Die von heute ab zur Ausgabe gelangende Nummer 80 des Reichsgesetzblatts Teil I enthält
das Gesetz, betreffend Aenderung des § 5 Abs. 7 der Ver⸗ ordnung über die Abgeltung von Ansprüchen gegen das Reich vom 4. Dezember 1919 (7EBl. S. 2146) vom 1. Dezember 020 .“ Verordnung zur Aufhebung von Bekanntmachungen über die Einfuhr von Getreide, Futtermitteln und Kunstdünger vom 2. Dezember 1922,
eine Verordnung zur Aenderung der gesetzlichen Post⸗ ebühren vom 5. Dezember 1922, 1 88g Verordnung zur Aenderung der gesetzlichen Postscheck⸗ gebühren vom 5. Dezember 1922, eine Verordnung zur Aenderung der gesetzlichen Tele⸗ graphengebühren vom 5. Dezember 1922,
eine Verordnung zur Aenderung der Postordnung vom 5. Dezember 1922
b Verordnung zur Aenderung der Postscheckordnung
vom 5. Dezember 1922,
eine Verordnung zur Aenderung der Telegraphenordnung vom 5. Dezember 1922, 8
eine Verordnung zur Aenderung der Anweisung für den Funktelegraphendienst vom 5. Dezember 1922, eine Verordnung zur Aenderung der gesetzlichen Fernsprech⸗ gebühren vom 7. Dezember 1922, eeine Verordnung über künstliche Düngemittel vom 5. De⸗ zember 1922 und
eine Beitragsordnung der Angestelltenversicherung vom 2. Dezember 1922. 8
Berlin, den 12. Dezember 1922.
Gesetzsammlungsamt. Krüer
Prenßen. Ministerium für Handel und Gewerbe. Bei dem Berggewerbegericht in Dortmund sind die Berg⸗ räte Hilbck und John in Dortmund zu Stellvertretern des Vorsitzenden unter gleichzeitiger Betrauung mit dem stellver⸗ tretenden Vorsitz der Kammer Dortmund II dieses Gerichts ernannt worden. 1“
5 Bekanntmachung. 88
Dem Kaufmann Hermann Karger genannt Flechner, hier, Rathausstraße 10, haben wir heute auf Grund der Bekannt⸗ machung zur Fernhaltung unzuverlässiger Personen vom Handel vom 23. September 1915 in der Fassung des Artikels III der Verordnung vom 27. November 1919 (RGBl. S. 1909) den Trödelhandel, insbesondere den Handel mit Metallen jeder Art, und zwar auch in der Form mittelbarer oder unmittelbarer Beteiligung an einem solchen Handelsbetriebe anderer, untersagt.
Harburg, den 8. Dezember 1922.
Die Polizeidirektion. Dr. Behrens.
Deutsches Reich. Die vereinigten Ausschüsse des Reichsrats für Ver⸗
fassung und Geschäftsordnung, für Haushalt und Rechnungs⸗ wosen und für Rechtspflege hielten heute eine Sitzung.
Deutscher Reichstag. 279. Sitzung vom 11. Dezember 1922. 1— Nachtrag.
Bei der Fortsetzung der zweiten Beratung über den siebenten Nachtrag zum Reichshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1922, und zwar bei Besprechung des Nachtrags zum Etat des Reichswirtschafts ministeriu ms hat auf Ausführungen des Abg. Bruhn (D. Nat.) über die Notlage der Presse der Reichswirtschaftsminister Dr. Becker folgendes erwidert:
Meine Herren! Die Not der Presse hat uns hier schon so oft beschäftigt, daß man, glaube ich, Neues zu all dem Material, das in dieser Beziehung früher zusammengetvagen ist und dem der Herr Abgeordnete Bruhn heute dankenswerterweise noch einiges hinzugefügt hat, kaum noch hinzuzufügen vermag. Das Reichs⸗ wirtschaftsministerium hat die Entwicklung der Dinge auf dem Gebiete der Presse ja seit langer Zeit nicht nur mit lebhaftem Interesse verfolgt, sondern auch gezeigt, daß es ihm ernstlich darum zu tun ist, der eingetretenen Not, soweit das irgendwie mit öffentlichen Mitteln möglich ist, Abhilse zu schaffen. Die Not hat in den letzten Wochen stark zugenommen. Die Druckpapierpreise sind ja, wie Sie alle und wie insbesondere die Herren, die der Pvesse näherstehen, wissen, gervade in der allerletzten Zeit wieder um ganz enorme Beträge in die Höhe gesetzt worden.
Der Herr Abgeordnete Bruhn hat darauf hingewiesen, daß die Rückvergütungskasse der Presse wenigstens einige Erleichterung in bezug auf die Höhe des Druckpapierpreises schaffen soll. Die Rück⸗ vergütungskasse ist zurzeit mit ihren Mitteln nicht so reich aus⸗ gestattet, daß sie das in erheblichem Umfang kann. Wir haben deshalb einen Gesetzentwurf an den Reichsrat gebracht, wonach die Abgabe für den Umsatz von Holz im Walde, die zurzeit im wesentlichen mit der Ausfuhrabgabe die Rückvergütungskasse speist, auf das Dreifache erhöht werden soll. Da es eine Abgabe ist, die sich nach dem Preise des Holzes im Walde bemißt, die Holzpreise aber, wie der Herr Abgeordnete Bruhn eben hervorgehoben hat, sehr stark in die Höhe gegangen sind, erhoffen wir davon eine sehr kräftige neue Speisung dieser Kasse, die es ermöglichen wird, der Not der Presse wenn auch nicht abzuhelfen, so doch etwas auf diesem wichtigen Gebiete zu tun.
Der Herr Abgeordnete Bruhn hat gemeint, man müsse auch die Aussuhrabgabe im gleichen gesetzgeberischen Akt erhöhen. Ich warne dringend davor, derartige Gedanken zu verfolgen. Wir wissen alle, daß wir mitten in der schwersten Not der ganzen deutschen Wirtschaft stehen, daß unsere deutsche Wirtschaft heute schon auf ganz großen Gebieten ihrer Betätigung mit ihren Preisen am Weltmarktpreis zum Teil sogar über dem Weltmarktpreis steht. Von allen Seiten kommen zurzeit die Ansuchen an das Reichs⸗ wirtschaftsministerium, die Ausfuhrabgabe, die wir haben, herab⸗
zusehen. Der Ausschuß des Reichswirtschaftsrats, der sich beguk⸗ achtend mit derartigen Anträgen befaßt, ist so weit, daß er beinahe alle derartigen Gesuche befürn muß, weil ihm nachgewiesen wird, daß aus der Ausfuhr erhebliche Gewinne nicht mehr gemacht werden können. Ich glaube, in einem solchen Augenblick wäre es unbegreiflich, wenn die Regierung, die derartigen Anträgen auf Herabsetzung der allgemeinen Ausfuhrabgabe aus dringenden wirtschaftlichen Bedürfnissen, aus Rücksicht auf unsere Ausfuhr⸗ industrie, aus Rücksicht auf die Arbeiterschaft, die in der Ausfuhr⸗ industrie beschäftigt ist, stattgeben muß, im gleichen Augenblick käme und die besondere Ausfuhrabgabe, die diese Pressekasse speisen soll, erhöhen wollte. Ich glaube, sie würde auch in diesem Hause für einen derartigen Vorschlag keine Zustimmung finden, und schließlich hat es doch keinen Zweck, Vorschläge zu machen, von denen man von vornherein weiß, daß man sie nicht selbst vertreten kann, oder die, auch wenn man sie selbst vertreten kann, vom Reichstag nicht genehmigt werden würden.
Richtig ist, worauf der Herr Abgeordnete Bruhn hingewiesen hat, daß die Papierholzpreise ganz gewaltig in die Höhe gegangen sind, die Preise also für den Urstoff, aus dem das Papierholz her⸗ gestellt wird. Der Herr Abgeordnete Bruhn weiß, daß das nicht nur mit den Papierholzpreisen, sondern auch bei einer ganzen Reihe von anderen Dingen der Fall ist, in deren Preisbewegung man nicht recht eingreifen kann, ohne daß man das ganze Wirt⸗ schaftsgetriebe bis zum gewissen Grade in Unordnung bringt, ohne daß man zu einer Zwangswirtschaft kommt, die wir doch auf weiten Gebieten abgebaut haben und fortgesetzt weiter abbauen wollen.
Ich glaube also, die Vorschläge, die Herr Bruhn gemacht hat, haben keine übermäßig große Aussicht, im Reichswirtschafts⸗ ministerium beachtet zu werden. Ich würde aber auch glauben, daß sie im Reichsrat, wo wir ohnedies schon Schwierigkeiten haben werden, die Abgabe vom Holz im Walde auf 1 ¾ vH in die Höhe zu bringen, weil dort die Interessenten sehr stark vertreten sind, noch viel weniger Aussicht auf Annahme haben werden.
Lassen Sie mich aber zusammenfassend am Schluß das eine sagen: die große Not der Presse ist im Reichswirtschaftsministerium niemals verkannt worden, sondern man hat sich dort von jeher alle Mühe gegeben, der Not, sowveit es in der Kraft der Regierung und in der Möglichkeit von Regierungsmaßnahmen steht, entgegenzu⸗ treten und ihr abzuhelfen. Sie dürfen überzeugt sein, und die Presse darf überzeugt sein, daß ich an sich grundsätzlich mit meinem Herrn Amtsvorgänger in der Erkenntnis der Notwendigkeit, auf diesem Gebiete zu helfen, soweit das irgendwie geht, einerlei Meinung bin und in der gleichen Richtung weiterarbeiten werde, in der er gearbeitet hat. Es ist eine ernste wirtschaftliche, eine ernste politische und eine ernste kulturelle Frage, in der unser deutsches Vaterland steht, seitdem die Not der Presse dohin geführt hat, daß nicht nur Dutzende, sondern Hunderte von Zeitungen eines lang⸗ samen, aber sicheren Todes sterben. Was wir tun können, um diesen Prozeß, der ebensosehr in der allgemeinen wirtschaftlichen Entwick⸗
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lung, in der Geldentwertung, in der mangelnden Kaufkraft unserer Inlandsbevölkerung und gerade der Schichten, die seither die kleine Presse unterstützt und gehalten haben, begründet ist, — was wir tun können, um diesen Prozeß zu verlangfamen, ihn aufzuhalten und vielleicht doch einmal zu dem Ziel zu kommen, doß er völlig zum Stillstand kommt, das wollen wir tun. Davon dürfen Sie über⸗ zeugt sein. (Bravo!)
Bei der Besprechung des Nachtrags zum Etat des Reichs⸗ wehrministeriums hat in Erwiderung auf Bemerkungen der Abgg. Künstler (Soz.) und Thomas (Komm.) der Reichs⸗ wehrminister Dr. Geßler die folgende Rede gehalten:
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin der Rede des Herrn Abgeordneten Thomas mit ganz besonderem Interesse gefolgt, und zwar deshalb, weil seit einigen Wochen und Monaten gerade die kommunistische Partei ein ganz besonderes Interesse für die Reichswehr entwickelt (hört, hört! rechts und im Zentrum) und offenbar wohl die Zeit gekommen glaubt, um die Reichswehr für ihre Zwecke zu gewinnen. Wenn wir die Rede des Herrn Abgeordneten Thomas gehört haben, so ist es dazu auch höchste Zeit, insofern in der allerkürzesten Frist ein Wiederaufleben des Jahres 1918 vor uns stehen soll. (Lebhafte Rufe: Hört, hört!) So habe ich wenigstens die Rede des Herrn Abgeordneten Thomas verstanden. (Erneute Zustimmung.) H2hAr.
Im übrigen war freilich die Rede für mich eine Fülle von Verschwommenheit, und ich habe das Gefühl gehabt, daß der Herr Abgeordnete Thomas sich in einer Arena fühlte, wo er eigentlich zwei verschiedene Hörerschaften hatte. Auf der einen Seite hat er zeitweise für die Reichswehr gesprochen und Lockrufe an sie aus⸗ gestoßen, auf der anderen Seite hat er dem alten Agitations⸗ bedürfnis Rechnung getragen und gegen die Reichswehr Stimmung gemacht, gegen die Reichswehr mobil gemacht nach dem Prinzip: Zuckerbrot und Peitsche, (Zurufe von den Kommunisten: Das ist Ihr Prinzip, nicht das unserige!) — Verehrter Herr Abgeordneter, Zuckerbrot ist für uns zu teuer geworden, und Peitschen haben wir überhaupt nicht gehabt! (Lebhafte Zustimmung. Lachen von den Kommunisten.) — Gerade Sie (zu den Kommunisten) haben die Peitschen gehabt. (Zuruf von den Kommunisten: Sie Pistolen und Säbel!) — Sie geben mir selbst zu, daß ich keine habe!
Nun möchte ich Ihnen aber folgendes sagen: ich glaube, Ihre Hoffnungen auf die Reichswehr sind vergeblich. (Zuruf von den Kommunisten: Wir wollen abwarten!) — Gewiß, ich bin vor⸗ sichtig, ich traue Ihnen nicht und mache die Augen auf. (Große Heiterkeit.) Die Art, wie Sie in der Reichswehr agitieren, ist ziemlich strupellos. Aber ich habe dagegen ein gutes Mittel. Ich brauche die Reichswehr nicht mit großen allgemeinen Reden zu immunisieren, sondern — — (Zurufe von den Kommunisten: Mit der Diktatur!) — Nein, nein, ich bin ein aufrichtiger Demokrat, freilich nicht von der Demokratie, wie Sie sie verstehen. Ich bin schon Demokrat gewesen, wo Sie wahrscheinlich kaum auf der Welt waren. (Große Heiterkeit.)
Nun möchte ich Ihnen folgendes sagen: die Reichswehr ist genau informiert; sie weiß, daß sie von Ihnen nichts zu hoffen hat (sehr gut! rechts, im Zentrum und bei den Deutschen De⸗
mokraten) als leere Versprechungen. Jeder Reichswehrsoldat wird darüber informiert, daß es speziell Ihre Freunde gewesen sind, die geäußert haben, daß, wenn der Reichswehrsoldat aus seiner zwölfjährigen Dienstzeit entlassen wird, er auf Arbeitslosen⸗ unterstützung verwiesen werden soll. (Lebhafte Rufe: Hört, hört!
meine Herren! (Zurufe von den Kommunssten: Hunger und Knechtschaft!) Hunger und Knechtschaft werden die Folge sein, wenn die Reichswehr sich auf Ihre Versprechungen einläßt. (Leb⸗ hafte Zustimmung.)
Gewiß, die Reichswehr leidet wie alle Teile des deutschen Volkes unter der wirtschaftlichen Not, und es ist in der Tat schwierig, so wie die Dinge sich gestaltet haben, den Le Sorgen und Ansprüchen der Truppe gerecht zu werden, und zwar um so mehr, als Sie selbst in den Tagen der Revolution den Truppen viel mehr versprochen haben, als irgendeine Regierung halten kann. (Hört, hört! rechts.) Ein zweites Mittel gibt es, der Reichswehr klarzumachen, wie die Dinge liegen. Wir verfolgen auch die Zustände in den Heeren anderer Länder. (Zuruf bei den Kommunisten: Bayern!) Auch dort, sehr richtig, aber es ist uns für diesen Zweck nicht groß genug. Es gibt ein viel größeres Land, Rußland, das Ihnen so nahe liegt. (Zuruf bei den Kommunisten Sind Sie auf das Pferd gekommen?) Das Pferd ist etwas unb quem für Sie, das gebe ich Ihnen zu. Herr Thomas, der heute so indiskret war und aus dem Untersuchungsausschuß vieles aus⸗ geplaudert hat, rief dort, als ich ihm sagte, in der russischen Armee ist es auch nicht anders: „Ja, glauben Sie denn, ich wolle irn Deutschland russische Zustände einführen?“ (Hört, hört!) Herr Thomas hat mir das mit großer Offenheit zugerufen. Ich war höflich genug, den Herrn Abgeordneten Thomas nicht zu fragen: „Was wollen Sie überhaupt für Zustände bei uns einführen? Ich glaube, Herr Thomas käme selbst in die größte Verlegenheit wenn er uns etwa ein Bild der Verhältnisse entwerfen müßte, wie er sie sich vorstellt. Er ist heute absolut auf die Negation eingestellt, weil in dem Elend, in dem wir heute alle gemeinsam zusammen⸗ leben, sich gar kein anderes positives Ziel aufzeigen läßt als das, daß wir uns durch gemeinsame Arbeit wieder aus dieser Not, aus diesen Zuständen herausarbeiten. Das ist aber eine Auffassung, die er als Vertrauensmann nicht so oft, nicht zu laut kundgeben darf. Es ist ja leider Gottes so. daß man draußen nicht nur nach oben, sondern auch nach unten als Vertrauensmann nicht anstoßen darf. Auch nach unten darf man als Vertrauensmann vielfach den Leuten nur das sagen, was sie gern hören. Wenn man ihnen etwas anderes sagt, gehen sie und laufen denen nach, die ihnen schöner nach dem Munde veden können. (Zuruf bei den Kommunisten: Das ist demokratisch!) Demokratisch ist verantwortlich. Ich glaube, Herr Abgeordneter, wenn Sie sich mit dem Begriff „Demokratie“ näher bekannt machen, werden Sie nicht so törichte Zwischenruse machen. Ich müßte schon arg in Verlegenheit sein, ehe ich einen so törichten Zwischenruf machte. (Zuruf bei den Kommunisten.) — Du lieber Gott, genau so dumm wie die Frage. (Heiterkeit; erneute Zurufe bei den Kommunisten.) — Ein Narr fragt mehr, als sieben Weise antworten können.
Machen Sie sich auf die Reichswehr keine Hoffnungen! Wir werden von uns aus alles tun, um der Agitation entgegenzutreten. (Zurufe bei den Kommunisten.) — Es ist mir eine Genugtuung, wenn ich das erreicht habe, daß ich Ihre Hoffnungen auf die Reichswehr zerstört habe. (Zuruf bei den Kommunisten: Auch die der Sozialdemokraten!) — Kann auch sein; ich bin überhaupt nicht dazu da, irgendeiner Partei irgendwelche Hoffnungen zu machen, sondern nur dazu, für die Reichswehr Sorge zu tragen.
Ihnen zu diskutieren. .
Die Rede des Herrn Abgeordneten Thomas hat mich an einer Stelle merkwürdig berührt, wo er sagte: ich habe große Aufforde⸗ rungen an die Reichswehr gerichtet, sie möge das und das tun, was verboten ist. Aber das möchte ich beileibe nicht als eine Aufforderung aufgefaßt haben, die die Leute etwa ins Unglück bringt, sondern günstigstenfalls als eine Aufflärung, die nun nicht gerade schlimme Folgen haben soll. — Ich möchte von dieser Stelle aus warnen. Es ist das ja der Weg, der, wie wir sehen, schon oft gegangen worden ist, daß man die Leute vorgeschickt hat und daß, wenn es zum Klappen gekommen ist, die, die sie vorgeschickt haben, dann nicht da waren. (Zurufe von den Kommunisten.) — Darauf bin ich stolz — das sage ich Ihnen ganz offen —, und ich werde mich bemühen, so gut ich kann, zu verhindern, daß die Reichswehr auf deutsche Volksgenossen schießt. Infolgedessen entsteht für mich hoffentlich das Dilemma nicht, von dem der Herr Abgeordnete Thomas gesprochen hat, und wenn Sie dieselbe Auffassung haben wie ich, dann hoffe ich, werden wir gemeinsam über diesen schweren Winter hiaüberkommen. Denn ich kann mir nicht vorstellen, daß aus gemeinsam vergossenem Bürgerblut für Deutschland nach diesen ungeheuren Opfern irgendwelches Heil entstehen könnte. (Zustimmung bei den Deutschen Demokraten und rechts.) Ich bin jedenfalls erstaunt gewesen, daß Herr Thomas, der hier seinen Namen für diese Aufforderungen hergegeben hat, so vorsichtig ge⸗ worden ist. In den anonymen Flugblättern ist die kommunistische Partei nicht so vorsichtig. Ich warne Sie, treiben Sie mit den Soldaten kein übles Spiel. (Zuruf von den Kommunisten: Sagen Sie das nach rechts!) — Mir hat die Rede ds Herrn Thomas dazu Anlaß gegeben. (Zuruf von den Kommunisten: Die andern sagen es nicht, die machen es!) — Dann wären sie gescheiter als Sie, das muß ich offen sagen. Sie jedenfalls nehmen den Mund sehr voll. — das muß ich Ihnen zugestehen —, und die Herren (nach rechts) sindb nach der Richtung hin wesentlich klüger. Ich bin überzeugt, sie würden aber auch ganz genau wissen, daß auch für sie die Kirschen zu hoch hängen und das Eisen sehr heiß ist. (Zuruf von den Kommunisten: Aber ihre Sachen werden besovgt!) — Hoffent⸗ lich nicht von Ihnen. (Heiterkeit.)
Auf der einen Seite hat Herr Thomas die Reichswehr kajoliert, auf der anderen Seite hat er mit den nämlichen Worten die Ar⸗ beiterschaft eingeldden — ich habe mir das wörtlich auf⸗ geschrieben —, dieses Klasseninstrument zu zertrümmern. Ich glaube, Sie halten die Reichswehrsoldaten für einfältiger und törichter als sie sind, wenn Sie glauben, daß sie aus diesem Wider⸗ spruch nicht herauslesen würden, daß hier der Fuchs den Tauben predige.
Der Herr Abgeordnete Thomas hat dann auch noch von der Zeitungsfrage gesprochen. Er hat da lange Ausführungen wiedergegeben, die ich im Untersuchungsausschuß gemacht haben soll. Jedenfalls hat er sie völlig falsch verstanden. Was meines
Soldat das Recht hat, die Zeitungen zu lesen, die ihm belieben. Aber der Reichswehrminister hat das Recht, Zeitungen zu ver⸗ bieten, deren Lektüre die Disziplin gefährdet. (Zuruf von den
— Zurufe von den Kommunisten.) — Nur keine Redensarten,
Kommunisten: Ein sehr dehnbarer Begriff!) Ich
(Erneute Zurufe bei den Kommunisten.) — Ich gebe es auf, mit
für die Truppe etwas zu tun, versage sie. Herrn Abgeordneten Thomas für die Rede, die er heute gehalten
Rechtes ist, steht genau im Wehrgesetz. Dort steht, daß jeder
der Herren Minister
von Zetkungsverboten, und ich habe — krösten Sie sich — mur
einmal den „Miesbacher Anzeiger“ verboten. (Zuruf von den Kommunisten: Das werden Ihnen die Bayern niemals ver⸗ gessen!) — Da habe ich es riskiert. Sonst aber habe ich, wenn an mich Anträge herangetreten sind, Zeitungen zu verbieten, meinen Herren gesagt: Legt den Leuten die Zeitungen hin zum Lesen; denn ich glaube, daß die Kost, die sie ihnen bieten, am besten und am raschesten die Menschen immunisiert. (Sehr gut! bei den Deutschen Demokraten. — Zuruf von den Kommunisten: Wieso?) — Aus einem einfachen Grunde, Herr Abgeordneter Thomas, wenn ich Ihnen das sagen darf. Ich kann Ihnen das sehr ein⸗ fach klar machen. Sehen Sie: Wenn ich an die kommunistischen Ideale von Menschlichkeit, von Brüderlichkeit, von allgemeinem Menschentum glauben würde, wenn sie mir, falls sie zu verwirk⸗ lichen wären, als das Höchste dessen erschienen, was es gibt, dann würde ich von diesem Irrwahn gründlich bekehrt werden, wenn ich nur vier Wochen den rohen Ton der „Roten Fahne“ in mich aufgenommen hätte. — (Sehr richtig! in der Mitte und rechts. — Abgeordneter Thomas: Also wenn die ganze bürgerliche Ein⸗ wohnerschaft und auch die Reichswehr die „Rote Fahne“ läse, wäre sie geheilt!) — — Ich weiß nicht, ob man dort soweit ist; aber die Reichswehr hoffe ich so weit zu bringen. — (Sehr gut! und Heiterkeit in der Mitte und rechts. — Zurufe von den Kommu⸗ nisten.) — Nur Ihren Augiasstall auszumisten getraue ich mich nicht. (Zurufe von den Kommunisten: Das bringen Sie nicht fertig, da fliegen Sie heraus!)
Ich bin jedenfalls dankbar dafür, daß der Herr Abgeordnete Thomas uns heute noch einmal durch die ganze Art seiner Rede klargemacht hat, wie sehr wir die Augen vor Ihren Bestrebungen aufmachen müssen. Denn in einem gebe ich Ihnen recht: Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die im ganzen deutschen Volke so groß sind und die auch uns in der Reichswehr vielfach so hart bedrängen, die es uns unmöglich machen, selbst berechtigte Wünsche in kurzer Zeit zu erfüllen, schaffen den Nährboden für Ihre Agi⸗ tation. Deshalb bin ich dankbar dafür, daß Sie hier vor dem ganzen Hause auf die große Gefahr hingewiesen haben, und ich hoffe, daß gerade die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Thomas für mich ein wirksames Unterstützungsmittel sein werden. (Abgeordneter Thomas: Das ist auch der Zweck der Uebung ge⸗ wesen!) — Ich nehme an, daß Sie das bezweckt haben. Ich werde Ihnen die Probe aufs Exempel nicht schenken, Herr Thomas, da⸗ von seien Sie überzeugt. — (Zurufe von den Kommunisten: Dann sprechen wir uns wieder!) — Ja, dann sprechen wir uns wieder! — Wenn es darauf ankommt, zu zahlen, dann heißt es: „Ja, Bauer, das ist etwas anderes“, dann hat man nichts für den Reichswehr⸗ soldaten übrig. Aber für die übrigen Mitglieder dieses hohen Hauses ist es von großer Bedeutung, daß wir gerade die wirt⸗ schaftlichen Sorgen des Soldaten in diesen Tagen nicht aus den Augen verlieren. (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.) Wir wissen vor allen Dingen, wie die Wohnungsnot unsere verheira⸗ teten Unteroffiziere, überhaupt die verheirateten Reichswehrsoldaten bedrängt; wir wissen, daß hier nur durch eine großzügige, warm⸗ herzige Hilfe bessere Zustände geschaffen werden können. (Bravo! in der Mitte und rechts.) Denn sonst entsteht in der Tat die Gefahr, daß die Truppe das Gefühl haben könnte, die Regierung der Deutschen Republik habe für das Heer nur schöne Worte; wenn es aber darauf ankomme, gerade in der wirtschaftlichen Fürsorge Insosern bin ich dem
hat, herzlich dankbar, und ich hoffe, sie wird der dentschen Reichs⸗
wehr zugute kommen. (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)
eveermgeggne
280. Sitzung vom 12. Dezember 1922, Nachmittags 3 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungverleger.*)
Auf der Tagesordnung stehen zunächst kleine An⸗ fragen.
Auf eine Anfrage der Bayerischen Volkspartei über die Beschlagnahme von 250 Morgen des wertvollsten Kulturlandes her Errichtung einer Kasernenanlage und eines Exerzierplatzes in
eustadt a. Haardt durch die französische Besatzungsarmee erwidert Staatssekretär Walter: Es trifft zu, daß die französische Be⸗ satzung wertvolles Kulturgelände, und zwar 280 000 Quadratmeter zur Errichtung einer Kaserne und 41 000 Quadratmeter zur Er⸗ richtung eines Exerzierplatzes, beschlagnahmt hat. (Hört, hört!) Das Recht zum Neubau einer Kaserne kann an sich nicht bestritten werden, aber dahingestellt ist, ob die Anforderung eines neuen Exerzierplatzes mit dem Rheinlandabkommen im Einklang steht. Jedenfells steht das Vorgehen der Besatzung in unlautbarem Widerspruch mit Ausführungen des französischen Regierungsver⸗ treters gelegentlich der Versailler Verhandlungen, daß die Be⸗ satzung nicht größer sein werde als die frühere deutsche. Eine Be⸗ satzung von 2200 Mann, wobei für zahlreiche verheiratete fran⸗ zösische Offiziere und Unteroffiziere vollständige Wobhnungen bereit⸗ gestellt werden müssen, ist für eine Stadt von 20 000 Einwohnern unerhört. Die Bemühungen der bayerischen Regierung und der Reichsregierung, eine erhebliche Besatzungsverminderung zu er⸗ reichen, verliefen vollkommen ergebnislos. Der Regierungsver⸗ treter schildert weiterhin im einzelnen die Forderungen des fran⸗ zösischen Oberkommandos. Die Verhandlungen mit dem fran⸗ zösischen Oberkommando hatten nur den Erfolg, daß die Aberntung der beschlagnahmten Flächen gestattet wurde, die beantragte Ver⸗ legung des Exerzierplatzes in den Ordenswald wurde aber trotz der Bereitwilligkeit des Reiches zur Uebernahme der Kosten ab⸗ gelehnt. Ob die diplomatischen Vorstellungen bei der französischen Regierung überhaupt und noch rechtzeitig Erfolg haben werden, bleibt abzuwarten. Die Kosten für die Errichtung der Kasernen⸗ anlagen in Neustadt werden nach den Oktoberpreisen sih auf ungefähr 1 Milliarde Mark belaufen. Dazu kommen Aufwendungen für die Wohnungen der Offiziere und Unteroffiziere in Höhe von rund 600 Millionen Mark sowie Ausgaben für Neubauten auf dem benachbarten Flugplatz. Die Gesamtausgaben für Neustadt und nächste Umgebung werden also mindestens 2 Milliarden Mark erreichen. wesentlich zur Leistungsunfähigkeit Deutschlands für Wiedergut⸗ machungszwecke beitragen, ist den Regierungen der Besatzungs⸗ mächte wiederholt dargelegt worden. Sie werden auch in Zu⸗ kunft bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf hingewiesen werden. Einen Erfolg haben die bisherigen Vorstellungen der Reichsregierung nicht gezeitigt. In der Pfalz allein bestehen 25 Garnisonen in einer Stürke von rund 23 000 Mann, die das
Doppelte der früheren deutschen Besatzung übersteigt. Für die
Besatzung sind angefordert ein großer Truppenübungsplatz für
Divisionsübungen bei Ludwigswinkel, dem kostbare Waldbestände zum Opfer fallen und der weit über eine Milliarde Ausgaben erfordert: 2 Flugplätze und 2 größere Exerzierplätze, für die in der Hauptsache hochwertiges Ackergelände abgegeben werden mußte;
Munitionsdepots bei Landstuhl, Landau, Queichheim und Zwei⸗
brücken; Benzindepots bei Kaiserslautern und Landan, die rund
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*) Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgehobenen Reden die im Wortlaute wiedergegeben sind.
Nutzung entziehen; Kasernenanlagen und Unterkunftsbauten waren oder sind zu errichten in Neustadt, Ludwigshafen, Kaisers⸗ lautern, Lachen⸗Speyerdorf, Ludwigswinkel und Maximiliansau mit einem Gesamtaufwand von rund 4 Milliarden Mark. An Gelände sind insgesamt rund 3300 Hektar beschlagnahmt worden. Zur Unterbringung der verheirateten Angehörigen der Besatzung müssen 563 Offizier⸗ und 338 Unteroffizierwohnungen vom RNeiche gebaut und vollkommen eingerichtet werden, während zahllose deutsche Familien unter den drückendsten W hnungsverhältnissen leiden. Als Unterkunft für die Besatzung und deren Angehörige sind neben den Besatzungsbauten des Reiches und der ehemals militärischen Gebäude zurzeit 800 Wohnungen mit 3700 Zimmern und 782 Einzelzimmer beschlagnahmt. (Hört, hört!) Außerdem sind zahlreiche andere Baulichkeiten in Anspruch genommen, dar⸗ unter 11 Fabriken, 33 Schulräume usw. Die Reichsregierung ist ständig bemüht, eine Milderung der Anforderungen zu erreichen. Die bisher entstandenen und nach dem Bauprogramm noch ent⸗ stehenden Kosten belaufen sich nach den Oktoberpreisen auf 8 Milliarden und 34 Millionen Mark, worin die Entschädigungs⸗ ansprüche der Eigentümer der beanspruchten Liegenschaften noch nicht enthalten sind. Die Höhe dieser Ansprüche kann bei der fort⸗ schreitenden Geldentwertung auch nicht annähernd angegeben werden.
Auf Anfrage des Abg. Koch⸗Weser (Dem.) wegen Herabsetzung des Teezolls, der für ein Pfund 1606 ℳ beträgt, erwidert ein 1“ daß die Finanznot des Reichs es nicht erlaube, eine Herabsetzung des Teezolles in Aussicht zu nehmen, zumal eine Rückwirkung auf die Zollbehand⸗ lung anderer Waren nicht ausgeschlossen wäre.
Auf die Anfrage der Abg. Dr. Petersen (Dem.) und Ge⸗ nossen wegen weiterer Kredithilfe für die Beamten zur Be⸗ schaffung von Heizmaterial und Wintervorräten und wegen Ge⸗ währung von Notstandsbeihilfen für die Reichsbeamten nach dem Muster der preußischen Beamten erwidert Oberregierungsrat Dr. Hagenau: Die Reichsregierung hat im siebenten Nach⸗ tragsetat ausreichende Mittel zur Beschaffung von Heizmaterial und Wintervorräten bereitgestellt, sie ist in Erwägungen ein⸗ getreten, in ähnlicher Weise wie in Preußen den Reichsbeamten
Daß die ungebeuren, ständig wachsenden Besatzunaskosten
Notstandsbeihilfen zur Linderung besonderer wirtschaftlicher Not zu gewähren. In den Haushalt sind bereits Mittel für Unter⸗ stützungen in ganz besonders dringenden Fällen eingestellt worden.
Abg. Dauch (D. Vp.) fragt wegen Ausgabe von Wechsel⸗ stempelmarken und von Steuermarken für den Lohnabzug in höheren Werten an und erwähnt, daß ein ausländischer Wechsel über 21 000 Pfund Sterling zur Unterbringung der Wechsel⸗ stempelmarken im Betrage von 342 720 M. durch Allongen so ver⸗ längert werden mußte, daß er 6,75 Meter lang war. (Hört! hört!)
Oberregierungsrat Dr. Wissell: Voraussichtlich in etwa 6 Wochen werden neue Wechselstempelmarken über 1000, 2000 3000, 5000 und 10 000 Mark in den Verkehr gebracht werden. Außerdem ist in Aussicht genommen, bei Wechseln mit sehr
hohem Betrag an Wechselstempeln die Einzahlung beim Finanz. amt zuzulassen. Neue Einkommensteuermarken für 500, 1000 und
2000 Mark werden in Kürze bei den Postanstalten zum Verkauf kommen. Außerdem sind neue Einkommensteuermarken zu 3000 5000 und 10 000 Mark in Aussicht genommen.
Auf Anfrage des Abg. Frölich (Komm.) nach dem Ergebnis der Untersuchung über die in der Schrift E. J. Gumbel „Zwei Jahre Mord“ mitgeteilten Tatsachen erwidert Geheimer Regierungsrat Werner, daß die Reichsregierung die Landes⸗ justiverwaltungen um eine Darstellung des Sachverhalts der ein⸗ zelnen Fälle ersucht habe. Diese Darstellungen seien zum Teil eingegangen, zum Teil stehe der Eingang unmittelbar bevor; sie würden dann dem Reichstag zur Kenntnis gebracht werden.
In allen drei Lesungen wird der achte Nachtrags⸗ etat für 1922 (weitere 300 Milliarden Mark für Ankäufe von Auslands⸗ und Inlands⸗ getreide zur Sicherung der Volksernährung) ohne Erörterung angenommen.
Der Gesetzentwurfüber vorlä lung der Zahlungen auf Grund ausgleichsgesetzes (Ausgleichzwi wird in erster Beratung auf Antrag des Abg. Dr.
(D. Vp.) an den Entschädigungsausschuß überwiesen.
Zur zweiten Beratung liegt der Bericht des Geschäfts ordnungsausschusses über dde neue Geschäftsordnun für den Reichstag vor.
Abg. Schmidt⸗Sachsen (Soz.) als Berichterstatter legt die einzelnen Aenderungen dar, die der Ausschuß zur Ausgleichung von Unstimmigkeiten vorgenommen hat, die bei der ersten Beratung
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entstanden h. Abg. Bartz (Komm.): Wir können dieser Geschäftsordnung nicht zustimmen. Sie ist eine Vergewaltigung der Minderheit, sie sucht die Oppositionsparteien möglichst auszuschalten. Daß ein einzelner Abgeordneter nicht mehr eine Anfrage stellen darf, ist ein Eingriff in das Recht des einzelnen Abgeordneten. Auch die Bestimmungen über die Unterstützung von Interpellationen und von Anträgen auf namentliche Abstimmungen ersetzen das Recht des einzelnen Mitgliedes durch das Korporativrecht mehrerer Mitglieder. Das Recht des einzelnen Abgeordneten, nicht nur die Interessen seiner eigenen Wähler, sondern die der Gesamtheit wahr⸗ zunehmen, wird dadurch illusorisch gemacht. Wir lehnen diese Geschäftsordnung insbesondere auch deswegen ab, weil der soge⸗ nannte Hausknechtsparagraph hineingebracht ist. Dieser bringt Komplikationen mit sich, schafft nicht Ruhe und Ordnung, sondern die größte Unruhe. (Sehr wahr! bei den Komm.). Als ein Präsident in Oesterreich diesen Paragraphen in die Geschäfts⸗ ordnung lancierte, stand die Arbeiterschaft außerhaolb des Parla⸗ ments auf und zeigte, daß die politischen Machtverhältnisse außerhalb des Hauses stärker sind als die Zwirnsfäden der Ge⸗ schäftsordnung. Selbst wenn die Sozialdemokraten dem Haus⸗ knechtsparagraphen zustimmen sollten, wird die Arbeiterschaft solche Gewaltmittel gegen die Opposition zum Scheitern bringen. Es wird die Zeit kommen, wo die jetzige Minorität zur Majosrität werden wird.
Ohne weitere Erörterung nimmt das Haus die Ge⸗ schäftsordnung in ihren einzelnen Para⸗ graphen nach den Ausschußvorschlägen an. Das Inkrafttreten wird für den 1. Januar 1923 bestimmt. .
Vor der Gesamtabstimmung bezweifelt der Abg. Bartz (Komm.) die Beschlußfähigkeit des Hauses. Nachdem der Saal sich gefüllt hat, erklärt Reichstagspräsident Löbe, daß das Büro einig sei, daß das Haus jetzt beschlußfähig sei. Die neue Geschäftsordnung wird endgültig gegen die Stimmen der Kommunisten angenommen.
Nunmehr wird die Beratung des siebenten Nachtrags zum Reichshaushaltsplans für 1922 bei dem Abschnitt „Marine“ des Etats des Reichswehrministeriums fortgesetzt.
Abg. Stücklen (Soz.) empfiehlt als Abgeordneter die Ab⸗ lehnung der neugeforderten Admiralftelle, nachdem er vorher als Referent des Hauptausschusses den Beschluß des Ausschusses auf Annahme der Forderung mitgeteilt hat. 1
Der Abschnitt „Marine“ wird unverändert nach den Ausschußbeschlüssen angenommen.
Im Nachtragsetat des Ministeriums des Innern hat der Ausschuß unter anderm den Reichs⸗ ‚beitrag für die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft auf 400 Millionen
NMark erhöht.
1 Milliarde kosten und wertvolles Gelände der landwirtschaftlichen
Abg. Frau Behm (D. Nat.): Schon die Nationalverfammlung hat sich mit den sittlichen und gesundheitlichen Nöten der besetzten Gebiete beschäftigt. Man will nun dort nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sittkich zugrunde richten. Unerhört ist, daß die Zahl der öffentlichen Häuser zunimmt. Die französische Regierung fordert immer noch die zwangsmäßige Errichtung solcher Häuser. (Hört, hört!) Was nutzt da aller sonstiger Schutz der Jugend vor Schmutz? Ist denn die deutsche Negterung völlig machtlos gegen ein derartiges Verfahren in den besetzten Gebieten? Wir müssen ihr den Ruͤcken stärken durch einmütige Annahme der vom Aus⸗ schuß beantragten Entschließung, worin einmütig vor der ganzen gesitteten Welt gegen das Vorgehen der Franzosen mit der Er⸗ richtung von Bordellen protestiert wird. Nehmen Sie diese Ent⸗ sda hüns einstimmig an, schützen Sie die Jugend Rheinlands vor ittlichen Gefahren! (Lebhafter Beifall.)
Abg. Koenen (Komm.): Man sollte sich an die eigene Brust schlagen, statt über fremde Schändlichkeiten zu jammern. Man sollte sich an die Kriegszeit erinnern, an Vorgänge im Osien, wo deutsche Generäle Bordelle einrichten ließen. (Widerspruch.) Redner kritisiert nunmehr die Forderungen für die Polizei; er beschwert sich über Spitzeldienst der Reichskriminalpolizei und tadelt weiter⸗ hin die Handhabung des Versorqungswesens. Ganz gesunde ehe⸗ malige Offiiere bezögen hohe Pensionen, während die eigentlichen Opfer des Krieges schlecht fortkämen. Russische Monarchisten blieben unbehelligt, während man auf jeden ausländischen Kom⸗ munisten Jagd mache, ausländische kommunistische Redakteure würden eingesperrt und ausgewiesen. Die Schupobeamten würden derart schlecht besoldet, daß sie immer mehr nach links gingen.
Abg. D. Mumm (D. Nat.) befürwortet die Entschließung des Ausschusses, wonach die Regierung darauf hinwirken soll, daß die Länder die Leistungen für die 11..“ der Geld⸗ entwertung mindestens in dem Maße anpassen, daß die Bezüge der Geistlichen mit denen der entsprechenden Beamtenklassen in Einklang gebracht werden.
Ferner haben die thüringischen Abgeordneten aller Parteien eine Entschließung beantragt, wonach die Reichsregierung ersucht wird, für die Erhaltung der Wartburg, eines geschicht⸗ lichen Heiligtums, der Wartburgstiftung 2 Millionen Mark zur Verfügung zu stellen. Es müsse auch der Jugend erleichtert werden, diese Stätte zu besuchen, an welcher man sich der ruhmreichen deutschen Geschichte erinnern könne.
Abg. Dr. Everling (D. Pp.) unterstützt die Entschließung zugunsten der Pfarrergehälter. Die Reichsregierung müsse alles tun, um die Not in den Pfarrhäusern zu beseitigen. (Lachen bei den Kommunisten.)
Abg. Dr. Semmler (D. Nat.) beschwert sich über das Vor⸗ gehen polizeilicher Geheimagenten gegen rechtsstehende Kreise in Schlesien, insbesondere über die Verhaftung eines Oberpächters in der Grafschaft Glatz wegen des Verdachts der Zugehörigkeit zu einem Geheimbunde. Es müsse öffentlich Protest gegen ein solches Verfahren eingelegt werden, für das ein Rechtsgrund gar nicht vorgelegen habe.
Abg. Bruhn (D. Nat.) kritisiert das Verhalten des Vor⸗ sitzenden im Scheidemann⸗Prozeß und insbesondere dessen Aeuße⸗ rung gegen den Angeklagten Oehlschläger: „Muß denn immer ge⸗ logen werden? Ihr Lügen ist echt deutsch⸗völkisch.“ Dagegen müsse protestiert werden. Ferner seien Leute verhaftet worden und müßten alsbald wieder entlassen werden, weil sie mit dieser. Tat in keiner Beziehung ständen. (Zwischenrufe links. — Abg. Heyde⸗ mann (Komm.) erhält einen Ordnungsruf.) Der deutsch⸗völkische Schutz⸗ und Trutzbund habe niemals etwas gegen die Republik unternommen, trotzdem sei die preußische Regierung gegen ihn vorgegangen. Der Antisemitismus sei groß geworden durch das Verhalten der Juden.
Abg. Gothein (Dem.) bemerkt gegenüber einer ANeußerung des Vorredners, daß Rathenau nur auf vieles Drängen sich habe bereitfinden lassen, Minister zu werden. Es sei immer so gewesen,
daß alles Unheil den Juden in die Schuhe geschoben wurnde. Zu
sitzung zusammen.
dem Ausschuß, der 1917 die Friedensresolution vorbereitete, habe sich auch Herr Bruhn gemeldet, heute aber habe dieser sich ge⸗ wandelt und fördere den Rassenhaß. An den Morden seien nicht nur diejenigen schuld, die die Wafsen ergreifen, sondern in erster Linie auch die, die Saat ausgestreut haben.
Abg. Hildenbrand (Soz.) nimmt den Vorsitzenden des Staatsgerichtshofes gegen die Vorwürfe des Abgeordneten Bruhn in Schutz. Die Aeußerung des Vorsitzenden sei nur der Ausdruck berechtigter Empörung gewesen.
Abg. Bruhn (D. Nat.) findet es besonders tadelnswert, daß der Vorsitzende des Gerichts einzelne Vorkommnisse zu Vorwürfen gegen eine ganze Partei verallgemeinert habe.
Damit schließt die Debatte. D * Etat wird bewilligt, die Entschließungen des Ausschusses (Schutz gegen öffentliche Häuser in den besetzten Gebieten und Regelung der Pfarrer⸗ gehälter) werden angenommen, ebenso die Entschließung der thüringischen Abgeordneten, betreffend die Wartburg.
Rächste Sitzung Mittwoch, 3 Uhr (kleine Vorlagen, Novelle zur Zwangsanleihe, zweite Lesung der Novelle zum Einkommensteuegesetz).
Schluß 6 Uhr.
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2 2 „ 2. 42½ Vorläufiger Reichswirtschastsrat Sitzung vom 12. Dezember 1922. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger 4
In seinem neuen Dienstgebäude in der Bellevuestr trat der Vorläusige Reichswirtschaftsrat zu einer V
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ße ll⸗ Da es die erste Vollsitzung in den neuen
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Räumen war und die offizielle Uebernahme des Dienst⸗ gebäudes durch den Reichswirtschaftsrat erfolgen sollte, fand die Sitzung in besonders feierlichem Rahmen statt. An den Regierungstischen hatten der Reichspräsident Ebert, der Reichskanzler Dr. Cuno, der Reichswirtschaftsministe Dr. Becker, zahlreiche andere Minister des Reiches und de Länder, Vertreter der Berliner Parlamente usw. Platz ge⸗ nommen.
Sofort nachdem der Vorsitzende Edler von Braun die Sitzung für eröffnet erklärt hatte, ergriff der Reichskanzler Dr. Cuno das Wort. Er führte aus:
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Augenblick, in dem Sie in Ihr neues Haus einziehen, ist der geeignetste den ich wählen kann, um zu Ihnen su sprechen. Ich habe Ihre häuslichen
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Sorgen als Mitglied des Reichswirtschaftsrats zwei Jahre bin⸗ durch mitgemacht. Ich weiß, daß wir zwei Jahre hindurch die Gast⸗ sie des Reichswehrministeriums in Anspruch genommen haben, wofür wir noch heute dem Herrn Reichswehrminister be⸗ sonders dankbar sind. Ich weiß, wer an dem Ausbau dieses Heims mitgearbeitet hat; ich glaube, es ist unsere erste Pflicht, bevor wir in die sachlichen Beratungen eintreten, allen denen unseren auf⸗ richtigsten Dank auszusprechen, die uns dieses neue Heim geschaffen haben. Wir, danken der vereinten Arbeit des Reichsschatz⸗ ministeriums und des Reichswirtschaftsministeriums, wir danken dem Herrn Präsidenten des Preußischen Landtages, insbesondere
1 auch preußischen Unterrichtsverwaltung, und wi
danken dem
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