1922 / 123 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 29 May 1922 18:00:01 GMT) scan diff

Der Herr Reichsminister für Ernährung und Landwirt⸗ schaft hat den Reichskommissar für Aus⸗ und Einfuhrbewilligung ersucht, die Zollüberwachungsstellen mit sofortiger Wirkung zu ermächtigen, Zucker (Verbrauchszucker und festen Roh⸗

zucker) his auf weiteres ohne Einfuhrbewilligung zur Einfuhr freizugeben.

Der tschecho⸗slowakische Gesandte Tusar hat Berlin ver⸗ lassen. Während seiner Abwesenheit führt der Legationsrat Machaty die Geschäfte der Gesandtschaft.⸗

Der finnische Gesandte Dr. Holma hat Berlin verlassen. Während seiner Abwesenheit führt der Legationssekretär Palin die Geschäfte der Gesandtschaft.

Deutscher Reichstag. 220. Sitzung vom 27. Mai 1922, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger*).)

Auf der Tagesordnung steht zunächst die zweite Beratung des Gesetzentwurfes über die Verwendung von Wartegeldempfängern. Der Gesetzentwurf sieht vor, daß Reichsbeamte, die aus Anlaß des Krieges oder infolge Umbildung von Reichsbehörden aus Anlaß der Um⸗ gestaltung des Staatswesens oder der Durchführung des Friedensvertrages einstweilen in den Ruhestand versetzt worden sind sogenannte Wartegeldempfänger unter Berücksichtigung ihrer bisherigen Dienststellung im Falle ihrer Wiedereinstellung oder Beschäftigung im Reichsdienst die vollen Bezüge der aktiven Reichsbeamten nach Maßgabe des Besoldungsgesetzes und der dazu erlassenen Ausführungs⸗ bestimmungen erhalten. Die Wartegeldempfänger sind auf Anordnung des Reichsministers des Innern verpeflichtet, jedes Amt sowie jede mindestens einjährige Beschäftigung im Reichsdienst zu übernehmen, sofern ihnen die auszuübende Tätigkeit unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten und bis⸗ herigen Verhältnisse billigerweise zugemutet werden kann.

Der Ausschuß hat beschlossen, daß Wartegeldempfänger, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, berechtigt sein sollen, die Uebernahme eines anderen Amtes oder einer vorüber⸗ gehenden Beschäftigung unter Stellung des Antrages auf Versetzung in den Ruhestand abzulehnen. Dem Antrag ist auch ohne Nachweis der Dienstunfähigkeit zu entsprechen. Länder und Gemeinden werden verpflichtet, einen Teil der Wartegeldempfänger unter vorzugsweiser Berücksichtigung ihrer Staatszugehörigkeit nach Maßgabe eines zwischen den Ländern und dem Reiche zu vereinbarenden Schlüssels zu übernehmen.

Abg. Schmidt⸗Stettin (D. Nat.) gibt namens seiner Fraktion die Erklärung ab, daß diese den Gesetzentwurf einmütig ablehne, weil er eine Verletzung der in der Weimarer Verfassung festgelegten wohlerworbenen Rechte der Beamten enthalte. Un⸗ annehmbar sei auch die Bestimmung, nach der die Wartegeld⸗ empfänger jede vorübergehende Beschäftigung, also auch außerplan⸗ mäßige Stellen, annehmen müßten, wodurch Beamte, die beispiels⸗ weise aus Oberschlesien haben abwandern müssen, gezwungen werden könnten, zu wiederholten Malen die Stellung zu wechseln.

Abg. Dr. Scholz (D. Vp.)? Die Grundtendenz des Gesetz⸗ entwurfs ist durchaus richtig, daß es nämlich zweckmäßig ist, die Reichskasse von den Wartegeldern zu entlasten, die ohne ent⸗ sprechende Gegenleistung bezahlt werden. Was wir aber ent⸗ schieden ablehnen, ist, daß auf die Wartegeldempfänger ein Zwang ausgeübt werden soll, ein Amt anzunehmen, ohne die Gewähr einer gleichen Stellung. Auch muß der Kommissionsbeschluß wieder beseitigt werden, wonach auch die Gemeinden verpflichtet sind, einen Teil der Wartegeldempfänger zu übernehmen.

Abg. Stücklen (Soz.): neben dem Wartegeld noch Einnahmen aus anderen Quellen haben und sich weigern, ein Amt anzunehmen, sollten sich ein Beispiel nehmen an dem Grafen Posadowsky, der ohne Bedenken, obwohl er Minister gewesen ist, ein Amt übernahm, das sein Sohn bekleidet hat. Von einem Recht auf Trägheit steht nichts im Beamtenrecht. Bei Aufhebung der Militärjustiz wurden die bisherigen richter⸗ lichen Beamten auf Wartegeld gesetzt mit vollem Gehalt. Zwei Oberkriegsgerichtsräte sind aufgefordert worden, beim Reichs⸗ entschädigungsamt Stellen anzunehmen, die genau so gut waren wie ihre früheren. Beide antworteten: Wir sind bereit, aber nur dann, wenn wir höher gestuft werden und eine besondere Ent⸗ schädigung vom Reich bekommen. Sie stützen sich dabei auf das heutige Gesetz, und eine gleichwertige Stellung kann ihnen ja nicht angeboten werden, da wir keine Militärjustiz mehr haben; sie ver langen volles Gehalt auf Lebenszeit vom Reich, ohne daß sie dabei einen Federstrich machen. Diese Herren wollen das volle Gehalt vom Reich einstecken, sie verdienen daneben vielleicht große Summen und zetern nunmehr darüber, daß das Reich in wohl⸗ erworbene Beamtenrechte eingreift. Der Republik zu dienen, halten sie für unter ihrer Würde, aber nicht, von ihr das Geld anzu⸗ nehmen. Materiell bleibt nach der jetzigen Vorlage der betreffende Beamte genau so gestellt und hat auch die Möglichkeit des Auf⸗ rückens. Wer aber glaubt, ein Recht auf Faulheit zu haben, das ganze Gehalt vom Reich einstecken zu können, ohne arbeiten zu brauchen, der muß zur Arbeit gezwungen werden. (Beifall links.)

Hierauf werden die einzelnen Paragraphen der Vorlage gegen die Stimmen der Deutschen Volkspartei und der Deutschnationalen angenommen. In § 5 wird der Ausschuß⸗ beschluß wieder beseitigt, wonach die Gemeinden zur Ueber⸗ nahme eines Teils der Wartegeldempfänger verpflichtet wurden. Für die Streichung dieser Bestimmung stimmten auch die Demokraten.

Auf Vorschlag des Präsidenten wird gleich die dritte Lesung vorgenommen. Eine allgemeine Besprechung findet nicht statt. Die einzelnen Paragraphen werden gegen die Stimmen der Deutschen Volkspartei und der Deutsch⸗ nationalen angenommen. Die namentliche Gesamt⸗ abstimmung wird noch verschoben.

Es folgt die zweite Lesung des Entwurfs eines Pensionskürzungsgesetzes. Der Ausschuß hat die Regierungsvorlage dahin umgeändert, daß bis zu einer Höhe von 60 000 Mark das Arbeitseinkommen bei der Pensions⸗ kürzung unberücksichtigt bleibt. Die Regierung wird er⸗ mächtigt, diesen Betrag je nach den Teuerungszuschlägen für Beamte entsprechend zu ändern. Das Ruhegehalt einschl. des Teuerungszuschlages, und zwar der Teuerungszuschlag zuerst, wird um die Hälfte des Betrages gekürzt, um den das gesamte Arbeitseinkommen das kürzungsfreie Arbeits⸗ einkommen übersteigt. Die Hälfte des Ruhegehalts aus⸗ schließlich des Teuerungszuschlags muß jedoch dem Ruhe⸗ gehaltsempfänger verbleiben.

Abg. Dr. Becker⸗Hessen (D. Pp.) beantragt, in dem letzten Satz statt „ausschließlich des Teuerungszuschlages“ zu sagen „ein⸗

*) Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgehobenen Reden der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind.

schließlich“.

und Neupensionären; bei

Diejenigen Wartegeldempfänger, die

Außerdem soll das Gesetz nicht für Personen gelten, die das 60. Lebensjahr vollendet haben.

Der Berichterstatter Abg. Hoch (Soz.) weist in seinem Bericht darauf hin, daß das Gesetz nur die Fälle von Ausschreitungen treffen wolle, in denen neben einem hohen Arbeitseinkommen bis⸗ her noch immer die Pension fortgezahlt werden müsse.

Abg. von Gallwitz (D. Nat.): Die wohlerworbenen Rechte der Beamten müssen anerkannt werden, das Ge⸗ setz ist daher eine Verfassungsänderung. Es ist nicht gelungen, eine Form zu finden, die allein die wenigen Ausschreitungsfälle trifft. Aus der Kombination von Arbeitseinkommen und Pension ergibt sich eine ganze Anzahl von Ungleichheiten, deren das Gesetz nicht hat Herr werden können. Das Gesetz stellt somit einen Ein⸗ griff in die wohlerworbenen Rechte der Beamten dar. (Sehr richtig! rechts) Man macht ja einen Unterschied zwischen den Alt⸗ den Altpensionären sollen nur die Teuerungszuschläge gekürzt werden, aber bei den Neupensionären macht man auch einen Eingriff in die Pension selbst. In dem Gesetz liegt geradezu eine Geringschätzung der Arbeit, denn die Leute müssen sich fragen, wozu sie überhaupt erst anfangen sollten, zu arbeiten, wenn ihnen darum ihre Pension gekürzt wird. (Un⸗ ruhe links.)

Abg. Dr. Wunderlich (D. Vp.) Auch wir sind gegen das Gesetz. Ob das Volksgefühl im Sinne dieses Gesetzes gerecht⸗ fertigt ist oder nicht, lasse ich dahingestellt; wenn sich ein richtiger Weg hätte finden lassen, so würden ihn meine Freunde gern be⸗ schreiten, aber der vorliegende Gesetzentwurf stellt keinen gerechten und praktischen Weg dar. Das Gesetz ist eine Verfassungsänderung, denn es nimmt den Beamten wohlerworbene Rechte, es greift sogar nicht nur in die Teuerungszulagen, sondern auch in den Ruhe⸗ gehaltsstamm ein. Der Reichsrat lehnt dieses Gesetz einmütig ab. (Zwischenruf: Er denkt gar nicht daran!) Man kann doch nicht ein solches Gesetz gegen den Widerspruch des Reichsrats machen. Man könnte sich vielleicht mit einer solchen Verfassungsänderung abfinden, wenn große Interessen in Frage kämen üund es sich um eine große Aktion handelte, aber es kommen doch nur wenige Beamte in Betracht, wozu also eine Verfassungsänderung? Redner schließt mit der Erklärung, daß seine Partei die Vorlage ablehne.

Abg. Dr. Höfle (Zentr.): Bedauerlicherweise war es im Unterausschuß nicht möglich, eine Verständigung unter den Parteien zu erzielen. Im Jahre 1912 war aber der gesamte Reichstag ein⸗ mütig in dem Verlangen nach einer solchen Vorlage. Wenn auch vielleicht keine großen Ersparnisse gemacht werden, so handelt es sich doch um moralische Gründe, die von der großen Mehrzahl der Beamten gebilligt werden. Den Antrag Becker lehnen wir ab.

Abg. Steinkopf (Soz.): Der Gesetzentwurf entspricht dem gesunden Volksempfinden, und auch die breite Masse der Beamten begrüßt diese Regelung. Es werden ja auch nur wenig Fälle in Frage kommen, die die breiten Massen der Pensionäre kaum be⸗ rühren. Etwas anderes ist es natürlich, wenn ein Pensionär wie General Ludendorff von der Northeliffe⸗Presse seine Pfunde bezieht.

Abg. Geck⸗Offenburg (U. Soz.): Den wenigen Beamten, die in Frage kommen, werden gar keine Rechte genommen. Denken Sie (nach rechts) lieber an die Rechte, die Sie den Arbeitern ge⸗ nommen haben.

Der Antrag Becker⸗Hessen wird gegen die Stimmen der Deutschnationalen und der Deutschen Volkspartei ab⸗ gelehnt; die einzelnen Paragraphen werden angenommen. Angenommen wird auch eine Resolution Delius (Dem.), wonach die Regierung ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes mitteilen soll, wie hoch sich die Gesamtsumme der Abzüge gestaltet hat.

Auf Vorschlag des Präsidenten findet gleich die dritte Lesung statt. In dieser werden ohne Erörterung die einzelnen Paragraphen angenommen. Die Gesamtabstimmung ist namentlich. Von 327 anwesenden Abgeordneten stimmen mit „Ja“ 217, mit „Nein“ 109, außerdem findet eine Stimm⸗ enthaltung statt.

Präsident Löbe: Ein verfassungsänderndes Gesetz muß mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Abgeordneten angenommen Lverden. Das wären in diesem Fall bei 327 Anwesenden 218. Nun haben aber nur 217 dafür gestimmt. Da die Frage der Ver⸗ fassungsänderung noch nicht entschieden ist, so verkünde ich, daß das Gesetz mit einfacher Mehrheit angenommen ist.

In einfacher Gesamtabstimmung wird nunmehr auch der Gesetzentwurf über die Verwendung von Wartegeldempfängern angenommen, und zwar, wie der vorige Entwurf, gegen die Stimmen der Deutschnationalen und der Deuischen Volkspartei. Der Antrag auf namentliche Abstimmung war zurückgezogen worden.

Der Gesetzentwurf über die Entschädi⸗ gung der Schöffen, Geschworenen und Ver⸗ trauenspersonen geht an den Rechtsausschuß. Hier⸗ auf erfolgt die Abstimmung über die bei der zweiten Bera⸗ tung des Reichshaushaltsplans für 1922 zurückgestellten Titel, Entschließungen und Anträge. Die Etatspositionen für die Technische Nothilfe und einmalige Ausgaben für Zwecke des polizeilichen Schutzes werden bewilligt, ebenso der eingesetzte Betrag für die Sozialisierungskommission, nachdem ein deutschnationaler Antrag auf Streichung abgelehnt worden war. Die Position soll nach einem zur Annahme gelangten Ausschußantrag künftig fortfallen. Zum Etat des Reichs⸗ ministeriums des Innern wurde auch noch eine Ausschuß⸗ entschließung angenommen, die eine Nachprüfung über die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Regierungskom⸗ missare bei der Schutzpolizei fordert.

Abgelehnt wird ein Antrag Dr. Maretzky (D. Vp.), der die Auszahlung der für polizeiliche Zwecke bestimmten Mittel von der Beseitigung der Einrichtung der politischen Kommissare abhängig gemacht wissen will. Der Ablehnung verfällt auch der Antrag der Unabhängigen, die Zuschüsse zu den Polizeikosten an Bayern so lange einzustellen, bis nicht die angeblichen Mörderzentralen beseitigt sind.

Angenommen wurde dagegen ein Zentrums⸗ antrag, wonach das Reich seinen Einfluß auf die Lände dahin geltend machen soll, daß die Schutzpolizei in allen Ländern ein von politischem Einfluß völlig freies Ordnungs⸗ instrument werde.

Die zurückgestellten Ausschußentschließungen zum Haus⸗ halt des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft werden genehmigt, darunter die, wonach in Zukunft Verkäufe von Grund und Boden an Ausländer bereits von 14 Hektar Größe an (bisher von 5 Hektar an) der Genehmigung der Regierung bedürfen.

Die Abstimmung über den Antrag der Deutsch⸗ nationalen und der Deutschen Volkspartei, der die Beseitigung der bisherigen Zwangsumlage für Getreide fordert und die Sicherstellung der Versorgung durch andere Maßnahmen gewährleistet wissen will, ist namentlich. Als Präsident Löbe mitteilt, daß 207 Stimmen für und 119 Stimmen gegen den Antrag abgegeben worden sind, wird diese ersichtlich irrtümliche Mitteilung auf der äußersten Rechten mit Heiterkeit und Händeklatschen aufgenommen. Unter allgemeiner Heiterkeit stellt Präsident Löbe alsbald fest, daß das eben verkündete Ergebnis auf einem Irrtum in der Zählung beruhe, und daß der Antrag in Wirklichkeit

mit 190 gegen 136 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen ab⸗ gelehz it worden ist. Diese Mitteilung wird wiederum von der Linkert mit Beifall und Händeklatschen aufgenommen.

4 *e Entschließung Müller⸗Franken (Soz.) (Getreide⸗ umlage von 4 ½ Miltionen Tonnen mit Lieferungszwang zu bestim mten Terminen unter zivilrechtlicher Haftung; Liefe⸗ rungcherträge für Kartoffeln mit Erfüllungszwang und Kon⸗ zessionterung des Kartoffelhandels; Zwangsbewirtschaftung für Zucker durch das Neich, Ration von Pfund Zucker pro Kupf und Woche und 1 Pfund extra für Sänglinge) wird in namentlicher Abstimmung mit 191 gegen 137 Stimmen abgelelkit.

Die Entschließung des Haushaltsaus⸗ schusses, die eine Getreideumlage in der bisherigen Form für unmööglich erklärt, aber die Sicherstellung einer genugen⸗ den Bratreserve unter Verbilligung des Brotpreises für Minderbe mittelte verlangt, wird in namentlicher Abstimmung mit 246 gegen 79 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen ab⸗ gelehnt. Dagegen werden die Entschließungen des Ausschꝛisses wegen Vermittelung von Privatlieferungs⸗ verträgen in Kartoffeln zwischen Erzeugern und Verbrauchern und Frack)tminderung für Kartoffeln, Konzessionierung des Kartoffelhondels und vausreichender Wagengestellung, und wegen Untersuchung der Zuckerverkäufe ins Ausland und Erhebungen über die Verwendung der Zuckerernte mit großer Mehrheit nir einfacher Abstimmung angenommen.

Die Entschließung des Ausschusses wegen Uebertragumg des Veterinärwesens vom Ministerium des Innern auf das Ernährungsministerium wird abgelehnt.

Zum Poostetat werden die Ents chließungen über Neueinstufung gewisser Beamtenkategorien dem Hauptausschuß überwiesen. 1

Angenornmen wird eine Entschließung Morath

D. Vp.), die much vom Zentrum, den Deutschnationalen und den

Demokraten untterstützt ist, worin die Regierung ersucht wird, bei der Entlassuing der entbehrlichen Hilfskräfte von der Kündi⸗ gung von Stelbenanwärtern mit Zivilversorgungsschein vorerst abzusehen. b

Das Gesetz über die Versorgung der auf Veranlassung der Entente emklassenen Angehörigen der Reichswehr wird in dritter Lesung angenommen.

Auf Anfrage aus dem Hause bemerkt der

Präsident Lölte, daß über den Gesetzentwurf, betreffend die Verwendung vom Wartegeldempfängern, nicht namentlich abge⸗ stimmt worden sezi und er daher auch nicht habe konstatieren können, daß zwei Drittel dafür stimmten. Das weitere müsse in verfassungsmäßiger Verfolgung der Angelegenheit sich ergeben. Wahrscheinlich werde der Reichstag später eine zweite Abstimmung vornehmen müssen.

Angenommen werden Entschließungen des Hauptausschufses über Fahrpreise rmäßigungen für Teilnahme am Reli onsunterricht. Die tarifmäßigen Personen⸗ fahrpreis Shem auth dann auf die Hälfte herabgesetzt werden, wenn die Schüler Hen Ort des Unterrichts nur an einzelnen Tagen der Woche phanmäßig besuchen; ferner Herabsetzung der Fahrkartenpreise für Teilnehmer an Veranstaltungen der Jugendpflege und an Schulfahrten auf ein Viertel des geltenden Tarifs; für die ständ gen Schüler öffentlicher oder als gemein⸗ nützig anerkannter privater Bildungsanstalten, insbesondere der gewerblichen und kaußmännischen Berufs⸗, Fach⸗ und Fort⸗ bildungsschulen, der de und Baugewerbeschulen, sollen die Fahrpreise auch dann Kuf die Hälfte herabgesetzt werden, wenn es sich nur um Schulbs luch an einzelnen Wochentagen handelt. Ferner soll die Regiet ung ersucht werden, zu erwägen, be künftigem Tarif die Kind'erkarte bis zum 14. Lebensjahr und die Freifahrt von Kindern bis zum 6. Lebensjahr zu erstrecken.

Der Antrag, die Gisenbahnfahrkarten für die bei ihren Angehörigen außerhalb der Arbeitsstätten ihrer Lehrherren wohnenden Handwerks⸗ unrd Kaufmannslehrlinge sowie die Lehr⸗ linge in sonstigen Betriebzen, soweit sie nicht durch Wochenkarten oder sonstige Vergünstigmngen bereits bessergestellt sind, im Preise den Schülermonatsarten gleichzusetzen, wird dem Ver⸗ kehrsministerium zur Erma gung überwiesen.

Ueber einen Antrag des Ausschusses, die Regierung zu ersuchen, die erforderlichen Schritte zu tun, daß den Wehr⸗ machtsangehörigen, die 19119 im Grenzschutz an Kampf⸗ handlungen teilgenommen lhaben, bei Berechnung der Dienst⸗ zeit im Sinne des Offiziempensionsgesetzes und der Militär⸗ versorgungsgesetze dieses Jahr als Kriegsjahr doppelt an⸗ gerechnet wird, und ebenso den Wehrmachtsangehörigen, die bei ihren Truppenteilen im JPahre 1919 beim Rückzug aus der Ukraine noch an Kämpfen teilgenommen haben, muß im Wege des Hammelsprungs üntschieden werden. Der Antrag wird mit 156 gegen 146 Stodemen angenommen.

Nunmehr folgt die dritte Lesungdes Etats.

In der allgemeinen Besprechung führt der

Abg. Koenen (Komm.) aus: Die indirekten Steuern sollen weiter erhöht werden. Ausgewechnet die Sozialdemokraten haben mit für die indirekten. Steuern gestimmt, die die Arbeiter schwer belasten. Der Reichskanzler ist umgefallen und hat die neuen Steuerfordenungen des Ministers Hermes erfüllt. Dr. Hermes ist der getren e Ekkehard des Kapitalismus. Redner tadelt die Haltung der Polizei und kritisiert scharf die Auslieferung der Mörder 2Hatos und des Italieners Boldrini. Die preußische Regierung 6 sich, so führt Redner aus, durch die Weismannsche Spitzelwirt) haft kompromittiert. Hun⸗ derte schmachten lediglich auf Denunzta tion hin im Gefängnis. Der Reichsjustizminister Radbruch trete in Versammlungen für eine Amnestie ein, wage aber in Wahrheit niicht, eine solche zu erlassen. Der berüchtigte Abtreibungsparagraph werde nur gegen pro⸗ letarische Frauen angewendet, aber nieaals gegen Besitzende. Der antisoziale Geist der Sozialdemokraten mache diesen Rechtsbruch mit. Die Ebertsche Sondergerichtsmaschene habe 4000 Opfer ge⸗ fordert. Das Reichsgericht habe festgestellt, daß diese 4000 Urteile der Rechtsgrundlage entbehren. Schande auf Schande häufe die Rechtsprechung auf sich. Deutschland sch auch heute noch ein Klassenstaat par excellence. Schule und Kirche seien noch immer Instrumente der Klassenherrschaft. Die öfß entliche Meinung werde von den Kapitalisten gekauft. Diesem Klasfsenstaat keinen Pfennig und keinen Mann, sondern rücksichtsloser Kampf. 8

Damit ist die allgemeine Aussprarche beendet. In Einzelberatung wird zum Haushal;t des Reichs⸗ arbeitsministeriums eine En.t'schließung der bürgerlichen Parteien und der Sozialdemo kraten angenommen, in der die Regöexung ersucht wird, die wissenschaftlichen Einrichtungen dar Kaiser⸗Wilhelm⸗ Akademie unter einstweiliger Fortführung der Arbeiten zu erhalten und ihre Umgestaltung in ein Iirstitut für ärztliche Arbeitsforschung sofort einzuleiten und Miese Arbeit so zu beschleunigen, daß der Reichstag bei seinem Wiederzusammen tritt endgültig dazu Stellung nehmen kamn. Beim Etat des Reichsfinanzministeriums stimmt das Haus einer En schliezung der Demokraten zu, in Erwägueigen einzutreten,

ob eine Anweisung an die Finanzämter zu erlassen sei, wo⸗ nach solche Güter, die auf Grund des Reichssiedlungsgesetzes abgabepflichtig sind und deren Steuerdeklaration in auf⸗ fälligem Gegensatz zu der Größe ihres Betriebs steht, den Kulturämtern ihres Bezirks, als für Siedlungszwecke be⸗ sonders geeignet, mitgeteilt werden sollen.

In der Gesamtabstimmung wird der Reichshaushalt für 1922 gegen die Stimmen der Unabhängigen und Kommunisten angenommen.

Nächste Sitzung Montag, 1 Uhr:

Erklärung der Reichsregierung.

Schluß nach 6 Uhr.

Preußischer Landtag. 144. Sitzung vom 26. Mai 1922. Nachtrag. Die Rede, die der Minister für Volkswohlfahrt, Hirt⸗ siefer, in der Landtagssitzung vom 26. d. M. im Anschluß an die Ausführungen des Abg. Dallmer gehalten hat und die am Sonnabend wegen verspäteten Eingangs des Stenogramms nicht veröffentlicht werden konnte, hatte folgenden Worklaut: Der Abg. Dallmer hat vielfach an der Tätigkeit des Ministe⸗ riums Kritik geübt und vor allem behauptet, der Mieterschutz sei unter einer Art Revolutionspsychose gemacht worden, um den ver⸗ haßten Hausbesitzerstand zu drangsalieren. (Zuruf des Abgeord⸗ neten Dallmer.) Ich habe ziemlich genau zitiert, verehrter Herr Abgeordneter; ich kann nur notieren das, was Sie gesagt haben. Dagegen muß ich ganz entschieden Einspruch erheben. Daß es vielleicht Leute gegeben haben soll, die aus dem Gedanken heraus den Mieterschutz betrachtet haben, kann ich nicht bestreiten; aber für die Leute ist doch nicht das Wohlfahrtsministerium verantwort⸗ lich. Die Verantwortung dafür müssen wir ablehnen. Der Mieter⸗ schutz ist aus der Not der Zeit heraus gemacht worden, weil das, vas in 5, 6 Kriegsjahren im Wohnungsbau versäumt war, nicht in kurzer Zeit nachgeholt werden konnte, und weil es für unsere Bolkswirtschaft nicht zu tragen wäre, neben all den anderen Ar⸗ ikeln, die im Laufe der Zeit heraufgesetzt worden waren in unseren lusgaben, auch noch die Wohnungen auf die Geldentwertung eraufklettern zu lassen. Anderenfalls wäre es noch schlimmer ge⸗ vorden, als es jetzt ist. Dann würden vor allem alle unsere kinderreichen Familien kein Obdach gefunden haben. Dann würden allerdings nicht, wie Herr Dallmer gesagt hat, die Arbeiter nur 2 bis 3 Stunden für die Miete zu arbeiten haben, sondern 2 bis 3 Tage. Das würde nur unsre Volkswirtschaft um einen ent⸗ sprechenden Betrag belasten. Wir hätten dadurch einem ganz kleinen Kreis von Personen ungerechtfertigte Vorteile zugeschanzt, die in keiner Weise begründet sind.

Wenn Herr Dallmer sagt, in dem Augenblick, wo die Zwangs⸗ wirtschaft aufhört, werden wir geeignete Wohnungen bekommen, dann habe ich dafür kein Verständnis, um so weniger, wenn er hinzusetzt: die Aufhebung der Zwangswirtschaft ist zurzeit nicht möglich. Wann sollen wir denn geeignete Wohnungen bekommen? Er ist auf der einen Seite für möglichst baldige Aufhebung der Zwangswirtschaft, will aber die Staatszuschüsse für Neubau von Wohnungen erhöht haben. Wo sollen diese Staatszuschüsse her⸗ kommen, wenn wir keine Zwangswirtschaft hätten? Wenn Herr Dallmer die Frage beantwortet hätte, wäre ich ihm sehr dankbar gewesen. Die Staatszuschüsse sind nur auf Grund der Zwangs⸗ wirtschaft möglich. (Widerspruch rechts.) Wo wollen Sie die Zwangszuschüsse herhaben? Glauben Sie, daß wir unsere zer⸗ rütteten Staatsfinanzen mit größeren Zuschüssen belasten können? Ohne Wohnungsabgabe wird es niemals möglich sein, Mittel für neue Wohnungen zu erkennen. (Zuruf rechts.) Wenn Sie die Wohnungsmieten auf die Geldentwertung heraufklettern lassen, wie wollen Sie auf diese Mieten noch eine Wohnungsabgabe er⸗ heben? Das ist undenkbar. Wenn Ihnen die Gedankengänge ge⸗ läufig sind, bin ich dafür nicht verantwortlich zu machen. (Sehr richtig! im Zentrum und bei den Sozialdemokraten. Zurufe bei der Deutschnationalen Volkspartei.) Ich habe genau zugehört, verehrter Herr Abg. Dallmer; Sie haben gesagt: Sie wollen die Zwangswirtschaft abbauen, Sie wollen aber die Staatszuschüsse erhöht haben. Und nun frage ich Sie: wo sollen die Staats⸗ zuschüsse herkommen, wenn wir keine Wohnungsabgabe erheben können? Das ist vollkommen ausgeschlossen, und es ist mir unklar, wie man diese beiden Dinge miteinander in Einklang bringen will. Sie haben ja selbst glatt zugegeben, daß die Aufhebung der Zwangs⸗ wirtschaft zurzeit nicht möglich ist.

Weiter hat Herr Abg. Dallmer an unseren Ausführungs⸗ bestimmungen zum Reichsmietengesetz Kritik geübt, hat aber selbst zugegeben, daß er in den Entwurf „nur mal hinein⸗ gesehen“ habe. Wenn Herr Abg. Dallmer künftig Kritik üben will, wäre es vielleicht besser, in die Sache, die er kritisieren will, nicht nur mal hineinzusehen, sondern sie gründlich durchzuarbeiten. (Heiterkeit. Zurufe rechts.) Wenn die Herren sich die Ver⸗ fassung ansehen, werden Sie feststellen, daß ich solche Entwürfe zu⸗ nächst dem Staatsrat vorlegen muß. Darüber hinaus habe ich aber die Vertreter der Interessen beider Seiten, sowohl der Mieter, wie der Vermieter, auch der Stadt⸗ und Landkreise, des Städtetages usw. zweimal in einem großen Gremium zur Beratung über diese Ausführungsanweisung zusammenberufen. Allerdings habe ich den Teilnehmern dieser Versammlung von vornherein erklären müssen: ich habe nicht die Hoffnung, daß man es beiden recht machen könnte denn den Mann möchte ich sehen, der es fertig brächte, in diesem Falle sowohl bei den Mietern, wie bei den Vermietern volle Zustimmung zu finden —, ich hätte nur die Hoffnung, daß beide schimpften (Heiterkeit), weil ich dann glauben konnte, den rechten Mittelweg gefunden zu haben; denn wenn nur einer schimpfte, würde wahrscheinlich dieser Eine zu kurz ge⸗ kommen sein. Da nun Herr Abg. Dallmer in die Ausführungs⸗ anweisung „nur mal hineingesehen“ hat, ist es ihm passiert, daß er Zuschläge mit Abzügen verwechselt hat. Es handelt sich da um ganz verschiedene Dinge. Er hat von den 20 vH gesprochen, die in § 2 für Instandsetzung vorgesehen sind; da handelt es sich darum, daß 20 vH einheitlich von der im Jahre 1914 bezahlten Miete ab⸗ gezogen werden sollten. Es handelt sich glso nicht um Zuschläge, die jetzt zu zahlen wären, sondern um Abzüge. (Zurufe bei der Deutschnationalen Volkspartei.) Davon haben Sie nichts gesagt,

Herr Abg. Dallmer, und ich kann nur wiederholen, daß diese Be⸗ stimmungen in Uebereinstimmung mit den Vertretern der Mieter und der Vermieter abgefaßt worden sind, und ich bin einstweilen noch der Ansicht, daß diese Herren jedenfalls ein klein wenig mehr von den Dingen verstehen und sich eingehender mit dem Entwurf befaßt haben nicht ihn sich „nur angesehen“ haben, wie es bei dem Herrn Abg. Dallmer der Fall war. (Heiterkeit. Zurufe rechts.) Ich habe ja gesagt, Herr Abg. Dallmer, daß ich es un⸗ möglich allen recht machen kann; das wird überhaupt kaum mög⸗ lich sein. Wenn Sie sich mit dem Inhalt des Entwurfes vertraut gemacht haben werden und bessere Vorschläge machen können, so bin ich selbstverständlich gern geneigt, sie entgegenzunehmen. (Heiterkeit.) Bisher ist es leider mir und meinen Herren Mit⸗ arbeitern nicht möglich gewesen, aber ich hoffe, daß Sie bessere Vor⸗ schläge werden machen können.

Ueber die Fürsorge für die Wohnungsnotder Flücht⸗ linge schweben zurzeit Erörterungen, um diesem auch von uns anerkannten Uebelstande in möglichst großem Umfange abzuhelfen. Leider kommen dabei aber in sehr starkem Maße politische Fragen in Betracht; ich bin daher nicht in der Lage, auf diesem Gebiete allein vorzugehen.

Die von Herrn Abg. Dallmer angeregte Frage der Teilun g großer Wohnungen ist doch vielleicht nicht so leicht, wie sich das in einigen schönen Sätzen darlegen läßt. Wenn man bedenkt, daß, um aus einer Zehnzimmerwohnung drei oder vier kleine Wohnungen herzustellen, ebensoviele Kochstellen und Zapfstellen eingerichtet werden müssen, daß für die Herstellung von Schorn⸗ steinen gesorgt werden muß, dann wird man doch vielleicht zu dem Ergebnis kommen, daß unter Umständen die aufzuwendenden Kosten zu dem zu erzielenden Nutzeffekt in einem schreienden Miß⸗ verhältnis stehen.

Auch daß nun die Ostjuden hier überall im allgemeinen Zehn⸗ zimmerwohnungen hatten, wird wohl auch in dieser Verallgemeine⸗ rung keinesfalls zutreffen. (Zurufe rechts.) Das kann ich nicht verhindern; ich glaube nicht, daß Sie dafür das Ministerium verantwortlich machen wollen. Es soll ja auch auf anderen Seiten geschoben werden.

Bei Wohnungsämtern, die kommunale Einrichtungen dar⸗ stellen, dürfte es das beste sein, an der einzelnen Stelle gleich Miß⸗ ständen nachzugehen, weil man sie dann viel leichter befeitigen kann als auf andere Weise. Die Klagen über die Wohnungsämter sind ja übrigens nicht nur bei uns, sondern in allen Ländern zu verzeichnen. In den letzten Tagen berichtet die Fachpresse darüber, daß in Amerika, in dem Lande, das nicht eine solche Geldver⸗ schlechterung aufzuweisen hat wie wir und wo auch der Mieter⸗ schutz durchgeführt ist, mehr als 50 vH der Mieter die Festsetzung der Miete durch die Wohnungsämter beantragt haben. Also in Ländern mit Ueberparivaluta herrschen auch Differenzen zwischen Mietern und Vermietern.

Daß allgemein Pfarrhäuser beschlagnahmt werden, muß ich auch entschieden bestreiten. Daß es auch da vielleicht in einem Falle vorgekommen ist, daß Wohnungsämter ihre Befugnisse über⸗ schritten haben, kann ich natürlich nicht leugnen. Ich bitte aber, dann die Einzelfälle mitzuteilen, und ich werde ihnen felbstver⸗ ständlich auf den Grund gehen. Bisher ist in den allermeisten Fällen, in denen solche Klagen vorgebracht worden sind, festgestellt worden, daß die Wohnungsämter doch nicht so schlecht gewirt⸗ schaftet hatten, wie es von demjenigen, dem nicht nach seinem Willen geschah, behauptet wurde. Wir müssen auch bei diesen Klagen sehr stark die Interessenfrage in Betracht ziehen. Wenn man diesen Dingen objektiv auf den Grund geht, sehen sie vielfach ganz anders aus, als wenn sie nur einseitig dargestellt werden. Wir müssen also auch die Gegenseite hören.

Alles in allem sind wir uns wohl darüber klar, daß der Mieterschutz und alle mit ihm zusammenhängenden Einrichtungen keinen Idealzustand darstellen. Das bestreitet kein Mensch, und es ist noch niemals von uns behauptet worden. Wie behaupten nur, daß wir gegenwärtig und auch in absehbarer Zeit ohne den staat⸗ lichen Mieterschutz nicht auskommen können. (Lebhafte Zustimmung links.) Wir müssen nur versuchen, die Schattenseiten, die vielleicht hier und da noch in zu großem Umfange vorhanden sind, zu be⸗ seitigen. Bis wir aber daran denken können, diese Zwangswirt⸗ schaft und den Mieterschutz abzubauen, werden noch sehr viele Jahre vergehen, es sei denn, daß der Herr Abgeordnete Dallmer uns so vorzügliche Vorschläge machen kann, daß wir recht bald dazu kommen. (Bravo links.)

145. Sitzung vom 27. Mai 1922, Vormitlags 10 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger“).)

Das Haus erledigt zunächst debattelos eine Reihe von Eingabenberichten des Beamtenausschusses, des Ausschusses für Handel und Gewerbe, des Unterrichtsausschusses und des Landwirtschaftsausschusses.

Darauf wird die zweite Beratung des Haushalts des Wohlfahrtsministeriums beim Abschnitt Iugendwohlfahrt, allgemeine Fürsorge usw. fortgesetzt.

Frau Abg. Dr. Lauer (Zentr.) fordert neben der bisherigen Jugendpflege größere Beachtung der Jugendbewegung, in der sie einen neuen Quell zum Aufbau unseres Volkslebens erblickt. Trotz vieler Abwege und Auswüchse sei der Grundzug der Jugend⸗ bewegung ein Suchen nach Wahrheit, Reinheit, brüderlicher Nächstenliebe und gesunder Fröhlichkeit ohne den Antrieb auf⸗ reizender Alkohol⸗ und Nikotingifte, unter Ablehnung von seeli⸗ schem Schmutz und geistiger Schwüle. Sie fordert Auskau der Wanderherbergen zu gesitteten Heimen und einen Beirat für Jugendpflege, Sport⸗ und Leibesübungen. Aus den verschiedenen Gebieten der allgemeinen Fürsorge griff sie die Notlage der chari⸗ tativen Anstalten heraus, trat besonders warm für die Sozial⸗ und Kleinrentnerfürsorge ein und forderte ein neues Reichswohlfahrts⸗ gesetz. Besonders eingehend besprach sie die Notwendigkeit einer neuen Grundlage der Gefährdetenfürsorge durch die Pflegeämter. Zum Schluß trat sie für weitere Erhöhung der Stipendien für soziale Ausbildung sowie für staatliche Beihilfen für soziale Frauenschulen ein. In Verbindung damit wies sie auf die schlechten Besoldungsverhältnisse der Sozialbeamtinnen hin und zeigte Wege zu einer allmählichen Besserung.

Abg. Frau Dr. Spahr (8. Nat.) bespricht die Notlage der Rentenempfänger. Die im Ausschuß gestellten Anträge zur Unter⸗ stützung der Rentenempfänger sollen mit größter Beschleunigung

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*⁰) Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgehobenen Reden der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind. 8

dem Hauptausschuß überwiesen werden. Von vers⸗ Seiten werde eine Reform des Lichtspielgesetzes geplant, die das Verbot für Jugendliche auf 16 Jahre herabsetzen will. Ihre Parteifreunde ersuchten jedoch den Minister, das Verbot für Jugendliche unter 18 Jahren bestehen zu lassen. Auf dem Gebiete der Erziehung bleibe die staatliche Fürsorgetätigkeit wirkungslos, wenn nicht der Wille des einzelnen mithelfe. Alles, was zur Förderung der Jugend diene, würden ihre Freunde unterstützen. Die Ausschußbeschlüsse wegen Erhöhung der Ausgaben für die soziale Kleinkinderfürsorge und die Neueinstellung von 2 Millionen Zuschuß für in ihrem Bestande gefährdete Waisenhäuser sei zu begrüßen, ebenso wie die Neueinstellung von je 1 Million zu Beihilfen für Pflegeämter und Fürsorgestellen für Gefährdete und zu Zuschüssen für soziale Frauenschulen und für soziale Ausbildungskurse, nicht minder die Neueinstellung von 3 Millionen für Instandsetzung und Ausbau von Jugendherbergen. Wenn der Ausschuß besondere Ein⸗ richtungen durch die Provinzialverwaltungen verlange, um die zur Fürsorgeerziehung überwiesenen Minderjährigen vor ihrer Einlirferung in die Anstaten auf ihre körperliche, geistige und sitt⸗ liche Beschaffenheit zu prüfen, so sei das nur zu billigen. Die Auf⸗ hebung der Prügelstrafe in den Waisenhäusern und sonstigen Für⸗ sorgeanstalten werde vielleicht nicht so rasch durchgeführt ein, wie der Ausschuß es fordert. Die Jugendfürsorge müsse sich ar⸗ darauf erstrecken, daß Turnen und Sport auch mit dem pädagogi⸗ schen Ziel der Erziehung zur Einfachheit und Anspruchslosigkeit betrieben werden. Das Jugendwandern bei in jeder Weise zu fördern, denn die wahre Fugendfreude liege in der Schönheit der Natur. Jede Uebertreibung sei zu vermeiden. Den Auswüchsen und Gefahren, die sich bei den Jugendwanderungen hier und da bemerkbar machten, müsse energisch gesteuert werden. Die Jugend⸗ wanderherbergen dürften nur für eins der beiden Geschlechter eingerichtet sein, und in jeder derartigen Herberge müsse ständig eine Aufsichtsperson vorhanden sein. Wenn man die Wohlfahrts⸗ pflege wirklich erfolgreich betreiben wolle, müßten auch alle vor⸗ handenen bewährten Organisationen, insbesondere die Frauen⸗ organisationen zur Mitarbeit hexangezogen werden. (Zustimmung.) Der Frauenarbeit auf diesem Gebiete, auf dem seit Jahrzehnten mit großen Opfern viel geleistet sei, müsse der Minister nicht nur Achtung, sondern auch Beachtung schenken und alle Verwaltungs⸗ stellen entsprechend anweisen. In der allgemeinen Fürsorge sei noch viel nachzuholen; auch hier sei vom Ausschuß Erfreuliches geleistet worden. Die Zahl der Wohlfahrtspflegerinnen auf dem Lande sei noch viel zu gering. Bei der Ausbildung des Wohl⸗ fahrtspflegepersonals dürfe neben der praktischen Vorbildung die allgemeine Ausbildung nicht vernachlässigt werden. (Beifall rechts.)

Abg. Frau Voigt (D. Vp.): Wenn die Gegenwart imstande ist, die Wohlfahrtspflege so auszubauen, wie es die Zeiten ver⸗ langen, so verdankt sie das nur der jahrzehntelangen Arbeit der privaten Frauenvereine. (Lebhafte Zustimmung rechts.) Deshalb muß auch heute alles zusammengefaßt werden, damit auf diesem Gebiete wirkliche Fortschritte gemacht werden. Auch in das Volks⸗ wohlfahrtsministerium müssen Frauen ihren Einzug halten. Die Provinzialbehörden als Träger der Fürsorgeerziehung müssen, wie auch der Ausschuß empfiehlt, sozialpädagogische Kurse für die An⸗ gestellten und Beamten derjenigen Anstalten einrichten, in denen Fürsorgezöglinge untergebracht werden. Nur auf Grund einer Prüfung kann die Befähigung für das Pflegeamt nachgewiesen werden. Daß aus dem Zwanzigmillionenfonds die Arbeiterheime besonders berücksichtigt werden sollen, können wir nicht billigen; für uns gilt dabei keine Bevorzugung. (Zustimmung rechts) Wir beantragen, in den Haushalt eine neue Position von 10 Millionen zur Unterbringung gesundheitlich gefährdeter und unterernährter Kinder auf dem Lande oder in Kinderheimen einzusetzen. Bei der Ausbildung der Lehrer und Führer muß auch auf die psychologische Seite besonderes Gewicht gelegt werden. Die finanzministeriellen Widerstände gegen die Ausschußvorschläge werden sich bei diesen Forderungen hoffentlich überwinden lassen. Für die Kleinrentner muß die Fürsorge auch auf dem Gebiete der Arbeitsvermittlung einsetzen; die Gewerkschaften könnten sich hier ein großes Verdienst erwerben, wenn sie den Betrieben die Einstellung arbeitsfähiger Kleinrentner vorschrieben. (Lebhafter Beifall bei der D. Vp.)

Abg. Frau Christmann (Unabh. Soz.): An allen Für⸗ sorgeanstalten muß wirklich ein menschliches Personal angestellt werden und nicht solche Leute, die vielfach als Tierbändiger anzu⸗ sehen sind. (Sehr richtig! links.) Man verhindert geradezu, die Kinder zu Menschen werden zu lassen. Es ist Methode in den An⸗ stalten, daß die Kinder bei den geringsten Vergehen hart bestraft werden. Rednerin berichtet über Mißstände in der Fürsorgeanstalt in Struveshof. Den Antrag auf Akschaffung der Prügelstrafe werde ihre Fraktion aufrecht erhalten. Das Züchtigungsrecht werde immer überschritten und besonders leiden darunter die Arbeiter⸗ kinder, die dafür büßen müssen, daß sie nur arme Eltern haben. Arbeiterfranen muß mehr Gelegenheit gegeben werden, in der Jugendfürsorge tätig zu sein. Wenn der Abg. Deerberg gesagt hat, daß unsere Bestrebung auf Abschaffung der Abtreibungs⸗ paragraphen das Ziel der freien Liebe hätte, so ist das eine Heuchelei. Durch Angst werden die Frauen zur Verzweiflung ge⸗ trieben. In Barmen sind im Laufe des letzten halben Jahres ungeheuer viel Prozesse gegen die Abtreibung geführt worden. Es waren nur Arbeiterfrauen, und es sind über 100 Jahre Ge⸗ fängnis verhängt worden. (Hört, hört! und Entrüstungsrufe links.) Die Arbeiterehen stehen sittlich viel höher als die der bürgerlichen, die nur aus Geldsackinteressen geschlossen werden. Weuün die Abg. Frau Spohr für Beibehaltung der Prügelstrafe zur Wahrung der Autorität zintrat, so möchte ich sagen, daß es ein trauriger Pädagoge ist, der seine Autorität nur durch Prügelstrafe aufrechterhalten kann. Die Liebestätigkeit muß vom Stnate aus⸗ geübt werden. (Lebhafter Beifall links.)

Ministerialdirektor Bracht: Es war interessant zu hören, daß gerade vor den Toren Berlins die Prügelstrafe immer noch angewendet wird. Wir haben der Stadt Berlin als erster der Ausführungsbehörden genehmigt, daß aus dem Reglement die Prügelstrafe herausgebracht wird. Von den Aufsichtsbehörden der Stadt wurde gesagt, daß innerhalb der städtischen Anstalten nicht mehr geprügelt werden sollte. Es wird Sache der städtischen Be⸗ hörden sein, gegen Beamte ihrer Anstalten einzugreifen, die sich in irgendeiner unangemessenen Weise vergangen haben. Die Auf⸗ sichtsbefugnisse des Staates gehen hier nicht allzuweit, die der Stadt Berlin sind völlig ausreichend. Wir stehen auf dem Stand⸗ punkt, daß die Abschaffung der Prügelstrafe angestrebt wird, und zwar in möglichst beschleunigtem Tempo. Bei g weib⸗ lichen Fürsorgezöglingen werden wir sie auf jeden Fall verbieten. Wenn die Anstalten stärker unter die Kontrolle der staatlichen Organe gestellt werden, werden wir zu einer Besserung kommen. Der Regierungsvertreter beantwortet sodann ausführlich Anfragen der Abgg. Frau Lauer und Frau Christmann über Mißstände in einzelnen Strafanstalten, u. a. in Kaiserswerth, und Kellt dabei fest, daß die vorgebrachten Anschuldigungen zum größten Teil widerlegt seien, da die Vorkommnisse sich wesentlich anders zuge⸗ tragen hätten. Im weiteren setzt sich der Redner mit den Aus⸗ führungen der Abgg. Frau Röhl, Frau Christmann, und dem Abg. Weyl auseinander. Wenn die Abg. Frau Christnann, fährt er fort, angeregt hat, Zwangsarbeit gegen diejenigen Väter unehe⸗ licher Kinder, die sich der Unterhaltspflicht entziehen, zu verordnen, so darf ich sagen, daß ich bloß die Schublade aufzuziehen brauchte und mit Freuden einen Gesetzentwurf, den wir schon fertig haben, auf Wunsch dem Landtage unterbreiten würde. Ich fürchte aber, daß mit derartigen Maßnahmen nachhaltige Wirkungem in dieser Richtung nicht erzielt werden können. Bezüglich des Reichsjugend⸗ wohlfahrtsgesetzes bedarf es besonderer Bemühungen Preußens nicht mehr. Der Gesetzentwurf soll unmittelbar nach Pfingsten im Plenum auf die Tagesordnung gesetzt werden. Bei den Sport⸗ vereinen, die Jugendliche zu ihren Mitgliedern zählen, dürfen wir nicht die Schwierigkeiten übersehen. Das Kultusministterium hat festgestellt, daß die Jugendpflege in diesen Vereinen durch Er⸗ wachsene pädagogisch noch unrichtig behandelt wird. Das bezieht sich durchaus nicht nur auf die Arbeitersportvereine. Es ist doch