000 ℳ, 1000 und 500 ℳ, in den Verkehr bringt. 8 8

München, den 19. Mai 1922.

Bayrisches Staatsministerium des Innern. 1 J. A.: Graf von Spreti.

Preußen. 8 8 8 8 Finanzministerium.

Die Rentmeisterstelle bei der Kreiskasse in Pr. Eylau Regierungsbezirk Königsberg, ist zum 1. Juli 1922 zu besetzen. Meldungen bis 15. Juni 1922 an den vorgesetzten Regierungs⸗ präsidenten.

Ministerium für Volkswohlfahrt.

„Nachdem durch den Herrn Reichsminister des Innern eine Neuausgabe der Deutschen Arzneitaxe 1922 unter der Bezeichnung:

Deutsche Arzneitaxe 1922, 6. abgeänderte Ausgabe,

amtliche Ausgabe herausgegeben worden ist, bestimme ich, daß diese Neuausgabe mit Wirkung vom 1. Juni 1922 ab für das preußische Staatsgebiet in Kraft tritt. Die 6. Ausgabe der Arzneitaxe erscheint im Verlage der Weidmannschen Buchhandlung in Berlin SW. 68, Zimmerstraße 94, und kann von dort zum Preise von 21 bezogen werden. Berlin, den 23. Mai 1922. Der Preußische Minister für Volkswohlfahrt.

J. A.: Gottstein.

1 1u“ 3 ö Richtamtliches. Deutsches Reich. Das Reichskabinett hat in seiner Sitzung vom 3. Mai 1922

sich damit einverstanden erklärt, daß die amtliche Stelle, welche die deutsche Regierung gegenüber dem in der Note der Bot⸗ schafterkonferenz vom 14. April 1922 bezeichneten „Comité de Garantie Aéronautique“ zu vertreten hat, folgende Bezeichnung erhält: Kommissar für Luftfahrzeugbau bei der Ab⸗ eilung für Luft⸗ und Kraftfahrwesen des Reichs⸗ erkehrsministeriums.

Der Reichsrat versammelte sich heute zu einer Voll⸗ sitzung: vorher hielten die vereinigten Ausschüsse für Volks⸗ wirtschaft und für Haushalt und Rechnungswesen, die ver⸗ einigten Ausschüsse für Steuer⸗ und Zollwesen, für Volkswirt⸗ schaft und für Rechtspflege, die vereinigten Ausschüsse für Steuer⸗ und Zollwesen, für Verkehrswesen, für Volkswirtschaft und für Rechtspflege sowie die vereinigten Ausschüsse für Steuer⸗ und Zollwesen, für Verkehrswesen und für Rechtspflege Sitzungen.

Der Königlich großbritannische Botschafter Lordd'Abernon hat Berlin verlassen. Während seiner Abwesenheit führt der Botschaftsrat Addison die Geschäfte der Botschaf 8

Deutscher Reichstag.

218. Sitzung vom 24. Mai 1922, Vormittags 11 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger*).)

Vor Eintritt in die Tagesordnung macht Präsident Löbe Mitteilungen über die Beschlüsse des Aeltestenrats hinsichtlich des Geschäftsplans des Hauses. Am Freitag und Sonnabend sollen die Sitzungen erst um 3 Uhr nachmittags beginnen, damit vorher der Auswärtige Ausschuß zu den großen politischen

polnischen Genfer Abkommen. Nachdem am Freitag und Sonnabend der Etat erledigt sei, solle am Montag nächster Woche die große politische Aussprache beginnen. Er bitte das Haus, ihn bei Erledigung dieses Programms zu unterstützen, indem die Redner sich Beschränkung auferlegten.

Auf der Tagesordnung steht zunächst die Fortsetzung der Vergagiung des Etats des Reichswint⸗ schaftsministeriums.

Abg. Korell (Dem.) begründet eine Interpellation seiner Partei über den Warenverkehr mit dem besetzten Gebiet. Der Verkehr wird trotz entgegenkommender Weisungen des Reichswirtschaftsministeriums durch die örtlichen Stellen der Reichsbeauftragten für Ueberwachung der Ein⸗ und Ausfuhr weiterhin in zahllosen Fällen erschwert, verteuert und zerstört. Diese Maßnahmen, berechtigt und notwendig gegen Schieber üͦder unberechtigterweise in das besetzte Gebiet gebrachte Waren, wirken außerordentlich schädlich in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht. Das Verfahren muß geändert werden. Der Weinbau und Wein⸗ handel haben besonderen Grund zu Beschwerden. Die „Deutsche Weinzeitung“ in Mainz enthält eine Menge Klagen. Mit der politischen Stellung der Rheinländer hat die ganze Sache natür⸗ lich nichts zu tun. Im französisch⸗besetzen Gebiet werden schon wieder einmal Orders ausgegeben, wonach alle Pferde und Fuhr⸗ werke für die französischen Militärbehörden bereit zu halten sind. Der wirtschaftliche Druck durch die fremden Besatzungen ist so groß, daß man deutscherseits nicht den Verkehr und Handel erschweren sollte. Bei dem Vorgehen der Außenhandelsstellen sind oft Privatinteressen maßgebend. Redner weist dies am Beispiel einer Teppichfirma nach. Dann kommen noch Eifersüchteleien zwischen Eisenbahn⸗ und Zollbeamten hinzu. Jetzt hat ja der

Finanzminister die oberste Leitung in Händen, hoffentlich werden nunmehr nicht mehr Entscheidungen getroffen, die den legitimen Handel schädigen. Zu welchen Ungerechtigkeiten das bisherige System geführt hat, zeigt der Umstand, daß eine amtliche Stelle den rheinischen Rotwein von 1921, der bekanntlich ausgezeichnet geraten ist, nicht nach dem unbesetzten Gebiet hineinlassen wollte, weil es angeblich französischer Wein wäre. Möge der Minister mit Nachdruck seine Amtsstellen anweisen, dem besetzten Gebiet mehr entgegenzukommen. (Beifall bei den Dem.)

Die Rede des Reichswirtschaftsministers Schmidt kann wegen verspäteten Eingangs des Stenogramms erst morgen im Wortlaut veröffentlicht werden.

Damit ist die Interpellation erledigt.

Zum Etat selbst, Kapitel Reichsk ommissaria für Aus⸗und Einfuhrbewilligung tadelt der

Abg. Hartleib (Soz.) die schwerfällige Geschäftshand⸗ habung der Außenhandelsstellen. Man müsse die Stellen mit Reichsbevollmächtigten besetzen, die ihrer Sache gewachsen wären. Dann würden die vielen Klagen verstummen. Die Kautschuk⸗ industrie Deutschlands, die besonders auf den Export angewiesen ist, hat schwer darunter zu leiden, daß noch keine normalen inter⸗ nationalen Beziehungen hergestellt sind. Die Zementindustrie hat die Inlandpreise um 1068 für den Waggon erhöht, aber die Auslandspreise erheblich herabgesetzt, so daß der Waggon Zement um 2000 billiger nach Holland geliefert wird. Da ist eine Ausfuhrabgabe berechtigt. Auch zeigt dieses Beispiel, wie notwendig die Ausfuhrkontrolle ist.

Angenommen wird die Entschließung des Aus⸗ schusses, die bisher bestehenden Delegiertenstellen des Reichs⸗ kommissars für Ein⸗ und Ausfuhrbewilligung bis auf weiteres beizubehalten.

Abg. Brandes (U. Soz.) erinnert den Minister an sein Versprechen, Eisenhöchstpreise einführen zu wollen.

Zum Titel „Sozialisierungskommission“ liegt ein Antrag Hergt (D. Nat.) auf Streichung des Titels vor. „Ein Antrag der Unabhängigen will „künftig wegfallend“ streichen.

Akg. Brandes (U. Soz.) befürwortet den Antrag der Un⸗ abhängigen. Was würden die Bergarbeiter sagen, denen man die Sozialisierung der Bergwerke versprochen hat? Als wissenschaft⸗ liche Kommission müsse die Sozialisierungskommission bestehen bleiben.

Abg. Hammer (D. Nat.): Namentlich bei der jetzigen Finanzlage ist die Sozialisierungskommission ein unnützes Möbel. Für Handwerkerforderungen hat man nichts übrig, aber diese unnütze Kommission soll bestehen bleiben. Wozu haben wir denn jetzt den Reichswirtschaftsrat?

Abg. Malzahn (Komm.) tritt unter Polemik gegen den Vorredner für den Antrag der Unabhängigen ein.

Abg. Hoch (Soz.) spricht für Beibehaltung der Soziali⸗ sierungskommission.

Die Abstimmung wird bis Sonnabend ausgesetzt.

Der Rest des Etats des Wirtschaftsministeriums wird debattelos erledigt. 8 8 1

*) Mit Ausnahme der durch k hervorgehobenen Reden

die Worte

Fragen Stellung nehmen könne, insbesondere zu dem deutsch⸗

vorläufig

Reichswirtschaftsrats. Abg. Malzahn (Komm.): Die Vertretung der Arbeit nehmer im Reichswirtschaftsrat ist ungenügend. Es hätten zu⸗ nächst die Bezirkswirtschaftsräte gebildet werden müssen, hätten alle sozialen Fragen unter kräftiger Mitwirkung Arbeitnehmerschaft behandelt werden können. Aber man wi eben die Gleichberechtigung der Arbeitnehmer nicht. So kommt es, daß die soziale Gesetzgebung nicht eine solche für, sondern gege die Arbeiter ist. (Sehr wahr! links.) Der ernannte Reichswi schaftsrat verhandelt hinter den Kulissen. Die gewählten Be⸗ zirkswirtschaftsräte würden erst den geeigneten Unterbau bilden, auf dessen Grundlage der Minister dann im Reichswirtschaftsrat gedeihlich wirken könnte. Der Vorsitzende des Reichswirtschafts⸗ rats, Edler von Braun, hat interessante Mitteilungen gemacht wie er sich den Aufbau denkt, um den Artikel 156 der Verfassung auszuführen. Die Arbeiter verlangen, daß die Bezirkswirtschafts räte die Kontrolle über Wirtschaft und Produktion, über Ernäl rung, Steuern usw. ausüben. Die kapitalistischen Sonderkörn schaften, die Handelskammern, Landwirtschaftskammern usw. müssen aufgelöst werden. Wir fordern die volle Gleichberechtigun der Arbeiter im gesamten Wirtschaftsleben. Der vorläufige Reichswirtschaftsrat besteht nun seit zwei Jahren, der Artikel 156 muß endlich richtig durchgeführt werden durch die Bildung der Bezirkswirtschaftsräte und eines neuen Reichswirtschaftsrats. Abg. Hammer (D. Nat.): Ich gehöre dem Reichswirtschafts⸗ rat an und weiß auch einigermaßen Bescheid. Der Reichswirt⸗ schaftsrat ist paritätisch zusammengesetzt durch Wahlen. (Ruf

Ambos werden.) Nein, ich werde nicht Ambos werden, Ihre Zeit ist vorbei. Der Reichswirtschaftsrat ist gerade das, was Bismarck wollte: ein Wirtschaftsparlament mit Ausschluß der Politik. Die Angestellten und Gesellen sollten auch Angestellten⸗ und Gesellen kammern kilden, sie können gemeinsam mit den Arbeitgebern handeln, denn die Interessen sind gemeinsam. In einem Jahre werden wir hoffentlich die Bezirkswirtschaftsräte bilden können, aber in anderem Geiste als der Vorredner meint. Im jetzigen Reichswirtschaftsrat sind die Arbeitnehmer und Verbraucher stärker als die Arbeitgeber.

Der Haushalt des Reichswirtschaftsrats wird bewilligt Ein Antrag des Ausschusses auf Regelung der Beamtenverhält nisse im Reichswirtschaftsrat wird angenommen. Haushalt des Reichsfinanzministe⸗ riums ergibt keine Aussprache, er wird genehmigt. ini dazu beantragte Entschließungen des Ausschusses auf Schaf einer Zentralinstanz der Reichsbauverwaltung für alle Reichs⸗ ressorts, abgesehen von der Reichsverkehrsverwaltung, auf Bor⸗ legung einer Denkschrift über die Wirkung des achtstündigen Arbeitstages in bezug auf die Zahl der notwendigen Beamten und entstehenden Kosten, auf Durchführung des Erholungs⸗ urlaubs durch Dienstübertragung ohne Einstellung von Urlaubsvertretern sowie auf Ausbau des steuerlichen Außen⸗ dienstes werden angenommen. In Verbindung mit diesem Haushalt wird ein von der deutschen Volkspartei eingebrachter Gesetzentwurf zur Aenderung der Reichsabgabenordnung (Be⸗ schlagnahme beim Verdacht der Steuerzuwiderhandlung) dem Steuerausschuß überwiesen.

Der Haushalt des Rechnungshofes des Deutschen Reiches wird bewilligt, nachdem Abg. Deglerk (D. Nat.) eine Ver⸗ besserung der Beamtenverhältnisse in diesem Ressort gewünscht und die Meinung ausgesprochen hat, daß der Rechnungshof nicht vom Finanzministerium abhängig sein dürfe.

Die Haushalte der Reichsschuld und der Allgemeinen Finanzverwaltung werden ohne Erörterung bewilligt.

Hierauf tritt eine Pause von einer halben Stunde ein, weil die nächsten Haushalte (Ausführung des Friedensvertrags und Auswärtiges Ministerium) bei dem schnellen Fortgang der heutigen Beratung nicht rechtzeitig büromäßig vorbereitet werden konnten.

Um 23 Uhr werden die Verhandlungen wieder eröffnet. Eine Anzahl Etats, darunter der Etat der Allgemeinen Finanzverwaltung und der Etat für die Ausführung des Friedensvertrages (Reparationsetat) werden ohne Erörterung erledigt. Auch zum Etat des Auswärtigen Amts nimmt niemand das Wort. Der Etat wird nach den Ausschußbeschlüssen angenommen, wonach u. a. zwei Ministerialdirektoren 31. Dezember wegfallen sollen.

Nunmehr vertagt sich das Haus.

Nächste Sitzung Freitag, 4 Uhr (Interp

L

x llation Hergt, die eben neu eingegangen ist, über die Ententeforderungen bezügl. der Schutzpolizei; Anfragen; Etat des Reichstags und Etat⸗ gesetz; kleine Vorlagen). rees⸗

Schluß 3 Uhr.

Preußischer Landtag.

143. Sitzung vom 24. Mai 1922, Vormittags 11 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger*).)

Der Gesetzentwurf wegen Aenderung der Amts⸗ gerichtsbezirke Greifenberg i. Pom. und Treptow an der Rega wird in erster, zweiter und dritter Lesung ohne Ausnahme angenommen, ebenso der Gesetzentwurf über die vorläufige Regelung der kommunalen Verhält⸗ nisse der Kreise Merzig und St. Wendel.

Dem Gesetzentwurf über die Erhöhung der Katasterfortschreibungsgebühren stimmt das Haus ebenfalls debattelos in zweiter und dritter Lesung zu.

Darauf wird die zweite Beratung des Haushalts der Justizverwaltung bei der Besprechung der einzelnen Ditel fortgesetzt, wozu sich die Abgg. Lichtenstein (U. Soz.) Göbel (3.) Hubert (Soz.), Katz (Komm.), Frau Wolffstein (Komm.) Eich⸗ hoff (D. Vp.) und Menzel (Komm.) äußern.

Abg. Schulz⸗Neukölln (Komm.) verlangt Streichung der Aus⸗

gaben für die Strafanstaltsgeistlichen.

Abg. Dr. Schmitt (Z.) wendet sich gegen diese Forderung. Seine Freunde betrachteten die Anstaltsgeistlichen für die Erziehung und Besserung der Gefangenen als so notwendig, daß davon auf keinen Fall abgesehen werden könne.

Abg. Kuttner (Soz.) schließt sich der Forderung auf Streichung an. Jedem Gefangenen müsse jedoch Gelegenheit gegeben werden, seine religiösen Bedürfnisse zu befriedigen. Dazu sei aber nicht der Staat, sondern die Religionsgemeinschaften da.

Bei den Ausgaben für die Strafanstaltsverwaltung will

der Abg. Katz (Komm.) auf die Amnestie und den von Freunden dazu eingebrachten Antrag zurückkommen. Es wird ihm dies vom Präsidenten Leinert mit dem Hinweis darauf verwehrt, daß dieses Thema und dieser Antrag bereits bei der allgemeinen Besprechung mit erledigt sind. Abg. Katz verlangt trotzdem wiederholt das Wort und konstatiert, nachdem es ihm wiederholt verweigert worden ist, „daß der Präsident dieses Dreiklassenparlaments (stürmische Heiterkeit) es uns unmöglich macht, unsere Anträge zu begründen“.

*) Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgehobenen Reden

der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind.

der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind

links: Sie wollen immer Hammer bleiben, aber Sie werden

am

. Abg. Frau Worlfstekn (Komm.): Der Justizminksker und seine

Vertreter haben gestern in bezug auf die Zahl der Verurteilungen und Begnadigungen und auf die Zahl der noch in den Gefängnissen sitzenden Verurteilten fortgesetzt unrichtige Angaben gemacht, die sich als Düpierungsmanöver kennzeichnen.

Abg. Schulz⸗Neukölln (Komm.) verlangt das Wort, wird aber vom Präsidenten nicht zum Wort verstattet, weil die ihm zu⸗ stehende Redezeit von fünf Minuten schon erschöpft ist. (Großer Lärm bei den Kamm., der auch während der folgenden Verhandlungen andauert.)

Für Geßangenenpflege wirft der Haushalt im ganzen bei den dauernden und bei den einmaligen Ausgaben 114 Mil⸗ lionen Mark aus. Die Kommunisten beantragen, diesen Betrag auf Milliarden zu erhöhen.

Für diesen Antrag treten die Abgg. Lichtenstein (Unabh.) und Frau Wolfstein (Komm.) ein. Beide bemängeln besonders⸗ die unzureichende Verpflegung.

Ein Vertreter der Justizverwaltung erklärt: Die Verpflegung kostet heute das Vier⸗ und Fünffache. Die Erhöhung der Brotportion auf den früheren Stand macht allein 35 biss 40 Millionen aus. Auch für die Verpflegung der Schwangeren und der Mütter ist die Veranschlagung richtig.

Abg. Ka tz (Komm.)⸗ Allgemein sagen uns die Gefangenen, daß sie Hunger leiden müssen. Am schwersten betroffen sind die politischen Gefangenen, denen man die Pakete vorenthält, die von ihren An⸗ gehörigen geschickt werden. Die Gefangenen werden ja schließlich dadurch zum Hungerstreik gezwungen. Es ist geradezu ruchlos von der Gefängnisverwaltung, unter ganz formalen Ausflüchten die Aus⸗ händigung der Pakete zu verweigern. Wenn die Gefangenen aus den Anstalten entlassen werden, sind viele von ihnen sa schwach, so unterernährt, mitgenommen und abgemagert, daß sie wochenlang ge⸗ brauchen, um wieder auf die Füße zu kommen. Die Haft und die Unterernährung sie so verändert, daß sie kaum wiederzuer⸗ kennen sind.

Der Regterungsvertreter: Im abgelaufenen Jahre hat die Ernährung der Gefangenen 155 Millionen gekostet. Wir werden alles tun und haben alles getan, um die gerügten Zustände zu beseitigen. Entsprechend einem Gutachten des Wohlfahrts⸗ ministers sind die Sätze, die der Verpflegung zugrunde ge⸗ legt werden, nenu festgestellt; diese Verordnung ist heraus. Allerdings werden wir daran denken müssen, dem Unfug mit: den Nahrungsmittelpaketen wieder entgegenzutreten. Von den In⸗ sassen der Strafanstalten sind zu diesem Zweck auf die Angehörigen geradezu Erpressungen ausgeübt worden. (Stürmische Unter⸗ brechung bei den Kommnunisten; Zurufe: Weil sie in den Gefängnissen verhungern! Frechheit von Ihnen! Der Präsident ruft die Abgeordneten Paul Hoffmann und Schulz⸗Neukölln wegen beleidi⸗ gender Zurufe zur Ordnung und erklärt gegenüber dem Abg. Schulz⸗ Neukölln: Wenn es mir nichts nützt, so stehen mir noch andere Mittel zur Verfügung, um den Landtag arbeiten zu lassen.) Durch diesen Unfug mit den Paketen ist die Disziplin aufs äußerste gefährdet worden, es sind Durchstechereien vorgekommen, es geht auch nicht an, daß die Gefangenen besser leben als die Beamten.

Abg. Schulz⸗Neukölln (Komm.): Es ist unerhört und zeugt nur von der bei der Verwaltung herrschenden Verständnislosigkeit, wenn der Regierungsvertreter von Erpressung spricht. Um die Frage der Frau Wolfstein wegen der Bibliotheken hat sich der Kommissar herumgedrückt. Jedenfalls gibt man wohl dafür nicht einen Dreier aus, während man Millionen hinauswirft für die Pfarrer und sonstigen Herumlungerer!

Auf eine Bemerkung des Abg. Dr. Rosenfeld (I. Soz.) er⸗ vidert der Vertreter der Justizverwaltung, daß felbst⸗ verständlich bei der Beschäftigung der Gefangenen Rücksicht auf ihren Gesundheitszustand und auf die Erhaltung der Gesundheit genommen wird und daß je nachdem auch Ausnahmen gemacht werden.

Ein Schlußantrag wird angenommen. (Stürmischer Protest der Kommunisten.)

Abg. Schulz⸗Neukölln: Die „sonstigen Verwaltungskosten“ erfahren in diesem Haushalt bei den Strafanstalten eine ganz beträcht⸗ liche Erhöhung. Im einzelnen erfahren wir darüber nichts. Was ist unter diesem Kautschukbegriff verstanden?

Der Regierungsvertreter: Die Ausgaben für Reinigung, Heizung und Beleuchtung.

An Bewilligungen an die Gefangenen aus dem Arbeits⸗ verdienst sind unter den Ausgaben 8 Millionen eingestellt. In den Einnahmen stehen 70 Millionen aus der Beschästigung der Gefangenen.

Abg. Käilian (Komm.) befürwortet den Antrag, den Ein⸗ nahmeposten ganz zu streichen und die Summe ungeschmälert den Gefangenen oder ihren Angehörigen zuzuführen, den Posten in der Ausgabe demnach auf 78 Millionen zu erhöhen. Auch müsse darauf gehalten werden, die Gefangenen nicht länger als acht Stunden am Tage zu beschäftigen. 8

Ein weiterer Antrag der Kommunisten verlangt die Er⸗ höhung der Ausgaben für Entschädigungen an Gefangene und deren Angehörige infolge Verletzung oder Tötung durch Unfall auf 1 Million Mark.

Abg. Frau Wolfstein begründet diesen Antrag.

Die Fustizverwaltung läßt durch einen Vertreter erklären, daß eine bezügliche Vorlage in Arbeit ist.

Abg. Paul Hoffmann (Komm.): Billigt die Verwaltung, daß die Gefangenen mit „Schweine“ angeredet werden? Ist ihr bekannt, daß die Gefangenen von den Beamten mit Schlüsselbunden usw. gemißhandelt werden, und wenn sie sich beschweren, ihrerseits angeklagt und schwer bestraft werden, während die eigentlichen Verbrecher als Belastungszeugen gegen wehrlose Gefangene auftreten?

Ein Ministerialdirektor: Selbstverständlich mißbilligt die Verwaltung aufs schärfste jede Tätlichkeit der Justizbeamten. Ich bitte um das Material, es wird eingeschritten werden. (Abg. Paul Hoffmann übergibt dem Kommissar ein Aktenstück.)

Zu den Ausgaben für Förderung der Fürsorge für die aus der Strufhaft Entlassenen liegt ein Antrag der Kom⸗ munisten vor: „Die Fürsorge ist ausschließlich Aufgabe des Staates“.

Nachdem Abg. Menzel⸗Halle (Komm.) den Antrag begründet hat, erwidert der Ministerialdirektor: Die Justizverwaltung bemüht sich ihrerseits durchaus in diesem Sinne. Mit einer Million ist ja heute nicht viel zu machen. Wir wünschen lebhaft, weitere Mittel dafür verfügbar zu machen und haben Verhandlungen mit dem Reich eingeleitet, um von dort aus dem Fonds für produktive Er⸗ werbslosenfürsorge einen beträchtlichen Zuschuß für diese Zwecke zu erhalten.

Auch die Abgg. Lichtenste in (U. Soz.) und Frau Ludewig (Komm.) treten für den Antrag ein.

Abg. Knoth⸗Frankfurt (Komm.): Es ist nicht die Aufgabe der Privatwohltätigkeit, sich der entlassenen Strafgefangenen anzu⸗ nehmen, das ist die Aufgabe des Staates, nicht die Aufgabe der evangelischen und katholischen Frauenvereine und nicht die Aufgabe des ganzen Pfaffengeschmeißes. (Großer Lärm im ganzen Hause, Glocke des Präsidenten, während der Redner ununterbrochen im lautesten Tone weiterspricht.)

Präsident Leinert dringt endlich durch und ruft den Abg. Knoth zweimal zur Ordnung.

Abg. Knoth: Ich weiß nicht, worin die Beleidigung liegt, wenn ich die Leute als das bezeichne, was sie sind. Wir verlangen, daß die heutige Gesellschaft wenigstens den Anfang eines Versuchs macht, die entlassenen Strafgefangenen wieder dem Leben zurück⸗ ugeben. Es ist unerhört, wie es in den Strafanstalten zugeht, da hat sich seit 1918 nichts gebessert. Besonders schlimm steht es um die Bibliotheken; Bücher von bürgerlichen Schriftstellern, die sich über russische Zustände und über den Bankerott Deutschlands verbreiten, sind beschlagnahmt und den Empfängern nicht eingehändigt worden.

Geldwert erhöht wird.

8 2

Hinzuziehung von

Damit schließt die Strafanstaltsverwaltung. erfolgen.

Bei den Ausgaben für Beförderungskosten begründet der

Abg. Kilian (Komm.) einen Antrag auf Neuregelung der

Bestimmungen bei Gefangenentransporten. Die Gefangenen werden dabei sozusagen vogelfrei. Der Gebrauch von Schußwaffen müsse ausgeschlossen werden.

Bei den Ausgaben für Entschädigungen der Geschworenen befürwortet der

Abg. Katz (Komm.) kommunistische Anträge, daß Schöffen und Geschworenen neben Fahrkosten auch Tagegelder in der vollen Höhe des entgangenen Arbeitsverdienstes gewährt werde, und daß alle Berufsrichter, Geschworenen und Schöffen ans den Reihen der

Die Abstimmungen werden später

gleichen Wahlrecht gewählt werden. 1 zu diesem Titel sprechen noch die bgg. Dr. Rosenfeld (Soz.), Lichtenstein (U. Soz.)

und Paul Hoffmann der sich darüber beklagt, daß Schöffen, die aus dem Arbeiterstande hervorgegangen seien, gemaß⸗ pregelt würden.

Bei Besprechung der Ausgaben, die der Fiskus als Prozeßpartei zu zahlen hat, beschwert sich der

Abg. Lichtenstein darüber, daß auf Grund eines haar⸗ sträubenden Urteils ein Angeklagter elf Monate in Untersuchungs⸗ bezw. Strafhaft gesessen habe, im Wiederaufnahmeverfahren frei⸗ gesprochen, nur eine Entschädigung von 6000 erhalten hätte.

Abg. Kilian bringt ebenfalls zu diesem Titel Beschwerden vor.

Bei Erörterung des Kapitels der Ausgaben für Unter⸗ haltung der Justizgebäude begründet der

Abg. Menzel⸗Halle (Komm.) einen Antrag, die zur Un⸗ gezieferbekämpfung in den Gefängnissen ausgeworfene Summe um 500 000 zu erhöhen.

Zu den einmaligen und fragt die 1

Abg. Frau Wolfstein, weshalb die Summe für Erweiterungs⸗ bauten des Zentralgefängnisses in Gollnow im Etat sind 3 ½ Millionen angesetzt so hoch sei.

Ein Vertreter des Justizministeriums erwidert, daß es sich um Erweiterungsbauten handle, die im Jahre 1913 be⸗ gonnen worden wären. Damit ist die Besprechung erledigt. Ein Antrag des Abg. Göbel (Zentr.), die Abstimmung über die Ausschuß⸗ und Entschließungsanträge bis nach Pfingften zu vertagen, wird gegen die Stimmen der Linken abgelehnt.

Das Haus schreitet also zur Abstimmung. 8

Der Etat der Justizverwaltung wird nach den Beschlüssen des Ausschusses angenommen, unter Ablehnung der von den Kommunisten und Unabhängigen gestellten Abänderungsanträge.

Die Entschließungen des Ausschusses werden ebenfalls an⸗ genommen, darunter der, die mittleren Justizbeamten in erhöhtem Maße zu richterlichen Geschäften heranzuziehen,

außerordentlichen Ausgaben

ebenso die Entschließungen über die Aenderung der Grundsätze

Ffür den Strafvollzug. Eine weitere Entschließung lautet: Die Förderung der Fürsorge für die aus der Strafhaft Entlassenen

vist Aufgabe des Staates.

Die unabhängigen und kommunistischen Entschließungs⸗ anträge werden abgelehnt, darunter der Amnestieantrag der Kommunisten gegen die Stimmen der Unabhängigen und der Antragsteller. Der sozialdemokratische Antrag, in Wilhelms⸗ haven eine detachierte Strafkammer des Landgerichts Aurich zu errichten, wird mit schwacher Mehrheit angenommen; ebenso der sozialdemokratische Antrag, bei der Reichsregierung dahin zu wirken, daß die Zuständigkeit der Amtsgerichte in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten entsprechend dem gesunkenen Abgelehnt werden jedoch die sozial⸗ Abschaffung der Todesstrafe, zu allen Gerichten und allgemeine gleiche Wahl⸗

Anträge auf Laienrichtern Auswahl derselben durch das recht. Der deutschnationale Antrag auf Beibehaltung des Berufsrichtertums mit Hochschulstudium und prak⸗ sfischer Ausbildung wird gegen die Stimmen der Linken und einigen Zentrums⸗ und demokratischen Stimmen angenommen.

Angenommen wird auch der Antrag der Bürgerlichen und der Sozialdemokraten, das Staatsministerium zu ersuchen, in schleunige Erwägungen darüber einzutreten, wie der Notlage

demokratischen

der Referendare auf anderem Wege als dem der Unterstützung

begegnet werden kann, insbesondere ob und inwieweit ihnen Heine feste Besoldung gewährt werden kann.

Damit ist die Abstimmung über den Justizetat und die dazu gestellten Anträge beendet.

Hierauf wendet sich das Haus zur Fortsetzung der Be⸗ ratung des Haushalts des Ministeriums für Volks⸗ wohlfahrt in Verbindung mit der Denkschrift über die Forderung von Gesundheitszeugnissen vor der Eheschließung. Die betreffende Denkschrift soll durch Kenntnisnahme für er⸗ ledigt erklärt werden. L

Abg. Dr. Stemmler (SZentr.): Aus den Ausschußverhand⸗ lungen ist hervorgegangen, daß man mit dem neuen Wohlfahrts⸗ minister zufrieden ist. Unter den zahlreichen Anträgen, die neben den Ausschußanträgen aus der Mitte des Hauses zu diesem Haus⸗ halt eingebracht sind, sind eine lange Reihe alte Bekannte. Ueber den Antrag zur Sozialisierung des Aerztestandes geht das Zentrum auch diesmal zur Tagesordnung über. In dem Vertrauensverhältnis zwischen dem Kranken und dem Arzt muß dieser von jeder Behörde unabhängig sein. Noch nie hat die Pflichterfüllung des deutschen Aerztestandes ver⸗ sagt. Dagegen ist vor kurzem im Reichstage sogar beschlossen worden, die Stellenvermittlung des ärztlichen Berufsstandes in den allgemeinen Arbeitsnachweis einzurangieren. Ob die beizubringenden Gesundheits⸗ zeugnisse vor der Eheschließung zu den Akten zu geben sind, oder ob es genügt, wenn die Nupturienten vor dem Standesamt eine ent⸗ sprechende Erklärung abgeben, darüber kann man sich ja noch im Be⸗ völkerungsausschuß unterhalten, dem daher die betreffende Dentschrift noch zu überweisen wäre. Die Mittel zur Bekämpfung der Geschlechts⸗ krankheiten und der Tuberkulose hat der Hauptausschuß wesentlich erhöht. Die heutige Generation tanzt auf diesem Vulkan und wütet in Geschlechtslust. Auch die Tuberkulose hat stark zugenommen. Sie

alle Schwächlinge ausgestorben waren; seitdem aber die Jugend heran⸗ wächst, die in den Kriegs⸗ und Hungerjahren geboren wurde, tritt auch die Tuberkulose wieder gewaltig auf. Auch die Krebskrankheiten nehmen erschreckend zu. Die vom Ausschuß beantragte neue Hilfsarbeiterstelle bei der Regierung in Köln ist unbedingt notwendig. Der Ausschuß beantragt auch mit Recht die Gleichstellung des Instituts für Nah⸗ rungsmitteluntersuchung in Berlin mit den Instituten für Infektions⸗ krankheiten und mit der Landesanstalt für Wasserhygiene. Die Tage⸗ gelder für Dienstreisen der Medizinalbeamten entsprechen absolut nicht mehr den Anforderungen des Tages. Auf das dringendste empfehle ich den Ausschußantrag, die Ueberführung der preußischen Staatsbäder in die Verwaltung dieses Ministeriums für das Jahr 1923 zu be⸗ wirken. Schon im vorigen Jahre hatten wir das beantragt, die Sache scheint sich aber allmählich zu einer Schwergeburt zu ent⸗ wickeln; ich rufe daher Autoritäten an, wie Virchow, der schon 1896 über die Zwiespältigkeit der preußischen Bäderverwaltung geklagt hat, und den Ministerialdirektor Dr. Thiel, der 1903 beim fünfundzwanzig⸗ jährigen Jubiläum der Balneologischen Gesellschaft ebenfalls lebhaft dafür eintrat, die Bäder dem Ministerium für Medizinalangelegen⸗

heiten zu unterstellen, der aber auch damals schou sehr stark betonte,

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8

Aussprache im einzelnen über die

organisierten Arbeiter, Angestellten und Beamten nach allgemeinem

und leben lassen. Ausspruch

in den letzten Tagen

Der

war nach dem Kriege anscheinend geringer geworden, weil bis 1918.

daß der Ressorkpakriokiemus von ganz Besonderer Dauerhaftigkeit sei. Wenn die Verwaltung der Staatsbäder in einer Hand im Wohlfahrts⸗ ministerium liegt, dann erst wird es möglich sein, auch die Bäder für die soziale Fürsorge, für das allgemeine Volkswohl richtig nutzbar zu machen. Hoffentlich gelangt die Frage nunmehr bald aus dem Stadium der Erwägungen heraus; sonst müßten wir mit konkreteren Anträgen kommen. (Beifall im Zentr.) 1 Abg. Dr. Weyl (Unabh.): Wenn selbst im Rahmen des kapita⸗ listischen Klassenstaats, an der Spitze eines Ressorts Männer stehen, die für die Nöte der kleinen Leute Verständnis haben, und die auch Anregungen von ganz links unbefangen ansehen, dann ist mit ihnen ein ganz anderes Zusammenarbeiten, als wenn man es mit Herren zu tun hat, die n Anregung nur deshalb zurückweisen, weil sie von der äußersten Linken kommt. Daher erklärt sich die wohlwollende Neutralität, mit der der neue Wohlfahrtsminister im Ausschuß behandelt worden ist. Nach unserem Empfinden bringt der Minister den Fragen der Volks⸗ wohlfahrt ein großes Verständnis entgegen, er ist für leben Er liebt aber auch nach seinem eigenen die Ruhe und die Behaglichkeit und verachtet „diese Gesinnung soll er nur auch auf alle seine Volksgenossen übertragen. (Heiterkeit.) Wie steht es mit der Vorlage über die Feuerbestattung? Liegt rrfange etwa am Zentrum? Wir möchten die Sache nicht

mehr die materiellen Güter nicht;

versumpfen lassen. Im übrigen ist der Haushalt für die Volks⸗ gesundheit sehr mangelhaft finanziert. Die Staatszuschüsse dafür betragen 40 Millionen; für die Gestütsverwaltung haben wir 41 Millionen Staatszuschuß übrig! Es ist hier der Ort, über die geradezu blutsaugerische Ausbeutung des Volkes durch den land wirtschaftlichen Wucher zu reden. Der Zuckerskandal, der Butter⸗ skandal, die Schandwirtschaft auf dem Gemüse⸗ und Kartoffelmark schreit geradezu zum Himmel. Wo bleibt da das Volks⸗ wohlfahrtsministerium? Tag für Tag werden die Preise herauf⸗ gesetzt. Wie sollen die Aerzte die praktische Durchführung ihrer Ratschläge durchsetzen? Wie mit dem Zucker und der Butter steht es mit dem Wucher in Gemüsen, wenn wahr scheinlich auch, weil ich heute hier diese Rede halten wollte fast alles Gemüse etwas billiger geworden ist (Heiterkeit.) Das Pfund Spinat kostete 12 ℳ, heute nur 2 ℳ; der Spargel kostet aber immer noch 10 das Pfund. Früchte, Gemüse, Salate, alle diese Nährmittel Püser dem Volke zu erschwinglichen Preisen zur Verfügung stehen. Ohne staatliche Bewirtschaftung der Lebensmittel ist eben nichts zu erreichen. Eine Schande ist es auch wie die kapitalistische Profitwut die Wälder abholzt, einen herrlichen Baumbestand vernichtet und ins Ausland verkauft siskalischen Waldverwüstung muß Einhalt geboten werden Man soll doch nicht bloß gegen die Holzereien hier im Hause vor⸗ gehen, sondern auch gegen die Holzereien des Fiskus. In einer Zeit, wo in Berlin der Kongreß für alkoholfreie Erziehung der Jugend tagt, ist es nötig, auch hier aus dem Stadium der Resolutionen herauszukommen. Wir haben ein völliges Verbot des Alkoholhandele an Kinder und Jugendliche beantragt, der Ausschuß verlangt darübe hinaus eine Verschärfung des Bedürfnisnachweises. Hoffentlich sorg die Regierung dafür, daß das Verhot schleunigst erlassen wird gegenüber den Interessen der Schnapsproduenten überwiegt das Ge sundheitsinteresse der deutschen Jugend. Es ist kaum zu ermessen, welch ungeheuren Mengen wertvoller Nahrungsmittel an Brotgetreide, Kartoffeln usw. jedes Jahr in Bier und Branntwein verwandelt werden. Nach dem Getreuen Eckart' sind in den letzten vier Monate geistige Getränke für drei Milliarden Mark allein vom Ausland eingeführt worden. Der Kampf gegen die Bars und die Likörstube muß rücksichtslos aufgenommen werden; wir müssen auf diesen Gebiet endlich einmal einen energischen Schritt vorwärts kommen. Andauernd hören wir von Ausländern die Anklage gegen uns, da wir das Ausland immerfort um milde Gaben anflehen in Nahrungs mitteln, und daß wir gleichzeitig Milliarden in Tabak und Alkoho vergeuden. Redner tritt zum Schluß noch für den Antrag au Uebernahme der staatlichen Bäder in das Wohlfahrtsministerium un auf Sozialisierung des ärztlichen Standes ein. Seine Fraktion wir den Anträgen, betr. Gesundheitszeugnisse vor der Eheschließung, bei⸗ treten, da sie in ihnen ein kleines negatives Mittel zur Verbesserun der Rasse erblickt.

Abg. König⸗Weißenfeld (Komm.): Die Statistik des Elend ist grauenhaft. 6 Millionen Deutsche leiden unter den Folgen de Krieges. Tuberkulose, Blutarmut und Unterernährung haben si weiter ausgebreitet. Mit jeder Lohnerhöhung wird die Lebenslag schlechter. Auf dem Gebiete der Tuberkulose hat uns der verrucht Krieg um 25 Jahre zurückgeworfen. Ueber Erfolge in der Alkohol bekämpfung in anderen Ländern sollte das Ministerium Material herausgeben. Redner begründet einen Antrag seiner Partei, der di Ausgaben zur Tuberkulosebekämpfung vm 99 Millionen a 100 Millionen erhöhen will. Ein anderer Antrag will die Für sorge für die gefährdete und verwahrloste Jugend ausschließlich de Kommunen übertragen wissen.

Abg. Frau Dönhoff (Dem.) betont, daß mit der Zustimmun zur Errichtung neuer Beamtenstellen man sehr vorsichtig sein Der Grundsatz der Sparsamkeit dürfe in dieser Beziehung auch bei dem Wohlfahrtsministerium nicht außer acht gelassen werden. Eine Zusammenstellung der Bezirksregierungen über die Auf⸗ wendungen zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit und der Tuberkulose wäre wünschenswert. Das Gesetz über das bestattungswesen möge bald verabschiedet werden. Ri Konzessionierung von Alkoholschankstätten müsse man vorsichtig seirn Das Reich möge doch eine Denkschrift über die Wirkungen de Alkoholverbots in Amerika vorlegen. Auf dem Gebiet der Alkohol bekämpfung sei eine große Aufklärungsarbeit vor allem notwendig Man müsse ein Geschlecht heranziehen, das mit innerer Festigke auf Genüsse verzichtet, die mit Verantwortlichkeit gegenüber der Volkswohl nicht zu vereinen seien. Für die Pflegeämter zur Be⸗ kämpfung der Geschlecheskrankheiten möge das Ministerium besonder eintreten.

Ministerialdirektor Dr. Gottstein: Die gesetzliche Regelun des Feuerbestattungswesens ist an sich Angelegenheit des Reiche Die Verhandlungen sind in dieser Sache im Reiche noch nicht ganz zum Abschluß gelangt. Was die Hungerfrage angeht, so hält die Regierung unsere Beteiligung und Mitarbeit im Staatskommissariar für Ernährung für erforderlich. Bei den Zahlen über die Tuberkulose⸗ krankheit ist größte Vorsicht zu üben. Der Abg. Dr. Weyl hat zu⸗ treffend hervorgehoben, daß die Uebersterblichkeit des Jahres 191 nur eine vorübergehende Erscheinung war, deren natürliche Folge ein Niedergang war. Die Erkrankungszahlen der Jugend im Schulalter zeigen einen leichten Anstieg. Alle beteiligten Kreise müssen hier zusammenwirken, um dieser gefährlichen Krankheit vorzu⸗ beugen. Die Frage der Pflegeämter gehört zur Zuständigkeit des Reiches. Der in diesen Tagen beratende Bevölkerungsausschuß hat sachverständige Leiter von Pflegeämtern zu seinen Beratungen hinzu⸗ gezogen. Es liegt ein Antrag vor, die Errichtung von Pflegeämtern in das Gesetz hineinzuarbeiten. Die Wirkung der Unterernährung auf den Gesundheitszustand verlangt die größte Beobachtung. 3

Abg. Meyer⸗Solingen (Soz.): Der Erlaß des Ministers vom Januar 1921, betr. die Gehälter der Krankenkassenbeamten, wurde damals von den Kassenverwaltungen als ein Eingriff in die Selbstverwaltung aufgefaßt. Der Hauptausschuß hat sich mit diesem Erlaß beschäftigt und einstimmig beschlossen, die Erwartung aus⸗ zusprechen, daß von diesem Erlaß bis zur völligen Klärung der Frag kein Gebrauch gemacht werden sollte, daß also die Oberversicherungs⸗ ämter angewiesen würden, nicht mehr, wie bisher, in die Selbst⸗ verwaltung der Krankenkassen bei der Festsetzung der Be⸗ soldungen einzugreifen. Aber das Gegenteil ist geschehen, noch in diesem Jahre hat ein Vertreter des Ministeriums auf einer Konferenz in Köln erklärt, das Ministerium könne von seinem Stand⸗ punkte nicht abgehen. Damit ist der Stellungnahme des Parlaments nicht Rechnung getragen. Die Bevormundung der Krankenkassen, die es den Vorständen unmöglich macht, bei den Besoldungen die tarif⸗ lichen Festsetzungen durchzuführen, muß aufhören. Auch alle übrigen Parteien, auch Herr Krüger⸗Allerheiligen von den D. Nat. hat diesen Standpunkt vertreten, daß die Eingriffe der vorgesetzten Behörde in die Selbstverwaltungsrechte der Krank enkassen aufhören müssen. Für den Antrag auf Sozialisierung des gesamten Heilwesens treten wir natürlich