1922 / 267 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 25 Nov 1922 18:00:01 GMT) scan diff

111““ B“ 8 1““ b 11“ gemeinschaft verletzten, wenn wir mit der Volkspartei Fühlung nahmen, um kleine Gegensätze auszugleichen, die zu unange nehmen Zusammenstößen führen könnten. Der Vorredner sprach von sachlichen Erwägungen seiner Partei. Wenn ich etwa so boshaft sein wollte, wie der Vorredner, so könnte ich fragen: Herr Dr. Breitscheid waren denn Ihre sachlichen Gründe so ungeheuer groß und die Widerstände so unüberwindlich, daß sie es dennoch ver⸗ antworten konnten, einen solchen Mann wie Dr. Wirth zu stürzen, dem Sie das von uns dankbar begrüßte Lob spendeten? (Großer Lörm bei den Sozialdemokraten. Vereinzelte Rufe: Lüge!) Wir haben ganz ofsen und loyal verhandelt, die Herren von der Koalition auf der einen und die Deutsche Volkspartei auf der anderen Seite. Und wir haben uns alle dahin geeinigt, der Reparationskommission mit einem festen Programm gegenüber⸗ zutreten, das nicht nur von der Koalition, sondern von der großen. Mehrheit dieses Hauses getragen sein würde. Nach den Aus⸗ führungen des Vorredners muß man draußen annehmen, es müsse Ungeheuerliches passiert sein. Wir haben uns aber ruhig über das Programm unterhalten und darüber verhandelt, und Ein⸗ verständnis gefunden horribile dictu in Gegenwart des Herrn Dr. Breitscheid. Die Herren waren ganz mit uns einverstanden. (Hört, hört! rechts und im Zentrum, große Unruhe links.) Alle Parteien erklärten sich einverstanden, mit Einschluß der Sozial⸗ demokatie. Was für sachliche Gründe sind es also, daß man das⸗ jenige, was Montag richtig war, am Dienstag für falsch erklärt und als größtes Staatsverbrechen. als den Sieg des Kapitalismus hinstellt? Wenn es sich um wichtige Programmfragen handelte, so konnte die Sozialdemokratie zwar nichts Besseres tun, als die Ent⸗ scheidung möglichst in ihrem Sinn herbeizuführen und selbst in der Regierung mitzubleiben. V

88

Wenn wir nun die Deutsche Volkspartei in die Regierung hineinnehmen, so sprechen Sie von einem Sieg des Kapitalismus. Wenn ich dasselbe anwenden wollte auf Ihren Anschluß mit der Mehrheitssozialdemokratie, so könnte ich ebenfalls davon sprechen, daß Sie eine Herrschaft der Sozialdemokratie über die bürgerlichen Parteien herstellen wollten. Ich habe es stets hoch geschätzt, daß die Sozialdemokratie positiv an den Staats⸗ geschäften mitarbeitet, daß sie es aber fertig gebracht hat, ein Kabinett Wirth zu stürzen, wird sie nicht aus der Welt schaffen. (Lebhafte Zustimmung im Zentrum.) Ich bestreite daß für die neue Regierung kapitalistische Gesichtscunkte maßgebend gewesen sind, aus rein sachlichen und politischen Gründen haben wir den Plan, den wir seit Monaten hatten, zur Tat werden lassen. Nachdem die Deutsche Volkspartei ihre Mitwirkung angeboten bhatte, war es eine staatsmännische Tat des Dr. Wirth, diesen Augenblick zu benutzen, um entgegenzukommen. (Sehr richtig! im Zentrum.) Die weitesten Kreise des Parlaments mußten zu⸗ sammengebrocht werden, um die Verhandlungen mit der Reparationskommission ersolgreich führen zu können. Die Sozial⸗ demokrvaten haben einen großen Augenblick verpaßt und die Er⸗ folge zerschlagen. Wir wenden uns mit aller Entschiedenheit gegen das Schlagwort, daß dies das Kabinett der Arbeitsgemeinschaft sei. Die Zentrumspartei ist beim Zustandekommen des Kabinetts nicht gefragt worden, sie hat nur ihren Mitgliedern den Eintritt freigegeben. Wir stellen uns dem Kabinett vertrauensvoll gegen⸗ über und warten ab, wie es sein Programm durchführen wird. Es kommt nicht darauf an, wo Herr Stinnes sitzt, sondern auf das Programm. Dr. Wirth stand auf dem Boden dieses Programms, deshalb mußten gerade die Sozialdemokraten darauf bestehen, daß an diesem Programm festgehalten wird. Ich trete den An deutungen des Herrn Breitscheid entgegen, der für die Zusammen⸗ setzung des Kabinetts verantwortlich ist. Der Reichspräsident hat uns gefragt, ob wir einem Parteimitgliede wehren würden, in das Kabinett einzutreten; dies haben wir verneint, damit war unsere Tätigkeit für das Kabinett erledigt, wir haben keinen Anteil an der Zusammensetzung des Kabinetts. Im Auftrage meiner ge samten Fraktion habe ich das lebhafteste Bedauern auszudrücken, daß die erste Folge der Krise der Sturz des Herrn Dr. Wirth gewesen ist. Im Auftrage der Fraktion sage ich ihm herzlichsten Dank und wärmste Anerkennung für sein Wirken als Reichskanzler während anderthalb Jahren. (Lebhafter Beifall im Zentrum.) Er hat als Deutscher in schwerster Zeit seine volle Kraft bis zur Erschöpfung und Hingabe seiner Gesundheit in den Dienst des Voldes und Vaterlandes gestellt. (Beifall im Zentrum.) Man kann verschiedener Meinung sein, ob seine Politik richtig war, aber auch die, die anderer Meinung sind, müssen Herrn Dr. Wirth zubilligen, daß er allezeit das Beste gewollt und alles aus vater⸗ ländischer und echt deutscher Gesinnung getan hat. (Beifall im Zentrum.) Wenn die Zeiten ruhiger geworden sind, werden seine wertvollen Dienste für die große Masse der Bevölkerung anerkannt werden. (Beifall im Zentrum.) Eine Anzahl von Männern, die stets zu starker Kritik bereit waren und sagten, die Regierung sei zu schwach und nicht richtig zusammengesetzt, hat nun, wo sie berufen werden sollten, eine starke Regierung zu bilden. versagt. Schon vor zwei Jahren, als man ähnlich nach Fachministern rief, schrieb die „Kölnische Volkszeitung“, mon bleibe uns weg mit dem Ruf nach Fachministern und schweige mit diesem Schlagwort. Es ist leicht Kritik zu üben und allerlei auszusetzen, aber je mehr Hemmnisse jemand gefunden hat, um so mehr verantwortlich ist er vor unserem Herrgott. Gerade die Leute, die in der Wirtscha⸗ t etwas bedeuten, sollten in schwerer Zeit ihre Kenntnisse dem Volk und Vaterland zur Verfügung stellen, sonst haben sie das Recht. zur Kritik verscherzt. Die einzige erfreuliche Tatsache in den letzten Wochen war, daß die großen Parteien sich auf dem Programm der Note vom 13. November einigten. Der Reichs kanzler hat dieses Programm bedeutungsvoll umschrieben. Er⸗ schütternd war seine Schilderung unseres Notstandes. Unser Volk ist schwer krank und geht einem schweren Winter entgegen. Im Ausland hat man noch wenig Kenntnis von unserer wahren Not⸗ lage. Es war von Dr. Wirth ein guter politischer Gedanke, die auswärtigen Sachverständigen hierher einzuladen, damit sie persönlich Kenntnis von unseren Zuständen bekamen. Ich hoffe, daß diese Männer, die objektiv der Lage gegenüberstehen, Auf⸗ klärung darüber bringen werden, wie schwer das deutsche Volk seufzt und leidet. Gegen diejenigen, die in Schlemmerei und Prafferei sich ausleben und die Not des Volkes noch vergrößern, kann die Regierung nicht hart genug vorgehen. Ich bitte die Regierung, ihren Einfluß auch auf die Landesvegierung zu üben, daß sie mit schärfster Hand dieses Aergernis in der Reichshaupt⸗ stadt ausräumt, auch das Aergernis, daß die Ausländer diese Gelegen⸗ heit benutzen, um sich zu bereichern.é (Lebhafte Zustimmung.) Die Stabilisierung der Mark ist von allen Päarteien als die wichtigste Aufgabe bezeichnet worden. Dazu kommt auch die größte Sparsamkeit in den Reichsbetrieben. Das Wort des Reichs hanzlers bezüglich der Produktionsvermehrung haben wir begrüßt, daß jede Einseitigkeit vermieden werden soll, daß nicht nur die Arbeiter, sondern auch die Arbeit⸗ geber die Produktion heben und fördern sollen. Die e duktionssteigeverng hängt hervorragend von der Bereit⸗ willigkeit der Arbeiter ab. Die Regierung muß wie das bisherige Kabinett volles Verständnis für die Bedürfnisse und Bedrängnisse der Arbeiterschaft an den Tag legen. Das Zentrum hat stets die sozialen Aufgaben gefördert; die Fürsorge für die Sozialrentner und Kleinrentner und die kinderreichen Familien, die besonders schwer leiden, empfehle ich der Aufmerksamkeit der Regierung. Mit Freuden sind wir bereit, die Regierung pei der Durchführung ihres Programms zu unterstützen. Unsere Zeit verlangt die Zu⸗ sammenfassung aller Kräfte. Ich begrüße namentlich als Rhein⸗ länder die warmen Worte des Reichskanzlers für die Lage des besetzten Landes. Beifall.) Ich danke Ihnen dafür im Namen der besetzten Gebiete. Ich rufe Mussolini und seinen Freunden zu, daß, wenn sie ihr Rachegefühl so weiter treiben und Deutschland vollends zu Boden werfen wollen, die Folge der Bolschewismus sein muß. Wir legen entschieden Protest gegen dieses Vorgehen ein, die Selbstbestimmung der Völker muß zur Wahrheit werden, und dem deutschen Volke muß Gerechtigkeit widerfahren. (Beifall.) Mit der Auffassung des Reichskanzlers über das Verhältnis des Reiches zu den Ländern stimmen wir überein, wir befinden uns in Uebereinstimmung mit den Richtlinien der Zentrumspartei,

11 ö111“ e“ 8 8 ZI 1 8 8 wonach die Reichseinheit uns als unverletzlich gilt und eine siark t

zentralistische Gewalt und der zentralistische Staatsaufbau nich dem deutschen Volkscharakter entspricht. Auf Grund unseres Parteiprogramms können wir uns hier vollkommen hinter den Reichskanzler stellen. Wnr wünschen dem Reichskanzler den besten Erfolg für seine Bemühungen gerade in einer Zeit, wo ein großes einiges Deutschland nötig ist. Möge er sich später sagen können: Das deutsche Volk ist wieder zur Gesundung gebracht worden. Wir haben einen Fortschritt getan. In diesem Sinne begrüßen wir den Reichskanzler und sein Programm. (Lebhafter Beifall im Zentrum.)

Abg Dr. Hergt (D. Nat.): Die Zusammensetzung der Reichsregierung, die sich heute dem hohen Hause vorgestellt hat, und die Geschichte ihrer Entstehung weisen neue Züge auf, die für eine Besserung der politischen Verhältnisse von wesentlicher Bedeutung werden können. Das Kabinett Wirth ist an der Schwäche seiner Politik zusammengebrochen. Der Fortsetzung einer Er⸗ füllungspolitik auf Kosten der Substanz des deutschen Volks⸗ vermögens würden wir unter keinen Umständen zustimmen. Wenn der Reichskanzler bedauert, daß ein Versuch, die sozial⸗ demokratische Partei zur Bildung seines Kabinetts heranzuziehen, gescheitert ist, so erscheint es uns als ein Fortschritt der politischen Entwicklung, daß er gleichwohl den Entschluß einer Regierungs⸗ bildung auch ohne die Sozialdemokraten gefunden hat. Auch wir begrüßen die Tatsache, daß der Herr Reichskanzler und ein Teil der Herren Minister außerhalb des Parlaments stehende Persön⸗ lichkeiten sind, und daß die Regierungsbildung unabhängig von der unmittelbaren Einflußnahme der Parteien erfolgt ist. Wir er⸗ blicken darin einen erneuten Beweis für die Mängel des bis⸗ herigen parlamentarischen Systems und unter den heutigen Ver⸗ hältnissen einen Fortschritt im Interesse einer gesunden und stetigen Politit. Was die Ausführungen des Abg. Dr. Breit⸗ scheid über ein Mitglied der Regierung anbetrifft, so ist es zunächst Sache der Regierung selbst, dazu Stellung zu nehmen. Das vom Reichskanzler verkündete Programm ist zum großen Teil auf der an die Reparationskommission gerichteten Note vom 13. d. M. aufgebaut. Auch wir erkennen an, daß diese Note, wie es der Reichskanzler ausgedrückt hat, einen bedeutsamen Schritt nach vor⸗ wärts gebracht hat. Sie ist jedoch nach unserer Auffassung nicht mehr als nur ein erster Schritt der Umstellung von der bisherigen Politik der Passivitàt zur tatkräftigen Selbsthilfe, die allein uns Rettung bringen kann. Der Reichskanzler hat zustimmend das Wort der ausländischen Sochverständigen anzeführt: „Daß Deutschland sich eine eigene aufbauende Politik schaffen muß, auch wenn damit Gefahren verbunden sind.“ Dies war stets auch unser Leitstern. Diese Stellungnahme des Reichskanzlers ermöglicht uns, über Einzelheiten der Note trotz ernster Bedenken, die wir nicht unterdrücken können und am gegebenen Orte geltend zu machen gedenken, im gegenwärtigen Augenblick hinwegzusehen. Denn auch darin hat der Reichskanzler recht, daß es nicht um Worte geht, sondern um Arbeit und Tat. Das gilt vornehmlich auch von dem wichtigen Teil des Programms des Reichskanzlers, der in der Note vom 13. d. M. nicht enthalten gewesen ist. Wir billigen seine Erklärung, daß die neue Regierung mit allen ihr zu Gebote stehenden Machtmitteln die Ordnung und die Autorität des Staates wahren und gegen Aufruhr und Gewalt, wo immer sie ich finden, auf dem Plane sein wird. Wir begrüßen die warmen Worte, die der Reichskanzler aus den Erfahrungen seiner eigenen Beamtenlaufbahn heraus für das pflichttreue, echte Beamtentum gefunden hat. Wir begrüßen die Ankündigung einer durch greifenden Fürsorge für die notleidenden Schichten der Bevölke⸗ rung und für den Mittelstand, bei der er auch uns als Helfer finden wird. Sein Eintreten für die Wahrung der religiösen, geistigen und kulturellen Güter der Nation in Worten, wie wir sie seit langer Zeit zum ersten Male von diesem Platze gehört haben, füllt eine Lücke aus, die wir schon längst als solche empfunden haben. Wir freuen uns weiter des von dem Reichskanzler ausge⸗ sprochenen Entschlusses, das deutsche Volk über alle innere Ver⸗ hetzung hinweg zur Einigkeit zu führen. Möge endlich wieder gleiches Recht für alle gelten und das Unrecht der Ausnahmegesetz⸗ gebung beseitigt werden. Die Anerkennung der Selbständigkeit der Länder und die Wahrung ihrer Rechte entspricht durchaus unseren Anschauungen. Im Interesse der notwendigen Uebereinstimmung erwarten wir, daß die Besserung der politischen Verhältnisse im Reich sich auch in den Ländern entsprechend auswirken wird. In⸗ dem wir die Erklärungen des Reichskanzlers zur Note und zum Gesamtprogramm in diesem Sinne deuten, sind wir bereit, der neuen Regierung die verfassungsmäßige Möglichkeit zur Führung der Geschäfte und zur Aufnahme ihrer Arbeit zu geben und sie in die Lage zu versetzen, das Deutsche Reich bei den bevorstehenden schwierigen Verhandlungen mit dem Auslande tatkräftig und würdig zu vertreten. Wir sprechen dabei die bestimmte Erwartung aus, daß die Regierung die von uns als richtig anerkannten Richt⸗ linien der Politik trotz aller Widerstände im Innern und aller Schwierigkeiten von außen mit unbengsamer Entschiedenheit ver⸗ wirklicht. Eine volle Garantie dafür, daß das geschehen wird, haben wir indessen nicht, und man wird es uns nach allen Ent⸗ täuschungen der Vergangenheit nicht verargen können, wenn wir Zurückhaltung üben und uns unsere Entscheidung von Fall zu Fall vorbehalten entschlossen, wenn es sein muß, auch weiter⸗ hin in der Opposition zu verharren, zugleich aber, wie bisher, auch dabei positive Arbeit zu leisten. Die Bildung der neuen Re⸗ gierung eröffnet nach unserer Auffassung Möglichkeiten einer Besse⸗ rung unserer politischen Verhältnisse; ob diese Möglichkeiten zur Wirklichkeit werden, ob sie zu einem Wendepunkte der deutschen Geschichte führen, wird einzig und allein von der Entschlußkraft und den Handlungen der Regierung abhängen. (Beifall.)

Abg. Dr. Schiffer (Dem.): Im Vordergrunde steht die auswärtige Politik, der gegenüber alles zurücktreten muß. Daher richte ich einen Appell an das Verantwortungsgefühl der Por⸗ teien. Ob dieser Erfolg haben wird, ist nach der heutigen Ein⸗ leitung zweifelhaft. Herr Breitscheid stellte die Parteipolitik in den Vordergrund und suchte oft die Heiterkeit des Hauses zu er⸗ regen. Das entsprach weder dem Interesse des Landes noch dem Ernst der Stunde (lebhafter Beifall). Das drückt die Stellung des Reichstags noch mehr herab, wo doch alles geschehen sollte, sie zu stärken (lebhafte Zustimmung). Unsere Anträge sind leider zum größten Teil abgelehnt worden, die eine andere Art der Ge⸗ schäftsbehandlung wollten. Das ist keine bloße Geschäftsordnungs⸗ frage. Nach den letzten Vorgängen muß man doch fragen, ob nicht auf andere Weise ein wirklich aktionsfähiger Reichstag geschaffere werden muß. (Sehr wahr!) Der Reichstag hat mehr Rechte als früher, aber die Geschäfte im einzelnen kann er doch nicht führen. Die Regierung muß vollkommene Entschluß⸗ und Bewegungs⸗ freibeit haben. (Zuruf des Abg. Ledebour: Wozu denn da das Parlament? Das wäre Spielerei!) Immer wieder müssen wir die Revision des Versailler Vertrages fordern und die Schuldlüge bekämpfen, wenn man uns auch als ungestüme Mahner ansieht. Es gibt eine gewisse moralische Schuld, an der auch wir einen Teil tragen, aber uns allein darf man nicht verantwortlich machen. Noch heute lebt in Frankreich der Rachegeist, wie wir es aus den Reden Poincarés hören. Ich mache keinen Hehl daraus, daß es auch in Frankreich Leute gibt, die die Gerechtigkeit wollen und wirtschaftlich und finanziell einsichtig genug sind, um die ganze Unhaltbarkeit des Versailler Vertrages zu erkennen, aber was soll man dazu sagen, daß selbst einer dieser Männer die Los⸗ lösung des Rheinlands von Deutschlans als sesbstveröndlich fordert? Das ist natürlich eine für uns undiskutierbare Forde⸗ rung. (Lebbafte Zustimmung.) Der Einsichtige kann sich nicht darüber täuschen. daß Frankreich. daß die Herren Clemenceau und Poincaré dasselbe wollen, was schon seit Jahrbunderten das Ziel der französischen Volitik gewesen ist, sich des Rheins und damit des Herzens Europas zu bemächtigen. Frankreich ist noch nicht gesonnen, der Stimme der Vernunft und Gerechtigkeit Gehör zu geben. Wenn dazu noch die abscheulichen Erscheinungen kommen,

bei der Besetzung des Rheinlandes, die schwarze Schmach, die

nicht nur Deutschland, sondern d anzen weißen Welt zugefügt

wird, so zeigt das, daß in Frankreich die Leidenschaften noch immer

lebendig sind. Können wir nun aber hoffen, daß von anderer Seite aus auf Frankreich eingewirkt wird? England wird dazu,

zumal nach dem Regierungswechsel, kaum bereit und fähig sein. Es hat andere, schwerere Sorgen als sich unser anzunehmen. Die Ausführungen des Herrn Breitscheid in dieser Richtung waren überaus bedauerlich. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß unsere Beziehungen auch zu den Staaten, die heute noch unter dem po⸗ litischen Einfluß Frankreichs stehen, engere werden, und hoffe, daß hier eine aktive Politik der Regierung einsetzt. Immerhin ist eine gewisse Zurückhaltung im Verkehr mit dem Auslande am Playe. Ich bedaure tief, daß jene Note, in der die Rechtsprechung des Reichsgerichts einmütig von der Entente kritisiert wird, ohne jede Erwiderung unserer Regierung geblieben ist. Das ist für mich geradezu unerklärlich. Wir waren es unserer Würde und natio⸗ nalen Ehre schuldig, darauf zu erwidern, und durften nicht aus falsch verstandener Höflichkeit schweigen. (Lebhafte Zustimmung.) 1 Wir müssen eine Politik der freien Hand haben, aber nicht eine Straße wandeln, die zwischen Ja und Nein schwankt. Vor allen Dingen müssen wir einen einheitlichen nationalen Willen herbei⸗ führen. (Sehr wahr!) Die Kritik des Herrn Breitscheid hat von vornherein den einheitlichen Eindruck zerstört. Die Hauptsache ist Einheitlichkeit auf dem Boden der Verfassung unter rückhaltloser Betonung der Verfassung. Wenn die Frage so gestellt wird: Re⸗ publik oder Chaos und nicht: Monarchie oder Republik, so kann die Antwort nicht zweifelhaft sein. Eine einheitliche Willens⸗ bildung war durch die Note vom 13. November gegeben. Wir verlangen ferner, daß, sobald wir zu einer wirtschaftlichen Ver⸗ ständigung gekommen sind, die Besetzung der Rheinlande aufhört, denn dann entbehrt sie jeden Grundes. (Sehr richtig! bei den Demokraten.) Die fünfhundert Millionen des Reichsgoldes dürfen nur dann zur Verfügung gestellt werden, wenn alle Kautelen gegeben sind, daß sie wirklich nutzbringend angebracht werden. Die Verminderung der Beamten darf nicht etwa ausschließlich auf Kosten der weiblichen Beamten erfolgen. Eine Reihe von Aufgaben, insbesondere die Steigerung der Pro⸗ duktion, die Regelung des Arbeitszeitrechts unter Festhaltung des Achtstundentages als normalen Arbeitstag, die Heranbildung von Quglitätsarbeitern, die Hemmung des Luxusverbrauchs und der Luxuseinfuhr usw., muß unbedingt im Auge behalten werden; aber alle diese Punkte sind nicht in den Kreis der Stabilisierung und Reparation einzureihen, sondern um ihrer selbst willen durch⸗ zuführen. Zu lösen ist auch die Frage des Soziallohnes an Stelle der bisherigen schematischen einheitlichen Lohnregelung. Die jetzige Stellung der Jugendlichen und ungelernten Arbeiter ist nichts anderes als ein Opfer der alten gelernten Arbeiter. (Sehr wahr! bei den Demokraten.) Das Streben der Arbeiter nach Ausbildung ind Vervollkommnung muß durch Differenzierung des Lohnes gefördert werden. Wenn die Entente wünscht, daß wir arbeiten, 3 so muß sie uns auch die Möglichkeit geben, daß wir nicht unsere Kohle auszuführen und dafür zu teueren Auslandspreisen die Auslandskohle einzuführen brauchen. Die Tarifpolitik ist mit der wirtschaftlichen Entfaltung, die doch die Hauptsache ist, nicht vereinbar; die stete Erhöhung der Tarife spielt auch für die Er⸗ nährungspolitik eine große Rolle. Die Förderung der Landwirt⸗ schaft muß unter dem wirtschaftlichen Gesichtspunkt geschehen, daß wir uns vom Ausland unabhängig machen. Bei der Fürsorge

Arbeiter handelt es sich darum, das Versinken von Hundert⸗ tousenden zu verhindern. Nicht neuer großer gesetzgeberischer Ar⸗ beiten bedarf es, auch die Gesetzgebung müssen wir einschränken, die jetzt schon zu einem undurchsichtigen Chaos geworden ist; wir müssen uns auf das unbedingt Notwendige beschränken, aber dieses mit

beseitigen, alles Trennende für den Augenblick überwinden. Di Regierung hat sich selbst als Regierung der Arbeit bezeichnet Ich lege auf das Wort kein großes Gewicht, es kommt nicht au die Etikette der Flasche an, sondern auf den Wein, der darin ist 8 Die Regierung soll an die Arbeit gehen mit wahrem Optimismus, nicht aber mit dem Optimismus, der alles mit dem Schimmer umgibt, daß es nicht so schlimm werden würde, denn dieser Op timismus hat uns bereits tief heruntergebracht (sehr wahr bei den Demokraten), sondern mit dem Optimismus, der nicht ver zweifelt und aus dem Vertrauen auf unsere Nation den Mut und die Kraft entnimmt, alles daran zu setzen. Wir können zu unserer Nation unbedingtes Vertrauen haben. Das deutsche Volk von 60 Millionen mit solchen Leistungen kann nicht durch rohe Gewal⸗ vernichtet werden. Aus diesem Vertrauen bieten wir der Re gierung die Hand. Nur auf der Grundlage von Vernunft un Gerechtigkeit wird die Arbeitsfreudigkeit in unserem Volke wieder erstehen. Sklavenarbeit ist keine Arbeit. Nach dem Sturz, den wir getan haben, denken wir nicht an Krieg, aber den Platz an der Sonne, den wir brauchen, müssen wir beanspruchen, Luft und Licht und Existenzbedingungen. Zu den Daseinsbedingungen des deutschen Vostes gehört auch Ehre und Würde der Nation, auf die wir niemals verzichten werden. Dann können wir endlich zu der Gesamtarbeit kommen, die uns den wahren Frieden bringt. Wollte man uns unsere Naturrechte antasten und die materiellen un ideellen Lebensbedingungen rauben, so rufe ich: Hütet Euch, ei Volk von 60 Millionen zur Verzweiflung zu bringen! Eebhafte Beifall bei den Demokraten.)

Inzwischen ist von den Abgg. Petersen (Dem.) un Genossen folgendes Vertrauensvotum eingereicht worden

„Der Reichstag hat die Erklärung der Reichsregierung zur Kenntnis genommen und billigt, daß sie die Note vom 13. Novembe d. J. zur Grundlage ihrer Politik machen will.“

Abg. Bartz (Komm.) beantragt um Uhr die Vertagung der Sitzung. Es widerspreche der Uebung des Hauses, daß di Deutsche Volkspartei morgen erst nach den Kommunisten spreche solle. Es sei wohl auch eine Erklärung des Ministers Müller er forderlich.

Abg. Müller⸗Franken (Soz.) bittet, es bei dem Beschlu des Aeltestenrats zu belassen, wonach die politische Debatte morge zu Ende geführt werden solle.

Präsident Löbe teilt mit, daß der Minister heute noch in Laufe der Debatte eine Erklärung abzugeben beabsichtige.

Der Vertagungsantrag Bartz wird gegen die Stimme der Kommunisten abgelehnt.

Abg. Koenen (Komm.) beginnt unter andauernd große Unruhe des Hauses zu sprechen; Präsident Löbe ersucht die Mit glieder, soweit sie für das Weitertagen gestimmt haben, wenigstens Ruhe zu bewahren. Seit gestern tagt in Berlin in der Nenen Welt der Betriebsrätekongreß. Hier im Reichstag geht die alte Welt ihrem Untergang entgegen. (Lachen. Der Reichskanzle verläßt den Saal.) Die Bourgeoisie hat den Versuch gemacht, di politische Macht an sich zu reißen; Herr Stinnes ist der Sieger und ein sozialdemokratischer Reichspräsident ist es, der eine bürger liche Minderheitsregierung berufen hat! Alle zwanzig Landes⸗ regierungen, die wir noch haben, sind überflüssig, zumal unleidlich ist der Dualismus der Reichs⸗ und preußischen Regierung in Berlin; ebenso überflüssig sind die Sinekuren der Reichswehr kommandos und der Oberpräsidien. Unter Erhöhung der Pro⸗

welches ja auch den den Eisenbahnern so verhaßten General Groener beibehalten hat, Beseitigung des Achtstundentages, desselben durch den Zehn⸗ und Zwölfstundentag.

haben wir's durchweg mit dem reinen Stinnes⸗Programm zu tun das durch die Reichskanzlerrede nur verballhornt worden ist. Die

Sozialdemokratie stellt sich auf den Boden der Note, die den Acht

für die Kleinrentner und bei der Beseitigung der Not der geistigen

voller Konzentrierung durchführen. Wir müssen alle Gegensätze

abgehalten, an der Herr Müller hervorragendsten Anteil nahm. Nach dem Bericht der „Kölnischen Volkszeitung“, dem Parteiblatt des Herrn Müller, hat Herr Müller in jener Versammlung sein Deutschtum betont.

Artikel 18 der Verfassung über die Neugliederung des Reichs für

daß dieser Zusatz dem Rheinland gegen seinen Willen, ohne es zu

klar geworden, welches der genaue Inhalt war.

Rede war. Fassung der „Kölnischen Zeitung“ sei die richtige. In der Ent⸗

diese Bestimmung ab, die ohne Wissen der Wähler zustande ge⸗ kommen sei.

vorangegangen, um diesem General von den Wünschen der Rhein⸗

Müller so konsterniert, daß sie amtlich diese Bestrebungen mit § 81 des Strafgesetzbuches als Hochverrat mit Zuchthaus bedrohte. Im

duktivität in den Staatsbetrieben versteht das neue Kabinett,

2 8 1 8 4“

Nr. 267.

Zweite Beilage

8 eichsanzeiger id Premshfchen C

Verlin, Sonnabend, den 25. November

(Fortsetzung aus der Ersten Beilage.)

stundentag preisgibt. Ebenso steht es mit dem Abbau der Zwangs wirtschaft. Man win den Weltmarktpreis für Getreide und Brot, wo aber bleiben die Weltmarktlöhne? Der Wiederbeschaffungs⸗ preis soll anerkannt werden, das ist zweifellos die Meinung dieser kapitalistischen Regierung also völlige Wucherfreiheit, mag aus der Arbeiterschaft und aus der Angestelltenschaft werden, was da will! Müssen die Arbeiter nicht aufs äußerste gereizt werden durch den schamlosen Wucher? In Voraussicht von Hunger⸗ revolten hat denn auch ausgerechnet der sozialdemokratische Polizeipräsident Richter schon jetzt über Berlin den kleinen Belagerungszustand verhängt. Der neue Mann an der Spitze des Reichsministeriums hat sich als „ethischer“ Verteidiger des Westkrieges und des Massenmordes erwiesen; Er dachte über die Erfüllungspolitik noch vor kurzem ganz anders, als er heute zu denken schien. Er ist aber auch ein echt kapitalisti⸗ scher Kanzler, das hat die Börse durch ihre Haltung bestätigt; und er ist von den Deutschnationalen mehr als sympathisch aufgenom⸗

men worden, er ist der bürgerlichen Mehrheit gewiß. Daß Herr

Dr. Breitscheid sogar Herrn Oeser schluckt, der sich seine Lorbeeren m Kampf gegen die Eisenbahner im Sinne des Stinnes und Helfferich geholt hat, ist ungemein charakteristisch. Auch Herr Becker repräsentiert die Konterrevolution; in den Novembertagen wurde er von seinem Ministersessel weggefegt. Herr Becker bedeutet Auf⸗ bung des Streikrechts der Arbeiter, Zwang für die Arbeiter. Herr Heinze wird die Klassenjustiz zum Siege führen. Neben Geßler und Stingl wird Herr Hamm für die nötige Kahrisierung der Reichsregierung sorgen. (Zuruf des Ministers Geßler.) Sie sind, Herr Geßler, der Hampelmann der monarchistischen Offigiere! (Unruhe.) Endlich begrüßen wir wieder Herrn Hermes, der seine Ehre mnit zehntausend Papiermark vor Gericht repariert erhalten hat. Der Feind steht jetzt draußen, sagt man und sagen auch die Sozialdemo⸗ fraten; damit gehen sie einfach in das Lager der Stinnes⸗Regierung⸗ über. Mit der westlichen Orientierung unterstützt Dr. Breitscheid offen die Schwerindustrie. Es gilt, den Chauvinismus der Rechten und den Fatalismus der Sozialdemokratie zu überwinden. Dr. Breitscheid arbeitet bewußt auf die große Koalition los; für jetzt ist sie gescheitert, und nun sitzt er da mit dem Talent und kann es nicht verwerten. Die neue großkapitalistische Regierung will den Achtstundentag beseitigen, die Sozialdemokraten stützen sie gleichwohl. Wer glaubt noch, daß sie den Achtstundentag als Magna charta hochhalten werden? Sie lassen diese Regierung zu, damit sie ihnen das Odium der Beseitigung des Achtstundentages abnimmt; nach⸗ her werden sie wieder in die Regierung eintreten und sich noch obendrein als Retter des Volkes auffpielen. Die Sozialdemokratie hat ihre Stunde verpaßt, jetzt kann sie nur noch hoffnungslos in den bürgerlichen Sumpf abrutschen. Das Proletariat würde schon heute seine Befreiung in die Hand nehmen können, wenn es ge⸗ nügend Entschlossenheit besöße, dann könnte schon heute eine Arbeiterregierung bestehen. Die Betriebsräte verlangen von den Sozialdemokraten, daß sie endgültig mit der Koalitionspolitik Schluß machen, daß sie die Stinnes⸗Knechtschaft abschwören. (Beifall bei den Kommunisten.)

Hierauf nimmt der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft Dr. Müller das Wort, dessen Erklärung wegen nerspäteten Eingangs des Stenogramms erst in der nächsten Nummer d. Bl. im Wortlaut wiedergegeben werden wird.

Abg. Sollmann⸗Köln (Soz.): Wenn ich gegen meinen früberen Mitbürger Müller Stellung nehme, so leiten mich keine persönlichen Beweggründe; es geht um die politische Bewegung im Rheinland. Ich würde mich freuen, wenn Herr Müller seine richeren Anschauungen geändert hätte, aber die geschicht⸗ lichen Tatsachen werden dadurch nicht geändert. Im Jahre 1[919, als die Rheinprovinz noch mehr Spielball der fran⸗ zösischen Rheinpolitik war als jetzt, wurde im August in der Kölner Bürgergesellschaft eine geheime Versammlung

Ich zweifle das nicht an, aber auch Herr Dorten hat stets sein Deutschtum hervorgehoben und behauptet, das Rheinland nicht in französische Hände liefern zu wollen. Alle Parteien in der Nationalversammlung fürchteten damals, daß der

us Rheinland verhängnisvoll werden könnte, und deshalb wurde in der Verfassung der Zusatz gemacht, daß auf zwei Jahre hinaus keine Volksabstimmung im Rheinland stattfinden dürfe. Herr Müller hat nach der „Kölnischen Volkszeitung“ damals erklärt,

fragen, aufgedrungen worden sei So hat ein jetziger Reichs⸗ minister gegen eine Reichsverfassungsbestimmung damals gesprochen. In jener Versammlung wurde die sofortige Volksabstimmung von allen Seiten, auch nach dem Bericht der „Kölnischen Volkszeitung“ von allen Seiten, gefordert. Es hieß, man sei es müde, sich von Berlin bevormunden zu lassen. In dieser Versammlung wurde eine Entschließung angenommen. Es ist niemals ganz Die „Kölnische eitung“ hat einen Wortlaut veröffentlicht, in dem nur von einer bein⸗Republik, ohne den Zusatz „im Rahmen des Reiches“ die Dieser Zusatz stand aber in der „Kölnischen Volks⸗ itung“. Die Freunde des Herrn Dorten haben stets erklärt, die

schließung heißt es, die Masse der rheinischen Bevölkerung lehne

Die Freunde der Rheinischen Republik werden ge⸗ beten, unverzüglich an allen Orten Organisationen zu schaffen, um den Gedanken des Rheinstaates zur Tat werden zu lassen. In der Versammlung wurde ein Aktionsausschuß eingesetzt, der die verfassungswidrige sofortige Abstimmung in die Wege leiten sollte, und zum Vorsitzenden wurde der jetzige Reichsminister Müller ge⸗ Folt. (Große Bewegung.) Die Mitarbeiter des Herrn Dr. Karl tüller in dem Aktionskomitee, so Justizrat Peter Weber, gehören zu den intimen Freunden des Herrn Dorten, bei Weber hat Herr Dorten stets gewohnt, wenn er nach Köln kam. Der Wahl des Aktionskomitees war eine Reise des Herrn Dr. Müller mit den Herren Kuckhoff und Kastert zum General Mandin nach Mainz

nder Kenntnis zu geben. (Erneut große Bewegung.) Ich hin arauf sofort zum Ministerpräsidenten Scheidemann nach Berlin gefahren. Die Reichsregierung war über das Vorgehen des Dr.

Zentrum herrschte bei der Einleitung dieser Aktion des Herrn Dr. Müller die größte Bestürzung. Die gesetzliche Strömung wurde urch die Führer und durch den Augustinusverein vertreten, die ungesetzliche, putschistische Strömung durch den jetzigen Reichs⸗ ninister Dr. Karl Müller. Die Kölner Zentrumsvpartei hat im August 1919 scharf Stellung gegen diese putschistische Strömung genommen. Das Zentrum rückte von Dr. Müller ab. Die „Germania“ brachte einen Artikel mit dem Ausdruck des Bedauerns rüber, daß sich Zentrumsmitglieder an dem Kampf gegen die Ver⸗

fassung beteiligt hätten. Auch der Vorstand des Evangelischen

Bundes der Rheinprovinz wandte sich gegen Dr. Müller. Die „Frankfurter Zeitung“ widmete am 12. August 1919 Dr. Müller einen Artikel, worin es hieß: Die Führer verfolgen zum Teil andere Ziele als die Loslösung von Preußen; sie wollten das be⸗ setzte Gebiet zu einer eigenen Republik machen. Diese Bestrebungen ließen sich nur erfüllen durch Loslösung vom Reich. Aus materi⸗ ellen Interessen handelten die Führer. Dr. Müller hat mit Ver trauensleuten Dortens verhandelt. Wenn es damals nach dem Willen Dr. Müllers gegangen wäre, so säße er heute nicht hier als Minister; denn dann hätte das Rheinland keinen Vertreter mehr in den Reichstag zu schicken. Herr Müller, der Gesinnungs⸗ genosse Dortens, ist nicht würdig, deutscher Minister zu sein. (Lebhafter Beifall links.)

Reichskanzler Cuno: Verehrte Damen und Herren! Der Vorredner wird nicht erwarten, daß ich seinen einzelnen Aus⸗ führungen folge. Der Herr Ernährungsminister hat an mich die Bitte gerichtet, die Angelegenheit, die hier zur Sprache gebracht worden ist, alsbald in aller Gründlichkeit zu untersuchen. Ich habe dies zugesagt, und Sie können sicher sein, daß die Unter⸗ suchung von objektiven Gesichtspunkten aus aufs allergründlichste geführt werden wird. (Lärm links.) Ueber das Ergebnis dieser Feststellungen wird dem Hause Mitteilung gemacht werden. (Lärm und Zwischenrufe links.)

Um 9 % Uhr vertagt das Haus die Fortsetzung der Be⸗ sprechung auf Sonnabend, 10 Uhr.

Preußischer Landtag.

184. Sitzung vom 24. November 1922, Mittags 12 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger*).)

Präsident Leinert eröffnet die Sitzung gegen 12 % Uhr.

Auf der Tagesordnung steht zunächst der Antrag des Hauptausschusses über die Uranträge auf Aenderung des Gewerbesteuergesetzes.

Von der Deutschnationalen Volkspartei wird Vorlegung eines Notgesetzes verlangt, durch das die unerträgliche Höhe der Gewerbesteuer auf ein erträg⸗ liches Maß herabgesetzt wird. Von der Wirtschafts⸗ partei liegt ein Antrag desselben Inhalts vor. Ferner verlangt die Wirtschaftspartei, die Neuordnung des Ge⸗ werbesteuerwesens in der Weise auszuarbeiten, daß nur derjenige Ertrag der Besteuerung zugrunde gelegt wird, den das Geschäft bei ordnungsmäßiger Bewirtschaftung mit ent⸗ lohnten Arbeitskräften nachhaltig gewähren kann. Es soll auf diese Weise der eigene Arbeitsverdienst des Geschäftsinhabers von der Realsteuer freigestellt werden.

Ferner liegt der Antrag der früheren Unab⸗ hängigen sozialistischen Partei vor, daß Ge⸗ werbebetriebe mit höchstens fünf zur Familie des Unternehmers gehörigen Beschäftigten mit einem jährlichen Ertrage von 70 000 Mark von der Gewerbesteuer befreit werden.

Die Sozialdemokraten verlangen Heranziehung der Hochseefischereien zur Gewerbesteuer.

Außerdem liegen weitere Anträge der Deutschnatio⸗ nalen und des Zentrums vor, die grundsätzliche Forde⸗ rungen für die Aenderung des Gewerbesteuergesetzes enthalten.

Abg. Dr. Leidig (D. Vp.) empfiehlt den Antrag des Aus⸗ schusses, das Staatsministerium zu ersuchen, dem Landtage baldigst den Entwurf eines neuen Gewerbesteuergesetzes vorzulegen und die vorliegenden Uranträge als Material zu überweisen. Heute möge man von einer Erörterung absehen, da die Dinge ja doch bei der bald zu erwartenden Novelle ausführlich besprochen werden würden.

Ein Vertreter der Staatsregierung erklärt: Im Finanzministerium sind vor längerer Zeit vorbereitende Arbeiten ge⸗ macht worden. Sie konnten noch nicht zum Abschluß gelangen, weil die Probleme der Reform der Gewerbesteuer wesentlich beeinflußt sind von der Reform der Reichssteuer⸗Gesetzgebung, die ja bis in die jüngste Zeit wiederholt abgeändert worden ist. Nachdem die Steuer⸗ gesetzgebung doch wohl zu einem gewissen Abschluß gelangte, und wir übersehen können, was die Novelle zum Landessteuergesetz bringen wird, sind diese Arbeiten zur Reform der Gewerbesteuer wieder auf⸗ genommen. Ein Referentenentwurf, der gemeinsam vom Finanz⸗ ministerium und vom Innenministerium ausgearbeitet ist, dient als Grundlage der Besprechung; er wird auch den Verhandlungen mit den Interessentenverbänden zugrunde gelegt werden. Die alte Klassen⸗ besteuerung soll wegfallen, eine zeitgemäße, gerechte, einfache Be⸗ steuerung soll Ordnung schaffen. Die Neuregelung soll als Grundlage für die kommunale Besteuerung dienen. Die Reform greift also in das Kommunalabgabenrecht ein und kann wesentliche Aenderungen zur Folge haben. Deshalb ist das Ministerium des Innern ganz besonders beteiligt an dem Entwurf. Die Vorarbeiten sind so weit gediehen, daß die Staatsregierung in aller Bälde den Entwurf dem Landtag bezw. dem Staatsrat vorlegen wird.

Aba. Drewitz (Wirtschaftsvt.) bemerkt zur Geschäftsordnung: Wir wissen, was wir von den Erklärungen, wie wir sie eben gehört haben, zu halten haben. Im Hauptausschuß hat man ganz andere Worte vernommen. Wir wünschen schleunigste Vorlegung eines Not⸗ gesetzes. Die Not der Gewerbebetriebe ist groß; wir verlangen, daß über die vorliegenden Anträge schon heute verhandelt wird.

Abg. Winkler (D. Nat.) schließt sich diesen Ausführungen an.

Abg. Dr. Leidig (D. Vp.): Wir werden diese Aussprache doch in drei bis vier Wochen bekommen. Man sollte nicht aus agitatorischen Gründen schon heute darauf bestehen.

Abg. Drewitz (Wirtschaftspt.) bezeichnet das Verhalten des Hauses als eine Verschleppung.

Abg. Kloft (Ztr.) weist diese Auffassung als irrig zurück.

Die Mehrheit entscheidet sich für Absetzung des Gegen⸗ standes von der Tagesordnung.

Der sozialdemokratische Antrag auf Heranziehung der Hoch⸗ seefischereien wird dem Haupausschuß überwiesen.

Es folgt die gemeinsame Beratung der Großen An⸗ fragen der Deutschnationalen über die Terrorisierung deutschnational gesinnter Arbeiter und der Kommunisten über einen drohenden Rechtsputsch.

Abg. Pieck (Komm.): Mit unserer Frage an das Staats⸗ ministerium, ob es bereit ist, mit der Reichsregierung dem zweifellos geplanten Rechtsputsch wirksam entgegenzutreten, wenden wir uns eigentlich an die falsche Adresse, denn beide sind ja selbst die Konter⸗

*) Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgehobenen Reden

revolution. Die Konterrevolutionäre brennen ja seit dem Erfolg Mussolinis darauf, in Deutschland ein Blutbad unter der Arbeiter⸗ schaft anzurichten, um der Großindustrie und dem Kapitalismus die Bahn vollends frei zu machen. Zu diesem Zwecke wird von den Gönnern und Geldgebern der Rechtsputschisten die Hetze gegen die revolutionäre Arbeiterschaft mit allen Mitteln betrieben, um eine Faszistenbewegung auch bei uns zu entfachen. Die bayerische Hitler⸗ garde der monarchistisch⸗kapitalistischen Bourgeoisie wird bei aller ihrer Gefährlichkeit sogar von den Gewerkschaften und von der Sozialdemo⸗ kratie unterschatzt und in ihrer Bedeutung verkannt, in Bayern sind die letzteren geradezu Förderer und Schützer des Faszismus, der sich mehr und mehr zu einer internationalen Erscheinung ausgestaltet. Es ist eitel Geschwätz und zeugt von gänzlicher Unkenntnis der Verhält⸗ nisse, wenn Herr v. Gerlach die Kommunistenbewegung für das Ent⸗ stehen des Faszismus verantwortlich machen will. In Italien haben die Gewerkschaften eben auch jedes Vertrauen bei den Arbeitern ein⸗ gebüßt, denn sie sind dort wie hier zu Verrätern an der Arbeiterschaft geworden. Großindustrie und Agrariertum verstehen dort wie hier unter „Nation“ nur sich und ihren Profit, nie aber die Arbeiterschaft, das arbeitende, werteschaffende Volk. Ende Juni war Herr Mussolini damals noch nicht Ministerpräsident, sondern noch Banditenhäuptling auch in Deutschland erschienen, um die Wünsche der Großindustrie kennen zu lernen, er ist auch vom Reichskanzler Wirth empfangen worden, im Sommer hat ein Faszistengeneral vier Wochen in Babelsberg gewohnt und sich mit den Repräsentanten der Konterrevolution und mit den Reichswehroffizieren unterhalten, wober es wohl kaum beim Thema vom Wetter geblieben ist. Gegen diese Betätigungen hat die Regierung anscheinend nichts einzuwenden, hell⸗ hörig und feinfühlig ist sie bloß gegenüber den Kommunisten. In Bayern sehen wir den Hort der faszistischen Mörderbanden, dort ver⸗ sammeln sich die Faszisten aller Länder, um die internationale Reaktion

1

zu betreiben, um die Anschläge zu beraten, die die Frrh der

evolution in Europa wieder vertilgen helfen sollen. ie Muͤnchener Räterepublik ist nicht von den Kommunisten, sondern von den Sozialisten und unabhängigen Sozialisten ins Leben gerufen worden. Sie ist auch unter der Führung der unabhängigen Sozialisten ugrunde gegangen. In Bayern ist auch der Ursprung der national⸗ vüalen Arbeiterpartei, deren Programm die Juden ächtet und eine traffe Diktatur an Stelle der „korrumpierenden Parlamentswirt⸗ schaft“ einführen will. Die Großindustrie steht dahinter; sie wünscht die Zersplitterung der Arbeiter. Dabei begeht man in Bavyern die krassesten Justizverbrechen, wie der Fall Fechenbach zeigt. Man muß sich geradezu wundern, daß auch in Deutschland die Faszistenhäuptlinge nicht schon in weit großerem Maße die Volkshäuser demolieren und die Arbeiterschaft zu Unüberlegtheiten provozieren; sie machen sich aller⸗ dinas schon eifrig daran, den Unmut über die Auswucherung zu fruktifizieren. Die Anfrage der Deutschnationalen richtet sich selbst; der Terror hat ja seinen festesten Rückhalt bei den Deutschnationalen. Daß die schwerindustriellen Kreise ihre Schutztruppe aushalten, ist erwiesen; Krupp allein hat zwölf Millionen hergegeben für heimliche und offene Parteigänger der Gegenrevolution. Wir müssen in Reich und Ländern eine Arbeiterregierung haben, nur sie kann das Proletariat vor dem Faszismus retten.

Abg. Rüffer (D. Nat.): Zur Abwechselung haben wir uns heute nicht mit dem Terror in Versammlungen, sondern mit dem politischen Terror zu befassen, wie er gegen deutschnational Gesinnte in den Betrieben geübt wird und wo es sich nur um den Verlust der Arbeit, sondern auch um Mißhandlungen handelt, die in einzelnen Fällen sogar zumm Tode geführt haben. Allein im Bereich von Groß Berlin sind in letzter Zeit 500 solcher Fälle gemeldet worden. Redner führt eine Reihe von Einzelfällen von Berlin und aus dem Reiche an und fährt dann fort: Die Fälle sind besonders auf die Hetze nach dem Rathenau⸗Mord zurückzuführen. Wir verlangen Wahrung der Ver⸗ fassungsbestimmung, daß jeder Deutsche seine Meinung äußern darf. Ferner muß endlich der Ruf: „Der Feind steht rechts“ außer Kurs gesetzt werden. Wir wollen wieder ein Volk der Freiheit und Gerech⸗

tigkeit werden. (Lebhafter Beifall bei den Deutschnationalen.)

Hierauf nimmt zur Beantwortung der beiden Großen An⸗ fragen der Minister des Innern Severing das Wort, dessen

'

der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind. ““ 8 8

Rede wegen verspäteten Eingangs des Stenogramms erst in der nächsten Nummer dieses Blattes im Wortlaute wieder⸗ gegeben werden wird.

Die Besprechung der beiden Anfragen wird beschlossen.

Abg. Buchwitz (Soz.): 1 cher nicht etwa nur gegen rechts gerichtete Arbeiter. Wie denkt Herr Rüffer über den Terror, der gegen sozialdemokratische Landarbeiter von den Inhabern der wirtschaftlichen Uebermacht geübt wird? Und was hält er von dem antisemitischen Terror der Wulle und Kon⸗ sorten, der noch jüngst in Oberschlesien zutage trat? Aber auch sonst ist der Terror gegen unsere Gesinnungsgenossen an der Tages⸗ ordnung. Um die Arbeiter in die deutschnationale Partei zu bringen, gibt man ihnen Kartoffeln, wenn sie nur ihr Mitgliedsbuch zu dieser Partei vorzeigen. So macht der Hunger Arbeiter zu Verrätern an der eigenen Klasse. Kann die Erbitterung über solche Klassengenossen wundernehmen? Die Geistlichkeit verweigert sozialistischen Arbeitern die Sterbesakramente, so übt auch sie den Terror. Unter anderem Namen tun sich die verbotenen Organisationen wieder auf. Die Kom⸗ munisten haben also darin nicht unrecht, wenn sie vor einem Rechts⸗ putsch warnen. Aber gevade ihre Wühlerei trennt die Arbeiterschaft in zwei Lager. Wäre sie geeint, so wäre jede Anagst vor einem Rechts⸗ putsch überflüssin. Mit Spaserstöcken würden ihn die Arbeiter niederschlagen. Meine Partei wird jedenfalls auch weiterhin sich als stärkste Stütze der Regierung erweisen. (Beifall bei den Sozial⸗ demokraten.)

Abg. Harsch (Zentr.): Wir verlangen nach wie vor Schutz der Arbeit gegen den Terror sowohl von rechts wie von links. Bei den oberschlesischen Wahlen ist der Kampf von deutschnationaler Seite fast ausschließlich gegen die Zentrumspartei geführt worden. (Leb⸗ hafter Widerspruch rechts, Zustimmung im Zentrum.) Angesichts der Vorgänge, die aus Süddeutschland bekannt werden, ist äußerste Vor⸗ sicht geboten. Wir wenden uns insbesondere gegen die Bestrebungen Lettow⸗Vordecks der augenblicklich in den verschiedensten Orten des Ruhrgedietes Selbstschutzverbände propagiert. Durch die letzten kommunistischen Terrorakte werden derartige Bestrebungen nur noch wfördert. (Lärm und Widerspruch bei den Kommunisten.) Es ist festgestellt, daß die Streiks und Terrorakte im besetzten Gebiet von auswärtigen, der kommunistischen Partei nahestehenden Leuten in⸗ seniert worden sind. (Erxneuter Widerspruch links.) Wohin die Ziele der Kommunisten geben, zeigen deutlich ihre Anträge anläßlich der Schutzgesetze. Wir sind immer für die Freiheit aller Stände ein⸗ getreten. Für die kommunistische Freiheit danken wir. (Beifall im Zentrum.)

Abg. Wiedemann (D. Vo.): Eine Sumpfpflanze kann nur auf einem Sumpf entstehen. Wenn Sie (die Kommunisten) die wirtschaftsfriedliche Bewegung eine gelbe Sumpfpflanze nennen, so kann sie nur auf dem roten Sumpf gewachsen sein. Sie haben nicht den Schatten eines Beweises erbracht, daß unsere Organisation von den Arbeitaebern ausgehalten wird. Wir haben nun einmal eine andere Auffassung von der Wirtschaft. Wozu überhaupt die Auf⸗ regung, wenn es mit unserem Wachstum nichts ist. Aber das ist es ja eben: Sie fürchten, daß wir groß werden können. Es ist doch ein ganz besonderer Terror, wenn ein entlassener Straßenbahner von dem Arbeitsnachweis, auf dem er Arbeit sucht, abgewiesen wird. Was haben Sie (zu den Sozialdemokraten) früher nicht über die

Terrorakte sind zahlreich vorgekommen,