.Ich verspreche ihm, daß Kabinett dafür eintrete werde, daß die Regierung dann, soweit sie beleidigt ist, die Klage gegen den Freund des Herrn Abgeordneten Remmele einleiten wird, und sein Freund wird dann vor Gericht Gelegenheit haben, den Nachweis zu führen, daß seine Behauptungen wahr sind. Ein anderes Forum, vor dem objektiv klargestellt werden könnte, ob der Herr Abgeordnete Remmele recht hat, gibt es nicht. (Zuruf von den Kommunisten: Hier ist der Beweis!) Zeitungsnachrichten, Herr Abgeordneter Remmele — ich glaube, Sie sind ja wohl selbst Redakteur —, sind nicht immer so, daß sie den Tatsachen entsprechen. (Andauernde große Unruhe und Zurufe. — Glocke.)
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich ein Schlußwort sagen und darin etwas wiederholen, was ich im Verlauf meiner Darlegungen schon gesagt habe: Hier werden wir uns über der⸗ artige Dinge nicht einigen. Was der Herr Abgeordnete Remmele behauptet, wird von denjenigen, die die Dinge von einer anderen Seite betrachten, bestritten. Ich, meine Herren, habe nicht den Beruf, die Badische Anilin⸗ und Sodafabrik in Schutz zu nehmen. Ich kenne die vorgebrachten Dinge nicht, das ist auch nicht meine Aufgabe als Wirtschaftsminister, und wenn ein anderer an meiner Stelle stünde, würde er sich wahrscheinlich genau so verhalten. Ich habe nur objektiv gesagt: wenn Sie eine Klarstellung wollen, dann wählen Sie den von mir angegebenen Weg. (Zuruf von den Kommunisten: Ihre Rede ist die beste Bestätigung!) Für Sie vielleicht, für die Oeffentlichkeit Gott sei dank nicht! Ich be⸗ schäftige mich nur mit Dingen, für die ich verantwortlich bin, und ich rede von dieser Stelle aus nur das, was ich weiß, nicht aber über Dinge, von denen ich keine Kenntnis habe. So feasse ich meine Aufgabe auf. Aber ich komme zum Schluß. Ich hätte gewünscht, daß die Herren der Kommunistischen Fraktion doch hier eine Wirtschaftsrede gehalten hätten; dann hätte man sich mit ihnen doch über wirtschaftliche Gegensätze auseinandersetzen können. Da sie das bis jetzt vermieden haben und nur diese Anwürfe und Beschuldigungen gegen die Industrie erhoben haben, bleibt nur übrig, ihnen zu sagen: Für das, was die Privatindustrie tut, fühle ich mich nicht verantwortlich und habe ich mich vor Ihnen nicht zu verantworten. (Bravol rechts. .
341. Sitzung vom 24. April 1923. Nachtrag.
Die Rede, die der Reichsminister der Justiz Dr. Heintze bei der Beratung des Gesetzentwurfs über Abänderung des Strafgesetzbuches gehalten hat, lautet nach dem vorliegenden Stenogramm:
Wenn die Reichsregierung bisher geschwiegen hat, so entspricht das einem alten Brauche. Der Antrag ist aus dem Hause heraus gekommen, und es ist üblich, daß sich die Reichsregierung bei Anträgen aus dem Hause zurückhält, daß zunächst die Parteien ihre Ansichten austauschen. Nachdem das geschehen ist und nachdem die Auf⸗ forderung an die Reichsregierung gekommen ist, sich zu äußern, habe ich keine Bedenken, mich zu erklären.
Meine Herren! Der Antrag, der Ihnen vorliegt, bezweckt, das Stralgesetzbuch nach einer gewissen Richtung hin zu ergänzen. Dem Antrag die Gefahr beizumessen, wie es der Herr Vorredner getan hat, ist kein Anlaß vorhanden. (Lebhafte Zustimmung rechts und in der Mitte.) Durch den Gang der Entwicklung sind gewisse Rechts⸗ güter in unserer Oeffentlichkeit mehr in den Vordergrund getreten, als das früher bei Schaffung des Strafgesetzbuches der Fall war. (Sehr richtig!) Das öffentliche Leben spielt sich sehr viel mehr in der Breite des Volkes, in der Presse, namentlich in politischen Versammlungen ab, als das früher der Fall war. lungsfreiheit ist in höherem Maße wie früher zu einem Rechtsgut geworden. Unser öffentliches Leben, der Gang der Politik beruht zum großen Teil auf den Versammlungen, auf den Debatten in den Versammlungen, auf der freien Meinungsäußerung innerhalb der Versammlungen und auf der Freiheit der Versammlungen. (Sehr wahr! rechts.)
Darum stimmt es nicht ganz, was gesagt worden ist, daß der Schutz der Versammlungen durch andere Paragraphen des Strafgesetzbuches genügend gewährt wäre. Ganz gewiß kann man zahlreichen Störungen der Versammlungen mit anderen Paragraphen des Strafgesetzbuchs be⸗ gegnen. Ich weise hin auf die Paragraphen über Bedrohung, Beleidigung, Körperverletzung, Hausfriedensbruch, Landfriedensbruch usw. Das sind aber alles nur Spezialbestimmungen gegenüber dem angegriffenen Rechtsgut, d. h. dem Rechtsgut der Freiheit der Versammlung. Ferner ist ein Teil dieser Delikte nur Antragsdelikte und erfüllt daher durch⸗
us nicht die Forderungen, die jetzt zu stellen sind. Seien Sie sich
darüber ganz klar! Wir können in Deutschland, namentlich auf dem Boden der Demokratie, auf dem Sie dort gerade stehen, nur weiter⸗ kommen, wenn die Freiheit der öffentlichen Meinungsäußerung ge⸗ schützt wird. (Lebhafte Zustimmungen rechts und in der Mitte. — Zurufe bei den Soz.: Bayern!)
Nun haben Sie selbst in eindrucksvollen Reden dargelegt, daß die Freiheit der Versammlung in gewissen Teilen Deutschlands nicht geschützt wird. Auch aus anderen Teilen Deutschlands sind uns bewegliche Klagen zugekommen. Ich will nicht genauer auf die ein⸗ zelnen Teile Deutschlands eingehen. Ich weise nur darauf hin, daß in gewissen Teilen Deutschlands die Freiheit der Versammlung stark bedroht ist.
So können wir es also nur begrüßen, wenn nunmehr dem tat⸗ sächlichen Bedürfnis Rechnung getragen und die Versammlungsfreiheit durch besondere Strafandrohungen geschützt werden soll.
Meine Herren! Ich habe durchaus gleiches Licht nach rechts und links verteilt. Nun muß ich aber sagen, daß die Gesetze doch noch eine andere Bedeutung haben, als die reine Wirkung durch den Strafrichter. Gesetze an und für sich bedeuten eine Mahnung für das Volks⸗ und Rechtsbewußtsein. Darin liegt eine weitere große Bedeutung der Gesetze. Und da wir einig sind, Sie sowohl wie die Rechte, der ich angehöre. Da die Versamm⸗ lungsfreiheit in Deutschland bedroht ist, bedarf es der Mahnung an das Volk und namentlich an die Kreise, die gewillt sind, Versamm⸗ lungen zu bedrohen, davon abzustehen und die Versammlungsfreiheit zu respektieren.
Das ist die Bedeutung dieses Gesetzes, und darum kann die Reichsregierung nur wünschen, daß der vorgelegte Entwurf Gesetz werde.
Meine Herren, daß die Reichsregierung und namentlich das Reichsjustizamt gewillt ist, diese Gesetzesbestimmung nach rechts und links gleich unparteiisch anzuwenden, davon können Sie überzeugt sein⸗ (Heiterkeit und Zurufe links.) Geben Sie uns die Mittel in die
Die Versamm⸗
Hand, tatkräftig vorzugehen, dan sehen, daß die Freiheit der Versammlung, die wir alle wünschen und die wir alle für bedroht ansehen, besser geschützt wird als bisher. (Bravol bei der D. Vp. und rechts. — Zurufe links.)
Nun scheue ich mich durchaus nicht, indem ich zu weiteren Punkten meiner Rede komme, auf die Fragen einzugehen, die der Herr Abg. Levi an die Reichsjustizverwaltung gerichtet hat, die er namentlich an sie gerichtet in bezug auf ihr Verhältnis zu Bayern. Herr Levi hat gefragt, ob sich die bayerische Justiz und die bayerischen Gerichte überhaupt noch den Reichsgesetzen fügten, so wenigstens habe ich seine Frage in generali ansehen müssen. Ich kann Ihnen versichern, meine Herren, alles das, was zwischen der Reichsregierung und der bayerischen Regierung, insbesondere zwischen dem Reichsjustizministerium und der bayerischen Justizverwaltung verhandelt und getan worden ist, verletzt auch nicht mit einem Deut die Gesetze (hört, hört! bei der D. Vp. und rechts) und hat das Licht der Oeffentlichkeit in keiner Weise zu scheuen. (Zuruf links: Heraus damit!) Es ist gefragt worden, wie es mit den Handlungen des Leipziger Unter⸗ suchungsrichters in Bayern stünde, eine Frage, die bereits vor einiger Zeit seitens des „Vorwärts“ an die Oefefentlichkeit und damit auch an das Reichsjustizministerium gegangen ist. Das Reichsjustizministerium hat, alsbald nachdem die Frage in der Oeffentlichkeit auftauchte, eine ganz klare Antwort in der Presse und in der Oeffentlichkeit gegeben und ich kann diese Antwort hier nur wiederholen. Meine Herren, der Untersuchungsrichter hat verschiedene Möglichkeiten, Zeugen und Angeschuldigte zu vernehmen. Er kann an Ort und Stelle fahren, um sie daselbst zu vernehmen, er kann die Zeugen an seinen Sitz laden und an seinem Sitz vernehmen und er kann die Gerichte des Ortes, an dem sich Zeugen und An⸗ geschuldigte befinden, requirieren, d. h. ersuchen, ihrerseits die Ver⸗ nehmung vorzunehmen. Welches von diesen verschiedenen Mitteln, die Zeugen zu vernehmen, anzuwenden ist, das bleibt dem Takt und dem Geschicke des Untersuchungsrichters über⸗ lassen, das ist seine Sache (Zurufe links: Bayern) und darauf hat die Justizverwaltung letzten Endes keinerlei Einfluß. (Aha! links.) Aber, meine Herren, wenn der Untersuchungsrichter einen Weg wählt, gegen den von gewissen Seiten Bedenken erhoben werden, so ist es nicht nur das Recht, sondern die Pflicht des Reichs⸗ justizministeriums, diese Bedenken durch die zuständige Stelle, d. h. durch die Reichsanwaltschaft dem Untersuchungsrichter zu unterbreiten. (Hört, hört! links.) Wenn der Untersuchungsrichter einen Weg geht, gegen den gewisse Bedenken von irgendwelcher Seite bestehen (hört, hört! links), soll dann, meine Herren, der Reichsiustizminister dasitzen und die Daumen drehen und nichts machen, wenn er über⸗ zeugt ist, daß dadurch Schwierigkeiten entstehen können? Nein, dann ist er geradezu verpflichtet, durch die Stelle, auf die er Einfluß hat und die doch gesetzmäßig und prozeßmäßig dazu da ist, um den Ver⸗ kehr, um die Beziehungen der Justizverwaltung zu den Gerichten zu vermitteln, durch die Staatsanwaltschaft diese Bedenken dem Unter⸗ suchungsrichter zu unterbreiten und es ihm zu überlassen, ob er es für pflichtmäßig hält, diese Bedenken in Anschlag zu setzen oder nicht. (Hört, hört! links.) Mehr ist nicht geschehen, meine Herren, wir haben so gehandelt, wie es unsere Pflicht war. Es ist Sache des Untersuchungsrichters, nunmehr zu entscheiden, ob er diesen Bedenken Rechnung tragen will oder nicht. (Zurufe links.) Dieses ganze Ver⸗ fahren hat das Licht der Oeffentlichkeit absolut nicht zu scheuen, und es ist absolut korrekt prozeßmäßig vorgegangen worden, daran ist gar kein Zweifel. (Lachen links. — Sehr richtig! rechts.) — Meine Herren (nach links), erlauben Sie, ich kenne wahrscheinlich die Prozeß⸗ gesetze besser, wie ein großer Teil der Herren da drüben. (Zurufe links.)
Nun ist gefragt worden, ab die Haftbefehle in Bayern vollstreckt würden. Ich kann nur erklären, daß uns die bayerische Justiz⸗ verwaltung die Versicherung abgegeben hat, daß die Haftbefehle in Bayern vollstreckt werden würden. (Unruhe und Zurufe.) Ich kann nur wiederholen, meine Herren, die Verhandlungen, die zwischen der Justizverwaltung des Reichs und der bayerischen Justizverwaltung geflogen worden sind, haben nicht um eine Linie die Gesetzmäßigkeit überschritten. Trauen Sie mir doch nicht zu, daß ich den gesetz⸗ mäßigen Weg vertlassen werde, wo ich als verantwortlicher Minister hier dem hohen Hause und auch Ihnen, meine Herren, für jede meiner Handlungen Rechenschaft zu geben habe. (Bravol rechts.)
Noch einen letzten Punkt will ich behandeln, auf den ich hin⸗ gewiesen worden bin, der zwar eigentlich nicht zur Justiz gehört, den ich aber doch nicht mit Schweigen übergehen will. Von der linken Seite ist behauptet worden — ich habe die Bemerkung nicht gehört —, daß die deutsche Gesinnung des preußischen Ministers Severing an⸗ gegriffen sei. Ich kann nur, obgleich ich der preußischen Regierung, wie Sie wissen, nicht angehöre, als Reichsminister — und ich glaube, dazu von der Reichsregierung legitimiert zu sein — erklären, daß, wenn die deutsche Gesinnung eines der preußischen Herrn Minister angegriffen wird, die Reichsregierung das mit Bestimmtheit zurück⸗ weist. (Bravo!l rechts.) 8
343. Sitzung vom 25. April 1923, Nachmittags 2 Uhr. 1 (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger
Präsident Löbe eröffnet die Sitzung um 2 Uhr 10 Min.
Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der zweiten Beratung des Antrags Stresemann und Genossen (unterzeichnet von der Deutschen Volkspartei, dem Zentrum, den Demokraten und der Bayerischen Volkspartei) über Ab⸗ änderung des Strafgesetzbuches derart, daß die Sprengung von Ver weeta e. bestraft wird.
Vor Eintritt in die Tagesordnung bemerkt zur Geschäfts⸗ ordnung der
Abg. Dittmann (Soz.): Im Auftrage meiner Fraktion
abe ich zur ö folgendes zu erklären: 8 dem ugenblick, wo die deutsche Arbeiterschaft neben den übrigen Schichten des Landes in dem schweren Abwehrkampf gegen den militärischen Einbruch an der Ruhr steht, schickt sich die Mehrheit des Hauses an, ein Gesetz gegen sie anzunehmen. (Lebhafter Widerspruch und große, lange Felt andauernde Unruhe bei den bürgerlichen Parteien). Ich wiederhole, ein Gesetz gegen sie an⸗ unehmen (erneute große Unruhe bei den bürgerlichen Parteien, Pfni⸗Rufe rechts), das als Ausnahmegesetz wirken muß. Das Gesetz, welches nach Absicht der Antragsteller ursprünglich be⸗ stimmt war, rohe Gewaltakte zur Sprengung der Versammlungen zu verhindern, hat in dem Ausschuß eine Gestaltung erfahren, welche auch andere Zwischenfälle in Versammlungen, die als ein
Versuch zur Sprengung ausgelegt werden können, mit schweren Strafen bedroht. Unsere Redner haben unwiderlegt, zum Teil
*) Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgehobenen Reden der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind.
werden Sie Erfolge sehen und j
unwidersprochen festge
duldet werden, die den Versammlungsterror planmäßig organi⸗ sieren, ohne daß die bisherigen Strafgesetze dagegen angewendet werden. In den Versammlungen dieser Rechtsradikalen können selbst Aufforderungen zum Totschlagen der Juden, der Reichs⸗ minister, der Novemberlinge erfolgen, ohne daß die bayerische Regierung und Justiz den Willen oder die Kraft haben, dagegen mit den bestehenden Gesetzen einzuschreiten (Widerspruch rechts) die aber in allen anderen Fällen gegen die Arbeiterschaft mit aller Schärfe zur Anwendung kommen. (Große Unruhe und Widerspruch rechts.) Daraus entsteht in einem großen Lande Deutschlands für die Arbeiterschaft eine unerträgliche Rechts⸗ ungleichheit. Sie würde durch den geplanten noch weiter verschärft werden. Da die Darlegungen unserer Redner in der Aussprache nicht entkräftet werden konnten (Widerspruch rechts), stellen wir aufs neue den Antrag, den Gesetzentwurf an den Ausschuß zurückzuverweisen. Gleichzeitig beantragen wir namentliche Abstimmung über diesen unsern Antrag.
Unter dem immer wieder einsetzenden tobenden Lärm der Linken sind die Ausführungen der folgenden Redner der bürgerlichen Parteien nur zum Teil verständlich.
Abg. Dr. Sch (D. Nat.): Wenn der Vor⸗ redner behauptet, daß dieser setzentwurf sich gegen die “ e g und sie ganz 89 bedroht (tobender Lärm der Linken), so stelle ich fest, daß die Kommissionsfassung nur mit Strafe bedroht, wer mit Gewalt oder durch Drohungen mit einem Verbrechen Versammlungen sprengt oder zu sprengen versucht. Daß sich dies gegen die deutschen Arbeiter (Lärm links) richte und daß ein Redner der sezlalde ornatiscen Partei, die sich immer als Vertreter der deutschen Arbeiter hinstellt, eine solche Beleidigung ausspricht (brausender Lärm der Linken, taktmäßige Zwischenrufe, in denen die nächsten Worte des Redners verloren⸗ gehen) — wir schließen uns dem Antrage auf namentliche Ab⸗ stimmung an.
Abg. Dr. Bell (Zentr.): Nicht nur als Mitglied meiner Fraktion, sondern auch als Angehöriger des Ruhrgebiets lege ich mit aller Schärfe Seee hegea die Worte des Abg. Ditt⸗ mann ein. (Lärm links.) s Ruhrgebiet wird durch diesen Gesetzentwurf in keiner Weise beeinträchtigt (lärmender Wider⸗ spruch der Linken), wohl aber sind diese Ausführungen im Reichs⸗ ag geeignet, den Abwehrkampf zu stören. Ich lege aufs schärfste Verwahrung ESr ein, daß man uns hee überhaupt ein Gesetz gegen die Arbeiterschaft zu machen. (Lärm links.) Wir wollen ein Gesetz zum Schutz aller derer, die für Ordnung sind. (Lärm links.) Es handelt sich um einen Entscheidungskampf der Ordnung gegen den Terror. (Lärm links.) Die Mehrheit des Reichstags muß dafür sorgen, daß systematische Sabotierungen S8 8 chlusses mit aller Entschiedenheit verhindert werden. (Lärm inks. —
Abg. Leutheußer (D. Vp.); Auch namens meiner Fraktion protestiere ich mit aller Entschiedenheit gegen die Beleidigung, die von dem Abg. Dittmann der Reichstagsmehrheit zugefügt ist und gegen die Beleidigung, die in seinen Worten gegen die deutsche Arbeiterschaft liegt. (Lärm links.) Es unterliegt keinem Zweifel, daß es eine unerhörte Beleidigung der Arbeiterschaft ist, daß das Gesetz anders zur Anwendung gebracht würde als gegen den, der sich der Gewalt schuldig gemacht hat. Nur bei tatsächlichen Sprengungen kann das Gesetz Anwendung finden. Auf das aller⸗ entschiedenste weisen wir diese unerhörten Unterschiebungen zurück.
Abg. Koch⸗Weser (Dem.) wird mit Aha!⸗Rufen von der Linken empfangen: Ich protestiere gegen die unerhörte Beleidigung meiner Fraktion. Meine Fraktion bedauert lebhaft, daß 86 Vorlage jetzt zu einem innerpolitischen Zerwürfnis Fenach⸗ wird. Auf unserer Seite ist kein Anlaß dazu gegeben. (Lachen links.) Im Gegenteil, ich konstatiere in formeller Beziehung, daß noch gestern im Aeltestenausschuß der Müller für die sozialdemo⸗ kratische Fraktion erklärt hat, daß diese der Verabschiedung des Gesetzes irgendwelche obstruktionsmäßige Mittel nicht entgegen⸗ setzen wird (Hört, hört! bei der Mehrheit), sondern, daß sie das Gesetz lediglich sachlich beämpfen würde. Damals stand der Wortlaut des Gesetzes in der Kommissionsfassung bereits fest. (Hört, hört! bei der Mehrheit.) Seitdem hat sich nicht das ge⸗ ringste verändert, wen ghscnns nicht außerhalb der sozialdemo⸗ kratischen Fraktion. un innerhalb der sozialdemokratischen Fraktion inzwischen eine andere Auffassung stattgefunden hat, so sind wir daran nicht schuld, sondern sie selbst ist im letzten Augen⸗ blick — aus welchen Gründen, weiß ich nicht — zu einer Feseen⸗ Pfedten Anschauung gekommen. Ich bedaure daß, fin, olcher
iderstand, wie er jetzt von der sozialdemokratischen artei geübt wird, nicht früher angekündigt und versucht worden ist, in der Kommission das Gesetz abzuändern. (Aha! links.) Jetzt ist es für uns eeeefch ofsn. uns dem einseitigen Druck einer Minderheit des Reichstags sn ügen. In sachlicher Beziehung wird aber uh heute noch nichts anderes gegen das Gesetz vorgebracht, als da es in . partetisch gehandhabt werden wird. Wir verlangen von der Reichsregierung, daß sie die Kraft gegenüber Bayern hat. Stürmisches Gelächter links.) Jedenfalls kann die Berufung auf
ayern keine Veranlassung sein, ein Gesetz fallen zu lassen, das im gesamten Reichsinteresse, nicht nur mit Rücksicht auf Bayern, sondern auf andere Länder unbedingt erforderlich ist.
Abg. Müller⸗Franken (Soz.): Der Abgeordnete Koch at bedauert, daß es in der gegenwärtigen Situation zu solchen Auseinandersetzungen kommt, und hat erklärt, daß es nun nicht mehr möglich sei, den Versuch einer Abebnung zu machen. Auch wir haben an der Sache nicht gerade Vergnügen. Der Abgeordnete Dr. Kahl hat sich in dieser Richtung Mühe gegeben. Was unsere Haltung betrifft, so habe ich gestern bereits im Aeltestenausschuß erklärt, daß ich meiner Fraktion über die dort von mir abgegebene Erklärung Bericht erstattet habe; die Fraktion hat sich aber auf den Standpunkt gestellt, daß das, was jetzt aus der Kommission Sre ist, so gestaltet sei, daß h sich dieser meiner
rklärung nicht anschließen zu können⸗ Ee is te. Sie können das bedauern, aber mit der Tatsache müssen Sie sich schließlich abfinden. Entgegen der Behauptung des Abgeordneten Bell kann ich fest⸗ tellen, daß sämtliche Abgeordnete aus dem Ruhrgebiet der rklärung des Abgeordneten Dittmann zugestimmt haben. (Großer Lärm rechts.) Es heißt darin auch nicht, daß der ee ein Ausnahmegesetz ist, sondern daß er als Ausnahmegesetz wirken muß. Weiter stelle ich gegenüber dem Abgeordneten Dr. Bell fest, daß keine Partei im Hause ist, die den mpf gegen den Terror von rechts und links so scharf führt, wie wir. (Lachen und 8rSe Widerspruch rechts und in der Mitte.) Aus der Aeußerung des Abgeordneten Koch haben Sie entnommen, daß er doch bereit zu sein scheint, nach einer Möglichkeit 2 suchen, die eine Abebnung herbeiführt. Wir haben Ihnen schon gestern Gelegenheit dazu geben wollen. Wir haben nicht die Pllicht, Ihnen zu ern Ihren Gesetzentwurf durchzuhringen, sie selbst hätten dafür sorgen müssen, daß Ihre Abgeordneten zur Stelle waren. Wir werden bei unserer 89 beharren..
Abg. Remmele I ie Herren von den bürgerlichen Parteien haben gestern wie am Sonnabend wohlweislich
eschwiegen, weil sie ein schlechtes Gewissen hatten. (Lachen rechts. ir schließen uns der Erklärung und dem Antrag der Sozial⸗ demokraten an. 9
Abg. Leicht (Bayer. Vp.): Ich bedaure, daß namens esamten sozialdemokratischen aeeh der Abgeordnete Dittmann 1889 Erklärung abgegeben hat. Deren Form ist nicht geeigner, einem Ausgleich oder einem Entgegenkommen seitens der anderen Parteien den Weg zu ebnen. (Zurufe.) Auf beleidigende Zwischen⸗ 8 gehe ich prinzipiell nicht ein; wenn Sie cöföha dazwischen rusen wollen, so mache ich darauf aufmerksam, daß drüben 52 industriellen Verbandshause eine Abteilung für Luftreederc⸗ errichtet ist. (Große Heiterkeit.) Es ist allemal gut, wenn ane in schweren Zeiten noch ein Wort des Humors fällt. Ich ge; namens meiner Freunde und namens ganz Bayerns die a gesprochenen Verdächtigungen zurück. 8 8
Abg. Kahl (D. Vp.): Durch die Ausführungen des Dittmann hat sich die Situatn ganz ungewöhnlich verschärft,
Ult, daß in Bayern Organifationen u
8— Aussprache ungemein s diese ganze An⸗ dlegenheit in sachliche Verbindung bringt mit den Arbescetn an 2 Ruhr, so ist das eine derartige unglückliche und unrichtige Auf⸗ gssung, daß ich es gegenüber den von uns abgegebenen Ver⸗ icherungen geradezu unter meiner Würde halte, darauf zu ant⸗ worten. (Große ÜUnruhe links.) Ich würde nicht das Wort er⸗ beten haben, wenn nicht der Abg. Müller auf eine Besprechung von 9 Bezug genommen hätte. Gewiß, ich bestätige ihm öffentlich, daß er mit dem Kollegen Radbruch zu mir gekommen ist, um den Versuch zu machen, eine Verständigung über den Inhalt ds Gesetzentwurfes herbeizuführen. Es handelte sich dabei um
i Punkte, um die Bestrafung von Handlungen, die im Zu⸗ ammenhang mit einer Versammlung begangen„werden, und um je Strafbarkeit des Bersuche. Ich habe gesagisdaß man selbst⸗ verständlich, da es Fragen sind, dar ber verhandeln bönne, habe dann aber gefragt, was die Herren für Folgerungen daraus zögen, wenn wir etwa in dieser Beziehung vscpgeben und ein Kon romiß schließen würden. Die Antwort war: „An unserer
ließlichen Ablehnung des Gesetzes würde sich nichts ändern.“ ört, hört! rechts und Unruhe.) Ja, wozu dienen dann noch⸗ malige Ver B8 Diese verlieren dann ganz ihren Sinn. (Zwischenruf des Abg. Ledebour.) Herr Ledebour, Sie verbreiten durch Ihre Zwischenrufe eine Atmosphäre von Militarismus, Absolutismus und Diktatur um sich, die mit meinen republikanischen Grundsätzen nicht vereinbar ist. (Große Heiterkeit.)
Abg. Andre (Zentr.): Ueber die sozialdemokratische Ent⸗ deckung, daß es sich hier um ein Ausnahmegesetz gegen die Arbeiter⸗ schaft handeln soll, lachen nicht nur hier im Hause die Leute, darüber lachen bei uns sogar die Tiere. (Gelächter links.) Während Sie (nach links) auch von der Arbeiterbevölkerung an der Ruhr nur einen geringen Teil vertreten, sind wir berechtigt, im Namen der Arbeiterschaft zu sprechen. Ich möchte nur auf das Verhalten der Kommunisten und Sozialisten hinweisen, als im Württem⸗ bergischen Landtag über die Maßnahmen gegen die National⸗ ozialisten gesprochen wurde, die von München aus in Württem⸗ berg eindrangen und Versammlungen sprengten. Je nachdem es sich um rechts oder links handelt, ist das Verhalten der Kom⸗ munisten und Sozialisten in dieser Frage ganz verschieden. Sie inach links) können auch heute das Haus vielleicht beschlußunfähi machen, aber darüber sollen Sie sich keinem Zweifel hingeben, da die breiten Massen des Volkes draußen für eine solche Tätigkeit jein Verständnis haben, und daß Ihr Verfahren den Grund⸗ sätzen der Demokratie widerspricht. (Lebhafter Widerspruch und lärmende Zurufe links.) Bei den nächsten Wahlen werden Sie das erkennen. (Beifall rechts und in der Mitte.)
Abg. Müller⸗Franken (Soz.): Wenn der Vorredner meinte, daß wir wegen unserer Haltung die nächsten Wahlen zu fürchten hätten, dann glaube ich das nicht; solange nicht etwa Kühe das Wahlrecht haben. (Unruhe rechts und im Zentrum.) Ich verwahre mich gegen die Behauptung, daß wir in dieser Frage eine verschiedene Haltung nach rechts und nach links beobachteten. Herr Kahl hat die Vorgänge von gestern ganz richtig dargestellt. Wenn er aber fragte, was es für Zweck gehabt hätte, die Frage einer Milderung zu diskutieren, wenn die Scozialdemokratische Partei doch gegen den Entwurf stimmen wollte, so erwidere ich, daß wir über unsere Haltung gegen den Entwurf von vornherein nicht den geringsten Zweifel gelassen haben. Wir wollen aber die Schärfen herausbringen.
Abg. Behrens (D. Nat.): Zweifellos ist es der Gipfel der politischen Heuchelei, es so darzustellen, als ob die Beschützer des Terrors gegen den Terror seien. Das kann nur lächerlich wirken. (Lärm links.) Eine Ueberhebung sondergleichen ist es ferner, wenn Herr Dr. Levi gestern namens der deutschen Arbeiter sprechen wollte. Jeder andere ist dazu berufener als die Herren Levi und Genossen. (Lärm und Widerspruch links.) Ganz abgesehen von der Persönlichkeit des Herrn Dr. Levi als minderqualifizierter Arbeitervertreter möchte ich darauf hinweisen, daß die Sozial⸗ demokraten überhaupt gar kein Recht haben, hier namens der deutschen Arbeiterschaft zu sprechen. (Großer Lärm links.) Die Mehrheit der deutschen Arbeiter hat sich mit Entsetzen von ihnen abgewandt und ist nicht sozialdemokratisch. (Lachen und Wider⸗ spruch links.) — 3 8
In namentlicher Abstimmung wird hierauf mit 200 gegen 144 Stimmen (drei Stimmen waren ungültig) der Antrag Dittmann auf Zurückverweisung an den Ausschuß ab⸗
gelehnt.
Abg. Dittmann (zur Geschäftsordnung): Das Haus zählt 269 bürgerliche Abgeordnete, 230 gehören zur Beschlußfähigkeit. Wir halten für dringend notwendig, daß die Bürgerlichen für ihren Antrag die beschlußfähige Mehrheit stellten. Wir halten diesen Gesetzentwurf für außerordentlich schädlich vom Standpunkte der Arbeiterschaft und glauben uns verpflichtet, alles zu tun, was in unsern Kräften steht, um zu verhindern, daß er Gesetz wird. See Lärm rechts und in der Mitte, vielfache Rufe: Terror!) s kann nicht unsere Aufgabe sein, denjenigen Parteien, die selbst nicht eine Mehrheit zustandebringen können, unsere Unter⸗ lizung u leihen, indem wir die Beschlußfähigkeit herbeiführen helsen. Bringen Sie Ihre Mehrheit zustande, so werden wir sie 8-J2 Ich beantrage, den Gegenstand von der Tagesordnung abzusetzen.
Abg. Schultz⸗Bromberg (D. Nat.) beantragt namentliche Abstimmung über diesen neuen Antrag. 8 3 Ueber die Frage, ob eine namentliche Abstimmung in diesem Falle nach der Geschäftsordnung zulässig ist, entsteht eine längere Aussprache, in welcher der Präsident sich dahin vernehmen läßt, daß er der Auffassung zuneigt, daß hier die namentliche Abstimmung zulässig ist. In gleichem Sinne üußern sich die Abgg Schultz⸗Bromberg (D. Nat.), Dr. Bell (Zentr.) und Rießer (D. Vp.).
Abg. Dittmann (Soz.) ist gegenteiliger Meinung, wenn er auch an sich gar nichts gegen eine namentliche Abstimmung über den Antrag einzuwenden hat, um aber kein Präjudiz zu schaffen, zieht er den Antrag zurück und bringt dafür den Antrag auf ne der sachlichen Debatte ein. 8 Abg. “ (Dem.) nimmt den ursprünglichen Antrag Dittmann wieder auf.
Präsident: Jetzt ist die Frage, welchem der beiden Anträge der Vorrang gebührt. (Heiterkeit.)
Der Schlußantrag wird genügend unterstützt. Darauf ver⸗ lassen die meisten Sozialdemokraten und Kommunisten den Saal. Auf der vechten Seite erhebt sich darüber großer Lärm.
Abg. Dittmann (Soz.): Nachdem Sie die Zurückverweisung abgelehnt haben, können Sie von uns nicht verlangen, daß wir Ihnen irgendwie die Abstimmung erleichtern helfen. Ich bezweifle die Beschlußfähigkeit des Hauses. .
Abg. Hergt (D. Nat.): Die Unterstützung für den reS antrag ist aus dem Saale hinausgegangen. Ein Antrag liegt al überhaupt nicht mehr vor. Ich beantrage, in der sortzusahren.
Abg. Müller⸗Franken (Soz.) erklärt diese Auffassung des Abgeordneten Hergt für ganz unmöglich.
Nach weiterer Geschäftsordnungsdebatte will der Präsi⸗ dent zur Abstimmung über den Vertagungsantrag Koch
reiten, über den namentliche Abstimmung vom Abg. Schultz⸗Bromberg beantragt ist. beit19. Koch⸗Weser (Dem.) zieht seinen Antrag zurück. (Große
rkeit.)
Abg. Müller⸗Franken (Soz.) nimmt den Antrag wieder auf und bezweifelt ebenfalls Beschlußfähigkeit des Hauses.
Du der namentlichen Abstimmung, die nunmehr vor sich geht, strömen die Mitglieder der Sozialdemokraten und der Kommunisten unter gvoßem Hallo der bürgerlichen Mehrheit bieder in den Saal und beteiligen sich an der Kartenabgabe.
in Teil der Mitglieder der linken Seite gibt seine Karten auf
m Präsidium an die Schriftführer ab, wobei es zu heftigen
Beratung
echten un⸗
Zusammenstößen zwischen Mitgliedern Linken kommt.
Präsident Löbe bemerkt, daß offenbar in einem Sektor des Saales die Stimmkarten nicht eingesammelt worden sind, daß aber die aus diesem Anlaß gegen den Schriftführer Philipp (D. Nat.) een Beschuldigungen total unberechtigt sind. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten.) Wenn seine Erklärung nicht ausreiche, könne ja die Sache später näher untersucht werden. (Zuruf bei den Kommunisten: Herrn Philipp müssen wir uns etwas näher anschauen!)
Der Abg. Hoch (Soz.), der dem Schriftführer Abg. Philipp das Wort „Feigling“ zugerufen hat, erhält einen Ordnungsruf.
Die Vertagung ist mit 201 gegen 139 Stimmen abge⸗ lehnt worden. Das Haus fährt in der sachlichen Be⸗ ratung fort.
Darauf fährt das Haus in der sachlichen Besprechung fort.
Abg. Dr. Herzfeld (Komm.): Diesen Vorgang begrüße ich, weil er 1 die endliche Trennung der Sozialdemokratie von der Bürgerschaft einleiten wird. Die Deutschnationalen und die Deutschvölkische Parter würde nicht so entschieden für dieses Gesetz eintreten, wenn sie irgendwie meinen könnten, daß es einmal gegen sie angewendet werden könnte. Früher hieß es, der Feind teht rechts, jetzt ist es umgekehrt. Demokratie bedeutet den Schutz der Minderheit, und politische Rechte haben nur Wert, wenn die Minderheit geschützt ist. ind denn die Versammlungen der
Rechtsparteien jemals gesprengt worden? (Abg. Kahl [D. Vp.]:
Das wissen wir besser; eine Versammlung von mir ist durch Kommunisten gesprengt worden.) Die bürgerliche Demokratie, wie sie sich in diesem Gesetzentwurf zeigt, will die Minderheit niederhalten; es ist ein Gesetz gegen die Minderheit. Jetzt, nachdem die Sozialdemokratie jahrelang die Politik dieser bürgerlichen Demokratie hat, finden die Bürgerlichen, daß sie nun die Sozialdemokraten unterdrücken können. Darum müssen die Sozialdemokraten sich von der Bürgerschaft trennen. Wir Kommunisten haben das Gesetz nicht zu fürchten; wir haben schon schlimmere Gesetze überwunden. Ich rufe: Proletarier! Ver⸗ einigt euch!
Reichsminister des Innern Oeser: Meine Damen und Herren! Die Reichsregierung hat vorhin nicht Stellung genommen, weil es sich um eine Geschärtsordnungsdebatte handelte. Da jetzt die sach⸗ liche Erörterung wieder eröffnet worden ist, möchte ich mir er⸗ lauben, im Namen der Reichsregierung noch einige Ausführungen zu machen.
Meine Damen und Herren! Es ist ganz selbstverständlich, daß die Reichsregierung in Anbetracht der gegenwärtigen Zeit, aber auch aus allgemeinen politischen Erwägungen heraus den auf⸗ richtigen Wunsch hat, daß der Reichstag nicht unter dem Eindruck der Vorgänge, die wir heute nachmittag erlebt haben, auseinandergeht. Wenn es einen Weg gäbe, eine Annäherung der Parteien herbeizuführen, würde die Reichsregierung diesen Weg mit Freuden beschreiten. Der Standpunkt der Reichs⸗ regierung ist kurz folgender: Die Reichsverfassung enthält zwei Be⸗ stimmungen, die hier in Betracht kommen, das Recht der freien Meinungsäußerung innerhalb der allgemein geltenden Gesetze und dann das Recht der Versammlungsfreiheit. Das letztere Recht ist — ich habe die Debatte gestern und heute verfolgt — von keiner Seite angefochten worden. Wir alle stehen, glaube ich, einmütig auf dem Boden der Reichsverfassung und wollen die Freiheit der Versammlungen herstellen. (Sehr richtig)) Wir müssen außerdem alle anerkennen, daß diese Freiheit der Versammlungen heute nicht besteht. Aber das Ver⸗ sammlungsrecht ist sozusagen die Keimzelle jeder Demokratie. (Sehr richtig, bei den D. D.) Wir beschweren uns darüber, daß wir mit der Entente nicht zu Verhandlungen kommen. Sollen wir nun als Volksgenossen es ablehnen, miteinander über politische Dinge zu ver⸗ handeln? (Sehr wahr! links.) Wie können wir aber verhandeln, wenn wir nicht zusammenkommen und in Versammlungen uns gegen⸗ seitig aussprechen? (Sehr richtig! links.) Es ist, glaube ich, der große Fehler, den wir noch immer begehen, daß wir nicht gewöhnt sind, über die Grenzen der eigenen Partei hinauszublicken, daß wir das Leben, das neben uns pulsiert, nicht beobachten. Wir müssen aber, wenn wir die Demokratie realisieren wollen, miteinander ver⸗ handeln, miteinander reden, uns gegenseitig zu überzeugen versuchen. Dazu brauchen wir die Versammlungsfreiheit. Ein politisch⸗demo⸗ kratisches Leben ohne Versammlungsfreiheit ist ein Unding.
Meine Damen und Herren! Die Reichsregierung ist verpflichtet, auch darauf zu sehen, wenn in der gegenwärtigen Zeit die Verhält⸗ nisse schon sowieso schwierig sind, wie es nun sein wird, wenn eine Reichstagswahl bevorsteht, sei es im normalen Ablauf der Dinge, sei es, daß aus irgendwelchen Erwägungen heraus eine Er⸗ neuerung des Reichstags sich als wünschenswert erweist. Ich bin nicht der Meinung, daß dann diese Erscheinungen — über die wir alle klagen, über die von rechts und von links in gleicher Weise Klage geführt wird, je nachdem, wen es trifft — plötzlich verschwinden. Wenn aber die Freiheit der Versammlungen nicht möglich ist, dann sind auch freie Wahlen nicht möglich (sehr richtig! links), dann ist die Demokratie aufgehoben, und an ihre Stelle muß etwas anderes treten.
Nun ist sowohl von der Rechten wie von der Linken die Klage erhoben worden, daß eine ungleichmäßige Behandlung stattfinde. Einmal beklagen sich die Parteien von rechts, daß ihre Versammlungstätigkeit gestört wird; ein andermal beklagen sich die Parteien von links, daß fie mit einem anderen Maße gemessen werden und ihnen das Recht, auf das sie auch nach meiner Ueberzeugung einen vollen Anspruch haben, vorenthalten werde.
Meine Damen und Herren! Wir haben über diese Fragen auch mit einer Reihe von Landesregierungen Fühlung genommen, nachdem ja der Antrag schon längere Zeit vorliegt und auch in meinem Ministerium ein Vereinsgesetz noch unter meinem Amtsvorgänger aus⸗ gearbeitet worden ist, in dem gleichfalls zur Frage des Schutzes der Versammlungen positiv Stellung genommen wird. Eine Reihe von Länderregierungen erklären mir, daß sie mit den jetzt vorhandenen Machtmitteln einen Schutz der Versammlungen nicht durch⸗ führen können. (Hört! Hört! rechts. — Rufe links: Unsinn!) — Ja, Sie werden einwenden, es fehlt ihnen der gute Wille. Auch die bayerische Regierung hat eine Erklärung abgegeben, in den aller⸗ letzten Tagen noch, die den Damen und Herren bekannt sein wird, in der sie in Aussicht stellt, daß sie für den Schutz der Versammlungs⸗ freiheit vollständig eintreten wird. (Abg. Dr. Levi: Weshalb hat sie es bisher nicht getan2) — In allen Fällen! Auch das hat die bayerische Regierung ihrerseits zugegeben. Sie und andere Re⸗ gierungen haben aber erklärt, sie kämen mit den vorhandenen Macht⸗ mitteln nicht aus. 1
Nun gebe ich zu: Man kann die Machtmittel in verschiedener Weise suchen. Ich bin aber doch der Meinung, daß es immer noch
8 “ “ “ 1“ das Normale ist, nicht auf dem Verordnungswege, also auf dem Ausnahmewege, sondern auf dem Wege der Gesetzgebung zu einer Ordnung zu kommen. Was an der Reichsregierung liegt, so würde sie mit allen ihr zu Gebote stehenden Machtminteln dafür eintreten, daß Licht und Schatten in gleicher Weise verteilt werden (Zurufe links: Wo sind die Machtmittel?) — Die Macht liegt in der Reichsverfassung und in verschiedenen anderen Dingen. Ich würde meinerseits durchaus fest entschlossen sein, von den Macht⸗ mitteln, die die Verfassung uns in die Hand gibt, in jedem geeigneten Moment den entsprechenden Gebrauch zu machen. (Zuruf links: Auch Bayern gegenüber!)
Wir haben also, meine Damen und Herren, eine Reihe von Erklärungen von Landesregierungen. Wir haben eine Erklärung der sächsischen Regierung, eine Erklärung der bayerischen Regierung, wir haben die ganz eindeutige Erklärung der preußischen Regierung, in denen überall die Bereitwilligkeit ausgesprochen ist, den Versammlungs⸗ schutz in verstärktem Maße durchzuführen. Insbesondere ist es meine Meinung, daß auf dem Wege eines energischen, gleichmäßigen Ein⸗ schreitens gegen alle Versammlungsstörungen es auch möglich ist⸗ andere Organisationen, die nur durch die Störungen der Versamm⸗ lungen zusammengehalten werden, auszuhöhlen und überflüssig zu machen.
Der Wunsch einer Reihe von Landesregierungen liegt also vor. Wenn der Reichstag uns diese Machtmittel versagen sollte, müßte die Reichsregierung in eine Erwägung darüber eintreten, ob andere Wege zum Schutze der Versammlungen eingeschlagen werden sollen. Aber ich bitte vor allen Dingen auch Sie, meine Damen und Herren von links, die Erklärung entgegenzunehmen, daß ich, solange ich an dieser Stelle stehe, mich mit allem Nachdruck dafür verwenden würde, daß gleiches Recht für alle vorhanden ist. Das ist der Standpunkt der Reichsregierung, die ohne Ansehen der Partei entschlossen ist, mit der Objektivität, die erforderlich ist, wenn eine Verwaltung Vertrauen finden soll, und mit aller Energie vorzugehen.
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich die Hofsnung aussprechen, daß, wie draußen in der Natur nach einem Ge⸗ witter, besonders wenn es einige starke Donnerschläge gibt, die Atmosphäre gereinigt wird, auch wir zu einer ruhigen und besonnenen Auffassung der Situation kommen. Ich darf im Namen der Reichsregierung auch darauf hinweisen, daß noch ein Punkt auf der Tagesordnung steht, der von außerordentlicher Wicheigkeit ist und unbedingt heute erledigt werden muß. Das ist der Nachtragsetat, den das Reichsfinanzministerium braucht. Ich möchte Sie also bitten, daß Sie diesen Gegenstand nun seinem Ende entgegenführen, und daß wir vielleicht versuchen, einen Weg der Verständigung zwischen zweiter und dritter Lesung zu finden, daß wir aber dann noch den Punkt der Tagesordnung erledigen. ohne den Sie unmöglich heute auseinandergehen können.
Abg. Remmele (Komm.): Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß es ein Land gibt, in dem unsere Versammlungen überhaupt generell verboten sind, und ich frage den Minister, welche Maßnahmen er ergreifen will, um in Bayern das durchzuführen, was er veeggen hat. Das jetzige Vorgehen der bayerischen Regierung ist unerhörter politischer Terror.
Reichsminister des Innern Oeser: Dem Herrn Abg. Remmele möchte ich erwidern, daß wir in dem Moment, wo wir diese ver⸗ stärkten Machtmittel haben (große Unruhe und Zurufe auf der äußersten Linken) und die Versammlungen schützen können, auch in Bayern in entsprechender Weise wirksam vorgegangen wird. (Fort⸗ gesetzte Unruhe auf der Linken.) Die Exekutive liegt bei den Landes⸗ regierungen. (Aha! bei den Ver. Soz. und den Komm.) Es ist die erste Pflicht der Landesregierungen, dafür zu sorgen, daß die Versassung innegehalten wird. (Erneute Zurufe auf der Linken.) Meine Aufgabe ist es, die Landesregierungen daran zu erinnern.
Damit schließt die Erörterung.
Es plgt. Fene die namentliche Abstimmung über einen Antrag Dr. Radbruch (Soz.) und Genossen, wonach die vor dem Ausschuß beschlossenen Verschärfungen gestrichen werden sallen denen zufolge u. a. auch der Versuch zu Versammlungsstörungen trafbar sein soll. “
Die namentliche Abstimmung ergibt die Beschlußunfähigkeit des Hauses. Es sind nur 201 Karten (195 nein, 2 ja, 4 Stimm⸗ enthaltungen) abgegeben worden.
Der Präsident setzt um 4 Uhr 25 Minuten eine neue Sitzung auf 5 Uhr an, mit der Tagesordnung: 12. Nachtrags etat, und beruft für 4 ½ Uhr den Aeltestenvat, um über die sonst noch vor der Vertagung zu erledigenden Gegenstände eine Einigung herbeizuführen.
344. Sitzung, Abends 5 ½ Uhr. 8 S
Präsident Löbe schläͤgt vor, als einzige Gegenstände der Tagesordnung den zwölften Nachtragsetat für 1922 und den Antrag aller Parteien, betreffend Abänderung der Ver⸗ ordnung über Erwerbslosenfürsorge, zu behanbeln. — Nach kurzer Geschäftsordnungsdebatte erklärt sich das Haus damit einverstanden. bi Nach einem Bericht des Referenten Abg. Ersing (Zentr.) wird der E“ in der Fassung der Ausschußbeschlüsse angenommen. nach werden u. a. im außerordentlichen Etat noch bewilligt 99 ½ Millionen Mark der Einnahmen aus der Erhöhung des Kohlenpreises zur Verwendung im Interesse der Bergarbeiter und Für Steigerung der Korenfb dernng. Ferner werden an die Länder zur Fertigstellung angefangener Wohnbauten sechs Milliarden Darlehen gegeben und außer⸗ dem zur Förderung des Wohnungsbaues hundert Milliarden. Beides soll aus den Erträgnissen der Wohnungsbauabgabe genommen werden. Der Finanzminister wird ermächtigt, zur Bestreitung einmaliger außerordentlicher Ausgaben die Summe von rund viereinhalb Billionen Mark im Wege der Anleihe flüssig zu machen. Außerdem darf er zur Befriedi⸗ ung unabweisbarer SeSe die durch den Ruhreinbruch rvorgerufen sind, nötigenfalls Garatien übernehmen. Reichsgarantien dürfen jedoch nicht übernommen werden, so⸗ weit nicht alle ““ Besitz⸗ und Garantieunterlagen der Garantiesuchenden bereits vollausgenutzt worden sind und so⸗ weit sie sich mittelbar oder unmittelbar auf Sne⸗ vor Preis⸗ senkungen beziehen. Ueber die Höhe und An solcher etwa bereits gewährten Garantien ist einem Reicastagsausschuß von sieben Mitgliedern bis spätestens 1. Mai dieses Jahres, über künftig zu gewährende Garantien jeweils spätestens monatlich eingehend Rechenschaft zu geben. Außerdem wird der Finanzminister ermächtigt, für die zum Zweck der Sicherung der Volksernährung erforderlichen Ankäufe von Auslands⸗ und Inlandsgetreide sowie von sonstigen Nahrungsntitteln Reichs “ bis zur Höhe von weiteren vierhundert illi
arden auszugeben. Dieser Kredit ist aus den Erlösen beim Verkauf des Getreides und der sonstigen Nahrungsmittel