1922 / 259 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 15 Nov 1922 18:00:01 GMT) scan diff

gew. Anthrazit Nuß G

2 2 ungew. Feinkohlen .. . gew. Feinkohlen.. 1

Schlamm⸗ u. minderw. Feinkohlen: minderw. Feinkohlhrnen.. Schlammkohllennn .. Mittelprodukte und Nachwaschkohlen Feintbetss sehberge. . . . . . ....

Koks:

Großkoks I.

1

III Gießereikoks. Brechkoks I..

8 ITI.

8 II Koks, halb ges. und halb gebr. Knabbel⸗ und Abfallkoks.. Hleinlsts, gesiebt Perlkoks, gesiibvbvrvbt . 20 074,— J111* 8102,—

II. Rheinisches Braunkohlensyndikat. Kölner Gruben.

.8192,— ℳ] mit Frachtgrund⸗ .8204,— lage Liblar

24 500,— 24 500,— 22 835,— 20 074,— 21 359,— 21 221,— 21 077,—

BI1“ Fßrberkohlien. 2290,— Siebkohlen. 2348,— Brikettabriiiel. 66144,— Förderkohlen der Gewerkschaft Juntersdorrt 4696,—

Die neuen Verkaufspreise für die übrigen Brennstoffsorten werden noch bekanntgegeben.

Die in der Bekanntmachung vom 28. April 1920 (Reichs⸗ anzeiger Nr. 91) und vom 29. September 1920 (Reichsanzeiger Nr. 222) enthaltenen allgemeinen und Sonderbestimmungen gelten auch für die vorgenannten Brennstoffverkaufspreise.

Berlin, den 15. November 1922.

Aktiengesellschaft Reichskohlenverband. Brecht. Löffler.

ab Werk

Preußen.

Dem Elektrizitätsverband Büren⸗Brilon zu Brilon wird hierdurch 88 Grund des Gesetzes vom 11. Juni 1874 (Gesetzsamml. S. 221) das Recht verliehen, das zum Bau von Ueberlandleitungen einschließlich der erforderlichen Transformatorenstationen im Kreise Büren im Regierungs⸗ bezirk Minden und im Kreise Brilon sowie in dem Geseker Zipfel des Kreises Lippstadt im Regierungsbezirk Arnsberg erforderliche Grundeigentum im Wege der Enteignung zu erwerben oder, soweit dies ausreicht, mit einer dauernden Be⸗ schränkung zu belasten. Auf staatliche Grundstücke und staatliche Rechte an fremden Grundstücken findet dieses Recht keine An⸗ wendung.

Gleichzeitig wird auf Grund des § 1 des Gesetzes über ein vereinfachtes Enteignungsverfahren vom 26. Juli 1922 (Gesetzsamml. S. 211) bestimmt, daß die Vorschriften dieses Gesetzes bei der Ausübung des vorstehend verliehenen Ent⸗ eignungsrechts Anwendung zu finden haben.

Berlin, den 10. November 1922. Das Preußische Staatsministerium. Der Minister für Handel und⸗Gewerbe. ’“

Finanzministerium.

Im Preußischen Finanzministerium ist der Amtsrichter Dr. Habbena zum Finanzrat ernannt worden.

M“ Bekanntmachung,

betreffend Ungültigkeitserklärung von verloren⸗

gegangenen und eingezogenen Sprengstofferlaubnis⸗ scheinen.

Die von dem Landrat des Kreises Hünfeld für den Po lier⸗ und Sprengmeister Wilhelm Krämer in Mansbach unter Nr. 4 und von dem Polizeipräsidenten in Kiel für den Sprengtechniker der Spreng⸗ und Tauchgesellschaft Hinz in Kiel unter Nr. 19 des Verzeichnisses ausgestellten Spreng⸗ stofferlaubnisscheine sind verloren gegangen und werden hiermit für ungülig erklärt. Die von dem Landrat des Kreises Weil⸗ burg für den Aufseher Albert Hirschhäuser in Selters unter Nr. 123 und dem Landrat des Kreises Züllichau für den Drogisten Erich Mauer und seinen Geschäftsführer Willi Stoll unter Nr. 1 des Verzeichnisses ausgestellten

Sprengstofferlaubnisscheine sind zurückgenommen worden haben keine Gültigkeit mehr. v“ Berlin, den 11. November 1922. Zugleich für den Minister des Innern. Der Minister für Handel Gewerbe. J. A.: von Meyeren.

Ministerium des Innern.

Auf Grund des § 1 des Gesetzes zur Durchführung der Artikel 177, 178 des Friedensvertrags vom 22. März 1921 (RGBl. S. 235) wird mit Zustimmung der Reichsregierung der „Selbstschutz Charlottenburg E. V.“ hierdurch auf⸗ gelöst, weil aus seinem Verhalten hervorgeht, daß sein Fcet im WG zu den angezogenen Bestimmungen des Friedens⸗ vertrags steht.

Personen, die sich an dem nunmehr aufgelösten Verein als Mitglied beteiligen, werden gemäß § 4 des Gesetzes mit Geld⸗ strafe bis zu 50 000 oder mit Festung bis zu 3 Monaten oder mit Gefängnis bis zu gleicher Dauer bestraft.

Berlin, den 13. November 1922.

Der Minister des Innern. Severing.

8 . Auf Grund des § 1 des Gesetzes zur Durchführung der Artikel 177, 178 des Friedensvertrags vom 22. März 1921 (RGBl. S. 235) wird mit Zustimmung der Reichsregierung der „Heimatbund Brandenburg und Restkreise Posen“ hierdurch aufgelöst, weil aus seinem Verhalten hervorgeht,

daß sein Zweck im Widerspruch zu den angezogenen Be⸗ stimmungen des Friedensvertrags steht.

Personen, die sich an dem munmehr aufgelösten Bunde als Mitglieder beteiligen, werden gemäß § 4 des Gesetzes mit Geldstrafe bis zu 50 000 oder mit Festung bis zu drei Monaten oder mit Gefängnis bis zu gleicher Dauer bestraft.

Berlin, den 13. November 1922. 8

Der Minister des Innern. Severing. Ministerium für Landwirtschaft, und Forsten.

Beim Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Serec ist der Polizeikanzleiassistent Lawrenz zum Ministerial⸗ anzleisekretär ernannt worden.

Domänen

Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. Der bisherige außerordentliche Professor Dr. Franke ist zum ordentlichen Professor an der Technischen Hochschule Berlin ernannt worden.

Bekanntmachung. Dem Kaufmann Chr. Martensen in Marne ist der Erlaubnisschein zum Großhandel mit Butter entzogen worden. Meldorf, den 7. November 1922. Der Landrat. Dr. Pauly.

Deutsches Reich.

Die vereinigten Ausschüsse des Reichsrats für Haushalt und Rechnungswesen, für Volkswirtschaft, für innere Verwal⸗ tung, für Verkehrswesen, für Steuer⸗ und Zollwesen, für Rechtspflege, für Reichswehrangelegenheiten und für Seewesen halten heute, am Freitag und Sonnabend dieser Woche sowie am Montag und am Dienstag nächster Woche Sitzungen, in denen der 5. Nachtrag zum Reichshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1922 beraten werden soll.

8 8 8 1“ 1“X“

Deutscher Reichstag. 8 83 266. Sitzung vom 14. November 1922, Nachmittags 2 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger“).)

Vor Eintrit in die Tagesordnung nimmt das Wort

Präsident Löbe: Durch den Telegraphen und aus den Zeitungen ist Ihnen bekannt geworden, daß die mit uns in befreundeten Be⸗ ziehungen stehende chilenische Republik von einem großen Erdbebenunglück heimgesucht worden ist (die Avbgeordneten erheben sich). Viele Hunderte Menschenleben sind ihm zum Opfer gefallen, Tausende haben Obdach und Heim verloren; blühende Städte und Dörfer sind zerstört, fruchtbare Felder vernichtet, ein furchtbares Unglück ist über das Land gekommen. Das deutsche Volk nimmt innigen und schmerzlichen Anteil an dem schweren Schicksalsschlag, der das Land betroffen hat. Ich glaube im Sinne aller Abgeordneten ohne Unterschied der Partei zu sprechen, wenn ich das hier zum Ausdruck bringe. Sie haben sich erhoben zum Zeichen h9s Einverständnisses mit meinen Worten und zum Zeichen der Teil⸗ nahme.

Auf der Tagesordnung stehen zunächst 25 Anfragen.

Eine Anfrage der Deutschen Volkspartei hat eine Be⸗ merkung der „Vossischen Zeitung“ vom 11. Oktober 1922 zum Gegen⸗ stande, worin es heißt, es wäre sehr erwünscht, darüber Aufklärung zu erhalten, von welcher Stelle Aufträge zum Ein⸗ kauf ausländischen Getreides an Händler gegeben worden sind, die zunächst nichts Eiligeres zu tun hatten, als sich in den Devisen einzudecken. Es wird angefragt, in welcher Weise durch die Reichsgetreidestelle Auslandskäufe in Getreide getätigt werden.

Aus der Antwort des Vertreters des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft geht hervor, daß die Käufe der Reichsgetreidestelle in Auslandsgetreide nach einem 1919 abgeschlossenen Vertrag durch die Einfuhrgesellschaft für Getreide und Futtermittel erfolgen. In dieser Gesellschaft sind der in Deutschland ansässige Getreidehandel und die Ge⸗ nossenschaften zusammengeschlossen. Bestimmte Bestellungen von Auslandsgetreide werden nicht gegeben, die Käufe erfolgen im Rahmen des von der Reichsregierung genehmigten Einfuhrprogramms und sind abhängig von dem Bedarf an Auslandsgetreide, den die Reichsgetreidestelle bei der Durchführung der Brotversorgung hat. Die Käufe erfolgen fast ausschließlich gegen Zahlung bei Vorzeigung der Seeverschiffungspapiere. Die Anschaffung der erforderlichen Devisen erfolgt ausschließlich für die Reichsgetreidestelle und für die Einfuhr⸗ gesellschaft durch die Devisenbeschaffungsstelle und durch die Reichs⸗ bank. Seit dem 1. Ottober 1921 sind durch die Reichsgetreidestelle direkt keine Abschlüsse erfolgt. Provisionen werden von der Reichs⸗ getreidestelle nicht gezahlt. Die Auslandskäufe der Einfuhrgesellschaft erfolgen nach den Weisungen der Reichsgetreidestelle. Für die Ge⸗ schäfte im ausländischen Getreide gelten die internationalen Getreide⸗ verträge, der Londoner Vertrag und zum Teil der deutsch⸗holländische Vertrag. Verdorbenes Getreide ist nicht angeliefert worden. Alle der Reichsgetreidestelle entstandenen Schäden wurden durch die vom Verkäufer zu zahlende Vergütung gedeckt.

Auf die Anfrage der Deutschnationalen, ob die Reichs⸗ regierung bereit ist, dem deutschen Wein bau auch in diesem Jahre zur Zuckerung des diesjährigen Weines angesichts des un⸗ günstigen Verlaufs des Nachsommers und der Herbstwitterung ent⸗ sprechende Mengen von Inlandszucker zuweisen zu lassen, antwortet der Vertreter der Regierung bejahend und stellt eventuell eine angemessene Erhöhung des schon bewilligten QOuantums in Aussicht.

Abg. Findeisen (D. Pp.) verliest eine Anfrage, welche die von dem thüringischen Staatsministerium erlassene neue Verordnung zur Bekämpfung der Preis⸗ treiberei und das darin beliebte summarische Verfahren gegen des Wuchers beschuldigte Personen bemängelt. 8

Die Antwort des 58 ngsvertreters geht dahin, daß damit nicht eine eingehende Gerichtsverhandlung vorweggenommen, sondern vielmehr schnell eine Grundlage zur Anstrengung eines Straf⸗ verfahrens gewonnen werden solle. Wenn der Beschuldigte Einspruch erbebe, komme es zur Anberaumung der Verhandlung vor dem Wuchergericht. Gegen das Verfahren könne ein Einwand nicht er⸗ hoben werden, auch nicht gegen die zwangsweise Vorführung des Be⸗ schuldigten. Auch liege keine Beeinträchtigung der Verteidigung vor.

Abg. Gräf⸗Thüringen (D. Nat.) fragt an, ob die Reichs⸗ regierung bereit ist, schleunigst ein Notgesetz einzubringen, welches die schiedsgerichtliche Entscheidung durch die ordentlichen Gerichte im Zivilprozeßverfahren erleichtert. Unter dem Zusammensturz der deutschen Währung

*) Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgehobenen Reden

Herxen Minister, die im2

gerichtshof und bei den Verwaltungsbehörden zu verhindern.

sei das Verfahren nach der geltenden Zivilyrozeßordnung eine Un⸗

fseehee. möglichkeit geworden; bei der Notlage im Rechtsverkehr könne die

ommende Zivilprozeßordnungsreform nicht abgewartet werden. 8 Seee. Landgerichtsrat Dr. Jonas: Auch die Reichsregierung gibt zu, daß das jetzige Zivilprozeßverfahren an er⸗ heblichen Mängeln krankt. Sie ist bemüht, die Reform so schnell als möglich zum Abschluß zu bringen. Augenblicklich bildet der erste, das Erkenntnisverfahren erster Instanz umfassende Teil den Gegen⸗ stand der Beratung einer Sachverständigenkommission, 8 Oktober zum erstenmal getagt und die Grundlmien des Entwurfs er⸗ örtert hat. Dabei ist auch der Vorschlag eines Notgesetzes erwogen, aber als nicht durchführbar erkannt worden. Die Gesamtreform wird mit größter Beschleunigung gefördert, und es wird neuerdings noch⸗ mals geprüft 62 die Vorwegnahme einzelner Neuerungen wirksame Abhilfe verspricht. 1 1“ 8 Auf eine weitere Anfrage des Abg. Gräf (D. Nat.) läßt die Reichsregierung erklären, daß die Frage der Streitig⸗ keiten über den Wertersatz bei Rückgabe des In⸗ ventars an den Verpächter vom Reichsgericht durch die

die zu Ende

Fixierung bindender Grundsätze ihrer Erledigung näher gebracht sei,

da damit auch die Rechtsprechung allgemeine Unterlagen und Anhalts⸗ punkte erhalten habe. Ueber die Aenderung der Bestim⸗

mungen betreffs mündelsicherer Anlegung von

GHeldern seien Erörterungen mit den Regierungen der Länder ein⸗ Get. nicht abgeschlossen. Eine Erhöbung des gesetzlichen Zinsfußes für Verzugszinsen über 4 vH hinaus sei zurzeit noch nicht angezeigt.

geisn. Anfrage des Abg. Grafen von Westarp (D. Nat) be⸗ mängelt das Verfahren bei der Beschlagnahme der „Niederdeutschen Zeitung“ durch den Oberpräsidenten in Hannover, insbesondere den Umstand, daß die Schriftleitung keine Gelegenheit zur Verteidigung erhalten habe. Die Anfrage geht dahin, was die Regierung tun wolle, um derartige, die Rechte der freien

Presse sehr gefährdende Mängel des Verfahrens bei dem 16 e

Regierungsvertreter erklärt die Auffassung des Fragestellers

über das beobachtete Verfahren für irrig und bemerkt, daß die Be⸗ schlagnahme nach dem Gesetz über den Schutz der Republik ordnungs⸗ mäßig erfolgt sei und daß eine mündliche Verhandlung darüber nicht erforderlich sei.

G Auf . Ergänzungsfrage des Abg. Grafen von W estarp, ob die Regierung nicht ein Verfahren einführen wolle, das Gelegen⸗ heit zur Verteidigung in mündlicher Verhandlung gebe, erfolgt keine Antwort. 1

Auf eine Anfrage des Aba. Thomsen (D. Nat.) erklärt der Vertreter des Ministers für Ernährung und Land⸗ wirtschaft, daß allerdings bis zum 24. Oktober 52 000 Tonnen Kleie in Muüͤhlen und Lagern der Reichsgetreide⸗ stelle eingelagert worden sind. Davon seien aber bis zu dem⸗ selben Tage 29 000 Tonnen dem Verbrauch zugeleitet worden, die restlichen 23 000 Tonnen gingen auf Lager. Diese Hemmung des Kleieabsatzes sei der Reichsgetreidestelle selbst unerwünscht, aber eine Anzahl von Kommunalverbänden habe mit der Uebernahme und Ver⸗ teilung der Kleie bis zur endgültigen Preisfestsetzung warten wollen. Da nunmehr der Preis für die den Landwirten zustehende Kleie fest⸗ stehe, werde die weitere Abladung der Kleie beschleunigt erfolgen können. Eine Anfrage des Abg. Dr. Rießer (D. Vp.) fragt nach den Maßnahmen zur Besserung der bedrängten Lage vieler Aerzte infolge der maßlosen Teuerung. Der Regie⸗ rungsvertreter erwidert, daß die letzte Gebührenerhöhung in Preußen aller dings der Teuerung noch nicht genügend Rechnung trage, daß aber von Preußen mit Wirkung vom 1. November ab neue Ge⸗ bührensätze bestimmt werden sollen, und daß sich voraussichtlich andere Länder, namentlich auch Sachsen und Bayern, dem preußischen Vor⸗ gehen anschließen würden. Für eine gesetzliche Regelung der Be⸗ ziehungen der Aerzte zu den Krankenkassen sei die Reichsregierung bemüht.

Abg. Hensel⸗Ostpreußen (D. Nat.) verlangt in einer Anfrage Hindenburg in Ostpreußen aufgenommen ist. Der Regierungsvertreter

erklärt, daß die Entscheidungen der Filmoberprüfungsstelle keiner

des Films, der beim Besuch von

die Aufhebung des Verbots des Generalfeldmarschalls

Nachprüfung unterliegen. Die Reichsregierung könne daher eine Auf⸗

hebung des Verbots, das sich übrigens auf öffentliche Vorsührungen beschränke, nicht veranlassen.

Abg. Thomas (Komm.) fragt an, ob es richtig sei, daß der Reichsbankpräsident Havenstein nach seiner Rückkehr von London er⸗ klärt habe, er sei nicht verpflichtet, der Reichsregierung irgendwelche Aufschlüsse zu geben. Was gedenke die Regierung dagegen zu tun, daß Privatleute die Bevormundung der Reichsregierung und die Ent⸗ scheidung über die Geschicke des ganzen Volks sich anmaßten? Ein Regierungsvertreter erwidert, daß Herr Havenstein nach seiner Rückkehr von London die Bereitwilligkeit der Reichs⸗ bank erklärt habe, mit ihren Mitteln einzugreifen. Nähere Mitteilungen über die Abmachungen mit der Bank von Eng⸗

land zu machen, lehnte er aber ab, da es sich um eine rein ge⸗

schäftliche Transaktion gehandelt hätte, zu deren Geheimhaltung er verpflichtet sei. Nach Ansicht der Reichsregierung ist es zutreffend, daß für den Reichsbankpräsidenten keine Verpflichtung besteht, der Reichsregierung Mittetlungen über geschäftliche Verhand⸗ lungen zu machen. Von der Anmaßung einer Entscheidung über die Geschicke des ganzen Volkes durch Privatleute ist keine Rede.

Eine Anfrage der Deutschen Volkspartei über Mängel im Kartoffelversand im Bezirk der Grenzmark wird von einem Regierungsvertreter dahin beantwortet, daß in diesem Herbst bedeutend mehr Kartoffeln verfrachtet worden seien als im Vorjahre, und daß insbesondere Berlin einen Hauptanteil an dem Kartoffeltransport gehabt habe. Der Regierungsvertreter legte als Beleg für seine Behauptung eine große Anzahl statistischer Zahlen vor.

Eine Anfrage des Abg. Grafen von Westarp (D. Nat.) be⸗ zieht sich darauf, daß bei Ausführung der Gesetze zum Schutze der Republik in zahlreichen Fällen gegen Angehörige der deutschnationalen Volkspartei und andererrechts⸗ stehender Kreise Haussuchung, Beschlagnahme, vorläufige Festnahme und Verhaftung angeordnet worden seien ohne gesetzlichen Grund und unter Ver letzung, gesetzlicher Vorschriften. Unter anderem werden in der Anfrage angeführt die mehrstündige Durch⸗ suchung der Geschäftsräume des Landesverbandes der deutsch⸗ nationalen hessischen Volkspartei und der Privatwohnung des Landesgeschäftsführers Korvettenkapitäns a. D. Freiherrn von Forstner in Offenbach, die Durchsuchung der persönlichen Büroräume der Landesverbandsvorsitzenden Dr. Karl Klingspor und seines Privat⸗ sekretärs Dr. Riedel in Offenbach und die Durchsuchung der Büro⸗ räume des Vorsitzenden der Ortsgruppe Offenbach, Fabrikanten W. Klingspor, ferner die Haussuchung, die in der Nacht zwischen 3 und 4 Uhr in Weimar bei dem Literarhistoriker Adolf Bartels vorgenommen wurde, die Verhaftung des Oberpostsekretärs Faß⸗ hauer, des Haupt manns Lauterbach, der Oberlehrer Dr. Franz und Dr. Bamler sowie des Bankbeamten Grafe in Gera⸗Reuß usw. Es wird gefragt, ob die Beamten zur Rechenschaft gezogen worden sind, die sich dieser Rechtsverletzung schuldig gemacht haben, und was die Reichsregierung zu tun gedenke, um derartigen Rechtsverletzungen und Verstößen gegen das Gesetz vorzubeugen.

Ein Regierungsvertreter erwidert: Die Antworten der Landesregierungen, bei denen wegen der Einzelfälle angefragt worden ist, sind größtenteils noch nicht eingegangen (hört! hört! rechts). Bezüglich der Vorkommnisse in Gera haben die Ermittelungen der thüringischen olgendes ergeben: Die thüringische Regierung ist in dem Besitz von Material, welches die in der Anfrage Genannten dringend verdächtig erscheinen läßt, an gewaltsamen Umsturzbestrebungen beteiligt zu sein. Insbesondere ist ein Brief aufgefunden und dem Reichsminister des Innern in Abschrift übermittelt, der vom Er⸗ schlagen einer bestimmten Person spricht und somit den Schluß zuläßt,

daß hier ein politischer Mord geplant ist. Die Ermittelungen sind

noch nicht abgeschlossen. Bei sämtlichen Verhaftungen und Durch⸗

8. C“ 1“ v1I1““ 8

suchungen ist von der thüringischen Regierung gesetzmäßig verfahren worden.

Zwei weitere Anfragen des Abg. Grafen von Westarp (D. Nat.) beziehen sich auf Fälle von Gewalttätigkeiten gegen rechtsstehende Kreise. Genannt werden in den Anfragen insbesondere Vorkommnisse in Freiburg im Breisgau bei einer Regimentsfeier, in Frankfkurt am Main, wo gelegentlich eines Streiks von den Demonstranten der Adlerwerke mehrere Personeu durch Schüsse schwer verletzt wurden, in Dortmund, wo die Annakirche

eplündert wurde, ferner die Erstürmung und Plünderung des Guts⸗ auses des Grafen Gneisenau in Sommerschenburg, bei der ein Guts⸗ verwalter und ein Feldhüter tödlich mißhandelt wurden; ferner sei in Heidelberg am 4. Juli Prof. Lennard aus seinem physikalischen Institut herausgeholt, durch die Straßen geschleift, mißhandelt, verhöhnt und bespuckt worden. Noch eine ganze Reihe ähnlicher Ausschreitungen wird in den beiden Anfragen erwähnt, und es wird gefragt, ob die Strafverfolgung gegen die Täter eingeleitet und ihre Ermittlung und Festnahme erfolgt sei. Warum hätten die Behörden nicht die nötigen Maßnahmen ergriffen, um den verbrecherischen Handlungen vor⸗ zubeugen und seien sie dafür zur Rechenschaft gezogen? Sei die Reichsregierung nunmehr bereit, der Neigung aufgereizter Massen zu verbrecherischen Gewalttätigkeiten gegen rechtsstehende Kreise entgegen⸗ zuwirken und die Parole „Der Feind steht rechts“, auf die diese Neigung zum großen Teil zurückzuführen sei, zurückzunehmen?

Ein Regierungsvertreter erwidert, daß die Antworten über die in den Anfragen bezeichneten Vorgänge von den Landes⸗ regierungen erst teilweise eingegangen seien. Bezüglich des Falles Lennard in Heidelberg nahm der Regierungsvertreter Bezug auf die schriftliche Beantwortung der Anfrage des Abg. Curtius. Hiernach ist Professor Lennard weder mißhandelt noch durch die Straßen ge⸗ schleift worden, ebenso wenig ist er verhöhnt oder gar bespeit worden. Richtig ist nur, daß Professor Lennard anläßlich einer Trauer⸗ feier für den ermordeten Minister Rathenau ein solches Verhalten an den Tag gelegt hat, daß er zu seiner eigenen Sicherheit in Schutz⸗ haft genommen werden mußte, um ihn vor Verunglimpfungen der erregten Bevölkerung zu schützen. Nach den bisherigen Ergebnissen der Ermittelungen liegt für die Reichsregierung kein Anlaß zum Eingreifen vor. -

Eine ergänzende Anfrage des Abg. Grafen von Westarp, ob die Regierung glaube, auf dem Wege, daß sie von zwei Dutzend Fällen nur drei oder vier beantworte, die Antwort auf die übrigen Fälle aber verweigere, der Neigung der Massen zu Gewalttätigkeiten ggen Kreise entgegentreten zu können, erfolgt keine Antwort.

Auf eine Anfrage der Deutschnationalen, betreffend die Tarifdiktatur des Reichsverkehrsministeriums, Ersparnisse im Kohlenverbrauch und stärkere Be⸗ lastung des Verkehrs der Ausländer, erwidert ein Regie⸗ rungsvertreter: Die Tarifmaßnahmen der Eisenbahnen tragen dem Bekasleg Rechnung, daß die Ausgaben des ordentlichen Haus⸗ halts unter allen Umständen durch dessen Einnahmen zu decken sind. Dies führt dazu, daß die Tarife der Geldentwertung Rechnung tragen müssen. Im übrigen nahm der Regierungsvertreter auf die dem Reichstag zugegangene Denkschrift über die Tarifpolitik der deutschen Reichsbahnen Bezug. Auf die Ersparnis von Brennstoff werde fort⸗ dauernd hingewirkt, es sei die Einführung eines Prämienverfahrens beabsichtigt, sobald ausreichende und regelmäßige Belieferung mit Kohlen gesichert sei. Eine Sonderbehandlung der valutastarken Aus⸗ länder lasse sich nicht mit internationalen Verkehrsgrundsätzen der Gleichbehandlung von In⸗ und Ausländern vereinbaren. Auch ab⸗ fertigungstechnisch ließe sich eine Sonderbehandlung der Ausländer nicht durchführen. Im Güterverkehr sei eine derartige Maßnahme durch den Versailler Friedensvertrag ausgeschlossen.

Eine Anfrage des Abg. Schimmelpfennig (D. Nat.) vom 21. Oktober stellt fest, daß sich in den Großstädten, be⸗ sonders in Berlin, ein von Tag zu Tag stärker fühlbarer Mangel an Eßkartoffeln bemerkbar macht, der in erster Linie auf die völlig ungenuügende Gestellung von Eisenbahnwagen zurückzuführen sei. Die Reichsregierung wird gefragt, wie sie die Zusage des Reichsverkehrsministeriums wegen usreschenher Wagengestellung für den Kartoffelversand zu erfüllen gedenkt.

Der Vertreter des Reichsverkehrsministers er⸗ widert: In der letzten Zeit sind derartige Klagen nicht bekannt ge⸗ worden, es ist auch nicht anzunehmen, daß irgendwo ein solcher Mangel besteht. In der Zeit vom 1. September bis 9. November sind auf der Eisenbahn etwa 78 Millionen Zentner befördert und daneben gewaltige Mengen als Stückgut verfrachtet worden. In Berlin ist nicht Mangel, sondern Ueberfluß an Kar⸗ toffeln vorhanden. Die Kartoffelhändler haben schon am 25. Oktober geklagt, daß sie in Berlin nicht genügend Ab⸗ nehmer für die Kartosselladungen fänden und daher gezwungen seien, die Kartoffeln anderswohin zu verfrachten. Die Reichsbahn⸗ direktion hat in Berlin im großen Umfange Turnhallen, leere Schuppen und dergleichen anmieten müssen, um die Stückgutkartoffeln unterzubringen. Die Kartoffelsendungen haben sogar vor den Toren Berlins auf den Vorbabnhöfen abgestellt werden müssen, und der Versand von Frachtstückgut aus Berlin mußte mehrfach gänzlich ein⸗ gestellt werden, um zunächst die Entladung und Auslieferung der ein⸗ gehenden Kartoffelstückgutsendungen bei der drohenden Frostgefahr zu bewältigen.

Abg. Aufhäuser (Soz.) fordert in einer Anfrage be⸗ schleunigte Erledigung der Anträge auf An⸗ rechnung von außerplanmäßiger Dienstzeit auf das Besoldungsdienstalter in einem anderen Zweige des Reichsdienstes. Der Vertreter des Reichsfinanzministeriums Dr. Olscher erwidert: Es ist nicht zutreffeend, daß der Minister sich in jedem einzelnen Falle derart die Entscheidung vorbehalten habe. Es sind im Gegenteil die übrigen Reichsressorts in weitem Um⸗ fange allgemein ermächtigt worden, ohne seine Zustimmung die Festsetzung zu treffen. Schon seit längerer Zeit ist daher bei fast allen Reichsressorts diese Festsetzung bereits beendet. Eine Ausnahene bildet lediglich die Anrechnung solcher Zeitabschnitte auf das Be⸗ soldungsdienstalter der technischen Beamten bei der Verkehrsverwaltung. Hier ist die Ausarbeitung von Richtlinien im Gange, zurzeit liegen dieselben dem Reichsverlehrsminister vor. Danach ist zu erwarten, 1nc die Anträge dieser Beamten in kürzester Frist berücksichtigt werden.

Eine weitere Anfrage des Abg. Aufhäuser betrifft die Er⸗ höhung der Beträge für die Unterstützung tech⸗ nischer Hilfskräfte der Eisenbahnverwaltung, die wegen Erreichung des 65. Lebensjahres ent⸗ lassen worden sind. Der Ministerialrat Sommerlatte erklärt: Die regelmäßige Unterstützung in Höhe von 9000 wird verdoppelt werden, sobald die betreffende Nachtragsforderung bvom Reichstag bewilligt ist, außerdem wird den Hiltskräften eine weitere einmalige Unterstützung zuteil werden. Auch ist vom 1. April 1923 an eine weitere Erhöhung des Fonds für Unterstützungen dieser aus⸗ geschiedenen Hilfskräfte eventuell in Aussicht genommen, sofern der Reichstag sich dafür ausspricht.

Auf eine Anfrage des Abg. Eggerstedt (Komm.) erwidert der Vertreter der Regierung, daß die Reichsmonovolver⸗ waltung für Branntwein der Sulfitspiritusgesellschaft gemäß ihrem Antrage ein Darlehn in angemessener Höhe ge⸗ währen wird, um die Sulfitablaugen der Zellulosefabriken in größerem Umfange als bisher für die Branntweingewinnung auszunutzen.

Abg. Deglerk (D. Nat.) bringt in einer Anfrage zur Sprache, daß der von einem schlesischen Rittergut bestellte Brennspiritus von der Reichsmonopolverwaltung in Erwartung neuer, höherer Preise nach eigener Angabe dieser Verwaltung gesperrt worden ist. Die Reichsmonopolver⸗ waltung habe also die Ware zurückgehalten, um höhere Preise heraus⸗ zuschlagen. Ein privater Geschäftsmann würde dafür wegen Wuchers zur Verantwortung gezogen werden. 6““

Vom Vertreter der Regierung wird erwidert, daß die Reichsmonopolverwaltung durchaus innerhalb ihrer Befugnisse ver⸗

hren sei, und daß ihr Vorgehen sich aus der Gefahr eechtfertige, die

doraus entstehe, daß das Gewerbe sich vor der Einberufung des Beirats bis zur Festsetzung der höheren Preise in großem Umfange sich vorversorge, was unbedingt verhindert werden müsse. Ob in dem erwähnten Fall die Ablehnung zu Recht erfolgt sei, lasse sich ohne nähere Angaben nicht nachprüsen.

Auf eine Anfrage der Deutschnationalen, die Unter⸗ verteilung im Getreideumlagesetz betreffend, läßt der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft erwidern, daß die Unterverteilung der Umlage den Ländern obliege und ein Einfluß auf die Bemessung des Liefersolls der einzelnen Be⸗ triebe den Reichsbehörden nicht zustehe; die letzte Entscheidung werde von den Beschwerdeausschässen gefällt.

Der Abg. Künstler (Soz.) hat die Feststellungen vor dem Schöffengericht in Flensburg, wonach in der Marineschule Mürwik das Ehrhardt⸗ und das Löwenfeldlied von republikanischen Offizieren gesungen worden sei, zum Gegenstand einer Anfrage ge⸗ macht. Die Reichsregierung soll darüber Auskunft geben, was sie tun will, um diese Offiziere, die sich durch ihr Verhalten gegen die Republik erklärt haben, zur Rechenschaft zu ziehen, und ob sie die genannten Lieder verboten hat. Der Kapitän zur See Brutzer erwidert: Schon im November 1920 sind für den Bereich der Marine Lieder, die politisch Anstoß erregen müssen, verboten worden. Hierzu sind Lieder der Art und der Fassung, wie sie der Anfrager zitiert, selbstverständlich zu rechnen. Der in der Anfrage wiedergegebene Text weicht von den in der Wehrmacht bekannten und früher gebräuchlichen wesentlich ab. Bei den Vorgängen in der Marineschule, die Gegen⸗ stand der gerichtlichen Untersuchung waren, sind diese Lieder nicht gesungen worden. In zurückliegender Zeit haben Fähnriche gelegent⸗ lich die Lieder gesungen; gegen diese Fähnriche wird das weitere ver⸗ anlaßt. Ossiziere waren nicht beteiligt.

Die Abgordneten Wels und Dr. Braun (Soz.) bringen zur Sprache, daß nach bisher unwiderrufenen Nachrichten der ehemalige Kaiser in Berlin ein Diadem von unge⸗ heurem Werte (mehrere hundert Millionen Mark) habe an⸗ fertigen lassen, das als Brautgeschenk für seine künftige Ehefrau nach Holland überführt werden solle. Sie fragen an, ob die Genehmigung zur Ausfuhr erteilt ist, beziehungs⸗ weise ob die Regierung Auskunst über den Verbleib des Schmuck⸗ stückes erteilen kann, und welche strafrechtlichen Maßnahmen eventuell ergriffen werden sollen. Oberregierungsrat Dr. Willecke erklärt: Ein Ausfuhrantrag für ein solches Diadem oder einen sonstigen wert⸗ vollen Schmuck für den ehemaligen Kaiser in Holland ist bei den zuständigen Ausfuhrstellen nicht ermittelt worden. Die Nachforschung des Landesfinanzamts Groß Berlin hat ergeben, daß es sich um einen Schmuck handelt, der von einem schlesischen Grafen zur Bearbeitung einem Berliner Juwelier übergeben worden ist und im Eigentum der Familie in Deutschland verbleibt. (Stürmisches Gelächter rechts, Rufe: Reingefallen!) Die Reichsregierung kann daher auf Grund des bisher vorliegenden Materials keine weiteren Schritte veranlassen.

Eine Anfrage des Abg. Lambach (D. Nat.) verlangt wirk⸗ sameren Schutz des ungehinderten Verkehrs und der Sicherheit auf den Landstraßen unter Bezugnahme auf Verschleppungen junger Menschen, die in der Harzgegend durch Werber für die Fremdenlegion geschehen sein sollen.

Aus der Antwort des Reichsministeriums des Innern geht hervor, daß besonders in Mitteldeutschland derartige Presse⸗ nachrichten verbreitet worden sind; die Richtigkeit dieser Behauptungen habe aber bisher in keinem einzigen Falle sestgestellt werden können. Die darauf bezüglichen Erhebungen seien noch nicht abgeschlossen. Die Reichsregierung habe im Benehmen mit den Landesregierungen schon seit längerer Zeit und jetzt wiederum Maßnahmen getroffen, um den Werbungen für die Fremdenlegion mit möglichster Schärfe entgegenzutreten.

Damit sind die Anfragen erledigt. Ihre Beantwortung hat über 1 ½ Stunde in Anspruch genommen.

Vor dem Eintritt in die Beratung des zweiten Gegen⸗ standes der Tagesordnung, einer neuen Geschäftsordnung für den Reichstag, bemerkt 8

Abg. Schultz⸗Bromberg (D. Nat.): Ich beantrage noch⸗ mals, wie gestern, die heutige Sitzung aufzuheben und eine neue Sißung, womöglich noch heute, zu berufen, in der die Regierung ihre Erklärung über die Lage der Politik abzugeben hat. Niemand im Lande begreift, daß der Reichstag diese innere Angelegenheit seiner Geschäftsordnung berät, während man draußen im Lande die schwerste Entscheidung erwartet. Die Regierung hat in einer neuen Note an die Reparationskommission egseveeens Verpflichtungen übernommen. (Hört, hört! rechts) Daran kann der Reichstag nicht vorübergehen. Da die Regierung eine Erklärung abgeben will, hält sie sich für aktionsfähig; ist sie aktionsfähig, so muß sie dem Reichstag Rede und Antwort stehen. (Sehr wahr! rechts.) Es entspricht nicht der Würde des Landes und des Hauses, wenn wir jetzt in eine Geschäftsordnungsdebatte eintreten, während das Land lechzt nach einer Erklärung, nach einer Tat. Wir wollen wissen, wie die Regierung zu den Dingen steht. (Beifall rechts.)

Abg. Koenen (Komm.): Wir müssen die Nöte des Volkes zur Sprache bringen, namentlich auch das neue Blutvergießen in Düssel⸗ dorf. Uebernimmt die Regierung die Verantwortung dafür? Dann soll sie sich nicht in Zimmerchen verkriechen, wo man Schiebungen macht für große oder kleine Koalition. Die Regierung muß vor dem Lande Farbe bekennen. Wir beantragen auch die Absetzung der Ge⸗ schäftsordnung von der Tagesordnung.

Das Haus lehnt die Aufhebung der Sitzung und die Ab⸗ setzung der neuen Geschäftsordnung von der Tagesordnung ab und tritt in die Beratung der vom Geschäftsordnungs⸗ ausschuß entworfenen neuen Geschäftsordnung ein.

Abg. Schmidt⸗Sachsen (Soz.) referiert über den Inhalt des Entwurfs und die Aenderungen an der bisherigen Geschäfts⸗ ordnung: Der Aeltestenrat, der bisher nur inoffizielle Be⸗ deutung hat, wird zu einem amtlichen Organ gemacht. Die Einbringung der sogenannten Kleinen Anfragen wird be⸗ schränkt, sie müssen dem Präsidenten vorgelegt und von dreißig Mitgliedern unterstützt sein. Die Reihenfolge der Redner zu bestimmen, wird dem Ermessen des Präsidenten überlassen, die Rededauer wird auf dreiviertel Stunde begrenzt. Die Ordnungs⸗ bestimmungen werden verschärft. Bei gröblicher Verletzung der Ord⸗ nung kann ein Mitglied durch den Präsidenten von der Sitzung aus⸗ geschlossen werden; verläßt es die Sitzung nicht, kann es für acht Sitzungstage ausgeschlossen werden und bei wiederholter Weigerung für 20 Sitzungstage. Eine Entziehung der Diäten und eine be⸗ waffnete Parlamentswache, wie in manchen Parlamenten des Aus⸗ landes, hat der Ausschuß nicht gutgeheißen.

Abg. Dr. Düringer (D. Pp.): Ich spreche nicht als Partei⸗ mitglied, sondern als Vorsitzender der Geschäftsordnungskommission. Allen Mitgliedern dieser Kommission sage ich Dank für ihre Mit⸗ arbeit, insIbesondere dem Kollegen Dr. Spahn und dem Kollegen Dr. Fehrenbach, der aus seinen Erfahrungen als Präsident viel zur Er⸗ ledigung unserer Arbeit beigetragen hat. Auf allen Seiten bestand der Wunsch, das Ziel zu erreichen, und es ist erreicht worden. Wir haben in anderthalb Jahren 19 Sitzungen gehabt, und was für polttische Krisen haben wir dieser Zeit erlebvt! Möge es auf Grund der neuen Geschäftsordnung gelingen, das Ansehen des Reichs⸗ tags zu erhalten. (Beifall.)

Praösident Löbe nimmt als Abgeordneter das Wort, während Vizepräsident Dr. Bell das Präsidium führt. Abg. Löbe führt aus: Auch ich möchte nicht als Redner einer Fraktion, sondern von all⸗ gemeinen Gesichtepunkten aus um Sympathie für einige Verbesse⸗ rungen der neuen Geschäftsordnung werben, und zwar besonders für das Kernstück unter ihnen, als welches ich die Begrenzung der Redezeit ansehe. (Lebh. Beifall.) Ich bin der Meinung, wenn je etwas dem Ansehen des Parlaments geschadet hat, so ist es neben gelegentlichen rednerischen Ausschreitungen, die gewöhnlich in der Berichterstattung übertrieben oder doch un⸗ nötig hervorgehoben werden, die Keberproduktion von Reden, die innerhalb und außerhalb des Hauses zur Plage geworden ist. (Lebh. Zustimmung.) Die Wähler draußen haben manchmal den

Eindruck einer Mühle, die mit unheimlichem Geräusch wohl klappert, aber sehr wenig Mehl gibt. An der wachsenden Geringschätzung der Parlamente ist nicht zum wenigsten der Vielredner schuld. Man hat gesagt, daß der überraschende Erfolg der Rutenbündler in Italien nicht zum wenigsten auf den Umstand zurückzuführen sei, daß dort das Parlament sich um sein Ansehen gebracht habe. Ich weiß das nicht, aber ich stelle auch von hier aus die Anfrage: Welcher Zweck wird eigentlich mit dem Halten von Reden verfolgt? Sie sollen den Zu⸗ hörer üͤberzeugen, den Gegner widerlegen, die Haltung der Parteien draußen rechtssrtigen und gelegentlich auch manchmal pro⸗ pagandistisch oder agitatorisch wirken. Der Fall, daß hier im Hause ein Zuhörer überzeugt worden ist, muß schon sehr lange zurück⸗ liegen (große Heiterkeit), denn meist sind die Angehörigen der eigenen Partei doch schon überzeugt. Die Anderen, die überzeugt werden sollen, sind meist nicht am Platz. (Heiterkeit.) Aber auch die Wider⸗ legung des Gegners wird sich doch in ganz anderer Weise durchführen lassen, wenn in schneller Rede und Gegenrede eine gewisse geistige Regsamkeit erzeugt wird, weil solche kurzen Reden nicht nur die Zu⸗ hörer, sondern event. auch die Gegner fesseln. Aber auch die andere Möglichkeit, nach außen zu rechtfertigen, propagandistisch zu wirken, hat ungeheuer abgenommen, seit wir eine so große Menge von Par⸗ lamenten haben, seit die Reden so überaus lang geworden sind und die Not der Zeitungen sie zu immer größeren Raumbeschränkungen zwingt. Darüber haben unter den Parlamentsjournalisten, unter denjenigen Herren, die als Mitarbeiter des Parlaments in öffentlicher Wirtlam⸗ keit in Frage kommen, in zweimaligen Versammlungen Auseinander⸗ setzungen stattgefunden. Ich selber habe im Verein Berliner Presse mich daran beteiligt. Es ist dort von den Herren festgestellt worden: Wir haben den Reichstag, den Preußischen Landtag, den Reichswirt⸗ schaftsrat, den Reichsrat und den Preußischen Staatsrat in Berlin, die öffentlich tagen. Der Reichstag hat 40 Ausschüsse, der Landtag ungefähr 20, die anderen haben ebenfalls Ausschüsse. Ueber die Ver⸗ handlungen dieser wird öffentlich berichtet. Wie ist es dann über⸗ haupt noch möglich, Leserschaft und Wählerschaft auf dem Laufenden zu erhalten über alles das, worüber in den Parlamenten gesprochen wird? Dazu kommt eine ganz überflüssige Wiederholung ein und derselben Debatte in diesen Parlamenten. Ich bin der Meinung, daß, schon wenn es sich um gemeinschaftliche Fragen und Klagen über die Besatzungen und über Uebergriffe im Saargebiet handelt, die Wirkung unserer Beschwerden leidet, wenn sie an drei oder vier Orten gleichzeitig erhoben werden und sich die Sache dann zerspliktert. Die gleichzeitigen Interpellationen über alle möglichen Gegenstände hier und im Landtag und womöglich im Reichs⸗ wirtschaftsrat sind doch überhaupt von der Presse nicht mehr der Oeffentlichkeit zu unterbreiten. Sie verfehlen deshalb die Wirkung. Wollten wir radikal vorgehen, so müßten wir meiner Femung nach die Zahl der Parlamente auf die Hälfte und die Zahl der Abgeordneten auf die Hälfte beschränken und die Zahl der Reden nicht nur, sonderu auch ihre Länge auch auf die Hälfte beschränken. (Große Heiterkeit.) Zu solchen Maßnahmen sind wir aber nicht zuständig, oder wir werden sie nicht auf einmal durchführen können. (Zuruf des komm. Abg. Malzahn.) Herr Malzahn, Ihre Fraktion hat im Durchschnitt die Redefretheit im zehnfachen Grade wie die anderen in Anspruch genommen (Hört! hört! und große Heiterkeit). Ich will das nicht als Vorwurf gesagt haben, sondern weil der Zwischenruf des Kollegen Malzahn eine besondere Benachteiligung seiner Freunde ankündigen sollte. Nach dem besteheuden Verfahren liegt eine solche gar nicht vor. Ich bin der Meinung, es ist nicht nötig, daß ein Abgeordneter wesentliche Teile der Rede seines Vorredners wiederholt. Es ist nicht nötig, daß im Plenum die Reden wiederholt werden, die in den Ausschüssen schon gehalten worden sind; es ist nicht nötig, daß unbedingt hier wiederholt werden muß, was in vielen Zeitungen vorher gestanden hat. (Lebhafte Zustimmung.) Eine Konzentration hierbei wird unserer Arbeit förderlicher sein, wird die Wirksamteit der Reden und Gegenreden stärken und wird imstande sein, draußen wieder ein größeres Interesse für die Arbeiten des Parlaments zu wecken. Ich verspreche mir das nicht auf einmal und schnell

weil darin zuviel verwirtschaftet worden ist. Die Beschränkung der Redezeit im Entwurf ist keine absolute, es werden für gewisse große

politische Debatten Ausnahmen ausdrücklich vorgesehen für alle Par⸗

teien, aber, daß bei jeder kleinen Frage und jeder Interpellation Be⸗ schränkung geübt werden muß, das werden auch die Kollegen ein⸗ gesehen haben. Ich bitte deshalb das Haus, stimmen Sie diesen Vorschlägen des Entwurfs zu. Wir werden, glaube ich, dann das Interesse des Parlaments wahrnehmen, aber auch das unserer Wähler, die von uns in der jetzigen Zeit wirkich nicht lange Reden, sondern durchgreifende Beschlüsse verlangen. (Lebhafter Beifall.)

Abg. Dr. Pfeiffer (Zentr): Ich möchte bei dieser Gelegenheit insbesondere des verstorbenen Abg. Gröber gedenken, der in rastloser Mühe sich um die Verbesserung der Geschäftsordnung bemüht hat. Die vorgeschlagene neue Geschäftsordnung zeichnet sich durch absolute Klarheit und Unzweideutigkeit aus, obwohl ich mich der Besorgnis nicht entschlagen kann, daß nichts so klar ist, als daß sich im Parlament nicht doch Leute finden, die es fertig bringen, vier verschiedene Meinungen darüber zu haben. Erfreulich ist die Neuregelung der kleinen Anfragen, die allmählich zu eiuem groben Unfug ausgewachsen sind. Die kleinen Anfragen sind, wenn über sie verhandelt wird, meistens längst erledigt. Dazu wird das Geld des Volkes für den Druck fortgeworfen; seit Irli 1921 sind 1893 kleine Anfragen gestellt worden, und jede kostet 10 000 für Druck. Die Antrag⸗ steller könnten sich ja den Luxus leisten und das selbst bezahlen. In bezug huf die Ordnungsbestimmungen beantragen wir, die Be⸗ stimmungen über den Ausschluß von Mitgliedern zu mildern. Diefer unser Antrag bildet die gewünschte mittlere Linie.

Abg. Graef⸗Thüuringen (D. Nat.): Eine Geschäftsordnung soll den ordnungsmäßigen Gang der Verhandlung fördern, also wesentlich dem Recht der Mehrheit dienen. Andererseits aber auch das Recht der Minderheit wahren, gehört zu werden und vor Ueberrumpelung geschützt zu werden. Dazu kommt als Drittes die Wahrung der Würde und der Autorität des Hauses. Nach gewissen Vorkommnissen muß der Präsident die Mittel in die Hand bekommen, um seine volle Autorität wahren zu können. Wir erkennen an, daß in diesem Entwurf ein tüchtiges Stück geleistet worden ist und alles, was seit Jahrzehnten Eewohnheitsrecht geworden ist, auf einen festen Rechtsboden gestellt ist, aber wir haben auch gegen manches Bedenken. Wir wollen die Redezeit nicht grundsätzlich beschränken, sondern den Grundsatz der unbeschränkten Redezeit aufstellen und die Beschränkung nur für be⸗ stimmte Fälle zulassen. Die Ausführungen des Herrn Präösidenten über die Ueberproduktion an Parlamenten finden unseren Beifall, aber sie waren wenig schmeichelhaft für den Parlamentarisnlus. Die Mehrheitssozialisten sitzen jetzt in der Regierung und haben andere Interessen, aber es kann die Zeit wiederkommen vielleicht ist sie nicht fern —, wo sie wieder volle Redefreiheit haben wollen. Wir sollten uns aus Selbstzucht Redebeschränkung auf⸗ erlegen. (Ruf links: Sie gehen ja auf die Straße!) Wir gehen auch auf die Straße, aber nicht in dem Sinne wie Sie, sonderg wir gehen in das Volk hinein. (Lachen links. Abg. Adolf Hoffmann (Soz.): Lassen Sie sich aber nicht erwischenl) Die Ausartung der kleinen Anfragen haben wir seinerzeit vorausgesehen, als wir gegen deren Zulassung waren. (Sehr richtig! rechts. Ruf links: Sie haben beute allein 16 gehabt!) Das ist ein Zufall, wir können statistisch feststellen, daß unsere Partei damit nicht den Durchschnitt unter den Parteien erreicht, und was die Hauptsache ist, wir übertreffen Sie in der Güte unserer Anfragen. (Heiterkeit.) Die Unterstützung der kleinen Anfragen durch 30 Mitglieder ist ein Schlag ins Wasser; wenn eine Fraktion bösartig ist —, das sind wir nicht (Heiterkeit) —, dann bringt die ganze Fraktion die Anfrage ein. Die Linke bewundert immer kritiklos den westlichen Parlamentarismus; wir wollen ebenso wie dort den Präsidenten in die Lage versetzen, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Der bloße Ausschluß eines Mitglieds bleibt auf halbem Wege stehen. Es ist bezeichnend fuͤr den Parlamentarismus, daß nur eine Entziehung der Diäten ein geeignetes Mittel ist. Daß der Ausschuß dieses Mittel nicht vorgeschlagen hat, ist ein Dlätfehler (Ruf Kalauer!). Ja, das ist ein Kalauer,

links: G

. aber er paßt für den modernen Parlamentarismus. England, Frankreich, Belgien, Amerika, Italien