1924 / 173 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 24 Jul 1924 18:00:01 GMT) scan diff

Auch

das Seine“ und nicht „Jedem das

t die Erhaltung der, Arbeitskraft und der Volkskraft. (Ruf links: Achtstundentag!)) Wir sind ggen den schematischen Achtstundentag und auch der sozialdemokratische Kollege Wissell hat erklärt, er b niemals Anhänger des Achtstundentages gewesen. Vorbeugende Maßnahmen

sind in erster Reihe geboten Darum beantragen wir, daß die b die keit erhalten, Verletzte bald einem anderen Berufe zuzuführen.

von dem ungeheueren bürokratischen Apparat befreit werden. hier gilt das Wort „Jedem

Gleiche’“ Das Wesentliche is

Wir

Berufsgenossenschaften die Möglich⸗ wünschen, daß für Familien die Erwerbslosenun terstützung um hundert Prozent erhöht wird. Das Heer der Arbeitslosen 1 zu Kultur⸗ arbeiten herangezogen werden. (Beifall bei den Deut chnationalen.)

Abg. Hoch (Soz.): Die Beschlüsse des Ausschusses entsprechen wahrhaftig nicht den hohen Tönen, mit denen der Vorredner ge⸗ schlossen hat. Diese Beschlüsse werden bei den Beteiligten ungeteilte Entrüstung hervorrufen. Danach bekommt ein Invalide monatlich 13 und die Zulage von monatlich 1 ℳ; ein Invalide bekommt für sich und seine Frau täglich 43 ½ Pfennig und die Zulage von 3 ¼6 Pfennig Dabei hieß es in der ersten Lesung von der 8 echten, daß die Sozialpolitik nicht zum Stillstand kommen dürfe. Der Sinn dieser Sozialpolitik ist nur der Schutz der Reichen. Man sagt, die Industrie sei durch die sozialpolitischen Lasten nicht konkurrenz⸗ fähig auf dem Weltmarkt, diese Lasten machen aber nur einen ganz geringen Bruchteil der übrigen Faktoren aus, die für die Konkurrenz⸗ fähigkeit maßgebend sind. Die Parteien haben sich im Ausschuß vamit begnügt, daß der Minister erklärte, daß die 80 Millionen für die Verdoppelung der Familienunterstützung nicht aufzubringen seien, und haben es bei der Erhöhung von 50 Prozent belassen. Wir haben im Ausschuß die Erhöhung der Tantiemensteuer von zwanzig auf hundert Prozent beantragt; das wurde abgelehnt; wir beantragen jetzt die Erhöhung auf achtzig Prozent, um die Mittel zu beschaffen. An anderen Stellen kann gespart werden, z. B. beim 1“ durch Beschränkung kostspieliger Uebungen. (Lebhafter Wider pruch rechts.) Das ist gegebenenfalls auch früher im Frieden so gewesen. (Widerspruch rechts, Ruf rechts: Sie wollen nur Nachtwächter!) Darüber sprechen wir uns noch, Herr. Wulle Wir schlagen ferner eine Erhöhung der Vermögenssteuer für die größeren Vermögen vor, wodurch der Mittelstand nicht belastet werden würde. T eutschland sollte sich schämen, wenn es für seine Invaliden nicht genug tun kann. Das Volk hat Großes geleistet in den vergangenen schweren Zeiten. Wir sind uns wohl daß auch unsere Anträge nicht genügen, aber wir haben ja im Ausschuß nicht einmal die 26 ℳ⸗ Rente durchbringen können, die wir mindestens beantragt hatten. Solange wir nicht eine sozialistische Mehrheit hier und im Volke haben, können wir keine sozialistischen

Gesetze machen. (Zuruf rechts: Sie haben ja schon die Macht gehabt!) Wir haben weder in der Nationalversammlung noch im Reichstag die Mehrheit gehabt. Ihre (zu den Nationalsozialisten) Anträge haben Anleihen bei uns gemacht, aber für die Deckungsfrage nichts übrig gehabt. (Zurufe rechts.) Ihr Hinweis auf das galizische Schiebergesindel, das man dafür in Anspruch nehmen könne, beweist nur, daß mit dem Volke schamloser Schwindel getrieben worden ist. Der Vorredner hat scharfe Worte gegen die Inflation gefunden. Wer hat die Inflation verschuldet? (Stürmische Rufe bei den Nationalsozialisten: Sie! die Sozial⸗ demokraten Wer hat die ungeheueren Inflationsgewinne eingesteckt? (Rufe bei den Nationalsozialisten: Die Judem!) Die Großkapitalisten, jüdische und nichtjüdische, haben die Inflation begünstigt, gefördert und fruktifiziert, nicht aber die deutsche Arbeiterschaft, die vielmehr ausgeplündert und vollends an den Betlelstab gebracht wurde. Unsere Abhilfeanträge wurden niedergestimmt.

Die Industrie war die Teil⸗ haberin dieses Raubzuges; sie hat in jeder Beziehung versagt. Groß⸗ kapital und Industrie haben

sich gleichmäßig am deutschen Volke ver⸗ sündigt, Und der Herr. Reichsfinanzminister? Er hat sich zwar für die Erhöhung der Gehälter seiner hohen Beamten, aber nicht für die Arbeiterschaft und für die Erleichterung ihrer Last interessiert. 8 Un⸗ miktelbar nach dem Zusammenbruch des Ruhrkampfes be nutzte Groß⸗ kapital und Industrie die günstige Gelegenheit, den Versuch zu machen, der Arbeiterschaft die letzten Reste der Sozialgesetzgebung, der Sozialfürsorge zu rauben und ihre letzte Widerstandskraft pgen die kapitalistische Ausbeutung zu stehen die Dinge; 3 Was hier heute von rechts aufgeführt wird, ist bloß Komödie. (Großer Lärm rechts; Beifall links.)

Reichsarbeitsminister Brauns: Meine Damen und Herren! Wir verhandeln hier über die Beseitigung oder wenigstens Erleichterung schwerer sozialer Notlagen weiter Kreise Ich glaube, daß, ungeachtet der großen Auf⸗ der sich bisher im Hause gezeigt hat, die zusammenfinden daß wir die vor⸗

Dr.

über die unserer Bevölkerung. regung und des Zwiespalts, Mitglieder des hohen Hauses in der Meinung sich und die Regierung ist der gleicheu Meinung —, d handenen Notlagen unumwunden anerkennen. (Zurufe von den Kommunisten.) Es fehlt auch nicht am guten Willen, diese Notlagen zu beseitigen. Die Frage ist vielmehr die, wie unter den obwaltenden Verhältnissen eine Beseitigung oder wenigstens eine Verringerung dieser Notlagen möglich ist. Daß wir dabei vor ungeheuren Schwierigkeiten unserer Wirtschaft stehen, wird niemand leugnen. Daß auch von seiten der Staats⸗ finanzen, soweit diese in Betracht kommen, beträchtliche Hinder⸗ nisse und Hemmnisse vorliegen, wird uns der Herr Finanzminister wahrscheinlich selber noch darlegen. Beides, sowohl die Schwierig⸗ keiten der Wirtschaft wie auch die Schwierigkeiten der Reichs⸗ und Staatsfinanzen, hängen wiederum eng mit der augenblicklich noch ungeklärten au ßenp olitischen Lage zusammen. auf Einzelheiten der Notlagen eingehen darf, hier handelt, so möchte ich zunächst ein Wort zu den Versicheru ngsfragen sagen, die uns beschäftigen. Es ist dem hohen Hause bekannt, wie unsere Sozialversicherung infolge der Inflation vor dem völligen. Zusammen⸗ bruch stand. Sie hatte ihr Vermögen verloren, hat ihre Kosten steigen sehen, konnte die Beiträge nicht mehr aufbringen und infolge⸗ dessen auch die nötigen Leistungen nicht aufrechterhalten. Die Stabi⸗ lisierung der Mark hat es uns ermöglicht, wenigstens schrittweise die Leistungen und Beiträge der Sozialversicherung wiederherzustellen, so daß wir heute sagen können: die Sozialversicherung ist über diese gefährliche Klippe hinweggeführt worden. (Zuruf von den Nationalsozialisten: Das Sachver⸗ ständigengutachten!) Darauf kommen wir auch noch. 8— Die In⸗ validenversicherung ist von der Inflation besonders schwer getroffen worden; darum war hier auch der Wiederaufbau besonders schwierig. Die Tatsache, daß wir uns in der Invalidenversicherung jetzt in einem gewissen Beharrungszustande befinden, hat es ermöglicht, hier das Umlageverfahren in weitem Umfange an die Stelle des rüheren Kapitaldeckungsverfahrens zu setzen. So sind wir, im Durch⸗ schnitt genommen, wenn ich Witwen⸗ und Waisenrente und Invaliden⸗ rente nebeneinander stelle, nominell ungefähr wieder zu den Leistungen der Vorkriegszeit zurückgekehrt. Wir haben auch in der Gesamtversicherung das Heilverfahren wieder in dem Umfange wie im Jahre 1921 ein⸗ führen können, nachdem es fast vollständig unterbrochen war. In der Unfallversicherung steht die Wiederherstellung der alten Renten unmittelbar bevor. Eine Novelle für diesen Zweck ist bereits fertiggestellt und wird die gesetzgebenden Körperschaften in kürzester Frist beschäftigen. Diese Novelle will die alten Renten in ihrem ursprünglichem Werte erneuern. Außerdem sieht sie Ver⸗ besserungen vor auf dem Gebiete des Heilverfahrens, des Unfall⸗ schutzes und der Berufsausbildung. Freilich müssen wir zugestehen das trifft alle Versicherungen —, daß die Kaufkraft der Renten

Wenn ich um die es sich

8 8 8

nicht die gleiche ist wie in der Friedenszeit. Wir werden aber hoffent⸗ lich auch nach dieser Seite schrittweise vorankommen. Ich glaube, man muß doch diese Erfolge anerkennen. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei.)

Traurig sahen die Dinge am Ende der Inflation auch auf dem Gebiete der Krankenversicherung aus. Die drei Verord⸗ nungen, die wir damals auf Grund des Ermächtigungsgesetzes auf dem Gebiete der Krankenversicherung gemacht haben, haben nicht etwa einen Abbau der Sozialversicherung zum Zweck gehabt, sondern sie haben den Zweck verfolgt, die Krankenversicherung über diese schwierige Periode hinwegzuretten. Ich darf heute feststellen, daß dieser Zweck erfüllt worden ist.

Nach diesen allgemeinen Bemerkungen zur Versicherungsfrage lassen Sie mich noch einige besondere Bemerkungen machen, die sich dann gleichzeitig auch mit den vorliegenden Anträgen befassen! Es werden für den Versicherungsbedarf durch Beiträge im Jahre aufge⸗ bracht in der Krankenversicherung 750 Millionen Goldmark, in der Invalidenversicherung 365 Millionen, in der Angestelltenversicherung 110 Millionen, in der Unfallversicherung 110 bis 120 Millionen. Bei diesen Zahlen ist der Bedarf der knappschaftlichen Versicherung nicht eingerechnet.

Die Beiträge werden heute auch in sofortige Leistungen um⸗ gesetzt. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß Kapitalansamm⸗ lungen heute, wenigstens in wesentlichem Umfange, nicht stattfinden. In der Invalidenversicherung aber sind in den höheren Lohnklassen heute die Beiträge schon höher, als sie in der Vorkriegszeit gewesen sind. Dabei ist ferner zu bedenken, daß die Versicherungsanstalten einen jährlichen Zinsverlust von 60 bis 70 Millionen Mark haben (hört, hört!), weil ihr Vermögen dahingeschwunden ist. Deshalb können auch bei den jetzigen Beiträgen höhere Renten unmöglich be⸗ willigt werden. Das Gleichgewicht zwischen Beiträgen und Renten ist nur notdüftig hergestellt; es gerät sofort ins Schwanken, wenn bei Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit die Beitragsleistungen zurückgehen. Die Beiträge zu steigern um höherer Leistungen willen, erscheint uns aber deshalb nicht möglich, weil der Arbeitslohn jetzt schon stärker mit sozialen Abgaben belastet ist, als das in Friedenszeiten der Fall war, und dabei haben wir vielfach nominell niedrigere Löhne und erst recht eine geringere Kaufkraft der Löhne. Es erübrigte demnach nur, den Reichszuschuß bei den Invaliden⸗, Witwen⸗ und Waisen⸗ renten zu erhöhen.

Es ist eben von der geringen Erhöhung um nur eine Mark ge⸗ sprochen worden. Gewiß ist diese Summe gering; aber wir sind mit dieser Summe an der Leistung des Reiches in der Vorkriegszeit an⸗ gelangt. (Zuruf von den Kommunisten: Aber noch nicht ganz!) Vielleicht mögen ein paar Pfennige fehlen; im wesentlichen haben wir damit die Leistungen des Reiches in der Vorkriegszeit erreicht. Diese eine Mark, von der ich eben sprach, bedeutet für die Reichskasse immerhin wieder neue 20 Millionen. (Zuruf von den Kommunisten: Und die Erhöhung der Beamtengehälter 500 Millionen!) Ich nehme an, daß sich der Herr Finanzminister zu dieser Frage äußert. Wenn wir, wie es auch hier in diesem Hause gewünscht worden ist, die Leistungen verdoppelten, so würden im Jahre 300 bis 400 Millionen Goldmark dafür erforderlich sein, eine Last, die weder den Arbeitern noch den Unternehmern noch dem Reich zugemutet werden kann.

Nun taucht die Frage auf, ob die Verdoppelung der Leistungen

nicht durch neue Steuern erzielt werden kan. Dazu ist noch folgendes zu sagen, und wie mir scheint auch vom Standpunkt der Antragsteller aus, die diesen Gedanken befürworten, diese Erwägung durchaus der Beachtung wert: wenn wir die Kosten der sozialen Leistungen aus steuerlichen Mitteln aufbringen wollen, dann verlassen wir damit den Versicherungsboden und betreten den Boden der öffent⸗ lichen Fürsorge. (Sehr richtig! rechts und im Zentrum.) Unterstützungen ohne Vorleistungen der Versicherten und Arbeitgeber ist nicht mehr Versicherung, sondern Fürsorge. (Erneute Zustimmung.) Dieser Weg aber begegnet nicht etwa bloß finanziellen Bedenken, sondern ihm stehen auch andere schwerwiegende Bedenken gegenüber, die die Versicherten selbst betreffen. Ich will nur eine Maßnahme hervorheben, die sich unabweislich im Gefolge dieses Weges befindet, nämlich die Anpassung der Leistungen an die individuellen Bedürfnisse. In dem Augenblick, wo wir das Versorgungsprinzip an die Stelle des Versicherungsprinzips setzen, muß unbedingt die Frage der Bedürftigkeit aufgeworfen und nachgeprüft werden (lebhafte Zustimmung), und wie dann vielfach diese Frage gerade heute an⸗ gesichts der besonderen gegenwärtigen wirtschaftlichen Notlagen be⸗ handelt wird, das hat uns doch schon die Erfahrung gelehrt, die wir mit der Ueberweisung der Fürsorgepflicht an Länder und Gemeinden in der letzten Zeit haben machen können. (Sehr wahr!) Ich fürchte, das würde keinen Vorteil für die Versicherten bedeuten, wenn wir diesen Weg gehen wollten. Was die Unfallfürsorge angeht, so möchte ich für die Zeit, wo neue Novelle, von der ich eben sprach, noch nicht in Kraft ist, folgendes mitteilen. Für die Zwischenzeit besteht seitens der Regierung keinerlei Erinnerung dagegen, daß bei den Schwerverletzten Sonderzulagen von 15 in der gewerb⸗ lichen Unfallversicherung und von 10 in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung pro Monat als Vorauszahlung gewährt werden. Bei einem Teil der Verletzten, insbesondere bei Frauen, geht dann zwar der Gesamtbetrag über die Verdienstgrenze schon hinaus; aber ich glaube, das sind so wenige Fälle, daß daraus kein schwerwiegendes Bedenken gegen diese Maßnahme abgeleitet werden kann.

Wenn wir auch bei der Unfallrente eine allgemeine Verdopplung vornehmen wollten, dann würden wir die natürlichen und unvermeid⸗ lichen Unterschiede im Lohn und in den Leistungen, im Beruf und in den örtlichen Verhältnissen außer acht lassen, und ich glaube, das dürfen wir nicht tun. Deshalb kann die Reichsregierung sich auch auf diesem Gebiete für einen derartigen Antrag auf Verdopplung der Leistungen nicht aussprechen.

Dann noch ein Wort zur Fürsorge und Versorgung der Kriegs⸗ beschädigten und Kriegshinterbliebenen. Die Re⸗ gierung will für diese Zwecke so viel Mittel, als irgend möglich, zur Verfügung stellen. Die Aufwendungen des Reiches für die Kriegs⸗ beschädigten und Kriegshinterbliebenen betragen zurzeit über 700 Mill. Mark im Jahre. (Zuruf von den Kommunisten: Für wieviel Per⸗ sonen?!) Aber vergleichen Sie diese Summe mit unserem Gesamt⸗ aufkommen den Reichsfinanzen, dann werden Sie finden, daß wir dafür ungefähr ein Sechstel unseres ganzen Aufkommens schon be⸗ nötigen! Die Durchführung der vorliegenden Ausschußanträge kostet für das ganze Rechnungsjahr 86 Millionen und für den Rest des

8 8

die

Rechnungsjahres 57 Millionen. Verglichen mit den 700 Millionen,

1“

die ich eben nannte, bedeutet auch diese gesichts der schwierigen Verhältnisse des Reiches in der Gegenwart

eine beträchtliche Besserung der Zustände. Die Regierung sieht sich

dagegen nicht in der Lage, die einmal abgefundenen geringen Renten

für geringe Erwerbslosigkeit unter 20 % jetzt nachträglich aufzuwerten,

sie ist der Meinung, daß dazu die Mittel fehlen.

Auf dem Gebiete der Fürsorgepflichtverordnung kommt die Reichsregierung den Wünschen des Ausschusses durchaus entgegen. Ich habe bereits im Ausschuß gesagt und wiederhole es hier, daß die „Grundsätze“ bereits ausgearbeitet sind, nach denen die Fürsorge der Länder und Gemeinden sich für die Folge gestalten soll, und versichere dem Reichstag, daß vor dem Erlaß dieser „Grundsätze“ auch der Soziale Ausschuß des Reichstags angehört werden wird, und danach die Verordnung sobald als möglich in Kraft treten soll.

Meine Damen und Herren! Auf dem Gebiete der Erwe rbs⸗ losenfürsorge hatten sich die Zustände gegenüber dem letzten Winter in diesem Jahre wesentlich gebessert. Wir sind uns aller⸗ dings damals schon klar gewesen, daß diese Besserung keine dauernde sein könnte. Die Zahl der Erwerbslosen nimmt von Tag zu Tag wieder zu, insbesondere der Umfang der Kurz⸗ arbeit. Die Reichsregierung will auch dieser Not dadurch Rechnung tragen, daß sie die Hauptunterstützungssätze, wie der Ausschuß es ge⸗ wünscht hat, um 20 bis 25 % und die Familienzuschläge um 50 % er⸗ höht. Wir verkennen keineswegs, daß gerade auf diesem Gebiete besonders berechtigte Wünsche, die darüber hinausgehen, vorliegen, insbesondere angesichts der Tatsache, daß Deutschland so viel und so lange von folchen Erwerbslosigkeiten und Wirtschaftskrisen heimgesucht ist. Aber hier ist wirklich guter Rat nicht so leicht. Denn auch hier kommt wieder die Frage: sollen wir die Beiträge vermehren, die jetzt schon für diese Zwecke gezahlt werden? Das ist angesichts der wachsenden Erwerbslosigkeit doppelt schwer, wenn nicht unmöglich. Je mehr aber die Erwerbslosigkeit an Umfang zunimmt, desto ge⸗ ringer werden die Eingänge aus den Beiträgen, desto größer dann natürlich die Lasten des Reiches und der Länder.

Wir wollen hoffen, daß sich auch hier bald eine Wendung zum Besseren zeigt, weil wir es gegenwärtig ja nicht zuletzt mit einer Kreditnot zu tun haben. Kommt die Konferenz in London zu einem irgendwie erträglichen Ergebnis, dann dürfen wir hoffen, daß die größten Schwierigkeiten auf diesem Gebiet der Kreditnot für uns bald überwunden werden. (Zurufe rechts: Nal Na! Illusion!) Unter diesen Umständen glaube ich, daß wir uns auf dem sozial⸗ politischen Gebiet mit Rücksicht auf die Lage der Reichsfinanzen vor⸗ läufig eine gewisse Zurückhaltung auferlegen müssen. Jedenfalls müssen wir alles daran setzen, unsere Reichsfinanzen gesund zu er⸗ halten und dafür zu sorgen, daß wir nicht einer neuen Inflation ent⸗ gegengehen. Ich habe die Zuversicht, daß das gelingt, nachdem wir die bisherigen Erfolge erreicht haben. Vergleichen wir doch einmal ehrlich und offen die heutigen Verhältnisse mit dem, was wir im vorigen Herbst und im Winter und am Anfang dieses Jahres erlebt haben! (Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei.) Wer ehrlich und offen ist, muß doch zugestehen, daß es besser gegangen ist, als wir im letzten Winter erwarteten. (Sehr wahr! im Zentrum und bei der Deutschen Volkspartei.) Er muß zugestehen, daß auf Grund der Stabilisierung unserer Währung auch die sozialen Verhältnisse sich, wenn auch langsam, doch wieder gegenüber der Inflationsperiode gehoben haben. (Sehr richtig! im Zentrum und bei der Deutschen Volkspartei.) So will ich nochmals die Hoffnung aussprechen, daß wir, wenn wir jetzt dank einer halb⸗ wegs günstigen Erledigung der Londoner Konferenz wieder zu einer wirtschaftlichen Gesundung kommen, dann auch sozialpolitisch weitere Fortschritte machen werden. (Bravo! im Zentrum und bei der Deutschen Volkspartei.)

Reichsminister der Finanzen Dr. Luther: Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herren Reichsarbeitsministers haben Ihnen gezeigt, daß die Regierung auch auf dem Gebiete der sozialen Fürsorge planvoll vorwärtszuschreiten sich bemüht hat und planvoll vorwärtsgeschritten ist. ( Zurufe von den Kommunisten und von den Sozialdemokraten.) Ich glaube, man kann in diesem Zusammenhange die Zahlen, die vor dem Kriege für soziale Zwecke aufgewendet worden sind, und die jetzigen Zahlen miteinander vergleichen. Von der Kriegs⸗ beschädigtenfürsorge, deren Zahlen der Herr Reichsarbeitsminister be⸗ reits genannt hat, spreche ich nicht. Die Invalidenversicherung hat im Jahre 1913 etwa 110 Millionen in Anspruch genommen und nimmt im Jahre 1924 denselben Betrag in Anspruch. Wochenhilfe hat es im Jahre 1913 nicht gegeben. Jetzt werden etwa 20 Millionen

Mark dafür aufgewendet. Erwerbslosenfürsorge hatte es im Jahre 1913 ebenfalls nicht gegeben. Jetzt stehen für diesen Zweck im Haushalts⸗ plan 340 Millionen Mark. (Hört, hört! in der Mitte, Zurufe von den Kommunisten.) Und der Vorgang, der sich gerade jetzt hier abspielt, be⸗ weist ebenfalls, daß die Reichsregierung gerade für die sozialen Zwecke das Mkglichste zu tun bereit ist. (Lachen und Zurufe von den Kommunisten.) Meine Herren, wie ist denn die gesamte Lage unseres Haushaltsplans? (Zuruf von den Kommunisten: Wackelig!) Von derselben Seite, von der durch Zwischenrufe anscheinend immerfort höhere Beträge gefordert werden, wird gesagt, die Lage unseres Haushaltsplanes sei wackelig. Ich nehme an, daß jeder hier im Hause der Meinung ist, daß wir nicht in das furchtbare Elend der Inflationszeit vom Oktober und November vorigen Jahres zurückstürzen wollen. (Sehr richtig; in der Mitte.) Wer hat denn am schwersten da runter gelitten? Die Arbeiterklasse. (Zuruf von den Kommunisten.) Jawohl, was war das für ein Zustand, wo das Geld sich in der Lohntüte entwertete, wo mit dem erarbeiteten Gelde nachher nichts gekauft werden konnte? Das war fürchterlich. (Zuruf von den Kommunisten: Damals habt Ihr es abgestritten !)

(Fortsetzung in der Ersten Beilage.)

Verantwortlicher Schriftleiter: Direktor Dr. Tyrol, Charlottenburg.

Verantwortlich für den Anzeigenteil: Rechnungsdirektor Mengering in Berlin.

Verlag der Geschäftsstelle (Mengering) in Berlin.

Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlagsanstalt. Berlin, Wilhelmstr. 32. 8

Vier Beilagen

1“ 8 Zuwendung immerhin an⸗

A ach die laufenden Ausgaben zu bestreiten, und dann zeigt sich in

8E1u““ 8

zum Deutschen Rei

G“

(Fortsetzung aus dem Hauptblatt.)

eer hat es damals abgestritten? Wir, die wir alles aufgeboten haben, um in diese Dinge wieder Ordnung hineinzubringen, wir haben das abgestritten? Wir haben das mit allem Nachdruck betont und wir haben in die Sache Ordnung hineingebracht. (Sehr richtig! in der Mitte, Zurufe von den Kommunisten.) Jetzt werden Forde⸗ rungen aufgestellt, die ihrem Wesen nach nichts anderes bedeuten, als an Stelle der Währungsordnung wiederum die Währungsunordnung zu setzen. Dabei, meine Herren, macht die Reichsregierung allerdings nicht mit. (Bravo! in der Mitte Zurufe von den Kommunisten.) Was nun die jetzige Aufwendung von besonderen Mitteln an⸗ betrifft, so ist die Lage folgende. Sie wissen, daß unser Haushalts⸗ plan, wie er Ihnen vorgelegt worden ist, einen Fehlbetrag von im ganzen 470 Millionen aufweist. Der Haushaltsplan bedeutet in unseren jetzigen Verhältnissen nicht dasselbe, was er in einigermaßen normalen Zeiten darstellt. Wir müssen vielmehr in der Lage, in der wir uns heute besfinden, wo uns die Möglichkeit fehlt, zu Darlehn in einer irgendwie geregelten Weise zu greifen, wo wir unsere Kassen⸗ einnahmen mit Bestimmtheit in die Zukunft hinein nicht schätzen können, wo immer neue Ausgaben über uns fallen, neben dem Haus⸗ haltsplan immer für bestimmte Zeitläufte einen Kassenplan machen, indem wir versuchen, wenigstens für einige Zeit Klarheit darüber zu gewinnen, daß wir die öffentlichen Ausgaben durch die Einnahmen bestreiten können. Nun ergibt dieser Kassenplan, wie er in der Regierung sorgfältig durchgeprüft ist und kürzlich auch in seinen Einzel⸗ heiten im Hauptausschuß erläutert worden ist, daß, wenn man sich als Zielpunkt etwa den Herbst dieses Jahres stellt, wir unter Inanspruch⸗ nahme aller der Hilfsmittel, die wir heute noch haben, schließlich bis zum Herbst für die sozialen Zwecke noch einen Betrag von 15 Millionen Mark für drei Monate herausholen können. Wenn wir so verfahren dann sind wir aber in der Lage, und ich nehme gar keinen Anstand, das hier in der Oeffentlichkeit auszusprechen, daß wir im Herbst gendwelche Reserven nicht mehr haben. Wenn wir in diesem Sommer, obgleich der Haushaltungsplan als solcher dieses Loch von 470 Millionen aufweist, obgleich wir für den Monat Juli für die Micumlasten, wie sie wissen, einen Beitrag von Reichs wegen geleistet haben, trotzdem bis jetzt durchgekommen sind und bis zum Herbst durchzukommen hoffen, so beruht das darauf, daß wir immer noch einen Rest der Renten⸗ markkredite haben und verwirtschaften können, so beruht das weiter darauf, daß wir gewisse Gewinne aus der Silberprägung gezogen haben, wie dem Hause aus der damaligen Vorlage über die Silber⸗ mägung bekannt ist, so beruht das endlich darauf, daß wir einmalige Steuereinnahmen seit dem Januar gehabt haben, die aber als solche nicht wiederkehren und nicht wiederkehren können. Da ist besonders die 2 % ige Obligationensteuer, da sind daneben aber auch die Ab⸗ schlußzahlungen für die Einkommensteuer 1922/23. Alle diese be⸗ soenderen Möglichkeiten sind bis zum Herbst dieses Jahres erschöpft. Dann sind wir darauf angewiesen, mit den laufenden Einnahmen

seiner ganzen Furchtbarkeit dieses Loch von 470 Millionen Mark im Gesamthaushalt. Das Loch würde allerdings in dem Augenblick ver⸗ schwinden, wenn nach Maßgabe des Sachverständigengutachtens wir aus unseren Haushaltsmitteln im ersten Reparationsjahr für die ver⸗ dort in Betracht kommenden Zwecke nichts mehr zu leisten haben.

Nun, meine Damen und Herren, wenn die Sachlage so ist, dann werden Sie mir zunächst zugeben müssen, daß das Reich, indem es die 15 Millionen für die sozialen Zwecke auf drei Monate in den Kassenplan einsetzt, jedenfalls das Mögliche tun, um trotz dieser ge⸗ spannten Haushaltsverhältnisse der sozialen Not doch Rechnung ziu tragen.

Was den Haushaltsplan selbst anbetrifft, so würden wir jede Besserung im Haushaltsplan eigentlich verwenden müssen, um das Loch in den Ausgaben etwas zu vermindern. Aber auch das tun wir nicht, sondern ich komme gleich darauf, woher die 60 Millionen stammen wir nehmen diese 60 Millionen außerhalb des Haus⸗ haltsbildes, daß wir uns bis jetzt gemacht haben, und verwenden sie für die sozialen Zwecke. .

Wo die 60 Millionen herstammen? Zu den verschiedenen be⸗ sonderen Einnahmen, die ich genannt habe, die uns bis jetzt die Auf⸗ rechterhaltung eines Gleichgewichts im Haushalt ermöglicht haben, kommt hinzu, daß eine Reihe der Steuern und die Steuern im Ge⸗ samtbilde erfreulicherweise bis jetzt oder bis vor einem Monat etwas besser geflossen sind, als wir angenommen haben. (Rufe von den Kommunisten: Umsatzsteuer! Stundung!) Das gilt für die Umsatz⸗ steuer und die Kapitalverkehrssteuer. Auf der Grundlage des his jetzt gewonnenen Bildes glauben wir den Ansatz für die Umsatzsteuer um 50 Millionen Mark und für die Kapitalverkehrssteuaer um 20 Millionen Mark erhöhen zu können. Von den 50 Millionen der Umsatzsteuer gehen nach dem Finanzausgleich 10 Millionen an die Länder ab, so daß dem Reiche nur 40 Millionen verbleiben. Diese 40 Millionen und die 20 Millionen aus der Kapitalverkehrssteuer stellen den Betrag dar, der für die sozialen Zwecke von der Reichsregierung hier als verwendbar bezeichnet worden ist. Es stellt das überhaupt den Gesamtbetrag dar, den wir beim jetzigen Zustand des Haushaltsplans noch verantworten können.

Nun ist die Frage angeschnitten worden: wie liegt es denn mit der Erhöhung der Erwerbslosenzahlung, die sich ja nicht unmittelbar in der gleichen Weise wie die Beiträge für die Invalidenversicherung und so weiter auswirkt, nicht unmittelbar auf den Haushaltsplan auswirkt. Hier ist die Sachlage so, daß die unmittelbare Auswirkung auf den Haushalts⸗ plan im selben Augenblick eintritt, wo die nach der Gesetzgebung über die Erwerbslosenfürsorge der Wirtschaft obliegenden Beiträge erschöpft sind. Das Arbeitsministerium hat mit den Ländern über diese Frage eingehend verhandelt. Dabei hat sich ergeben, wie das Arbeits⸗ ministerium mir mitgeteilt hat, daß die geplante Erhöhung des Grundbetrages der Erwerbslosenfürsorge bei den Ländern Zu⸗ stimmung finden wird. Es hat sich ferner ergeben, daß

csa

Erste Beilage

Berlin, Donnerstag, den 24. Fuli

nzeiger und Preußischen Staatsanz

8 1u““ 8 8* 8 11“

Familienzuschläge bis zum Betrage von 40 % rechnen können. Ich habe infolgedessen im Ausschuß die Erklärung abgeben müssen, daß unter der Voraussetzung, daß bei den Ländern nicht unüberwind⸗ liche Schwierigkeiten entstehen, die Regierung mit 40 % einverstanden sei. Der Ausschuß hat dann gleichwohl 50 % beschlossen, und die Reichsregiernng wird selbstverständlich alles Mögliche tun, um auch auf dieser Grundlage mit den Ländern in Ordnung zu kommen. Ich möchte, da der Unterschied zwischen 40 und 50 % so groß nicht ist, hoffen, daß es schließlich gelingen wird, auch hier die Grundlage zu finden. Aber auch hier müssen wir uns vor Augen halten, daß die Grenze festgehalten werden muß. Gehen wir über die Grenze hinaus, erschüttern wir dadurch den Finanzausgleich und erschüttern wir dadurch den Haushaltsplan mit allen seinen Voraussetzungen, dann entschwindet damit auch die Möglichkeit, die 60 Millionen für andere soziale Zwecke, von denen ich eben gesprochen habe, zur Verfügung zu stellen.

Nun ist davon gesprochen worden, ob es möglich sei, daß neue Steuern noch erhoben werden. Ein bestimmter Antrag liegt nicht vor. Im Haushaltsausschuß hat sich ergeben, daß gegenüber einem dort gestellten Antrag eine Mehrheit für die Ablehnung vorhanden ist. Wie ist die Gesamtlage unserer Steuern? Vorhin wurde, als ich schon von den Steuern sprach, das Wort „Stundung’ dazwischen gerufen. Es ist völlig richtig, bedauerlich richtig, daß wir in großem Umfang zu Stundungen haben schreiten müssen. Dabei hat die Re⸗ gierung mit aller Bestimmtheit abgelehnt und wird weiter ablehnen, eine generelle Stundung irgendeiner Steuer vorzunehmen. So er⸗ wünscht das einzelnen Berufszweigen, einzelnen Landesteilen erscheinen mag, daß irgendeine Steuer generell gestundet wird, so unmöglich ist das für die Steuerverwaltung. Denn überall, auch da, wo an sich die wirtschaftliche Not groß ist, gibt es immer noch einzelne und an vielen Stellen sicherlich eine stattliche Anzahl einzelner, die imstande sind, zu bezahlen, und wir können bei unserer Finanzlage auf die Zahlung keines einzelnen ver⸗ zichten, der noch imstande ist, zu zahlen. Anderseits werden wir in zahlreichen Fällen Stundungen beim Einzelfall aussprechen müssen und haben sie auch schon ausgesprochen. Es hat ja gar keinen Sinn, auf diesem Wege nun große Zweige der Wirtschaft vollkommen zu zerstören. Ich habe an dieser Stelle zu wiederholten Malen gesagt: unsere Steuermaßnahmen sind hart und müssen hart sein. Ich habe zu wiederholten Malen gesagt: wir können den Grundsatz einer gesunden Steuerpolitik unter normalen Verhältnissen, nämlich den Grundsatz, daß Steuern nur aus dem Ertrage bezahlt werden, jetzt nicht gelten lassen. Unser ganzes Volk, unsere Wirtschaft lebt zum erheblichen Teil nicht vom Ertrage, sondern von der Substanz. Das ist die Notlage, und Reich und Länder und Gemeinden müssen mit ihren äußersten Notwendigkeiten von dieser Substanz mitleben.

Aber die Grenze liegt für eine Steuerpolitik da, wo die Existenz des einzelnen bei diesen Besitzsteuern schließlich vernichtet wird. Aus vernichteten Existenzen können wir nachher die Steuern auch nicht herausbringen. (Sehr richtig!) Das ist eine sehr schwere Aufgabe für unsere Finanzämter draußen. Wir haben von der Zentrale aus versucht, durch Erlasse die Sachlage so, wie sie ist, nach Möglichkeit deutlich zu machen und zu erläutern. Die schwierige Entscheidung über jede einzelne Besitzsteuerstundung wird im Einzelfall aber immer bleiben und unsere ganze deutsche Oeffentlichkeit muß daran mitwirken, daß wir hier den Weg zwischen Seylla und Charybdis hindurchfinden, daß wir auf der einen Seite nicht der Stimmung verfallen, die Not sei nicht so groß und nun brauchten mit einem Male diese harten Steuern nicht mehr bezahlt zu werden, und daß wir auf der anderen Seite nicht wertvolle Existenzen endgültig vernichten. So ist die Steuerpolitik und so muß sie sein. Bei diesem Zustand ist es Aufgabe des Reichsfinanzministeriums, vor allen Dingen die Steuern, die wir nun einmal haben, die angesichts des Zustandes der Wirtschaft wirklich tiefgreifend und hart sind, zu erhalten, zu verwirklichen. Für einen ganz verkehrten Weg zur Er⸗ reichung dieses Zieles würde ich es halten, wenn wir jetzt auf diese Steuern andere Steuern, die doch tatsächlich wieder aus denselben Quellen gezahlt würden, aufpfropfen, denn dadurch würde bei den Zen⸗ siten die Vorstellung entstehen, es komme der Regierung mehr darauf an, schöne Paragraphen mit hohen Ziffern zu haben, als darauf die Steuern wirklich zu bekommen. So wie unsere gesamte Lage einmal ist, müssen wir die ganze Tatkraft der Steuerverwaltung da⸗ rauf abstellen, die vorhandenen Steuern einzuziehen. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Und nicht zu stunden!) Nicht höhere Beträge zu stunden, Herr Abgeordneter Keil, als unbedingt notwendig ist, um eine wertvolle Existenz nicht endgültig zu vernichten. (Abgeordneter Keil: Das ist ein sehr dehnbarer Begriff.) Das gebe ich Ihnen ohne weiteres zu, daß der Begriff dehnbar ist. Das ist die schwere Auf⸗ gabe für die Finanzämter. Eine gewisse Beruhigung wird es vielleicht für das hohe Haus darstellen, wenn ich mitteile, daß über die letzte Fassung des in Betracht kommenden Erlasses zwischen dem Reichsg finanzministerium und den Länderregierungen volle Uebereinstimmun erzielt worden ist, daß also die verschiedenen verantwortlichen Stellen⸗ die Möglichkeiten der Steuererhebung in gleicher Weise beurteilen.

Meine Damen und Herren! Was dann insbesondere die hier erwähnte Tantiemesteuer anbetrifft, so liegt, wie gesagt, ein Antrag überhaupt nicht vor. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Jawohl, wir haben ihn eingebracht!) Ich habe ihn jedenfalls noch nicht gesehen. Ich will mich zunächst auf einige Bemerkungen dazu be⸗ schränken. Die Tantiemesteuer ist im Haushalt für das Jahr 1924 mit 8 Millionen angesetzt. Tatsächlich erbracht hat sie in den ersten drei Monaten 1,696 Millionen, also etwas über 1 Millionen. (Abg. Hoch: Und wieviel im letzten Monat?) Die Einteilung habe ich nicht hier. Die Tatsache, daß wir in drei Monaten nicht ein Viertel der Steuer einbekommen haben, spricht zunächst rein rechnungsmäßig dafür, daß das Aufkommen von 8 Millionen nicht eintreten wird. Diese rechnungsmäßige Er⸗ wägung wird aber noch durch folgende Tatsache unterstützt. 95 % aller Gesellschaften im Reich schließen ihr Wirtschaftsjahr mit dem Kalenderjahr. Für diese Gesellschaften ist infolgedessen damit zu

wir mit einer Bereitwilligkeit der Länd binsichtlich

=

der Tantieme kommt. Trotz dieses Umstandes haben wir nur diesen verhältnismäßig geringen Betrag. Allerdings ist dabei zu bemerken, daß die große Montanindustrie vielfach anders laufende Geschäfts⸗ jahre hat. Weiter aber ist der Tatbestand der, daß wir eine ganze Reihe besonders von kleinen Gesellschaften haben, wo die Aufsichts⸗ ratsmitglieder auf die Tantieme verzichtet haben, sodaß da eine Tantiemesteuer überhaupt nicht in Betracht kommt. Die Tantiemesteuer wird aber obendrein, wie Sie wissen, von den betreffenden Gesellschaften bezaht. Infolgedessen würde sie immer wieder eine Abwälzbarkeit ergeben, und dabei würden wir wieder auf diejenigen wirtschaftlichen Kreise stoßen, die zurzeit durch die hohen Steuern ganz außerordentlich belastet sind. Ich halte es für ein durchaus unangebrachtes Wagnis, in der Zeit, wo wir alle Kräfte dazu verwenden müssen, die vorhandenen Steuern einzuziehen, noch weitere Steuern darauf zu setzen, und ich kann dieses Wagnis dann nicht empfehlen, wenn, wie die vorliegenden Zahlen Ihnen gezeigt haben da ja eine Steuer sich immer nur in gewissen Grenzen halten kann, wenn man das Steuerobjekt überhaupt behalten will —,

eine nennenswerte Vermehrung unserer Einnahmen sicherlich nicht erreicht wird.

Meine Damen und Herren! Ich fasse mich dahin zusammen, daß die Beträge, die für die einzelnen Zwecke zur Verfügung gestellt sind, unter Beibehaltung des Loches von 470 Millionen aus dem Haushaltsplan herausgenommen sind, daß der Betrag von 15 Mil⸗ lionen für drei Monate das äußerste ist, was nach unseren Kassenverhältnissen bis in den Herbst hinein geleistet werden kann, und daß eine Ueberschreitung des jetzt vorgesehenen Erhöhungssatzes bei der Erwerbslosenfürsorge dahin führen würde, daß der Finanzausgleich erschüttert wird. Durch eine Erschütterung des Finanzausgleichs werden wiederum die Grundlagen des Haushaltsplans zerstört. Wir haben jetzl dreiviertel Jahre hinter uns, die an alle Teile der deutschen Bevölkerung die allerschwersten Anforderungen gestellt haben. Das größte Unglück aber, das uns geschehen könnte, wäre, wenn wir gerade in einem Zeit⸗ punkt, wo wir alle unsere Kraft anspannen, um zu einer anderen

7 * 5 Gestaltung der Dinge zu kommen, einen Zusammenbruch unserer Währung erleben würden.

Abg. Maslowski (Komm.) kritisiert die Zustimmung des christlichen Gewerkschafters .. zu der Es. Bustimn 8 und wirft den katholischen. Großindustriellen vor weil sie ihrg christlichen Arbeiter einfach auf die Straße werfen. Die eine Martk

ulage im Monat für die Irwaliden genüge nicht einmal, einen am⸗ ständigen Strick zu kaufen. Der Redner bemängelt weiter, daß dag Zentrum und die Deutsche Volkspartei im Ausschuß zumichst fürz soziale Verbesserungen eingetreten, nachher aber umgefallen seien, num weil der Finanzminister erklärt habe, die Anträge S. finanzpolitisch untragbar. Die christliche Partei des Zentrums habe sich nicht ge⸗ schämt, 33 Pfg. täglich für die Frau und gange 25 Pfg. für dag Kind eines Erwerbslosen zu beantragen. Buer habe seine Erwerbs⸗ losen zwangsweise zu Notstandsarbeiten auf die Nordseeinsel Wanges wog verschickt, jämmerlich verpflegt und mit vier Mark wöchentlich bezahlt. Als die Deportierten ihre Wanzenbaracken verließen, seien 8. von der Polizei zurückgetrieben und beim zweiten Auszug einfach ern der Heimat ihrem Schicksal überlassen worden zu einer Zeit; als die Ausbeuter sich auf der Insel im Seebade gütlich taten. Diese Versklavung sei schlimmer als die im alten Rom. Der Redner fragt.; ob der größte der Welt, Stinnes, schon einen Pfemnig, Erbschaftssteuer gezahlt habe. Wenn er die Steuer zahle, ei bereits ein großer Teil der Reparationen und die sozialpolitischen gedeckt. Gelder seien also schon zu schaffen für die Aermsten der Armen. Aber das Volk dürfe sich nicht der Hoffnung hingeben, daß diese „Reichsquasselbude“ ihm helfen werde. Ex müsse sich die Betriebe selbst erobern.

Abg. Gerig (Str.) verteidigt seine Fraktion gegen den Vor⸗ wurf des Umfalls. Das Zentrum habe nicht weekraglich gegen irgend einen seiner eigenen Anträge gestimmt. Maslowski habe eine Umvahrheit an die andere gereiht und im übrigen offenbar immen den Sozialen mit dem Kriegsbeschädigtenausschuß verwechselt. Von den Kommunisten könne man nur sagen: Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun? (Heiterkeit.) Wie die Inalidenversicherung wieder gesunden konne, müsse im Ausschuß geprüft werden. Mit 85 gemeinen Rechtsmitteln aus Struern, wie es die Sozialdemekraten wünschten, könne man nicht hellen. Am Verwaltungsapparat wer man sicher sparen können. 9 die bisherigen Saätze für die Er⸗ werbslosenfürsorge zu niedrig seien, ü wären alle Parteien einig en. Die vom Ausschuß e ““ Erhüöhungen der Sätze und der Fenn seien S. or mäßig, und am liebsten wäre das Zentrum bei hundert Proßent Erhöhung 88 Zuschläge ver⸗ blieben, aber nach den ministeriellen Darlegungen bleibe schließlich nichts übrig, als jene Erhöhungen für jetzt zu akzeptieren. Der Frage der Kurzarbeit müsse erhöhte Aufmerksamkeit zugewendet werden. Im wesentlichen werde man sich an die Beschlüsse des Haushaltsausschusses halten müssen. Herr Maslowski habe das Zentrum angerempelt; aber gerade das Zentrum habe den Antrag eingebracht, das Unter⸗ stützungsalter der jugendlichen Erwerbslosen von 18 auf 17 Jahre herabzusetzen.

17

Frren schlägt Vizepräsident Bell nach ½7 Uhr die Vertagung der Beratung auf Donnerstag, 2 Uhr, vor. Von den Nationalsozialisten, den Deutschnationalen und den Kom⸗ munisten wird diesem Vorschlag mit der Begründung wider⸗ sprochen, daß dann die sozialpolitische Aussprache morgen und eventuell überhaupt nicht zum Abschluß —— könnte, da man am Freitag die große politische Aussprache begixn wolle. Nach zum Teil erregter v ebatte wird auf Vorschlag des Abg. Löbe (Soz.) beschlossen, zunächst noch eine Stunde weiter zu tagen.

Abg. Dr. Moldenhauer (D. Vp.): Es handelt sich be unserer Stellungnahme nicht um großkapitalistische Interessen. Wir müssen vor allem darauf bedacht sein, daß die Wirtschaftsmaschinerie weiter laufen kann. Herrn Hoch gegenüber will ich nur bemerk. F es im Augenblick der Tagung der Londoner Konferenz wirklich 8 nicht angebracht war, von denjenigen zu sprechen, die uns in den „Krieg hinein gehetzt hätten“, (Sehr wahr!) Eine Sozialpolitik treiben, die die Wirtschaft ruiniert, würde ßes Elend über Mil⸗ lionen bringen. Der Inbalidenversicherung kann weder durch Ver⸗ doppelung der Arbeiterbeiträge geholfen werden, noch dadurch, daß man den Arbeitgebem alle Lasten Die Gemeinden aber müßten mehr für die Sozialrentner tun. Bei der Erwerbslosen⸗ fürsorge hänge alles von der politischen und wirtschaftlichen Ent⸗ wicklung ab. Jetzt Anträge anzunehmen, die heute durchführbar seien, aber vielleicht in vier Wochen nicht mehr, wäre ein schwerer Fehler. Seine Partei sei bereit, weiter zielbewußte Sozialpolitik zu treiben, deren Notwendigkeit sie einsehe, aber die Sozialpolitik dürfe die

rechnen, daß die ganz überwiegende Menge gerade in den Monaten April, Juni Jahresabschluß und damit zur Ausschättung

inanzen und die Volkswirtschaft nicht gefährden. (Beifall bei der Deutschen Vocrsyartei) 8