1922 / 268 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 27 Nov 1922 18:00:01 GMT) scan diff

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Deutscher Reichstag.

274. Sttzung vom 25. November 1922, Vormittags 10 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger*)

Die Novelle zum Einkommensteuergesetz wird dem Steuerausschuß überwiesen. Die Novelle zum Post⸗ gesetz geht an den Haushaltsausschuß. Ebenso werden die Novellen zum Gesetz gegen die Kapitalflucht und zum Landessteuergesetz an Ausschüsse verwiesen.

In Fortsetzung der Besprechung der Re⸗ gierungserklärung nimmt das Wort der

Abg. Ledebour (U. Soz.): Der Reichskanzler ist leider nicht anwesend. Ich frage, in Anknüpfung an die gestrigen Vor⸗ gänge: Ist Herr Müller noch Minister⸗ Wenn er auch zurückgetreten sein sollte, so müssen wir doch weiter fragen, wie es möglich war, daß ein Mann mit dieser im Rhein⸗ land bekannten Verpaagenheit Min ster werden konnie. Zenn übrigens Herr Müller noch Minister sein sollte, so liegt darin ein Veweis für den agrarischen Caarektec des neuen Kabinetis. Wir haben das allergrößte Inzerrsse, zu wissen, wer der Vate⸗ der Ministerschaft des Herrn Müller ist. (Der Reichskanzler ist er⸗ schienen.) Die Enistehungsgeschichte des Kabinetts Cuno zeigt, daß wir kein parlamentarisches Regime haben. Der Kuhhande! bei der Getreideumlage hat mit der Bildung dieses Kabinetts seinen Abschluß gefunden. Die Vereinigte Sozialdemokratie steht noch heute auf dem Boden der Koalitionspolitik. Herr Breitscheid stellte ja gestern die Demokraten der Deutschen Volkspartei gleich. Warum haben also die Sozialdemokraten die Deutsche Volkspartei eigentlich nicht schlucken wollen? Herr Breitscheid erklärte das nur so, daß die Volksartei zahlreicher und damit gefährlicher sei, während die Demokraten leichter zu verdauen seien. Das ist der grundsatz⸗ treue Breitscheid. Aber das ist ja nicht der wahre Grund, sondern die Sozialdemokraten fürchten, daß die ehemals Unabhängigen wieder abspringen, wenn sie jetzt schon mit der Deutschen Volks⸗ partei zusammengehen. Das hat ja auch Herr Stresemann in dem Artikel ausgeführt, den Herr Breitscheid gestern zustimmend zitierte. Die Angst vor dem Abspringen der Unabhängigen war der wahre Grund; das hat auch der preußische Minister Braun bestätigt. Der letzten Reparationsnole hätten die Sozialisten nicht zustimmen dürfen wegen der Möglichkeit der Verkümmerung des Achtstunden⸗ tages und der Aufhebung der Zwangswirtschaft für die Nahrungs⸗ miltel. Da die Vereinigten Sozialdemokraten trotzdem der Note zugestimmt haben, sind sie für die Politik des Kabinetts Cuno mit verantwortlich. Herr Breitscheid ist allerdings um diese kitzliche Frage herumgegangen. Die Sozialdemokraten werden, also dem beantragten Vertrauensvotum gustimmen. Der „Vorwärts“ sucht darüber nur hinwegzutäuschen, wenn er es so darstellt, als sei diese Resolution eigentlich gar kein rechtes Vertrauensvotum. Diesem elenden Täuschungsversuch muß ich hier ausdrücklich entgegentreten. Wenn die Sozialdemokraten dem Vertrauensvotum heute zu⸗ stimmen, sind sie mitverantwortlich für das Programm Cuno. Aber die Arbeiter draußen werden dieses elende Gaukelspiel durch schauen. Herrn Schiffer gegenüber bemerke ich, daß das Parlament die Regierung nicht nur zu wählen, sondern auch beständig zu kontrollieren hat. (Präsident Löbe ersucht den Redner, der bereits über eine Stunde gesprochen hat, sich zu beschränken.) Die Ver⸗ elendung wird weitergehen, bis die Arbeiterschaft selbst die Macht ergreift. Nur im Sozialismus gibt es Rettung gegen die Schäden der kapitalistischen Weltordnung.

Reichskanzler Dr. Cuno: Meine Damen und Herren! einer Angelegenheit, die gestern das Haus beschäftigte, und in schweren Vorwürfen gegen den Herrn Reichsminister für nährung und Landwirtschaft Dr. Müller ausklang, habe ich gendes mitzuteilen: Ich habe die Abschrift eines Briefes Dr. Müller erhalten, den er heute an den Herrn Reichspräsidenten gerichtet hat. Ich bringe diesen Brief zu Ihrer Kenntnis:

Herr Reichspräsident!

In der gestrigen Sitzung des Reichst igs sind von den Ver⸗ tretern einer großen Partei gegen mich schwere Vovwürfe er⸗ hoben worden, die darauf hinausgehen, als wenn ich in der uns alle bewegenden Frage der Rheinandpolttek eine vom vater⸗ ländischen Standpunkt aus nicht einwanofreie Haltung ein⸗ genommen hätte. Das Kebinett hit auf weine Bitte noch in der vergangenen Nacht diese Frage dahin geklärt, daß wegen meiner damaligen Haltung keinerlei Zweisel aa nmneiner vaterländischen Gesinnung gerechtfertigt sind.

(Hört, hört! links.) Ich beschränke mich hier auf die ausdrückliche Feststellung, daß meine damalige Tätigkeit sich immer auf verfassungsmäßigem Boden und in der Richtung der höchsten vaterländischen Ziele bewegt hat. Trotzdem bitte ich Sie, Herr Reichspräsident, mich aus dem Amte eines Ministers für Ernährung und Landwirt⸗ schaft zu entlassen. Ich habe mich zu diesem Amte nicht ge⸗ drängt, sondern bin dem an mich gegangenen Rufe gefolgt in der Ueberzeugung, daß bei der gegenwärtigen Not unseres Volks jeder seine beste und letzte Kraft auf dem Gebiete, das er be⸗ herrscht, hergeben muß. In demselben Geist stelle ich mein Amt wieder zur Verfügung. Die Ernährungsfrage ist in der nächsten

Zukunft die grundlegende Frage der deutschen Wirtschaft. Sie

zu lösen, ist nur möglich in rein sachlicher und von politischen

Gegenätzen freier Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft, deren

Unterstützung ich sicher bin, und mit den Konsumentenkreisen.

Die gestern erhobenen ungerechtsertigten Angriffe habe eine solche

Atmosphäre politischer Gegensätze und damit eine Lage ge⸗

schaffen, welche die Möglichkeit der sachlichen Lösung der Er⸗

nährungsprobleme so weit hinausschiebt, daß ich dafür die Ver⸗ antwortung vor dem Lande nicht mehr zu übernehmen vermag.

achen bei den Kommunisten.) 3

Aus diesem Grunde trete ich im Interesse des Vaterlandes von

meinem Posten zurück. Damit erhalte ich die Freiheit, diese

Sache so auszutragen, wie ich es als Minister für Ernährung

und Landwirtschaft nicht hätte tun dürfen.

Meine Damen und Herren! Dieser Brief spricht für sich selbst (sehr wahr! auf der äußersten Linken) und bedarf nur einer kurzen Erläuterung.

Auf Wunsch des Herrn Müller hat nach einem Beschluß des Kabinetts der Herr Reichsminister der Justiz in der vergangenen Nacht die gegen Herrn Müller erhobenen Vorwürfe geprüft.

Hierbei hat der Herr Abgeordnete Sollmann (Köln) erklärt, er 8 könne selbst nicht behaupten, daß Herr Müller zu irgendeiner Zeit die Loslösung der Rheinlande vom Reich erstrebt oder gewollt habe. (Lebhafte Rufe im Zentrum: Hört, hört!) Damit scheiden Vorwürfe, die sich gegen die vaterländische Gesinnung des Herrn Mlller richten, aus. Gleichwohl besteht er auf seinem Rücktritt. Er tut das in der Erwägung, daß er infolge der Angriffe persön⸗ liche Schwierigkeiten zu gewärtigen habe, die die volle Konzentration seiner Kräfte auf sein hochbedeutsames Amt unmöglich machen würden. Da ich gestern der Ueberzeagung Ausdruck gegeben habe, . *) Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgehobenen Reden der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind.

(Zuruf: Ist erledigt.)

daß in dieser schweren Zeit nur sachliche Arbeit bestehen kann. unfruchtbarer Parteikampf zurücktreten muß, mußte ich zu meinem Bedauern das Gesuch des Herrn Müller an den Herrn Reichs⸗ präsidenten weiterleiten. Ich bin mir der durch diesen Zwischen⸗ fall vermehrten Schwierigkeiten bewußt, für das Antt des Reichs⸗ ernährungsministers eine Persönlichkeit zu gewinnen, dem in gleicher Weise das Vertrauen der Landwirtschaft und die sachliche Eignung zur Seite steht, hoffe aber, das Kabinett alsbald ergänzen zu können, und appelliere erneut im vollen Gefühl der schweren Verantwortung, die auf uns allen lastet, an die fachliche Mit⸗ arbeit dieses hohen Hauses. (Lebhafter Beifall bei der Deutschen Volkspartei und im Zentrum. Abgeordneter Ledebour: Also Sie identifizieren sich mit der Agrarpolitik des Herrn Müller! Lebhafte Rufe: Ruhe!)

Die Erklärung des Reichskanzlers wird von der äußersten Linten mit stürmischen Zurufen begleitet, aus denen besonders heftige Hinweise des Abg. Ledebour auf die Agrarpolitik des Kabinetts heraustönen. Die Zwischen⸗ rufe werden durch Gegenrufe von der Rechten beantwortet, die im einzelnen nicht verständlich sind, da ein großer Tumult längere Zeit anhält.

Die Kommunisten Koenen und Genossen haben folgendes Mißtrauensvotum beantragt::

„Die Erklaͤrung der Reichsregierung entspricht nicht den An⸗ schauungen des Reiches. Insbesondere mißbilligt der Reichstag die auf Grund der Note vom 13. November 1922 angekündigte Durch⸗ brechung des Achtstundentages, die in Aussicht gestellte Massen⸗ entlassung behördlicher Angestellter und Arbeiter, die Beseitigung der Getreideumlage und die danach angekündigte neue Brotpreis⸗ steigerung und außerdem, daß die Regierung durch Sicherung der kapitalistischen Substanz, des Wiederbeschaffungspreises als Grund⸗ lage für die Preisbildung die unbeschränkteste Wucherfreiheit her⸗ zustellen entschlossen ist.“

Abg. Dr. Stresemann (D. Vp.): Die Erklärung des Reichskanzlers veranlaßt mich zu der Frage, wer die Verant⸗ wortung dafür trägt, daß Herr Dr. Müller zum Ernährungs⸗ minister ernannt worden ist. Herr Dr. Müller war Syndikus der rheinischen Landwirtschaftskammer, und diese Kammer ist von dem Verdacht frei, daß sie irgendwie mit antinationalen Tendenzen irgendetwas zu tun hat. (Lachen links. Ruf links: Nationale Gesinnung!) Ich habe ebensowenig, wie gestern Herr Marx, die Absicht, mit Ihnen uüber nationale Gesinnung zu diskutieren. (Zustimmung rechts. Lärm links.) Sie haben sich wiederholt dagegen gewandt, daß Ihnen von der rechten Seite nationale Ge⸗ sinnung abgesprochen wurde; vergiften Sie jetzt nicht den politischen Kampf durch Anzweiflung der nationalen Gesinnung andevrer. (Ruf links: Vaterlandslose Gesellen!) Wenn das Kabinett einen solchen Mann berief, konnte man annehmen, daß seine Stellung zu nationalen Fragen geprüft worden ist. Wir wollen doch in einer Zeit, wo das Rheinland so schwer bedroht ist, alle Kräfte im Rheinland zusammenfassen und nicht die politische Gesinnung sondieren. Die Angelegenheit selbst ist für uns durch die Erklä⸗ rung des Reichskanzlers erledigt; er hat mitgeteilt, daß Herr Sollmann selbst erklärt habe, daß irgendwelche Tendenzen für die Abtrennung des Rheinlands von Deutschland bei Herrn Müller nicht zutage getreten seien. Aber ein Mann, der von der Partei⸗ leidenschaft so umdroht ist, kann nicht an der Spitze eines Ministeriums bleiben, das über den Parteien die schweren Fragen lösen muß. Wir begrüßen deshalb die gefundene Lösung. Es läge im Intevesse des Ganzen, wenn damit diese Angelegenheit auch aus dem weiteren politischen Kampf ausschiede. Die Schwie⸗ rigkeiten für die Vereinigte Sozialdemokratie, in die Regierung einzutreten, sind von uns obiektiv und unbefangen gewürdigt worden. Solche Schwierigkeiten bestanden auch für uns. Diese Schwierigkeiten sind bei den Flügelparteien naturgemäß groß. Ich habe für die Zusammenarbeit schon seit langer Zeit gekämpft, auch schon als wir in der Regierung Fehrenbach saßen. Ich habe damals den Gedanken aufgeworfen, ob nicht eine große Koalition möglich wäre, um stabile Verhältnisse zu schaffen, eine Regierung auf lange Sicht zu bilden und dem Ausland gegenüber geschlossen zu sein. Diese Meinung ist damals bei uns ebenso umkämpft worden, wie die Stellungnahme dazu innerhalb der sozialdemokra⸗ tischen Partei. Der Abg. Breitscheid hat mich dafür zitiert, er hätte aber auch zitieren müssen, daß ich gesagt habe, alle anderen Rücksichten müßten jetzt mit Rücksicht auf die außen⸗ politische Lage zurücktreten. Die Regierungsbildung ist nicht, wie die Legende draußen sagt, durch die Parteien und Fraktionen dieses Hauses erschwert worden. Es ist auch falsch, es so hinzu⸗ stellen, als wenn die Fraktionen dem Reichskanzler das Leben schwergemacht hätten. Nein, die Sch wierigkeit, vor der Herr Cuno stand, war die, ob er Persönlichkeiten finden würde innerhalb oder außerhalb dieses Hauses, die gewillt waren, in dieser schweren Zeit die Verantwortung für die Führung der Geschäfte zu über⸗ nehmen. An dieser Verantwortung hat es gefehlt. Der Reichs⸗ kanzler hat uns ein Beispiel des Verantwortungsgefühls gegeben, und müssen ihm dafür dankbar sein. (Beifall.) Sonst wird heute immer darüber geklagt, daß die Vorsteher großer Wirtschaftsunternehmungen sich scheuten, in Staatsämter einzutreten. Wenn es richtig ist, daß der Reichspräsident sich außer an Herrn v. Rosenberg auch sonst an Berufsdiplomaten ge⸗ wandt hat und diese das Kommen überhaupt ablehnten, so zeigt sich auch hier wieder die Notwendigkeit einer Wiederherstellung der Staatsautorität, von der der neue Reichskanzler gesprochen hat. Niemand, der im Amt steht, darf einen Ruf ablehnen. er nuß kommen. Wenn wir eine ruhige und verfassungsmäßige Ent⸗ wicklung in Deutschland anstreben, so haben wir alles zu tun, um das Ansehen des Parlaments zu erhalten, und das erhalten wir vor allem durch Aufrechterhaltung der Würde des Parlaments hier in diesem Saal. (Sehr richtig!) Sonst wird sehr leicht das Parlament draußen als der Sündenbock hingestellt werden. Ich bedauere die jetzige Entwickkung der Dinge. Was soll man draußen sagen, wenn man hört, über das Programm des Reichs⸗ kanzlers sind beinahe alle Parteien einig, wenn dann aber dieselben Parteien, die das Programm billigen, nicht zur Regierungsbildung zusammenkommen. Sie (zu den Sozialdemokraten) beschweren sich darüber, daß Persönlichkeiten ins Kabinett gekommen seien, die scharfe Gegner Ihrer Anschauungen wären, insbesondere Herr Becker. Nun hat aber in dem Kompromißkampf um die Steuer⸗ gesetze gerade Herr Dr. Becker Richtlinien aufgestellt, die der damalige Reichskanzler Dr. Wirth namens der damaligen Re⸗ gierung, der doch auch sozialdemokratische Mitglieder angehörten, durchaus gebilligt hat. Die Ausführungen des Herrn Dr. Breit⸗ scheid waren eigentlich etwas inkonsequent. Er wollte nach außen hin nur Verständigung und keine Machtmittel, aber für die innere Politik sahen seine Ausführungen danach aus: Nur Macht⸗ mittel und keine Verständigung. (Sehr gut!) Wenn er nämlich zum Ausdruck brachte, es sei natürlich in der kleinen Koalition für die Sozialdemokraten bequemer gewesen, so bedeutete das doch den Anspruch einer größeren Uneingeschränktheit in der Macht. Sie (zu den Sozialdemokraten) vertreten außenpolitisch den Standpunkt, daß man einen Sieg nicht überspannen soll, wenn man ihn nicht in Frage stellen will. Das sollten Sie auch auf innenpolitische Verhältnisse anwenden. Bei uns in Deutsch⸗ land gilt es jetzt, die verschiedenen geistigen und wirtschaftlichen Kräfte zu einem Ganzen zusammenzufassen, und dabei kann nicht lediglich nach der Fraktionsstärke verfahren werden. Wenn Sie die Deutsche Volkspartei mit Herrn Stinnes dentifizieren. so hat auch auf dem sozialdemokratischen Parteitag Herr Bernstein den Ausdruck geprägt, man solle Stinnes nicht zum Kinderschreck der Sozialdemokratie machen. Es ist eine ganz falsche Ansicht, daß es sich bei den Vertretern der Industrie immer nur um den Profit handelt. Lesen Sie doch die Schriften Walter Rathenaus nach.

zentrieren alle ihre Kräfte auf die

wir

T der Wenn viele Unternehmer sich i unserer Partei befinden, so freuen wir uns darüber, denn gerade Unternchmer haben doch das einzige mit aufrechterhalten, wir heute noch an Kraft in Deutschland haben. Hinsichtlich der Angriffe gegen die freie Wirtschaft und die Monopolwirtschaft bin ich der Meinung, daß wir niemals eine solche Neigung zur monopolwirtschaftlichen Entwicklung gehabt hätten, wenn wir nicht die Zwangswirtschaft gehabt hätten. Ich bin durchaus nicht in den Gedankengängen der Kartelle und Syndikate befangen, ich habe erst neulich im Rheinland davor gewarnt, diese Politik der Preisfestsetzung und der Einengung des Käufers weiter fort⸗ isetzen. Die Vorwürfe gegen die freie Wirtschaft sind ganz ver⸗ hlt, denn von freier Wirtschaft sind wir gegenwärtig weit ent⸗ fernt. Bei den privatmonovolistischen Bestrebungen handelt es sich weit mehr um sozialistische Gedanken. Wenn darauf hin⸗ gewiesen wird, daß Dr. Becker bei der Zwangsanleihe sich gegen eine zu hohe Belastung des Besitzes gewehrt habe, so sollte man doch rein nüchtern wirtschaftlich denken und fragen: War denn ein Weg falsch, der von der Entziehung zu großen Kapitals absehen wollte? Heute herrscht überall in der Industrie Kreditnot, so daß ohne ausländisches Kapital kaum noch der Betrieb fortgesetzt werden kann. Gegenüber den Einwendungen von sozialdemo⸗ kratischer Seite gegen das Regierungsprogramm mit seinen Be⸗

merkungen über die Mehrarbeit verliest Redner eine Stelle aus

Verstarkung Produktion.

die was der

einem Artikel des Sozialdemokraten Schippel in den „Sozialistischen Monatsheften“. Ich freue mich, so fährt Redner fort, daß der Reichskanzler und Herr Stinnes einer Meinung sind, daß nämlich eine Stabilisierung des Markkurses ohne Steigerung der Arbeit unmöglich ist. Den größten Wert müssen wir darauf legen, daß wir unsere handelspolitische Selbständigkeit wiedergewinnen. Man sollte doch nicht den Eindruck erwecken, als wenn es in Deutsch⸗ land Staatsmänner gäbe, die gegen die Stabilisierung der Mark wären. Minister, die nicht das Letzte einsetzten, um unsere Währung zu heben, würde ich als Verbrecher am deutschen Volke betrachten. Den Währungsverfall haben wir mit dem Untergang deutscher Kulturschichten bezahlen müssen. Entscheidend ist nicht der innere Konsum, sondern unser weltwirtschaftliches Ansehen Das Markproblem ist nicht nur ein arithmetisches Exempel, sondern der Gradmesser des Vertrauens des einen Volkes in die Entwick⸗ lung des anderen. Wir haben dieses Vertrauen verloren, seitdem die Welt an den Schwierigkeiten der Aufbringung der ersten Gold milliarde sah, daß wir dazu gar nicht in der Lage waren, und zweitens, auch die Empfindung hatte, daß wir nicht selbst alles taten, um aus dem Elend herauszukommen. Wenn die Produktion Deutschlands nur um 20 vH gesteigert würde, so würde die Wirkun ein erhebliches Steigen der Mark sein. (Zustimmung.) Dann noch eine innerpolitische Frage, betreffend den Schutz der Republ⸗ Ich bin der Meinung, daß die Verhältnisse nach innen so we beruhigt sind, daß wir bei voller Aufrechterhaltung der B strafungen uns die Frage vorlegen sollten, ob wir weiter polize lichen Schutz in bezug auf die Organisationen und die Pre gebrauchen. ebhafte Zustimmung rechts, Unruhe und Hör Hört⸗Rufe links.) Ich könnte darauf hinweisen, daß manche O gane, die Dr. Köster verboten hat, auch mich und meine Partei in pöbelhaftester Weise angegriffen haben. Aber ich komme üb ein gewisses Empfinden nicht hinweg, und wende mich gerade

die Herren auf der Linken, die demokratisch denken: Auch d Sozialdemokratie kann innerlich keine Freude daran haben, Bo stimmungen bestehen zu lassen, die auf der Basis von Ausnahme⸗ gesetzen einen Einschnitt in Recht und Freiheit bedeuten Die Verabschiedung jener Gesetze war ein politischer Akt, zu de ich mich heute noch bekenne, und war durch die damaligen Be⸗ strebungen notwendig geworden. (Zuruf links: Heute noch!) Aber ich frage doch, ob heute noch dieselben Beweggründe obwalten. (Abg. Dittmann: Jawohl!) Den Gedanken, daß man geistige Bewegungen nur mit geistigen Mitteln bekämpfen soll, sollte man nicht ohne dringendste Notwendigkeit aufgeben. Meinung, daß das Kabinett die Aufgabe hat, sich die Frage zu überlegen, wann der Zeitpunkt gekommen ist, dieses Gesetz, das nichts anderes war als eine Kodisikation der Not, in denjenige Bestimmungen aufzuheben, die außerhalb der Bestrafung von Mördern in der Beschränkung des Rechts und der freien Meinung liegen. (Zustimmung rechts.) Bezüglich der Außenpolitik gebe ich dem Reichskanzler vollkommen zu, daß wir nicht auf die Un einigkeit der Alliierten bauen sollen, weil wir sonst die Leid⸗ tragenden sein würden. In England ist die Partei ans Ruder gekommen, die am meisten an den alten Traditionen festhält, jedenfalls mehr als die hin und her flackernde Politik von Lloyd George. Aber gegenwärtig scheint mir, als wenn der Blick des englischen Außenministers mehr nach Indien als nach Europa lenkte. In Italien ist Nitti beseitigt, der am meisten Sanktionspolitik bekämpfte, und seine Zeitung ist zerstört. 2 Reden des jetzigen italienischen Ministerpräsidenten sind unk aber irgendeine aktive Politik in der Richtung Nittis lassen nicht erkennen. Die Vereinigten Staaten würden vielleicht eine aktivere Politik in Europa treiben, wenn sie nicht durch das Parla⸗ ment gehemmt würden. Das bedauere ich besonders deshalb, weil der Kanzler meinte, daß ohne das aktive Eingreifen der Vereinigten Staaten die Reparationsfrage überhaupt nicht definitiv zu regeln ist. Seien wir froh, wenn wir unsere Handelsbeziehungen zu Amecerika aufrechterhalten können. Ein hervorragender Amerikaner sagte mir, ein kaufkräftiges Europa sei für die Vereinigten Staaten abhängig von dem Unterschied zwischen Stabilität und Prosperität. Zur Prosperität könne man nur kommen, wenn Europa kauf⸗ kräftig sei. Dieser weltwirtschaftliche Gedankengang scheint allmählich in weitere Kreise zu dringen.

Man hat in letzter Zeit oft das Wort variiert, ob die Politik oder die Wirtschaft das

Völker ist, aber zu keiner Zeit war die Politik mehr durch Wirt⸗ schaft beeinflußt als jetzt. Die ganze Weltfrage, die ganze deutsche Frage kann nur gelöst werden durch das Zusammenwirken der Nationen, aber nicht durch den reinen Pazifismus. Die Welt ist nie weniger pazifistisch eingestellt gewesen als jetzt. (Sehr wahr!) Zu einer Aktion Deutschlands mit dem Völkerbund habe ich kein Vertrauen, denn die größte Enttäuschung für Deutschland war die oberschlesische Entscheidung im Völkerbund. (Sehr wahr!) Ich kann das Selbstbestimmungsrecht der Völker nicht in diesem Bunde gesichert sehen. Kann der Sozialismus seine internationalen Be⸗ ziehungen zur Verfügung stellen? Ich sehe ihn überall zu schwach, um dieses Ziel zu erreichen. Allerdings ist er jetzt in England durch den Sieg der Labour Party gestärkt, aber nur als Führerin der Opposition gegen eine konservative Mehrheit. Was der Soziolismus für uns tun kann, werden wir allerdings dankbar anerkennen. Aber es bleibt uns nur, was man auf der Linken ironisch als internationalen Kapitalismus bezeichnet, was ich aber Verbundenheit der weltwirtschaftlichen Interessen nennen möchte. Das Passivum des Welthandels ist für uns das beste Aktivum.

sehr konservative System

Austausch ist zerschlagen.

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Verantwortlicher Schriftleiter: Direktor Dr Tyrol Charlottenburg. Verantwortlich für den Anzeigenteil: Der Vorsteher der Geschäftsstelle Rechnungsrat Mengerina in Berlin Verlag der Geschäftsstelle (Mengerinc) in Berlin. Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlagsanstalt, Berlin Wilhelmstr 32. 8 Sechs Beilagen (einschließlich Börsenbeilage) nd Erste. Zweite. und Vierte Zentral⸗Handelsregister⸗Beilage

Ich bin der

8 Auch Rathenau, der manchmal mit Ideen spielte, würde nicht zweifeln, daß die Politik das Schicksal der

Erste Beilage

eichsanzeiger und Preußi

Berlin, Montag, den 27. November

den Staatsanzeiger —1922

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Die Weltwirtschaft war ferner auf ein feststehendes Währungs⸗ ystem in allen Hauptländern eingestellt. Die Währung ist ver⸗ allen. Damit ist die ganze Kalkulation zugrunde gerichtet. Die Frage, wie wir eine sichere Grundlage für die Einstellung einer gesunden Weltwirtschaft wiederfinden, interessiert auch die Bankiers und die Volkswirtschaftler in England, sogar auch in Frankreich. Nach einem bekannten Wort wird sich der Bolschewismus in Europa nicht durch Flüsse oder Kanäle aufhalten lassen, aber erst, wenn er Deutschland kaput gemacht hat. Wenn für die Verbunden⸗ heit des Kampfes gegen den Bolschewismus auch die Wirtschafts⸗ kreise sich interessieren, um Deutschland nicht versinken zu lassen, so soll man diese Gebundenheit der Weltwirtschaft begrüßen. Ich sehe darin den einzigen Weg zur Lösung. Wir müssen unbedingt etwas gegen die Ueberflutung mit Ausländern tun. Die Engländer halten uns immer vor, wir sollten unser Budget in Ordnung bringen. Das können wir nicht tun, wenn Hunderte und Tausende von Ausländern für geringes Geld in Deutschland verkehren. (Sehr richtig!) Hier könnte man die Mittel für neue Einnahmen schaffen. (Sehr gut!) Die Entscheidung darüber, ob man in Brüssel den weltwirtschaftlichen Gedankengängen folgen wird oder nicht, hängt von Frankreich ab. Nie war Frankreich so übermächtig wie jetzt, und nie war Europa so in die Hand einer Macht ge⸗ geben wie jetzt. Der Staatsmann würde nicht realpolitisch handeln, der nicht diese Situation zum Ausgangspunkt seiner Ueberlegungen machte. Wir sehen einen Ideenkampf in Frankreich, die einen ver⸗ langen positive Pfänder und das Rheinland, die anderen sehen den weltwirtschaftlichen Zusammenhang, daß der Währungsverfall von Osten nach Westen geht und sich auch nicht durch Flüsse und politische Grenzen aufhalten läßt. Wenn man in Frankreich nicht die Folgerung aus dem Untergang Deutschlands zieht, dann wird der Frank genau dieselbe Bewegung machen wie der russische Rubel, die polnische Mark und die deutsche Mark. Man wirft uns in Frankreich vor, wir führten die Markentwertung künstlich herbei. Ist das überhaupt möglich? Ferner, wir hätten keine Leistungen hervorgebracht. Rathenau wie Simon hat uns ein erschütterndes Bild davon gegeben: Noch nie hat ein Volk in der Weltgeschichte so viel geleistet wie Deutschland durch Reparationen. Clemenceau behauptet in Amerika, Deutschland bereite die Revanche vor. Ich mich, daß hervorragende Amerikaner sich dagegen gewandt daben. Ein hervorragender Franzose saate mir: „Ja, wenn wir nicht Deutschland durch militärische Mittel im Schach halten, wird dann nicht bei der Stimmung des deutschen Volkes der Gedanke sein, in Vexrbindung mit dem Osten oder durch neue Mittel der Chemie wieder gegen Frankreich vorzugehen?“ Ich frage, warum wendet sich der Haß des deutschen Volkes gegen Frankreich und nicht gegen England? Als der Weltkrieg kam, war kein Gefühl des Hasses gegen Frankreich, man hatte nur eine starke Abneigung gegen England, in dem man den Urheber des Krieges sah. Daß es anders geworden ist, liegt nicht am Krieg, sondern an der Fortsetzung des Krieges nach dem geschlossenen Frieden. (Sehr wahr!) Das ist die Politik der fortgesetzten Demü⸗ tigung Deutschlands, die sich ein Volk von dem Streben des deutschen Volkes nicht auf die Dauer gefallen lassen kann. (Zu⸗ stimmung.) Es ist der ganze Ton, in dem zu uns gesprochen wird, gleichviel, ob unsere Regierung rechts oder links steht. England war ebenso erfolgreich im Kriege und hat uns tief geschädigt, aber hringt uns eine andere Form entgegen. Zwar ist es nicht eine Formfrage, aber bis heute sehen wir noch nicht. daß wir mit Frankreich im Frieden stehen. Die Politik Frankreichs will Deutsch⸗ fand über Versailles hinaus zertrümmern. Eine solche Politik kann nicht durch Jahrzehnte geführt werden, ohne Europa wieder in den Kriegswirrwarr zu stürzen. Man schafft dadurch nicht ein politisches Definitivum, sondern ein Provisorium. Man kann die Leute im Saargebiet zwingen, den Franken anzunehmen, man kann Zollgrenzen errichten, aber das nationale Empfinden des Rheinlands hat sich nie heißer geäußert, als unter dieser Gewalt⸗ volitik. (Lebhafter Beifall.) Es gibt allerdings auch in Frankreich folche, die ehrlich mit uns eine Verständigung wollen. Wir müssen ernstlich die Frage einer wirtschaftlichen Annäherung zwischen Fvankreich und Dentschland betreiben. Eine Politik des Wieder⸗ aufbaus und der Annäherung der französischen und deutschen Schwerindustrie ist aber mit der Politik der Sanktionen und Ulti⸗ maten und mit der Fortsetzung der Besetzung nicht vereinbar. (Sehr wahr!) Ein Abbau dieser Politik ist etappenweise unbedingt notwendig, wenn Frankreich nicht allmählich in eine moralische Isolierung in der Welt kommen will. Ich bann mir die Liefe⸗ rungen zum Wiederaufbau Nordfrankreichs nur denken, wenn um so viel Milliarden, wie wir liesern, auch die Besatzungskosten herabgemindert werden. Alles kommt jetzt auf eine definitive Regelung des Reparationsproblems an. (Sehr richtig!) Das dentscke Volk kann nur freudig sein Letztes geben, wenn es weiß, daß es für sich arbeitet, und wenn die Höhe seiner Verpflichtungen seststeht. In diesem Sinne muß unser Außenminister aktive Politik treiben. Für unsere Leistungen müssen uns politische Konzessionen gemacht werden. Wir billigen das Programm des Reichskanzlers. Um so besser, wenn es auch das Programm des vorigen Reichs⸗

nzlers war, dann werden die, die hinter Wirth standen, auch hinter Cuno stehen. Der Reichskanzler nennt sein Kabinett ein Zabinete der Arbeit. Müßig, darüber zu streiten, welche Parteien es bilden. Nie war der Parteienkampf weniger norwendig als jett, wo Herr Marr sagte, der Feind stehe vor den Toren. Wir müssen uns zusammenfinden in dem einen Gedanken der Arbeit. (Lebhafter Beifall.)

Abg. Leicht (Bayer. Vp.): Alle Redner hätten der schweren Stunde Rechnung tragen müssen, in der der Reichskanzler die Regierung übernommen hat, insbesondere auch die Redner der Sozialdemokratie. Am meisten bedaure ich, daß Herr Breitscheid der außenpolitischen Lage nicht genügend Rechnung getragen hat. Angesichts unserer Notlage hätte sich eine einheitliche Linie im Hante auch bei dieser Besprechung finden lassen sollen. In der —vom Wolf und dem Lamm handelt es sich darum, wer das Wasser getrübt hat. Diese Fabel scheint mir hier umgekehrt zu sein. (Heiterkeit.) Wer noch keine Not in unserem Lande er⸗ kennen will, wandere doch einmal durch unser Land, um zu sehen, wie Gewerbe und Handwerk untergehen. Sehr wahr!) Welche Sorgen bestehen in den kinderreichen Familien für die Ernährung und in der Wohnungsnot! Auffällig, daß in den Großstädten eine Wohnungsnot nur für die Ausländer nicht besteht! (Sehr wahr!) Die Haare sträuben sich, wenn wir bedenken, daß vielleicht in einem Vierteliahr die Pflege⸗ und Krankenanstalten ihre Dienste einstellen müssen. Wenn unsere Studenten zu 70 bis 80 vH. körperlich arbeiten müssen, um ihre Studien fortsetzen zu können, so zeugt das von dem Idealismus unserer Studenten, maber

ch von unserer Not. (Sehr wahr!) Erst Brot! dann Repo⸗ ionen! Erst muß man leben, dann kann man leisten. (Sehr

Ich unterstreiche die Ausführungen des Vorredners über die

parationsfrage. Eigentlich war kein Anlaß zu einer Regierungs⸗ krise, eine Stabilisierung der Mark, die die Sozialdemokratie doch auch will, ist gar nicht möglich ohne wirtschaftliche Maßnahmen

br Hebung unserer Produktion. Der Achtstundentag so die. brundlage sein, aber es muß doch Ausnahmen geben. Die Sozial⸗ demokraten sagten gestern, in der Landwirtschaft gebe

nahmen. Gewiß, die Landwirte arbeiten mehr als acht Stunden, aber die landwirtschaftlichen Arbeiter nicht. In Bayern wird das Programm des Reichskanzlers volles Vertrauen finden. (Beifall.)

Abg. v. Graefe (Deutsch⸗völkisch): Im Volk draußen voll⸗ zieht sich eine Bewegung von wachsender politischer Bedeutung, in deren Namen wir sprechen. (Lachen links.) Auch Sie Gu den Sozialdemokraten) haben einmal sehr klein angefangen. Die Paxteigruppierungen hier entsprechen nicht mehr den Verhält⸗ nissen draußen im Lande. Der Tanz des internationalen Groß⸗ kapitals um das goldene Kalb hat auch die Sozialdemokraten und Demokraten beeinflußt. Die ganze Politik des Zentrums, Kanzlers Wirth, war auf die Gewinnung der Gunst des Bankt⸗ kapitals eingestellt; Herr Straßmann und seine Freunde wollen dasselbe, und bis in die Kreise der Deutschnationalen Volksparten reichen diese Bestrebungen. (Aha! links.) Ich erinnere an das Beispiel Indiens. Wo ist das Volk Indiens, auch ein Volk der Dichter und Denker, geblieben unter der Herrschaft des englischen Kapitals? Das internationale Kapital wird auch uns zugrunde richten, diese Kräfte, die den Krieg mit verschuldeten, können nie am Wiederaufbau Deutschlands teilnehmen. Eine bölkisch⸗ idealistische Bewegung allein wird uns weiter bringen durch Arbeit zur Wiedergeburt! Kreise mit jüdischem Empfinden (Gelächter links) werden uns nicht helfen, denn diese jüdischen Kreise sind uns zum Fluch geworden. Eine überparlamentarische Regierung ist nach unseren heutigen Zuständen undenkbar. Das neue Kabi⸗ nett hat seinen Kurs nicht scharf umrissen, es fehlt ein klares Bekenntnis zu einer neuen Politik. Im Gegenteil, der alte Kurs soll weiter gesteuert werden, und daher auch die tiefe Sehnsucht nach Mitbeteiligung der Sozialdemokratie. Nun trotz des Theater⸗ donners des Herrn Breitscheid werden ja auch die Sozialdemo⸗ kraten dem Kabinett ein verklausuliertes Vertrauensvotum er⸗ teilen, denn das Kabinett steht ja auf dem Boden der Note vom 3. November. Gerade diese Note scheint mir ein verhängnis⸗ voller Schritt, eine böse Erbschaft zu sein, die Herr Wirth dem neuen Kabinett hinterlassen hat. Herr Cuno hätte lieber sagen sollen, daß er diese Erbschaft ablehnt. Auch den Mut hätte er besitzen müssen zu sagen, daß weitere Reparationen unmöglich sind. Die logische Konsequenz der gestrigen Ausführungen des Reichskanzlers führt rettungslos zur Fortsetzung der Erfüllungspolitik. Völkische Einheit muß im Gegensatz zu jüdischem Marxismus und Kapi⸗ talismus wieder zur Geltung kommen. Darauf warten Millionen Deutsche, und dem Kanzler, der das Steuer in diese Richtung herumwirft, wird das Vertrauen des Volkes uneingeschränkt gehören.

Abg. Müller⸗Franken (Soz.): Das wären schöne völkische Kreise, die nach Ansicht des Vorredners den Wiederaufbau leiten sollen! Was hat es mit Preßfreiheit zu tun, wenn man sich vor Mord und Brandstiftung schützt, wie sie z. B. das bayerische Blatt „Heimatland“ gegen die „Roten“ empfiehlt? Herr Schiffer hat keine Ursache, uns Flucht vor der Verantwortlichkeit vorzuwerfen. Gerade die Demokraten haben sich der Verantwortlichkeit mehr als einmal entzogen. Ich muß die Legende zerstören, daß wir das Kabinett Wirth zerstört hätten. Kein bürgerlicher Minister hat mehr als Dr. Wirth das Vertrauen der Arbeiterschaft besessen. Seine auswärtige Politik war das einzig Richtige unter den heutigen Verhältnissen. In Frankreich fragt man immer wieder, ob man Sicherheit gegen einen neuen Angriff Deutschlands habe. Wenn es auch törichte Furcht ist, müssen wir doch mit der Stim⸗ mung in der französischen Kammer rechnen. Darum legten wir Wert darauf, daß mit Herrn Dr. Wirth ein zuverlässiger Repu⸗ blikaner an der Spitze des Kabinetts stand. Wir haben Herrn Wirth geraten, nichts weiter zu ändern, als den Posten des aus⸗ wärtigen Ministers zu besetzen. Gegen eine Sanierung der Post durch einen Ruf an die Wirtschaftskreise hatten wir auch nichts einzuwenden. Aber mit dem Wirtschaftselend ist es auch so eine Sache. Ein Wirtschaftler bleibt nun einmal, den bürgerlichen Traditionen getreu, lieber beim Geschäft, und wenn er doch ein Staatsamt übernimmt, wie Rathenau, wird er ermordet. Die Kraftprobe ist nicht von uns, sondern von anderer Stelle ausgegangen, nicht von der Volkspartei. Es ist offenes Geheimnis, daß der agrarische Flügel des Zentrums unter Führung Stegerwalds mit einem Male die große Koalition ver⸗ langte. Vielleicht wollte man uns zum Nachgeben zwingen, aber wir sind fest geblieben und haben Nein gesagt. Von einer völligen Einigung über ein Programm war bei den Verhandlungen keine Rede. Wir Sozialdemokraten blieben dabei, daß die Stabilisierung der Mark das Primäre bleiben muß. Steigerung der Produktion ohne Stabilisierung der Mark, ohne Besserung der elenden Ernährungs⸗ verhältnisse ist unmöglich. Solange der Arbeiter nicht weiß, was er mit den elenden Papiermark Wochenlohn anfangen soll, kann man ihm keine Mehrarbeit zumuten. Der Arbeiter flucht der freien Wirtschaft und nun will man die Axt an die letzten Ueber⸗ bleibsel der Zwangswirtschaft legen! Der Hauptstoß ging gegen den sozialdemokratischen Wirtschaftsminister. Wir wollten nicht in erster Linie die Hilse des Auslands, sondern eine Stütze der Währung aus eigener Kraft im Innern. Herr Stinnes hat gegen die Note vom 13. November gewütet; in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ hat er sich dazu einen Mann engagiert, der mit der Sozialdemokratie zerfallen ist und als literarischer Raufbold gilt. Aus der Deutschen Volkspartei sind bereits Stimmen laut ge⸗ worden, die Koalition auf die Deutschnationalen auszudehnen. Herr Mittelmann schreibt von der Volkspartei als von „Treu⸗ händern“ der Deutschnationalen. Soll uns das nicht mißtrauisch machen? Angesichts der Stellung der Deutschnationalen zur Frage der Hergabe des Reichsbanlgoldes würden sie sich nur ins Gesicht schlagen, wenn sie der Regierung Vertrauen aussprächen. Der Fall Müller hätte sich die Regierung ersparen können, wenn sie unsere Fraktion vorher befragt hätte. Das Kabinett ist nur ein Kabinett der bürgerlichen Arbeitsgemeinschaft. Aber Deutschland kann nur leben mit der Republik, für die wir alle unsere Kräfte einsetzen. Der Reichskanzler hat sich auf den Boden der Weimarer Verfassung gestellt. Wir müssen zu einer Stabilisierung der Mark kommen und werden darin die Regierung unterstützen. Im übrigen werden wir den Boden der sachlichen Opposition nicht ver⸗ lassen. Dia Massen draußen werden unsere Stellungnahme ver⸗ stehen. (Baifall bei den Sozialdemokraten.)

Ein von den Demokraten gestellter Schlußantrag wird gegen die Stimmen der Kommunisten angenommen. Die Kommunisten begleiten diesen Beschluß mit stürmischem Widerspruch und rufen: Unerhört.

Abg. Sollmann (Soz.) bemerkt persönlich: Da die Form der Erkläxung des Reichskanzlers zu dem Mißverständnis Anlaß geben köunte, ich hätte irgendeine meiner Behauptungen zurück⸗ genommen oder auch nur gemildert, stelle ich folgendes fest: Nach der gestrigen Reichstagssitzung ließ mich Justizminister Dr. Heinze in das Amtszimmer des Reichskanzlers bitten, wo neben dem Reichsjustizminister Dr. Karl Müller anwesend war. Später nahm an der Sitzung, die bis Mitternacht dauerte, Arbeitsminister Dr. Brauns teil. Ueber den Verlauf der Besprechungen habe ich zu erklären, daß ich kein Wort von meinen Behauptungen in meiner Reichstagsrede zurückgenommen habe, und Herr Dr. Müller hat nichst eine einzige meiner Behauptungen widerlegen können.

Meine Behauptung, daß Herr Dr. Müller Vorsitzender eines

Aktionsausschusses zur illegalen Herbeiführung der rheinischen Republik gewesen ist, ist nicht widerlegt und nicht erschüttert worden, ebenso hat Dr. Müller bestätigt, daß in diesem Aktions⸗ ausschuß Gesinnungsgenossen Dortens gesessen haben. Auch von der Reise nach Frankreich hat Dr. Müller gewußt und zugegeben, daß in dem Aktionskomitee sich die Bestrebungen einer Loslösung vom Reich geltend gemacht haben. Er habe sichs deswegen vom Aktionskomitee zurückgezogen, aber Dr. Müller hat nichts davon gesagt, daß er einen Einzigen der Verschwörer gegen das Reich dem Strafrichter ausgeliefert hätte. Als Reichsminister war Dr. Müller ein unmöglicher Mann. .

Abg. Koenen (Komm.) bemerkt, seine Partei habe ein Interesse daran, auf die Rede der Stinnespartei zu antworten, und beantrage nochmalige Abstimmung über den Schlußantrag.

Vizepräsident Dr. Bell erwidert, daß er nach der Geschäfts⸗ ordnung durchaus richtig verfahren sei.

Abg. Koenen verlangt vor der Abstimmung, daß das Miß⸗ trauensvotum seiner Partei zuerst zur Abstimmung gebracht werde, und nennt den Vertrauensantrag der Demokraten ein Velegen⸗ heitsgestammel, aber kein wirkliches Vertrauensvotum.

Unter großer Heiterkeit stimmt der größte Teib“ des Hauses dem Verlangen, über den kommunistischen Antrag zuerst abzustimmen, zu. Dagegen wird der kommunistische Antrag, über den Antrag der Demokraten namentlich ab⸗ zustimmen, nur von den Kommunisten, also nicht genügend unterstützt. Abg. Höllein ruft durch den Saal, daß nich einmal die deutsch⸗völkischen Teutonen die namentliche Ab stimmung unterstützt hätten. In einfacher Abstimmung wird darauf der Mißtrauensantrag der Kommunisten gegen die Stimmen der Antragsteller und der Ledebour⸗Gruppe abgelehnt

Der Antrag der Demokraten wird vom gesamten Hause mit Ausnahme der Kommunisten, der Ledebour Gruppe und der deutsch⸗völkischen Abgeordneten Wulle und v. Graefe, angenommen.

In zweiter und dritter Beratung wird die aus Hause beantragte Novelle zum Gesetz über Branntweinmonopol ohne Erörterung nach Anträgen des Ausschusses angenommen.

Um 3 Uhr vertagt sich das Haus bis Montag, den 4. Dezember, Nachmittags 2 Uhr (Interpellationen, kleinere Vorlagen, Geschäftsordnung).

Preußischer Landtag. 184. Sitzung vom 24. November Nachtrag.

Die Rede, die in Beantwortung der Großen Anfrage der deutschnationalen Abgeordneten über die Terrorisierung deutsch⸗ national gesinnter Arbeiter und der Großen Anfrage der Kom⸗ munisten über einen angeblich drohenden Rechtsputsch der Minister des Innern Severing gehalten hat, hatte folgenden Wortlaut:

Meine Damen und Herren, ich habe zu den in den beiden großen Anfragen berührten Gegenständen hier von der Tribüne des Landtages schon so oft Stellung genommen, daß ich glaube, in Ihrem Einverständnis zu handeln, wenn ich mich heute der größten Kürze befleißige. (Sehr gut!) Der Herr Abgeordnete Pieck hat in der Begründung der Anfrage seiner politischen Freunde gesagt, daß er sich gar keinen Illusionen varüber hingebe, daß die Re⸗ gierung nicht die Kraft und den Willen habe, die in der großen Anfrage der Herren von der Kommnistischen Partei geschilderten und beklagten Vorgänge energisch zu bekämpfen. Wenn der Herr Abgeordnete Pieck ein so geringes Vertrauen zu dem Reichs⸗ und Staatsministerium hat, dann verstehe ich eigentlich nicht, warum er und seine politischen Freunde es für nützlich halten, die große Anfrage in eine Aufforderung an die Reichsregierung ausklingen zu lassen, den fasecistischen Gefahren energisch entgegenzutreten. (Abgeordneter Pieck: Ein letzter Versuch!) Wenn Sie gar kein Vertrauen zur Reichs⸗ und Staatsregierung haben, dann müssen Sie sich doch auch sagen, daß auch dieser letzte Versuch ein ver⸗ geblicher sein wird. (Zurufe bei den Kommunisten: Wahrschein⸗ lich wird es so werden!) Ich verspräche mir deswegen, wenn ich mich auf Ihren Standpunkt stellen wollte, von diesen Erörterungen gar keinen Erfoig, und Sie selbst deuten diese Meinung ja auch durch Ihre Zurufe an. 1

Aber, meine Damen und Herren, ich möchte auf die Kehrseite der Medaille aufmerksam machen. Wenn in Ihrer Presse, in Ihren großen Anfragen und in anderen Kundgebungen Ihrer Partei stets die fascistische Gefahr an die Wand gemalt, wenn manchmal in einem geradezu hysterischen Geschrei davon gesprochen wird, daß ein deutscher Mussolini schon vor den Toren stände, dann, glaube ich, kann einmal eine derartige Abstumpfung der gesamten Oeffentlichkeit, insbesondere auch Ihrer Parteifreunde, eintreten, daß man, wenn der Wolf wirklich kommt, dem Geschrei der Kinder nicht mehr glaubt. (Sehr richtig! bei der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei. Zurufe bei den Kommunisten: Das haben Sie beim Kapp⸗Putsch auch gesagt!)

Dann, meine Damen und Herren, noch eins. Diese Debatte könnte ja einen Erfolg haben, wenn sie dahin führte, daß wir uns abgewöhnten, die Oeffentlichkeit durch die ständigen Hinweise auf baldige Links⸗ und Rechtsputsche zu beunruhigen. Ich fürchte, aus den früheren Erfahrungen gewitzigt, daß das aber nicht ein⸗ tritt, und darum halte ich mich jetzt für verpflochtet, darauf hinzu⸗ weisen, daß in der Tat diese ständige Beunruhigung der Oeffent⸗ lichkeit durch die Hervorzerrung von manchmal belanglosen Kleinig⸗ keiten, durch die Aufbauschung dieser Kleinigkeiten zu „Putschen“ uns in eine sehr üble wirtschaftliche Situation bringen kann. (Sehr richtig! Zurufe bei den Kommunisten: Das sind die Folgen Ihrer üblen Wirtschaft!)

Eine schleswig⸗holsteinische Handelskammer hat mir kürzlich berichtet, daß die Aufträge aus Skandinavien, die früher mehrere Industriestädte Schleswig⸗Holsteins monatelang beschäftigt haben, jetzt ausbleiben, weil die Auftraggeber kein Vertrauen mehr zur deutschen Industrie haben Lhört, hört! Lachen bei den Kommu⸗