1923 / 21 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 25 Jan 1923 18:00:01 GMT) scan diff

5. der Erlaß des Preußischen Staatsministeriums vom 20. No⸗ vember 1922, betreffend die Genehmigung der vom Verwaltungsrate der Westpreußischen Landschaft und der Neuen Westpreußischen Land⸗ schaft am 20. Oktober 1922 beschlossenen ga. des Reglements der Westpreußischen Landschaft vom 25. Juni 1851 und des Statuts der Neuen Westpreußischen Landschaft vom 3. Mai 1861, durch das Amtsblatt der Regierung in Marienwerder Nr. 50 S. 231, aus⸗ gegeben am 16. Dezember 1922; “]

6. der Erlaß des Preußischen Staatsministeriums vom 27. No⸗ vember 1922, betreffend die Verleihung des Enteignungsrechts an die Fürstac zu Lynar, Gräflich von Redern'sche Güterverwaltung in

indenau im Kreise Hoyerswerda für die Herstellung eines Nebenwegs, durch das Amtsblatt der Regierung in Liegnitz Nr. 1 S. 4, aus⸗ gegeben am 6. Januar 1923;

7. der Erlaß des Preußischen Staatsministeriums vom 23. De⸗ zember 1922, betreffend die Verleihung des Enteignungsrechts an die Bigger und Antfelder Muschelkalkwerke, G. m. b. H. in Bigge i. Westf., für die Erweiterung ihrer Privatanschlußgleise, durch das Amtsblatt der Regierung in Arnsberg Nr. 1 S. 3, ausgegeben am 6. Januar 1923

Die von heute ab zur Ausgabe gelangende Nummer 2 der Preußischen Sezefle mmenas enthält unter

Nr. 12 423 das Gesetz über die sofortige Bereitstellung von Mitteln zur Vermehrung und Ausgestaltung der staat⸗ lichen Grenzkommissariate vom 10. Januar 1923, unter

Nr. 12 424 eine Verordnung über Erhöhung der Eisen⸗ bahnfahrkosten bei Dienstreisen der Staatsbeamten vom 23. De⸗ zember 1922, unter 1 5

Nr. 12 425 einen Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt, betreffend Aenderung des Tarifs für die Gebühren der Kreis⸗ ärzte vom 3. Januar 1923, unter

Nr. 12 426 eine Bekanntmachung des Justizministers, be⸗ treffend einen Bezirk, für den während des Kalenderjahrs 1922 die Anlegung des Grundbuchs erfolgt ist, sowie die Bezirke, für welche das Grundbuch auch in Ansehung der von der An⸗ legung ursprünglich ausgenommenen Grundstücke als angelegt gilt, vom 5. Januar 1923 und

eine Bekanntmachung der nach dem Gesetze vom 10. April 1872 durch die Regierungsamtsblät öͤffentlichte Erlasse, Urkunden usw. Beerlin, den 24. Januar 1923.

Gesetzsammlungsamt. Krüer. ““

Der Reichsrat versammelte sich heute zu einer Voll⸗ sitzung; vorher hielten die vereinigten Ausschüsse für Steuer⸗ und Jönwefen und für Volkswirtschaft, die aee t n Aus⸗ schüsse für Rechtspflege und für Volkswirtschaft sowie die vereinigten Ausschüsse für innere Verwaltung und für Rechts⸗ pflege Sitzungen.

Die Außenhandelsstelle für Schnitz⸗ und Former⸗

ftofßs gibt bekannt, daß 1. in der Ausfuhrmindestpreisliste

ür Wäsche⸗ und Metallhosenknöpfe (K. Wm. 2) der Preis des 6 Wäschetnohfes der Gruppe 4 nach der Schweiz nicht Fr. 11,35 sondern Fr. 12,35 beträgt. 2. Folgende Ausfuhr⸗ mindestpreislisten erscheinen in Neubearbeitung: Mit Wirkung vom 30. 1. 23 Preisliste für Imitationsbillardbälle (I. B. 2), mit Wirkung vom 20. 1. 23 Preisliste für Kämme aus Zelluloid (C. K. 6) und für Fing rhüte aus Celluloid (C. F. 4). Die Ausfuhrmindestpreise für Kragen⸗ und Manschettenknöpfe werden mit Wirkung vom 25. 1. 23 teilweise ermäßigt. Die Liste erscheint Anfang Februar in Neubearbeitung.

Für Sprengkapseln sind die Ausfuhrmindestpreise in bezug auf Fütgeeee Staaten geändert; ebenso die Ausfuhrrichtpreise ür Sprengstoffe und Pulver sowie die Bleimennigepreise für 88 Schweiz. Näheres durch die Außenhandelstelle Chemie in Berlin W. 10.

Preußen.

Der preußische Finanzminister hat den Regierungsbau⸗ ührern des Hochbaufachs Kurt Strobel und Hellmuth fihrem dem Regierungsbaumeister des Wasser⸗ und Straßen⸗ baufachs Paul Detering, dem Regierungsbauführer des Wasser⸗ und Straßenbaufachs Friedrich Kind, dem Re⸗ gierungsbauführer des Eisenbahn⸗ und Straßenbaufachs Alfons Hiersemann und Werner Fischer, dem Regierungsbau⸗ meister des Maschinenbaufachs Wilhelm 9” und dem Regierungsbauführer des Maschinenbaufachs Walter Reichel, die in den Jahren 1920 und 1921 die Diplomprüfung mit Auszeichnung bezw. gut bestanden haben, Prämien von je 2000 zur Ausführung von Studienreisen bewilligt.

Preußischer Landtag.

1 Nachtrag. 11“

Die Rede des Ministers für Volkswohlfahrt Hirtsiefer, die er in Beantwortung der Anfrage über den Niedergang der Volksgesundheit gehalten hat und die gestern wegen ver⸗ späteten Eingangs des Stenogramms nicht veröffentlicht werden

konnte, lautet wie folgt:

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon seit längerer Zeit macht es mir und meinen Mitarbeitern ernsteste Sorge, daß auch die Volksgesundheit durch den immer mehr wachsenden wirtschaftlichen Druck des Versailler Friedensvertrages aufs schwerste gefährdet wird. Vor einigen Monaten hatte ich zum ersten Male Gelegenheit, mich amtlich mit einer besonderen Frage dieses sonst vorwiegend politischen Gebietes,

nämlich der Bedrohung unseres Gesundheitszustandes durch den zu⸗ nehmenden Kohlenmangel, zu beschäftigen. Wie Ihnen bekannt sein

wird, mußten wir unseren Gegnern bisher monatlich 32· Millionen Zentner Kohle liefern. Als nun Ende Oktober die Mitteilung hierher gelangte, daß die Entente von uns künftig eine weitere Mehrlieferung von noch etwa 5 Millionen Zentner Kohle monatlich beanspruchte, ließ ich durch meinen Referenten, Herrn Geheimen Obermedizinalrat Dr. Krohne, bei dem Herrn Reichskohlenkommissar auf die ernsten gesundheitlichen Folgen einer solchen künftigen Mehrlieferung von

hielt es deshalb für nohwendig, daß mein Referenk gelegentlich der Verhandlungen, die mit der Reparationskommission Anfang November in Berlin stattfanden, durch ausführliche sachliche Darlegungen vor der Reparationskommission selbst den Nachweis führte, wie sehr die Kohlenlieferungen auch unsere Volksgesundheit gefährdeten. Infolge⸗ dessen hat mein Referent vor der Reparationskommission am 7. No⸗ vember im Reichsfinanzministerium im Einverständnis mit mir mit allem Nachdruck darauf hingewiesen, daß eine weitere Steigerung unserer Kohlenabgabe vom Standpunkte der Volksgesundheit uner⸗ träglich sein müßte. gänzung der Ausführungen des Reichskohlenkommissars unter anderem dar, daß seit Anfang des Jahres 1922 wieder ein beträchtliches An⸗ steigen unserer Sterblichkeit, und zwar eine Vermehrung der Todes⸗ fälle an Erkältungskrankheiten festzustellen sei.

Todesfälle an Lungenentzündung von 17 785 gegenüber nur

Zahl der Todesfälle an Erkältungskrankheiten bei einer Berechnung

als normal ernährte Menschen. Es wäre deshalb eigentlich notwendig.

halten könnten (hört! hört!), infolgedessen frieren und zum nicht ge⸗

(Sehr gut!) Geheimrat Krohne legte in Er⸗

(Hört, hört!) Allein im ersten Quartal 1922 hatten wir eine Steigerung der

14 549 Todesfällen im ersten Quartal 1921. Diese Ziffern sind deshalb wichtig, weil erfahrungsgemäß die ersten Vierteljahre die stärkste Verbreitung der Erkältungskrankheiten bringen. Eine andere Berechnung ergibt, daß in den Städten über 15 000 Einwohnern die

auf 10 000 Einwohner von 23,6 im ersten Vierteljahr 1921 auf 39,1 im ersten Vierteljahr 1922 angestiegen ist. (Hört, hört!) Die Zahl ist also um mehr als die Hälfte gestiegen. Es kann gar kein Zweifel darüber bestehen, daß wir es bei dieser Zunahme der Todes⸗ fälle infolge von Erkältungen mit einer Folge des Kohlen⸗ mangels zu tun haben. Diese Not wird aber nun noch dadurch verschlimmert, daß heute zahlreiche Menschen infolge der mangelhaften Ernährung mit Fett den Erkältungskrankheiten in verstärktem Maße ausgesetzt sind, da gerade eine ausreichende Menge Fett für die Er⸗ wärmung des Körpers unentbehrlich ist und ein ungenügend mit Fett ernährter Mensch ein erhöhtes Wärmebedürfnis hat und leichter friert

unserem Volke in diesem Winter weit mehr Kohlen zuzuführen als im vergangenen Jahre, wenn wir ein noch stärkeres Ansteigen der Erkältungs krankheiten verhüten wollen. Leider ist dies infolge der Maßnahmen unserer Vertragsgegner nicht möglich. Wenn aber gar die uns von der Entente gestellte Forderung nach einer künftigen Mehrlieferung von fünf Millionen Zentner Kohle monatlich durchgeführt werden sollte, so müßte das die Wirkung haben, daß künftig mindestens 1,5 Millionen deutsche Familien keine oder keine genügenden Mengen an Kohle er⸗

ringen Teil an Erkältungen erkranken oder sterben müßten. Diese Darlegungen meines Referenten vor der Reparationskommission schienen damals auf die Mitglieder dieser Kommission doch einen ge⸗ wissen Eindruck gemacht zu haben. Heute müssen wir leider feststellen, daß die Kommission auch diesen ernsten Hinweis auf unsere Not völlig unberücksichtigt gelassen hat. Denn wie wäre es sonst möglich, daß die Reparationskommission trotz der ihr gelieferten Beweise, daß schon die bisherigen Lieferungen an Kohlen die Gesundheit unseres Volkes schwer geschädigt, ja sogar Tausenden unserer Volksgenossen das Leben gekostet haben, zu der ungeheuerlichen Feststellung kommen konnte, daß sich Deutschland hinsichtlich der Kohlenlieferungen eine „vorsätzliche, absichtliche Verfehlung“ habe zuschulden kommen lassen, die dann mit dem jedem Völkerrecht hohnsprechenden militärischen Einbruch der Franzosen und Belgier in das Ruhrgebiet „bestraft“ werden mußte. (Lebhafte Pfuirufe.) Diese Umstände sowie die Tatsache, daß nach den Berichten aller Regierungspräsidenten und der hier in Berlin Anfang Dezember versammelt gewesenen Regierungs⸗ und Medizinalräte in den letzten Monaten eine immer mehr zunehmende Verschlechterung des Gesundheitszustandes unserer Bevölkerung unverkennbar ist, gaben mir Veranlassung, am 4. Januar eine größere Anzahl von Vertretern der in⸗ und ausländischen Presse sowie eine Anzahl der Herren Reichs⸗ minister und aller preußischen Herren Minister in mein Ministerium einzuladen, um ihnen durch meine beiden Sachreferenten, die Herren Geheimräte Krohne und Dietrich, einmal eine ausführliche und sach⸗ gemäße Auskunft über die Bedrohung unserer Volksgesundheit geben zu lassen. Ich habe damals in meinen Begrüßungsworten die Herren Vertreter der in⸗ und ausländischen Presse, die zu meiner Freude sehr zahlreich erschienen waren, gebeten, mich in dem Bestreben zu unter⸗ stützen, überall in der Oeffentlichkeit und im Auslande die Wahrheit

verbreiten Meine beiden Referenten haben dann an der Hand der bis zum Jahresschluß eingegangenen Berichte folgende Tatsachen dargertegt.

8 Bekanntlich sind wir schon durch den Krieg in außerordentlichem Maße gesundheitlich geschädigt worden. Allein durch die von unsern Feinden über Deutschland verhängte Hungerblockade sind nachweislich rund 800 000 Menschen, und zwar vorwiegend Frauen, alte Leute und Kinder, zugrunde gegangen. (Hört, hört!) Weiterhin haben Hunderttausende unserer Volksgenossen durch die jahrelange Unter⸗ ernährung während des Krieges schwere gesundheitliche Schädigungen erlitten, die wohl niemals mehr beseitigt werden können. (Hört, hört!) Nach dem Kriege trat infolge besserer Ernährung auch eine all⸗ mähliche, wenn auch nur geringe Verbesserung unseres Gesundheits⸗ zustandes ein, wenn sich auch die Hoffnung, alle jene Schäden der Hungerblockade rasch überwinden zu können, nicht bestätigte. Seit Ende des Jahres 1921, insbesondere aber seit dem Sommer dieses Jahres, ist wieder eine deutliche Verschlechterung unseres Gesund⸗ heitszustandes zu erkennen, die uns zu ernstester Sorge Anlaß gibt.

In erster Linie ist es die durch die enorme Geldentwertung bewirkte Erschwerung der Ernährungslage, die unsere Volksgesund⸗ heit bedroht. Während wir im Kriege zwar Mangel an Nahrungs⸗ mitteln litten, wohl aber in der Lage waren, die aus dem neutralen Ausland hereingeschafften Nahrungsmittel zu bezahlen, herrscht bei uns jetzt das umgekehrte Verhältnis. Wir haben trotz unserer in mancher Beziehung ungünstigen Ernte im allgemeinen genügend Nahrungsmittel, könnten solche auch vom Auslande in jeder ge⸗ wünschten Menge an sich erhalten, sind aber infolge der außerordent⸗ lichen Geldentwertung nicht imstande, die erforderlichen Mengen an Nahrungsmitteln zu kaufen. (Hört, hört!) Denn die Preise gerade für diejenigen Nahrungsstoffe, die für eine normale Ernährung unent⸗ behrlich sind, also für Fett, Fleisch, Milch, Eier, Gemüse, ja sogar für Brot und Kartoffeln, haben seit dem Sommer 1922 in immer zunehmender Steigerung eine derartige Höhe erreicht, daß zahlreiche Familien überhaupt nicht mehr in der Lage sind, sich die notwendige Mindestmenge dieser Nahrungsmittel zu beschaffen. Hierfür nur ein Beispiel:

gin⸗ vierköpfige Familie braucht täglich für die not⸗ wendige Emährung mit Fett rund 250 Gramm, die heutzutage in

über die gesundheitliche Not unseres so schwer bedrückten Volkes zu

8

Bei den heutigen Margarinepreisen aber bedeutet dies eine tägliche Ausgabe von mindestens 900 oder eine jährliche Aufwendung von 330 000 allein für den notwendigen Fettbedarf einer solchen Familie. Aehnliche Zahlen würden sich für andere wichtige Nahrungs. mittel errechnen lassen. Insgesamt müßte heute eine vierköpfige Familie, bestehend aus zwei Erwachsenen und zwei Kindern, für eine normale, d. h. gesundheitsgemäße Ernährung, jährlich eine Summs von mindestens einer Million Mark verausgaben.

Daraus ergibt sich ohne weiteres, daß Familien mit drei, vier

oder mehr Kindern für eine ausreichende Ernährung jährlich bis zu

1 ½% Millionen Mark bzw. erheblich mehr verausgaben müßten. Es bedarf keines Beweises, daß nur wenige deutsche Familien zurzeit in der Lage sind, solche Summen neben den hohen Kosten für all übrigen notwendigen Gegenstände des Lebens allein für ihre Er⸗ nährung auszugeben. (Sehr richtig! links.) 1

Ich bedauere außerordentlich, daß für gewisse Abgeordnete diese Tatsachen anscheinend nicht interessant genug sind. (Sehr gut! links. Widerspruch rechts.) 1 ves 8 die Folge? Tausende von Menschen ernähren sich un⸗ zureichend oder stillen ihren Hunger nur mit minderwertigen Nahrungsmitteln. (Sehr richtig! rechts.) Was dies aber auf die Dauer für die Volksgesundheit bedeutet, geht aus den neuesten Be⸗ richten der Regierungspräsidenten mit erschreckender Deutlichkeit hervor. 8

Nach diesen Berichten führen schon heute zahlreiche Familien, namentlich der städtischen Bevölkerung, Kleingewerbetreibende, Kapital⸗ und Sozialrentner, Handwerker, Beamte, kinderreiche Familien, Witwen, alleinstehende alte Leute usw. ein ausgesprochenes Hunger⸗ dasein! (Hört, hört!) Sehr richtig! Zuruf links: Besonders viele kleine Beamte!) Diese habe ich mit aufgeführt. G Aus verschiedenen Bezirken kommen Meldungen von Hunger⸗ todesfällen, aus einem Bezirk allein ein Bericht über 23 solcher Todesfälle. Gleichzeitig mehren sich die Meldungen von Selbst⸗ morden einzelner Leute, die aus Verzweiflung und Hunger vor, genommen werden. (Sehr richtig!) Sehr bemerkenswert ist die Tat⸗ sache, daß aus den verschiedenen Regierungsbezirken 361 Fälle von Skorbut mit fünf Todesfällen gemeldet werden. (Hört, hört!) Dieser Umstand erscheint deshalb besonders bedrohlich, weil Skorbut eine Erkrankung, die bekanntlich lediglich auf ungenügende bezw. minder⸗ wertige und einseitige Ernährung zurückzuführen ist seit langer Zeit in den Kulturländern Europas nur noch äußerst selten beobachtet wird und selbst während der schlimmsten Hungerzeit des Weltkrieges nur ganz vereinzelt in Deutschland aufgetreten ist. (Hört, hörth Ueberall kann der aufmerksame Beobachter feststellen, wie bereits das drohende Gespenst des Hungers und der dadurch bedingten Unterernährung in den breiten Massen unseres Volkes umhergeht. Von allen Seiten

Widerstandskraft usw. zurückzuführen ist. So haben wir allen Anlaß zu der Befürchtung, daß die furchtbaren Bilder der Unterernährung, der Abmagerung Hunderttausender unserer Volksgenossen, wie sie uns am Ende des Krieges so oft vor Augen standen, in einigen Monaten in verschlimmerter Form wiederkehren.

von Großstädten, erreichte geringe Verbesserung des durch den Krieg so schwer geschädigten Ernährungszustandes unserer Kinder schwindet bereits wieder dahin. Selbst die vor und während des Krieges ver hältnismäßig geringe Säuglingssterblichkeit die wohl hauptsächlich deshalb in den Kriegsjahren nicht angestiegen war, weil infolge der Milchknappheit die meisten Mütter genötigt waren, ihren Kindern eine ungewöhnlich lange Zeit die Mutterbrust zu geben 89 ist seit dem Sommer 1922 bedeutend im Ansteigen. Der Grund hierfür bürfte in erster Linie darin zu suchen sein, daß zahlreiche Säuglinge, die keine Muttermilch Hmehr erhalten können, aus den oben ge. schilderten Gründen keine ausreichenden Ersatzmittel bekommen, infolgedessen gleichfamlls der Unterernährung anheim⸗ fallen und rasch zugrunde gehen. Ganz besonders bedrohlich aber er⸗ scheint der Ernährungszustand unserer Kleinkinder und Schulkinder. Aus 24 von den 35 preußischen Regierungsbezirken werden uns zahlen⸗ mäßige, vorwiegend von Schulärzten stammende Beobachtungen über die in den letzten Monaten festgestellte Unterernährung dieser Kinder berichtet. Naturgemäß schwanken die Ziffern je nach der Verschieden⸗ heit der Verhältnisse in den Städten und den in dieser Hinsicht wesentlich bessergestellten Landgemeinden beträchtlich. Immerhin muß aber mit allem Ernst betont werden, daß die Prozentsätze der Unter⸗ ernährung unserer Schulkinder in einer ganzen Reihe von Städten die Ziffer von 50 % erheblich überschreiten. Dabei ist weiter fest⸗ gestelt worden, daß auch die Skrofulose, Drüsenerkrankungen, Rachitis usw. bei den unterernährten Kindern in verstärktem Maße auftreten. Weiterhin aber ist der äußerst ernste Umstand zu er⸗ wähnen, daß schon seit 1921 bis zu 10 % der schulpflichtig ge⸗ wordenen 6—7 jährigen Kinder infolge Blutarmut, Unterernährung und der dadurch bedingten Körperschwäche nicht in die Schule g genommen werden konnten und daß diese Ziffer nach einem el vor wenigen Tagen hier eingegangenen Bericht im Kölner Regie⸗ rungsbezirk hinsichtlich der in diesem Jahre zur Einschulung ge⸗ kommenen Kinder stellenweise bis zu 17 % und nach der münd⸗ lichen Mitteilung eines bekannten Berliner Schularztes in einzelnen Schulen Berlins sogar bis zu 20 % angestiegen ist. Die wichtige Ursache für die beobachtete Unterernährung zahlreicher Kinder dürf in dem immer schlimmer werdenden Milchmangel, beziehungsweise in der Verteuerung der Milch, die jetzt 300 bis 350 Mark das Liter kostet, liegen. Hunderttausende unserer Kinder bekommen seit Mo⸗ naten keinen Tropfen Milch mehr, da die Eltern nicht mehr in der Lage sind, die notwendigen Milchmengen überhaupt noch zu bezohlat Die Folgen des völligen Ausfalles der Milchnahrung werden öer müssen aber für zahlreiche Kinder geradezu vernichtend sein, 898 im Kindesalter kéinen Ersatz dieses für die Entwicklung des kin lichen Körpers unentbehrlichen Nahrungsmittels gibt. Besonders 9 fahrdrohend wird dieser ernste Umstand noch dadurch, daß sich Hee unseren Schulkindern eine große Menge findet, die schon eih während des Krieges unter den Folgen der Hungerblockade schwer; leiden hatten und die jetzt den vernichtenden Wirkungen der 8 ernährung bereits zum zweiten Male ausgesetzt sind. Wenn wir 8 denken, daß viele Tausende unserer Schulkinder, die während 2 Krieges ungenügend ernährt wurden, nachweislich um zwei bis der Jahre in ihrer köwerlichen Entwicklung, insbesondere im Längen⸗

Kohle an die Entente hinweisen. Der Herr Reichskohlenkommissar

erster Linie mit Margarine gedeckt werden müssen, da die Beschaffung

8*

wachstum, zurüchgeblieben sind, so bedarf es keiner näheren Aus

der keuren Bukter nur noch für wenige Menschen in Frage kommt

hören wir von einer Steigerung solcher Krankheit, die auf körperliche Erschöpfung, auf mangelhafte Ernährung, auf eine Verminderung der

lichkeit unmöglich. Die Folgen sind eine bedenkliche Zunahme viel⸗

Besonders bedenklich erscheint im Rahmen dieser Feststellungen die gesundheitliche Zukunft unseres Nachwuchses. Die durch die 3 Quäkerspeisungen und ähnliche Mittel, namentlich in einer Anzahl

Angehörigen den notwendigsten Lebensunterhalt zu verschaffen. Die

rung darüber, wie furchtbar die Folgen einer erneuten 1 Pen für die weitere Zukunft dieser. Kinder sein müssen 6.* sehr die Entwicklung der Kinder zu vollwertigen Menschen hierdurch beeinträchtigt werden wird. Nach den Berichten kommen die Kinder vielfach, ohne ein warmes Frühstück genossen zu haben, mit zer⸗ rissenen Kleidern und Schuhen und verfroren zum Unterricht und sind dann meist kaum in der Lage, dem Unterricht mit der nötigen Auf⸗ merksamkeit zu folgen. Unter diesen Umständen ist es nicht zu ver⸗ wundern, daß auch die Schulversäumnisse der Kinder infolge von Blutarmut, Drüsenerkrankungen, Erkältungen verschiedenster Art uswo. zunehmen und schon jetzt in manchen Schulen mehr als 20 der Gesamtziffer der Schulkinder betragen. So stehen wir vor der er⸗ scütternden Tatsache, daß die Gesamtheit unseres Nachwuchses, der für den Wiederaufbau unseres Vaterlandes unsere stärkste Zukunfts⸗ besean bildet, 2. * hoffnungslos zerrüttet wird.

1 Tuberkulo e e während des Krieges gleichfalls infolge Hungerblockade bei uns beträchtlich zugenommen, und zwar 8 die Ziffer von rund 56 000 Todesfällen, die wir an Tuberkulose in den letten Jahren vor dem Kriege zu verzeichnen hatten, bis zum Jahre L9s auf rund 97 000 Todesfälle, d. h. fast auf das Doppelte der Vor⸗ kriegszeit angestiegen war. Die bald einsetzende bessere Ernährung nach dem Kriege hatte anch eine deutliche Abnahme der Sterbefälle an Tuberkulose zur Folge, so daß wir hoffen konnten, es würde uns allmählich gelingen, diese furchtbare Volkskrankheit, die wir vor dem Kriege mit gutem Erfolge bekämpft hatten, wieder zurückzudrängen. deider geht aus den neuesten Berichten hervor, daß die Tuberkulose eit diesem Jahre wieder im Ansteigen begriffen ist. Nahezu aus allen Regierungsbezirken werden uns Ziffern über die Tuberkulose⸗ sterblichkeit gemeldet, die baweisen, daß fast durchweg die Zahl der Todesfälle allein bis zum 1. Oktober 1922, d. h. in den ersten drei Vierteljahren dieses Jahres, höher ist als die Gesamtziffer der Todes⸗ fälle an Tuberkulose im Jahre 1921. Die Ursache dieser Erhöhung der Tuberkulosesterblichkeit ist zweifellos in erster Linie in der Ver⸗ shlechterung der Ernährung, dann aber auch namentlich in der steigenden Wohnungsnot mit ihren üblen Wirkungen enges Zu⸗ sammengedrängtsein vieler Menschen in unzulänglichen Wohnräumen, Mangel an genügender Lüftung der Räume, Verstärkung der Infek⸗ tionsmöglichkeiten usw. zu suchen.

Eine schwere Notlage wird noch verursacht durch die zunehmende Verteuerung und den Mangel an Wäsche, durch die gleichfalls infolge des Kohlenmangels verringerten Bademöglichkeiten, durch die steigende Verteuerung der Seife und dergleichen mehr. Unter dem Mangel an Wäsche haben auch wieder unsere Kinder besonders zu leiden. Zahl⸗ weiche Kinder haben überhaupt kein Hemd mehr und erscheinen bei den schulärztlichen Untersuchungen ohne jede Unterwäsche. (Hört, hört!) Oder sie besitzen nur ein Hemd, das dann monatelang nicht gewaschen werden kann! Nicht selten kommt es vor, daß Säuglinge mangels der nötigen Wäsche in Zeitungspapier eingewickelt dem Für⸗ sorgearzt vorgestellt werden. (Hört, hört! und Zurufe.)

Dieser Notstand macht weiter Tausenden von Volksgenossen eine geordnete Körperpflege und die Beobachtung der notwendigsten Rein⸗

facher Hautkrankheiten, insbesondere aber der das Volksganze be⸗ drohenden Seuchengefahr. Sollten heute etwa über unsere östlichen Grenzen Fälle von Cholera, Pest, Pocken, Fleckfieber usw. die auch während des Friedens von Zeit zu Zeit bei uns eingeschleppt wurden, cher bei dem guten Stand der Seuchenbekämpfung meist rasch unter⸗ drückt werden konnten in unser Land eindringen, so würden diese gemeingefährlichen Volksseuchen in dem geschwächten deutschen Volks⸗ koꝛper einen nur zu günstigen Nährboden finden. (Sehr wahr!)

In besonderem Maße wird die Volksgesundheit neuerdings auch durch die zunehmende Not unserer Aerzte bedroht. Tatsächlich sind zahlreiche Aerzte heutzutage kaum noch in der Lage, für sich und ihre

Ursache für diesen Notstand liegt in der Hauptsache darin, daß Tausende unserer Bevölkerung heutzutage die selbstverständ⸗ lich auch beträchtlich gestiegenen Kosten einer Heilbehandlung scheuen und deshalb den Arzt entweder überhaupt nicht oder nur noch selten in den allerdringendsten Notfällen aufsuchen. Daß dies natur⸗ gemäß für die Volksgesundheit sehr üble Folgen mit sich bringen muß, bedarf keines weiteren Beweises. Leider ist es äußerst schwierig, dieser Aerztenot und ihren weiteren Folgen für die Allgemeinheit wirksam un begegnen. Denn wenn wir selbstverständlich auch fortwährend be⸗ müht sind, die ärztliche Gebührenordnung entsprechend der zunehmenden Geldentwertung zu erhöhen, so ist es doch leider nicht möglich, diese Echöhung in demselben Maße zu steigern wie die Geldentwertung portschreitet, da naturgemäß die unbeschränkte Erhöhung der ärztlichen Gebührenordnung die Kranken in noch größerem Umfange von der Fanspruchnahme ärztlicher Hilfe abschrecken würde.

Weiterhin wird durch die wirtschaftliche Not auch die für unser Volkswohl so bedeutungsvolle medizinische Wissenschaft in verhängnis⸗ vollstter Weise gehemmt und geschädigt. (Sehr wahr!) Fast noch nößer als die Not der Aerzte erscheint aber neuerdings die wirtschaftliche Not unserer Krankenanstalten. Die fortwährende Dreissteigering für Lebensmittel, Verbandstoffe, Arznei⸗ mittel, die Steigerung der Löhne und Gehälter des Kranken⸗ pflege⸗· und Wärterpersonals, die Kohlenteuerung und Kohlen⸗ staer haben in den letzten Jahren den Betrieb der Kranken⸗ enstalten in einer Weise verteuert, daß heute zahlreiche Krankenhäuser dirkkt vor dem Zusammenbruch stehen. (Zurufe: Leider!) Am scllimmsten steht es mit den Karitativen Anstalten, Krüppel⸗, Alters⸗ und Erholungsheimen, die lediglich auf eigenes Vermögen oder auf die Zuvendungen milder Stiftungen angewiesen sind und daber zum Teil bor dem völligen Ruin stehen. So sind bereits etwa ein Sechstel der Säuglingsheime und fast die Hälfte der Krippen geschlossen worden. (Hört! Hört!) Aber auch die großen kommunalen Krankenanstalten lämpfen zum Teil einen fast aussichtslosen Kampf um ihre Existenz, da nur wenige Gemeinden bei ihrer trostlosen Finanzlage noch länger imstande sein werden, den enorm verteuerten Betrieb der Kranken⸗ häͤuser durch immer weitere Zuschüsse aufrechtzuerhalten. Leider ist es äöer unmöglich, durch ständige Erhöhung der Pflegegelder einen Aus⸗ vlleich der Betriebskosten herbeizuführen, da dies nur die Folge haben würde, daß noch mehr Personen als schon bisher aus Scheu vor den sohen Kosten die Krankenanstalten meiden. (Sehr richtig)) Denn flegesätze von 1700 Mark täglich (Zurufe: Das wäre heute sehr niedrig!) allein schon für die dritte Klasse der Anstalten können heute nur noch wenige Leute aus eigenen Mitteln bezahlen. Die Kranken⸗ assen aber sind gleichfalls zum Teil am Ende ihrer Kraft und kaum 1 fähig, die nach Millionen zählenden Kosten der Krankenhaus⸗ chandlung zu erschwingen. Seit längerer Zeit stehe ich mit den zu⸗

und anderes ein, daß neben den vielfachen sonstigen schweren Schädi⸗

v

vor einigen Monaten hat das Reich einen Betrag von einer Milliarde Mark für Kronkenhäuser und Wohlfahrtsanstalten ous⸗ geworfen und auch mit meiner Vermittelung verteilt. Doch der großen Zahl der leidenden An⸗ stalten bisher nur zum geringen Teil möglich gewesen, mit diesem Be⸗ trag wirklich Abhilfe zu leisten. Wie mir mitgeteilt wird, soll eine weitere Summe von zwei Milliarden Mark für diesen Zweck in den bevorstehenden Reichshaushalt eingestellt werden Ob es möglich sein wird, hiermit auszukommen, läßt sich zurzeit nicht übersehen, es scheint mir aber zum mindesten zweifelhaft.

Meine Damen und Herren, das gesamte Material, das ich Ihnen vorstehend in großen Zügen dargelegt habe, wird in den letzten Wochen noch andauernd ergänzt durch Berichte der nachgeodneten Be⸗ hörden sowie durch Mitteilungen aus ärztlichen und sonstigen Kreisen, mit denen ich und meine Mitarbeiter mich in ständiger Verbindung halten, um einen ständigen Ueberblick über die Verhältnisse zu be⸗ halten. Sobald uns alles Material vorliegt, wird es in meinem Ministerium mit größter Beschleunigung noch einmal hinsichtlich seiner statistischen Unterlagen gründlich durchgeprüft und zusammen⸗ gestellt werden. Ich werde es dann baldmöglichst der Oeffentlichkeit übergeben, um einmal ein klares Bild darüber entstehen zu lassen, wie wir durch den furchtbaren wirtschaftlichen Druck des Vesailler Friedensvertrages auch gesundheitlich geschädigt werden. Dieses Material, das glaube ich heute schon fagen zu können, wird einmal eine furchtbare Anklage gegenüber denjenigen üblen Elementen, die sich auch heute noch durch Wucher an der Not unseres Volkes be⸗ reichern (sehr richtig), dann aber auch eine besonders ernste Mahnung für diejenigen Staatsmänner sein, die heute das Geschick Europas be⸗ stimmen, und es wird der ganzen Kulturwelt vielleicht einmal die Augen darüber öffnen, welches große Unrecht mit dem Versailler Friedensvertrag auch in gesundheitlicher Beziehung an dem deutschen Kulturvolke und insbesondere an der künftigen Generation unseres Volkes begangen wird. (Sehr richtig!) .

Meine Damen und Herren! Ich kann meine Ausführungen über die ernste Lage unserer Volksgesundheit aber nicht schließen, ohne noch mit einigen Worten auf die gleichfalls für unsere Volksgesund⸗ heit zu fürchtenden Folgen des Einmarsches französischer und belgischer Truppen in das Ruhrgebiet einzugehen, der vor nunmehr zwölf Tagen unter schnödem Bruch des Versailler Friedensvertrages und des Völkerrechts erfolgt ist. Dieser rechtswidrige Einbruch in das von einer auf engstem Raume zusammenwohnenden friedlichen Bevölke⸗ rung von mindestens drei bis vier Millionen Menschen bewohnte Gebiet greift naturgemäß so sehr in die Lebensbedingungen der Be⸗ völkerung dieses Gebietes, in seine Ernähvungslage, in die Wohnungs⸗ verhältnisse, in die Fragen des Seuchenschutzes, der Wohlfahrtspflege

gungen der Interessen dieser Bevölkerung auch eine schwere Schädi⸗ gung ihrer Volksgesundheit mit Sicherheit erwartet werden muß. (Sehr wahr!) Ich habe deshalb schon vor einigen Tagen einen meiner Referenten in das Ruhrgebiet entsandt, um sich dort im Einver⸗ nehmen mit den zuständigen deutschen Behörden auf das genemeste über alle die möglichen Rückwirkungen des militärischen Einbruchs in das Ruhrgebiet für unsere Volksgesundheit zu unterrichten. Mein Referent wird hierbei zu einer Reihe gans bestimmter Einzelfragen Stellung nehmen und schon jetzt alles Erforderliche mit den zuständigen Behörden beraten. Nach Rückkehr meines Referenten soll sofort eine vor mir schon anberaumte Besprechung mit den beteiligten Ministerien und Referenten im Wohlfahrtsministerium stattfinden, damit wir uns rechtzeitig darüber schlüssig machen können, ob und inwieweit wir den neuen Gefahren einer Bedrohung unserer Volksgesundheit im Ruhrgebiet entgegenwirken können.

Meine Damen und Herren, wenn wir die von dem Reichs⸗ ministerium des Innern herausgegebene Denkschrift über die in den letzten Jahren von den Truppen der Besatzungsmächte im besetzten Gebiet begangenen Untaten, Mißhandlungen und Tötungen einzelner Personen, Vergewaltigungen schutzloser Frauen usw. durchlesen, so wird jeder von uns im tiefsten Innern erschüttert sein und nur mit schwerster Sorge der Wiederholung solcher Untaten im Ruhrgebiet entgegensehen, wie wir sie auch auf Grund der verschiedenen Vorfälle der letzten Tage mit großer Wahrscheinlichkeit für die dortige Be⸗ völkerung befürchten müssen. Insbesondere sind es die in dem be⸗ setzten Gebiet vorgekommenen zahlreichen Vergewaltigungen nicht nur weiblicher, sondern auch jugendlicher männlicher Personen (hört, hört!) durch Angehörige namentlich der französischen Besatzungstruppen, und insbesondere die durch ähnliche Vorfälle herbeigeführte Verbreitung der Geschlechtskrankheiten, die uns mit größter Sorge erfüllen und die uns die Pflicht auferlegen, mit unseren leider so schwachen Kräften alles zur Verhütung söolchen Unglücks und zur Linderung der Leiden unserer so schwer heimgesuchten Bevölkerung zu tun was wir irgend tun können.

Meine Damen und Herren, die Bevölkerung unseres Ruhrgebiets, insbesondere die geschlossene Front unserer Arbeitgeber und Arbeit⸗ nehmer (Bravo!) gibt uns durch ihre vorbildliche Abwehr unwürdiger Zumutungen der feindlichen Besatzung ein glänzendes und heroisches Beispiel dafür, wie wir alle uns jetzt zu verhalten haben (Bravol), um all das Furchtbare, das uns vielleicht die nächsten Monate noch bringen werden, als ein einheitlich geschlossenes Volk zu überwinden! (Lebhafter Beifall!) Und deshalb wollen wir trotz unserer furchtbaren Lage nicht jammern und klagen, sondern in unerschütterlicher Einigkeit unter Zusammenfassung aller Volkskräfte daran arbeiten, den unserem Volke drohenden Untergang zu verhüten. (Bravo! Zuruf bei den Kommunisten.) Was an mir, dem derzeitigen Chef der Preußischen Medizinalverwaltung, liegt, um der schweren Bedrohung unserer Volksgesundheit zu begegnen, soll geschehen. (Zuruf bei den Kom⸗ munisten.) Daß Sie auch bei dieser ernsten Stunde Ihr Sdrüch⸗ lein hersagen müssen, Herr Scholem, darauf brauchen Sie sich wirklich nichts einzubilden. (Zurufe bei den Kommunisten.) Doch kann ich selbstverständlich auf diesem Gebiete nur Erfolge erzielen, wenn ich nach jeder Richtung hin auch bei ihnen Unterstützung finde. Und deshalb bitte ich Sie, mir für alle Maßnahmen, die wir vdielleicht in nächster Zeit zu treffen haben, Ihre volle Unterstützung zu ge⸗ währen, insbesondere aber auch draußen im Lande die Ihnen von mir mitgeteilten Tatsachen bekanntzugeben und darauf hinzuwirken, daß jetzt und in allernächster Zeit jeder seine Pflicht tue, um unserem Volke das Maß von Gesundheit zu erhalten, ohne das ein Wieder⸗ aufbau unseres Vaterlandes nicht möglich sein wird. (Lebhafter Beifall.)

sindigen preußischen und Reichsstellen in Verhandhingen davüber, wie

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der Noklage der Krankenanstalten abgeholfen werden kann. Bereits

ist 8 der Selbsterhaltung.

203. Sitzung vom 24. Januar 1923, Mittags 12 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger“*)

Das Haus setzt die zweite Lesung des Gesetzent⸗ wurfs, betreffend den Verkehr mit Urns stücken, fort.

Abg. Dr. Hoffmann⸗Münster (D. Nat.): Ueber die Ueber⸗ fremdung des deutschen Grundbesitzes ist ja hier schon sehr gründ lich geredet worden. Es hat dabei an unhaltbaren und unbegrün deten Angriffen der Linken auf den deutschen Landbesitz nicht ge⸗ fehlt, man hat ihn als pro stgiar und profitwütig bezeichnet, und auch gestern wieder hat Herr Meyer⸗Solingen den Vorwurf der Spekulation erhoben. Der wahre Grund für diese Erscheinung ist, daß der Hausbesitzer verkaufen muß, weil er sich in einer Zwangs⸗ 187 befindet weil er nicht, wie der Mieter, sich eines besonderen esetzlichen Schutzes erfreut. Das nationale Mäntelchen, das die

Regierung jetzt dem Entwurf, den sie wieder hervorgeholt hat, umhängte, ist doch gar zu fadenscheinig. Weit weniger der Aus⸗ länder wird mit dem Geles getroffen, als der reelle deutsche Haus⸗ besitter. Der Hausbesitz ist total unrentabel geworden. Mit der Uebersremdung hat der Entwurf gar nichts zu tun, ja, er hat offenbar auch gar nicht einmal die Absicht, sie zu verhindern. Das das für diesen Zweck erging, ist ja noch heute in Kraft, un kann unzweifelhaft ausländischen Gesellschaften der Ankauf untersagt werden. Anders steht es allerdings mit den föhaüschen Personen, die nicht ohne weiteres mit solchen Er⸗

werungen belegt werden können. Sollte nicht zu erwägen sein, ob die Reichsregierung nicht gerade den jetzigen Moment benutzen müßte, um die bezüglichen Vorrechte aus dem Versailler Vertrage den Franzosen und den Belgiern zu entziehen? Den Kampf gegen das deutsche Volk wollen wir nicht auf deutschem Grund und

Boden ausgefochten wisten. Den Kommerzienrat Haberland hat Herr Mayer⸗Solingen heftig angegriffen, seine Aeußerungen aber aus dem ngee aS2 gerissen und entstellt; wie ich hier aus⸗ drücklich konstatiere, hat er nicht die wirtschaftlichen Interessen des einzelnen über das Nationalgefühl gestellt, sondern von über⸗ Interessen des Staatsganzen gesprochen. Das Vor⸗ kaufsrecht der Gemeinden wäre schließlich doch nur ein beguemer Weg, die Sozialisierun des Hausbesitzes in Gang zu bringen. Auch die Entscheidung über die Genehmigung darf nicht einseitig den Landräten überlassen werden, die, wie die jüngsten Landrats⸗ ernennungen des Ministers Severing beweisen, ganz genau wissen würden, wie sie das Gesetz auszulegen hätten; es ist unbedingt ge⸗ boten, die vom Ausschuß vorgeschlagene Kommission dabei be⸗ stimmend mitwirken zu lassen. Man sprach gestern von Kor⸗ fuption, vom Schiebertum auf dem Grundstücksmarkt. Wie würde sich diese Erscheinung erst auswachsen, wenn auch noch das famose Vorkaufsrecht der Gemeinde bestände! Mit Recht hat der gebn. auch die Auflage, mit der eventuell die Genehmigung belaste werden soll, beseitigt, denn sie würde weit mehr den deutschen

ausbesitzer als den Ausländer schädigen. Die allerschlimmsten

Giftzähne sind ja damit dem Entwurf ausgebrochen werden; wir können aber auch dem so abgeschwächten Entwurf nur zustimmen, wenn noch weitere Steine des Anstoßes daraus entfernt worden, und wir haben dahingehende Anträge gestellt. Vor allem muß die Verhütung der Ueberfremdung in das Gesetz hinein; ohne das müßten wir es im ganzen verwerfen. Jede Ueberhastung aber ist bei einer Vorlage von solcher Tragweite zu vermeiden. Das Gesetz ist ein Ausnahmegesetz, denn es richtet sich gegen einen einzelnen

ttand, und das in einem Augenblick, wo es gilt, eine wirkliche Einheitsfront den Ausländern gegenüber herzustellen.

Abg. v. Eynern (D. V 9 weist auf die Gefahr der Ueber⸗ fremdung des deutschen Grundbesitzes hin. Dagegen sich zu wehren, Wir bekämpfen die Verschleuderung von deutschem Grund und Boden. Wenn es bei Beratung dieses Gesetzes dazu gekommen ist, daß man schwere Kränkungen einem ehrsamen und volkswirtschaftlich notwendigen Stande, wie dem Stande der Haus⸗ und Grundbesitzer zugefügt hat, wenn man den Widerstand gegen dieses Gesetz aus Hausbesitzerkreisen als eine . von Schiebern und Grundstückswucherern bezeichnet hat, so legen wir dagegen Verwahrung ein. In der Form der Ausschußbeschlüsse wird der Entwurf mit den darin gegebenen Kautelen Gutes wirken können. In den Ausführungsanweisungen muß man Bedacht nehmen, daß der wirklich notleidende Hausbesi geschont wird, damit er nicht gezwungen ist, seine Grundstücke 22 den Markt zu werfen. Mit Sozialisierungsabsichten ist weder dem Hausbesitz noch der großen Masse der Wohnungslosen gedient. Wir werden alle Abänderungsanträge gegen die Ausschußbeschlüsse ablehnen.

Abg. Katz (Komm.) erklärt sich gegen das Gesetz und bekämpft die Ausführungen der bürgerlichen Zerhene Der Ausschuß habe gerade die Vorzüge, das Vorkaufsrecht der Gemeinden und die Er⸗ mächtigung, mit der Gene nhttgag bestimmte Auflagen zu ver⸗ binden, zu Fall gebracht. Wir richten unseren Kampf gleichmäßig begen ausländische und inländische Schieber. Freilich, wo das

rofitinteresse bedroht ist, geht der Patriotismus zum Teufel. Nur die

roße Unglück bei

ystems.

Abg. Dr. Höpker⸗Aschoff (Dem.): Die Bodenreformer haben ein Vorkaufsrecht der Gemeinde nur für unbebaute Grund⸗ stücke gefordert; das ein gewaltiger Unterschied gegenüber dem Vorkaufsrecht dieser Vorlage. Unsere Bedenken gegen die Ge⸗ nehmigung entspringen nicht daraus, daß wir den Grundstücks⸗ handel unterstützen wollen, sondern weil die Lage des Grundbesitzes immer geworden ist. Es muß dofür gesorgt werden, daß der Besitzer sein Haus loswerden kann. Darum beantragen wir einen Zusatz, daß bei Versagung der Genehmigung der Ver⸗ äußerer binnen drei Wochen nach Zustellung des Verso ungs⸗ bescheides von der Gemeinde die Uebernahme des Grundstücks ver⸗ langen kann. Wir werden trotz mancher Bedenken für die Vorlage in der Ausschußfassung stimmen.

Abg. Bergmann (Zentr.): Der Proteststurm der Inter⸗ 8”8. hat dazu geführt, daß das Gesetz sehr verschlechtert ist. Das

ißtrauen gegenüber den staatlichen und kommunalen Behörden aßt. vagt zu der gegenwärtigen trüben Lage unseres Vaterlandes. Natürlich beschränkt dieses Gesetz wie jedes die private Freiheit; aber es heißt in der Reichsverfassung, daß Eigentum verpflichtet. 2* spreche nur für einen Teil der Fraktion. Grund und Boden soll keine mobile een sein, es handelt sich um das wichtigste nationale Gut, das gegen Verschleuderung, Schieber⸗ und Speku⸗ lantentum geschützt werden muß. In der Ausschußfassung gleicht das Gesetz einem Körper, dem die Beine abgeschlagen sind. Die Haltung der Volkspartei ist um so unverstandlicher, als Herr v. Eynern seinerzeit den ö hatte auf Einführung der unbedingten Genehmigung und des Vorkaufsrechts der Gemeinde. Den Antrag der Demokraten betr. Ankaufspflicht lehnen wir ab

(Beifall). Abg. Ladendorff (Wirtschaftsp.): Dieses Gesetz, das ursprünglich die Easkanbir treffen sollte, richtet sich Ferleagbes Es ist tatsächlich eine verkappte Sozialisierung

hegen Inländer. es Hausbesitzes. Die Notlage des Hausbesitzes ist nicht allein urch die ver⸗

durch die Wirtschaftslage verschuldet, sondern auch kehrte Wohnungspolitik der Behörden, die die Verärgerung zwischen Vermietern und Mietern fortdauernd steigert.

Minister für Volkswohlfahrt Hirtsiefer: Meine sehr ver⸗ ehrten Damen und Herren! Der Herr Abg. Katz hat darauf möchte ich zunächst eingehen das Unglück, daß hier bei dem Aufbau der Firma Mosse geschehen ist, wieder einmal mit dem Kapitalismus in Verbindung zu bringen gesucht. (Sehr richtig! b. d. Komm.) Dagegen muß ich ganz entschieden Verwahrung einlegen. Das hat mit dem Kapitalismus wirklich nicht das geringste zu tun, jedenfalls

Einheitsfront kann uns helfen. Auch das osse kommt auf das Konto kapitalistischen

*) Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgeh Reden der Herren Minister, die im Wortlaute -2vcöö—

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