Deutsches Reich.
Der Reichsrat hielt vorgestern eine öffeniliche Voll⸗ sitzung ab, auf deren Tagesordnung zunächst der Entwurf eines Reichspostfrnanzgesetzes stand.
Die Vorlage soll, wie der Berichterstatter der Ausschüsse Braun⸗ schweigischer Gesandter Boden, laut Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger ausführte, der Post die Möglichkeit geben, ihre ganze Wirtschaftsführung künftig freier und beweglicher nach faufmännischer Art zu gestalten. Desbalb wird das Vermögen der Post von dem üdrigen Vermögen des Reichs
spegelöst, so daß die Post in Zukunft nur sün die eigenen Ver⸗ bindlichkeiten zu haften hat. Ferner wirnd die Postverwaltung befreit von allen Hemmungen und Erschwerungen, die bieher vorbanden waren durch die Mitwirkung der übrigen Ressorts, besonders des Finanzministeriums und andererseits der gesetzgebenden Körperschaften. An dessen Stelle titt ein schnellarbeitender Verwaltungsrat Die Ausschüsse des Reichsrats haben die Vorlage grundsätzlich gebilligt. Im Interesse der Länder aber haben die Ausschüsse einige von der Regierung gebilligte Abänderungen beschlossen. Die Zahl der von dem Reichsrat in den Verwaltungsrat zu bermenden Muglieder ist von 5 auf 7 erböht worden. Die Länder, die nicht unmittelbar im Verwaltungsrat vertreten sind. haben das Recht, einen Staatskommissar zu den Plenarsitzungen des Verwaltungsrais zu entsenden. Die Länder haben serner ein Mitwirkungsrecht bei der Berufung der Wintscharts⸗ mitglieder des Verwaltungsrats. Das Gebalt des Reichspostministers bleibt im Reichshausbalt steben und unterliegt weiterbin der ver⸗ fassungemäßigen Beschzußfassung durch Reichsrat und Reichstag. Die Wirtschaft ist im Verwaltungsrat mit neun Mitgliedern. also mit über einem Drittel der Gesamtbeit vertreten. Der Berichterstatter hob hervor, daß die ganze Stellung der Postbeamtenschaft im Rahmen der Vorlage völlig unberührt bleibt Die darüöber laut gewordenen Be⸗ fürchtungen seien unbegründet Die Regierungsvorlage hatte vorgeschlagen, daß die aus den Staatsverträgen mit Bavern und Württemberg ber. rührenden Verpflichtungen des Reichs bis zum Inkrafttreten dieses Ge⸗ setzes also bis zum 1 April d. J, getilgt werden soll e.. Die Aus⸗ schüsse haben stan dessen nur beschlossen, daß die Verpflichtungen aus den Verträgen unberührt bleiben und die Reichsregierng ermächtigt wird, von sich aus Vereinbarungen mit den Ländem zu treffen. Diese Vereinbarungen bedürfen der Zustimmung des Reichsrats und des Reichstags. Bayern und Württemberg Ueßen erklären daß sie gegen die ganze Vorlage stimmen würden, da es nicht gelungen sei, die angestrebte Verständigung mit der Reichsposwerwaltung über die Sicherstellung der vertragsmäßigen bayerischen und württembergischen Rechte herbeizuführen.
In der Spezialberatung wurde von der Vollversammlung ein im Ausschuß abgelehnter, für die Vollversammlung wieder⸗ holter Antrag Preußens mit 34 gegen 32 Stimmen an⸗ genommen, der dahin geht, statt des Reichspostministers in der Vorlage einen „Generalpostmeister“ einzustellen. Hiergegen wandte sich entschieden die Regierung, die sogar eine eventuelle Zurückziehung der Vorlage infolge dieses Beschlusses in Aus⸗ sicht stellte. Eine weitere Differenz mit der Regierung ergab sich aus einem Beschluß der Ausschüsse, wonach der Reichspost⸗ minister nicht allein, sondern nur mit Zustimmug des Reichsrats gegen einen Beschluß des Verwaltungsrats an die Reichsregierung appellieren darf. Die Vollversammlung hielt diesen Ausschuß⸗ beschluß aufrecht und verwarf einen anderweiten Vorschlag der Regierung, der nunmehr jedenfalls als besondere Regie⸗ rungsvorlage eingebracht werden wird. In der Gesamt⸗ abstimmung wurde die Vorlage gegen die Stimmen von Bayern und Württemberg angenommen.
Hierauf beschäftigte sich der Reichsrat mit dem Gesetz⸗ entwurf über die Ausprägung neuer Reichssilber⸗
Ver Weretzenrwuarr wur— e” Werte von 1, 2, 3 und 5 ℳ vor; zunächst soll em Betrag von
300 Millionen ausgegeven werden. Die öffentlichen K.
) 1 „ werden. assen d Reichs und der Länder müssen jeden Benag in diesen ö annehmen, während die Annahmepflicht für den übrigen Verkehr auf den Betrag von 20 Goldmark beschränkt bleibt. Der Vertreter der eere bat sich mit der Vorlage einverstanden erklärt. Die Be⸗ e daß durch die Ausprägung neuer Reichssilbermünzen eine neue 8 ation berbeigeführt werden könnte, wurden durch eme Er⸗ läͤrung der Reichsregierung entkräftet, die, wie folgt, zu Protokoll gegeben „murde: „Das zurzeit noch umlaufende Not⸗ geld wird mit möglichster Beschleunigung ans dem Verkehr ge⸗ zogen werden. Der Reichsminister der Finanzen wird dem Reichsrat jeden Monat den in den Verkehr gegebenen Betrag an Silbermünzen b5 den Betrag der aus dem Verkehr zurückgezogenen Zahlungsmittel e e und, wenn der Reicherat nach dieser jeweiligen Bekannt⸗ gabe Bedenken gegen die weitere Ausgabe der Silbermünzen erhebt, diese Ausgabe einstellen und nur nach Einvernehmen mit dem Reichs⸗ rat wieder aumehmen.“ Die Aueschüsse haben an der Vorlage noch die Aenderung vergenommen, daß das Mischungsverbältnis gesetzlich jentgelegt wird, und zwar sollen es 500 Teile Silber und 500 Teile Kupfer sein. Zunächst sollen so viel Münzen geprägt werden, daß auf den Kopf der Bevölkerung fünf Mark entfallen. Im Laufe der
Zeit soll diese Summe mit Zustin ß Mark erhöht werden. 2 nmung des Reichsrats auf zehn
Die Vollversammlung erklärte mit 1 beschlüssen einverstanden. sich den Ausschuß⸗
Die in der vorigen Sitzung an die Ausschüsse zurück⸗ verwiesenen Durchführungsbestim mungen ese zgüc⸗ mögenssteuer wurden nunmehr endgültig angenowmen. Die preußische Staatsregierung, die ursprünglich dem bayerischen Antrag auf Erhöhung der Abschläge für Grundstücke zuge⸗ stimmt hatte, hat ihren Standpunkt geändert. Von den deehechen, gkonagen saeh, 88... auch der Vertreter
en ablehnenden Erklärungen 8 3 Schleswig⸗Holstein und Hannover an. 11“
In einer heute um 6 ½ Uhr stattfindenden Vollsitzung wir In ein zung wird sich der Reichsrat mit der Vorlage über die Golddesrogtbant beschäftigen. Außerdem ist dem Reichsrat noch eine Vorlage e zugegangen, wonach eae auf
ücke ohne Eintragung in das ( 2 genommen werden können.
Deutscher Reichstag. 407. Sitzung vom 7. März 1924. 3 Nachtrag. 8 3
9.
. DDie Rede, die der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft Graf Kanitz in der fortgesetzten aügemeinen Aussprache über den Notetat gehalten hat, lautet nach dem vorliegenden Stenogramm, wie folgt:
Meine Damen und Herren! Nachdem in den letzten Tagen von den Rednern dieses Hauses wohl fast alle wirtschaftlichen und politischen Probleme ziemlich erschöpfend behandelt worden sind, nachdem einige Redner sich auch mit dem Ernährungsgebiet und der
heutigen Agrarkriese ausführlich beschäftigt haben, erscheint es mir unerläßlich, auch meinerseits zu diesem Gebiet, das ja von mir besonders betreut wird, einige Ausführungen zu machen
Der Rückblick auf das letzte halbe Jahr, soweit es sich um die Ernährung handelt, zeigt uns wohl ziemlich deutlich, daß wir über diesen Hungerwinter schlecht und recht, gewissermaßen mit einem blauen Auge, davongekommen sind. Die schlimmsten Monate waren ja die Monate Oktober und November des vorigen Jahres. Damals fehlte jede Möglichkeit, die einheimische Ernte zu mobilisieren, weil es nicht nur keine wertbeständigen Zahlungsmittel gab, sondern weil auch wertunbeständige Zahlungsmittel auf dem Lande nicht in genügender Masse umliefen. Wir waren deshalb, vor allen Dingen was Getreide betraf,. in den Monaten Oktober und November fast ausschließlich auf Auslandsversorgung angewiesen. Wir haben von der Hand in den Mund gelebt. Als ich Ende Oktober mein heutiges Amt übernahm, lastete eine furchtbare Verantwortung auf mir, und ich möchte diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne meinen treuen Mitarbeitern, die, ohne sich an Dienststunden zu halten, im Interesse des Volkes fieberhaft gearbeitet haben, meinen herzlichsten Dank auszusprechen.
Meine Damen und Herren, Ende November, Anfang Dezember kamen wir dann von den letzten Zuckungen der Inflation zur Sanierung, zur Rentenmark. Diese Sanierungskrise, in der wir heute leben, hat ja ganz ohne Zweifel eine große Entlastung auf dem Ernährungsgebiet gebracht, wenn auch noch immer Hundert⸗ tausende hungern und Hunderttausende Deutsche fast ausschließlich von der Liebestätigkeit des Auslandes und Inlandes leben. Ich möchte an dieser Stelle der weitherzigen Liebestätigkeit des Aus⸗ landes, vor allen Dingen auch der großen Hilfstätigkeit des Papstes, gedenken (sehr gut! im Zentrum); ich möchte aber auch der Liebes⸗ tätigkeit des Inlandes gedenken. Was die inländische Wirtschaft an Liebestätigkeit geleistet hat, muß objektiv anerkannt werden. (Lebhafte Zustimmung rechts, im Zentrum und bei den Deutschen Demokraten.) Von der Landwirtschaft kann ich nur so viel sagen, daß nach den Berechnungen, die in meinem Amt aufvestellt worden sind, im vorigen Jahre durchschnittlich allmonatlich 4200 Tonnen Lebensmittel von der Reichsbahn gratis als Liebesgaben befördert wurden. (Hört, hört! und erneuter Beifall.) Das sind Lebensmittel für 1,2 Millionen Kinder. Das war aber nur der geringste Teil; denn der überwiegende Teil der Liebesgaben, die vom Land in die Stadt gehen, wird ja direkt per Axe hineingefahren. (Sehr wahr!) Ich glaube, daß es doch nötig ist, diese Dinge einmal ganz offen zu sagen, weil leider im Inlande über diese ganze Sache mehr oder weniger polemisch agitiert wird. (Sehr wahr! rechts, im Zentrum und bei den Deutschen Demokraten.)
Wir stehen nun heute am Begim einer Agrarkrise, von der, wie ich fürchte, die deutschen Verbraucher in absehbarer Zeit sehr empfindlich berührt sein werden. (Wiederholte lebhafte Zu⸗ stimmung.) Es ist meine Pflicht als Leiter des Reichsressorts, welches die deutschen Ernährungsfragen zu betreuen hat, gerade die Verbraucherkreise und auch sämtliche politischen Parteien auf diese Gefahr hinzuweisen. Der Entspannung auf dem Ernährungsgebiet, die sicherlich noch lange nicht das Ideal gebracht hat, steht nun eine kolossale Spannung auf dem Gebiete des Nährstandes, bei der Landwirtschaft, gegenüber. Jeder Deutsche, der verantwortlich an die Lösung der großen Lebensfragen unseres Volks herangeht, darf an diesen Dingen nicht vorüberehen.
leidet. Der eine ist der Steuerdruck Meine Damen und Herren, ich will dem Herrn Reichsfinanzminister nicht ins Geschäft pfuschen, er hat über diese Dinge gesprochen und wird vielleicht noch einmal das Wort ergreifen. Eins steht fest, und das ist im übrigen auch die Meinung des Herren Reichsfinanzministers, daß der der⸗ zeitige Steuerdruck nur ganz vorübergehend trag⸗ bar ist (sehr richtig! in der Mitte und bei der Deutschen Volkspartei), und daß er für die Landwirte, die leichte und mittlere Böden bearbeiten, schon jetzt schier unerträglich ist. (Sehr richtig! in der Mitter und bei der Deutschen Volkspartei. — Zuruf von den Vereinigten Sozialdemokraten: Die Arbeiter können Steuer zahlen! — Gegen⸗ rufe in der Mitte und rechts.) — Meine Damen und Herren, ich habe heute nicht über den Steuerdruck zu sprechen, der auf der Arbeiterschaft lastet, sondern ich habe über die Emährung zu sprechen. — Die land⸗ wirtschaftlichen Betriebe, die nicht durch industrielle Nebenbetriebe besonders gute Einnahmen haben, sind heute in der Tat in einer verzweifelten Lage, weil sie illiquid, weil sie zahlungsunfähig sind. (Sehr richtig! im Zentrum und rechts.) Dieser Steuerdruck ist auf die Dauer untragbar, weil er, wenn er sehr lange fortgesetzt wird, nicht nur die Produktionsmöglichkeiten der Landwirtschaft automatisch zerstören muß, sondern, weil er auch die Ernährung des Volkes in große Gefahren bringt. (Sehr wahr! im Zentrum und bei der Deutschen Volkspartei.) Der Herr Reichsfinanzminister verschließt sich keineswegs dieser Einsicht.
Ich möchte die prinzipielle Frage der Steueraufbringung vom Standpunkt der Landwirtschaft aus gesehen noch Fsee bun be⸗ leuchten und auch meinerseits betonen, weshalb die Landwirtschaft heute, kurz vor Torschluß nicht den Kopf verlieren darf. Die Basis für den Wiederaufbau Deutschlands, also auch für das Bestehen der deutschen Wirtschaft und der deutschen Landwirtschaft ist und bleibt eine gesunde Währung. Die Voraussetzung für diese gesunde Währung ist nun einmal, mag man darüber denken wie man will, das Balancieren des Etats von Reich und Ländern. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei.) Wenn nicht zur Balancierung dieses Etats die notwendigen Steuern eingehen, nach⸗ dem wir vorderhand leider keine Auslandskredite haben, dann muß die Rentenmark ins Schlittern kommen. (Sehr richtig! im Zentrum.) Denn das Reich müßte natürlich, falls die Steuern nicht eingehen, um seinen Etat zu balancieren, die Lücken ausfüllen, indem es nach neuen Zahlungsmitteln sucht, und das bedeutet dann unweigerlich die neue Inflation. Die Landwirtschaft steht nun also vor der sehr brutalen und unangenehmen Gewissensfrage, ob sie die Renten⸗ mark, die sie selbst geschaffen hat, durch neue Opfer halten will oder nicht.
Die ganze Wirtschaft muß heute fast unerträgliche Steuern tragen. Die Wirtschaft muß sie so lange tragen und aufbringen, bis die Erleichterung kommt, die ich persönlich und wohl auch der größte Teil des deutschen Volkes durch die neue Goldkreditbank kommen sieht. Meine Damen und Herren! Es sind gestern von einer Seite des Hauses etwas abfällige Bemerkungen über die Goldkreditbank gemacht worden. Ich möchte mich diesen Bemerkungen nicht ganz
anschließen. (Hört, hört! in der Mitte.) Die Rentenbank allein kann 8
die Kreditansprüche der Wirtschaft nicht befriedigen. (Sehr richtigl bei den Deutschen Demokraten.) Wir müssen also dankbar sein, wenn auf irgendwelchen Wegen die Möglichkeit geschaffen wird. Kredite zu bekommen, und nicht nur Kredite, die sich gewissermaßen in der Wirt⸗ schaft verkrümeln sondern die durch ein Institut verteilt werden und die durch einen weiteren Ausbau dieses Institutes auch letzten Endes die Wirtschaft so beleben daß wir mit Recht an die Gründung eigener Goldnoten gehen können.
Wirtschaftskredite, die wir durch die neue Goldbank, die zuerst wohl eine Kreditbank oder Diskontbank sein wird erhoffen, haben für die Landwirtschaft folgende unbestreitbare Vorteile: einmal wird durch diese Kredite die gesamte Wirtschaft und vor allen Dingen die Industrie wieder in die Lage versetzt, mit vollem Betriebe zu arbeiten. Dadurch wird die Steuerkvaft der Industrie automatisch gehoben und die Steuern, die in ihrem heutigen Umfange so besonders schwer die Landwirtschaft drücken, weil ein großer Teil der Industrie, vor allen Dingen der Industrie des besetzten Gebietes wegen der dortigen lokalen Hemmungen durch die Besatzung gar nicht in der Lage ist, die Steuewerpflichtung zu erfüllen. Also einmal die Belebung der Wirtschaft durch Kredite und dadurch die Instandsetzung der Industrie, voll zu arbeiten und ihre Produkte wieder billiger abzugeben. Zweitens werden durch die Ankurbelung der Wirtschaft automatisch die Ge⸗ hälter und Löhne gesteigert, die Kaufkraft des deutschen Volkes nimmt wieder zu. Die Landwirtschaft ist also un⸗ mittelbar an der möglichst baldigen Schaffung eines solchen Gold⸗ institutes interessiert. (Zuruf rechts: Vier Fragen!) Vier Fragen werden mir vorgelegt, das sind die vier Fragen der Interpellation Roesicke Ich wollte eigentlich auf die vier Fragen im einzelnen erst eingehen, sobald diese Interpellation begründet wird. Ich kann aber auch schon vorher darauf eingehen.
Meine Damen und Herren! Wir sind nach menschlichem Er⸗ messen, wenn wir nicht alle Hoffnung aufgeben — und das dürfen wir nicht tun —, kurz vor dem Ziele einer wirtschaftlichen Erleichterung. Die Landwirtschaft und die ganze Wirtschaft darf vor diesem Ziele nicht den Kopf verlieren Ich möchte die heutige Wirtschaftslage mit einem Rade vergleichen, das mit einer ins Rasende gesteigerten Umdrehungszahl läuft. Alles, was nicht niet⸗ und nagelfest ist, wird durch die zentrifugale Kraft abgestoßen. Das ist ungefähr das Bild der heutigen Wirtschaft. Daß bei diesem sehr brutalen Operationsprozeß sicherlich der eine oder andere schwache Betrieb gestört, sogar beinahe zerstört wird, vielleicht kopfüber geht, das ist eine brutale Tatsache, die offen ausgesprochen werden muß. Ich glaube, daß keine Regierungskoalition, mag sie links oder rechts gerichtet sein, mag sie diktatorisch oder verfassungsmäßig regieren, einen humaneren Ausweg aus diesem eirculus vitiosus finden kann (Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei.)
Es ist sicherlich nicht populär, solche Dinge zu sagen Aber sie verlieren dadurch, daß man sie nicht sagt, doch nicht an Wirklichkeits⸗ wert; sie sind nun einmal da. Diese furchtbare Gesundungskrise, unter der heute gerade auch die Landwirtschaft besonders leidet, ist ja nichts weiter als der Uebergang von der Scheinblüte, von der Inflation zur normalen Wirtschaft. (Sehr richtig!)
Die Landwirtschaft wird sagen: „das ist ja ein verflucht magerer Trost, kannst Du denn gar nichts dafür tun, daß wenigstens der Steuerdruck etwas nachläßt?“ — Ja, da kann ich nur wiederum sagen, und die Führer der Landwirtschaft werden mir darin, zum min⸗ desten unter vier Augen, recht geben. (Hört, hört! und Zuruf links: Sie
vx, ir zu Benen 9u v.een Heite-Fei¹.) — Das ift gar nicht boshaft gemeint, meine Herren, Sie (nach links) geben ja auch unter vier Augen manches zu, was Sie coram publico nicht sagen. (Er⸗ neute Heiterkeit.) — Also da kann ich wiederum nur sagen: wir müssa die allernächste Zeit mit zusammengebissenen Zähnen durchhalten Wit müssen uns irgendwie durchlavieren. Ganz besonders bequeme Aus⸗ wege für die nächsten Wochen und Monate kann ich nicht versprechen. Wenn ich es täte, würde ich lügen.
Das meinem Rassort zufallende Maß des Einflusses auf die Steuergesetzgebung werde ich dazu benutzen, um den Uebergangs⸗ und Notstandscharakter der derzeitigen Steuern zum Aus⸗ druck zu bringen. Bei der Veranlagung und Bewertung der Steuern für die Landwirtschaft müssen natürlich ortskundige und beruflich erfahrene Männer hinzugezogen werden (Zustimmung rechts und in der Mitte), bei den Schätzungen und Durchschnittsbewertungen muß selbstverständlich dem derzeitigen Tiefstand der Produktion Rechnumg getragen werden. (Zustimmung rechts und in der Mitte.) Bei der Bemessung der Wertabschläge gegenüber der Vorkriegszeit erscheimt es mir — und darin stimme ich vollkommen mit den übrigen Mit⸗ gliedern des Reichskabinetts überem — unerläßlich, den starken Rückgang des Ertragswertes und des gemeinen Wertes zu berück⸗ sichtigen. (Zustimmung.) Wir sehen seit einigen Monaten zum ersten Male, daß der gemeine Wert zum Teil sogar unter den Ertragswert heruntergeht. (Hört, hört! bei der Deutschen Volkspartei.) Das ist ein böses Warnungszeichen, das zeigt, daß die kauflustige Welt kein Fiduzit mehr auf die Landwirtschaft hat. (Zuruf von den Deutsch⸗ nationalen: Nicht unter den gemeinen Wert, unter den früheren gemeinen Wert!) Selbstverständlich. Von dem gemeinen Wert der Inflationszeit spreche ich nicht, denn den kann ich beim besten Willen nicht feststellen. (Zuruf von den Deutschnationalen: Aus der Vor⸗ kriegszeit!) Selbstverständlich. Das ist doch der einzig mögliche Faktor für die Wertbemessung. Ich sagte im übrigen, daß der ge⸗ meine, also der Verkaufswert, zeitweite unter den Ertragswert heruntergeht. (Sehr richtig!)
Bei der Einreihung der Wirtschaftsbetriebe in die einzelnen Ertragsklassen muß selbstverständlich — das sage ich ganz offen — mehr als bisher den örtlichen Ertragsverhältnissen Rechnung getragen werden. Man darf da nicht verallgemeinern. Nach Ueber⸗
ferner unerläßlich, daß auch wieder das landwirtschaftliche Betriebs⸗ jahr, das ja vom Kalenderjahr abweicht, als Grundlage für die steuerliche Veranlagung in Rechnung gezogen wird. (Sehr richtig! in der Mitte.) Ebenso müssen wir auch wieder auf einen mehr⸗ zährigen Ertragsdurchschnitt kommen, der ja schließlich die einzige Grundlage für eine gerechte Bewertung in ruhigen, normalen Zeiten ist. (Sehr richtig!)
Der Komplex dieser Steuerfragen, unter denen die Landwirt⸗ schaft heute natürlich ganz besonders leidet, muß auch von meinem Ressort sorgfältig im Auge behalten werden. Nun wird von den Seiten, die sich nicht all zu viel mit landwirtschaftlichen Dingen den Kopf zerbrechen, immer betont: es wäre gar nicht so schlimm mit der Agrarkrise, denn die Landwirtschaft wäre ja völlig entschuldet.
Ich gebe diese Entschuldung bis zu der Grenze des Faktors der
werden. (Sehr gut! rechts.)
windung der Folgewirkungen der Inflationszeit erscheint es mit
cbigen Hypothekenaufwertung völlig zu. Dieser Entschuldung steht aber auf der anderen Seite die geradezu katastrophale Herabminderung bes Wertes gegenüber (sehr richtig), eine Herabminderung des Ertrags nd des gemeinen Wertes, den man wohl durchschnittlich mit 50 bis 80 % nicht zu hoch anschlägt. (Zuruf von den Vereinigten Sozial⸗ demokraten: Auch beim Boden?) — Herr Abgeordneter Schmidt Cöpenick) [Sog.], Sie sind doch selber Landwirt, Sie wissen doch ganz genau, daß Substanz nur so lange ein Wertbegriff ist, als die Substanz Werte schafft. Es hat gar keinen Sinn, vom Wert der Substanz zu sprechen, wenn überhaupt gar keine Nachfrage gach der Substanz, wenn auch gar nicht einmal die Möglichkeit der geleihung vorliegt. (Sehr richtig!) *
Von den Steuerfragen wende ich mich nun zu der wichtigsten Frage, der Kr editfrage. Früher stand für den Kapitalbedarf der Landwirtschaft das auf mehrere Milliarden einzuschätzende Kapital der landwirtschaftlichen Genossenschaften zur Verfügung. Der Aus⸗ gleich zwischen Geldangebot und Geldnachfrage vollzog sich eigentlich automatisch und ohne daß man viel davon merkte. Wir hatten im Frieden die Selbstfinanzierung der Genossen⸗ schaften. Diese Selbstfinanzierung ist heute zerschlagen, da die Depositengelder verschwunden sind. (Sehr richtig! rechts.) Der ganze Kreditansturm richtet sich nunmehr gegen die Reichs⸗ und gegen die Rentenbank. Die Wünsche werden immer lauter, daß die Renten⸗ bankkredite gar nicht mehr über die Reichsbank vermittelt werden, sondern direkt den landwirtschaftlichen Genossenschaften zugeführt — Meine Damen und Herren, das ist ficherlich ein berechtigter Wunsch, es scheint mir aber — ich lasse mich gerne belehren — mit Rücksicht auf die einheitliche Diskontpolitik der Reichsbank und mit Rücksicht darauf, daß die Rentenbank gar keinen eigenen Kreditverteilungsapparat hat, zurzeit kaum möglich, die Reichsbank auszuschalten. Eins ist aber klar: Wir sehen heute ein geradezu widersinniges Bild, daß nämlich der Kredit, den die Reichs⸗ hank zu 10 % von den Rentenbank vermittelt, erst zu einem ganz unerhörten Zinssatz an den Kreditnehmer kommt. (Sehr wahr!) Ich halte mich für verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß die Zustände mit den Debetzinsen, mit den Bankkonditionen so nicht weiter⸗ gehen können.
Der genossenschaftliche Kredit vollzieht sich im allgemeinen bekanntlich durch drei der Reichsbank nachgeschaltete Zwischen instanzen. Die erste ist die Preußische Zentralgenossenschaftskasse, die den Kredit auf die Länder und Provinzen verteilt; dann kommen als zweite Instanz die provinziellen Hauptgenossenschaftskassen, und als letzte Instanz die örtlichen Verbandskassen. Diese drei nachgeschalteten Instanzen nahmen zum Teil bis vor kurzem vier, sechs bis acht Prozent nur für den Durchlauf des Kredits. (Hört hört! — Zuruf: Jede einzelne?) — Jede einzelne! Ich habe selbst vor kurzem in vielen Einzelfällen festgestellt, daß es dem Landwirt nicht möglich war, unter 24 bis 30 % Kredit zu bekommen. (Zuruf links: Warum duldet denn das die Regierung? — Warum ist das denm nicht längst beseitigt?) — Darauf komme ich noch zu sprechen. Die Landwirtschaft hatte selbst einen Teil Schuld daran, indem sie nicht genügend auf ihre Genossenschaftskassen drückte. Die Industrie ist da viel weiter voran. Sie ist durch die mit ihnen liierten Banken und ihre Auslands⸗ beziehungen immerhin besser in der Lage, auf die Bankkonditionen
m drücken, als die Landwirtschaft, die leider ihre Genossenschaften —
das möchte ich ganz offen betonen — nicht immer in der nötigen Weise am Zügel hält. Es ist die Pflicht der Landwirtschaft, wenn sie leben will, erst einmal dem Zinsgebaren der Genossenschaften auf die Finger zu sehen. Es ist auf diesem Wege schon viel geschehen, gber noch nicht genug. Nach meiner Meinung ist es auf die Dauer ganz ausgeschlossen, daß die Landwirtschaft bei einem Reichsbank⸗
diskont von 10 % überhaupt in der Lage ist, für den Kredit mehr
als 12 % zu zahlen Es muß möglich sein, daß die Zinsspannen der nachgeschalteten Banken oder Kassen allmählich wieder auf ein Minimum wie im Frieden herabgehen. (Zuruf von den Deutsch⸗ nationalen: Die Reichsbank muß vorangehen!) — Ja, meine Damen und Herren auf die Reichsbankpolitik habe ich persönlich nun wirklich keinen Einfluß. Bitte, bringen Sie doch ein neues Reichsbankgesetz ein! Sie wissen ganz genau, daß die Reichsbank autonom ist, und Sie haben es doch selbst immer gewünscht. Ich kann doch höchstens in freundschaftlichen Besprechungen mit dem Reichsbankpräsidenten auf dieses oder jenes hinweisen. Und der Reichsbankpräsident weiß davon, daß das recht oft geschieht, ein, glaube ich, ein recht umfang⸗ reiches Lied zu singen. Ich möchte deshalb die Mahnung und die Bitte an die Landwirtschaft richten, den Ursprung für die Kreditnot und vor allen Dingen für die hypertrophierte Zinspolitik nicht nur in der Reichsregierung zu suchen, sondern dafür Sorge dazu tragen, daß die Genossenschaften nicht ehwa versuchen, die entschwundenen Depositengelder durch allzu hohe Debetzinsen wieder langsam auf⸗ zuholen. Dann müssen die Genossenschaftskassen wie alle Banken den durch die Inflation berechtigterweise hypertrophierten Ver⸗ waltungsapparat erheblich abbauen. (Sehr richtig!) Die Banken in Berlin haben im vorigen Jahre aufgestockt; sie müßten eigentlich alle abstocken. (Zustimmung.) Und die Genossenschaftskassen müssen sich auch mit ihre Verwaltungsapparat auf die Armut ihrer Kunden einstellen, also auch abbauen. (Sehr gut!) Ich glaube, daß das zum mindesten auch ein Faktor sein würde, um die Debetzinsen der Zwischenstellen erheblich zu verringern. (Zuruf rechts: Sie haben doch keine Depots!) — Selbstverständlich haben sie keine Depots. Aber es ist doch unmöglich, Herr Abgeordneter Schiele, daß man versucht, durch allzu hoch gespannte Debetzinsen die ver⸗ loren gegangenen Depots wieder einzusparen. Das ist doch wirtschaft⸗
1 lich unmöglicht Auch die Banken und Genossenschaftskassen müssen
jetzt versuchen, die schlimme Zeit zu überstehen. Es wird ja auch mal nach menschlicher Berechnung die Zeit kommen, wo wieder gans langsam Depoteinzahlungen eifolgen werden. Ich möchte ferner die Landwirtschaft bitten, sich mit ihren grundsätzlichen Forderungen nach Kreditgewährung etwas mehr als bisher an ihre Mitglieder im Ver⸗ waltungsrat der Rentenbank zu wenden. 50 % der Mitglieder des Verwaltungsrats besteht aus Landwirten. (Sehr richtig!)
Es ist mir in letzter Zeit vorgeworfen worden, daß ich mich nicht genügend um diese Dinge bekümmerte. Ich habe mich, weiß der Himmel, genug davum gekümmert und habe im Monat Dezember keinen Tag vorbeigehen lassen, wo ich nicht versucht habe, direkt und
indirekt auf eine schnelle Hergabe der Rentenbankkredite hinzuwirken.
Es ist mir aber nicht frühzeitig genug gelungen, weil Reichsbank und Rentenbank, sicherlich auch verständlich, sich nicht gleich über die Diskontpolitik einigen konnten. (Abg. Dr. Helfferich: Warum gibt man die Kredite nicht direkt den Genossenschaften2) — Wenn das möglich ist, Herr Dr. Helfferich, dann halte ich es für richtigt, daß wir uns einmal darüber zusammensetzen. Bisher hat die Reichsbank
diese Möglichkeit abgelehnt, und die Rentenbank hat, soviel ich weiß, selbst die Verantwortung nicht übernehmen wollen, weil sie eben nicht den kreditverteilenden Apparat hat. Wir müssen uns doch darüber klar sein, daß, so grotesk es klingt, die Stabilität der Rentenmark zum Teil leider dadurch gehalten wird, weil die Renten⸗ markkredite so sehr verknappt sind. (Zuruf: Dazu ist sie nicht da!) — Sie ist sicherlich nicht dazu da. Aber die Rentenbank allein kann überhaupt das Kreditbedürfnis der ganzen Wirtschaft nicht befriedigen. Sie kann nur immer ein Uebergangsfaktor sein. (Sehr richtig!) Ich wäre dankbar, wenn die programmatischen Erklärungen, die der Herr Reichsbankpräsident in den letzten Wochen über Kredit⸗ erleichterungen gemacht hat, sich recht bald nach unten, auch bei den provinziellen Reichsbankstellen durchsetzten. Auf diesem Gebiete fehlt es noch vielerorts. Selbstverständlich ist die Kreditfrage noch lange nicht gelöst. Aber sie scheint mir doch zum mindesten auf dem Wege der Erleichterung zu sein. Die Preußenkasse hat jetzt in den Be⸗ ratungen, bei denen ich und mein Amt beteiligt war, zugestanden daß sie zusammen mit ihren nachgeschalteten zwei Instanzen nicht mehr als 6 Prozent Zinsen nehmen will. Das würde also für einen Rentenmarkkredit immer noch einen Zins von 16 Prozent bedeuten. (Hört hört! rechts.) Das ist natürlich auch noch viel zu hoch. (Sehr richtig! rechts.) Im Frieden sahen wir doch, daß die Landwirtschaft sich durchschnittlich mit drei bis vier Prozent ihres Wertes verzinste Es ist also ein Unding, wenn man von ihr verlangt, daß sie Kredite mit sechzehn Prozent, mit dem vierfachen Betrage ihrer Friedens⸗ verzinsung, verzinsen soll.
Meine Damen und Herren, ein gewisses Zeichen der Erleich⸗ terung und Besserung sehen wir darin, daß in den letzten Wochen ein erhebliches Anwachsen der Abnahme von künstlichen Dünger ein⸗ gesetzt hat. Der künstliche Dünger, vor allen Dingen Stickstoff, ist im Monat Februar zu hundert Prozent mehr abgenommen worden als im Monat Januar. Dabei sind es, wie man von vornherein geneigt wäre anzunehmen, nicht nur Abnehmer aus den Teilen der kaufkräftigen Landwirtschaft, wie z. B. die Zuckerrüben bauenden Land⸗ wirte, sondern die vermehrte Abnahme des künstlichen Düngers ver⸗ teilt sich zu gleichen Teilen auf Genossenschaften und Handel. Da nun die Genossenschaften hauptsächlich die kleineren Landwirte ver⸗ sopgen, und die großen Landwirte, die Zuckerrübenbau und ähnliche Dinge betreiben, sich nur teilweise der Genossenschaften bedienen, so darf man wohl sagen, daß Gott sei Dank auch der kleinere Besitzer
wieder anfängt künstlichen Dünger abzunehmen. Ich erkenne gern
an, daß dies ein sehr dankenswerter Wagemut ist, der seinesgleichen sucht; demn die Preisgestaltung der landwirtschaftlichen Produkte rechtfertigt ja zurzeit ein solches Risiko nicht.
In der Kreditfrage wird erst dann die große Erleichterung kommen, wenn das Realkreditgeschäft wieder in Gang kommt. Die Vorbedingungen für den Realkredit, für die hypothe⸗ karische Belastung der Landwirtschaft, die wir ja — so unsinnig das klingen muß — herbeiwünschen, sind jetzt in größere Nähe gerückt, nachdem die Hypotheken aufgewertet sind, also Klarheit in die Belastungsverhältnisse gebracht ist. (Sehr richtig!)
In den letzten Wochen ist nun seitens der Landwirtschaft in der Oeffentlichkeit mehrfach der Wunsch hervorgetreten — auch gerade von dem deutschnationalen Abgeordneten Schiele —, durch Korn⸗ zertifikate eine Erleichterung für die Landwirtschaft zu schaffen. Die Sache ist ungefähr folgendermaßen gedacht. Die Landwirte sollen für die kommende Ernte Gutscheine, Zertifikate, an das Stickstoff⸗ syndikat geben, und auf Grund dieser Zertifikate sall das Stickstoff⸗ syndikat ihnen unter einer normalen Relation von Getreide zu Stick⸗ stoff Stickstoffdünger zur Verfügung stellen. Das Stickstoffsyndikat läßt sich diese Zertifikate von der Reichs⸗ oder Rentenbank diskon⸗ tieren. Diese Zertifikate sollen dann am 1. Oktober, nachdem die neue Ernte wirksam geworden ist, von der Landwirtschaft zurückgezahlt werden. Dieser Plan ist sicherlich sehr bestechend. Seine Ausführung scheitert vorläufig daran, daß die Reichsbank — was vom Stand⸗ punkt der Reichsbank nicht ganz unverständlich ist — sich dagegen wehrt, das Getreide auf dem Halm zu beleihen, weil das immerhin eine unsichere Sache ist, und die Reichsbank sich als Zentralkredit⸗ institut und Zentralwährungsinstitut statutenmäßig auf solche Experimente nicht einlassen darf. Gerade über diese Dinge wird jedoch jetzt mit der Reichsbank verhandelt. Die Reichsbank hat es bekanntlich bisher auch abgelehnt, die Roggenrentenbriefe mit mehr als zu 40 Prozent des Kurswertes zu beleihen, und zwar aus ähnlichen Gründen Ich hoffe, daß auf dem Gebiete der Beleihung von Zerti⸗ fikaten in irgendwelcher Form ein Fortschritt erzielt werden kann. Wir müssen uns aber darüber klar sein, daß die Kreditdecke für die ganze deutsche Wirtschaft vorläufig noch immer viel zu kurz ist. (Abg. Malke [D. Nat.]: Wie ist es mit den 45 Tagen? Die Fristen sind zu kurz bei einem Zinssatz von einem halben Prozent pro Tag!) — Beim Stickstoff? (Abg. Malke: Nein, überhaupt!) — Das kann eigentlich nur ein Einzelfall sein, der allerdings unerhört ist. Aber vielleicht sind Sie so freundlich, Herr Abgeordneter Malke, mir nach⸗ her Ihr Material zu geben. Ich bin gern bereit, im Laufe der Debatte noch einmal darauf zurückzukommen. Die Reichsbank gibt jetzt grundsätzlich Dreimonatswechsel für die Landwirtschaft, und sie hat sich bereit erklärt, diese Wechsel zweimal zu prolongieren, so daß also Neunmonatswechsel herauskommen.
Ich komme jetzt zum dritten Punkt, dem Mißverhältnis zwischen Erzeugerpreisenund Verbraucherpreisen. Wir müssen heute leider ein ganz groteskes Mißverhältnis zwischen den landwirtschaftlichen Erzeugerpreisen und den Verbraucherpreisen einerseits, und zwischen den landwirtschaftlichen Erzeugerpreisen und den Peisen für landwirtschaftliche Produktionsmittel feststellen. Die Ursachen sind ja wohl allbekannt; ich brauche mich deshalb nur ganz kurz damit zu befassen. Wegen des Steuerdrucks ist die Landwirtschaft gezwungen gewesen, ihre Ernte viel früher und viel schneller auf den Markt zu werfen, als es rationell ist, ja sie hat sogar zum Teil ihre Betriebsmittel direkt verschleudern müssen.
Der Tiefstand der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise rührt auch daher, daß der einzelne Landwirt als Verkäufer seiner Produkte ziemlich isoliert dasteht, während die übrige Wirtschaft, vor allem die Industrie ihm in Kartellen und Zweckverbänden geschlossen gegenübersteht. Die Preise für die Industrieprodukte werden doch fast ausschließlich von den Kartellen unter Berücksichtigung der sicherlich berechtigten Lebensbedingungen der Werke festgesetzt. Ein weiterer Grund für den Rückgang der landwirtschaftlichen Erzeuger⸗ preise zum Teil weit unter dem Friedensstand liegt in der absolut wahllosen Ueberschwemmung Deutschlands mit aus⸗ ländischen Nahrungsmitteln. (Sehr richtig! rechts und in der Mitte.) Ich werde darauf noch kurz zurückkommen. Die mangelnde Kaufkraft
der Verbraucher frägt natürlich auch dazu bei, auf den Naeis der landwirtschaftlichen Produkte zu drücken. Leider süd die Preise für Betriebsmuttel, überhaupt für die Produktionsmittel, noch nicht in eine erträgliche Relation zu den Preisen für landwirtschaftliche Pro⸗ dukte gebracht. (Sehr wahr! rechts und in der Mitte.) Das liegt
Reichsregierung, sondern die Sache ist in den Verhältnissen selbst begründet. Die Landwirtschaft wünscht mit Recht, daß auf güt⸗ lichem Wege, nicht auf dem Wege des Zwanges die Industrie angehalten wird, mit ihren Preisen für die landwirtschaftlichen Pro⸗ duktionsmittel, vor allem für die Urprodukte Eisen und Kohle herab⸗ zugehen. (Sehr wahr! links und in der Mitte.) Leider stoßen sich die Dinge im ganzen deutschen Wirtschaftsleben so eng im Raume, daß man auch berechtigte Wünsche niemals hundertprozentig durchsetzen kann. Man muß froh sein, wenn man langsam, Schritt für Schritt, weiter kommt. Wir haben ja auch, wie wir dankbar anerkennen, seit Oktober eine ganze Reihe von Preißermäßigungen bei der Industrie durchgedrückt. Gerade die Kunstdungindustrie ist in dankenswerter Weise entgegengekommen. Sie müßte aber, damit eine vernünftige Relation zwischen Getreidepreis und Kunstdungpreis herbeigeführt evg. 28 mehr entgegenkommen. Freilich ist das zurzeit sehr schwer möglich.
Die Relation gestaltet sich heute wie folgt: Im Frieden wurden ungefähr 1,60 Zentner Roggen aufgewendet, um einen Zentner schwefel⸗ sauren Ammoniak zu kaufen; heute müssen für den Zentner schwefel⸗ sauren Ammoniak ungefähr 1,80 bis 2 Zentner aufgewendet werden. (Zurufe rechts: Viel mehr!) Ich kann nur die Preise der Berliner Getreidebörse zugrunde legen; denn die Erzeugerpreise im einzelnen lassen sich schwer genau berechnen. So liegen z. B. die ostpreußlschen Erzeugerpreise weit unter den Berliner Marktpreisen, und es ist tatsächlich sehr schwer, den richtigen Erzeugerpreis zu berechnen.
Die Industie ist leider gezwungen, ihre Preise heute noch immer hoch zu halten, weil sie selbst auch unter Fesseln arbeitet. Das gilt besonders von der Siickstoffindustrie. Die Badische Anilinfabrik z B., die ja die größte Stickstoffversorgerin Deutschlands ist, gibt 10 % ihrer Produktion kostenlos an die Entente — also eine Art Micum⸗Vertrag — und 25 % ihrer Farbstofsproduktion auch kostenlos ab. (Hört, hört!) Auch die Urproduktion im Westen, Kohle und Eisen, gibt 25 bis 35 % gratis an die Entente ab, und es ist infolge⸗ dessen schlechterdings nicht zu verlangen, daß sie mit den Preisen so weit heruntergeht, wie es nötig ist und wie sie es möchte — und sie möchte es, weil sie genau weiß, daß ungefähr 70 % ihres gesamten Absatzes normalerweise unmittelbar und mittelbar von der Landwirt⸗ „schaft aufgenommen werden. Stickstoffdünger können wir heute 13 unter Friedenspreis kaufen. Das ist natürlich schon ein großes Entgegenkommen. Kali hat ungefähr auch Friedenspreis erreicht. Thomasmehl steht 10 bis 20 % über Friedenspreis, weil neun Zehntel der Produktion im besetzten Gebiet liegt. Superphosphat liegt leider noch 40 bis 50 % über Friedenspreis, weil die Rohstoffe bekanntlich aus dem Auslande bezogen werden müssen. Die rheinisch⸗westfälische Förderkohle liegt leider noch mit 60 ℳ% über Friedenspreis (hört, hört!), die oberschlesische Kohle 30 % über Friedenspreis. In diesem Zu⸗ sammenhang möchte ich doch auch von dieser Stelle aus anregen, daß die Kohlenproduktion innerhalb des unbesetzten Gebiets, die doch nicht unter Micum⸗Verträgen leidet, alles versucht, um mit den Preisen weiter herunterzugehen. (Zuruf von den Deutschnationalen⸗ Die Tarife!) — Darauf komme ist noch.
Die Reichsregierung ist sich völlig darüber klar — und ich als Landwirt ganz besonders —, welche furchtbaren Gefahren am politischen und wirtschaftlichen Horizont für Deutschland heraufsteigen, wenn die diesjährige Ernte nicht durch genügende Kunstdunggabe gesteigert wird. (Lebhafte Zustimmung.) Der Angelpunkt für alle diese Dinge liegt aber einmal in der noch sehr unzulänglichen Lösung der Kreditfrage, die eben nicht so schnell und so restlos zu lösen ist, wie man es gern möchte, dang aber auch darin — und das ist wohl die Hauptursache aller unserer Nöte —, daß das Reparationsproblem noch immer nicht bereinigt ist. (Erneute lebhafte Zustimmun
Nun ist mir von seiten der Landwirtschaft vorgeworfen worden, daß ich augenblicklich Stickstoffdünger ausführen Ueße. In den vorigen Monaten drohte die Stickstoffindustrie zum Erliegen zu kommen ssehr richtig!), weil sie keine Abnehmer im Inland hatte. Nun bin ich nicht so töricht — denn man muß sich ja bekanntlich vor seinen Freunden besonders in acht nehmen! (Heiterkeit) —, Stickstoff auszuführen, ohne vorher die Berufsvertretung der Landwirtschaft zu fragen. Das habe ich wohlweislich getan, und die Landwirtschaft, vertreten durch ihre berufenen Führer, hat sich damit bereit erklärt, daß vorerst einmal 30 000 Tonnen Stickstoff ausgeführt werden dürfen. Von diesen 30 000 Tonnen Stickstoff sind nur 5000 Tonnen ausgeführt worden, weil die Abnahme im Inlande jetzt zunimmt, und die Stickstoffindustrie würde ja sehr dumm sein, wenn sie lieber ans Ausland als ans Inland verkauft. (Sehr richtig! beim Bayerischen Bauernbund.)
Die Reichsregierung ist veranlaßt worden — und das ist der vierte Punkte der Anfrage Rösicke — dazu Stellung zu nehmen, wie sie sich zum Schutz der nationalen Arbeit und Produktion stellte. Man kanm sich darunter verschiedenes vorstellen. Einmal wünscht die Landwirtschaft, daß sie selbst als lebenswichtiger Betrieb erklärt wird. Ich persönlich möchte — das sage ich ganz offen — diese Forderung als für schwierige Zeiten sicher⸗ lich berechtigt anerkennen. (Zustimmung rechts.)
Zweitens wird ja der Schutz der landwirtschaftlichen Produktion auch noch auf anderen Wegen gefordert. Gerade die Ausführungen des Zentrumsabgeordneten Herrn Kaas haben schon recht viel gezeigt, so daß ich mich personlich ganz kurz fassen kann. Die Frage, ob ein Schutz der deutschen Landwirtschaft gegenüber der Ueberschwemmung mit Getreide und Vieh von solchen Ländern, die durch Zölle geschüht sind, tunlich sei, ist eigentlich schon im Frieden gelöst. (Sehr richtig! rechts.) Auf die Dauer jedenfalls erscheint mir das heutige System der ganz offenen Grenzen gerade im Interesse der Verbraucherschaft unhaltbar zu sein. (Sehr richtig! rechts und beim Bayerischen Bauern⸗ bund.) Wir sehen ja auch, daß es Länder gibt, die zweimal im Jahre ernten, ohne viel künstliche Düngemittel geben zu müssen, weil sie eben unter ganz besonders günstigen klimatischen und anderen Ver⸗ hältnissen also viel billiger produzieren. Daß wir augenblicklich eine unmögliche und unhaltbare Situation haben, da die Industrie Schutz⸗ zölle hat und die Landwirtschaft nicht, liegt wohl auf der Hand. (Sehr wahr! rechts, im Zentrum und beim Bayerischen B. rnbund.) Es erscheint mir widersinnig, und zum mindesten nur vorübergehend tragbar, daß die Landwirtschaft, die der Hauptabnehmer der Industris ist, nicht geschützt ist, während sie doch die durch Schutzzoll geschützten
Produkhe der Industrie kaufen muß. (Sehr richti ))
aber nicht unbedingt, wie viele annehmen, an der Saumseligkeit der
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