1924 / 204 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 29 Aug 1924 18:00:01 GMT) scan diff

heäaben müsse.

Daß Du ein bestochenes Subjekt bist wissen wir schon lange!) Es ist charakleristisch, daß, wenn wir zusammen mit der Deutschen Volkspartei Wünsche zur Durchsetzung der nationalen Forderungen formulieren, die Demokraten und Sozial⸗ demokraten sie ablehnen. (Abg. Müller⸗Franken [Soz.]: Haben Sie unsere Erklärungen nicht gehört?) Ja, gber sie waren ungenügend Das ist eine Politik der nationalen Schwäche nach außen hin. Aus dieser Einstellung der Reichsregierung heraus, die sich von den üblen Traditionen der deutschen Politik noch nicht hat befreien können, entwickelte sich das, was wir mit vollem Recht die Dawes⸗Propaganda nenen. Erinnern Sie sich, daß z. B. die mit Reichsgeldern bezahlte Reichszentrale für Heimatdienst das Gutachten anpreist unter dem Titel „Die Bibel der Wirtschaft“, (Lebhaftes hört, hört! rechts.) In dem Moment, wo der deutschen Wirtschaft die schwersten Opfer auf⸗ erlegt werden, wo der Reichsverband der Deutschen Industrie diese Opfer als unerfüllbar bezeichnet (Widerspruch, der den Redner zur Verlesung der Resolution des Reichsverbandes veranlaßt) ist es verfehlt, den Ausdruck zu gebrauchen „Bibel der Wirtschaft“, Herrn Dawes als den neuen Wilson und den Erlöser der deutschen Wirt⸗ schaft anzupreisen. Sie werden zugeben müssen, und das ist das ent⸗ scheidenste, daß auch die Wirtschaft der Auffassung ist, daß wir hier unter einem Druck und Zwang beim Abschluß des Abkommens ge⸗ standen haben. (Zurufe von den Nat.⸗Soz.) Ueber die Verurteilung des Gutachtens durch die Landwirtschaft besteht ja überhaupt kein Zweifel. Jedenfalls ist auch die Industrie der Meinung, daß das, was man von uns verlanat, die Leistungsfähigkeit Deutschlands über⸗ steigt. Wir machen der Regierung den Vorwurf, daß sie, was sogar die Industrie als unerträgliches Opfer bezeichnet, als tragbar und als einen Sieg der deutschen Interessen hat anpreisen lassen. Wir haben nicht bloß zu bluten, sondern wir müssen auch den Verlust von Hoheitsrechten auf uns nehmen. Nun tröstet man uns mit dem Ausbau des Schiedsgerichtsgedankens. Damit ist es eine merkwürdige Sache; dieser Gedanke weist eine durchaus doppelseitige Natur auf. Statt der Reichsbahn bekommen wir eine Reichsbahngesellschaft; diese Gesellschaft, das erkläre ich von der Tribüne aus, ist unmöglich als eine deutsche Gesellschaft zu bezeichnen. Hier ist das Schiedsgericht eingeschoben nicht bloß für Streitigkeiten zwischen dem Reich und dem Treuhänder, sondern auch gegenüber der eigenen Reichsbahn⸗ gesellschaft; in zweiter Instanz muß die deutsche Regierung künftig hier Recht nehmen an einer nicht deutschen Stelle. Noch schlimmer steht es bei den kontrollierten Einnahmen. Diese werden aus dem Reichshaushalt herausgenommen; damit ist die Einheit des Reichs⸗ haushalts zerstört und die Stellung des Reichsfingnzministers in ihren Grundlagen erschüttert. Wir werden in Deutschland noch die Ungeheuerlichkeit erleben, daß es zum System der Steuerpocht kommen wird, die mit der Ausbeutung der untersten Klassen des Volkes identisch ist. (Lebhafte Zustimmung rechts.) Die indirekten Steuern

sind in dem Gutachten in einem ausgesprochen kawitalistischen Sinne behandelt, und es ist geradezu unglaublich, daß sogar von einer Arbeiterpartei ein solches Gutachten angenommen und sogar zu einer

Wahlparole gemacht werden kann. (Lebhafter Widerspruch und an⸗ dauernde Zuruse bei den Sozialdemokraten. Vizepräsident Rießer ersucht um etwas mehr Ruhe.) Jetzt werden die Herren hoffentlich längst über diese Wirkungen dieser Pandorabüchse sich klar sein. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Wie werden Sie denn eigentlich im letzten Augenblick stimmen?) Ueber die Art, wie der Reichsfinanzminister entgegen seiner Haltung im Ausschusse sich im Plenum bei seiner Darstellung der Situation ausgelassen hat, können wir nur ein Ge⸗ fühl tiefer Enttäuschung empfinden (Zuruf des Reichsfinanzministers.)

Auf einen Zuruf des Abgeordneten Dittmann bemerkt Redner; Wenn Sie, Herr Dittmann, mit Ihrer Vergangenheit glauben, bei den Wahlen etwas zu erreichen, so irren Sie sich. (Lebhafte Zustimmung

rechts. Lärm bei den Sozialdemokraten.) Die Haltung der Sozial⸗ demokratie ist von politischen Momenten diktiert, die das Charakte⸗ ristikum der ganzen fluchwürdigen Politik seit 1918 sind. (Große Unruhe bei den Sozialdemokraten.] Diese Politik ist eine Politik nicht der Kurzsichtigkeit, sondern eine sehr weitsichtige. Man sieht nicht nur Reichstagswahlen, sondern auch schon die kommenden Reichspräsidentenwahlen und hält es für möglich, in der Zwischenzeit

eine Reichstagswahl einzuschalten, einen Wahlkampf, von dem man sich einen Kampf der nationglen Parteien untereinander verspricht.

Wir warnen Sie; glauben Sie nicht, den deutschen nationalen Ge⸗ danken wieder ducken zu können. Wir werden jedenfalls dafür sorgen, daß der nationale Gedanke in Deutschland nicht stirbt. (Lebhafter Beifall rechts.)

Abg. Sollmann (Soz.): Die vorliegenden Gesetze sind für

ins nur die Konsequenz des verlorenen Krieges. Das 8

Reparationsprogramm ist um sehr viel besser als der Dawes⸗Plan, selbst wenn die deutschnationalen Anträge angenommen werden. Von echts und links hat man in den letzten Tagen nur öde Schimpfereien

ehört, und hinter den Kulissen ging ein Parlamenteln vor sich, um

wieviel Silberlinge man sich seine nationale Schmach abkaufen lassen ollte. Alle Demagogie von rechts und links ist geschlagen dadurch,

niemand einen anderen Ausweg gezeigt hat. Die Deutsch⸗

zationalen sind ebenso unfruchtbar wie die Nationalsozialisten und die

Nationalkommunisten. (Heiterkeit) Die Kommunisten sorgen mit Anträgen jetzt schon für die Beamten der Regie, aber sie verhindern, die Regie verschwindet. Sie sorgen für die zurückkehrenden

Ausgewiesenen, aber überlassen es den anderen Parteien, für déren Rückkehr zu sorgen. (Sehr gut! bei der Mehrheit.) Auch wir bedauern, daß die Separatisten amnestiert werden müssen; aber es blieb nichts anderes übrig. Jetzt werden wir Dr. Stresemann beim Wort nehmen, der im Auswärtigen Ausschuß erklärt hat, daß die Amnestie auch auf allgemeine politische Vergehen ihre Rückwirkung

Jeder, der in Deutschland vom Revanchekrieg spricht, ist ein Verräter am besetzten Gebiet. Ludendorff würde uns im esetzten Gebiet einen großen Gefallen tun, wenn er sich ein Schweige⸗ elübde für einige Jahre auferlegen wollte. Die Deutschnationalen haben mit dem Gedanken weiterer Besetzung gespielt, z. B. Hugeh. erg in Weimar, sie haben sich während des Ruhrkampfes bereits nit der Loslösung abgefunden. Wo ist denn das positivpe .ee

dieser Opposition? (Abg. Dr. Quaatz [D.⸗Nat.]: Lassen Sie uns

in die Regierung kommen!) Ein nationaler Mann darf mit seiner nationalen Arbeit nicht warten, bis er Minister geworden ist. (Leb⸗ hafte Zustimmung bei der Mehrheit, Unruhe bei den Deutsch⸗ gationalen.) 2 die Sozialdemokraten seinerzeit festblieben, als es sich um die Verhandlungen, betreffend Abtrennung des Rheinlandes handelte, das ist ihr historisches, nationales Verdienst. (Unruhe und

Zurufe rechts.) Das Spannende in den letzten Wochen war die

Haltung der Deutschnationglen. Wir sehen vor uns eine Partei, efangen in den Schlingen ihrer Demagogie. Die einsichtigen Päbtes,

müssen kapitulieren vor dem Unverstand und der Ueberspanntheit,

die fünf Jahre lang in die Massen hineingetrichtert worden sind. Zuruf rechts: Von der Sozialdemokratie fünfzig Jahre lang!) Wir tehen vor dem Bankrott der nationaglistischen Demagogie. Sie haben um Regierungssitze und um Zollsätze geschachert. Sie wollten sich Fhre Zustimmung hoch 8ge9c lassen, Sie sind demaskiert. (Lachen bei den Deutschnationalen.) Die Kommunisten erzählen uns, daß die Kussen uns befreien werden, vorausgesetzt, daß Morgan ihnen das Geld dazu pumpt. (Große Heiterkeit.) Moskau ist jetzt ihr Mekka scorden, aber die Russen werden sich nicht am Rhein für uns schlagen. Das Heil kommt nur aus einer Gesundung der deutschen

Wirsschaft und der deutschen Menschen. Eine verkommene, verarmte kasse kann vielleicht Faustkämpfe, aber niemals den Klassenkampf usführen. Der Redner geht dann auf die wirtschaftlichen Folgen

des Abkommens für das deutsche Volk, insonderheit die Arbeiterschafk

und sagt: Wir haben das Londoner Abkommen angenommen, weil r keinen anderen Ausweg sehen. Der Redner bezeichnet als Folge iner Ablehnung der Gesetze schlimmere und härtere 8n Ver⸗ inderung der Räumung, die Gefahr einer neuen Inflation, die

Gefahr neuer Sanktionen, neuer Arbeitslosigkeit und Hungerrevolten. Wenn in den nächsten 24 Stunden die Gegner der Gesetze nicht zur

Besinnun kommen, verlangen wir, daß das Volk rasch

und zur Wahlurne gebracht wird. rechts: Wir auch!) Wir

verteidigen die Zukunft und die Freibeit der deutschen Nation gegen die Deutschnationalen und die hohe Kultur der deutschen Arbeiter⸗ ewegung gegen die rohen Gewaltakte der Kommunisten. Wir

Höllein antwortet:

Reichsarbeitsminister Dr. Brauns: Meine Damen und Herren! Der Herr Vorredner hat, indem er sich besonders an mich wandte, eben unter anderem die Frage aufgeworfen: was haben wir denn mit der Abänderung des Achtstundentages im Spätjahr 1923 erreicht? Er hat gemeint, es hätte sich seit der Zeit überhaupt nichts gebessert⸗ Ich will auf diese Frage nicht länger eingehen; aber die eine Be⸗ merkung muß ich doch gegenüber einer Darstellung, die mir grund⸗ falsch zu sein scheint, machen: es hat sich seit der Zeit sehr viei gebessert. (Sehr wahr! im Zentrum.) Wir haben leider die schwierigen Verhältnisse von damals allzu sehr wieder vergessen. (Erneute Zustimmung.) Es scheint, daß wir uns kaum noch erinnern, in wvelcher fürchterlichen Lage wir damals gewesen sind. Wir hatten damals nicht etwa eine halbe Million Erwerbsloser wie heute, sondern 4 bis 5 Millionen Erwerbslose. (Hört! hört! bei den Mittelparteien und rechts.) Das Ruhrrevier insbesondere und das ganze besetzte Gebiet waren in einer geradezu verzweifelten Lage. Wir wußten nicht, wie wir angesichts unserer Geld⸗ und Kreditschwierigkeiten, angesichts beispielsweise auch der Preislage, angesichts der Preislage insbesondere auf dem Eisen⸗ markt, unsere Großindustrie im Ruhrrevier überhaupt wieder in Gang bringen sollten. Wir sind uns damals klar gewesen, alle großen Parteien des Reichstags, auch die Partei des Herrn Vorredners, daß das auf dem Boden der damaligen Arbeitszeit praktisch unmöglich war. (Sehr wahr! bei den Mittelparteien.) Ich kann nur nochmals betonen, daß das Gesetz, das wir heute haben, nicht das Ideal ist, und daß wir es auch so bald wie möglich abändern werden. Ich werde bei anderer Gelegenhei Veranlassung nehmen, darüber noch ein weiteres Wort zu sagen, und nicht bloß darüber zu reden, sondern in dieser Richtung auch zu handeln. Nur muß ich noch einmal betonen, daß nur zur An⸗ kurbelung unserer Wirtschaft im Herbst vorigen Jahres eine längere Arbeitszeit nötig gewesen ist, und daß wir auch nur die Wiederauf⸗ nahme der Arbeit im Ruhrrevier mit der alten Arbeitszeit nicht fertig⸗ bringen konnten. Damals sind wir uns darüber auch mit der Partei des Herrn Vorredners einig gewesen.

Reichsminister des Auswärtigen Dr. Stresemann: Meine Damen und Herren! Ich habe die Absicht, auf die Ausführungen der beiden Herren Vertreter der großen außerhalb der Regierung stehen⸗ den Parteien kurz zu antworten. Gestatten Sie mir aber vorher eine allgemeine Betrachtung. Während wir hier in Deutschland die Fragen des Londoner Abkommens behandelt haben, sind, wie Sie wissen diese Verhandlungen auch in Frankreich in der Kammer und im Senat geführt worden. Mir sind heute früh die Ausführungen zu⸗ gegangen, die der frühere Herr Ministerpräsident Poincaré im Senat gegen die Politik des Herrn Ministerpräsidenten Herriot gemacht hat. Herr Poincaré wendet sich zunächst der Ruhrbesetzung zu und verficht die These, daß die Erklärung der französischen Regierung, wonach Militärs zum Schutze einer in das Ruhrgebiet zu entsendenden Ingenieurkommission gesandt worden seien, für die Gegenwart nicht mehr existiere. (Lebhafte Rufe: Hört, hört!) Die französische Note vom 26. Januar 1923 habe bei irgendeiner deutschen Auflehnung

Gegenmaßregeln in Aussicht gestellt. Durch den passiven Widerstand, der der Auflehnung gleichkomme, habe sich der Charakter der Ruhr⸗ besetzung geändert; sie sei nicht mehr der früheren Art. Infolgedessen mißbilligt Herr Poincaré aufs allerschärfste das Londoner Räumungs⸗ versprechen als in vollem Gegensatz zu den Interessen Frankreichs stehend.

Herr Poincaré wendet sich dann gegen Herriot wegen der Räu⸗ mung derjenigen Gebiete, die wir als Flaschenhälse zu bezeichnen pflegen, und er wendet sich weiter gegen die Erklärung des Herrn Herriot in bezug auf die Räumung der Sanktionsgebiete. Für die beiden Teile der deutschen Besetzung, auch für alle im Zusammenhang mit den Zollmaßnahmen besetzten deutschen Gebiete gibt der frühere französische Ministerpräsident wörtlich folgende Erklärung ab:

Sie sind besetzt kraft Völkerrechts und wegen der bedrohten Sicherheit der Besatzungstruppen, und Frankreich ist durch nichts zu ihrer Preisgabe verpflichtet.

(Hört, hört!) Er wendet sich weiter den Räumungsfristen zu und verficht seine alte These, daß die Räumungsfristen überhaupt noch nicht zu laufen begonnen hätten (Rufe rechts: Unerhört!), und zwar, weil Deutschland die Pflichten des Vertrags von Versailles nicht erfüllt habe, namentlich nicht in bezug auf die Auslieferung der so⸗ genannten Kriegsverbrecher. (Bewegung.)

Was die Kölner Zone anbetrifft, so erklärt Herr Poincaré in einer einigermaßen hämischen Weise, Frankreich brauche ja nur nach⸗ drücklich zu erklären, daß es im Falle der Räumung der Kölner Zone durch England seinerseitts dieses Gebiet sofort mit seinen Truppen besetzen werde (lebhafte Rufe: Hört, hört!), und man werde sicher sein, daß dann England in Köln bleiben werde.

Meine Herven, Sie haben durch das Ergebnis der Verhand⸗ lungen im französischen Senat erfahren, daß die Mehrheit des Senats, die früher einstimmig für die Politik des Herrn Poincaré sich wiederholt ausgesprochen hatte, ihm nicht gefolgt ist, daß die Mehrheit des Senats sich auf den Standpunkt des Ministerpräsidenten Herrivt gestellt hat. Ich habe in meiner ersten Rede ausgeführt, daß niemand von uns eine Gewißheit dafür hat, wie lange Herr Horriot ein politischer Machtfaktor in Frankreich bleiben wird. Die letzten Wahlen in Frankreich haben ziffernmäßig ein Ergebnis ge⸗ habt, das man etwa so darstellen kann, daß nur etwas über die Hälfte der abgegebenen Stimmen für die heute herrschenden Parteien ubgegeben ist, die andere Hälfte für den Bloc national, der hinter Herrn Poincaré stand, hinter Herrn Poincaré steht, so wie er noch heute auch in der Presse, in der öffentlichen Meinung Frankreichs eine große Gemeinde hinter sich hat. Und ich möchte an diejenigen, die hier nein sagen wollen und die damit das ganze Ergebnis der Londoner Abmachungen in Frage stellen, einmal die Frage richten: wenn man diese Aeußerung von Poincaré liest und weiß, welcher Vernichtungswille dahinter steht, vielleicht würdigt man dann auch etwas mehr, was in London gegenüber diesem Vernichtungswillen erreicht worden ist. (Lebhafter Beifall bei der Deutschen Volks⸗ partei, in der Mitte und bei den Sozialdemokraten.) Wenn Sie gegenüber dieser Tendenz: „ich habe Deutschland in den Klauen und lasse es nicht wieder los“ das ist doch die ganze Tendenz der Ausführungen von Poincaré (sehr richtig), wenn Sie dem⸗ gegenüber hier sehen, daß die Erklärung gegeben ist für die Räumung der Sanktionsgebiete, daß die Erklärung gegeben ist nicht nur für die Räumung des Ruhrgebiets, sondern für den praktischen Anfang der Räumung, wenn Sie sehen, daß sofort gegenüber diesen Ge⸗ bieten in Baden, bei Vohwinkel, bei Remscheid, bei Königswinter,

kämpfen gegen die Front von Ludendorff bis Katz. (Große Heiterkeit.

kraft Völkerrechts wegen bedrohter Sicherheit der Besatzungstruppen, nichts verpflichtet uns zu ihrer Preisgabe“ —, daß demgegenübe erklärt ist: mit der wirtschaftlichen Räumung werden die Trupper aus all diesen Gebieten zurückgezogen —, wenn Sie darüber hinaus den Gedanken sehen, der sich doch als Grundgedanke ob er im einzelnen richtig durchgeführt ist, lasse ich dahingestellt sein durch dieses Gutachten hindurchzieht, durch wirtschaftliche Abmachung eine Lösung der Reparationsfrage zu finden, die sie aus der Sphäre der politischen Macht und Unterdrückung heraushebt und in die Sphäre wirtschaftlicher Abmachung —, wenn Sie unter diesen Gesichts⸗ punkten dieser Ausführungen Poincarés einmal das Londoner Er⸗ gebnis sich ansehen, dann wird es von manchem doch objektiver be trachtet werden, als mir das manchmal in der Diskussion dieses Hauses erschienen ist. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten und in der Mitte.)

Meine Herren, der Herr Abgeordnete Dr. Curtius hat angeknüpft an Worte, die Theodor Storm einmal gesprochen und die so wundervoll für das Gemüt klingen, daß man sie g hört und gern sagt. Aber dieses Zitat: Nicht fragen, was dar kommt —, das ist nicht für einen Staat geschrieben. (Sehr rich bei den Sozialdemokraten und bei den Deutschen Demokraten.) möchte jedenfalls wünschen, daß verantwortliche Staatsmänner Deutschen Reichs sich die Frage stets vorlegen, welches die Fol ihrer Handlungen oder die Folgen ihrer Unterlassungen sein werd (Lebhafter Beifall bei der Deutschen Volkspartei, in der Mitte bei den Sozialdemokraten.)

1 Meine Damen und Herren! Wenn ich sagte und das werden mir, glaube ich, auch die Kritiker links und rechts zugestehen —, daß London nicht im Geiste des Poincarismus gestanden hat soweit werden Sie mir, glaube ich, alle folgen können —, dann darf ich das andere für die Zukunft sagen: diese Senatsdebatte zeigt al auch, daß wir Gefahr laufen, diesen Geist des Poincarismus wie zu dem herrschenden Geist in Europa zu erheben (Zustimmung der Mitte und bei den Sozialdemokraten), wenn durch Schuld! uns Verhandlungen scheitern, deren Scheitern ich in dem Augenb sehe, wo der Faden abgerissen ist, wobei ich aber die Wied anknüpfung noch nicht sehe, wenn wir nicht in irgendeiner Fo innerhalb des deutschen Parlamentes oder des deutschen Volkes einer Verständigung kommen. (Sehr richtig! in der Mitte und den Sozialdemokraten.) Ich habe deshalb geglaubt, doch auf d. Situation einmal aufmerksam machen zu sollen und von dies Gesichtspunkte zu bitten, einmal zu prüfen, inwieweit der französif Ministerpräsident in der Lage war, über das hinauszugehen, was seinerseits in London getan hat.

London ist ein großer weltwirtschaftlicher, wenn Sie woll ein weltpolitischer Zwangsvergleich oder ein Kompromiß zwisch den Völkern. Ein Kompromiß zwischen Parteien in diesem hol Hause pflegt selten eine Partei völlig zu befriedigen. Ein Ko promiß zwischen Völkern, über denen noch der Schatten des waltigsten Krieges der Weltgeschichte liegt, steht unter dem Eindr all der Aufwallungen dieser Völker. Ich schätze dabei die Aufwallu des deutschen Volkes in nationaler Beziehung nicht als das schlechte für eine Regierung und bin weit davon entfernt, in Kritik und Opp sition nationaler Art dann Schwierigkeiten zu sehen, wenn sie sich innerhalb der Grenzen der Verantwortlichkeit bei der letzten Ent⸗ scheidung halten. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei)

Wenn nun auch dieses Kompromiß uns nicht befriedigt, wie es scharfe Kritik in Frankreich, in England auslöst, ist denn dadurn nicht eigentlich der Beweis geführt, daß jede Delegation an ihr Statt versucht hat, das Beste herauszuholen? Natürlich bleibt Wünschen und Beschwerden unendlich viel übrig. Aber das Ganz ist doch und da möchte ich auf einen Hauptpunkt der Kri kommen nicht von Ewigkeitswert. Man spricht hier immer vo der wirtschaftlichen Bibel. Herr Kollege Quaatz, Sie sollten d Kritik doch in großzügigerer Weise üben. Die Regierung hat doch nicht die Geschmacklosigkeit besessen, das Sachverständigengutachten als eine wirtschaftliche Bibel zu bezeichnen. Was geschehen ist, ist, daß d vom Auswärtigen Amt herausgegebene Wortlaut von einem Ve leger, dem wir die Dinge übergeben haben, in geschmackloser und u gehöriger Weise mit den Worten, die Sie zitiert haben, annonciert worden ist, die übrigens in Gänsefüßchen in dem Inserat stehen (Zuruf von den Nationalsozialisten: Na also!) Glauben Sie mir, es hat in den letzten Tagen etwas Wichtigeres für die deutsche Reichs⸗ regierung gegeben, als sich darum zu kümmern, ob dieses geschmacklos Inserat erschienen ist. (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und bei den Sozialdemokraten.) Ich habe hier einmal von der Auffassung gesprochen, die die amerikanische öffentliche Meinung von dem Dawes⸗ Gutachten hat. Nie von uns! Ich habe in dieser Rede gesagt: für Amerika ist das Dawes⸗Gutachten sozusagen die wirtschaftliche Bibel Ich glaube, das ist auch vollkommen richtig; die öffentliche Meinun ist ein Faktor, mit der ein Außenminister zu rechnen hat. richtig!) Ich bin mir vollkommen klar darüber, daß für das amerika nische Volk, bei dem die Zahl der Leser des Gutachtens wahrscheinlicdh noch geringer ist als in Deutschland (Heiterkeit und Zustimmung) der eine Gesichtspunkt im Vordergrund steht: unser Staatssekretär Hughes hat den Anstoß zu den Arbeiten der Sachverständigen ge⸗ geben, unser General Dawes hat diese Dinge zu Ende geführt. Der Gedanke bei dem Ganzen ist die Befriedung Europas, und der Ge⸗ danke im Zusammenhang der amerikanischen öffentlichen Meinung ist etwa der: wir haben den Krieg entschieden, aber wir haben auch den Frieden gemacht. Daraus ergeben sich große Volksströmungen, und je oberflächlicher der einzelne denkt, wenn er die Zusammenhänge nicht kennt, um so lieber schließt er sich an ein Schlagwort an. Das kann aber Kraft haben in einem Zeitalter, in dem die öffentliche Memung ein politischer Machtfaktor ist. Und deshalb und in diesem Zusammen⸗ hang habe ich einmal davon gesprochen: wir müssen uns klar darüber ein, daß für die amerikanische Oeffentlichkeit dieses Gutachten eine Art wirtschaftlicher Bibel darstellt —, nicht für uns, nicht von unserem Standpunkt aus. Nein, ich gehöre weder zu denen, die den Versailler Vertrag als die Magna Charta für Deutschland ansehen, noch zu denen, die das Sachverständigengutachten als wirtschaftliche Bibel benutzen wollen.

Um was es sich aber handelt, ist die Frage, ob dieser Vertrag, wie ich sagte, auch gewissermaßen Ewigkeitswert besitzt, ob man ihn ansehen muß unter dem Gesichtspunkt: was wird aus uns bei Durch⸗ führung dieses Vertrages im Jahre 1935 oder später? Ich habe neulich einmal eine Schlagzeile in einer Zeitung gelesen, eine Ueber⸗ schrift: „Noch 35 Jahre Kohlentribute an Frankreich!“ Die Frage dieser Lieferungen ist durchaus gelöst worden im Einvernehmen mit

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Seoel —e!

von denen Herr Poincars ganz ruhig, leidenschaftslos sagt: „besetzt

der deutschen Wirtschaft, da wir gar kein Interesse daran haben,

Ueberschüsse der deubschen Wirtschaft irgendwie bei uns zu bannen zu politischen Zwecken, da dieser Austausch durchaus im gegenseitigen Interesse lag.

Aber worauf ich kommen will, ist etwas anderes. Ich lese heute im „Berliner Lokal⸗Anzeiger“, der ja sicherlich, wie Sie wissen, nicht das offiziöse Regierungsorgan ist, sondern seine Inspiration von anderer Seite empfängt. (Abg. Dr. Quaatz: Ist uns nicht bekannt!) Ich sage, ich lese in diesem „Lokal⸗Anzeiger“ Aeußerungen, die mir von großer Bedeutung zu sein scheinen, nämlich Aeußerungen des englischen Premierministers, der zusammen mit anderen Mitgliedern der englischen Regierung den Standpunkt vertreten soll, daß es im eigensten Interesse der Vertragsunterzeichner liege, den Vertrag da zu ändern, wo Aenderungen unbedingt notwendig seien, die Er⸗ fahrungen abzuwarten, die man mit diesem Vertrag mache und auch Folgerungen daraus zu ziehen, wenn es sich ergäbe, daß Reparations⸗ zahlungen über das hinausgingen, was Deutschland zu leisten ver⸗ möge. Das heißt, daß die Höhe dieser Zahlungen ein Ding der Un⸗ möglichkeit sei.

Meine Damen und Herren! Es ist ein Antrag von der Deutsch⸗ nationalen Volkspartei eingegangen, den ich eben überflogen habe, der, soweit ich es in Erinnerung habe, fordert, innerhalb von zwei Jahren eine Nachprüfung der deutschen Leistungsfähigkeit vor⸗ zunehmen. Ich würde die Annahme dieses Antrags für politisch un⸗ klug halten. Man kann nicht einen Eventualantrag in zeitlicher Be⸗ grenzung fassen und, ohne zu wissen, was die beiden nächsten Jahre bringen, zu erklären: wir wollen von diesem uns zustehenden Recht innerhalb dieser Zeit Gebrauch machen. Nein, meine Damen und Herren. Aber was notwendig ist und auch in einem anderen Antrag niedergelegt ist, worüber wir ausführlich gekämpft haben im Aus⸗ wärtigen Ausschuß, ist, nicht rütteln zu lassen an den Grundlagen, die doch enthalten sind auch in diesem Vertrag und die uns die Mög⸗ lichkeit geben, eine Nachprüfung unserer Leistungsfähigkeit in dem Augenblick zu verlangen, wo wir erkennen, daß diese Leistungen hin⸗ ausgehen über das, was das deutsche Volk zu leisten vermag. Das ist einmal die Bestimmung des Versailler Vertrags, und das sind zweitens darüber haben wir uns in London auch ganz besondere Auskunft geholt diejenigen Bestimmungen des Vertrages, die da sagen, daß die Lebenshaltung des deutschen Volkes nicht sinken soll unter die Lebenshaltung anderer Völker. Darf ich Sie auf eines auf⸗ merksam machen, gerade mit Bezug auf den Gedanken, daß das Dawes⸗ Gutachten eine Bibel ist: wir haben bei Verhondlungen in London gesehen, daß in einer ganz entscheidenden großen Frage die größten Unstimmigkeiten auch unter, zwischen der Kommission und den Ver⸗ fassern des Dawes⸗Plans darüber bestanden, in welcher Weise ge⸗ wisse Dinge sich praktisch verwirklichen sollten. Es handelte sich um langfristige Anlagen in Deutschland auf Grund des Transfers und ähnlicher Bestimmungen. Ich bin der festen Ueberzeugung, daß alle Völker ihre Erfahrungen erst machen werden mit der Durchführung dieses Sachverständigen⸗Gutachtens, aus diesen Erfahrungen lernen werden, und wenn bis dahin und das ist das Entscheidende ein verständiger Geist zwischen den Völkern erhalten bleibt, die diesen Vertrag geschlossen haben. Dann ist auch durchaus die Möglichkeit der Entwicklung dieses Vertrags gegeben die Möglichkeit das, was unmöglich, unerträglich, undurchführbar ist, durch andere vernünftigere und mäßigere Bestimmungen zu ersetzen. (Zuruf von den Deutsch⸗ nationalen: Seit 1916 baben wir vertraut!) Ja, ist denn nicht die ganze Zeit von 1918 bis zur Gegenwart ein fortwährendes Tasten nach Versuchen, diese Reparationsfrage durch die Poincarésche These der Gewalt, durch unendlich viele Vorschläge von Weltwirtschaftlern der verschiedenensten Staaten zu lösen? Und schließlich ist doch nicht geblieben, was man uns auferlegt hat; es steht doch nicht das Londoner Ultimatum vor uns. Man vergißt nichts so leicht wie überstandene Gefahren, man müßte aber auch die Güte haben, sich zu überlegen, wie es denn war, als wir das erste Mal von London kamen (sehr richtig! be den Mittelparteien), wie wir da dem Diktat gegenüberstanden, nachdem man sich nicht über die einzelnen Dinge verständigt hatte. Der Weg, der bis zu diesen Londoner Ab⸗ machungen gegangen worden ist, und der wahrlich, wie ich ihn genannt habe, ein Weg der Demütigungen für Deutschland war, der sicher⸗ lich nicht etwas geschaffen hat, was irgend jemand von uns mit innerer Befriedigung betrachten könnte, muß doch als eine Etappe in einer weiteren Entwicklung angesehen werden, deren Ende wir nicht kennen, bei der aber London ein wichtiger Ruhepunkt ist und ein Anfangspunkt sein kann, ein Anfang einer neuen weltpolitischen Konsolidierung der Verhältnisse, wenn wir den Mut haben, diese Brücke auch wirklich zu beschreiten. Gerade diejenigen, die mit vollem Recht diese ganzen Fragen nicht nur vom materiellen Standpunkt aus ansehen, die sich sagen, daß es dabei doch schließlich nicht um Ziffern einzelner Jahresleistungen geht, nicht um Kohle und Braun⸗ kohle und Benzol und Farbstoffe und anderes, müßten sich doch auch dessen bewußt sein und darin mit der Regierung übereinstimmen, daß ich will mich einmal ganz in den Geist der Betreffenden hineinversetzen Deutschland bei seiner politischen Machtlosigkeit, selbst wenn der einzelne theoretisch nicht mit diesen Prinzipien über⸗ einstimmt, doch alle Veranlassung hat, an einer solchen weltpolitischen Neuorientierung mitzuwirken, die die Möglichkeit eines Neben⸗ einandergehens gibt, gegenüber der Politik des Herrn Poincaré, der wir Macht nicht entgegenzusetzen vermochten und die wir über uns haben ergehen lassen müssen. Ich möchte bitten, diese beiden Gesichts⸗ punkte bei der Würdigung dieses Vertrags immer mit zu beachten.

Nun hat der Herr Kollege Quaatz in bezug auf die Stellung der Reichsregierung gegenüber dem Vertrage überhaupt nach zwei Richtungen hin Vorwürfe erhoben. Er hat gesagt, die Regierung habe in dem Kampfe Moskau— London Partei ergriffen, und zweitens, sie habe sich in eine gewisse Propaganda des Vertrags selbst hinein⸗ treiben lassen. Herr Kollege Quaatz, den ersten Vorwurf können Sie wohl nicht gut aufrechterhalten. Ich höre immer gerade in der Kritik von rechts einen großen Schrei: Führung! Ja, wenn Sie eine Regierung haben, die in einer solchen Lebensfrage des deutschen Volkes nicht Partei ergreift und nicht sagt, wo sie steht, so wäre das meiner Ansicht nach das schlimmste für die Gesamtsituation des deutschen Volkes, was es geben könnte. Schließlich kommt doch Regierung von regieren und Führung von führen. Man kann also der Regierung keine Vorwürfe machen, wenn sie Partei ergreift.

Was den zweiten Vorwurf betrifft, daß wir uns in eine gewisse Propaganda für das Gutachten hätten hineintreiben lassen, so wollen wir uns doch hier daran erinnern, wie die Dinge gegangen sind. Ohne Vorwürfe zu erheben, möchte ich doch sagen: wenn die Regierung der Meinung war, daß sich hier eine geeignete Grundlage sagen wir nur einer Etappe des politischen Fortschritts bot, so konnte sje nicht dulden, daß eine hemmungslose sachliche und unsachliche

Opposition der gesamten deutschen Oeffentlichkeit ein solches Zerrbild des Gutachtens gab, daß sich daraus die glatte Ablehnung des Ab⸗ kommens hätte ergeben müssen. (Sehr wahr! bei den Mittelparteien.) Wenn die Regierung der Meinung war daß in dem Gutachten ein Fortschritt lag, mußte sie diesen Fortschritt auch sichern und mußte sich selber in die Brandung hineinstürzen. Ich stimme Ihnen durch⸗ aus zu: dadurch ist ein Kämpfen mit ganz schiefer Schlachtlinie entstanden. Anstatt, daß vom Standpunkt reiner Außenpolitik gerade in gemeinschaftlicher Arbeit das Unerträgliche, das, wogegen man ankämpfte, in den Vordergrund gestellt wurde, sahen wir einen ganz scharfen innerpolitischen Kampf. Aber, meine Herren, Sie wissen ganz genau, mit welch heftigen Worten und Anklagen schon a ersten Tagen, ehe noch die ersten Menschen das Gurachten gelesen hatten, dieses Gutachten dem deutschen Volke dar⸗ gestellt wurde. (Zuruf bei den Deutschnationalen: Das war die Antwort, das war die Reaktion!) Nein, Herr Kollege, Herr Hergt, ich darf Ihnen doch einmal über die falsche Darstellung ein Wort sagen. Das ist auch eine der Legenden, die dieses Gutachten begleitet hat. Als das Gutachten im Wortlaut herüberkam, haben wir es in einem Auszug bekanntgegeben. Wir hatten noch nicht die Annexe. Aber wenn die Regierung nicht sofort publizistisch der deutschen Oeffentlichkeit sagt, was sie in Händen hat, und wenn dann die Depeschen von Havas und Reuter kommen, würden dieselben Parteien sagen: Schläft denn eigentlich die Regierung, daß sie uns über diese Dinge keine Aufklärung gibt? In dieser ersten Darstellung konnten die Annexe gerade mit ihren harten Bedin⸗ gungen für die Eisenbahn nicht berücksichtigt werden, weil sie erst später kamen. Deshalb hat man nun den Vorwurf erhoben, die Regierung habe die Oeffentlichkeit getäuscht, während die Re⸗ gierung sofort, als die Annexe bekannt wurden, auch sie bekanntgab. Hier war also der Fehler der Kritik doch auf der Seite, die mit der Subjektivität, mit der der Deutsche gewöhnlich allen Regierungen gegenübersteht Sie werden das auch noch erleben, wenn Sie in der Regierung sind (Heiterkeit links) —, sofort glaubte, daß die Regierung etwas Schlechtes getan hätte, ihn täuschen wollte, anstatt sich zunächst zu fragen, ob die Regierung denn nich ganz objektiv gehandelt hätte.

Herr Kollege Quaatz, wenn Sie nun weiter hinweisen auf die Hingabe der Souveränität und all diese schwierigen Dinge, so muß ich doch das eine sagen und kurz wiederholen, was ich neulich sagte. Wer der Meinung war, daß man überhaupt nicht den Weg gehen durfte, jene Spezialpfänder des Ruhrgebiets zu lösen durch allge⸗ meine Pfänder, die naturgemäß den Charakter der Verpfändung in sich trugen das ist doch der Sinn des Wortes —, der durfte auch den Weg des Memorandums vom Juni vorigen Jahres nicht gehen. (Zustimmung in der Mitte, links und bei der Deutschen Volks⸗ partei.) Dieser Weg konnte deshalb harmloser aufgefaßt werden, weil er nur die Grundlinien angab. Gehen die Dinge ins Deteail, so sehen sie sehr wenig schön aus. Glauben Sie mir, nicht nur Ihnen, Herr Kollege Quaatz, nicht nur Ihren Freunden geht es so; ich glaube, dem Finanzminister, den Männern, die da mitverhandelt haben, ist viel schwerer noch ums Herz gewesen, als sie hier diese Bestimmungen über die Rechte des Kommissars bei Zöllen und Ab⸗ gaben und bei der Eisenbahn konzedieren mußten. Ich würde doch bitten, in der Kritik auch hier nicht zu weit zu gehen. Herr Kollege OQuaatz, Eisenbahndinge kennen Sie doch viel zu gut, als daß Sie zu dem Satze wirklich stehen wollten, der Kommissar leite die deutsche Reichseisenbahn. Es wird hier immer in der Kritik der Fehler gemacht, daß gewisse Stadien, die erst eintreten, wenn wir nicht in der Lage sind, weder aus den Erträgnissen selbst zu zahlen noch aus anderen Mitteln irgend etwas herbeizuschaffen, wenn also die vollkommene deutsche Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist, gewisser⸗ maßen als die Normalbestimmungen hingestellt werden, während das Normale doch dahin geht, daß wir die Dinge in Händen haben und daß erst durch verschiedene Stadien hindurch, bei denen wir sehr viele Stacheldrähte eingeschoben haben, es zu jenem Stadium kommt, in dem der Kommissar eine wirkliche Macht erhält. Wir haben ganz andere Kritiken erfahren, nämlich die Kritik, daß sich vielleicht niemand finden würde, den Kommissarposten zu über⸗ nehmen, weil der Kommissar selbst gar nicht in der Lage sei, einen tatsächlichen Einfluß auszuüben. Solange aus der deutschen Reichs⸗ eisenbahn dasjenige herausgewirtschaftet wird, was sich auf die Ver⸗ zinsung bezieht, so lange sind die tatsächlichen Rechte nicht beim Kommissar. (Zuruf des Abg. Quaatz.) Herr Kollege Quaatz, ich brauche doch mit Ihnen nicht darüber zu rechten, daß es normale und tatsächliche Rechte gibt. Es kann jemand da sein und sehr wenig Einfluß haben. Denken Sie doch auch an das Verhältnis zwischen Generaldirektor und Aufsichtsrat, das vielfach von Persön⸗ lichkeiten und Dingen abhängt, wo formal der Aufsichtsrat das Auf⸗ sichtsrecht hat, während de facto der Vorstand die Geschäfte führt. Jedenfalls liegen die Dinge nicht so, daß hier der Kommissar die deutsche Reichsbahn führt. Wollen Sie auf den Dingen bestehen, so glaube ich, daß Ihnen die Sachverständigen der Eisenbahn darüber gern zur Verfügung stehen werden.

Dann aber weiter die Kritiken, die auf ganz bestimmte Fragen himveisen. Der Kollege Quaatz hat an mich die Frage gestellt, ob es richtig sei, daß am 10. Januar nochmals geprüft werden solle, ob Deutschland seine Verpflichtungen aus dem Dawes⸗Gutachten erfüllt habe. Ich kann nur noch einmal sagen, daß mir gar nichts davon bekannt ist, ebensowenig der Reichsregierung, und daß hier anscheinend zwei Gedankengänge durcheinandergehen. Am 15. Dezember tritt eine interalliierte Konferenz zusammen, um zu prüfen, ob die Aufhebung der Besatzung der Kölner Zone am 10. Januar erfolgt ist. Das ist das, was ich kürzlich mitgeteilt habe, und was wohl in irgend⸗ einer falschen Darstellung zu dem Gerücht geführt hat, am 10. Januar solle irgend jemand prüfen, ob Deutschland seine Verpflichtungen er⸗ füllt habe.

Der Herr Kollege Quaatz hat weiter erklärt unter Bezugnahme auf Herrn Henderson, den ich nicht die Ehre habe zu kennen, den wir auch in London nicht gesehen haben, daß Herr Henderson der Meinung gewesen sei, es seien von der deutschen Regierung Bindungen in bezug auf die Handelsverträge, wenigstens in bezug auf gewisse Prin⸗ zipien, eingegangen. Meine Herren! In der englischen Presse kehren diese Aeußerungen fortgesetzt wieder. Ich ersehe daraus, daß die eng⸗ lische Oeffentlichkeit und die englische Wirtschaft daraus hat sie auch gar keinen Hehl gemacht eine sehr große Beunruhigung über ein etwaiges französisch⸗deutsches handelspolitisches Einvernehmen empfindet. Das ist eine Empfindung, die dort besteht und England ja die Möglichkeit gibt, wenn es diesen cauchemar, diesen Alpdruck, los sein will, durch eine Beschleunigung der Ruhrräumung Frankreichs

alle Möglichkeiten zu handelspolitischem Druck gegenüber Deutschland

zu nehmen. (Sehr gut! bei der Deutschen Volkspartei.) Jedenfalls ist aber die deutsche Delegation keine Bindungen eingegangen. Die Verhandlungen, die am 1. Oktober beginnen, beginnen von unserer Seite ohne jede Bindung. Ich glaube das nun nicht weiter klären zu dürfen. Es ist von uns zur Genüge in den Ausschüssen und auch im Plenum geschehen.

Wenn der Herr Ministerpräsident Herriot davon gesprochen hat, so kann er damit nur das gemeint haben, was wir zugegeben haben: die prinzipielle Bereitwilligkeit, mit Frankreich in Verhandlungen ein⸗ zutreten, eine Bereitwilligkeit, die ich aber als selbstverständlich empfinde, da ja gar kein Grund dafür vorläge, hier nicht die Hand zu einem Vertrage zu bieten, wenn er von der anderen Seite ge⸗ wünscht wird, wie wir das ja auch anderen Mächten gegenüber nicht versagt haben.

Meine Herren! Ich darf dann aber noch einmal auf einige Aus⸗ führungen zurückkommen, die die Räumung des Ruhrgebietes, aber auch die Entwicklung der Dinge bei uns betreffen, die zu der heutigen Situation geführt haben. Zunächst ein Wort an den Herrn Kollegen Sollmann. Er hat namens seiner Parteifreunde Herrn Léon Blum Dank ausgesprochen für die Rede, die er in Paris gehalten, hat und die nach allen Berichten, die ich gesehen habe, dort einen außer⸗ ordentlichen Eindruck gemacht hat und eine starke Stütze für die Aus⸗ führungen Herriots gewesen ist. Nur in einer Beziehung habe ich die Empfindung gehabt, daß in dieser Rede der Parteipolitiker über den künftigen Staat zmann gesiegt hat. Das war der Passus dieser Rede, wo er sagte: „Wir französischen Sozialisten sind immer für die sofortige Räumung des Ruhrgebietes eingetreten, wenn aber Herriot sie jetzt durchgeführt hätte, wäre das ein Triumph der deutschen Nationalisten gewesen, und aus diesem Grunde konnte sie nicht zugestanden werden.“ Gerade der Sozialismus, der sich doch stark fühlt durch das Festhalten, Beharren und Sichstützen auf Grundsätze, durfte durch einen seiner Führer nicht derartige Ausführungen machen, die doch zeigen, daß hier innenpolitische Aspekte in einem anderen Lande maßgebend waren gegenüber der Nichtfesthaltung an Grundsätzen, zu denen man sich sonst bekannt hat. (Sehr wahr! bei der Deutschen Volkspartei.) Ich wäre dankbar, wenn die gerade bei den Situationen in England und Frankreich wertvollen internationalen Beziehungen der deutschen Sozialdemokratie benutzt würden, um zum Ausdruck zu bringen, daß man wie ich annehme in der deutschen Sozialdemokratie für einen derartigen Standpunkt gegenüber den Menschenrechten, um die hier gekämpft wird, kein Verständnis hat. (Sehr wahr! bei den Regierungsparteien.) b

Ich möchte dann noch auf Ausführungen zurückkommen, die Herr Poincaré ebenfalls in dieser Senatsrede gemacht hat und die sich auf die Frage des Abbruchs des passiven Widerstandes beziehen. Diese Frage des Abbruchs des passiven Widerstandes wird nämlich auch in der französischen öffentlichen Meinung stark erörtert. Ich glaube sogar, daß die Haltung, die Herr Poincaré damals eingenommen hat, mit zu dem Ergebnis der Wahlen vom 4. Mai beigetragen hat. Infolgedessen fühlt sich Herr Poincaré auch veranlaßt, sich stets dagegen zu verwahren, daß er nicht die Hand zu einer Regelung der Verhältnisse im besetzten Gebiet ge⸗ boten habe. Er habe, so sagt er in der Senatsrede, am 23. Sep⸗ tember 1923 der deutschen Regierung mitgeteilt, daß er zu Ver⸗ handlungen über die Wiederherstellung vernünftiger Verhältnisse im Ruhrgebiet bereit sei. Der französische frühere Minsterpräsident irrt sich hier nach zwei Richtungen. Längst vor Aufgabe des passiven Widerstandes, gleich im Beginne meiner Kanzlerschaft, hat der Herr französische Ministerpräsident mir durch den französischen Botschafter mitteilen lassen, daß er bereit sei, binnen 24 Stunden über die Lösung der Reparationsfrage und aller anderen Fragen zu ver⸗ handeln, wenn der passive Widerstand aufgehoben würde. (Hört, hört! links.) Als der passive Widerstand aufgegeben wurde, war es der französische Ministerpräsident, der formal, juristisch, advokatorisch durchaus die These glaubte vertreten zu können, daß der passive Widerstand noch nicht aufgehört habe, indem er ihn plötzlich so aus⸗ legte, daß zur Aufgabe des passiven Widerstandes gehöre die völlige Wiederherstellung des Wirtschaftslebens, die völlige Wiederherstellung eines Vertrages zwischen der Regie und der deutschen Reichsbahn⸗ verwaltung, wodurch er Monate hindurch alle die Verhältnisse im Ruhrgebiet und im Rheinland zu den Dingen hat anschwellen lassen, von denen vorhin auch der Herr Minister Brauns gesprochen hat, zu der ungeheuren Arbeitslosigkeit, zu den großen Hungerkrawallen, zu allen diesen ganzen Bedrückungen, die beispiellos in der Geschichte sind. (Sehr richtig') Niemand wird aus der Geschichte des Ministeriums Poincaré hinwegwischen, daß Poincarè unter falschen Vorspiegelungen versucht hat, eine Leistung zu erreichen, aber dann die Weiterentwicklung der Dinge mit allen Mitteln sabotiert hat. (Lebhafte Zustimmung.) Vielleicht sieht man aber auch aus diesen Dingen bei den Gegnern der Aufgabe des passiven Widerstandes, den vielen, die damals auftraten, wie falsch man sich vielfach in

Deutschland zu dieser Frage eingestellt hat. Denn die so schnelle Aufgabe des passiven Widerstandes war nicht ein Geschenk für Herrn Poincaré, sondern war das Ungelegenste, was ihm überhaupt in bezug auf seine Politik kommen konnte. (Sehr richtig! links und in der Mitte.) Damit hatte er nicht mehr die Möglichkeit, nun mit seinen alten Methoden auf die Dauer die Seele der Ruhrbevölkerung aufs Spiel zu setzen. Uns war die Möglichkeit gegeben, aus einer Situation herauszukommen, die in politischer, wirtschaftlicher und finanzieller Beziehung unmöglich geworden war.

Vorhin hat der Herr Kollege Sollmann von den Verhandlungen im damaligen Kabinett gesprochen. Ich muß darauf mit einigen Worten zurückkommen, weil ich eine Darstellung, die der Herr Kollege Erkelenz diesen Dingen gegeben hat, nicht unwidersprochen lassen kann. Der Herr Kollege Erkelenz meinte, schließlich sei die Not so hoch gestiegen, daß im „Berliner Tageblatt“ faßt er es so unter deutschnationalem Einfluß das Kabinett Stresemann dahin gekommen sei, die Vertreter des besetzten Gebieks nach Berlin zu entbieten und ihnen zu sagen, daß man innerhalb von 14 Tagen das besetzte Gebiet vom Deutschen Reich abkoppeln wolle. (Abgeordneter Sollmann: Das war nach dem Austritt der Sozialdemokraten!) Jawohl. Ueber diese Sitzung vom 13. November habe ich vor mir ein Protokoll liegen. Ich möchte daraus zunächst das eine fest⸗ stellen, daß ich als Reichskanzler damals im Kabinettsrat erklärt habe und daß war das, was der Herr Kollege Erkelenz meinte —, daß Zahlungen für die Erwerbslosenfürsorge im besetzten Gebiet nur noch für eine kurze Uebergangszeit geleistet werden könnten, daß im Zusammenhang damit so lautet es hier wörtlich im Protokoll eine allgemeine Kundgebung an die Hauptstädte der Welt gerichtet wird das heißt durch unsere Botschafter in den einzelnen