1923 / 277 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 05 Dec 1923 18:00:01 GMT) scan diff

würde, das Verhältnis zwischen Reich und Ländern zu verschlechtern und nicht zu dem zu machen, das ich erstrebe. Ich möchte aber auch dringend bitten, daß die Herren, denen ich auch persön⸗ lich in jeder Beziehung nahetreten möchte auch mir gegenüber Vertrauen an den Tag legen dadurch. daß, wenn Sie irgendweeche Wünsche, sei es in amtlicher Eigenschaft, sei es ale Personen, an mich zu richten haben, dies unter allen Umständen ohne alle Umschweife

n. Ich werde Ihnen, soweit es meine schwachen Kräfte vermögen,

erzeit zur Verfuͤgung stehen, und bin bereit, jede Frage von Mann zu Mann zu behandeln im Sinne der Vaterlandsliebe und mit dem ersten Ziel, dem Reich und den Ländern Bestehen und Wohlergehen zu sichern und zu fördern. Das ist mein Vorhaben, und ich bitte Sie um Ihr Vertrauen und um Ihren kräftigen, auf Ihre reiche Erfahrung gestützten Beistand (Beifall).

Preußischer Staatssekretär Weißmann erwiderte:

Im Namen des Reichsrats begrüße ich Sie im neuen Amt und danke Ihnen für Ihre Worte. Die Länder wissen ganz genau, daß Sie nur Vaterlandeliebe veranlaßt hat, in diesem Augenblick schwerster Not die ungeheure Verantwortung ihres Amts auf sich zu laden. Ich danke Ihnen für die Worte, die Sie über das Verhältnis zwischen Reich und Ländern gesprochen haben. Es ist schon öfters zum Ausdruck gekommen, daß eine Regierung, die wirtlich etwas erreichen will, nur dann zum Ziel gelangen kann, wenn sie in vollem und innigem Zu⸗ sammenarbeiten mit den Ländern ihre Pläne ausarbeitet und ausführt. Dieses Vertrauen, daß Sie den Ländern ausgesprochen haben, erwidere ich im Namen des Reichsrats. Mit allen Kräften werden die Länder und ihre Vertretungen im Reichsrat die Reichsregierung unterstützen und die unerhörten Schwierigkeiten zu überwinden versuchen, die augenblicklich das Reich und die Länder bedrohen.

Nunmehr sollte in die Tagesordnung eingetreten werden. Da noch keine Ausschußberatung stattgefunden hat, wurde zu⸗ nächst auf Ant ag des preußischen Ministerialdirektors Meister die Oeffentlichkeit ausgeschlossen. Nach Wiederherstellung der Oefsentlichkeit wurde als. Ergebnis der vertraulichen Be⸗ ratungen mitgeteilt: Der Reicksrat ist der Meinung, daß das Ermächtigungsgesetz ein verfassungsänderndes ist, allo zu seiner Annahme im Reicherat und im Reichstag einer Zweidrittelmehrheit bedarf. Die Vorschläge der Reichsregierung werden nicht als eine hinreichende Wahrung der Interessen des Reichsrats und der Länder angesehen, aber der Reichs⸗ rat geht nicht so weit, seine Zustim mung als W jede gesetzgeberische Maßnahme der Reichsregierung unter dem Ermächti⸗ ungsgesetz zu betrachten. Die Reichsregierung hat erklärt, daß dem zersassungsartikel 67 gemäß mit den Ausschüssen des Reichsrats weiter verhandelt werden soll. Der Reichsrat verlangt aber weiter und das ist ihm zugestanden worden daß dasselbe Recht, die Aufhebung einer unter dem Ermächtigungsgesetz erlassenen Verordnung zu verlangen, das dem Reichstag zugestanden ist, auch dem Reichsrat gewährt wird. Der Absatz 2 im ersten Paragraphen des Ermächti⸗

gungsgesetzes soll entsprechend geändert werden.

. vor wenigen Tagen haben die Organisationen

waltungsbehörden und selbst der Landesregierungen auf.

nommen hat.

2 8

Vor der Abstimmung wurden verschiedene Erklärungen abgegeben:

Oberpräsident der Provinz Sachsen, Abg. Hörsing, wies auf die furchtbare Notlage hin, in die der größte Teil der Bevölke⸗ tung durch die wachsende Arbeitslosigkeit, den Wucher und die zu eringe Entlohnung geraten sei. Die Regierung Stresemann habe rotz aller Mahnungen des Reichsrats nichts Wirksames getan, um dieser Not abzuhelfen, sie habe im Gegenteil die kapitalistischen Kreise estützt, die durch Massenentlassungen von Arbeitern die Arbeitslosig⸗ seit noch vermehrt bätten. Das sogenannte Abbausystem der Regierung vergrößere noch die Not. Dagegen habe es bisher an allen durch⸗ greisenden Plänen zur produktiven Erwerbslosenfürsorge durch Schaffung von Arbeitsmöglichkeit gefehlt. Als ein übler Skandal, so heißt es weiter, muß es bezeichnet werden. daß bei vielen Entlassenen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erwerbslosenunter⸗ ützung von den Arbeitgebern nicht ausgesprochen werden. Damit werden die unglücklichen Menschen dem Hungertode überantwortet oder dem Gerängnis und Zuchthaus ausgeliefert. Gegen diesen 8528 hat die Reichsregierung nichts unternommen. Ebenso

mmungslos hat sich der Wucher mit allen Lebensmitteln und Be⸗ darfsartikeln entwickelt. Während die Arbeiter, Angestellten und Beamten höchstens 60 bis 70 Prozent des Vorkriegseinkommens haben, sind die durchschnittlich 200 Prozent über den Vorkriegspreis gesteigert worden, obgleich die Weltteuerung nur 70 Prozent beträgt. Die gegenwärtige Senkung der Preise ist nicht besserer Einsicht oder der Rentenmark, sondern dem Umstand ee daß bereits zwei Drittel der Bevölkerung ohne Kauf⸗ aft sind. Während die Gebhalts⸗ und Lohnempfänger in immer größere Not geraten, hat der Besitz, besonders der landwirtschattliche, nicht nur seinen Bestand erhalten, sondern gegenüber der Vorkriegs⸗ zeit seine Substanz vermehrt. Hat die Regierung Stresemann nichts egen diese Zustände in wirtschattlicher Beziehung unternommen, so

t sie politisch durch die Verhängung des militärischen Belagerungs⸗ zustandes einen noch trostloseren und geradezu ungesetzlichen Zustand eschaffen. Voraussetzung für die Verhänaung des Belagerungszustandes t, daß Unruhen bestehen, deren die Polizei nicht mehr Herr werden kann. So lange waren Unruhen aber nirgends außer in Bayern vorhanden, und hier griff der militärische Belagerungszustand nicht ein. Für das übrige Reich fehlt aber diese Voraussetzung, und damit besteht der Belagerungszustand gegen Gesetz und Recht. Gerade weil wir eine gesestigte Reichswehr wollen, wenden wir uns gegen ihre etzige Tätigkeit, die politisch einseitig und wirtschaftlich ohne jedes erständnis ist. Während kommunistische, sozialdemokratische und parteilose republikanische Beamte von den Reichswehrkommandeuren entfernt werden, sehen wir, daß die Reichswehr mit den ärgsten Feinden der Republik aufgefüllt wird. (Vorsitzender Minister Dr. Jarres: Ich vermag bei allem Entgegenkommen nicht ein⸗ zusehen, was diese Ausfübrüngen mit dem Ermächtigungsgesetz zu tun haen) Ich will den Wunsch aussprechen, daß diesen unhaltbaren Zuständen mit dem Ermächtigungsgesetz ein Ende gemacht weide. Noch des „Stahlbelm“ usw. mit einer Erklärung hinter den Hochverräter Ludendorff sich gestellt. Diese Organisationen sind aber nicht aufgelöst, vielmehr wird die Reichswehr mit diesen Leuten aufgefüllt und das Heer damit um seinen guten Ruf gebracht. Dem Reich kfostet dieses überflüssige xperiment zahllose Milliarden. Militärische Befehlshaber vom General bis zum Leutnant spielen sich als Vorgesetze der Ver⸗ Sie be⸗ ienen sich eines verletzenden Tones und unterrichten die Landes⸗ und Provinzialregierungen nur nachrichtlich. Auch durch wirt⸗ schaftliche Maßnahmen der Befehlshaber wird die Autorität der Tandesregierungen untergraben. Alles dies sowie die Tatsache, daß die Generale republikanisch esinnte Beamte ihrer Aemter entheben und Reaktionäre an fbee Stelle setzen, war der Streesemann⸗Regierung bekannt, ohne daß sie dagegen etwas unter⸗ 2 Wenn ich trotz alledem für das Ermächtigungsgesetz stimme, so geschieht das unter der bestimmten Voraussetzung, daß verstens die Regierung produktive Arbeitsmöglichkeit für die unendliche Zahl der Erwerbslosen schafft, zweitens beim Beamten⸗ und Behörden⸗ abbau so vorgeht, daß nicht neue Erwerbslose geschaffen werden,

drittens die Preise aller Lebensmittel und Gebrauchsartikel so herab⸗ setzt, daß die Preise sich dem Weltmartt anpassen, viertens die Bezüge

der Arbeiter, Angestellten und Beamten in ein angemessenes Verhältnis zu den Preisen des täglichen Bedarfs bringt und fünftensden innen⸗

(und außenpolitisch untragbaren militärischen Ausnahme⸗zustand sofort

beseitigt.

„Für die thüringische Regierung erklärte der Gesandte Dr.

Münzel: Die thüringische Regierung leidet schwer unter dem Aus⸗

nahmezustand. weil die militärische Gewalt sich in Verhältnisse ein⸗ mischt, die der Landesregierung vorbehalten sind. Der Militärbefehls⸗ haber hatte es sogar für notwendig gehalten, in die Regelung des Buß⸗

tages einzugreifen, obwohl dies kaum mit Gründen der öffentlichen

Entlassung zu einer war,

Didnung und Sicherheit zu rechtfertigen ist. Die Oberrealschülers in Jena wegen Zugehörigkeit die mit der Schulzucht nicht vereinbar

eines Vereinigung,

hat er zum Gegenstand von Erörterungen gemacht. Er nahm Stellung zu den Beschwerden von Gemeinden über die Ein⸗ gemeindung in größene Gemeinden. Das Vorgeben der Betehlsbaber bei den Verhastungen setzt sich über das Schutzhaftgesetz hinweg Die thüringische Regierung dat sich mwegen dieser Dinge an die Reichs⸗ regierung gewandt. Ich würde es begrüßen, wenn das Ermächtigungs⸗ gesetz den Abbau des milttärischen Ausnahmezustandes für Thüringen beschleunigen würde. Ich bin beauftragt, mich der Stimme zu ent⸗ halten, weil die Auswirkungen des Ermächtigungsgesetzes nicht zu übersehen sind und die Aufzählung der davon betroffenen Materie im Gesetze nicht enthalten ist.

Auf Antrag des preußischen Staatssekretärs Weißmann wurden die von der Provinz Sachsen und Thüringen vorge⸗ brachten Wünsche und Beschwerden einem Ausschuß überwiesen.

Landesrat Gerlach erklärte als Vertreter der preußischen Rheinprovinz: Ich kann dem Ermächtigungsgesetz nicht zustimmen. Die außenpolitischen Interessen des Reiches hindern mich diesen Standpunkt aus ührlich darzulegen Ich kann nur kurz ertlären, daß zu der Politik eines Teils der Männer, die gegenwärtig in der Reichsregierung sitzen, die weitesten Kreise der rhemischen Bevölkerung nicht das Verrrauen haben, das vorhanden sein müßte, um einem so weittragenden Gesetz die Zustimmung zu geben.

Staatsrat Dr. von Wolf erklärte: Die baverische Regierung erkennt die Notwendigkeit des Gesetzes, und will ihm nicht entgegen⸗ treten. Sie müßte aber Ganantien dagegen verlangen, daß das Er⸗ mächtigungsgesetz nicht ewwa zu einer Vergewaltigung oder zu einer erbeblichen. Schädigung der Interessen der Länder führt. Sie bat deshalb den Wunsch gehabt, daß die Verordnungen nicht erlassen werden, ohne daß die Ausschüsse des Reichsrats sich vorher eingehend mit ihnen befassen können und ohne daß der Reichsrat vorher diesen Verordnungen ausdrücklich seine Zustimmung euteilt hat. Die in der vertraulichen Beratung beschlossene Aenderung des Gesetzes bedeutet zweisellos eine Verbesserung, aber man kann darüber im Zweifel sein, ob sie ausreicht. Es ist nicht dasselbe, ob der Reichsrat den Erlaß einer Verordnung von seiner Zustimmung abhängig macht oder ob er erst nachträglich ihre Aufhebung verlangen kann. Darum muß ich mir vorbehalten, die bayerische Stimme nach⸗ träglich zu Protokoll zu geben. Oberpräsident Hörsing hat gesagt, nur in Bayern wären Unruhen vorhanden gewesen, eine näbere Be⸗ gründung dieses Vorwurfs glaubte er nicht geben zu sollen. Ich weise darauf hin, daß die Zustände, die dazu geführt haben, im Reiche den Belagerungszustand von Reichs wegen zu verhängen, in Bayern keineswe s vorhanden waren. Die Ruhe und Sicherheit der Person und des Eigentums waren und sind heute noch in Bayern absolut gemwährleistet. Wir haben vpolitische Unruhen gehabt, aber die haben nichts zu tun mit den Verhältnissen, die zu dem Belagerungszustand im Reiche geführt haben. Ich muß deshalb Verwahrung gegen die Bebauptungen des Oberpräsidenten Hörsing einlegen und bedame, daß sie in öffentlicher Sitzung ohne Begründung vorgebracht worden sind.

Nachdem noch der Vertreter der braunschweigischen Regierung sich gegen das Ermächtigungsgesetz ausgesprochen hatte, wurde die Abstimmung vorgenommen. Sie ergab die Annahme des Gesetzes mit 45 gegen 9 Stimmen, also mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit. Dagegen stimmten die Ver⸗ treter der Rheinprovinz und der Länder Sachsen und Braun⸗ schweig. Der Stimme enthielten sich die Vertreter von Thü⸗ ringen und Bayern. Die bayerische Regierung will ihre end⸗ gültige Stimmabgabe nachholen.

Deutscher Reichstag. 894. Sitzung vom 4. Dezember 1923, Nachmittags 3 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger“).)

Am Regierungstische: Reichskanzler Marx, Reichsminister des Innern Dr. Jarres, Reichsminister des Auswärtigen Dr. Stresemann, Reichswehrminister Dr. Geßler, Reichs⸗ finanzminister Dr. Luther, Reichswirtschaftsminister Hamm, Reichsjustizminister Emminger, Reichsarbeitsminister Dr. Brauns, Reichsminister für Ernährung und Land⸗ wirtschaft Graf von Kanitz, Reichspostminister Dr. Höfle.

ö Löbe eröffnet die Sitzung um 3 Uhr 25 Minuten.

uf der Tagesordnung steht als erster Punkt die Ent⸗ gegennahme einer Erklärung der Reichsregierung.

Der zwe ite Punkt der Tagesordnung, die erste und zweite Beratung des Ermächtigungsgesetzes, wird von der Tagesordnung abgesetzt; der Gesetzentwurf soll erst morgen behandelt werden.

Darauf erhält sofort der Reichskanzler Marx das Wort, der von den Kommunisten mit dem Zuruf: Handlanger des Generals von Seeckt! begrüßt wird.

Reichskanzler Dr. Marx: Meine Damen und Herren! Der Herr Präsident hat bereits die Namen der Mitglieder des neuen Kabinetts Ihnen mitgeteilt, so daß ich dieser formellen Vorstellung hier enthoben bin. Ich möchte nur noch hinzufügen, daß das Mi⸗ nisterium für die besetzten Gebiete einstweilen noch nicht besetzt worden ist. Vorläufig wird es vom Herrn Reichsminister Dr. Höfle verwaltet. Die Entscheidung über eine endgültige Besetzung des Ministeriums behalte ich mir vor.

Mit besonderem Danke habe ich es begrüßt, daß mein verehrter Vorgänger Herr Dr. Stresemann sich bereit gefunden hat, das Amt des Reichsministers für das Answärtige in meinem Kabinett zu übernehmen. (Lebhaftes Bravo rechts und in der Mitte.) Dadurch ist die Stetigkeit der auswärtigen Polilik, wie sie in so hohem Maße gerade zu unserer Zeit wünschenswert ist, gesichert. Ich spreche ihm für seine Bereit⸗ willigkeit, insbesondere aber auch für seine erfolgreiche und für das deutsche Volk bedeutungsvolle Tätigkeit als Chef des letzten Kabinetts auch von dieser Stelle aus den herzlichsten Dank aus. (Lebhafter Beifall rechts und in der Mitte. Lachen und Zurufe von der äußersten Linken.)

Diesen herzlichen Dank schulde ich auch den Herren Reichs⸗ ministern Fuchs und Koeth, die leider nicht mehr für das Kabinett gewonnen werden konnten. Herr Fuchs hat seine reichen Erfahrungen mit heimatliebendem Herzen dem schwergeprüften Rheinlande zur Ver⸗ fügung gestellt und als Minister für die besetzten Gebiete Hervor⸗ ragendes geleistet. Sein Gesundheitszustand hat es ihm nicht ge⸗ stattet, das Amt beizubehalten.

Zu meinem größten Bedauern und wohl zum größten Schaden des Deutschen Reiches und Volkes hat die durch den Be⸗ schluß des Reichstags vom 23. November hervorgerufene Krisis weit länger gedauert, als es wünschenswert gewesen wäre. Ich will nicht in den Fehler verfallen, den ich in meiner letzten Erklärung, die ich an dieser Stelle namens der Zertrumspartei abgab, gerügt habe. Ich will nicht der Versuchung unterliegen, zu untersuchen, wer die Schuld an der hinter uns liegenden Regierungskrisis zu übernehmen hat. Angesichts der traurigen, geradezu fürchter⸗ lichen politischen und finanziellen Lage unseres Vaterlandes halte ich es für die wichtigste und erste Pflicht eines jeden, der im Partei⸗ und öffentlichen Leben steht, vor allem aber auch für die Pflicht der Regierung, alles hintanzustellen, was irgendwie geeignet

3 Reden

*) Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgehobenen der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind.

1

ist, die leider schon allzu großen Gegensätze in unserem Volke zu 2

tiesen. (Zustimmung rechts und in der Mitte.) Mein Kampf geht

weder gegen rechts noch gegen links, sondern gegen alle diejenigen, die

dem deutschen Volke mit Gewalt und List das Letzte und Beste rauber wollen, was ihm noch geblieben ist: „Die Einheit den Nation.“ (Stürmische Zustimmung rechts und in der Milte Lachen und Zurufe auf der äußersten Linken.) Ich halte 3 deshalb für das zwingende Gebot der Stunde, alles zu versuchen um bestehende Gegensätze auszugleichen und das Hervortreten neuer zu vermeiden. (Wiederholte Zurufe von der äußersten Linfen) Es wäre vielleicht gut, wenn Sie (zur äußersten Linken) sich diesen Beispiel anschlössen. (Lebhafte Rufe rechts und in der Mitte; Sehr gut! Lachen auf der äußersten Linken.) Die ganze Kraß der Regierung sowohl wie der politischen Parteien muß meines Er⸗ achtens darauf gerichtet sein, unser Volk und unser Vaterland auf dem tiefen Abgrund wirtschaftlichen und finan iellen Vexfalls, in den wir durch den unglücklichen Ausgang des Weltkrieges gestürzt sing wieder herauszuheben und zu retten.

Herr Dr. Stresemann hat in seiner Rede vom 22. November unsere Lage eine geradezu trostlose genannt. Er ist deshalb von ven schiedenen Seiten kritisiert worden. Und dennoch hat er nach meiner Mei⸗ nung vollkommen richtig gesprochen. (Sehr wahr! rechts und in der Mute Das deutsche Volt in allen seinen Teilen muß und soll es wissen und immer mehr von der Ueberzeugung durchdrungen werden, daß wir mit unseren wirtschaftlichen und finanziellen Kräften tatsächlich am Enk sind (Zustimmung rechts und in der Mütte), daß vieles, was un schön und gut und wünschenswert, vielleicht sogar notwendig erscheint ja, was uns geradezu eine Herzenssache ist, dennoch zurückgestelt werden muß angesichts der verzweifelten Lage unserer Finanzen, demg Stand uns mit der Brutalität unwiderleglicher Zahlen auf de Alternative hinweist: Was ist wichtiger und wertvoller, das nackte Leben des deutschen Volkes oder eine vorläufige Befriedigung anen,

tennenswerter Bedürfnisse mit dem baldigen völligen Zusammenbruch

mit Hunger und Chaos im Gefolge?

Der Herr Finanzminister Dr. Luther hat bereits am 22. Na. vember in eingehender Darlegung den geradezu katastrophalen Stalt unserer Finanzen gekennzeichnet. Ich möchte hier nur im allgemeing

darauf verweisen und lediglich noch folgendes dazu bemerken:

In der Finanzfrage sieht sich die Reichsregierung vor eine Auß⸗ gabe von einer vielleicht in der Weltgeschichte nie dagewesene Schwierigkeit gestelt. Die Verzögerung der Regierungebildung hat unersetzliche Tage verstreichen lassen. (Hört! Hört! rechts Eine sehr wesentliche Erhöhung der Einnahmen, die planvoll von bereitet war, muß sofort mit aller Entschiedenheit und Schnelligkei in die Tat umgesetzt werden. (Zuruf von den Kommunisten) Nicht minder müssen alle bereits ergriffenen und noch zu ergreifenden Maßnahmen zur Beschränkung der Ausgaben mit einem solchen Nach⸗ druck angefaßt werden, daß alle Hindernisse rütk⸗ sichtslos überwunden werden.

Es ist außerordentlich beklagenswert, daß trotz der ununta⸗ brochenen Hinweise von Regierungsseite auf den unerhörten Ens der Finanzlage es immer noch Bevölkerungskreise gibt, die gega Steuerbelastungen und Ausgabenbeschränkungen Einwände erheba (sehr richtig! in der Mitte und rechts; Lachen bei den Kommunistag die aus dem Arsenal eines einigermaßen normalen Staatslebe

entnommen sind. Die Bevölkerung muß endlich in ihrer Gesamthel

davon durchdrungen werden, daß, wenn nicht Volk und Recch v. einen hoffnungslosen Strudel der Vernichtung versinken sollen, ie die Stunde größten Opferns gekommen ist. (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts. Lachen und Zurufe bei den Komm. Glock des Präsidenten.) Daß dabei gleichzeitig zur Ueberwindung der furcht⸗ baren Erwerbslosigkeit die Wirtschaft wieder in Gang gebracht werden muß, macht die ganze Sachlage so überaus schwierig. Die Regierung wird ihr äußerstes tun, um der Schwierigkeiten Herr zu werden (erneute Zurufe von den Komm.), kann dies aber nur, wenn sie endlich auf volles Verständnis für die ganze schwere Sachlage im Volte stößt und das scheint auch bei einigen Parteien hier im Parlamen noch immer nicht der Fall zu sein. Wiederholte lärmende Zurufe von den Komm.) Es muß jetzt begriffen werden, daß im Finanzproblem für uns die Frage über Sein od Nichtsein liegt. (Erneute lärmende Zurufe von den Komm. Glocke

Bei diesem Sachverhalt will es mir nebensächlich und üben flüssig erscheinen, hier eine längere Rede über ein Programm . halten, daß die Regierung demnächst durchzuführen beabsichtigt. Di Zeit ist für uns zu kostbar, als daß wir sie mit längeren Erört rungen zubringen dürften, wo die allgemeine Not immer dringenden ruft. Nicht Worte soll das Volk hören, sondern Taten sehen! Dan kommt, daß über die Einzelheiten der äußeren und inneren Polilik in verschiedenen Reden der letzten Regierung ausführliche Da legungen erfolgt sind. (Sehr richtig!)

Es dürfte sich erübrigen, dies jetzt nochmals zu tun, zumal, die gegenwärtige Regierung sich in ihrer grundsätzlichen Einstellm nicht von der vorigen unterscheidet. (Hört! hört! Zurufe von de Kommunisten.)

Entscheidend für das Verhalten der Regierung muß die geradek katastrophale Lage unserer Wirtschaft und unserer Finanzen sem Es ist eine Lebensfrage für Reich und Volk, hier die richtigen Mittz und Wege zu finden, die zur Rettung und Besserung führen.

Als einen solchen Weg glaubt die Regierung ein Ermächtigungt gesetz ansehen zu sollen, das ihr in ausreichendem Maße die Möglic keit gewährt, mit der durch die Zwangslage erforderten Schnelligich diejenigen Maßnahmen zu treffen, die sie nach pflichtmäßigem 6. messen und genauester Prüfung der Verhältnisse für erforderlich ut geeignet hält, das gewünschte Ziel zu erreichen. Die Regierung der Meinung, daß angesichts des ungeheuren Zwanges der Zeit lang wierige Verhandlungen im Reichstag, wie sie die Beratungen er schneidender wirtschaftlicher und finanzieller Gesetze erforde würde, nicht wünschenswert, ja geradezu unerträglich 2 scheinen. (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.) handelt sich nicht mehr um Monate oder Wochen, sondern un noch um Tage, in denen sich zeigen muß, ob es gelingt, uns vor des drohenden völligen Verfall noch im letzten Augenblick zu rettss Durch das Ermächtigungsgesetz, das bereits diesen Vormittag varn Reichsrat mit Zweidrittelmehrheit angenommen worden ist, soll A. Reichsregierung ermächtigt werden, alle Maßnahmen zu treffen, d im Hinblick auf die Not von Volk und Reich für erforderlich mn dringend erachtet werden. (Sehr gut! in der Mitte und rechts.) J. erster Linie kommen Verordnungen über steuerliche Maßnahmen ¹ Betracht, die sich im Rahmen und in der Richtung der Ausführungeg des Heirn Dr. Luther vom 22. November bewegen. (Zuruf nr den Komm.: Schonung des Besitzes!) Sie müssen diese Rede wof

(Lebhafte Rufe: Sehr wahr! 0.

*

t angehört oder nicht verstanden haben! (Heitere Zustimmung.) b auch im übrigen soll die Reichsregierung das Recht haben, stige Maßmahmen zu treffen, die nach ihrem pflichtmäßigen Er⸗ sen als dringende Forderungen der Notlage erscheinen.

Wir verkennen nicht, daß durch die Zustimmung zu einem solchen et der Reichstag auf wichtige Rechte einer demokratischen Staats⸗ assung zeitweilig wenigstens verzichtet. Wir appellieren an Vaterlandsliebe und das Pflichtgefühl der Volksvertreter, wenn sie bitten, in schwerer Zeit einer Regierung, die glaubt, auf die jimmung weiter Kreise der Volksvertretung rechnen zu dürfen⸗ ergewöhnliche Vollmachten zu geben.

Wenn ich nun noch einige Fragen berühren darf, deren Be⸗ vortung von besonderem Interesse sein dürfte, so möchte ich zchst mich zur Frage des Verhältnisses des Reichs zu den Ländern den. Es ist überaus schmerzlich, feststellen zu müssen, daß zu er Zeit, wo die Einmütigkeit aller deut chen Stämme mit Rücksicht nie Gefahren, die uns durch die Uebermacht unserer Gegner ben, wünschenswerter wäre als je zuvor, das Verhältnis schen Reich und einzelnen Ländern in vielfachen Beziehungen ge⸗ t ist. Es soll meine erste und nach Erledigung der dringendsten ren Fragen wichtigste Aufgabe sein, in kürzester Zeit, wenn nd möglich, die Klärung des Verhältnisses zwischen Reich und sdem zu versuchen und womöglich berbeizusühren. Unter selbst⸗ tändlicher Achtung der Bestimmmungen unserer Reichsverfassung dman doch in manchen Beziehungen die vielfach gewünschte Er⸗ gerung der Befugnisse der Länder zugestehen können.

Ich schließe mich in dieser Beziehung, auch was die in der hsrerfassung bereits begründeten gesetzeberischen Zuständigkeiten Reichsregierung anlangt, durchaus der Erklärung des Herrn Reichs⸗ giers Dr. Wirth an, die er in einem Briefe vom 20. August 1922 den baverischen Ministerpräsidenten Graf Lerchenfeld niedergelegt

Es heißt dort unter anderem:

Die Reichsregierung wird nicht ohne Not von den noch nicht aus⸗ eschöpsten Zuständigkeiten und soweit möglich nicht ohne Zustim⸗ ung des Reichsrats Gebrauch machen, und sie ist nicht willens, ieherige Aufgaben der Länder in die Verwaltung des Reichs durch eue Reichs⸗, Mittel⸗ oder Unterbehörden zu übernehmen.

etwa entstandene Mißverständnisse und Meinungsverschiedenheiten buräumen, scheint mir hier der Weg der Verhandlungen zwischen Regierungen des Reichs und der einzelnen Länder aussichtsreich in höchstem Maße wünschenswert. Ich beabsichtige deshalb, glichst bald in solche Verhandlungen mit den in erster Linie in racht kommenden Regierungen einzutreten.

In engster Verbindung mit dieser Frage steht dann die der Auf⸗ sung des bestehenden militärischen Ausnahmezustandes.

Wie die Vorgänge der letzten Wochen und Monate zeigen, den die schweren innen⸗ und außenpolitischen Nöte des deutschen

lkes immer wieder von verbrecherischen Elementen zur Erreichung

r politischen Ziele ausgenützt. Diese Umsturzversuche müssen von ernsthaftesten Folgen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung

Selbst an sich geringe Ruhestörungen, Ladenplünderungen usw. fen sich auf dem Gebiet der Lebeusmittelversorgung ünd Kredit⸗ ährung sofort in verhängnisvollster Weise aus. Daher ist die rechterhaltung von Ruhe und Ordnung in der nächsten Zeit von

entscheirdender Bedeutung für unsere innen⸗ und außenvpolitische

Itwicklung und die wichtigste Vorbedingung für den wirtschaftlichen

sundungsprozeß. Unter diesen Umständen ist der militärische Aus⸗ mezustand, der alle Machtfaktoren in den Händen des Reiches zentriert, zurzeit nicht zu entbehren. Wir dürfen uns keiner uschung darüber hingeben, daß die augenblickliche Ruhe im Reich entlich eine Folge des Ausnahmezustandes ist. (Sehr richtig! in

Mitte.) Der Ausnahmezustand gibt uns auch die Mittel an

Hand, um die Maßnahmen zur Sanierung der Wirtschaft - Linderung der Nöte wirksam zu unterstützen und gegen verbrecherischen Nutznießer dieser Not, gegen Wucher, Selbstsucht, us und dergl. rücksichtslos einzuschreiten. Ich weiß, daß gerade militärischen Stellen ihren ganzen Einfluß aufbieten, um die be⸗ den Teile des Landes zum Hilfswerk für die breite Masse des lkes anzuhalten. Selbstverständlich ist, daß der Ausnahmezustand em Namen entsprechend, eine Ausnahme bleiben und abgebaut werden 6, sobald es nur immer die Verhältnisse erlauben. Ich verspreche,

aller Sorgfalt den Gang der Dinge im Auge zu behalten. bbald nur irgendwie sich mir eine Veranlassung zeigt, werde ich in

e sorgfältige Prüfung darüber eintreten, ob Einschränkungen und leichterungen der bestehenden Verordnungen herbeigeführt werden nen. Selbstredend werde ich, sobald ich die Frage bejahen müßte, erforderlichen Schritte unverzüglich unternehmen.

Ihbre besondere Aufmerksamkeit und ihre tätige Fürsorge wird die e Reichsregierung den besetzten Gebietsteilen unseres Vaterlandes penden. (Lebhafter Beifall.) In vollem Einvernehmen mit den derholten Verlautbarungen der Regierungen der deutschen Länder lärt die Reichsregierung, daß sie gegenüber allen Abtrennungs⸗ üchen an der Zugehörigkeit des Rhein⸗ und Ruhrgebiets n Reich und zu den Ländern unbedingt festhält. (Lebhafter fall. Die Bevölkerung an Rhein und Ruhr, die so unend⸗ e Leiden auf sich nimmt und mit unerschütterlicher Standhaftig⸗

an ihrem Deutschtum festhält, kann sich darauf verlassen, daß wir

8 im ihren Gunsten tun werden, was nur irgendwie in der Kraft Reichs und des deutschen Volkes liegt. (Bravol! im Zentrum, der D. V. und bei den D. D.)

In erster Linie werden wir der Fürsorge unserer noch zablreichen angenen nicht vergessen. (Lebhafte Bravorufe.)

Ich glaube, mich auf diese verhältnismäßig kurzen Darlegungen bränken zu sollen. An die Volkesvertretung richte ich die herzliche 8 die dringende Bitte, sich bei der bevorstehenden Verhandlung . und allein von dem Gedanken leiten zu lassen, der die Regierung kelt: Alles Trennende soll vor der Not der Stunde zurückgestellt den! Jetzt gilt es für des Reiches und des Volkes Wohl zu eiten und zu handeln! (Lebhafter Beifall bei der D. V., im trum, bei den D. D. und bei der Bayer. Vp)

Präsident Löbe schlägt unter Hinweis auf den Beschluß des 9” enrats vor, damit die Parteien zu dem Ermächtigungsgesetz und h8 Regierungserklärung Stellung nehmen können, die Sitzung Ab sen und die Beratung auf morgen zu vertagen.

Abg. von Graefe (Deutschvölk.) fragt an, ob der in der Presse tündigte Antrag auf Aufhebung seiner Immunität eingegangen sobabee Falle würde er bitten, schon morgen seine Immunität heenh um alles klarstellen zu können, was in München vor⸗ 988 sei. Als der Abg. Traub seinerzeit auch wegen Hoch⸗ als angeklagt gewesen war, habe der Reichstag die Immunität

gehoben. Präsident Löbe: Dieser Antrag ist bei mir bisͤher nicht ein⸗ nge hl⸗Rufe lints.) 8

5„ el

6 2

Abg. von Graefe bittet den Präsidenten, dem Urs b Pressenachricht nachzugehen. Pr n rsprung der

Nächste Sitzung Mittwoch 2

Schluß 4 Uhr.

8818 Uhr: mächtigungsgesetz.

Er⸗ 8

Preußischer Landtag. 281. Sitzung vom 4. Dezember 1923, Nachmittags 3 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger*).)

Vor Eintritt in die Tagesordnung beantragt Frau Wolf⸗ stein (Komm.) sofortige Beratung des kommunistischen An⸗ trags auf Freilassung zu Unrecht verhafteter Passanten und Teilnehmer aus Anlaß der unlängst in Berlin veranstalteten kommunistischen Demonstration Da Widerspruch gegen die Beratung erhoben wird, ist der Antrag damit er⸗ edigt.

Der weitere Antrag der Kommunisten auf Beratung der kommunistischen Großen Anfrage über das Verbot giner öffent⸗ lichen Wählerversammlung, das „durch eine verrückt gewordene Militärdiktatur“ erlassen sei, erledigt sich durch den Hinweis des Präsidenten, die Anfrage würde geschäftsordnungsmäßig behandelt werden.

Das Haus tritt in die Tagesordnung ein und verabschiedet den Entwurf über die Vereinigung der Landgemeinde Rotthausen mit der Stadt Gelsenkirchen. Der Ent⸗ wurf wird angenommen mit Einfügung einer Bestimmung da⸗ hin, daß der Bürgermeister Hohoff in Rotthausen als besoldeter Beigeordneter in den Dienst der Stadt Gelsenkirchen kommt.

Hierauf tritt das Haus ein in die erste Beratung des Ge⸗ setzentwurfs, betreffend die Kirchenveffassungen der evangelischen Landeskirchen.

Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Dr. Boelitz: Meine Damen und Herren! Das Preußische Staatsministerium legt dem Landtage hbeute in der Drucksache Nr. 7266 den Ent⸗ wurf eines Gesetzes, betreffend die Kirchen, verfassungen der evangelischen Landeskirchen vor. Der Entwurf ist, wie das Staatsministerim in seinem Schreiben an den Herrn Präsidenten des Landtags auch zum Ausdruck gebracht hat⸗ außerordentlich dringlich, und ich wäre für eine beschleunigte Be⸗ handlung und Verabschiedung sehr dankbar. Der Aeltestenausschuß ist sich darüber schlüssig geworden, daß eine Generaldebatte beute nicht stattfinden soll, aber trotzdem halte ich es für meine Pflicht. diesen außerordentlich wichtigen Gesetzentwurf mit einigen einleitenden Worten diesem hohen Hause selbst vorzulegen.

Der Gesetzentwurf bringt Erörterungen und wichtige Verhand⸗ lungen zum Abschluß, die infolge der durch die Staatsumwälzung geschaffenen neuen Lage der evangelischen Landeskirchen Preußens not⸗ wendig geworden waren. Bis zur Staatsumwälzung war es so, daß der preußische König der Träger des obersten Kirchenregiments war, dem durch Gesetze und Verordnungen wichtige Befugnisse hinsichtlich der Rechtsordnung der evangelischen Landeskirche zustanden. Nach der Staatsumwälzung ist durch die Beseitigung der Monarchie eine Aenderung eingetreten. Die Kirchenverfassungen mußten die so entstandene Lücke unter allen Um⸗ ständen schließen. Das hat man empfunden, als man das Gesetz zur vorläufigen Regelung der Staatsgewalt in Preußen am 20. März 1919 schuf und einen § 5 in dieses Gesetz aufnahm, der bestimmte, daß bis zum Erlaß der künftigen Ver⸗ fassung die Rechte des Königs als des Trägers des landesherrlichen Kirchenregiments auf drei Minister evangelischen Glaubens übergehen sollten, die vom Staatsministerium dazu zu bestimmen seien. Es ist kirchlicherseits wiederholt anerkannt worden und das mag auch hier hervorgehoben werden daß diese Herren durch die Art der Führung der Geschäfte die Ueberleitung in die neuen Verhältnisse wesentlich erleichtert haben. Aber bei der Verabschiedung der Verfassung am 30. November 1920 lag die Kirchenverfassung noch nicht vor, und so mußte die Bestimmung des § 5 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Staatsgewalt in Preußen auch in die Preußische Ver⸗ fassung übernommen werden; das ist im Artikel 82 geschehen. Als ein gewisser Fortschritt gegenüber dem § 5 des Gesetzes ist diese Verfassungsbestimmung insofern zu verzeichnen, als hier anerkannt ist, daß es in erster Linie eine kirchliche Angelegenheit sei, die Frage zu regeln, wer zur Ausübung des obersten Kirchenregiments berufen sein

oll. Es ist ersichtlich, daß so die Bestimmung des Artikels 82 nur eine provisorische Bedeutung hat. Sie ist inzwischen gegenstandslos geworden, da die evangelischen Kirchen die Rechte des Königs als des Trägers des landesherrlichen Kirchenregiments auf kirchliche Organe übertragen haben.

Wenn das Gesetz, das Ihnen, meine Damen und Herren, heute vorliegt, zur Annahme gelangt, ist damit eine lange Epoche in der Entwicklung der evangelischen Kirche zum Abschluß gekommen. Die nahe Verbindung der evangelischen Kirche mit dem Landesherrn, wie sie von Luther geschaffen worden ist, ist vielfach angefochten worden, es ist auch ohne weiteres zuzugeben, daß diese Verbindung nicht von jedem Mangel frei gewesen ist. Sie hat in ihrer 400 jährigen Ge⸗ schichte zweifellos Schattenseiten aufzuweisen gehabt, die aus dem Staatskirchentum erwachsen sind. Es ist hier jedoch nicht der Ort, hierauf einzugehen. Trotz freimütiger Anerken⸗ nung mancher Schattenseiten, muß aber betont werden, daß die enge Verbindung der Kirche mit dem Landesherrn eine Institution gewesen ist, von der sehr viel Segen auf Land und Volk ausgegangen ist. Es wäre eine Undankbarkeit, wenn man nicht anerkennen sollte, daß die evangelische Kirche in den vier Jahrhunderten ihres Bestehens dem landesberrlichen Kirchenregiment zu großem Dank verpflichtet ist.

Es galt aber, meine Damen und Herren, nicht nur Lücken zu schließen, die durch den Fortfall des Trägers des landesherrlichen Kirchenregiments entstanden waren, sondern es wurde zugleich auch eine tief eingreifende Revision der Verfassungen der Kirchen im Hinblick des Artikels der Reichsverfassung vorgenommen.

Ich möͤchte hier einen Augenblick verweilen. Die Neuregelung.

der Kirchenverfassungen, die Ihnen vorliegen, ist in allen sieben Landeskirchen nicht durch die bisherigen obersten Synoden erfolgt, sondern diese haben nur die Wahlgesetze kür verfassunggebende Kirchenversammlungen beschlossen. Diese Wahlgesetze haben dann die staatsgesetzliche Bestätigung erhalten: die Wahlgesetze der alten Provinzen am 8. Juli 1920 und die der neuen Provinzen am 18. April 1921. Es haben dann inzwischen die verfass unggebenden Kirchen⸗ versammlungen getagt, und sie haben in der Zeit vom September 1922 bis zum März 1923 ihre Verfassungen zum Abschluß gebracht.

*) Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgehobenen Reden der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind.

Alle sieben Landeskirchen haben mir dann ihre Verfassungen mit dem Antrag vorgelegt, die zum Inkrafttreten der Kirchen⸗ verfassungenerforderlichenstaatlichen Maßnahmen zu veranlassen.

Die Kirchenverfassungen für Hannover⸗(lutherisch), für Schleswig⸗Holstein, für Hannover⸗(reformiert), für Nassau und für Frankfurt sind einstimmig angenommen worden. Die Kirchenverfassung für Hessen ist mit 64 gegen 4 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen angenommen worden und die Kirchenverfassung der Altpreußischen Union mit 126 gegen 77 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen.

Einwendungen kirchlicherseits gegen die Kirchen⸗ verfassungen sind bei den ersten sechs Landeskirchen nur gegen die Kirchenverfassung von Hessen mir bekannt geworden, und zwar sind es lutherische Kirchengemeinden und ihre Geistlichen in Marburg und Umgegend gewesen, die Einspruch bei diesem hohen Hause ein⸗ gelegt haben. Dieser Einspruch wird in dem Ausschuß mit ver⸗ handelt werden. Anders liegt es in der Kirchenverfassung der Alt⸗ preußischen Union. Es ist Ihnen bekannt, daß während der Verhand⸗ lungen und nach den Verhandlungen der Verfassunggebenden Kirchen⸗ versammlung in der Oeffentlichkeit eine lebhafte Beunruhigung ein⸗ getreten war und auch eme lebhafte Agitation einsetzte. Es waren zwei Punkte, gegen die sich vor allem diese Bewegung richtete: ein⸗ mal die Präambel und zum anderen das Wahlrecht für die Generalsynode.

Meine Damen und Herren, ich will hier auf dem Präambel⸗ streit nicht näher eingehen. Das Staatsministerium ist der Auf⸗ fassung, daß es sich bei der Präambel zunächst um eine innerkirchliche Angelegenheit handelt. (Sehr richtig! rechts.) Voraussetzung ist allerdings dabei, daß die Präambel nicht Bestandteil der Verfassung selbst ist (sehr richtig!), und daß die Präambel ein Bekenntnis⸗ vorspruch ist, dem keine gesetzliche Bindung zukommt. (Sehr richtig! rechts.)

Meine Damen und Herren, ich befinde mich hier in voller Ueber⸗ einstimmung mit dem Präsidenten der verfassunggebenden Kirchen⸗ versammlung, dem leider verstorbenen Generalsuperintendenten D. Reinhardt, unserem ehemaligen geschätzten Kollegen hier im Landtag, mit dem ich setzt vor einem Jahr hier in diesem Saale kurz vor seinem Tode mich eingehend über diese Frage unterhalten habe und der mir ausdrücklich bestätigt hat, daß unter keinen Umständen diesem Bekenntnisvorspruch eine lehrgesetzliche Bindung zukomme. Es ist von Wichtigteit, daß auch der Staatsrat hierzu Stellung ge⸗ nommen und einstimmig eine Resolution angenommen hat mit folgendem Wortlaut:

Gegenüber den Bedenken, die hinsichtlich der Verfassung der altpreußischen Union wegen des sie einleitenden Vorspruchs ge⸗ äußert worden sind, erklärt der Staatsrat ausdrücklich, daß er diesen Vorspruch nicht als einen Teil der Verfassung selbst betrachtet, insbesondere kommt ihm keine lehrgesetzliche Verbindlichkeit zu.

Ich halte es aber auch für meine Pflicht, hier ausdrücklich und bestimmt zu erklären, daß die Preußische Unterrichtsverwaltung unter keinen Umständen der Präambel für den evangelischen Religions⸗ unterricht an aller Art Schulen und für den Lehrbetrieb an den evangelischen theologischen Fakultäten irgend eine lehrgesetzliche Ver⸗ bindlichkeit zugestehen kann, Versuchen, hier einen Zwang auszuüben, wird das Preußische Ministerium für Wissenschaft Kunst und Volks⸗ bildung und werde ich persönlich niemals die Hand bieten. Be⸗ strebungen in der Lehrerschaft, die leider hervorgetreten sind und dahin gehen, den evangelischen Religionsunterricht niederzu⸗ legen, da die Präambel mit der Gewissensfreibeit nicht vereinbar sei, möchte ich mit dem Hinweis begegnen, daß für den evangelischen Religionsunterricht an aller Art Schulen lediglich die Lehrpläne sür den evangelischen Religions⸗ unterricht maßgebend sind, wie sie in den Richtlinien für die Durch⸗ führung der Grundschule vom 18. Juli 1921, in den Richtlinien für die oberen Lehrgänge der Volksschulen vom 15. Oktober 1922 und in den Lehrplänen für mittlere Schulen und höhere Schulen niedergelegt sind. Diese Lehrpläne lassen die Freiheit, die im Wesen der evan⸗ gelischen Kirche begründet liegt, und ich hoffe, daß der evangelische Religionsunterricht auch weiter im Geiste der Wahrhaftigkeit erteilt wird und daß die Lehrerschaft fortfährt, den Unterricht im Geiste der Verinnerlichung des Religionsunterrichts und im Geiste der Ver⸗ innerlichung des religiösen Lebens der Jugend zu erteilen.

Man kann hier einwenden, daß diese Lehrpläne in der Ver⸗ gangenheit abgeschlossen sind, und daß die Zukunft uns hier Ueber⸗ raschungen bringen kann. Ich hege in dieser Hinsicht keine Be⸗ fürchtungen. Erst jetzt, nachdem die Annahme der Verfassung erfolgt ist, haben wir vom Preußischen Kultusministerium die Lehrpläne für den evangelischen Religionsunterricht an der Deutschen Oberschule und der Deutschen Aufbauschule ausgearbeitet, und zwar im Be⸗ nehmen mit den kirchlichen Behörden Daß die Preußische Unter⸗ richtsverwaltung hierbei den soeben entwickelten Grundsätzen getreu geblieben ist, kann ich aufs nachdrücklichste versichern.

Zweitens hat man sich in der Oeffentlichkeit sehr stark gegen das Wahlrecht zur Generalsynode in der Verfassung der alt⸗ preußischen Union gewandt. Die Generalsynode wird nach der neuen Kirchenverfassung durch die Provinzialsynoden gewählt, die ihrerseits wieder aus den Wahlen der Gemeindekörperschaften bervorgehen. Wir haben dadurch allerdings nicht die Urwahl, wie sie vielfach erstrebt worden ist, sondern ein Siebsystem, wenn auch in gemilderter Form. Wenn nun die Generalsynode lediglich für innerkirchliche Ver⸗ hältnisse zuständig wäre, dann wäre die ganze Frage nur eine innerkirchliche Angelegenhbeit. Da sie aber gleichzeitig über die Landes⸗ kirchensteuern verfügt, stellt die Bildung der Generalsynode einen Faktor dar, an dem auch der Staat mit beteiligt ist. Ich halte es für meine Pflicht, auch von dieser Stelle aus auf die Bedenken hin⸗ zuweifen, die im Staatsrat in dieser Hinsicht zur Sprache gebracht worden sind. Man legte hier dar, daß infolge der Zusammensetzung der Generalsynode, bei der ganz besonders die Geistlichen das Ueber⸗ gewicht hätten, eine genügende Vertretung der Steuerpflichtigen nicht zum Ausdruck komme. Demgegenüber steht das Staatsministerium auf dem Standpunkt, daß die Bestimmungen über die Zusammen⸗ setzung der Generalsynode der altpreußischen Union, wie sie vorliegen, staatlicherseits zu tragen sind. Artikel 2 des vorliegenden Gesetzes sieht aber ausdrücklich vor, daß dem Staat bei Aenderung der Ver⸗ tretung ein Einspruchsrecht zusteht. Ich bin der Meinung, daß hier Sicherungen geschaffen sind, die unseres Erachtens völlig ausreichen.

Nun sind mir die Kirchenverfassungen mit dem Antrag vor⸗ gelegt worden, die nach Inkrafttreten der Kirchenverfassung erforder⸗

Maßnahmen izu veranlassen. Es war da⸗