(Lebhafter Beifall rechts, in der Mitte und links. — Glocke des Präsidenten.) Es ist ein Mann der alten Armee, der General von Hurt, der in den „Münchener Neuesten Nachrichten“ geschrieben hat: „Die Münchener Vorgänge waren ein politisches Abenteuer und eine unverzeihliche Torheit“, und ein Mann wie Timm Klein hat für das, was dort vorgegangen ist, die wirklich guten Worte gefunden:
Ihr habt bei Nacht und Nebel gekriegt,
Und Euer Feind — er lag besiegt.
Doch als Ihr die Leiche bei Licht erkannt,
War es das eigene Vaterland.
Wenn man davon spricht, die deutsche Reichsregierung habe nichts dagegen getan, dann darf ich doch sagen: ohne die Beschlüsse der deutschen Reichsregierung am Abend des 9. November wären wahr⸗ scheinlich diese Vorgänge nicht auf München beschränkt geblieben. Es gab genug Herde, die vielleicht ähnlich in Feuer hätten aufgehen können. Als sie am Morgen die Proklamation der deutschen Reichs⸗ regierung fanden und sahen, daß die entsprechenden Maßnahmen getroffen waren, hat sich doch mancher überlegt, ob sie denjenigen folgen sollten, die hier vorgegangen sind. Wenn also das Feuer nicht ein allgemeines geworden ist, dann ist das deshalb schließlich einiger⸗ maßen auch dem zuzuschreiben, was von uns hier geschehen ist.
Wichtiger aber als der Rückblick auf diese Vorgänge ist die un⸗ bedingte Notwendigkeit der Rückkehr Bayerns zu verfassungsmäßigen Zuständen. Man hat der Reichsregierung vorgeworfen, daß sie in Bezug auf die Forderungen, die von dem Chef der Heeresleitung gestellt worden seien, den Bogen überspannt habe. Meiner Meinung nach zerbricht das Instrument der Reichswehr, wenn die Autorität der Befehlsgewalt sich nicht durchsetzen kann, ebenso wie das Instru⸗ ment der Reichswehr zerbrechen würde, wenn sie von irgend jemand zu parteipolitischen Zwecken mißbraucht werden könnte. Was sie geworden ist, das ist sie geworden in einer Arbeit von vier Jahren, für die wir denjenigen Dank schulden, die an ihrer Spitze gestanden haben. (Beifall.) Alle diese Arbeit wäre vergeblich, wenn einmal die Autorität zerbricht, und irgendein Zweifel an der Verfassungstreue der Reichswehr möglich wäre. -
Meine Herren, es bestehen da Differenzen. Deshalb wird bei Verhandlungen, die zwischen Bayern und dem Reich, wie ich sagen zu können glaube, bevorstehen, das eine selbstverständlich die Grundlage jedes Verhandelns sein: die Rückkehr zu verfassungsmäßigen Zuständen in bezug auf die Reichswehr und die unbedingte Unterstellung der Reichswehr unter die Befehlsgewalt, zu der sie gehört. (Zustimmung.) Das ist eine Auffassung, die sich inzwischen auch in weitesten Kreisen Bayerns selbst durchaus durchgesetzt hat und, wie ich glaube, auch mit der Auffassung weitester Kreise der 7. Division selbst übereinstimmt. Andere Bestrebungen, die sich auf bayerische Wünsche beziehen, gehen ja nach anderer Richtung. Es sind föderative Bestrebungen, und sie haben ihren Niederschlag in Anträgen gefunden, die die Bayerische Volks⸗ partei hier im Reichstage eingebracht hat. Ich will nicht zu allen Einzelheiten dieser Anträge Stellung nehmen, aber ich darf das eine mitteilen, daß eine Besprechung innerhalb der Reichsregierung auch darüber bereits stattgefunden hat, inwieweit Aenderungen der jetzigen Verfassung gegenüber den Ländern — denn das ist nicht nur eine bayerische Frage — möglich sind. (Zuruf von den Kommunisten.) Nein, nicht nur Bayerns allein, sondern die Forderungen werden auch von anderer Seite erhoben; sie haben im übrigen mit Verfassungstreue gar nichts zu tun. (Sehr richtig! bei der Bayerischen Volkspartei.) Das Recht, die Verfassung auf verfassungsmäßigem Wege zu ändern, ist jedem Politiker und jedem anderen gegeben. Das ist ein Volks⸗ recht der deutschen Reichsverfassung. Artikel 48 der Reichsverfassung ist eine Quelle von Streitigkeiten in der Auslegung. Das angekündigte Reichsgesetz ist bis heute nicht erlassen. Sie haben auch hier den Ländern die Möglichkeit gegeben, auf Grund dieses Artikels der Reichs⸗ verfassung, ihrerseits die Verhältnisse in den Ländern zu regeln. (Hört, hört! bei den Kommunisten.) Gewiß, gilt das für alle Länder. Warum soll die Staatsgewalt der Länder ausgeschaltet werden.
Das zweite ist die Frage einer größeren Dezentralisierung in allen Verkehrsfragen, und drittens sind es die Fragen der Steuern und der Finanzen (Glocke des Präsidenten. Präsident Löbe: Den Herrn Abgeordneten Malzahn und die anderen Herren bitte ich, sich auf die Plätze zu begeben.) — die ich mir allerdings ohne eine Oberaufsicht des Reiches nicht denken kann. Ueber diese Fragen zu verhandeln und den Versuch zu machen, hier zu einem Einverständnis zu kommen, ist die Reichsregierung durchaus bereit. Ich glaube nicht, daß in einem solchen Eingehen auf Wünsche, die von dieser Seite geäußert werden, irgendeine Schwäche der Regierung etwa läge. Bismarck hat einmal von dem Verhältnis der germanischen Stämme zuein⸗ ander gesagt: Ich glaube, man soll sich in germanischen Staaten nicht fragen, was kann, sondern was muß gemeinsam sein, und was nicht gemeinsam zu sein braucht, soll man der speziellen Entwicklung über⸗ lassen. Und er hat einst davon gesprochen, daß man ihn als einen dummen Kerl bezeichnet hätte, der angesichts der Machtfülle, die er in der Hand gehabt habe, nicht mehr herausgeholt habe und daß er tatsächlich trotzdem richtig gehandelt habe, die Konzessionen zu machen, die er damals gemacht hat. Das sind nicht Verfassungsfragen, die das Volk aufzuregen brauchen, sondern rein sachliche Fragen, die in aller Ruhe behandelt werden können und mit denen die Rechts⸗ und Links⸗ einstellung nichts zu tun hat. Ich bin der Meinung, daß es besser ist, daß die Länder sich im Reiche glücklich fühlen, als daß in allen Punkten an dem festgehalten wird, wenn Zeiten besonderer politischer Konstellation entstehen. Voraussetzung ist aber die Achtung vor der Verfassung, die man ändern will. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei und in der Mitte.) In dieser Beziehung wird auch das bayerische Volk, das nicht zu identifizieren ist mit den Putschisten vom 9. November, sich mit der Reichsregierung auf diesem Boden zusammenfinden. (Sehr gut! bei der Bayerischen Volks⸗ partei.) Ich darf das eine sagen, wenn ich auf die Vorgänge vom 9. November zurückkomme, daß ich mit Genugtuung und Dank unter⸗ streiche, was Herr Hergt gestern hier zum Ausdruck gebracht hat: die Achtung der Konfessionen untereinander. Ich glaube, es würde gut sein, wenn der Herr Abg. Hergt diese seine Auffassung auch zum Ausdruck bringen würde gegenüber den üblen Ausschreitungen der Münchener Studentenschaft. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volks⸗ partei und in der Mitte.) Es geht nicht an, wenn man den Kardinal Faulhaber hochverräterischer Tendenzen bezichtigt, daß man Wunden aufreißt, die nach dem Kriege mehr geschlossen waren, als zu irgend⸗ einem anderen Zeitpunkt deutscher Geschichte und daß man kon⸗ fessionelle Gegensätze dort aufrichtet, wo wir alle glaubten, daß wir auf diesem Gebiete zu einem Frieden im Deutschen Reiche gekommen wären. (Lebhaftes Bravo bei der Deutschen Volkspartei und in der Mitte.) Ich glaube, daß der Mahnruf zu diesem Frieden im Volk allerdings die höchste Bedeutung verdient, und gerade auch der Mahn⸗
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8. 8 * ruf, den der Kardinal Faulhaber mit voller Absicht 48 Stunden vor den Vorgängen in München erließ, die er mit seinen, mahnenden Worten verhindern wollte und leider nicht verhindern konnte.
Meine Herren! Das ist das, was ich im Zusammenhang mit den Vorgängen in Bayern hier auszuführen habe. Ich komme nun⸗ mehr zu den Anklagen, die gestern gegen die Reichsregierung von dem Herrn Abgeordneten Wels gerichtet worden sind wegen der Vorgänge, die sich in Sachsen abgespielt haben sollen angesichts der — ich habe ihn so verstanden — Inschutzhaftnahme von Personen durch die Reichswehr. Es ist die Frage gestellt worden, was denn überhaupt in Sachsen vorgekommen sei, und es wird so hingestellt, als wenn eigentlich bis dahin eine idyllische Ruhe dort geherrscht habe, wo die Reichswehr eingerückt sei. Ich glaube, die Akten des Reichs⸗ ministeriums des Innern sprechen eine beredte Sprache über alle die Vorgänge, die sich dort abgespielt haben. Ich habe von dem ersten Tage meiner Reichskanzlerschaft an in der Zeit, als Herr Dr. Zeigner noch Ministerpräsident in Sachsen war, wiederholt Veranlassung gehabt, mit ihm zusammen zu sein und ihn auf diese Vorgänge hin⸗ zuweisen und aufs dringendste zu ersuchen vom Standpunkt der sächsischen Regierung gegen die Terrorakte, die vorgekommen sind, gegen die Unterbrechungen des wirtschaftlichen Lebens, die dort erfolgt sind, einzuschreiten. (Zuruf von den Kommunisten: Die demokratischen Zeitungen haben diese Vorgänge widerlegt!) — Wenn eine einzelne Zeitung in der Lage ist, diese Dinge zu widerlegen, wäre das ja sehr einfach. (Erneute Zurufe von den Kommunisten.) — Dann zeigen Sie mir doch die Organisationen, die diesen Beweis bringen. (Er⸗ neuter Zuruf von den Kommunisten: Nennen Sie doch solche Terror⸗ akte!) — Ich brauche Sie nur an Werdau zu erinnern, an alle die Dinge, die in den Akten vorliegen und die zu veröffentlichen wir durchaus gern bereit sind. Ich darf auch auf das eine hinweisen: die Entsendung der Reichswehr nach Sachsen und Thüringen ist in den Zeiten der großen Koalition erfolgt, und sie wäre doch wohl nicht erfolgt, wenn man nicht in allen Parteien der Meinung gewesen wäre, daß dort eben Verhältnisse waren, die unbedingt Remedur ver⸗ langten.
Wenn jetzt im Zusammenhang mit dem Auftreten der Reichs⸗ wehr in Sachsen an deren Vorgehen Kritik geübt wird, so ist es Sache des Reichswehrministeriums, sich dazu zu stellen. Es ist zweitens unsere Aufgabe, dem nachzugehen, und ich darf darauf hinweisen, daß meines Wissens bereits vor der Rede des Herrn Abgeordneten Wels von der dazu zuständigen militärischen Stelle ein Befehl ergangen ist, worin sie sich mit aller Entschiedenheit dagegen wendet, daß hier in einer Weise vorgegangen werde, die etweder gegen die Gesetze verstößt oder aber auf Willkür beruht. Etwas anderes ist vorläufig nicht zu tun, als wenn solche Beschwerden nach dieser Richtung eine derartige Anordnung erfodern, diese vorzunehmen. Ich wüßte nicht, ob Sie Ihrerseits in der Lage wären, die Inhaftierten sofort freizusetzen, nur wenn eine Beschwerde kommt, die Sie im einzelnen noch gar nicht zu prüfen vermögen. Ich darf dabei das eine sagen: das Verhältnis zwischen Reichswehr und der Bevölkerung würde wahrscheinlich ein zu keiner Mnruhe Ver⸗ anlassung gebendes sein, wir hätten manche bedauerlichen Vorgänge überhaupt nicht erlebt, wenn nicht die kommunistische Agitation in Thüringen systematisch gegen die Reichswehr gehetzt hätte. (Leb⸗ hafte Zustimmung bei der Deutschen Volkspartei und rechts. Fort⸗ dauernde Unruhe und lärmende Zurufe auf der äußersten Linken. Glocke des Präsidenten.)
Uns haben die kommunistischen Flugblätter vorgelegen, in denen in unerhörter Weise gegen die Reichswehr und gegen die Reichsre, ung gehetzt worden ist (andauernder Lärm bei den Kommunisten), und auf Grund dieser Flugblätter ist unser Ein⸗ schreiten erfolgt. (Fortgesetzte lärmende Unterbrechungen bei den Kommunisten. Glocke des Präsidenten.)
Ich beziehe mich auf das Material, das mir vorliegt. Ich be⸗ ziehe mich darauf, daß ich dieses Material mit dem sächsischen Ministerpräsidenten und mit dem sächsischen Gesandten besprochen habe und daß von keiner Seite ein Einspruch dagegen erfolgt ist, daß durch die Kommunistische Partei, daß durch die kommunistische Betriebsrätezentrale von dem Augenblick an, in dem die Reichs⸗ wehr nach Sachsen kam, in einer Weise gegen sie gehetzt und ihre Autorität untergraben wurde, daß das gerade der Ausgangspunkt der⸗ jenigen Aktion der Reichsregierung war, die wir gemeinschaftlich geführt haben. (Andauernde Zurufe von den Kommunisten. Abg. Thomas: Und das sächsische Volk hat keine Autorität !) Das sächsische Volk ist ja nicht repräsentiert durch die Kommunistische Partei in Sachsen. (Lebhafte Zustimmung rechts und in der Mitte. Erneute Zurufe von den Kommunisten.) Es ist in bezug auf das sächsische Volk genau so wie hier im Reichstag. Während Sie (zu den Kommunisten) in der Minderheit sind, lärmen Sie, als wenn Sie den ganzen Reichstag verträten. Von Sachsen sagen Sie, Sie wären das sächsische Volk, während Sie auch dort eine Minderheit sind. Das ist Ihre ganze Taktik.
Ich habe mich dann in erster Linie den wirtschaftlichen Fragen zuzuwenden, vor allem der Frage der Ordnung unserer Finanzen. Man hat gegen die Reichsregierung namentlich deshalb Vorwürfe erhoben. — — Oder ich will zunächst noch eine andere Frage be⸗ handeln. Verzeihen Sie diese Unterbrechung. Es ist ja nicht ganz einfach, den Faden zu behalten, wenn es unmöglich ist, überhaupt in der Weise zu reden, auf die sonst jeder Parlamentarier und vor allen Dingen wohl der Chef einer Regierung im Parlament Anspruch hätte. (Lebhafte Zustimmung.)
Ich wollte im Anschluß an das, was ich bisher ausgeführt habe, über die Frage des Reichsausnahmezustandes sprechen. Mir ist auch von Parteien der Arbeitsgemeinschaft die Frage vorgelegt worden, ob der Reichsausnahmezustand nicht in denjenigen Teilen, in denen Ruhe herrsche, durch den zivilen Ausnahmezustand oder, wie ich hinzu⸗ fügen möchte, durch eine Aufhebung des Reichsausnahmezustandes selbst ersetzt werden könne. Ich darf auch hier auf die Entwicklung der Dinge hinweisen. Die Verhängung des Reichsausnahmezustandes erfolgte im Einverständnis mit allen Parteien der großen Koalition und dem preußischen Staatsministerium. (Hört, hört! bei den Kommunisten.) Sie erfolgte damals aus guten Gründen, wie ich auch bereits festgestellt habe, nämlich um zunächst von vornherein im Anschluß an die bayerischen Vorgänge etwa erfolgende Uebergriffe in Norddeutschland im Keime ersticken zu können. (Sehr richtig! in der Mitte.) Im Charakter des Ausnahmezustandes liegt, daß er begrenzt ist; er ist eigentlich dazu da, um aufgehoben zu werden und Ausnahme zu bleiben. Auf der Konferenz der Ministerpraͤsidenten habe ich die Erklärung abgegeben, daß die Reichsregierung den Reichs⸗ ausnahmezustand aufheben würde, sobald sich die Verhältnisse beruhigt
hätten. Man sagt nun heute, seikdem sei aber eine lan 8
8 — ge Zeit vergangen, und seitdem sei in dieser Beziehung nichts geschehen Die Vorgänge des 9 November haben doch wohl das eine gezeigt, daß es unrichtig gewesen wäre von dem Reichsausnahmezustand abzugehen (Sehr richtig! in der Mitte. — Zuruf von den Kommunisten; Was ist denn geschehen in Bayern?) — Daß in Norddeutschland nichts geschehen ist, das ist vielleicht mit die Wirkung des Reichsausnahme⸗ zustandes gewesen. (Sehr wahr! in der Mitte.) Sie (zu den Kommunisten) stellen Ihre Frage falsch.
Ich darf ein Zweites sagen: Sowohl in bezug auf die Erregung von links wie von der äußersten Rechten ist das Bestehen des Reichs⸗ ausnahmezustandes doch wohl als eine Verstopfung der Quelle der Erregung anzusehen, und der Reichsausnahmezustand mußte, solange die Dinge sich nicht selbst gesetzt hatten, auch aufrechterhalten werden. Ich habe mit dem Herrn Reichspräsidenten erneut die Frage geprüft, ob in absehbarer Zeit, in kurzer Zeit die Aufhebung oder Ersetzung des Ausnahmezustandes erfolgen könne. Dies kann meiner Meinun⸗ nach aber nur in den Gebieten geschehen, in denen⸗tatsächlich Ruhe herrscht und die Gewähr gegeben ist, daß diese Ruhe nicht erneut gestört wird. (Sehr richtig! in der Mitte.) Es kann nicht allgemein geschehen, sondern nur partiell. Ich halte daran fest sowohl gegen⸗ über der Kritik von links wie von rechts; denn ein Antrag, den Reichsausnahmezustand aufzuheben, ist ja auch von deutschnationaler Seite gestellt worden. (Hört, hört! in der Mitte.) Es wird sich darum handeln, da, wo tatsächlich ruhige Verhältnisse gewesen sind und bis heute sind und wo vielfach das Bestehen des Ausnahme⸗ zustandes auch zu Divergenzen zwischen Zivilbehörden und Militär⸗ behörden geführt hat, den Ausnahmezustand aufzuheben, ihn aber da bestehen zu lassen, wo die Verhältnisse ganz labil sind und wo man auch damit rechnen muß, daß Explosionen erfolgen können.
Meine Damen und Herren! Ich wende mich nun den wirt⸗ schaftlichen Fragen zu: Man hat gegen die Reichsregierung den Vor⸗ wurf erhoben, daß viel zu spät von ihr die Vorlage wertbeständigen Geldes erfolgt wäre. Der Herr Reichsfinanzminister Hilferding ist ja vielen Vorwürfen ausgesetzt gewesen, und ich bin nicht in der Lage, ihn in allen dem zu decken, was er getan hat. Aber ein Argument von ihm ist durchaus richtig. Er hat wiederholt darauf hingewiesen, daß es notwendig sei, mit der Ausgabe wertbeständigen Geldes doch mindestens so lange zu zögern, bis die allergrößten Ausgaben, die ins besetzte Gebiet gingen, zum Beispiel bis zur Zeit, wo der passive Widerstand fortdauerte, ihr Ende gefunden hätten (sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten), und zwar aus dem Grunde, weil sonft bei einer starken Belastung der Reichsausgaben die Wertbeständigkeit dieses Geldes sich gar nicht hätte halten lassen können. Man war also nach dieser Richtung durchaus gezwungen, sogar in gewisser Beziehung zu zögern.
Wenn man sagt, die Technik habe versagt, man verstehe über⸗ haupt nicht, daß die Note nicht wenigstens zur richtigen Zeit da ge⸗ wesen wäre, so darf ich Ihnen das eine sagen: als Laie in diesen Fragen habe ich diese Vorwürfe innerlich geteilt, und ich kenne bis heute nicht die tatsächliche Begründung für die Verzögerung, habe aber eines jetzt bei den Verhandlungen mit den Vertretern aus den besetzten Gebieten gesehen: daß es da, wo nicht die Regierung die Sache in die Hand hat, sondern die Banken, die dort solche Dinge zu meistern verstehen, sich mit der Frage der Errichtung einer Gold⸗ notenbank in Köln befaßt haben, ebenfalls erklärt worden ist, daß zwei oder drei Monate vergehen würden, ehe die erste Goldnote in den Verkehr gebracht werden könnte. (Sehr richtig!l im Zentrum.,
Wir haben jetzt zwei Aufgaben vor uns: das ist einmal die Aufrechterhaltung der Parität der Rentenmark, das ist die ganze Umstellung des Budgets und der Zahlungen auf wertbeständiges Geld, das ist die Bilanzierung des Budgets, das ist, wenn die Löhne und Gehälter auf Goldmark oder Rentenmark gestellt werden, andererseits auch ein Einfluß auf die Preise durch das Kartellgesetz, das im Wirtschaftsministerium vorliegt und das Hand in Hand mit dem Arbeitszeitgesetz gehen muß, das hoffentlich in einer ganz kurzen Zeit verabschiedet werden kann, da sonst ein modus procedendi gesucht werden müßte, der die Möglichkeit gibt, die Zeit auszufüllen, bis die parlamentarische Erledigung des Gesetzes erfolgt ist. Wir haben in allen diesen Dingen auch keinen Tag mehr zu verlieren. (Zustimmung in der Mitte und rechts.) Wir müssen diese Dinge nach allen diesen Richtungen hin zusammen vornehmen.
Meine Damen und Herren, ich habe vorhin darauf hingewiesen, alle diese Fragen können vielleicht von uns allein nicht gelöst werden, wenn das Reich nicht auch von anderer Seite, vom Auslande her, unterstützt wird. Der Herr Abgeordnete Hergt hat das zum Anlaß genommen, hier einige Ausführungen zu machen, die ich bedauere, indem er davon gesprochen hat, daß immer, wenn eine Kabinettskrise wäre, in der „Vossischen Zeitung“ oder anderswo Mitteilungen ständen, die davon sprächen, daß Deutschland ausländische Kredite angeboten seien. Ich habe nichts in der „Vossischen Zeitung“ über diese Dinge einst gelesen. Das aber, was jetzt vorgegangen ist, liegt doch auf ganz anderem Gebiete. All das, was in der Presse von Verhandlungen mit einigen namentlich genannten amerikanischen Finanziers über amerikanische Weizenkredite usw. steht, ist offiziell an die deutsche Reichsregierung nicht herangetreten. Es handelt sich um das Angebot von ausländischen Finanzleuten, übermittelt durch den Vorsitzenden des Reichsgrundbesitzerverbandes an den Reichs⸗ kanzler, uns einen Währungskredit von mindestens einer Milliarde Goldmark zur Verfügung zu stellen, und die Aufforderung an uns, darüber in Verhandlungen einzutreten. Daß dieses Angebot die Klausel enthält, dieser Kredit werde der gegenwärtigen Reichsregierung gegeben, ist aicht von der Reichsregierung veranlaßt worden. Ich bedauere aber das eine, daß das langsame Fortschreiten dieser Ver⸗ handlungen, von denen die ausländische Seite gehofft hatte, daß sie bis zum heutigen Donnerstag fertig sein könnten, sich dadurch erklärte, daß die von mir wiederholt verlangte Erklärung, daß ich die Gewähr für die Stabilität der Regierung geben solle, selbstverständlich von mir nicht gegeben werden konnte. (Hört! hört! in der Mitte.) Ich stehe mit derselben Gruppe in Verhandlungen über Kredite für Lebensmittel, ich stehe in Verhandlungen über Kredite für industrielle Rohstoffe. Wenn Sie, Herr Abgeordneter Hergt, der Meinung sind, daß bei uns eine Rechtsentwicklung wie in Italien und anderwärts einen sehr guten Eindruck machen würde, so muß ich Sie auf das eine hinweisen: in jenen Kreisen, auf die es hier ankommt 8 man kann sie so oder so einschätzen —, ist jedenfalls eine Rechtsentwicklung die am wenigsten wünschenswerte Grundlage für den Fortgang einer solchen Verhandlung. (Hört! hört! bei den Deutschen Demokraten.
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Zweite
Berlin, Freitag, den 23. November
2 Beita ge “ 8 ganzeiger und Preußischen Staatsanzeiger
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(Fortsetzung aus der Ersten Beilage.)
st ganz selbstverständlich, daß auch im Falle eines Sturzes des binetts es die Aufgabe derjenigen Mitglieder des Kabinetts ist, diese Beziehungen haben — ich halte das für ganz selbstverständ⸗ das alleräußerste zu tun, um zu veranlassen, daß diese Offerte 2 der anderen Regierung gemacht wird. Gegenwärtig aber besteht er Zustand, den ich dargelegt habe. Diese Verhältnisse sind es vesen, die es uns nicht möglich gemacht haben, bisher bei diesen gen weiterzukommen. Andere Verhandlungen irgend welcher Art kenne ich nicht; andere thandlungen sind uns amtlich nicht bekannt. Ich erwähne das chalb, weil ganz abstruse Mitteilungen über eine ganze Reihe von zelangeboten in die Presse gekommen sind, die angeblich an uns angt sein sollen. (Zuruf von den Deutschnationalen.) — Ich glaube, er Abgeordneter Hergt, daß das Plenum des Reichstags im Anfang her Verhandlungen wohl nicht der richtige Ort ist, um über Einzel⸗ iten solcher Angebote und Verhandlungen zu sprechen. (Lebhafte stimmung in der Mitte.) Sie haben es übrigens sehr einfach, sich rüber Auskunft zu holen; Sie brauchen sich nur mit denjenigen rren in Verbindung zu setzen, die die Träger der Uebermittelung ser Offerte gewesen sind. Ich darf Ihnen das eine sagen: ob dieser eg des Kredits wegen der Rentenmark, der von der anderen Seite reschlagen worden ist, gegangen werden kann, oder andere Garantien geben werden, ist eine andere Frage. Die Kreise des Reichsgrund⸗ ttzerverbandes haben sich mit dieser Frage zu beschäftigen. Wenn ne Möglichkeit bestände, solche Verhandlungen zum glücklichen Ab⸗ luß zu bringen — diese oder andere —, so wäre das aus dem Grunde inschenswert, weil nämlich in der deutschen Oeffentlichkeit leider eder, unterstützt durch ausländische Spekulation, Kräfte vorhanden nd, die sich bemühen, die Rentenmark in irgendeine Bewegung neinzubringen, die vielleicht irgend jemand wieder Inflationsgewinne bglich macht. Wir müssen eine starke Fundierung haben. Das, as uns hier zur Verfügung steht, wird für die notwendigsten Reichs⸗ bürfnisse sehr knapp werden, und hier komme ich auf das zurück, as ich vorhin sagte, daß eine Ergänzung dieser Dinge gerade durch bländische Kredite hier als eine Notwendigkeit erscheint, um eine ternde Hebung der deutschen Wirtschaft sicherzustellen. Wir müssen er den Appell an diejenigen richten, die sich der Bedeutung Deutsch⸗ ids für die Stabilität der Weltwirtschaft bewußt sind, sich auch grußt zu sein, daß es unsere Kräfte übersteigt, das noch allein für die nuer zu tun nach all dem, was man aus dem deutschen Volke heraus⸗ preßt hat seit diesem Frieden, der nichts anderes gewesen ist als eFortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln gegenüber Deutsch⸗ id. (Lebhafte Zustimmung.) In die Debatte über Wirtschafts⸗ und Finanzfragen ist auch die ltische Reichsbank hineingezogen worden. Ich habe hier, als ich etzt als Abgeordneter sprach, schon einmal zum Ausdruck gebracht, b das Verhältnis der Autonomie der Reichsbank gegenüber der ichsregierung eine Anomalie der Verhältnisse schafft dann, wenn ht auf beiden Seiten „das gleiche Zielstreben, der gleiche Wille teht. Es hat vielleicht nicht an dem gleichen Zielstreben, an dem ichen Willen gefehlt; aber vielleicht war auch hier eine Diskrepanz ischen den stürmenden Ereignissen des Tages auf der einen Seite d einer mehr konservativen Grundrichtung auf der anderen Seite, sich an all die Erscheinungen des Währungsverfalls nicht gewöhnen unte. Hat das zu Differenzen auch mit dem Leiter der Reichsbank ührt, so stehe ich doch nicht an, hier das eine zu erklären, daß mit in Tode von Exzellenz Havenstein eine Beamtenlaufbahn ihr Ende funden hatte, die nichts anderes als selbstlose Hingabe an den Staat dan die Pflicht gewesen ist. (Lebhafte Zustimmung.) Das werden ch alle diejenigen dankbar in Erinnerung behalten und anerkennen, in Einzelheiten der Auffassung nicht übereinstimmten; und auch in sen Einzelheiten der Auffassung glaubte derjenige, der sie vertrat, t Zähigkeit und Festigkeit den von ihm zu schützenden Interessen nes Instituts und den von ihm zu schützenden Interessen des Reiches dienen. Ihm den Dank hierfür auszusprechen, glaube ich auch an eser Stelle mir nicht versagen zu können. (Lebhafte Bravo⸗Rufe.)
Meine Herren, gestatten Sie mir, auf die Frage der inneren plitik einzugehen. Der Herr Abgeordnete Hergt hat gestern am chluß seiner Ausführungen — und nicht nur am Schluß, sondern entlich von Anfang an bis zum Schluß seiner Ausführungen — klärt: die Politik des Kanzlers hat Schiffbruch erlitten, der Erfinder d der Fanatiker des Gedankens der großen Koalition muß mit ihr hen und fallen. Er hat in diesem Zusammenhang von der Ver⸗ auensfrage gesprochen und sich stark auf parlamentarisches Denken gestellt, das ja diese Vertrauensfrage in sich schließt. Meine erren, ich habe nicht die Absicht, dieser Auseinandersetzung irgendwie
szuweichen. Lassen Sie mich hier mit zwei Gedanken mich aus⸗
nendersetzen: dem parlamentarischen und dem außerparlamentarischen danken der großen Koalition.
Ich habe kürzlich auch aus den Kreisen der eigenen Partei den at gehört: die Romantik des Gedankens der Volksgemeinschaft ist sgetrꝛumt. Was ist denn eigentlich der Gedanke dieser Volks⸗ meinschaft? Was ist denn die tiefste Quelle aller Krisen, in denen ir in Deutschland stehen, die durch eine Politik der Volksgemein⸗ haft überwunden werden sollten? Es ist der verlorene Krieg und er verlorene Friedew! Wir sind jetzt erst eigentlich in die Liquidation 88 verlorenen Krieges eingetreten. (Sehr richtig! bei den Vereinigten kozialdemokraten und bei den Deutschen Demokraten.) Wir haben s jahrelang über die Folgen des verlorenen Krieges getäuscht (sehr fahr!), und wir sehen jetzt mit einem Male all diese Folgen in koßer Furchtharkeit vor uns. (Sehr wahr!) Die Politik Frank⸗ ichs, so wie sie bisher geführt worden ist, will das junge werdende d wachsende Volk dieses neuen Deutschlands für ewige Zeiten zu vondiensten verurteilen. Demgegenüber gibt es nur eine Waffe: es ist die Solidarität des deutschen Volkes. (Lebhafte Zustimmung.) es ist das einzige große Aktivum der inneren und Außenpolitik, das ne ohnmächtige Regierung, wie es die deutsche Regierung ist, über⸗ aupt hat. (Sehr richtig') Das war der Sinn der Volksgemein⸗ 98 (Burufe von den Kommunisten.) — Ach, Sie haben sch ja nie
Esd der Volksgemeinschaft bekannt! Sie haben ihn
s 88 WWWW ZEI1I1I1
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ja zerstört nach jeder Richtung hin. (Widerspruch und Lärm bei den Kommunisten.)
Meine Herren, wenn jemals dieser Gedanke aufgegeben würde, wenn er ersetzt würde durch den Gedanken des Kampfes zwischen zwei Richtungen. die ihrerseits erst im Innern bis zum Weißbluten kämpfen wollen, ehe sie sich wieder die Hände reichen, dann können dazwischen Ereigniisse eintreten, bei denen sie schwere Verluste dadurch erleiden, daß sie eine Solidarität des deutschen Volkes nicht haben. “ Zustimmung.)
Z ist der eine große Gedanke der Volksgemeinschaft. Nichts Romantisches, obwohl ich darauf hinweisen möchte, e. d.e horst Friedrich Wilhelm III. eine sehr gute Antwort gegeben hat. Als er zuerst den großen Gedanken der allgemeinen und der freiwilligen Wehwflicht in einer Note an den König hingeschrieben hat, hat dieser ihm auch erwidert: als Poesie gut. Und Scharnhorst hat ihm ge- antwortet es seien nicht immer die stehenden Heere gewesen, die Thron und Altar gestützt hätten, sondern es wären die großen ideellen Quellen der Liebe und des Freiheitsehnens des Volkes gewesen. (Sehr richtig!) So ist auch diese Romantik vielleicht manchmal das Reale, wie die⸗ jenigen sich überhaupt täuschen, die glauben, daß sie an diesen ideellen Quellen vorübergehen können, nur daß wir die Ideale in anderer Weise sehen, als sie Herr Hergt seinerseits sieht.
Nun darf ich das eine sagen. Wenn er mich schon als den Er⸗ finder und Fanatiker dieses Gedankens hinstellt, so würde ich es nicht als Beleidigung ansehen, wenn es so wäre. Aber diese Abhebung auf mich ist doch auch in einer gewissen Absicht erfolgt. Da möchte ich doch darauf himweisen, daß in den Tagen, in denen man sich in den wie in allen Parteien zunächst etwas wild zusammengekommenen Massen der Deutschen Volkspartei darauf besann, was einen denn einen sollte und was man für die Zukunft denn niederlegen wollte, dieser Gedanke der Volksgemeinschaft einer der großen Gesichtspunkte des Leipziger Programms der Deutschen Volkspartei schon damals ge⸗ wesen ist. (Sehr wahr! bei der Deutschen Volkspartei.) Ich glaube, die Deutsche Volkspartei würde sich selbst aufgeben und ihrer Be⸗ stimmung untren werden, wenn sie eine Rückentwicklung mitmachen wollte, die etwa dahin führen wollte, wieder grundsätzlich zwischen nationalen und antinationalen Parteien zu unterscheiden und damit irgendwie nach dieser Richtung hin Differenzierungen herbeizuführen. (Sehr wahr!) Nicht Restauration und nicht Gegenrevolution, son⸗ dern Evolution und Zusammenführung, das müssen die Grundgedanken der großen Richtlinien der Politik sein. (Sehr richtig! in der Mitte.)
Seien wir uns doch über das eine klar: eine machtpolitische Lösung ist auch im Innern auf die Dauer nicht möglich. Sie kann zeitweilig möglich sein, aber nicht auf die Dauer. Sie haben kaum irgendwo sonst ein Land, das so zerklüftet ist durch politische, wirtschaftliche und soziale Gegensätze. Nur in einer Ueberbrückung dieser Gegensätze kann dauernd die Gesundung liegen. (Zustimmung in der Mitte.)
Wie weit sich dieses parlamentarisch auswirkt, das ist eine Frage, die zeitweilig verschieden beantwortet werden wird. Die große Koalition war nicht Selbstzweck, aber sie war doch auch mehr als nur irgend ein taktisches Manöver. Wenn sie zusammengebrochen ist, was ich bedauere —, wobei ich mich übrigens in Uebereinstimmung befinde mit Herrn v. Kahr, der seinerseits das Bedauern aussprach, als er die neue Regierung als bayerischer Ministerpräsident bildete, daß es ihm nicht gelungen sei, die Sozialdemokraten zur Mitwirkung
zu gewinnen (Heiterkeit), so bin ich doch nicht der Meinung, daß die
Idee einer Zusammenfassung dieser Kräfte überall und in allen Parlamenten sich nun gleichmäßig schematisch auswirken mußte. Des⸗ halb braucht man diese Idee nicht aufzugeben, wenn andere parlamen⸗ tarische Konstellationen kommen, sei es, das der einzelne dabei in der Regierung, sei es, daß er wieder im Parlamente wirkt.
Es wundert mich, daß heute die Angriffe gegen den Gedanken von Seiten kommen, die damals vielfach zugestimmt haben, als der Ge⸗ danke parlamentarisch seine Verwirklichung fand. Am 28. August schrieb die „Deutsche Allgemeine Zeitung“:
Viele kritisieren die Zustimmung der neuen Regierung, in die ein⸗ zutreten die Sozialdemokraten sich entschlossen haben. Blind waren, blind sind sie allemal. — Nämlich diejenigen, die das kritisieren. — Sollten wir Anstoß nehmen, daß unter den Wärtern des Reichs auch Sozialisten sind? Sollten wir uns nicht darüber freuen, daß in einem so entscheidenden schweren Augenblick Vertreter der größten Arbeiterpartei praktisch mithelfen? Für solche politische Denkart haben wir kein Verständnis. (Hört, hört! in der Mitte.) Das ist dieselbe Zeitung, die jetzt schreibt: Es muß klar entschieden werden zwischen rechts und links, es gibt keine Verkleisterung der Gegensätze. (Hört, hört!)
Ich bin der Meinung, daß dieser Gedanke, zu dem ich mich auch erneut bekenne gegenüber dem Gedanken Rechtsblock gegen Linkeblock, der einzige ist, der auch einen Auseinanderfall des Reiches auf die Dauer verhindern kann.
Damit wende ich mich den parlamentarischen Verhältnissen zu. Da ist manche Kritik, die Herr Hergt geübt hat, gewiß nicht zu Un⸗ recht geübt. Er sagt, das Volk sei noch nicht reif für das parlamen⸗ tarische System. Ein gewisser Kern der Berechtigung liegt in dieser Kritik. Man kann sogar das Wort „Volk“ vielleicht noch durch andere ersetzen. (Heiterkeit.) Aber man muß sich auch über eines klar sein, daß das parlamentarische System in Deutschland alle Kinder⸗ krankheiten durchmacht, die ein völlig neues System eben in einem Lande durchzumachen hat. In diesen Krisen, in diesen Entwicklungen rächt sich eben die ganze deutsche Entwicklung seit Anfang des vorigen Jahrhunderts. (Zustimmung in der Mitte.)
Es ist ein Mann, der aus Ihren (nach rechts) Reihen hervor⸗ gegangen ist, wenn ich annehme, daß Sie sich noch zu der alten konser⸗ vativen Partei rechnen, es ist der Fürst Bülow, der seiner Zeit in seiner „Deutschen Politik“ das einmal zum Ausdruck gebracht hat, indem er sagte, daß der Schritt zum verfassungsmäßigen Leben in Deutschland in der Zeit von Stein und Hardenberg hätte gemacht werden müssen.
Die größten Männer, die Preußen und Deutschland als Staats⸗ männer wohl jemals gehabt hat, das waren die Männer, die nach dem
1923 Niedergang Preußens im Jahre 1807 gewirkt haben, und zwar deshalb, weil sie wie kein anderer in kurzer Zeit dem großen Quell ideeller Volkskräfte den Weg zum staatlichen Denken erzwangen. Sie warteten nicht, bis die Entwicklung kam, sondern sie gingen der Entwicklung voraus. Daß sie im Stich gelassen wurden, nachdem sie das neue Preußen aufgebaut hatten, das war der erste Schlag, den die Entwicklung bekam. Jedes Menschenleben ruht auf Tradition und jede Entwicklung beruht auf Tradition. Wenn der englische Parlamentarismus als Muster und Vorbild dient, so nicht, weil die Parteien, die Leiden⸗
schaften der Menschen dort andere wären, sondern weil Hunderte
von Jahren eine Tradition geschaffen haben, die als ungeschriebenes Gesetz wirklicher und lebenspendender ist als irgendwelche Form neuer geschriebener Gesetze. (Sehr richtig! in der Mitte.) Wir haben damals im Jahre 1813 diesen Fehler gemacht. Wir haben über⸗ haupt — die „Münchner Neuesten Nachrichten“ haben neulich darauf hingewiesen — in Zeiten, in denen es sich damals auch darum handelte, einen Staat aufzurichten nach einem verlorenen Kriege, Verhältnisse gehabt, die mit beinahe photographischer Treue an diese Gegenwart erinnern. Darf ich Sie daran erinnern daß es die Stände von Teltow- Storkomw — Lebus waren, die damals gegenüber Steuergesetzen des preußischen Ministerpräsidenten davon sprachen, daß der König das alte Preußen in einen modernen Judenstaat umwandeln werde wemn er sich diesem Jakobiner verschriebe. Dieser Jakobiner hieß Freiherr vom Stein und war ein Mann, der wirklich die konservativste Ge- sinnung in gutem Sinne an sich gehabt hat.
b Wir haben damals, sage ich, diese Tradition nicht schaffen können. Dann sind andere Zeiten gekommen. Wir haben Zeiten gehabt, in denen ein parlamentarisches System aus den Verhältnissem erwuchs. Da kam die zweite geschichtliche Tragik, das war der vergebliche Kampf, den Bismarck gekämpft hat, um das preußische Parlament für seine weitsichtige Außenpolitik zu gewinnen. An⸗ diesem Kampf zerschellte wieder einmal der Gedanke des Zusammen⸗ wirkens, und dann überragte die Gemalität dieses Staatsmannes die Entwicklung des Parlaments derart, daß das Parlament nicht daran dachte, sich eine andere Stellung zu schaffen und in guter Hut zu sein glaubte im Schoße der Regieruang, auch als der Mann längst gegangen war, dem dieses Vertrauen mit Recht gegeben wurde.
Und wenn nun durch Krieg und Revolution jetzt ein neues System nach westlichem Vorbild gebildet wurde, aber ohne diejenigen Hemmungen, die andere Staaten der Demokratie sich in einer zweiten Kammer gegeben haben, da mußte naturgemäß die Oeffnung aller Schleusen bei einem politisch bis dahin ziemlich unerzogenen Volke — denken Sie an die ganze Frauenwelt, die der Politik überhaupt fern stand — damit die großen außen⸗ und innenpolitischen Be⸗ lastungen mit sich bringen, bei denen es unverständlich gewesen wäre, wenn sie sich nicht auch in krisenhaften Erscheinungen ausdrücken sollten. (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.) Deshalb ist der Stab noch nicht gebrochen über die Entwicklung und Er⸗ haltung des Systems, daß es nicht auch Verbesserungen durchaus fähig ist. Jedenfalls soll man etwas — ich sage nicht das Gute, das Bestehende — solange nicht aufgeben, ehe man nicht sagt, was man Besseres an die Stelle zu setzen hat. Ich glaube, daß der Bolschewismus nach russischem Muster oder der unter einer ganz anderen Sonne unter der Führung eines genialen Staatsmannes geschaffene Faschismus in Italien nicht die Vorbilder sind, die plötzlich an die Stelle dieses Systems in Deutschland treten könnten, ohne Deutschland zu zerreißen. Unser deutscher Volkskörper ist fieberkrank und verträgt nicht die Eisenbartkur eines neuen Bürger⸗ krieges. Und wer den Bürgerkrieg und das Chaos vermeiden will auch durch Konzessionen, auch gelegentlich durch Hinhalten und hin⸗ ziehende Politik, auch gelegentlich durch ein Gehenlassen der Dinge, der treibt nicht feige Kompromißpolitik, sondern verantwortliche Staatspolitik. (Sehr gut! in der Mitte.)
Nun ein Letztes. Herr Abgeordneter Hergt sprach von den lebendigen Kräften der Nation, und er sprach von seiner Einstellung zur Wirtschaft gegenüber meiner Einstellung, von seiner Einstellung zur Jugendbewegung gegenüber der meinigen. Nein, Herr Abgeordneter Hergt, nicht darin unterscheide ich mich von Ihnen, daß ich die geistige Bedeutung wirtschaftlicher Arbeit gering schätze. Ich weiß, wieviel Geistiges in dieser Technik steckt, obwohl ich Ihnen ebenso offen sage, daß, wenn die Konzern⸗ und Trustbildungen bei uns so weitergehen, die Persönlichkeiten immer geringer werden in der Wirtschaft, die Träger dieser geistigen Entwicklung sind. (Sehr gut! bei den Deutschen Demokraten.) Aber selbstverständlich liegt hier ein starkes geistiges Moment. Aber wovon wir sprechen ist ja nicht die geistige Arbeit des einzelnen, sondern es sind die Organisationen als solche, die hier eingefügt werden sollen an Stelle der Parteien.
Und wer jemals, auch in friedlichen Zeiten, Kämpfe um Handels⸗ verträge und um Handelspolitik mitgemacht und die Eingaben der Interssentenverbände gelesen hat, der weiß das Eine — hier handelt es sich um Einstellungen auf materielle Gesichtspunkte, denn die einzelnen Interessenverbände haben nicht so sehr die deutsche Wirt⸗ schaft und die Weltwirtschaft im Auge, sondern glauben, von ihrer privaten Fachgruppe aus Politik machen zu können. (Sehr richtig! bei den Vereinigten Sozialdemokraten und in der Mitte.) Wenn ich deshalb davon gesprochen habe, es stecke in den Parteien Idealismus — ich habe nicht gesagt, das Parlament sei das Symbol meiner Auf⸗ fassung von Idealismus — davon hat mich der vorgestrige Tag schon gründlich geheilt und der heutige Tag war gar nicht dazu angetan, diese Auffassung zu ändern —, so ist eins unzweifelhaft: die Parteien balanzieren wenigstens die Kräfte aus. Da steht neben dem Inter⸗ essenvertreter der Mann der freien Berufe. Da sind schließlich die⸗ jenigen, die führend sind, die Männer der großen Zusammenhänge, die versuchen, zu erkunden, wo das Staatswohl den Weg weist, und sie sind mir als Träger des Idealismus doch lieber als irgendein Auf⸗ gehen in einer wirtschaftlichen Interessenvertretung, bei der ich diese Linie durchaus vermisse. (Sehr richtig!) Wenn der parteipolitische Kampf seine Gehässigkeit zeigt — und wem hätte er sie nicht gezeigt —, so seien sie doch über das Eine klar: letzten Endes ent⸗ scheiden über das Schicksal der Parteien nicht die aktuellen Tages⸗ fragen und nicht die Magenfragen, sondern letzten Endes und auf die