zeit davon gesprochen worden ist, daß ganz spezielle zentralistische ndenzen der neuen Reichsregierung gen wären, so dart ich darauf hinweisen, daß der Reichsminister des Innern, dem ja in erster Linie das Verhältnis des Resches zu den Ländern zu wahren obliegt, seiner⸗ seits in voller Uebereinstimmung mit der Haltung, die wir alle ein⸗ nehmen, davon gesprochen hat, daß ihm von derartigen Bestrebungen ichts bekannt sei. Meine Herren, es kommt gerade in dieser Situation darauf an und namentlich wird das der Fall sein, in den ereignis⸗ und entscheidungsvollen Wochen, vor denen wir stehen, daß nach außen hin das ganze Reich eine Einheit bildet zur Abwehr der wirtschastlichen, finanziellen und politischen Schwierig⸗ keiten, damit von Reich und Ländern und ihrem Zusammenwirken eine Welle ausgeht auf das ganze Volk, in derselben Einheit zu⸗ sammenzustimmen. Ich bitte um Ihr Vertrauen bei der Führung der Geschäfte, ich bitte um Ihre Mitarbeit und auch um Ihre Kritik, ijch bitte um Ihre Kollegialität; ich bitte Sie, dem parlamentarischen Kabinett auch alle diejenigen sachlichen Erfahrungen mitzugeben, die ihm vielleicht selbst noch mangeln und die es sich selbst vielleicht in einer Arbeit für den Staat noch erwerben muß. In diesem Sinne ich Sie begrüßen und in diesem Sinne um Ihre Mitarbeit und
Vertrauen bitten.
Hierauf ergriff der preußische Staatssekretär Weismann
Wort und führte aus:
Im Namen des Reichsrats danke ich Ihnen, Herr Reichskanzler, für Ihre Begrüßungsworte. Der Reichsrat hat nicht verkannt und verkennt nicht den ungeheuren Ernst der Lage des Deutschen Reichs. Er kennt auch durchaus die Schwierigkeiten, den Opfermut und die bohe Verantwortung, die Sie übernommen und bewiesen haben, s Sie sich entschlossen, an die Spitze der Regierung gerade in iesem Augenblick und zu diesem Zeitvunkt zu treten. Sie dürfen überzeugt sein, daß der Reichsrat mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, alle Pläne der Reichsregierung unterstützen wird, die darauf hinauslaufen, das Deutsche Reich aus dieser verzweiflungsvollen Lage, aus diesem jammervollen Zustand, in dem es sich augenblicklich befindet, herauszubringen. Wenn Sie betont haben, Herr Reichskanzler, daß die Reichsregierung nicht daran denkt, zentralistische Ideen zu fördern, nicht daran denkt, das Eigenleben der Länder zu stören, so nimmt der Reichsrat davon mit Dank Kenntnis. Seien Sie aber auch überzeugt, daß die Länder genau so gut davon durchdrungen sind, daß, wie das Reich der Länder zur Mitwirkung bedarf, um zu einem
iel zu gelangen, das sich der Mühe lohnt, genau so gut die Tänder wissen, daß für ihr Leben, ihr Gedeihen ein festes Anschließen an das Reich unbedingt notwendig ist. Genau wie Sie, Herr Reichskanzler, und hinter Ihnen die Reichsregierung, fleben auch die Länder auf dem Standpunkt, daß derjenige, der im Ausland glaubt, jetzt wäre der Moment gekommen, wo das durch Blut und Eisen zusammengeschmiedete Reich zerfallen und in Stücke ehen würde, eine falsche Rechnung aufstellt. Gerade das Leid schweißt as Reich zusammen, und jeder, der es wagen wird, an der Ge⸗ schlossenheit zu zweifeln, wird auf Granit beißen. Seien Sie über⸗
Herr Reichskanzler, und nehmen Sie die Ueberzeugung mit aus
Saal, daß der Reichsrat Ihnen jede Unterstützung angedeihen lassen wird und daß Sie hier treue Helfer finden werden auf Ihrem Wege, dem deutschen Vaterland wieder zum friedlichen, gedeihlichen Zusammenarbeiten und zu besseren, friedlicheren Zuständen als jetzt zu verhelfen.
Reichskanzler Dr. Stresemann erwiderte hierauf:
Ich danke dem Herrn Staatssekretär verbindlichst für diese Worte. Wir, Reich und Länder, bilden zusammen eine Schicksals⸗ gemeinschaft. Lassen Sie mich hoffen, daß später das Schicksal uns einig und treu zusammenfindet. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich wegen der vielen Arbeiten des Kabinetts — es findet eine Sitzung über die Notverordnung statt — nicht länger in diesem Kreise ver⸗ weilen kann. Ich bitse den Herrn Vizekanzler, den Vorsitz zu über⸗ nehmen und möchte mich jetzt verabschieden.
Der Vizekanzler Schmidt übernahm sodann den Vorsitz. Der Reichsrat genehmigte Richtlinien über die Verteilung der Beihilfen zur Behebung kultureller Notstände. Es handelt sich diesmal nur noch um die Verteilung der im Etat des Ministeriums des Innern vorgesehenen Beihilfen an kulturelle und gemeinnützige Vereinigungen, nachdem über die Verteilung an die Religionsgesellschaften und an die studentische Wirtschaftshilfe bereits eine Einigung zwischen Reichsrat und Regierung erzielt worden war. In erster Linie sollen die Vereinigungen berücksichtigt werden, die sich dem freien Volks⸗ bildungswesen widmen, also Volksbüchereien, Volkshochschulen, künstlerische Veranstaltungen. Von den zur Verfügung lehenden Summeu der einmaligen Beihilfe wurden 55 Prozent en Ländern und 45 Prozent dem Reiche überwiesen. Weiterhin wurde die Fernsprechordnung entsprechend früheren Beschlüssen auf dem Gebiete des Postwesens derartig geändert, daß auch hier die Gebühren wertbeständig gestaltet werden Um den berechtigten Klagen aus Tabakhändler⸗ kreisen darüber abzuhelfen, daß mit steigenden Verkaufspreisen Steuerzeichen verwendet werden müssen, - Finanzminister eine Verordnung erlassen, wo⸗ aus Billigkeitsgründen Kleinhändler, die einen Preisaufschlag vornehmen, der lediglich der Entwertung des Geldes entspricht, von der Verpflichtung zur Nachversteue⸗ rung befreit werden. Diese Verordnung soll sofort in Kraft treten. Ferner hat der Finanzminister erklärt, er beabsichtige eine weitere Verordnung herauszugeben, f
neue
schwebende Straf⸗ verfahren wegen Unterlassung einer Nachversteuerung nieder⸗ zuschlagen. Der Reichsrat erklärte sich mit der Neuregelung einverstanden. — Angenommen wurde weiterhin eine Ver⸗ ordnung über die Fortführung der öffentlichen Brot⸗ versorgung bis zum 15. Oktober. Ferner erklärte sich der Reichsrat mit dem Beschluß des betreffenden Reichstags⸗ ausschusses einverstanden, wonach die Abzüge bei der Lohn⸗ steuer verfünszehnfacht werden. Thüringen stimmte dagegen.
Parlamentarische Nachrichten
Die gestrige Sitzung des Haushaltsausschusses des Reichstags hatte die finanzielle und wirtschaftliche Lage Deutschlands zum Gegenstand der Tagesordnung. Der
Vorsitzende Abg. Heimann (Soz.) wies auf die große Wichtigkeit dieser Materie hin, deren Gesamtkomplex die Wurzeln des staatlichen Seins beträfen. Alsdann nahm Reichsfinanzminister Dr. Hilfer⸗ ding laut Bericht des „Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger“ das Wort zu folgenden Ausführungen:
Meine Herren! Ich habe zunächst den Herrn Reichskanzler zu entschuldigen, der durch dringende Geschäfte unabkömmlich ist und deshalb nicht selbst in der Sitzung seine Ausführungen machen kann, wie es ursprünglich seine Absicht gewesen ist. Meine Herren! Die neue Regierung hat die Geschäfte übernommen in einer Situation, die nicht nur politisch und sozial außerordentlich ernst gewesen ist,
sondern die auch vom finanzpolitischen Standpunkt aus als fast ver⸗ zweifelt angesehen werden muß (sehr richtig). Die außerordentliche Erregung und Gährung, die in der letzten Zeit des Kabinetts Cuno die Massen ergriffen hat, und die eine Folge der plötzlich rapid weiter⸗ schreitenden Dollarsteigerung gewesen ist, hat unsere ganze Finanz⸗ verwaltung in eine geradezu furchtbare Verwirrung gebracht. Eine der ersten Aufgaben ist es, durch die energischsten Maßnahmen hier wiederum zu einer gewissen Grundlage der Finanzpolitik über⸗ haupt zurückkehren zu können. Die Erregung hat sich sozial in außer⸗ ordentlich starken Lohnbewegungen ausgewirkt, die aber trotz ihrer Höhe im wesentlichen nur eine gewisse Anpassung an die Preise ge⸗ bracht hat. Als die Lohnerhöhungen fostgesetzt wurden, konnte die
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Unternehmerschaft mit einem Dollarstand kalkulieren, der sich damals etwa zwischen 5 und 6 Millonen bewegte und von dem man an⸗ nehmen konnte, daß er in den nächsten Tagen noch weitaus höher gehen würde. Als dann in den naͤchsten Tagen eine gewisse Be⸗ ruhigung einsetzte und der Dollar auf 3 Millionen zutück⸗ ging, hatten in vielen wichtigen Gewerbezweigen die Löhne bereits den Friedensstand erreicht oder waren über dem Friedensstande Ebenso waren die Preise vieler wichtiger Rohprodukte, zum Teil auch die Lebensmittelpreise über das Weltmarktniveau gestiegen, so daß die größte Gefahr bestand, daß der Export stocken werde und als Folge davon eine allgemeine Wirtschaftstrise eintreten würde. Neben der ungeheuren Teuerung bestand eine ungeheure Verwirrung aut dem Devisenmarkt Für die Finanzverwaltung haben sich dann die Dinge so ausgewirkt, daß wir ebenfalls zu Lohnerhöhungen und Gehalts⸗ erhöhungen schreiten mußten, die für die Ausgabenwirtschaft des Reichs außerordentlich stark ins Gewicht fielen. Wir sind jetzt in der Situation, daß wir heute nicht nur für alle Aus⸗ gaben des Reichs aufzukommen, daß wir nicht nur das kolossale Defizit des Reichs zu decken haben, sondern daß wir auch in die Zwangslage gebracht worden sind, die ganzen Ausgaben der ver⸗ schiedenen öffentlichen Verwaltungen der Länder und Gemeinden zu decken; nicht etwa bloß in dem Ausmaße, wie es dem Finanzaus⸗ gleichsgesetz entsprechen würde; praktisch ist heute die Sache vielmehr so, daß wir darüber hinaus das gesamte Defizit, das die Länder haben, und zum großen Teil auch das gesamte Defizit, das heute in den Kom⸗ munen entsteht, auf das Reich übernehmen müssen, wenn nicht der Zu⸗ sammenbruch’ der gesamten Verwaltung eintreten soll. Denn Länder und Kommunen sind gar nicht in der Lage, aus bereitstehenden Mitteln die außerordentlichen Erhöhungen der Gehälter und Löhnungen tragen zu können. Wir sind also in einen Zustand geraten, wo die gesamten Ausgaben der Verwaltungen vom Reiche getragen werden müssen, obwohl das Reich selbst nicht die notwendigen Mittel aus den Steuern für diese Ausgaben aufbringen kann. Aber, meine Herren, in der letzten Zeit haben sich auch noch Symptome bemerkbar gemacht, die außer⸗ ordentlich beunruhigend sind, und Symptome, die eine ganz energische Gegenaktion unbedingt erforderlich machen. Es ist bekannt, daß die Beilegung des Buchdruckerstreikes, die eine absolute Notwendigkeit gewesen ist, weil durch den Streik in der Reichsdruckerei und in den üͤbrigen Notendruckereien wir in eine fürchterliche Kalamität wegen des Notenmangels geraten waren, nur möglich gewesen ist, indem das Reich die Zusage gemacht hat, daß es einen Teil der Lohnerhöhungen aus eigenen Mitteln decken würde. (Hört! hört!) Wir sind also dahin gekommen, dazu überzugehen, auch Löhne der Privatindustrie unmittelbar auf das Reich zu übernehmen. Neben diesen Löhnen der Privat⸗ industrie zahlen wir aber im Grunde genommen augenblicklich auch einen Teil der Gehälter sämtlicher gemeinnützigen Anstalten, sämt⸗ licher Fürsorgeanstalten und dergl, kurz und gut, die Ausgabenseite des Reiches ist unübersehbar geworden — ein Zustand, der nicht länger bestehen bleiben darf, zu dessen Abstellung die größte Energie der Regierung erforderlich ist. Aber dazu gesellt sich noch etwas anderes. Wir sind auch auf dem Währungsgebiet in einen geradezu anarchischen Zustand geraten. Ich will auf die Ent⸗ wicklung der früheren Zeit nicht eingehen; vielleicht wird sich ein anderes Mal Gelegenheit dazu ergeben. Ich will nur daran er⸗ innern, daß die plötzliche Einführung des Einheitskurses ohne eine wirkliche organische Stützungsaktion dazu führen mußte, daß außer⸗ ordentliche Repartierungen erfolgten, daß eine Diskrepanz zwischen Inland⸗ und Auslandnotierung entstand, daß die Inlandsnotierung rein nominell wurde. Durch die starken Re⸗ partierungen entstand eine außerordentlich große Gefahr für unsere Industrie, weil die Industrie nicht mehr wußte, ob und in welchem Ausmaß sie die unbedingt notwendigen Devisen beschaffen könnte. Dann wurde der Einheitskurs plötzlich wieder beseitigt, ohne daß entsprechende Maßnahmen getroffen wurden, um die Wirkungen dieser plötzlichen Beseitigung halbwegs zu konterparieren. Das war ja einer der Gründe für das dann eintretende plötzliche inaufschnellen des Dollarkurses. Gleichzeitig hat dieses Hinauf⸗ chnellen des Dollarkurses naturgemäß dahin gewirkt, daß die zur Verfügung stehenden Zahlungsmittel nicht mehr ausreichten, daß eine Banknotenknappheit entstand. Diese Banknotenknappheit hat eine außerordentliche Panik erzeugt und dazu geführt, daß wir die ersten Erscheinungen einer Repudiation der Mark be⸗ merken konnten: die Mark wurde nicht mehr allgemein als Zahlungs⸗ mittel genommen; insbesondere die Landwirtschaft und im Anschluß daran auch gewisse Kreise des Einzelhandels begannen, den Verkauf gegen Mark einzustellen. Diese Erscheinung in Verbindung mit der andern, daß Banknoten überhaupt nicht zu haben waren, hat diese ungeheure soziale Gärung erzeugt. In der Folge wurde zunächst als eines der Abhilfsmittel die Ausgabe von Notgeld gewählt. Das Not⸗ geld wurde aber in der Folgezeit gar nicht mehr mit Genehmigung der Reichsbank und in Verbindung mit der Reichsbank ausgegeben. Alle Sicherstellungen für die spätere Einlösung des Notgeldes für die Privatbetriebe, die Kommunen usw. wurden unterlassen, und mit der Reichsbank wurde gar nicht darüber verhandelt, ob das ausgegebenene Notgeld wieder eingelöst wird. Ein Teil dieses Notgeldes ist mit Genehmigung und gegen die Einlösungs⸗ verpflichtung der Reichsbank ausgegeben worden. Aber zahlreiche Privatbetriebe, namentlich auch zahlreiche Kreise gingen dazu über, völlig ungesetzliches und unfundiertes Notgeld auszugeben. Wie groß die Ausgabe dieses Notgeldes ist, läßt sich im Augenblick sehr schwer sagen; sie geht aber in viele Billionen. Das ist ein Zustand, der die Inflation außerordentlich steigert und überhaupt große Unsicherheit erzeugt, ein Zustand, der, solange er andauert, jede Währungs⸗ politik auch schon rein technisch unmöglich macht. Wir sind auch hier in gewisse geradezu anarchische Zustände hineingekommen. Auch hier wird es die Aufgabe der Regierung sein, für Abhilfe zu sorgen. Das Problem ist schwer im besetzten Gebiet, aber im unbesetzten Gebiet muß diese ungeregelte Notgeldausgabe möglichst rasch beseitigt werden, die Noten müssen zur Einlösung gelangen. Die Reichsbank ist in der Lage, den Notenbedarf zu decken. — Das ist die eine Seite der finanziellen Situation. Die andere Seite ist die: die Hoffnung, die im Reichstag vorhanden war, daß durch die starke Anspannung der Steuerschraube es gelingen würde, im Augenblick bereits ein gewisses Gleichgewicht des Budgets herzustellen, läßt sich augenblicklich nicht ganz erfüllen. So schwer die Steuern sind: die Ausgaben des Reichs sind infolge der soeben geschilderten Entwicklung doch derart, daß wir zunächst nicht in der Lage sind durch Steuern den ganzen Betrag der Aus⸗ gaben zu decken.
Ueber das Resultat der Zeichnungen auf die Goldanleihe läßt sich augenblicklich noch nichts sagen. Bis jetzt sind die Zeichnungen befriedigend eingegangen nach den Nachrichten, die mir zugekommen sind und die noch ganz unvollständig sind; jedenfalls ist ein besseres Resultat zu erwarten als bei den Dollarschatzanweisungen. Aber trotzalledem ist unsere finanzielle Situation außerordentlich ernst, sind die Ausgaben, die das Reich zu leisten hat, geradezn in das Gigantische gewachsen, und es ist die Frage, velche Mittel man noch ergreifen kann, um möglichst rasch zu dem Zustand zu gelangen, zu dem wir unbedingt kommen müssen: zu einer außerordentlich starken Abstellung, womöglich vollkommenen Beseitigung der Inflation. Darüber dürfen wir uns gar keinen Illusionen hingeben: die Inflation geht so nicht weiter. Sie geht nicht weiter aus sozialen Gründen und aus finanziellen Gründen. Aus finanziellen Gründen geht sie deshalb nicht weiter, weil die Kreise, die bisher im wesentlichen die Inflationssteuer getragen haben, heute schon vollständig expropriiert worden sind; der Mittelstand kann nicht noch mehr expropriiert werden. Bei der Arbeiterschaft ist die Sache so, daß, wenn der Dollar rasch hinaufgeht, die Löhne ohnehin an der Grenze des Existenzminimums sind. Was für die Arbeiter gilt, gilt in noch schärferem Maße für die ganze mittlere Angestellten⸗ und Be⸗ amtenschaft. Hier ist eine weitere Inflationsbesteuerung nicht mehr mög⸗ lich. Die Umstellung der ganzen Wirtschaft auf die Goldrechnung, dee rapid vor sich gegangen ist, hat diese Kreise vor weiterer Geldentwertung geschützt; auch die lassen sich nicht einen Teil ihres Gewinnes expropriieren. Deshalb ist die Inflationssteuer unmöglich geworden aus finanziellen Gründen; sie ist aber auch völlig unmöglich aus sozialen und politischen Gründen. Wir haben gesehen, wie die In⸗ flation bei diesem Fieberanfall gewirkt hat, und die Regierung ist
der Ansicht, daß eine Wiederholung dieses Fieberanfalles unter allen Umständen verhindert werden muß, weil ein zweiter Fieberantall für unser Reich und für unsere Wirtschaft tödlich werden könnte. Des⸗ halb muß die Regierung alles daransetzen, um sowohl von der Seite der Einnahmen als der Ausgaben hier für Abhilfe zu sorgen.
Die Reichssinanzen weisen fünf große Defizitquellen auf. Die erste ist die Ausführung des Friedensvertrages. Der Friedens⸗ vertrag hat für seine Ausführungen im Januar noch die Summe von 450 Milliarden erfordert. Im Juli war diese Summe bereits auf 4 Billionen gestiegen, und wir müssen mit einer Vervielfachung dieser Summe für den August rechnen. Die Regierung Cuno hat bereits in dieser ungeheuer schwierigen Situation, in der sich die deutsche Gesamtpolitik befindet, eine Einstellung der Sach⸗ lieferungen vorgenommen. Aber der finanzielle Effett dieser Maß⸗ nahme ist leider nicht allzu groß. weil eine große Reihe von Ver⸗ trägen abgeschlossen worden sind, und wir in bestehende Verträge nicht ein⸗ greifen können. Die Ausführung dieser Verträge dauert fort und belastet das Reich ganz außerordentlich. Mein Ressort will in eine Prüfung darüber eintreten, ob es nicht doch möglich wäre, bei diesen Verträgen insofern auch für die Steuerpolitik des Reichs etwas zu gewinnen, als eine Nachprüfung der Preise und der Gewinne aus diesen Ver⸗ trägen unter Umständen Resultate ergeben könnten, die auch für das Reich fruchtbar gemacht werden können. Ganz außerordentlich ist der Bedarf der Betriebsverwaltungen. Ich will nicht kritisieren, aber ich habe von jeher den Standpunkt vertreten, daß es für die Finanzen des Reichs verderblich gewesen ist, daß die Eisenbahnverwaltung — und das gilt eigentlich für die ganze zurückliegende Epoche und gilt auch für die Post — ihre Tarife viel zu spät und immer nur ganz ungenügend der Geldentwertung angepaßt hat. Wenn man eine wirt⸗ schaftliche Betriebsführung verlangt, wenn man so oft sagt, daß die Eisenbahn nach den Grundsätzen der Privatbetriebe geleitet werden soll, dann kann man von der Eisenbahn unmöglich verlangen, daß sie tief unter den Selbstkosten ihre Produkte, den Transport der Güter und den Transport der Personen, abgibt. Das ist aber meiner Meinung nach nicht nur eine schwere Schädigung der Reichsfinanzen, sondern wir müssen uns auch darüber klar sein, daß das eine ganz ungleichmäßig und ungerecht wirkende Bevorzugung zum Teil der Privatwirtschaft, zum Teil von Priwatpersonen ist. Das Defizit, das infolge dieser Tarifpolitik entstanden ist, ist ganz außerordentlich und übertrifft bei weitem das Defizit der übrigen Staats⸗ verwaltungen. Die RNeichsbahn ist jetzt dazu übergegangen, endlich vom 20. August ab ihre Tarife der Geldentwertung halbwegs anzupassen. Eine pollständige Abpassung ist es nicht, und es ist sehr bedauerlich, daß trotz der starken Erhöhungen der Tarife zunächst noch mit einem Defizit gerechnet werden muß. das sich für den Rest des Rechnungsjahrs noch auf etwa 450 Billionen belaufen wird. Diese 450 Billionen stellen mehr eine fiktive Zahl vor, weil dabei nicht der Ausfall der Einnahmen aus dem Ruhrgebiet gerechnet ist. ⸗Für die Eisenbahn ist die Ruhraktion etwas ganz außerordentlich Hartes, weil ja gerade aus dem Ruhrgebiet der Hauptüberschuß der Eisen⸗ bahn in Friedenszeiten immer gekommen ist. Infolgedessen be⸗ dingt der Ausfall des Ruhrgebiets einen viel stärkeren Ein⸗ nahmeausfall als etwa bloß den Anteil an dem Verkehr det Eisenbahn entsprechen. Wir haben also ein Defizit der Betriebs⸗ verwaltungen zu erwarten, das ebenfalls außerordentlich bedenklich ist, und es wird zu prüfen sein, ob es möglich ist, mit den Tarisen wieder zurückzubleiben. Als Finanzminister muß ich den Standpunkt ver⸗ treten, daß die Eisenbahn einen großen Teil des ordentlichen Haushalts decken muß, eine vollständige Deckung ist nicht möglich, solange die Ruhraktion andauert. Die Kosten der Ruhraktion sind überhaupt derart, daß die Lösung unserer Finanzfragen vor allem eine außen⸗ politische Frage ist, so daß mit den Mitteln der Besteuerung, auch mit der Anleihe allein hier eine definitive Lösung nicht zu erwarten ist. Das Dritte find die Besoldungszuschüsse an die Länder und an die Gemeinden. Auch hier sind wir infolge der letzten Erhöhungen zu ganz kolossalen Ausgaben gekommen. Wenn wir noch im Juli aus diesem Posten Ausgaben von 6 Billionen gehabt haben, müssen wir im August wiederum mit emer Vervielfachung dieser Summe rechnen. Ein weiterer erheblicher Posten ist dann durch die Ernährungswirtschaft des Reichs gegeben Auch hier müssen in der augenblicklchen Situation Beträge bereitgestellt werden, um namentlich die Einfuhr von Fett zu finanzieren, und Beträge, die die Zufuhr von Getreide vom Ausland her in das besetzte Gebiet sicherstellen. Zu diesen allgemeinen möchte ich noch einige Angaben über den notwendigen Devisenbedarf des Reichs hinzufügen. Ich möchte nicht detaillieren, ich möchte aber sagen, daß wir insbesondere für die Einfuhr von Kohlen für die Eisenbahn und für die Ernährungswirtschaft, daß wir aber auch bestimmte Bevisenbeträge für das Eingreifen auf dem Devisenmarkt brauchen, Summen, die auch in Goldmillionen umgerechnet, nicht unbeträchtlich sind. Zusammenfassend ist unsere Situation so, daß trotz der neuen Steuern ein sehr starker Fehlbetrag des Reichs vor⸗ handen ist, und daß es die Aufgabe der Fmanzverwaltung sein wird, Ihnen Vorschläge zu machen, wie dieser Fehlbetrag vermindert werden kann auch durch gewisse Steuererhöhungen. Ueber das Ausmaß läßt sich im gegenwärtigen Augenblick nichts sagen, weil das zum Teil auch davon abhängt, welchen Erfolg die Anleihe haben wird. Aber darüber muß man sich unbedingt klar sein, daß in unserer jetzigen Situatien wir keine Steuern abbauen und auch keine Steuern mildern können. Ich verkenne durchaus nicht, daß vom Standpunkt der sozusagen reinen Steuervernunft die Art, wie wir im Juli und August Finanzpolitik haben treiben müssen, außerordentlich stark der Kritik unterliegt. Namentlich unterliegt der Kritik, daß der Zeichnungstermin der Anleihe und der Fälligkeitstermin der Steuern so nahe aneinandergerückt sind, daß selbstverständlich die Betriebs⸗ mittelknappheit und Geldknappheit, die durch die Steuereinziehungen hervorgerufen werden wird, den Erfolg der Anleihe mindert. Ebenso richtig ist es, daß überhaupt die ganze Komprimierung all dieser Steuern auf einen einzigen Monat wirtschaftlich Schwierigkeiten verursachen kann und Härten mit sich bringt. Aber wir sind heute in keiner geringeren Zwangslage als damals, als wir diese Steuern be⸗ schlossen haben. Wir konnten uns nicht anders helfen, wir mußten diese Sachen zusammenlegen und zusammenziehen, weil eben Ver⸗ säumnisse aus früherer Zeit gutzumachen waren.
In dieser Situation war es vom währungspolitischen Stand⸗ punkt — und das ist ja das Bedauerlichste an der Entwicklung unserer Verhältnisse, daß augenblicklich ein Gegensatz zwischen der Währungspolitik und unseren wirtschaftlichen Bedürfnissen besteht — von Vorteil, weil wir diese Geldverknappung brauchen. Wir haben gesehen, daß in Zeiten der Geldflüssigkeit die Devisenspekulation zu⸗ nimmt, und daß dann jeder Eingriff in den Devisenmarkt außer⸗ ordentlich schwierfg und kostspielig ist. Ich wünsche eine gewisse Ver⸗ knappung des Geldmarktes und einen gewissen Druck auf die Wirt⸗ schaft, damit sie gezwungen ist, einmal ihren Warenvorrat zu ver⸗ ringern und zweitens aus ihren Devisen und ausländischen Effekten herauszugehen, sodaß diese in die Hände des Reichs kommen Wund der Ankauf von Devisen gehemmt wird. In einer solchen Situation wird es möglich sein, die Herrschaft über den Devisenmarkt wiederzugewinnen. Das muß aber das Ziel unserer nächsten Aktion sein. Wir können ohne Beherrschung des Dollarkurses keine Politik treiben. Wir können teine Lohnpolitik treiben, wenn die Löhne bei einem Dreimillionendollarstand über den Friedensstand in einzelnen Zweigen hinausgehen; denn steigt der Dollar auf sechs Millionen, so sind die Löhne wieder halbiert, und bei einem Zwölfmillionendollarstand gehen sie auf ein Viertel herunter, und dann haben wir wieder neue Lohn kämpfe. Das Gleiche gilt von den Preisen. Man kann keine Kohlenpreispolitik treiben und den Kohlen⸗ preis vernünftig festsetzen, wenn der Dollar jeden Tag um 100 oder 200 vH hinaufgeht. Wir können aber überhaupt keine innere oder äußere Politik treiben, wenn wir nicht der Dollarbewegung Herr werden. Es ist gar kein Zweisel, daß nichts die Außenpolitik des Reichs schwieriger macht als die Erwartung, daß die Zeit gegen Deutschtand arbeitet, daß es ohne dies zu einem Zusammenbruch kommen müsse, daß man infolgedessen nur abzuwarten brauche bis Deutschlaud kapituliert. Solange diese Erwartung und diese Stimmung vorhält, ist eine wirksame Außenpolitik unmöglich Deshalb brauchen wir als Grundlage der Außenpolitik eine Beherrschung des Devisenmarktes, um der inneren Gärung Herr zu werden, um eine gewisse Beruhigung
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und Stabilität im Innern zu erziesen, und um dann Grundlage die Außenpolitik fortführen zu können. Unsere ganze Politik ist ja heute nichts anderes als eine Funktion des Dollarkurses, eradezu im mathematischen Sinne. Alles andere kann sich erst auf⸗ wenn wir durch Beherrschung des Devisenmarktes die Grund⸗ lage für eine programmatische Politik geschaffen haben
Deshalb ist erforderlich, einmal die strengste und — ich sage es ganz ausdrücklich und das soll in die Oeffentlichkeit — eine brutale Steuer⸗ politik. Und ich sage noch weiter: Die wirtschaftspolitischen Bedenken und Forderungen müssen jetzt hinter die währungspolitischen Not⸗ wendigkeiten zurückgestellt werden weil diese augenblicklich die wich⸗ tigsten Notwendigkeiten für den Bestand des Deutschen Reichs ge⸗ worden sind. Diese Grundlage, diese ganze Politik kann ich nur schaffen, wenn ich für die Beherrschung des Devisenmarkts den not⸗ wendigen Devisenfonds zur Verfügung bekomme, wenn die Wirtschaft einsieht, daß es sich um ihre eigene Existenz und zugleich um die des Reichs handelt, und daß sie deswegen das äußerste daransetzen muß, um dem Reiche jetzt die notwendigen Devisen zur Ver⸗ fügung zu stellen, die ich hrauche zur Aufrechterhaltung der Ernährung, für die Aufrechterhaltung unserer Eisenbahnen und vor allem für die Beherrschung des Devisenmarkts. Deshalb hat die neue Regierung es als eine ihrer ersten Aufgaben betrachtet, in diesem Sinne mit den Wirtschaftskreisen Fühlung zu nehmen. Sowohl die Vertreter der Großbanken wie der Industrie sind bereits ehört worden. Mit den Vertretern des Handels und der Landwirt⸗ schaft wird in den allernächsten Tagen die Fühlung wieder auf⸗ enommen werden. Die Wirtschaftskreise haben bisher erklärt, daß 8 die Regierung unterstützen werden, weil sie einsehen, daß diese Regierung im Grunde genommen die letzte politische Reserve ist, über die heute Deutschland verfügt, weil sie einsehen, daß diese Regierung auch aus den Kreisen der Wirtschaft unterstützt werden muß. Denn diese Regierung ist auf breiter parlamentarischer Grundlage errichtet. Sie ist gegründet worden als eine Notgemeinschaft aller derjenigen, die einsehen, daß das Reich überhaupt aufhören würde zu bestehen, wenn auch diese Regierung bankrott machen würde. Wir haben eingehend über die Möglichkeiten gesprochen, wie ein solcher Devisenfonds aus den Mitteln der Wirtschaft geschaffen werden kann. Aus den Kreisen der Wirtschaft selbst ist uns gesagt worden, mit dem Wege der Freiwilligkeit geht es nicht; man brauche Zwangsmittel gegen diejenigen, die noch immer nicht die Not des teiches verstehen und die noch immer nicht begreifen, daß zwischen Politik und Wirtschaft, zwischen den Interessen des Reichs und denen der Wirtschaft in letzter Linie auf die Dauer kein Widerspruch sein kann, weil mit dem Untergange des Staats und dem Unter⸗ ange des Reichs der Untergang der deutschen Wirtschaft sofort ver⸗ Fün ge wäre. Gegen diejenigen, die das immer noch nicht begreifen, brauche man eben Zwangsmaßnahmen. Wir haben diese Dinge sehr eingehend geprüft und sind vorläufig im Einvernehmen mit den Wirt⸗ schaftskreisen zu einer Lösung gekommen, die hoffentlich uns in der nächsten Zeit ausreichende Devisenmittel zur Verfügung stellen wird. Dabei habe ich persönlich die Ueberzeugung, daß diese Devisenmittel um so schneller und rascher einfließen, je weniger Zwang notwendig ist, und je mehr die Wirtschaft aus eigener Einsicht dem Reiche die Devisen, über die sie wirklich verfügt, zur Verfügung stellt. Der Vorschlag bewegt sich in folgenden Linien: Wir gehen davon aus, daß für je 10 000 ℳ die auf die erste Rate der Brotverbilligung gezahlt worden sind — wir legen also die Erklärung für die Zwangsanleihe zugrunde — ein Betrag von 1 ℳ Gold bis zum 25. September ab⸗ geliefert wird. Die Ablieferungsfrist wird bis zu einem bestimmten Tage zu erfolgen haben. Der Stichtag wird vor der Veröffentlichung der Erklärung liegen. Wird der betreffende Betrag an Devisen nicht abgeliefert, so ist unter Eid zu versichern, daß ein ausreichender Betrag an Devisen nicht vorhanden war. Diese Erklärung wird nachgeprüft. Die Verletzung der eidesstattlichen Versicherung steht unter der Zucht⸗ hausstrafe, die für Meineid besteht, und unter Konfiskation des Ver⸗ mögens. Für die Nachprüfung dieser Angaben werden wir durch be⸗ sonders ausgewählte Kontrollorgane Vorsorge treffen. Als Gegenwert für die Devisen sollen gegeben werden nach Wahl der Ablieferer entweder Goldanleihen oder eine Ueberschreibung auf ein Goldkonto, und in dem Falle, wo tatsächlich nachgewiesen wird, daß eine Devisenzahlung dem Steuerpflichtigen nicht möglich ist, wird die Zahlung eventuell auch in Papiermark, entsprechend dem Goldwert, angenommen. Ein Punkt wird noch erwogen. Es fragt sich, ob man einen Teil dieser Devisenzahlungen auch annehmen kann als Gutschrift auf ein Steuergoldkonto. Ich erwarte, da weder eine neue Veranlagung notwendig ist, noch zunächst überhaupt ein Ein⸗ greifen der Finanzverwaltung, daß auf diese Weise schleunigst ein ausreichender Devisenfonds zur Verfügung gestellt wird. Sollte diese Erwartung nicht zutreffen, so werden wir sofort in Erwägungen ein⸗ treten, welche weiteren Maßnahmen notwendig sind. Denn diesen Devisenfonds müssen wir haben, und die Regierung ist entschlossen, vor keinem zweckdienlichen Mittel zurückzuschrecken, um sich diesen Devisenfonds zu schaffen.
Zum Schluß noch kurz ein Wort, das mit der Finanzpolitik im engsten Zusammenhange steht, ein Wort über die Währungspolitik. Wir brauchen eine grundsätzliche und schleunige Aenderung in der Reichsbankpolitik in dem Sinne des Uebergangs der Reichsbank zu wertbeständigen Kredithergaben auf der einen Seite und zur Eröffnung von Goldkonten auf der anderen Seite. Ein großer Teil des Devisen⸗ bedarfs der Wirtschaft ist durch das Bedürfnis der Wirtschaft nach Wertbeständigkeit hervorgerufen. Daß für die Wirtschaft wert⸗ beständige Reserven notwendig sind, Larüber ist kein Zweifel. Aber die Wirtschaft hatte bisher keine Gelegenheit, sich wertbeständig zu sichern, außer indem sie in die Ware ging, also ihre Vorräte über das sonst volkswirtschaftlich und privatwirtschaftlich not⸗ wendige Maß vermehrte, oder aber, indem sie eben Devisen anschaffte. Es ist ganz interessant zu sehen, wie schwer es unter Umständen der Wirtschaft gemacht war, in anderer Weise dieses Bedürfnis nach Wertbeständigkeit zu befriedigen. Ich kenne den Fall eines großen industriellen Konzerns, der eine Entschädigung bekam, weil seine Fabriken von den Franzosen im besetzten Gebiet ausgeleert wurden. Dem Konzern wurde eine Entschädigung von rund 300 Milliarden Papiermark gezahlt. Er wandte sich an die Reichs⸗ bank und erklärte, diese Summe könne er unmöglich sofort anlegen. Die Fabriken seien von den Franzosen besetzt. Sie könnten die Summe natürlich auch nicht in Papier liegen lassen, die Reichsbank solle sie auf ein wertbeständiges Konto nehmen. Die Reichsbank hat das abgelehnt, da sie ja auch keine Sicherheit hatte, da sie Gold⸗ kredite nicht gab, und der Konzern hat gar kein Hehl daraus gemacht, daß er gezwungen war, weil er nicht in Ware gehen in Devisen zu gehen. Dieser Mangel an Möglichkeit, sich wert⸗ beständig zu sichern, außer in Devisen, muß endlich beseitigt werden. Durch Aenderung der Reichsbankpolitik muß dahin gewirkt werden, daß diejenigen, die nicht für Importzwecke un⸗ mittelbare Devisen brauchen, nicht gezwungen sind, aus privatwirt⸗ schaftlichen Gründen gegen das volkswirtschaftliche Interesse sich Devisen anzuschaffen. Ueberhaupt ist es notwendig, daß innerhalb der Regierung ein enges und einverständliches Arbeiten der Ressorts
attfinden muß. Ich werde im Kabinett die Ansicht vertreten, daß ie gesamte finanzielle Gebarung der Ressorts stärker als bisher unter die Kontrolle des Finanzministeriums kommen muß. (Sehr gut!) Ich sage aber auch: ebenso wie das enge Zusammenarbeiten der Ressorts, insbesondere der wirtschaftlichen Ressorts, im Kabinett gesichert sein muß, wie innerhalb des Kabinetts es keine Reibungen geben darf, weil man sonst keine Politik treiben kann, ebenso ist es notwendig, daß die Finanzpolitik und die Wirtschaftspolitik des Kabi⸗ netts und die Politik der Reichsbank in Uebereinstimmung gebracht werden, daß sie gegenseitig aufeinander abgestimmt werden. (Sehr richtig!) Sonst ist es überhaupt unmöglich, irgendeine Politik zu treiben, am wenigsten in einer Zeit, wo die Währungspolitik, die zu betreuen die Hauptpflicht der Reichsbank ist, überhaupt das wichtigste in der ganzen Politik bildet. Aufgabe der Regierung wird es sein, dafür zu sorgen, daß diese Uebereinstimmung hergestellt wird.
Wenn ich zusammenfassen darf: die Finanzlage, die wir als Erbschaft übernehmen mußten, ist außerordentlich ernst. Aller Anstrengung wird es bedürfen, um eine Verschlechterung zu verhüten, um eine Verbesserung durchzusetzen. Dazu brauchen wir natürlich in
erster Linie Ihre Unterstützung, die Mithilfe der Länder und sodann
auf dieser
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die Unterstützung der gesamten Wirtschaftskreise. In den nächsten Wochen und Monaten muß sich jeder Deutsche darauf einstellen, daß gegenwärtig das Primat des Staates unbedingt gewahrt werden muß. Denn wenn das nicht der Fall ist, könnten wir einen Zusammen⸗ bruch nicht verhüten, und das Chaos, das aus einem solchen Zu⸗ sammenbruch hervorgehen würde, brauche ich Ihnen nicht auszumalen, das können Sie sich selbst vorstellen. Deshalb müssen alle egoistischen Rücksichten, alle Rücsichten auf die pripaten Interessen in der nächsten Zeit einmal ausgeschaltet werden. Wir müssen zu⸗ nächst durch eine Sanierung der Finanzen, durch eine Besserung unserer Waͤhrungsverhältnisse dazu gelangen, daß wir die Grundlage unter den Boden bekommen, von dem aus überhanpt eine Politik möglich ist. Aufgabe dieser Politik wird es sein, das Werk, das wir mit diesen Vorbereitungen beginnen, schließlich zu einem gedeihlichen Ende zu führen. (Beifall.)
Reichsverkehrsminister Dr. Oeser erklärt, er benutze gern die Gelegenheit, über die Lage der Reichsbahn zu sprechen, deren Finanz⸗ wirtschaft und Tarifgebaren für die Wirtschaft des Reichs und die deutiche Volkswirtschaft von ausschlaggebender Bedeutung sei. Als die Entwicklung am 20. August zur Erhöbung der Eisenbahntarife vom 1. August führte, galt es einen Mehrbedarf von fast 1600 Bil⸗ lionen zu decken, die zu ungefähr gleichen Teilen auf persönliche und sächliche Kosten entfielen. Die Tariffestsetzung vom 20. August lasse sedoch einen Ausgabebetrag von über 400 Billionen ungedeckt, der sich durch die neue Erhöhung der Kohlenpreise und die neue Steigerung der Divisen seither noch erheblich gesteigert habe. Dieser Betrag müsse durch weitere Ausgleichung der Tarife an die Geldentwertung, wie es durch die Indertarife angebahnt sei, gedeckt werden. Eine Tarifpolitik, die dem Finanzminister die Deckung eines Reichsbahndefizits überlasse, wirke unbedingt inflationssteigernd. Die Ansicht, daß die Reichsbahn als Basis für ihre wertbeständigen Tarife nicht den einfachen Friedens⸗ betrag, sondern den eineinhalb⸗ bis zweifachen Friedensbetrag an⸗ gesetzt habe, sei unrichtig. Der Multiplikator richte sich nicht ein⸗ fach nach dem Dollarstande, sondern nach den effektiven Ausgaben. Hier seien die Preise von Kohle und Eisen vorwiegend entscheidend. Die Kosten der deutschen Kohle betrügen das Viermillionenfache, die der englischen das 38 millionenfache der Friedenspreise. Auch bei Stabeisen und Schienen sei das Zweimillionenfache des Friedens⸗ preises überschritten. Der Multiplikator der Reichsbahn bleibe mit 1,2 Millionen erheblich unter diesen. Zahlen. Der Anteil der Fracht am Warenpreis sei in den meisten Fällen gegenüber der Friedenszeit zurückgegangen. Betrug der Anteil der Fracht am Warenpreise bei einer Beförderung von Hamburg nach Berlin vor dem Kriege 51,9 vH, so ist er heute auf 15,1 vH gesunken. Bei Viehtransporten beträgt der Anteil der Fracht bei einer Transportweite von 100 km. nur 1 bis 2 vH, bei 500 km nur 4 bis 6 vH. Bei Kartoffel⸗ transporten ist der Anteil der Fracht auf die Hälfte des Friedens⸗ anteils gefallen; da die Kartoffelpreise dennoch gestiegen seien, liege also eine preistreibende Wirkung der Fracht nicht vor. Das herrschende Frachtstundungsverfahren beabsichtige er grundsätzlich um⸗ zugestalten, die Reichebahn müsse möglichst schnell in den Besitz des von ihr verdienten Geldes kommen. Auch auf der Ausgabenseite werde er seine Arbeit einsetzen und versuchen, aller technischen Kräfte Ersparnisse im Betriebe zu erreichen. Immer⸗ hin werde man in absehbarer Zeit zu Tariferhöhungen schreiten müssen.
Nach der Rede des Reichsverkehrsministers machte der Vorsitzende Abg. Heimann (Soz.) dem Ausschusse Mitteitung von dem Ent⸗ wurf der Richtlinien, die von der Regierung für die Verteilung der Beihilfen zur Behebung kultureller Notstände vorgesehen worden sei. In diesem Entwurf wird zunächst der Begriff der kulturellen und ge⸗ meinnützigen Vereinigungen definiert. Nach der Entstehungsgeschichte des Fonds und den seiner Bewilligung vorangegangenen Erörterungen im Haushalts⸗ und Sparausschuß und in der Vollsitzung des Reich tags sind unterstützungsfähig kulturelle Vereinigungen auf gemeinnütziger Grundlage ohne staatlichen oder städtischen Charakter, die selbst nicht kirchlicher Natur sind, jedoch durch ähnliche Mittel wie die Religionsgesellschaften zur sittlichen Erhebung über den Alltag und zur seelischen Erbauung auf die breite Masse des Volks einwirken. Für die Unterstützung kommen in erster Linie die Aufgaben in Betracht, die auf dem Gebiete des freien Volksbildungswesens liegen und zwar: Volksbüchereien, Volks⸗ hochschulwesen und andere volksbildnerische Bestrebungen auf dem Gebiete von Wissenschaft und Kunst (Volksvorstellungen, Volks⸗ konzerte, Wand⸗ und Hausschmuck u. a.). Die Hauptträger des freien Volksbildungswesens sind die großen, das Gesamtgebiet der Volksbildung umfassenden Verbände (evangelischer Volks⸗ bildungsausschuß, Gesellschaft für Volksbildung, katholischer Zentralbildungsausschuß, Zentralbildungsausschuß der sozial⸗ demokratischen Partei Deutschlands) sowie große, besonderen Aufgaben der Volksbildung dienende Vereinigungen, die Landes⸗ verbände für Volksbildung, in denen alle maßgebenden volks⸗ bildenden Vereinigungen des Landes zentral vereinigt sind, provinzielle und landschaftliche Vereinigungen. Von den zu unterstützenden Verbänden sind vorzer Verwendungspläne einzufordern. Die Ver⸗ wendung der gewährten Beihilfen ist spätestens am Schlusse des Rechnungsjahres nachzuweisen. Fünsundfünfzig vom Hundert des Fonds werden den Ländern überwiesen. Ueber die 45 vH verfügt der Reichsminister des Innern, wobei er sich 15 vH als Ausgleich für besondere Fälle vorbehält.
Der Ausschuß nahm diese Richtlinien an und die Debatte wandte sich wieder dem eigent ichen Gegenstand der Tagesordnung zu.
Abg. Klöckner (Zentr.) hielt es für notwendig, der Regierung eine schnelle Ermächtigung zur Durchführung ihrer Maßnahmen zu geben. Die außerordentliche gegenwärtige Notlage des Reichs ver⸗ lange schnellste Hilfe. Wünschenswert sei eine möglichst vollkommene Zusammenarbeit der einzelnen Ressorts mit dem Finanzministerium. Einer der Hauptfaktoren, der mit zum Niedergang unserer Währung geführt habe, läge in der Gewährung von Papiermarkkrediten. Nur die wertbeständigen Kredite reizen nicht zur Devisenanschaffung. Mit dem Programm des Verkehrsministers erklärte sich Redner ein⸗ verstanden. Es sei nur eine selbstverständliche Forderung, daß die Ausgaben der Eisenbahnen durch die Einnahmen gedeckt würden. Natürlich könne man einzelne Notstandstarife in Erwägung ziehen. Redner denke dabei insbesondere an das Obst, das jetzt teil⸗ weise in Süddeutschland verfaule, wo es nicht vollkommen konsumiert werden könne, und das wegen allzu hoher Transport⸗ kosten dann auch nicht zum Versand kommen könne. Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen erinnerte Redner daran, daß den Haupt⸗ teil an allen im Reiche benötigten Devisen die Eisenbahn durch den Bezug von englischer Kohle benötige. Um dieser kolossalen Einfuhr von englischer Kohle zu steuern, könnte es sich vielleicht empfehlen, wenn in den Bergwerken des unbesetzten Gebiets die Bergarbeiter freiwillig Ueberstunden machen würden. Dadurch würden viel Devisen gespart werden. Redner verlangte weiter die schärfste Erfassung der Devisen an den Stellen, wo täglich Deviseneingänge sind, die aber in ihren Betrieben Verwendung für Devisen nicht direkt haben. Er denke dabei an Wechselstuben, Hotels, Sanatorien usw. Dann wies Redner auf das Loch im Rheinlande hin, das durch die Bemühungen deutscher Firmen im Rheinlande, die ihren Devisenbedarf nur bei deutschen Banken decken sollten, gestopft werden müsse.
Abg. Dr. Dernburg (Dem.) betonte, daß eine wirtschaftliche Gesundung des Deutschen Reiches nur dann möglich sei, nachdem die Ruhrangelegenheit abgebaut und erledigt sei. Deutschland befände sich jetzt nicht nur im Krieg, sondern mitten in einer Schlacht. Um aber die Ruhrangelegenheit abbauen und erledigen zu können, müsse die Wirtschaft soweit wie möglich in Ordnung gebracht werden. Redner stimmte alsdann den Ausführungen des Verkehrsministers Oeser zu. Die Gehaltspolitik gegenüber den Beamten fand er nicht in allen Punkten glücklich. Die dreimonatlichen Vorauszahlungen der Beamtenbezüge seien zusammen mit den alsdann gewährten Nach⸗ zahlungen nicht vollkommen zu rechtfertigen. Die Arbeiterschaft solle wohl Goldlöhne bekommen, keinesfalls könne sie aber auf die volle Höhe der Friedenslöhne Anspruch erheben Wie Redner gehört habe, würden aber in einzelnen Branchen schon Löhne gezahlt, welche die Friedenslöhne übertreffen und hinter den Löhnen in England nicht zurückständen. So sehr man es begrüßen müsse, daß dadurch die Lebenshaltung des Arbeiters aufgebessert werde, so sehr sei dies jedoch vom allgemein wirtschaftlichen Standpunkt aus zu bedauern; denn
durch Anspannung
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durch die Zahlung von Friedenslöhnen oder darüber hinausgehenden Löhnen würde die deutsche Wirtschaft jede Konkurrenzfähigkeit ver⸗ lieren und schließlich auch zum Schaden des Arbeiters erliegen. Au die Syndikats⸗ und Kartellpolitik müsse aufmerksam nachgeprüft werden. Es sei jedenfalls zu kontrollieren, ob es notwendig sei daß vereinzelte lebenswichtige Dinge bereits die Weltmarktpreif üͤberschritten hätten. Redner wandte sich dann gegen die Aeußerungen des Finanzministers, der erklärt hatte, daß Personen, die beschwöten können, daß sie keine Devisen haben, trotzdem einen entsprechenden Betrag in Papiermark zahlen müssen. Das sei nichts anderes als eine neue Zwangsanleihe. Ursprünglich habe man doch nur die Absich gehabt, neben den vielen neuen brutalen Steuern und neben der Gold⸗ anleihe jetzt auch noch die Devisen zu erfassen. Wenn nun Leute, die keine Devisen hätten, auch noch gezwungen würden, neben de Steuern Riesenbeträge in Papiermark zu zahlen, dann würde das 3 einem allgemeinen Ausverkauf von Sachwerten führen, der ledigli⸗ zugunsten des Auslandes veranstaltet würde. Bekanntlich se es schon jetzt schwer, wenigstens bei einzelnen Firmen, Gelder für die Lohnzahlungen zu realisieren. Was Geschäftsführung der Reichsbank betreffe, so müsse man sich machen, vor welch ungeheuren, noch nie dagewesenen Aufgaben die Reichsbank gestanden hätte. Eine solche Situation hätte vielleicht einen Politiker erfordert, stattdessen stand an der Stelle ein Bank direktor und sehr erfahrener Fachmann. Das war jedenfalls früher das einzig Erwünschte und Gute. Deshalb könne er sich den Vor⸗ würfen gegen das Reichsbankpräsidium nicht anschließen. Redner
wünschte alsdann eine Verschärfung der Preiskontrolle. Es sei nicht einzusehen, warum das Brot der Aermsten, das Markenbrot, heute i Beeskow⸗
Berlin 116 000 ℳ, in Niederbarnim 64 000 ℳ und in Storkow nur 40 000 ℳ kostet. Solchen Dingen müsse hördlich nachgehen. Was die Ueberstundenarbeit betreffe, so dürfe man in diesem Augenblick höchster vaterländischer Not nicht von Prinzipien sprechen.
Dem Abg. Wels (Soz.) gingen die Maßnahmen, die der Finanzminister zur Erfassung der Devisen vorgeschlagen hatte, nicht weit genug. Mit solchen halben Mitteln könne der deutschen Not nicht gründlich genug geholfen werden. Redner verlangte für das Reich die unbedingte Verfügungsgewalt über alle Devisen, die in Deutschland befindlich seien. Auch die Gehaltszahlung an die Be⸗ amten mit der vierteljährlichen Vorauszahlung fand nicht die Zu⸗ stimmung des Redners. Durch solche periodischen großen Zahlungen würden alle Preise hochgetrieben. Alsdann wandte sich Redner gegen den Reichsbankpräsidenten Havenstein und erklärte, daß die Sozial⸗ demokratie nicht ruhen und nicht rasten würde, bis der Reichsbankpräsident endlich gegangen sei. Zur Frage der Ueberstunden erklärte Redner, daß sich die Belegschaften noch niemals geweigert hätten, länger zu arbeiten, wenn wirklich Not an Mann gewesen wäre. Man könne aber von den Belegschaften nicht die Leistung von Ueberstunden verlangen, wenn gleichzeitig zahlreiche Ent⸗ lassungen stattfinden. Im übrigen sei ja bekannt, daß sich jetzt sogar die Betriebe auf Kurzarbeit einrichten. Die Polilik der Reichs⸗ verkehrsverwaltung billigt der Redner. Er habe stets die Erfahrung gemacht, daß die Preise durch etwaige Frachtermäßigungen gar nicht heruntergeschraubt würden. Jetzt handle es sich um den Kampf der Staatsautorität gegen die Uebermacht der Finanz und der Industrie. Aus den unendlich niederen Löhnen der vergangenen Jahre sei der Prosit der Wirtschaft entstanden. Nun müßten endlich durch radikale Notverordnungen dem Reiche auch seine Existenzbedingungen gewährt werden.
Abg. Dr. Rießer (D. Volksp.) schloß sich den Bedenken des Abg. Dernburg an und hielt es nicht für tragbar, daß Personen, die keine Devisen besitzen, für diesen mangelnden Devisenbesitz nun in Form einer neuen Zwangsanleihe zahlen sollen. Die Vorwürfe des Vorredners gegen Finanz und Industrie rechtfertigen sich nicht, da mit den neuen Notverordnungen ja diese Kreise durchaus einver⸗ standen gewesen seien. Wohl seien brutale Steuereingriffe notwendig. Das bedinge aber nicht notwendig das Fallenlassen jeder Rücksicht⸗ nahme. Man müsse in Erwägung ziehen, daß nicht nur Reichs⸗ steuern, nicht nur neue Steuern gezahlt werden sollen, sondern auch viele andere Abgaben, wie Wohnungsbauabgaben, Grundsteuern, Kommunalsteuern.
Abg Graf Westarp (D.Nat.) wollte prinzipiell dem Gedanken von Notverordnungen in der heutigen katastrophalen Lage Deutsch⸗ lands nicht widersprechen. An der Vollmacht für die Regierung wolle er sich jedoch mit seinen Freunden nicht beteiligen. Bezüglich der neuen Devisenverordnung äußerte Redner Bedenten, wie sie be⸗ reits von dem Abg. Dernburg (Dem.) und Dr. Rießer (D.Vp.) vor⸗ gebracht worden waren. Wenn die Verordnung so gehandhabt werde, so segle sie unter falscher Flagge. Es handle sich dann nicht um die Erfassung von Devisen, sondern um eine neue Zwangsanleihe. Im übrigen hielt es Redner für zweifelhaft, oo die Finanzämter in der Lage sein würden, die durch die Verordnung geschaffene Riesenarbeit zu be⸗ wältigen. Zweifelhaft sei es ferner, ob sich die Erfassung der wilden Devisenhändler und der im Dunkeln getätigten Devisenaufkäufe durchführen ließe. Im übrigen habe ja der Reichsfinanzminister selbst zugegeben, daß durch die bisher vom Reichstag beschlossenen von ihm selbst als brutal bezeichneten Steuern der Zweck nicht erreicht werde, Ausgaben und Einnahmen miteinander zu balanzieren.
Am Schluß seiner Ausführungen widersprach Redner ganz entschieden
der Kritik des Abg. Wels (Soz.) an der Tätigkeit des Reichsbank⸗ präsidenten Havenstein und warnte davor, das Reichsbankpräsidium mit einem Parteimann zu besetzen. Die Vorschläge des Abg. Wels ließen sich nicht ausführen, weil ohne Gold keine Goldwährung ge⸗ schaffen werden könne.
Nach einer Erwiderung des Reichsfinanzministers Dr. Hilfer⸗ ding, in der vor allem festgestellt wurde, daß bei mangelnden Devisen an der Papiermarkzahlung festgehalten werden müsse, sprach noch der Kommunist Eichhorn, der die jetzige Finanzlage des Reiches auf die brutale kapitalistische Ausbeutungspolitik zurückzuführen versuchte, die nach seiner Ansicht in den letzten Jahren stattgefunden habe.
Zum Schluß machte noch Abg. Kah mann (Soz.) darauf auf⸗ merksam, daß nach zahlreichen Beobachtungen die Banten immer noch Schecks in Zahlung geben, trotzdem die Geldmittelknappheit längst überwunden sei. Durch dieses künstliche Geld der Banken flösse den Instituten ein riesiger Gewinn zu.
Hierauf wurde die Aussprache geschlossen und der Ausschuß ver⸗ tagte sich auf unbestimmte Zeit.
Statistik und Volkswirtschaft.
8 Die Großhandelsinderziffer vom 21. August 1923. Im Anschluß an die außerordentliche Steigerung der Devisen⸗ kurse in der Vorwoche ist die Großhandelsindexziffer in der Zeit vom 14. bis 21. August nach den Berechnungen des Statistischen Reichs⸗ amts um 88 vH anf das 1 246 598 fache des Friedensstandes empor⸗ geschnellt. Gleichzeitig stieg der Dollar in Berlin von 3 Mill. Mark auf 5,5 Mill. Mark oder um 83 vH, sodaß das Goldniveau der Großhandelspreise eine abermalige Aufwertung und zwar von 92,9 Gold am 14. August auf 95,1 vH Gold am 21. August erfuhr. Von den Hauptgruppen stiegen die Lebensmittel (im Großhandel) von dem 422 356 fachen auf das 818 826 fache oder um 94 vH, die Industriestoffe von dem 1 115 425 fachen auf das 2 046 345 fache oder um 83 vH. ferner die Inlandswaren von dem 630 102 fachen auf das 1 180 857 fache oder um 87 vH und die Einfuhrwaren von dem 832 770 fachen auf das 1 575 299 fache oder um 89 pH. EI“
Verkehrswesen.
Vom 23. August 1923 ab siedelt die Oberpostdirektion Berlin bis auf einige Stellen, die in der Hauptsache im Gebäude⸗ block Spandauer Str./Königstr. in Berlin C 2 bleiben, in das Gebände Kurfürstendamm 193/194 in Berlin W. 15 über. Der Umzug dahin wird voraussichtlich bis zum 15. September 1923 beendet sein. Ferner werden das Postrechnungsamt am 27. August 1923 vom Enckepl 4/4 a in Berlin SW. 48 in das Gebäude Spandauer Str. 13 (bisheriges Oberpostdirektionsgebäude) und die Kriminalpostdienststelle von 129 etwa Mitte September in das Gebäude Königstr. 61.