Präsident Wallraf: Nach der Geschäftsordnung steht es in
dem freien Ermessen des Präsidenten das Wort zur Geschäfts⸗
ordnung zu geben oder nicht. Die Meldung zur Geschäftsordnung darf sich nur auf den zur Erörterung stehenden Gegenstand be⸗ ziehen, aber nicht auf vorangegangene Gegenstände. Ich nehme an, daß Sie in diesem Sinne sprechen wollen. . 3
Abg. Scholem (Komm.): Unsere Tagung muß frei und un⸗ beeinflußt vor sich gehen. Die kommunistische Fraktion fühlt sich deshalb veranlaßt, zur Geschäftsordnung darauf aufmerksam zu
machen, daß das Haus heute unter eigenartigen Umständen tagt.
Vor Beginn der Tagung hat nämlich eine Hundertschaft Schupo die Eingänge besetzt, eine völlig kriegsmäßig ausgerüstete Hundert⸗ schaft (Beifall rechts), die aufmarschiert ist in militärischer Form und in das Haus hineingeführt wurde. (Beifall rechts.) Wir fragen, zu welchem Zweck neben der Schupobelegung, die schon an sich eine Schande für den Reichstag ist, noch eine besondere Hundertschaft aufgeboten ist. Vielleicht gedenkt man sie in Erinne⸗ rung an Herrn v. Oldenburg⸗Januschau in den Sitzungssaal ein⸗ marschieren zu lassen. Ferner machen wir dorauf aufmerksam, daß neben diesen unisomierten Schupoleuten ein Heer von Spitzeln in Tätigkeit ist, darunter etliche Galgenvogelgesichter. (Stürmische Heiterkeit rechts. Abgeordnete auf der Rechten zeigen auf den Ab⸗ geordneten Scholem. Die stürmische Heiterkeit dauert an. Glocke des Präsidenten.) Ich nehme mit Vergnügen wahr, daß die Er⸗ wähnung der draußen stehenden Galgenvögel bei einigen Mit⸗ gliedern des Hanses auf sehr große Sympathie stößt. Also es stehen draußen eine Reihe von Galgenvögeln. (Stürmische Heiter⸗ keit rechts, man zeigt dort auf Kommunisten.) Was ist der Zweck dieser Galgenvögel? Sollen sie dieses Schandparlament vor der Anwesenheit des Abgeordneten Remmele schützen? Dazu hat man sich veranlaßt gesehen, einige Dutzend dieser Achtgroschenjungen hier aufmarschieren zu lassen. Wir protestieren gegen diese Vorgänge; wir verlangen, daß der Reichstag sich dem Protest anschließt und den Präsidenten auffordert, von derartigen unwürdigen Maß⸗ nahmen abzusehen. (Ruf rechts: Cholerabazillen!) Der Ausschluß des Abgeordneten Remmele ist eine Beugung des Rechts. Es geyt nicht an, daß zur Unterstützung dieser Rechtsbeugung der Präsident sich noch weitere Provokationen der kommunistischen Fraktion leisten kann. (Große Unruhe rechts.) Ihre Maßnahmen beweisen, daß die
Mehrheit es darauf anlegt, die Opposition in diesem Hcuse zu ver⸗
gewatligen und mundtot zu machen. Die kommunistische Fraktion er⸗
klärt erneut, daß sie sich davon nicht abhalten lassen wird, die
Rechte ihrer Wähler wahrzunehmen. (Beifall und Händeklatschen bei den Kommunisten.) 1 Präsident Wallraf ruft den Abgsordneten Scholem wegen des Ausdrucks „Schandparlament“ zur Ordnung (Beifall) und fährt fort: Ich habe Herrn Scholem zu erwidern, daß die Vorsichtsmaß⸗ regeln leider Gottes haben angewendet werden müssen. Ich glaube, der Reichstag wird sich freuen, wenn derartige Vorsichtsmaßregeln für die Zukunft sich erübrigen. (Beifall.)
Das Haus tritt hierauf in die Tagesordnung ein: Fort⸗ tzung der Beratung des Berichts des Geschäftsordnungsaus⸗ usses über den Antrag, betr. Einstellung des
Strafverfahrens und Aufhebung der Unter⸗
suchungshaft gegen die kommunistischen Ab⸗
geordneten Pfeiffer, Schlecht und Lindau.
1 Abg. Koenen (Komm.) setzt seine gestern unterbrochene Rede
fort. Er wirft den Sozialdemokraten Knechtseligkeit gegenüber
monarchistischen Präsidenten vor und wird vom Präsidenten
Wallraf zur Sache gerufen. (Abg. Scholem [Komm.] ruft: Kritik
an S. M. Wallraf ist nicht gestattet! Gegenrufe rechts: Unver⸗
chämtheit!) Abg. Koenen fährt fort: Der Präsident hat bewußt die
Führung in der Kommunistenhetze übernommen.
8 Präsident Wallraf: Stören Sie 2 nicht systematisch
unsere Verhandlungen. Ich bitte, sich an die Sache zu halten.
Abg. Koenen wirft weiter den Sozialdemokraten vor, daß
ke sich an dieser Kommunistenhetze beteiligten. Der „Vorwärts“
habe an den Vorbereitungen für die Herausgabe der im Reichstag angeregten Spitzelsumpf⸗Broschüre schon seit langem gearbeitet.
Jadasch habe aus München telegraphiert, gestern sei er zwar aus
der Haft entlassen worden, aber heute früh um vier Uhr sei bereits wieder die Polizei bei ihm gewesen (hört! hört! bei den Kommunisten.)
UMInd der Reichstag setze die Emmingerei fort. Das bayerische Beispiel
zeige, daß es auf diesem Wege nicht gehe. Der Reichstag solle sich
vor der gleichen Blamage hüten. Es stehe fest, daß Wulle, Graefe, Reventlow mit Mordbandidten in Verbindung stünden, aber von einer Anklage habe man noch nichts gehört. Nur Kommunisten würden verfolgt. Auch der nationalsozialistische Abg. Kube stehe mii Mordbuben in Beziehungen, das sei durch Briefe einwandfrei Fftgestellt Kube habe die Unterlagen beschafft, auf Grund deren Leutnant Müllen dann erschossen worden sei. Abg. Kube [Natsoz.]: Du bist gut orientalisiert!) An dem Fall Gilbert sehe man, daß ein ZE“ kommunistischer Spitzel im Reichswehrministerium ein⸗ und ausgehen könne. Das sei bezeichnend afür, wie dunkel all diese Spitzelgeschichten seien. Der Jude Weiß lasse die Deutsch⸗ vörkischen laufen, hinter den Kommunisten aber schicke er Spitzel hber. (Abg. Kube [Natsoz.]: Das müssen Sie Severing sagen!) Ja, Severing verstehe das Spitzeln am besten. (Abg. Kube nickt mit dem Kopf: Da haben Sie recht!) Aber Severing und Weiß seien sich mit Hitler und Ludendorff einig. (Gelächter.) Der Staat, der sie alle verbinde, sei der kapitalistische Ausbeuterstaat; sie wollten den Staat nur unter verschiedener inerseits beschimpfe Ehrhardt die Arbeiter, andererseits wollten die Deutsch⸗ völkischen Arbeiterinteressen vertreten. (Große Unruhe bei den Nationalsozialisten. Zuruf: Wir sind die schärfsten Gegner Ehr⸗ hardts.) In der Notwehr würden die ““ ihre politi⸗ schen Aktionen fortsetzen. (Zuruf bei den Nationalsozialisten: Die olge davon ist, die 12⸗ und 14stündige Arbeitszeit! — Widerspruch
bei den Kommunisten.) Nachdem Vizepräsident Dr. Rießer den Redner mehrmals aufgefordert hat, zu schließen, erklärt dieser, es handle sich um das Schicksal der Kommunistischen Partei, und der „Vorwärts“ habe ohnehin schon dem Redner S er habe keine Argumente. Als der Redner fortfährt, schwellen bei der
Mehrheit die Rufe: „Schluß! Schluß! immer mehr an. Unter oßer Unruhe der Mehrheit schließt der Abg. Koenen seine andert⸗
Hochstündige Rede. (Die Kommunisten klatschen in die Hände.) Bizepräsident Dr. Rießer macht darauf aufmerksam, daß es nicht den Gepflogenheiten des Hauses entspricht, in die Hände zu klatschen. Wenn diesem Wunsch des Präsidiums nicht nachge⸗ mmen werde, müsse er geschäftsordnungsmäßige Mittel ergreifen. Abg. Dr. Bekl (Ztr.): Tumultuarische Szenen und tief⸗ bedauerliche Ausschreitungen entbinden uns nicht von der genaueren Prüfung der vorliegenden Frage, ob und welche durchschlagenden Gründe für Aufhebung oder Aufrechterhaltung der Immunität sprechen. Ihnen (zu den Kommunisten) liegt ja gar nichts daran, Ihnen ist es nur um den Skandal zu tun. (Lärmender Wider⸗ spruch bei den Kommunisten.) Wir treiben weder Kommunistenhetze noch hat der Ausschuß mit zweierlei Maß gemessen (fortdauernder Lärm und Unterbrechungen bei den Kommunisten. Vizepräsident Dr. Kießer ersucht den Abg. Koenen, doch einmal einen anderen Redner zu Wort kommen zu lassen.) Wir würden ja nicht nur parteiisch, sondern auch politisch unklug handeln, wollten wir die Kommunistenfraktion hier ausschalten oder mundtot machen. (Ge⸗ lächter bei den Kommunisten.) Der Reichstag hat keinerlei Be⸗ fugnis, den Beweis der Behauptungen des Reichsanwalts selbst zu führen oder sie glaubhaft zu machen; er würde ja dadurch in die Rechtspflege eingreifen. Also kann auch den Kommunisten nur an einer schnellen Gerichtsentscheidung gelegen sein. Das Parlament ist kein Tribunal. Es fragt sich, ob das Staatsinteresse oder ob das Interesse des Reichstags überwiegt. Es handelt sich hier nicht bloß um politische Verbrechen, es kommen auch gemeine nach der Darlegung des Reichsanwalts in Frage. Herr Koenen sprach davon, daß kein Ausnahmerecht und kein Ausnahmeverfahren n die Kommunisten statuiert werden dürfe. Ganz unsere Meinung; aber auch nicht zugunsten der Kommunisten. (Erneuter großer Lärm bei den Kommunisten.) Wenn die Kommunisten die rfassung gewaltjam umstürzen wollen, und uns den Kampf aufs Messer ansagen, so wird in diesem Kampfe, davon bin ich überzeugt,
Verbrechen”
mit der Majorität des Volkes auch die Staatsautorität siegen! Wir stimmen dem Ausschußantrag bei.
Abg Brodauf (Dem.): Wenn auch nur ein kleiner Teil der Beschuldigungen erwiesen wird, so haben wir es mit der schlimmsten Gefährdung der Verfassung und des Staates zu tun. ir werden uns durchaus freuen, wenn die Zentrale und ihre Mitglieder durch die Untersuchung entlastet werden, aber das Verfahren gegen die beiden Angeschuldigten muß ihren Gang gehen. Das Interesse der Herren Kommunisten an dem ungestörten Fortgang der Reichs⸗ tagsverhandlungen scheint mir übrigens, nach ihrem ganzen Auf⸗ treten hier und besonders nach dem Debut der Frau Ruth Fischer nicht allzu groß zu sein. (Lärm bei den Kommunisten.) Die Ge⸗ rechtigkeit und Unparteilichkeit gebietet uns, den gleichen Stand⸗ punkt gegen die Herren auf der Rechten einzunehmen, die sich, wie die Deutschvölkischen, auf dem gleichen sittlichen Niveau be⸗ finden. (Großer Lärm bei den Nationalsozialisten.) Dort ist unter anderem das Schandwort „Judenschwein“ gefallen, das ist kenn⸗ zeichnend für diese Herren. Wir Demokraten wollen gleiches Recht für die Hochverräter von links wie von rechts.
Abg. Henning (Nat. Soz.): Sechs Kommunisten läßt man frei, unser Freund Kriebel, ein Ehrenmann (Lärm bei den Kom⸗ munisten), muß in Haft bleiben. Das ist die Gerechtigkeit des Reichstags. Im Ausschuß hat das Zentrum sich für uns erklärt, um so größer war unser Erstaunen über seinen Umfall im Plenum. Auch Herr Dittmann sprach sich dort grundsätzlich für die Immuni⸗ tät aus; im Plenum hoben die Sozialdemokraten ihren Grundsatz „Recht soll Recht bleiben!“ auf. Ausgerechnet ein Mann von der Vergangenheit Dittmanns maßt sich an, von Kriebels Landesverrat zu sprechen! (Stürmische Zustimmung bei den Nationalsozialisten; Rufe: Novemberverbrecher! Hochverräter!) Wir treiben keinen Kuhhandel wie die Sozialdemokraten. (Große Unruhe links und andauernde Erregung im ganzen Hause; Ruf: Idioten!). Es ist der Stolz unserer Deutschvölkischen Fraktion, daß sie auch nicht einen Tropfen jüdischen Blutes in ihren Reihen aufweist. (Stür⸗ mischer Widerspruch und betäubender Lärm.) Ein Hochverräter ist auch ein Vaterlandsloser. Wenn die Herren Stresemann und Marx die Wirtschaftspolitik unenrwegt weitertreiben, die das deutsche Volk zum Erliegen bringen muß, so sind auch sie vater⸗ landslose Männer, mögen sie ihre Vaterlandsliebe noch so sehr beteuern. Wir werden unsere Arbeit um Deutschlands Rettung unbeirrt und unerschrocken fortsetzen. (Lärmende Zurufe aus den Reihen der Deutschen Volkspartei und des Zentrums.) Wer tritt denn hier immer so beredt als Anwalt des Ultramontanismus auf, Herr Fehrenbach? Wir werden Rechenschaft fordern auch für München. Wir können Sie als Mitarbeiter an der Wieder⸗ aufrichtung Deutschlands nicht anerkennen; wir haben für Ihre Kampfesweise nur Verachtung, seit Sie bei der Frage Kriebel gegen uns gestimmt haben. Die Mehrheit hat uns auch vom Schrift⸗ führeramt ausgeschlossen, obwohl wir 32 Mitglieder sind, und daran hat sich die deutschnationale Volkspartei mitschuldig gemacht. Welche dunklen Machenschaften müssen vor sich gegangen sein, wenn eine Regierung ohne Völkische zustande kommen konnte, nachdem sich Millionen für uns erklärt haben! Die Kommunisten haben za kaum einen wirklichen Arbeiter oder einen echten Proletarier unter sich. (Lachen und andauernde Zurufe bei den Kommunisten.) Was wird die neue alte Regierung tun, um das deutsche Vaterland zu retten? Regierung und Reichstag sehen nicht die Not des Reiches, sie sehen nur die Not der drei eingesperrten kommunistischen Hoch⸗ verräter! (Tosender Lärm bei den Kommunisten; Rufe: Luden⸗ dorff! Lindström!) Das Auswärtige Amt hat sogar über Herrn Radek seine schützende Hand gehalten. (Zurufe bei den Kommu⸗ nisten.) Herr Radek und ich kennen uns sehr gut. (Große Heiter⸗ keit.) Herr Radek war damals mit Wissen und Billigung des Herrn v. Maltzahn in Berlin! (Stürmisches Hört! Hört!) Die Diktatur des Proletariats ist längst durch die jüdische Diktatur gegen das Proletariat ersetzt worden. (Lachen bei den Kommunisten, immer wiederholte Rufe: Ludendorff! Abg. Thälmann ruft: Schuft! Heuchler! und wird zur Ordnung gerufen.) Der Kampf geht allein darum: Hakenkreuz oder Sowjetstern! (Lärm bei den Kommunisten.) Retten kann das deutsche Volk nur eine Diktatur der Deutschvölkischen. (Beifall rechts, Lärm bei den Kommunisten.)
Abg. Levi (Soz.): Die Deutschvölkischen haben sich im Wahl⸗ kampf vorgestellt als die Partei der geistig und materiell Enterbten. Der Abgeordnete Henning ist diesem Programm heute nichts schuldig geblieben. Gegen die verhafteten Abgeordneten liegen bis jetzt nur einseitige Darstellungen des Reichsanwalts vor. Wenn aber nur ein Teil der Anschuldigungen wahr sein sollte, so können wir eine solche Kampfesweise nicht nur nicht billigen, sondern wir betrachten sie auch als eine tiefgehende Schädigung des deutschen Proletariats. (Lärm bei den Kommumisten.) Was ist denn dieser „deutsche Geist“, von dem uns Herr Henning einen Hauch hat verspüren lassen? Der Generalqartiermeister Ludendorff, der von 1916 bis Ende 1918 die ganze Macht Deutschlands in Händen gehabt hat, hat ein großes Spiel gespielt und das Spiel verloren. (Zurufe bei den Nationalsozialisten: Durch Euk Schuld, durch die Friedensentschließung des Reichstags.) Ich rede von dem Luden⸗ dorff, der 1920 eines Morgens ½ Khr vor dem Brandenburger Tor erschien. Er hätte den Mut ellen müssen, vor Gericht zu er⸗ scheinen. Er log vor dem Gericht wie ein erwischter Schulbub. (Lebhafte Pfuirufe rechts.) Oberstes Gesetz politischer Verbrecher ist, daß sie die Treue halten denen, die ihnen halfen. Ich rede nicht von dem Abgeordneten Ludendorff, sondern von dem Luden⸗ dorff, der vor dem Volksgericht in München im letzten Augenblick die Brücke betrat, die ihm der Vorsitzende baute. Ist der deutsche Geist etwa zu Hause bei den Grandel und Thormann? (Zuruf bei den Nationalsozialisten: Seipelmörder! Zuruf links: Rathenau⸗ mörder! — Bei weiteren Ausführungen des Redners wird von einem nationalsozialistischen Abgeordneten gerufen: Adler!) Wir verleugnen Adler nicht, wir bebennen ums zu ihm. (Zuruf: Weil er ein Jude ist!) Adler hat keinen Pfennig Geld bekommen, wie die Ankermann und Weichardt, die Geld für das Attentat gegen Harden erhielten. Ich rede von dem Ludendorff, der im November 1923 in München marschiert ist und nachher auf dem Bauche ge⸗ legen hat. (Zuruf bei den Nationalsozialisten: Schuft! Unver⸗ schämter Lügner! Vizepräsident Dr. Rießer ruft den sich auf seine Aufforderung meldenden Zwischenrufer zur Ordnung.) Der Redner erörtert dann die Fälle Urbahns und Frick, die juristisch und politisch völlig gleich seien. (Zuruf bei den Nationalsozialisten: Un⸗ erhört!) Urbahns hat aus durchaus anständigen Motiven gehandelt. (Zuruf bei den Nationalsozialisten: Das ist ein Moskowiter!) Beide Fälle sind erwachsen aus der ungeheuren Notlage des Volkes. Der Kedner begründet die Stellungnahme der Sozialdemokraten für Haftenlassung der Abgeordneten Lindau und Pfeiffer, die jetzt nicht einmal der Reichsanwalt mehr mit all den Hochverrats⸗ und Mord⸗ geschichten in Zusgmmenhang bringen könne. Es würde sich nicht um eine Aufhebung der Immunität, sondern um eine Vogelfrei⸗ Erklärung zweier Abgeordneter handeln. Der deutsche Arbeiter hat nicht die Neigung zum politischen Mord. Gelernt hat er den Gebrauch der Sprengstoffe und des Dolches bei Euch (nach rechts). (Zuruf bei den Nationalsozialisten: Moskau!) Was er in vier⸗ jahrigem organisierten Mord gelernt hat, das verlernt er so schnell nicht wieder. Der Redner verlangt gleiches Recht für alle: Für Kommunisten wie Nationalsozialisten. Wo ist der rächende Staats⸗ anwalt? (Zuruf bei den Nationalsozialisten: Sie sind der Anwalt von Moskau!) Turmboch über der von Ihnen gerügten sittlichen Verwirrung erhebt sich die sittliche Verworfenheit der deutschen Justiz. (Vizepräsident Dr. Rießer rügt diesen Ausdruck.) Auch die Kommunisten müssen auf gleichem Fuß, nach gleichem Recht behandelt werden.
Abg. Thälmann (Komm.): Zur selben Zeit, wo hier diese Sache verhandelt wird, stehen 80 unserer Genossen in Mainz vor dem französischen Militärgericht wegen antimilitaristischer Pro⸗ paganda. Das ist ein eigentümlicher Zufall. Die Regierung hat
noch nicht gewagt, ihr Programm vor dem Reichstag zu entwickeln, dieselbe Regierung, die damit einverstanden ist, daß nach dem Sach⸗ verständigengutachten 40 Prozent unserer Eisenbahner entlassen werden sollen. Mit von Spitzeln zusammengetragenem Material will man uns bekämpfen, es soll ein Sensationsprozeß werden. Wir fürchten ihn nicht, wir werden für unsere Ideen einstehen. Vor
einigen Tagen wurde in der Dunkelkammer der Regierung davon gesprochen, ob man unsere Partei nicht schon jetzt verbieten solle. Die Sozialdemokraten sind mit einem solchen Verbot einver⸗ Wir aber werden vorwärts marschieren, wir bestärken die Arbeiter nicht in der Illusion, daß man mit dem Stimmzettel die poli⸗ tische Macht erobern kann. Wir werden unser Ziel nie verleugnen, wir haben als Ziel die Organisation der Revolution. Im bürger⸗ lich⸗kapitalistischen Staat ist der Klassenkampf unvermeidlich. Unsererseits wäͤre es geradezu ein Frevel, zu erklären, daß wir den bewaffneten Aufstand ablehnen. (Sehr wahr! bei den Kom⸗ munisten.) Der Feind steht für uns im kapitalistischen Lager und im Lager auch derjenigen, die sich mit den Kapitalisten aussöhnen. Die Fragen des bewaffneten Aufstands und der Diktatur des Pro⸗ letariats hängen zusammen. Das Bekennmis zum bewaffneten Aufstand ist der Prüsstein für jede proletarische Partei. Wir werden nicht still halten, wenn Sie (nach rechts) sich bewaffnen, um die Monarchie wieder herzustellen. Das Gewehr in der Hand des Proletariers bedeutet seine Freiheit. Im revolutionären Kriege muß die Bourgeoisie niedergekämpft werden (Händeklatschen bei den Kommunisten). Wenn die Nationalsozialisten ihren Kriebel frei haben wollten, mußten sie grundsätzlich auch für die Frei⸗ lassung unserer Abgeordneten stimmen; si . selbst schuld daran, daß Kriebel nicht freigekommen ist. Die Methode ihrer Judenhetze zeigt ihre Verlogenheit. Ludendorff hat 1914 in Polen einen Auf⸗ ruf zum Schutze der Juden erlassen und einmal auch den Schutz eines Juden für sich in Anspruch genommen, weil er zu feige war. Ihre Gegner Erzberger und Rathenau haben Sie feige ermorden lassen; auch das Attentat auf Scheidemann zeigt Ihre Feigheit. Wenn Sie offen kämpfen wollen, kommen Sie zu mir. Nicht in den Kreisem der Arbeiter, sondern der Schwerindustrie sitzen die Landesverräter. Die Micum⸗Verträge sind abgeschlossen worden, ohne nnß die Regierung davon in Kenntnis gesetzt wurde. (Leb⸗ hafter Widerspruch rechts.) Wir schützen die Immunität unserer Abgeordneten auch, weil die reaktionäre deutsche Justiz nicht gerecht und objektiv urteilen kann. Sonst hätte Ludendorff in München nicht freigesprochen werden können. Remmele ist auf 20 Sitzungs⸗ tage hier ausgeschlossen, das ist der Beginn des Vorgehens gegen uns hier im Hause, das mit dem Vorgehen draußen gegen uns zusammenhängt. Wenn Sie unsere Führer und Funktionäre ins Gefängnis bringen, müssen wir unsere Anhänger in den Reichstag bringen, wo sie gut aufgehoben sind. Wir haben bei der Reichs⸗ tagswahl in vielen . 2 die Mehrheit gehabt, in Hindenburg 20 eine so große Mehrheit, daß der Antrag gestellt werden onnte, Hindenburg in Leningrad umzutaufen (große Heiterkeit rechts). Wir werden das Gewehr nicht bei Fuß lassen, sondern übernehmen. (Lebhafter Beifall und Händeklatschen bei den Kom⸗ munisten.) .““ 1
räsident Rießer macht wiederholt darauf aufmerksam, daß das Händeklatschen im Reichstag nicht zulässig ist.
Abg. Dr. Kahl (D. Pp.): Wenn etwas den Beweis erbracht hat, daß der Reichstag energisch gegen kommunistische eehe vorgehen muß, so war es die Rede des Vorredners, der den Kampf mit allen Mitteln, auch den verbrecherischsten, empfahl. Es war eine Brandrede mit Aufreizung zum Mord und allen verbrecherischen Taten. Da haben die Herren ihr wahres Gesicht gezeigt. (Zuruf bei den Kommunisten: Sie wollten ja die hrheit hören!) In einem Punkt berührten sich freilich die Darlegungen des kommunistischen und sozialdemokratischen Redners. H Dr. Levi sprach von der Verworfenheit der deutschen Justiz. Das muß ich entschieden zurück. weisen. Nun zu den Deutschvölkischen! Es ist bedauerlich, daß die Deutsche Volkspartei diese Nachbarschaft dulden n (Lärm bei den Nationalsozialisten. Zurufe der Kommunisten.) Mit den Herren von links beschäftige ich mich nicht weiter, denn man muß dich schämen, mit ihnen zusammen hier zu sitzen. Die Deutschvölkischen aber haben ein nahezu kommunistisches Programm entwickelt. AUn⸗ ruhe bei den Nationalsozialisten.) Sie treten ja auch für den Acht⸗ stundentag ein. Die Rede des Herrn Henning war das Höchstmaß politischer Minderwertigkeit. Mit Bezug auf diese Rede trifft das Wort eines Ihrer Anhänger (zu den Nationalsozialisten) zu: „Wir sind die geistig Enterbten!“ (Lebhafter Beifall bei der Deutschen Volkspartei.) 8 885 e “
Dittmann (Soz.) betont, eine Benes auch tro der — des Abg. Thälmamn für die Haftentlassung dieser kom⸗ munistischen Abgeordneten eintreten werde. Der dner weist die Behauptung Thälmanns als erstunken und Hin. 8. zurück, daß auch die Sozialdemokratische Partei sich bereit gefunden habe, die Kom⸗ munistische Partei zu verbieten. 8
Damit ist die Besprechung geschlossen. 1 8
Abg. Kube (Nat.⸗Soz.) stellt persönlich fest, daß von einer Verbindung mit Grütte⸗Lehder keine Rede sei. 8
Abg. Most (D. Pp.) fragt auf einen Zuruf aus der nationalsozialistischen Fraktion, wo es denn gestanden habe, daß er ein Jahr für das Vakerland im Gefängnis gesessen und stets gegen die Separatisten gekämpft habe. 8 1 u1
Abg. Henning (Nat.⸗Soz.) weist die hau g zurück, d sein 8 sich nicht viel von dem kommunistischen unterscheide.
Der Reichstag beschließt gegen die Stimmen der Sozial⸗ demokraten und Kommunisten, die Freilassung der kommu⸗ nistischen Abgg. Lindau und Pfeffer abzulehnen, ebenso die Freilassung des Abg. Schlecht (Komm.), dessen Fall aber weiter geprüft werden soll.
Damit schließt um 4 Uhr die erste Sitzung, und der Prãa⸗ sident beraumt auf 5 Uhr eine neue Sitzung an mit der Tages⸗ ordnung: Entgegennahme einer Erklärung der Reichs⸗ regierung.
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8 7. Sitzung 4. Juni 1924, Nachmittags 5 Uhr.
Das Haus ist gut t, die Tribünen sind stark gefüllt. In 8 .F jeht man die Vertreter der fremden Mächte.
Um 5,20 Uhr erscheint der Reichskanzler Marx im Saal. 18 n Eeent vansans des Auswärtigen Dr. Stresemann, der Reichsminister des ern Dr. Jarres, der Reichspostminister Dr. Höfle, der Reichs⸗ arbeitsminister Dr. Brauns, Reichsverkehrsminister Oeser, der Reichswehrminister Dr. Geßler, der Reichs⸗ wirtschaftsminister Hamm und der Reichsminister für Er⸗ nährung und Landwirtschaft Graf Dr. Kanitz.
Präsident Wallraf eröffnet die Sitzung um 5,20 Uhr und gibt Kenntnis von einer Danksagung der österreichischen Regierung für die Beileidskundgebung des Deutschen Reichstags.
Auf der Tagesordnung steht nur die Entgegennahme einer Erklärung der Reichsregierung.
Das Wort erhält sofort der Reichskanzler Marx, der von den Kommunisten mit den Rufen „Amnestie! Freilassung der politischen Gefangenen!“ empfangen wird.
Reichskanzler Marx: Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, dem neugewählten Reichstag die Reichsregierung vorzu⸗ stellen. Der Herr Reichspräsident hat alle Mitglieder der bisherigen Reichsregierung in ihren Aemtern bestätigt.
Die auch bei dieser Kabinettsbildung zu bewältigenden Schwierig⸗ keiten sind Ihnen bekamt. Ihren tiefsten Grund haben sie in der ernsten und bedrängten außenpolitischen Lage des Reichs. Es ist durchaus verständlich, daß nach den langen, vergeblichen Bemühungen Deutschlands, zu einem wahren Frieden zu gelangen, der Meiungs⸗
streit über den einzuschlagenden Weg bewegter und heftiger ausgetragen
wird, als die Einmütigkeit über das zu erreichende Ziel der Be⸗ freiung Deutschlands es zu rechtfertigen scheint.
Seit Jahren steht die deutsche Politik unter dem Druck der außenpolitischen Verhältnisse. Im besonderen Maße ist das jetzt der Fall, da die beherrschende Frage der großen internationalen Politik die Stellungnahme der be⸗ teiligten Völker zum Gutachten der Sachverständigen über das Reparationsproblem ist. Nach der Ueberzeugung der Reichsregierung ist das für Deutschland die Lebensfrage. (Zustimmung in der Mitte.) Die Lage unserer Wirtschaft ist trostlos, wenn nicht gar verzveifelt. (Sehr richtig!) Die Kenner unseres Wirtschaftslebens sind darin einig, daß in allerkürzester Frist eine Entspannung auf dem Gebiete der Geld⸗ knappheit erfolgen muß, wenn nicht die ganze Wirtschaft erliegen soll.
Einen Ausweg aus der schon zu lange andauernden schaveren wirt⸗ schaftlichen Krisis, die Deutschland durchlebt, sah die Reichsregierung in dem Gutachten, das eine Reihe namhafter ausländischer Sach⸗ verständiger der Reparationskommission erstattet hat. Sie hat des⸗ halb durch ihre Note vom 17. April die Anfrage der Reparations⸗ kommission dahin beantwortet, daß sie in dem Gutachten eine prak⸗ tische Grundlage für die schnelle Lösung des Reparationsproblems erblicke, und daß sie deshalb bereit sei, ihre Mitarbeit an den Plänen der Sachverständigen zuzusichern. (Umuhe und Zurufe von den Kom⸗ munisten.)
Im Einklang mit dieser Erklärung wird die jetzige Reichs⸗ regierung die bereits im Gange befindlichen und, wie ich ausdrücklich bemerken möchte, durch die Kabinettsbildung nicht verzögerten Vor⸗ arbeiten zur Durchführung des Gutachtens fortsetzen. Die Organi⸗ sationskomitees für die Goldnotenbank, für die Reichsbahn und für die Industrieobligationen haben ihre Arbeiten bereits aufgenommen. (Hört, hört! bei den Nationalsozialisten.) Es wird Aufgabe dieser Komitees sein, die in dem Sachverständigengutachten noch vorhandenen Lücken auszufüllen und Unklarheiten sowie textliche Widersprüche auf⸗ zuklären. Es müssen dabei die Befugnisse der Kommissare völlig klargestellt und abgegrenzt werden. (Andauernde Zurufe von den Kommunisten. — Glocke des Präsidenten.)
Insbesondere müssen auch die Zweifel beseitigt werden, die hin⸗ sichtlich der deutschen Mehrheit im Verwaltungsrat der Reichsbahn vorhanden sind. b
Wenn die Arbeiten dieser Komitees zu einer Einigung geführt haben, wird die Reichsregierung alsbald die für die Regelung dieser drei Materien notwendigen Gesetzentwürfe den gesetzgebenden Köper⸗ schaften vorlegen.
Ferner müssen auch die Fragen, die mit der Inanspruchnahme der Zölle und Verbrauchsabgaben im Zusammenhang stehen, mit der Gegenseite erörtert und die Befugnisse des Kommissars dafür klar⸗ gestellt werden. (Wiederholte Zurufe von den Kommunisten.) — Meine Herren (zu den Kommunisten), ich will nicht für mich irgendeine For⸗ derung an Sie richten, aber ich möchte Sie bitten, in diesem Augen⸗ blick, wo die Aufmerksamkeit des ganzen Auslands auf diese unsere Sitzung gerichtet ist, etwas wenigstens dem deutschen Namen und der der deutschen Ehre Rechnung zu tragen. (Stürmischer Beifall. — Wiederholte erregte Zurufe von den Kommunisten. — Glocke des Präsidenten.)
Außerdem muß die Tätigkeit des Agenten für die Reparations⸗ zahlungen noch in Einzelfragen geregelt werden.
Das Gutachten kann nach der Absicht der Sachverständigen selbst nur als Ganzes angenommen oder verworfen werden. Die Reichs⸗ regierung ist bereit, alles, was an ihr liegt, zu tun, um die in Angriff genommenen Vorarbeiten zu beschleunigen (Zurufe von den Kommunisten) und das Sachverständigengutachten in die Wirklich⸗ keit umzusetzen. Sie hofft dabei auf die schnelle Mitarbeit des Reichs⸗ bags. Die von unserer Seite zu erlassenden Gesetzentwürfe und An⸗ ordnungen werden erst in Kraft treten, wenn klar und eindeutig fest⸗ steht, daß auch die Gegenseite das Gutachten als ein unteilbares Ganzes und unverändert onnimmt, und wenn Gewißheit dafür gegeben ist, daß die Gegenseite gleichzeitig alle die Maßnahmen trifft, die in dem Gutachten als notwendig bezeichnet sind, um die deutsche Leistungs⸗ fähigkeit wiederherzustellen.
Die wirtschaftliche und finanzielle Einheit Deutschlands und seine Verwaltungsrat müssen gleichzeitig wiederhergestellt werden, weil anders die Leistungen, die in dem Gutachten verlangt werden, nicht aufgebracht werden können. Die ungeheuren Opfer für das deutsche Volk sind nur tragbar, wenn allen Deutschen die Möglichkeit gegeben
ist es Pflicht, die gesamte Kraft der Nation für diese ernste und schwere Aufgabe einzusetzen; ist es Pflicht, auch die drückenden Sorgen des Alltags in dem Bewußtsein zurückzustellen, daß erst nach einer Klä⸗ rung und Bereinigung unserer außenpolitischen Schwierigkeiten der Wiederaufbau im Innern auf staatlichem, wirtschaftlichem und sozial⸗ politischem Gebiet in Angriff genommen werden kann. (Zustimmung bei den Deutschen Demokraten, im Zentrum und bei der Deutschen Volkspartei. — Unruhe bei den Kommunisten.)
Die Reichsregierung wird ihre ganze Kraft an die Arbeit setzen, die zur schnellen Durchführung des Sachverständigengutachtens er⸗ forderlich ist, und stets ihr Augenmerk darauf richten, daß die sich daraus für das ganze Volk ergebenden schweren Lasten nach Maß⸗ gabe der Tragfähigkeit gerecht verteilt werden. (Bravo! im Zentrum.)
Angesichts der verzweifelten wirtschaftlichen Notlage, in der sich die deutsche Wirtschaft zurzeit befindet, beschwört die Reichsregierung den Reichstag und das ganze deutsche Volk, die in den letzten Monaten langsam, wenn auch unter Fieberschauern einsetzende Gesundung Deutschlands durch Uneinigkeit und zersetzenden Kampf nicht wieder zu zerstören. (Bravo! in der Mitte.) Wer wird noch Hilfe bringen können, wenn Deutschland noch ein zweites Mal so dicht an den Abgrund kommen sollte wie im November vorigen Jahres? (Zuruf von den Kommunisten: Dafür werden Sie schon sorgen!) In den kommenden Wochen handelt es sich darum, den eingeleiteten Ge⸗ sundungsprozeß (Lachen bei den Nationalsozialisten und bei den Kom⸗ munisten) durchzuführen und die deutsche Wirtschaft zu retten. (Un⸗ ruhe bei den Kommunisten.) All die schweren Opfer, die das deutsche Volk in den letzten Monaten zur Rettung vor dem Zusammenbruch auf sich genommen hat, wären vergebens gewesen, wenn wir jetzt bis zur Erreichung des Ziels nicht stark blieben. Wir dürfen nicht die unsühnbare, schwere geschichtliche Schuld auf uns laden, des Deutschen Reiches Untergang verschuldet zu haben, weil wir im entscheidenden Augenblick nicht nationale Disziplin zu wahren wußten. (Sehr gut! im Zentrum und bei den Deutschen Demokraten.)
Das Ausland muß sehen, daß das deutsche Volk geschlossen den sich ihm bietenden Weg in die Freiheit gehen will. (Zurufe von den Nationalsozialisten.) Das Ausland aber muß endlich auch den Be⸗ weis erbringen, daß es zu ehrlicher Verständigung bereit ist. (Zu⸗ stimmung im Zentrum, bei der Deutschen Volkspartei und bei den Deutschen Demokraten.) Nur dann wird sich im deutschen Volke der durch zahllose Enttäuschungen und Demütigungen erschütterte Glaube an wahren und dauernden Frieden wieder festigen.
Meine Damen und Herren! Es geht um deutsche Brüder (Zu⸗ rufe von den Kommunisten: Politische Gefangene!), es geht um deutsches Land, es geht um Deutschlands Rettung in letzter höchster
Not. Das Rheinland und unsere bedrängten Landsleute an der Ruhr sehen erwartungsvoll auf Sie und verlangen von Ihnen, daß Sie ihnen schnell Rettung und Hilfe bringen. (Lebhafter Beifall bei der Deutschen Volkspartei, im Zentrum und bei den Deutschen Demo⸗
Amnestie? — Erneuter Beifall in der Mitte. — Fortgesetzte Rufe von den Kommunisten: Amnestie! Heraus mit den Gefangenen! — Glocke des Präsidenten.) Präsident Wallraf schlägt vor, die Besprechung der Re⸗ gierungserklärung auf morgen zu vertagen, und morgen um 10 Uhr außer der Besprechung der Regierungserklärung noch den weiteren E in allen 5 2 vr. Koenen (Komm.) widerspricht der zweiten und dritt
Beratung des Notetats. r 8 Abg. Maskowski (Komm.) verlangt, morgen auch den Antrag seiner Fraktion wegen des garbeiterstreiks zu verhandeln.
Löbe (Soz.): Die dritte Beratung muß abgesetzt werden, “ Mitglied widerspricht; darüber, c. die erste und zweite Lesung gleichzeitig stattfinden sollen, entscheidet die Mehrheit. Der Antrag, betr die Bergarbeiterfragen, kann schon bei der Besprechung der Regierungserklärung mitverhandelt werden.
Das Haus beschließt, von dem weiteren Nothaushalt morgen die erste und zweite Beratung vorzunehmen. Der An⸗ trag Maskowski wird gegen die Stimmen der Kommunisten abgelehnt. Im übrigen verbleibt es bei den Vorschlägen des Präsidenten.
Schluß 5 ¾ Uhr.
Nr. 22 des „Reichsverkehrsblatts“ vom 3. Juni hat folgenden Inhalt: Verordnung vom 12. Mai 1924 zur Eisenbahn⸗ verkehrsordnung, betr. die Offenhaltung der Fahrkartenschalter und der Warteräume sowie die Auflieferung des Reisegepäcks. — Erlaß vom 20. Mai 1924, betr. Verwendung von Hochofenzement. — Nach⸗
Frichten.
Statistik und Volkswirtschaft.
Die amtliche Großhandelsindexziffer vom 3. Juni und für den Durchschnitt Mai 1924.
Die auf den Stichtag des 3. Juni berechnete Großhandelsindex⸗ ziffer des Statistischen Reichsamts ist gegenüber dem Stande vom 27. Mai (120,2) weiter um 1,5 vH auf 118,4 zurückgegangen. Von den Hauptgruppen sanken im gleichen Zeitraum die Lebensmittel von 103,4 auf 100,9 oder um 2,4 vH. davon die Gruppe Getreide und Kartoffeln von 89,5 auf 87,8 oder um 1,9 vH, die Industrie⸗ stoffe von 151,6 auf 151.1 oder um 0,3 vH (davon die Gruppe Kohle und Eisen mit 144,7 nahezu unverändert); die Inlands⸗ waren gaben von 109,8 auf 108,7 oder um 1 vH und die Eintuhr⸗ waren von 172 auf 166,8 oder um 3 vH nach.
Für den Durchschnitt des Monats Mai ergibt sich ein Rückgang der Großhandelsindexziffer von 124,1 auf 122 5 oder um 1,3 vH. Von den Hauptgruppen sanken in der gleichen Zeit die Lebensmittel von 109,7 auf 106,6 oder um 2,8 vH, während die Industriestoffe von 150,9 auf 152,2 oder um 0,9 vH anzogen. Die Inlandswaren stiegen von 111,7 auf 112,2 oder um 0,4 vH, die Einfuhrwaren sanken von 185,6 auf 173,8 oder um 6,4 vH.
Berlin, den 4. Juni 1924.
kraten. — Lärm und Zurufe bei den Kommunisten: Wo bleibt die
Statistisches Reichsgamt. J. V.: Klingler.
Getreidepreise an deutschen Börsen und Fruchtmärkten In Goldmark (Rentenmark) für 50 kg.
in der Woche vom 25. bis 31. Mai 192
Gerste
Weizen V 1 Sommer⸗ Winter⸗ Futter⸗ † b
I Brau⸗ †
Wöchentliche
Notierungen Roggen
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ab Bremen od. Unterweserhafen
ab schles. Verladestationen.. 3ö8 E118“
rei Chemnitz i. Lad. von 200 — 300 Ztr. frei rheinischer Station... 8 waggonfr. à ““ . waggonfr. sächs. Abladestat. bei Bez. v. mind. 10 t Duisburg. frei Waggon Duisburg .. .. 2 “ Erfurt. waggonfr. Erfurt od. Nachbarvollbahnstat. o. Sack 11141*“ rankfurt a. M.*) Frachtparität Frankf. a. M. ohne Sack leiwitzt.. ab Gleiwitz ohne Sak
Crefeld. Dortmund Dresden *).
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wird, in ihrer Heimat sich ungestört der Arbeit hinzugeben. (Sehr wahr! in der Mitte.) Die imere Bereitschaft, die für die Steigerung der Produktivität und die Uebernahme so schwerer Lasten notwendig ist, kann nicht geschaffen werden, solange das traurige Schicksal vieler Tausender Vertriebener und ihrer Freiheit beraubter Deutscher die Nation belastet und beunruhigt. (Lebhafte Zustimmung.) Ihnen Freiheit und Heimat wiederzugeben, ist ein unerläßliches Ziel, von dem die Reichsregierung nicht abgehen kann. (Beifall in der Mitte.) 1 Wenn so das Gutachten in dem Geiste ehrlicher Verständigung, in dem es entstanden ist, als Ganzes von allen beteiligten Regie⸗ rungen angenommen und durchgeführt wird, werden wir wieder auf eine vertragliche Grundlage mit unseren Reparationsgläubigern kommen. Es ist nur folgerichtig und unerläßlich, daß dann die vertragliche Basis überall wiederhergestellt wird (sehr richtig!), sowohl bezüglich des auf Grund des Vertrages von Versailles besetzten links⸗ rheinischen Gebietes, als auch bezüglich der über den Vertrag von Versailles hinaus besetzten Gebiete. (Sehr gut! im Zentrum und bei den Deutschen Demokraten.) Das wird in sich schließen, daß in dem altbesetzten Gebiet das Rheinlandabkommen wiederhergestellt und loyal gehandhabt wird und daß die über den Vertrag von Versailles hinaus besetzten Gebiete geräumt werden. (Lebhafter Beifall.) Die Regierung wird sich mit aller Entschiedenheit für die gerechte Lösung dieser Frage einsetzen. (Bravol bei der Deutschen Volkspartei, im Zentrum und bei den Deutschen Demokraten.) Die Sachverständigen haben diese Fragen bewußt nur deshalb offen gelassen, weil ihre Lösung über ihren Aufgabenkreis hinausgeht. Aber sie haben selbst ganz klar darauf hin⸗ gewiesen, daß die über ihre Zuständigkeit hinausgehenden politischen Fragen zwischen der deutschen Regierung und den alliierten Regie⸗ rungen unmittelbar geregelt werden müssen. Die Reichsregierung sieht hierin eine ihrer vornehmsten und dringlichsten Aufgaben.
Nach der Ueberzeugung der Reichsregierung müssen vor diesen lebenswichtigen, für die Einheit des Reichs wie für die deutsche Wirt⸗ schaft gleich bedeutsamen Fragen der Außenpolitik alle innerpolitischen Fragen, mögen sie auch noch so wichtig erscheinen, vorerst zurücktreten. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei.) In voller Absicht unterlassen wir es deshalb, in der gegemwärtigen Stunde auf Fragen
mburg *) . ab Station ohne Sackk. 88 a 0 1n ea—2 he. I. at. bei waggonw. ug ohne Sack Köln a. Rh.*) Frachtlage K. verzollt Königsberg*). eqööö Leipzige). Ee*“ Magdeburg *) fr. M. od. benachbt. Stat. b. Ladg. v. 300 Ztr. Mainz.. Großhandelseinstandspr. loko MNM. . .. Mannheim waggonfrei Mannheim ohne Sack.. München *) ab südbayer. Verladestat. waggonweise ohne lauen.. ee ostock*). waggonfr. Station des Landmanns Stettin*) . ab nahegelegener Stat. ohne Sack . Stuttgart. Großhandelspreis ab württembg. Station. Worms.. Würzburg *)
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e 6 . I Großhandelseinkaufspreise ab fränk. Station .. .
¹) Weizen 1 und Hafer 2 Noti
*) Durchschnitt. 8 Berlin, den 4. Juni 1924.
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Anmerkung: Crefeld, Duisburg und Köln notieren in Papierma
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8,25 7,75 7,90 † — Dollarmittelkurs auf Goldmark umgerechne “ 1“ 8— “ 6“ Statistisches Reichsamt. J. V.: Klingler.
30. 27. 31. rk (über amtlichen
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Kartoffelpreise in deutschen Städten in der Woche vom 25. bis 31. Mai 1924.
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Handelsbedingungen
Wöchentliche Preise in Goldmark Notierungen für 50 kg Zahl am
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ab märk. Vollbahnstation ab Verladestation .. ab Vollbahnstation ... ab Mecklenburg .. fr. ostpr. Vollbahnstation frei Vollbahnstation .. b Pmtinn . Schwe fr. Verladestat. des Erzeugers Stettin-)... . frei Wagg. Reichsbahnstation Würzburge) . ab fränk. Vollbahnstation
1 ¹) Für die sonst berichtenden Städ Notierungen nicht vor. — *) Durchschnitt.
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innerer Politik einzugehen. (Zurufe von den Kommunisten.) Bei den großen Entscheidungen, die wir in der Außenpolitik zu treffen haben,
Berlin, den 4. Juni 1924.
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