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Für Preußen stellte Ministerialdirektor Erythropel den Antrag, in den § 7 des Gesetzes über die Verwendung des Reingewinns folgende Bestimmung aufzunehmen:
„Hat das Kapital der Rentenbank⸗Kreditanstalt einschließlich der Rücklagen und Sonderrücklagen den Betrag von 500 Millionen erreicht, so ist der Reingewinn an das Reich abzuführen, das ihn den
Ländern zu landwirtschaftlichen Zwecken zu überweisen hat.“
Gegen diesen Antrag sprach sich namens der Reichs⸗ regierung Staatssekretär Hagedorn aus. Der Antrag wurde jedoch in besonderer Abstimmung mit 41 gegen 42 Stimmen angenommen. Ebenso wurde noch ein bayerischer Abänderungs⸗ antrag angenommen, wonach die auszugebenden Pfandbriefe
edeckt sein müssen durch inländische Hypotheken an land⸗ und orstwirtschaftlichen Grundstücken.
Vor der Abstimmung in der Vollversammlung gab der baverische Gesandte v. Preger namens der baverischen Regierung die Erklärung ab, daß diese ein Bedürfnis für die Errichtung eines neuen zentralen Kreditinstituts in Berlin für Zwecke des landwirtschaftlichen Real⸗ kredits nicht anerkennen könne, und daher dem Entwurf nicht zu⸗ stimmen könne.
Ein Vertreter der Reichsregierung machte darauf aufmerksam, daß die Festietzung von acht Vertretern des Reichsrats für den Verwaltungsrat das Ergebnis längerer Verhandlungen mit der Rentenbank sei, die erklärt habe, daß dies das Aeußerste sei, wa sie akzeptieren könne. Nach dem Gesetz über die Liquidation der Rentenbank sei die Zustimmung der Rentenbank zu der Errichtung der Kreditanstalt erforderlich. Nach dem Ergebnis der Vorverhand⸗ lungen müsse damit gerechnet werden, daß diese Zustimmung von der Rentenbank nunmehr, wenn die Ausschußbeschlüsse angenommen würden, nicht zu erhalten sei. Daher möchte er bitten, die Regierungsvorlage in dem betreffenden Punkte beizubehalten.
Der Reichsrat nahm die Vorlage nach den Ausschuß⸗ beschtüssen mit Mehrheit an.
Von weiteren Beschlüssen des Reichsrats ist zu erwähnen die Zustimmung zu Satzungsänderungen der Süddeutschen Bodenkreditbank in München, der Deutschen Hypothekenbank in Meiningen, der Norddeutschen Grundkreditbank in Weimar und der Württembergischen Hypothekenbank in Stuttgart. Den Roggen⸗ und Goldpfandbriefen der Landwirtschaft der Provinz Westfalen wurde die Mündelsicherheit verliehen. Angenommen wurde ein Gesetzentwurf über Militärgerichte und militärgericht⸗ liches Verfahren.
Nach der Revolution waren in den Militärgerichten an die Stelle der Ossiziere Soldaten getreten, die gewählt wurden. Dabei hat es sich in der Praxis als ein Mißstand ergeben, daß gewöhnlich Soldaten der unteren Grade gewählt wurden, die die Offiziere ab⸗ urteilten. Nach der Vorlage sollen die Kriegsgerichte künftig zu⸗ san mengesetzt werden aus einem Kriegsgerichtsrat und zwei Bei⸗ sitzern, von denen der eine Offizier sein muß, während der andere ge⸗ wählt wird entsprechend dem Rang und Dienstgrad des Abzu⸗ urteilenden. Entsprechend sollen die Oberkriegsgerichte zusammen⸗ gesetzt werden. Der zweite Teil der Vorlage bringt einige Neuerungen, die sich an die Neuerungen im Zivilprozeßverfahren anschließen.
Mit den Beschlüssen des Reichstags zur Verlängerung des Besoldungssperrgesetzes erklärte sich der Reichsrat ein⸗ verstanden. 11““
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Deutscher Reichstag. 38. Sitzung vom 19. März 1925, Mittags 12 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger“*).
Am Regierungstische: Reichsfinanzminister Dr. von Schlieben.
Prösident Löbe “ die Sitzung um 12,20 Uhr. Die Genehmigung zur Vernehmung des Abg. Scheidemann (Soz.) als Zeugen vor dem Schwurgericht in Weimar wird versfagt. Die Genehmigung zur Vernehmung der Abgg. Stampfer und Braun (Soz.) im Rothardt⸗Prozeß in Magdeburg wird erteilt.
Abg. Bell (SZtr.) stellt als Berichterstatter fest, daß im Rothardt⸗Prozeß das öffentliche Interesse an der Klarstellung der Vorgänge so groß sei, daß auch die Reichstagsabgeordneten während der Parlamentszeit als Zeugen vernommen werden müßten. Die Zahl der zu vernehmenden Reichstagsabgeordneten 8 aber in der letzten Zeit so stark gewachsen, daß eine bedenkliche
ollision zwischen dem Rechtsinteresse und dem parlamentarischen Interesse entstanden sei. Es wäre ein unmöglicher Zustand, daß viele Abgeordnete auf diese Weise an wichtigen Abstimmungen nicht teilnehmen könnten. In Zukunft werde die Genehmigung nur noch bei außerordentlich wichtigen Angelegenheiten erteilt werden.
Auf der Tagesordnung steht dann die zweite Lesung des Gesetzentwurfs über die vorläufige Regelung des Haushaltsplanes für 1925. Der Ausschuß hat der Vorlage zugestimmt.
Abg. Stücklen (Soz.) berichtet über die Ausschußverhand⸗ lungen. Der Ausschuß empfiehlt die Annahme einer Ent⸗ schließung, die die Reichsregierung ersucht, bei der Umstellung der Deutschen Werke alle Maßnahmen zu ergreifen, die bei mög⸗ lichster Erhaltung der Arbeitsgelegenheit geeignet sind, die Reichs⸗ interessen in vollem Umfange zu wahren. Die für diese Um⸗ stellung unerläßlichen Mittel sollen von der Reichsregierung mit Genehmigung des Haushaltsausschusses des Reichstages 8 Ver⸗ fügung gestellt werden. Der Notetat soll bis zum 31. Mai d5. F. befristet werden. Die Deutschen Werke stehen nicht so schlecht da, wie dies in der Oeffentlichkeit angenommen wird. Man war im Ausschuß der Meinung, daß alles getan werden müsse, um die in den Deutschen Werken investierten großen Vermögenswerte vor Verlusten zu bewahren.
Die Abag. Müller⸗Franken (Soz.) und Gen. bean⸗ tragen den Zusatz, daß vom 1. April 1925 ab der steuerfreie Betrag der Lohn⸗ und Gehaltsempfänger monatlich 100 Mark, wöchentlich 24 Mark betragen soll.
Abg. Stoecker (Komm.): Wir sprechen bei dieser Gelegen⸗ 8 der Regierung Luther unser schärfstes Mißtrauen aus, der
egierung des Zehnstundentages, der Verweigerung von Pfennigen für die Aermsten, die Erwerbslosen und Invaliden, während sie den Schwerindustriellen 700 Millionen Mark ge⸗ henkt hat; der Regierung des rücksichtslosen Beamtenabbaues, er unerhörten Steuerbelastung der Besitzlosen, der Verteuerung der Lebensmittel durch Zölle, der Klassenjustiz, der Amnestie⸗ feindschaft, der Schulreaktion, der Arbeiterfeindlichkeit, der Inter⸗ essenpolitik der Besitzenden, des nationalen Verrats. Die Regierung Luther will auch in den Völkerbund eintreten, der nach Frithjof Nansen der größte Humbug der Welt, oder soweit er ernst zu nehmen ist, ein Werkzeug der Siegerstaaten ist. Wir beantragen: „Die Reichsregierung besitzt nicht das Vertrauen des Reichstages.“ Jarres ist dieselbe Couleur wie Luther. Die Deutschnationalen sind jetzt auch Erfüllungspolitiker und sogar Vernunftrepublikaner geworden. Was fehlt denn noch zur Volks⸗ gemeinschaft von den Deutschnationalen bis zu Breitscheid? Die Sozialdemokraten sind durch ihre Zustimmung zum Ermäch⸗
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*) Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgehobenen Reden der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind.
tigungsgesetz schuld an der efsitigung des Achtstundentages. Machen Sie Schluß mit diesem Theater! Fort mit der Regierung Luther! Her mit der Herrschaft der Arbeiterklasse!
Die Paragraphen der Vorlage werden Sozialdemokraten und Kommunisten angenommen.
Abg. Meier⸗Baden Sog) begründet dann den sozial⸗ demokratischen Antrag auf Erhöhung des steuerfreien Lohn⸗ und Gehaltsabzuges von 60 auf 100 Mark. Es sei eine Ueber⸗ spannung des Steuerdruckes, wenn nur 60. Mark monatlich als Existenzminimum steuerfrei bleiben. Der Staatssekretär Popitz habe im Ausschuß auf den Einnahmeausfall durch den Antrag hingewiesen, aber dieser werde ausgeglichen durch die Stärkung der Kaufkraft der Bevölkerung und die Hebung des Sparsinns. Der Plan, wie jetzt die Steuergesetzgebung neu aufgebaut werden olle, finde den schärfsten Widerstand der sozialdemokratischen zartei. Es sei grausam, das Arbeitseinkommen in der geplanten Weise zu besteuern.
Reichsminister der Finanzen von Schlieben: Meine Damen und Herren! Der handschriftlich eingebrachte Antrag der Sozialdemokratischen Partei bezweckt, eine Frage zu regeln, welche ein wichtiges Stück des großen Steuerprogramms bildet, das dem Reichstag in allernächster Zeit vorgelegt werden wird. Es erscheint mir nun nicht angängig, aus diesem geschlossenen großen Steuer⸗ programm eine einzelne, allerdings sehr wichtige Frage vorweg⸗ zunehmen und in einem Gesetz zu regeln, dessen Geltung überhaupt nur auf drei Monate beschränkt sein soll. In ein Etatsgesetz, insbesondere aber einen Notetat für drei Monate, gehört eine solche für die Dauer berechnete steuergesetzliche Bestimmung meines Er⸗ achtens nicht hinein.
Es kommt aber auch noch ein anderes sehr wichtiges Moment hinzu. Es ist Ihnen bekannt, daß die Einkommensteuer zu neunzig Prozent den Ländern und Gemeinden zufließt. Wenn nun der sozialdemokratischen Antrag angenommen werden würde, so würden die Einnahmen der Länder und Gemeinden derartig beschränkt werden, daß sie nicht mehr in der Lage sein würden, ihre öffent⸗ lichen Aufgaben zu erfüllen. Die Landesregierungen werden daher genötigt sein, im Reichsrat den Beschluß zu fassen, daß gegen diesen Notetat Einspruch eingelegt wird. Dann glaube ich aber bei der Geschäftslage dieses Hohen Hauses annehmen zu sollen, daß die rechtzeitige Verabschiedung dieses Notetats vor dem 1. April dieses Jahres nicht mehr möglich ist und wir damit in einen ungesetz⸗ lichen Zustand kämen, was die Herren Antragsteller ja wohl auch nicht wollen.
Ich möchte daher bitten, aus diesen formellen Gründen den Antrag, wenn Sie ihn nicht jetzt im Augenblick schon ablehnen wollen, jedenfalls heute nicht zu erledigen, sondern dem Steuer⸗ ausschuß zur Verwendung bei der demnächstigen Beratung über das ganze Steuxerprogramm zu überweisen.
Abg. Dr. Brüning (Zentr.) betont, seine Fraktion bedürfe in der Frage der sozialen Gestaltung der Steuergesetzgebung keiner Gewissenswarnung. Durch neue Ausgaben und die geplante Her⸗ absetzung der Besitzsteuern sei die Gefahr einer größeren Belastung der breiten Massen gegeben. Diese Frage, insonderheit die der Lohnsteuer, müsse erst befriedigend geklärt werden, ehe man sich mit neuen Steuerplänen der Reichsregierung befassen könne.
Abg. Dr. Hertz (Soz.) kritisiert die Steuerpläne der Regie⸗ rung scharf. Die Lohnsteuer werde nicht nachträglich, sondern im voraus und zu hoch gezahlt. Die Lohnsteuer, die über Erwarten hohe Beträge bringe, solle noch mehrere Monate bestehen bleiben. Das sei untragbar; eine Senkung der Lohnsteuer müsse unbedingt sofort erfolgen.
Abg. Dr. Scholz (D. Vp.) erhebt grundsätzlich dagegen. Ein⸗ spruch, daß bei völlig heterogenen Dingen Anträge gestellt würden,
ie ganz andere Dinge beträfen. Seine Fraktion 8. damit ein⸗ verstanden, daß der Antrag ganz selbständig neben das Gesetz ge⸗ stellt und dann dem Steuerausschuß überwiesen würde.
Abg. Dr. Fischer⸗Köln (Dem.) timmt grundsätzlich dem sozialdemokratischen Antrage zu. Der Steuerausschuß solle sich noch damit beschäftigen. Die Behandlung aller Steuergesetze werde noch Monate dauern.
Abg. Keil (Soz.) erklärt sich damit einverstanden, daß der Antrag vom Notetat abgetrennt und dem Steuerausschuß über⸗ wiesen werde.
Der Antrag Müller⸗Franken (Soz.) wird dem Steuer⸗ ausschuß überwiesen.
Bei der nun folgenden dritten Beratung des Notetats erklärt der
Abg. Dißmann (Soz.)er stimme der Bereitstellung von Mitteln für die Deutschen Werke zu. Vor allem handle es sich dabei um die Erhaltung der Arbeitsgelegenheit. Der Redner erörtert die schwierige, aber doch im großen ganzen gelungene Umstellung der Deutschen Werke nach dem F auf die Friedensproduktion. Die Um⸗ stellung vollzog sich in dem schwersten Krisen⸗ und Inflationsjahr und unter dem schweren Druck des Ruhrkampfes. Die Arbeiter haben gelitten, aber gleichzeitig alles getan, zu der Umstellung bei⸗ zutragen. Die heute von Gegnern der Gemeinwirtschaft erhobenen Angriffe gegen die Deutschen Werke sind durchaus ungerecht. Der Redner weist u. a. auf die vorzüglichen Produkte der Werke Spandau Felerhesht Kiel, Ingolstadt, Amberg hin. Die Objek⸗ tivität verlangt festzuhalten, daß die Deutschen Werke nach der Umstellung rein wirtschaftlich betrachtet, vor einem Nichts standen. Handelsbeziehungen mußten erst figetnünft werden, um Absatz⸗ möglichkeiten zu schaffen. Es handelte sich also um einen voll⸗ ständigen Neubau. 25 000 wertvolle Maschinen mußten zerstört oder zerstreut werden. Nach der Inflation mußten die Deutschen Werke erst wieder Betriebskapital bekommen, um die Produktion fortsetzen zu können. Der Privatindustrie ist es doch genau so gegangen. Bei Annahme der Entschließung ist folgendes in den Vordergrund zu stellen: Die Betriebe der Deutschen Werke müssen weiter wie bisher in einer Leitung zu sammengefaßt bleiben. Wir wenden uns gegen jede Zerschlagung und fordern schärfste Konzentration. Auch darf das Betriebskapital sich nicht auf Hinterwegen und durch Hintertüren Einfluß die Deutschen Werke verschaffen: sie müssen Reichsbesitz bleiben. Wir fordern weiter, daß die einzelnen Reichsressorts die Deutschen Werke auch nach Möglichkeit mit Aufträgen bedenken. Wir ver⸗ langen nicht etwa ein Monopol für die Deutschen Werke, sie dürsen aber auch bei Aufträgen z. B. der Deutschen Reichsbahn nicht systematisch vnggelpaa werden. Beim Wiederaufbau der deutschen Handelsflotte in Kiel sind die Deutschen Werke völlig übergangen worden. Aus allgemein wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Gründen wünschen wir also die Fortsetzung der friedlichen Pro⸗ duktion der Deutschen Werke.
Abg. Ersing (rntr. bedauert die Rede des Vorredners. Er hat die Arbeiterschaft und die Deuschen Werke mehr geschädigt als alle früheren gegnerischen Roden. Er hat die Lage der Deutschen Werke so glänzend geschildert, daß vielen eine Unterstützung als überflüssig erscheinen wird. Seitens des Reiches und der Reichs⸗ regierung ist in den letzten Jahren nichts geschehen, um den Deutschen Werken Schwierigkeiten in den Weg zu legen. Diese Feststellung ist eine Forderung der ö“ Der Redner macht den Sozialdemokraten den Vorwurf, daß sie im Haushalts⸗ ausschuß nicht ein einziges Mal einen Antrag gestellt haben. Das Reich hat im vorigen Jahr 18. Millionen Goldmark in die Deut⸗ schen Werke hineingepulbvert, jetzt werden wieder 30 —40 Millionen gefordert. Da scheint die Lage der Deutschen Werke doch nicht so glänzend zu sein, wie das vom Vorredner geschildert wurde. Das ruhig mit anzusehen, kann man der Privatindustrie nicht zumuten.
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Wir sind aber, trotz der Rede des Abg. Dißmann bereit, die Mittel zu bewilligen, um der Arbeiterschaft auch weiterhin Verdienst⸗ möglichkeiten zu geben. Eins der am miserabelsten dastehenden Werke ist die Kieler Werft. Mit weitgehender Berücksichtigung der Deutschen Werke bei Vergebung von Staatsaufträgen sind wir ein⸗ verstanden unter der Voraussetzung gleicher Preisberechnung durch die Privatindustrie.
Abg. Hoch (Soz.) weist die Vorwürfe des Vorredners wegen des Verhaltens der Sozialdemokratie im Haushaltsausschuß zurück. Sie hätten im Ausschuß immer darauf hingewiesen, daß jeder Betrieb mit dem notwendigen Betriebskapibal ausgestattet wurde. Seine Fraktion habe doch im Ausschuß in den letzten Wochen be⸗ stimmte Vorschlage gemacht, die aber keine Mehrheit gefunden hätten. Jeder große Betrieb habe nach der Inflation neue Betriebs⸗ mittel gebraucht. Die Deutschen Werke vor und nach dem Kriege seien doch gar nicht miteinander zu vergleichen. Die Deutschen Werke würden, könnten und müßten gehalten werden.
Abg. Ersing (Zentr.): Wir haben gerade in den letzten
Wochen den ehrlichen Willen bewiesen, die Deutschen Werke endlich aus der Oeffentlichkeit herauszubringen. Vertrauliche Sitzungen des Haushaltsausschusses haben in Sachen der Deutschen Werke nicht ein einziges Mal stattgefunden. Auch ist fast immer Ein⸗ mütigkeit, betr. Erhaltung der Deutschen Werke, erzielt worden. ““ hat also gar keinen Grund zu seinen Vorwürfen gehabt. Abg. Brüninghaus (D. Vp.) glaubt nicht, daß die Aus⸗ führungen des sozialde mokratischen Redners zum Besten der Deutschen Werke dienen werden. Wenn Herr Dißmann der Oeffentlichkeit bekannt gegeben hätte, welche Unsummen bereits in die Deutschen Werke gesteckt worden sind, dann würde sich wohl ein ganz anderes Bild ergeben. Wir werden den Fall der Deutschen Werke in aller Ruhe und Gewissenhaftigkeit prüfen, uns aber nicht dazu hergeben, für dieses von Anfang an totgeborene Kind immer in ein Faß ohne Boden zu schöpfen.
Abg. Dißmann (Soz.) bestreitet, mit seinen Ausführungen die Werke geschädigt zu haben. (Abg. Bruning⸗ haus (D. Vp.): Die Bilanzen!) Ich habe von der Bilanz kein Wort gesprochen. (Abg. Brüninghaus (D. Vp.): Das war auch sehr gut!)
Damit ist die zweite Lesung des Notetats erledigt. Die dritte Beratung, bei der auch über das kommunistische Miß⸗ trauensvotum abgestimmt wird, findet morgen statt.
„IEs folgt die zweite Beratung der Novelle zum Finanzausgleichsgesetz, wonach die Geltungsdauer dieses Gesetzes sowie die Beteiligung der Länder an der Umsatz⸗ steuer um ein halbes Jahr bis zum 30. September 1925 ver⸗ längert wird.
Berichterstatter Abg. Dr. Gereke (D. Nat.) empfiehlt namens des Ausschusses für Steuerfragen die Annahme der Vorlage. Die Parteien haͤtten sich mit ihrer Zustimmung zu dieser Novelle in keiner Weise für die zukünftige Regelung binden wollen. Mit diesem Vorbehalt habe der Ausschuß der Vorlage einstimmig zugestimmt.
Abg. Junke (Soz): Wir können uns in keiner Weise für das zukünftige Finanzausgleichgesetz binden. Vorher muß die Aufwertungssrage gelöst werden, und wir müssen uns ferner vorbehalten, daß die Umsatzsteuer abgebaut werden kann.
Die Vorlage wird in zweiter und sofort in dritter Be⸗ ratung angenommen.
Darauf setzt das Haus die gestern abgebrochene Beratung der Anträge zur Wohnung “ und zu den Mieter⸗ schutzgesetzen fort. Zu diesem Gegenstand sind inzwischen noch Anträge der Sozialdemokraten und Deutschnationalen eingegangen; die ersteren haben ein Wohnungsprogramm aufgestellt, die letzteren schlagen Aenderungen der Hauszins⸗ steuer vor.
Abg. Lipinski (Soz.): Wir Wohnungszwangswirtschaft ab, wollen aber mit schlägen aus dem Wohnungselend herausführen. Die Forderung einer 100prozentigen Friedensmiete ist ungerecht. Die Hypotheken sind bis auf 15 abgewertet worden; würde da die volle Friedensmiete wieder eingeführt, so könnte mit den Wohnungen ein ungeheurer Wucher getrieben werden. Die Hausbesitzer, die ihre Hypotheken infolge der Abwertung haben abstoßen können, würden sich auf Kosten der Allgemeinheit ungeheuer bereichern. Früher hat der Hausbesitz jährlich 250 Millionen Hypothekenzinsen zahlen müssen, jetzt gibt es überhaupt nur noch Hypotheken im Gesamtbetrage von 775 Millionen, für die gegenwärtig nur 15 Millionen Zinsen zu zahlen sind. Wer die volle Friedensmiete wieder einführen will, untersrützt den Wohnungswucher. (Wider⸗ spruch bei den Demokvaten.) Selbst bei einer Aufwertung bis 20 Prozent, über die die Regierung nicht hinausgehen will, würde die volle Friedensmiete Wucher bedeuten. Es ist durchaus nicht ausgemacht, daß allein durch die freie Wohnungswirtschaft für genügenden Wohnungsbau gesorgt werden könnte. Eine “ Statistik berechnet, daß auf 1000 Einwohner 17 Wohnungen fehlen; nach dieser und nach anderen Berechnungen kommt man im ganzen Reiche auf einen Wohnun smangel von 1 200 000 Wohnungen. Die freie Wohnungswirt chaft ist schon deshalb unmöglich, weil sie nicht genug Privatkapital bekommen lann oder nur so teures Kapital, daß die Wohnungspreise so hoch werden, daß die Wohnungen nicht gemietet werden können. Der Wohnungsbedarf steigt von Jahr zu Jahr und kann bald die doppelte Zisfer von 2 400 000 Wohnungen erreichen. Solange Hypotheken und Kredit fehlen, kann die freie Wohnungswirt, chaft gar nicht eingeführt werden. In einer Gemeinde, die Bau⸗ zuschüsse gegeben hat, konnten schließlich die Wohnbauten nicht über die Kellergeschosse hinaus aufgeführt werden, weil die Mittel ausgingen. In einem Fall wurde berechnet, daß ein Arbeiter bei 1200 Mark Einkommen für den Bau einer neuen Wohnung jährlich 680 Mark Miete hätte zahlen müssen. Von der Miets⸗ steuer ist der geringste Teil für den Wohnungsbau verwendet worden; in Sachsen zwar 10 Prozent, dagegen in Württemberg nur 1,4 Prozent, in Baden 4 Prozent, in Thüringen 2 Prozent, in Hessen 2 Prozent. (Hört, hört!) Alles andere dient den Finanzen der Länder und Gemeinden, und da auch wieder die Arbeiten das meiste an der Mietssteuer aufbringen, während die Landwirt⸗ schaft ganz freigeblieben ist, so sind es die Arbeiter, die die eigentlichen Träger der Finanzwirtschaft der Länder und Gemenden geworden sind. Aus der Mietssteuer ist den Gemeinden zur Finanzierung ihrer Haushalte
lehnen die Aufhebung der unseren Vor⸗
— eine Milliarde Mark zugeflossen.
Daß das Reich der Ruhrindustrie 700. Millionen zahlen konnte, ist ein Beweis dafür, daß es seine Steuern stärker angespannt hat, als es nötig gewesen wäre. Diese 700 Millionen hätte das Reich lieber den Gemeinden zum Wohnungsbau geben sollen. Die Länder und Gemeinden müssen in den Stand gesetzt und verpflichtet werden, eine gewisse Mindestzahl von Kleinwohnungen für die minderbemittelte Bevölkerung und die kinderreichen Familien zu erbauen. Wenn die Friedensmiete in vollem Umfange schon in kurzer Zeit hergestellt würde, wie einige Anträge das wollen, würden große soziale Kämpfe die Folge sein. In besug auf die Wohnungsbauabgabe wünschen wir, daß sie ausschließli zum Wohnungsneubau und zur Erhaltung der Altwohnungen verwendet wird. Wir wenden uns ferner gegen den Versuch, heute schon den Mieterschutz aufzuheben. Der Weg, der in der Wohnungsfrage jetzt gewählt werden soll, ist nicht gangbar. Der Wohnungsbau muß so gesteigert werden, daß in absehbarer Feit auch die deutschen Arbeiter wieder wie Menschen unter Menschen leben können. (Beifall bei den Sozialdemokraten.)
Hierauf vertagt sich das Haus auf Freitag nachmittag 2 Uhr. Auf der Tagesordnung steht u. a. die Beratung der Anträge über die Sicherung de ahlfreiheit
Schluß gegen 4 Uhr.
Preußischer Landtag.
5à,. Sitzung vom 19. März 1925, Mittags 12 Uhr.
(Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger*).) Präsident Bartels eröffnet die Sitzung 2,40 Uhr.
Zur Geschäftsordnung beantragt der Abg. Grze⸗
linsky, dem Vorschlage des Aeltestenrats entsprechend, den
eiten Punkt der Tagesordnung, Entgegennahme der egierungserklärung, von der Tagesordnung abzusetzen.
Abg. Pieck (Komm.) stellt den Antrag, dafür die große Anfrage der Sozialdemokraten und den Urantrag der Kom⸗ munisten über Zusammenstöße in einer kommunistischen Ver⸗ sammlung in Halle am 13. März und in Berlin⸗Neukölln am 15. März nicht an fünfter, sondern an zweiter Stelle der heutigen Tagesordnung zur Beratung zu stellen.
Präsident Bartels teilte hierauf zunächst ein Schreiben des Ministerpräsidenten Marx mit, daß er die Wahl nicht annehme. (Lachen und Zurufe bei den Kommunisten.)
Hierauf wird der sozialdemokratische Antrag auf Ab⸗ setzung der Regierungserklärung gegen die Rechte ange⸗ nommen. Der kommunistische Antrag auf Umstellung der Tagesordnung scheitert daran, daß Widerspruch erhoben wird.
Das Haus trat darauf in die Tagesordnung ein. Als erster Punkt steht zur Beratung der Bericht des Geschäfts⸗ vrdnungsausschusses über die Genehmigung zur Ver⸗ nehmung des Abg. Siering als Zeugen. Die Ge⸗ nehmigung wird ohne Aussprache erteilt.
Es folgt die Fortsetzung der zweiten Beratung des An⸗ trages der Sozialdemokraten, des Zentrums und der Demo⸗ kraten auf Annahme eines Gesetzentwurfes über die Wahl⸗
eit der Provinziallandtage und Kreistage.
8 dem Ausschußantrag soll die Wahlzeit bis zum 1. J ovember 1925 verlängert werden. Abg. Dr. von Kries (D. Nat.) beantragt, den Gegenstand an den Ausschuß zurück⸗
uverweisen. Der Antrag wird mit knapper Mehrheit gegen sie Rechte und die Kommunisten abgelehnt.
Hierauf wird die namentliche Abstimmung über den An⸗ trag des Ausschusses, die Wahlzeit bis zum 1. November zu verlängern, wiederholt, da sich in der letzten Beratung die Be⸗ schlußunfähigkeit des Hauses herausgestellt hatte. Präsident Bartels teilt das Ergebnis der Abstimmung dahin mit, daß nur 212 Karten abgegeben wurden, daß also das Haus be⸗ schlußunfähig. ei. Damit ist die Sitzung beendet.
Der Präsident Bartels setzt auf sofort eine neue Sitzung an, in der die Vorlage über die Hinausschiebung der Wahlen nun nicht mehr zur Beratung steht. Das Haus tritt ein in die zweite Beratung der Novelle zu dem Gesetz über die Erhebung einer vorläufigen Steuer vom rund⸗ vermögen. Nach dem Antrag des Ausschusses wird das Gesetz bis zum 30. Juni 1925 verlängert.
„ Zuvor war von demokratischer Seite erklärt worden, mit Rücksicht darauf, daß die Kommunisten durch Nichtbeteiligung an der vorangehenden namentlichen Abstimmung dabei mitgewirkt hätten, das Haus beschlußunfähig zu machen, läge es nahe, gegen die Beratung der Zusammenstöße in kommunistischen Versamm⸗ lungen Widerspruch 9 erheben. Es solle aber nicht geschehen, da die Demokraten selbst Interesse an dieser Beratung hätten. A bgeordneter Pieck (Komm.) erwiderte, die Kommunisten hätten sich an der Abstimmung nicht beteiligt, da sie sonst dem reaktionären Gesetz zur Annahme verholfen hätten. Damit war diese kurze Geschäftsordnungsdebatte erledigt.
„Sierauf berichtet Abgeordneter Dr. Kaufhold (D. Nat.) über die Beratungen des Ausschusses zum Grundsteuergesetz.
Abg. Hecken 8. Nat.) erklärte die Ablehnung seiner Fraktion. Die Abgeordneten Dr. Waentig (Soz.), Dr. Wiemer (D. Vp.) und Sch “ GBentr, stimmten der Ausschußfassung zu. Abgeordneter Schwenk (Berlin) [Komm.] lehnte die Vorlage gleichfalls ab. Abgeordneter von Wangenheim (D. Hann) setzte in längeren Darlegungen die Reformbedürftigkeit des H.sesns auseinander, über die man sich auch im Ausschuß klar gewesen sei. dinge ichs der Lage müsse man sich aber mit der vorgeschlagenen Regelung abfinden.
Das Gesetz genommen.
Es folgt die gemeinsame Beratung der Großen Anfrage der Sozialdemokraten und des Antrags der Kommunisten über die Zusammenstöße in Halle und in Berlin⸗ Neukölln in einer kommunistischen Ver⸗ sammlung am 13. und am 15. März 1925. s688. Dr. Waentig (Soz.): Noch kennen wir nicht alle Einzelheiten des schrecklichen Vorgangs in Halle. In der Ver⸗ sammlung sollten 988 zwei Ausländer sprechen; das hatte die Hallenser verboten und eventl. mit Auflösung der Ver⸗ sammlung gedroht (stürmische Rufe bei den Kommunisten: Severing ist er Schuldige!). Im unteren Saal des Volksparks ging alles ruhig zu; im oberen Saale aber kam es zu furchtbaren Szenen, als man daran ging, die trotz des Verbotes gehaltenen Reden der beiden Ausländer für die Zuhörer zu übersetzen. Nach dem Bericht eines bürgerlichen Blattes sprang ein Polizeioffizier auf einen Stuhl, befahl die Auflösung; es fielen Schüsse und ein unbeschreibliches Angstgeschrei brach aus. Alles versuchte zu flüchten. Das Ergebnis war: Neun Tote, darunter zwei Frauen. Das Verbot war ungesetzlich, wie heute feststeht, aber wäre es auch
esetzlich gewesen, so war es eine Dummheit. Die in dieser Zeit
oppelt gebotene Vorsicht 9 nicht geübt worden. Der zur Ueber⸗ wachung kommandierte Po ör enießt in der Bevölkerung von Halle einen sehr schlechten Ruf. er Polizeipräsident Runge
(Zuruf bei den Kommunisten: Ihr Parteigenosse!) war an diesem Tage überhaupt nicht in Halle. Die Regierung hat ja durch seine Abberufung die Konsequenz gezogen. Vor einem Jahre haben sich bei einer ähnlichen Sache die Exekutivorgane der Polizei ganz anders verhalten; da sind sie nicht energisch eingeschritten, ge⸗ schweige, daß sie von der Waffe Gebrauch gemacht hätten. Ein ungeheueres Maß von Herzenshärtigkeit gehört dazu, in eine dicht gedrängte unbewaffnete Menge zu schießen; hier liegt ein ge⸗ rütteltes Maß von Schuld vor. Die Veranstalter und der Lester der “ mußten aber doch von dem Verbot unterrichtet 8 und da gehört ein erstaunliches Maß von Verantwortungs⸗ osigkeit dazu, so zu handeln, wie sie gehandelt haben. (Wüstes Entrüstungsgeschrei der Kommunisten; Vizepräsident Garnich be⸗ müht sich, dem Redner weiter Gehör zu verschaffen.) Wenn es wahr ist, daß auch noch ein Teil der Roten Frontkämpfer die ab⸗ trömende Menge verhindert hat (Neuer Entrüstungssturm bei den Kommunisten; der Schluß des Satzes geht verloren.) Die Versammlungsteilnehmer haben i rerseits Stühle, Bierseidel u. dergl. geworfen, wodurch mehrere Polizeibeamte verletzt wurden, auch soll aus der Mitte der Versammlung geschossen worden sein. (Andauernder Tumult bei den Kommunisten.) Der Minister muß genaue Auskunft über die Vorgänge und darüber geben, was das Staatsministerium tun will, um deren Wiederkehr zu verhindern. (Von den Kommunisten wird „Lügenprofessor!“ gerufen; Ab⸗ geordneter Müller⸗Frankfurt (Komm.) erhält einen Ordnungsruf.)
Den Urantrag der Kommunisten begründet
Abg. Hedwig Krüger⸗Halle (Komm.): Der weiße Schrecken 5 in Halle ein furchtbares Blutbad angerichtet. Die beiden Aus⸗ änder waren der Polizei rechtzeitig gemeldet worden. Herr Runge
wird hierauf mit großer Mehrheit an⸗
88 Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgehobenen der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind.
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erklärt, er würde die Schupo zum Volkspark dirigieren, denn die Ver⸗ senesaetis könnte von Parteigängern der Rechten gesprengt werden!
eem Parteisekretär hat er allerdings telephoniert, er verbiete das Reden der Ausländer und werde eventl. auflösen lassen. Henr Severing hat doch seine Schutzgarden nach Potsdam geschickt. Während der Begrüßungsreden der beiden Ausländer wurde die Polizei telephonisch is Auflösung angewiesen. Der Saal des Volksparks faßt 6⸗ bis 7000 Personen; der Versammlungsleiter konnte nicht verstehen, was der Polizeioberleutnant von dem Tisch aus, auf dem er stand, zum Besten gab. Unmittelbar darauf er⸗ . der Befehl zur Auflösung; Schupo drang in den Saal. die
ersammlung versuchte den Saal zu räumen, aber die Polizei Fhrs fl⸗ Ausgänge, auch die Notausgänge. besetzt. (Stürmische
ntrüstungsrufe bei den Kommunisten.) Plötzlich gab Oberwacht⸗ meister Willy Schulz, ein gerichtlich als patholoaisch festgestellter Mensch, und gerade diesen hatte man in die Versammlung ge⸗ schickt, einen Schuß ab. Der Schuß traf einen Arbeiter. Mit einem Male setzte eine Panik ein. Ein Schupowachtmeister hat am anderen Tag gerühmt, daß in 3 ¼ Sekunden 32 Schuß abgegeben worden seien. Im ganzen sind 50 Schüsse abgegeben worden. (Stürmi che Rufe bei den Kommunisten: Meuchelmörder!) Durch die Wucht der herausdrängenden Massen brach das Treppen⸗ geländer, die Leute stürzten in die Tiefe und wurden dort von der Polizei mit Gummiknüppeln bearbeitet. Die Verwundeten blieben ohne Hilfe. Passanten, die ihren Unmut Luft machten, wurden ebenfalls geschlagen. Severing ist es gewesen, der die kom⸗ munistische Partei verboten hat, der auch an diesem Blutbad schuld ist. Runge, der diesen Arbeitermord auf dem Gewissen hat, hün aus dem Staatsdienst entlassen werden, muß verschwinden. Un wie war es in Neukölln? Nach der Versammlung. als die Leute nach Hause gingen, ist die Polizei mit der Schußwaffe vorgegangen und der getötete Arbeiter war ein Sozialdemokrat! Die Schupo hat entgegen dem Gesetz den Volkspark sofort gesäubert. natürlich, um den wahren Zustand zu verschleiern; ihre eigenen Spuren zu verwischen. (Der tumultarische Lärm bei den Kommunisten dauert an.) Also zehn Tote, 50 Verwundete! Alle Schuldigen müssen ihrer Posten enthoben und vor Gericht gestellt werden; wir fordern, daß jenen Opfern des Blutbades Gerechtigkeit wird. (Beifall und Händeklatschen bei den Kommunisten)
Die Rede des Ministers des Innern Severing, der hierauf das Wort ergriff, wird nach Eingang des Stenogramms veröffentlicht werden.
Ein Antrag der Kommunisten auf Besprechung findet die erforderliche Unterstützung.
Abg. Dr. Maretzky (D. Nat.): Auch wir sprechen unser schmerzliches Bedauern über die Vorfälle in Halle aus. Was die Schuldfrage anlangt, so werden wir vor einem abschließenden Urteil den Eingang des gesamten Untersuchungsmaterials abzuwarten haben. Fömsemerbin sind schon gewisse Punkte der Schuldfrage ohne weiteres klarzustellen. Bei unserer Beurteilung der Sachlage stellen wir den Grundsatz in den Vordergrund, daß der staatlichen Gewalt nicht die private Gewalt des Einzelnen entgegengestellt, und daß den Anordnungen der staatlichen Exekutivbeamten unter keinen nUmständen gewalttätiger 1 geleistet werden darf. Gegen die Kommunistische Partei erheben wir den Vorwurf, daß sie ihre Anhänger dazu aufreizt, gewaltsam gegen die Staatsordnung vor⸗ zugehen, und daß sie dadurch auch in Halle die Haupturheberin der unglücklichen Ereignisse geworden ist. (Anhaltende lärmende Unterbrechung der Kommunisten.) Was die Meinung anlangt, daß die Polizei nicht hätte schießen sollen, so ist davon “ daß den Beamten ein sehr heftiger Widerstand entgegengesetzt worden ist, und daß dabei eine Anzahl Beamte verletzt und ver⸗ wundet worden sind. Es steht auch fest, daß Schüsse aus der Ver⸗ sammlung gefallen sind. Bei einer solchen Lage ist es schlechthin unmöglich, den Beamten das Recht der Notwehr verweigern zu wollen. Wer der bewaffneten Polizei tätlichen Widerstand ent⸗ gegensetzt, der muß damit rechnen, daß pflichtgemäß von der Waffe Gebrauch gemacht wird, und muß die Verantwortung für die Folgen seines tätlichen Widerstandes selbst tragen. Ich sehe eine schwere Gefahr in dem Bestreben, von vornherein aus An⸗ aß der Vorgänge in Halle gegen die Polizei Stellung zu nehmen. Dadurch wird die Zuverlässigkeit der Beamten für Fün tigs Fälle auf eine sehr harte und Probe gestellt. Es ist auch nicht zu ver⸗ kennen, daß die Lage unseres Staates eine energische und leistungs⸗ ähige Schutzpolizei dringend erfordert. Gerade die kommunistischen Pläne und Umtriebe müssen für jeden Politiker, der überhaupt den deutschen und preußischen Staat erhalten wissen will, Gegen⸗ stand sehr ernster Sorge sein. Die krisenhafte Wirtschaftslage unseres Landes läßt tiefgehende wirtschaftliche und soziale Er⸗ schütterungen befürchten, die für die kommunistischen Pläne den ge⸗ eigneten Boden geben, um Verwirrung zu schaffen und die Be⸗ völkerung zu unüberlegten Handlungen hinzureißen. Es darf nie ht vergessen werden, daß die kommunistischen Organe im Besitz fohr bedeutender Sprengmittel sind, die sie in den Stand setzen, um⸗ fassendste Terrorakte durchzuführen. Demgegenüber ist es höchst bedenklich, daß die Regierungspartei, die dem Polizeiministerium besonders nahesteht, die Sozialdemokratie, eine Haltung einnimmt, die als Stellungnahme gegen die Polizei ausgelegt werden muß. Auch die überaus beschleunigte Entfernung des Halleschen Polizei⸗ präsidenten aus Anlaß der letzten Vorgänge scheint der Neigung zu entspringen, mehr der Stimmung der Massen als den Notwendig⸗ keiten des staatlichen Lebens gerecht zu werden. Das ändert nichts daran, daß wir unser ablehnendes Urteil gegen Herrn Runge, das wir früher bereits sehr entschieden ausgesprochen aben, aufrecht⸗ erhalten. Wir erkennen die Prlichttreue unserer Bolizeibeamten⸗ chaft hoch an, würdigen den schweren, aufreibenden Dienst und tellen uns daher schützend vor die Polizei, wenn es gilt, eine offene oder versteckte Hetze zurückzuweisen. (Am Schlusse der von den Deutschnationalen mit lebhaftem Beifall aufgenommenen Rede, die schon während ihres ganzen Verlaufes immer erneut von den Kommunisten durch Zurufe unterbrochen worden war, setzen
wiederum lebhafte Protestkundgebungen der Kommunisten ein.)
Abg. Drescher (Soz.): mit größter Oblektivität geführt werden. hier in durchaus einseitiger Weise als Ankläger auf. Das Verbot der Reden der Ausländer trieb natürlich Wasser auf die kom⸗ munistischen Mühlen; aber es 8 ein gewaltiger Unterschied zwischen Ausländer und Ausländer, zwischen Professor Basch und den Russen, die nicht einmal Ausländer sind und ungestört in Deutschland herumreisen, um es durch ihre Hetze kaput zu machen. Die Kom⸗ munisten stellen sich hier als ganz unschuldig hin, aber wir, die wir in Halle leben, wissen es besser. Jedenfalls hat Frau Krüger eine Menge Uebertreibungen vorgetragen. Die Ueberwachung kommunistischer Versammlungen ist wahrhaftig kein Kinder⸗ spiel. Die Kommunisten reden hier im Parlament von Lump,
chuft, Lügner, womit sie den Polizeipräsidenten Runge meinen; erst neuerdings haben sie ihre entsprechenden Angriffe gegen den Re⸗ gierungspräsidenten Grützner⸗Merseburg vor Gericht mit der Ver⸗ urteilung durch den Strafrichter schwer büßen müssen. Die Kom⸗ munisten haben die Arbeiter vor die Kugeln der Polizeimannschaften getrieben (betäubender Lärm bei den Kommunisten, urufe, auf die wiederholte Ordnungsrufe des Präsidenten, u. a. gegen die Ab⸗ eordnete Krüger, erfolgen). Minister Sevexing hat das Verbot in Halle nicht gebilligt. Gewiß haben einige Polizisten nicht ruhig, “ aufgeregt sich benommen; aber auch css haben erst in die euft geschossen und überhaupt erst beschossene nachdem mit Bierseideln geworfen worden war. Der Saal des Volksparks faßt nicht 7800 sondern nur 1500 Personen. Warum haben die Kommunisten nicht sofort eventuell durch Telegramm an den Minister, Einspruch gegen das Verbot erhoben? — Sie wollten es nicht, sie brauchten den ö (Sturm bei den Kommunisten, Rufe: Lügner! Schuft!
Die Kommunisten treten
Bestie — Es werden weitere Ordnungsrufe vom Präsidenten Bartels Eine Partei, die den Staat vernichten will, hat das Recht verwirkt, hier in Entrüstung zu machen. Die Ruhe, Besonnenheit und Disziplin der Sozialdemokratie wird auch diese Gefahr für Deutschland überwinden. Die Kommunisten sind schuld, daß heute in Deutschland und Preußen die Reaktion Oberwasser hat. (Der 88 8 Rede N in dem wüsten Geschrei der Kommunisten ver⸗
erteilt).
Thre Gzu den ob sie diese Ruhe
Die angekündigte Untersuchung muß
8 Abg. Mehinger (Zentr.): Daß es gewisse Spekulanten und Kreise gibt, die immer wieder die ganze deutsche Bevölkerung oder doch Teile derselben zu Dingen zu verleiten suchen, bei denen soleß⸗ lich Unbeteiligte und vnsehn dige die blutige Zeche zu bezahlen haben dafür legt der mitteldeutsche Aufstand von 1921, dafür legt speziell Halle Zeugnis ab. Die Arbeitermassen aufhetzen und aufputschen, das können die Kommunisten, sonst nichts! (Gelächter bei den Kom⸗ munisten.) Armselige Geschöpfe! Sucht man die Urheber dieser irnverbrannten Aktionen, so sind sie nicht zu finden, aber ihre pfer müssen bluten. t, daß die Polizei
1 ten. Für die Kommunisten steht fe die allein Schuldige ist; . brauchen keine Untersuchung. Keine Ordnung ohne staatliche Machtbefugnisse! In diesem Sinne sind wir dem Minister Severing dankbar. Namens meiner Fraktion mu
ich erklären, daß Minister Severing gegenüber dem Haller n n vollkommen korrekt gehandelt hat, so wie er handeln mußte. ätte er aber nicht den 2 eschen Polizei fösbelcen schnell seines Amtes funtseßt wie es geschehen ist, dann hätten die Deutschnationalen heute sicherlich das Gegenteilige erklärt. Parteipolitischer Fanatismus ist aher zu vermeiden Wer die Gewalt predigt, (zu den Kommunisten) wird auch durch die Gewalt umkommen. Der deutschen und der preußischen Polizei gebührt alle Wer das zu schätzen weiß, was die Polizei in den letzten Jahren dem Staate eleiftet hat, der wird ihr die Anerkennung nicht versagen können. Ohne sie wäre Ruhe und Ordnung in Preußen schlechterdin s unmöglich gewesen. Heidenreich (D. Vp.) schließt sich der Anerkennung für die Polizei durch den Vorredner an. Sie habe zu wiederholten Malen während der letzten Jahre ihr Leben für die Erhaltung des Staates in die Schoeche schlagen müssen. Wenn vom Abgeordneten Dr. Waentig festgestellt worden ist, daß das Verbot ungesetzlich war, so hat das Minister Severing bereits berichtigt. Ist von der Staats⸗ autorität ein Verbot ergangen, so haben die verantwortlichen Leiter einer Versammlung eine solche Anweisung zu respektieren. (Lärm bei den Kommunisten, Zuruf: Lügner! — Der Rufer wird vom Präsidenten verwarnt.) Wir wenden uns dagegen, daß insbesondere gegen die unteren Polizeiorgane vorgegangen wird mit der Be⸗
sründung, daß sie mit mehr Ueberlegung hätten handeln müssen;
se waren lediglich mit der Ausführung der Befehle beauftragt.
FCommunisten) Leute möchte ich einmal gesehen haben,
1 bewahrt hätten. Die Abgeordnete Krüger
ist aus der Versammlung in Halle, als der Tumult begann, sofort
verschwunden. Wenn Sie für den Tag des Begräbnisses der Opfer
um Generalstreik aufrufen, erweisen Sie den Opfern einen schlechten Dienst Sie könnten ihnen einen größeren Dienst leisten, wenn Sie an diesem Tage arbeiteten und den Betroffenen den vollen Tages⸗ lohn als Hilfe zur Verfügung stellten. (Lachen bei den Kommunisten.)
Ein Vertagungsantrag wird abgelehnt.
Abg. Lademann “ erklärt, mit voller Absicht 8 von den verantwortlichen Stellen eine Mordatmosphäre gegen die Arbeiter
eschaffen, und die Mehrheit des Landtags heiße den Arbeitermord in Halle noch gut Sozialdemokratische Kreaturen wie der Polizei⸗ rräsident Runge Lier treffliche Dienste im Kampfe v Ar⸗ eiter. Ohne jede Untersuchung decke der Merseburger Regierungs⸗ präsident. Grützner, auch ein Sozialdemokrat, von vornherein alles, was die Polizeibeamten getan hätten. Bemußt batten die Halleschen Kriminalbeamten versucht, die Zeugen in wahr Heitswidrigem Sinne zu beeinflussen. Die Polizei habe in Halle ohne jede Veranlassung ge⸗ schossen. Bezeichnend se auch hier die Haltung der Sozialdemokratie, die von den Errungenschaften der Arbeiterschaft ein Stück nach dem andern preisgeba. (Der Redner wird wegen einer Reihe von be⸗ leidigenden Aeußerungen, u. a. hatte er den Minister Severing als Demagogen bezeichnet, zur Ordnung gerufen.)
Hierauf werden die Beratungen abgebrochen.
Bei Feststellung der Tagesordnung für die Freitagfizung bleibt die Entscheidung über einen Antrag Sten el (D. Vp.), für den die Rechte, ein Teil des Zentrums und die Kom⸗ munisten stimmen, zweifelhaft. Ueber den Antrag, der fordert, daß als erster Punkt am Freitag die Wahl des Minister⸗ präsidenten auf die Tagesordnung gesetzt wird, muß Aus⸗ zählung stattfinden. Als Ergebnis wurde festgestellt, daß für den Antrag 180 Abgeordnete gestimmt haben; mit Nein hat niemand gestimmt. Das Haus ist also beschlußunfähig. Dieses Ergebnis wird auf der Rechten mit stürmischen Entrüstungs⸗ kundgebungen aufgenommen. Unter lebhaften Ausrufen des Mißwillens weisen die Abgeordneten der Rechten immer er⸗ neut auf den Teil des Zentrums 58 der sich an der Ab⸗ stimmung nicht beteiligte. Erst langsam geht das Haus unter großer Unruhe auseinander.
Freitag 12 Uhr: Fortsetzung der S über die Vorgange in Halle. Schulreform. Persona abbau. Kleine Vorlagen.
Schluß 6 Uhr 5 Min.
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Parlamentarische Nachrichten.
Der Haushaltsausschuß des Reichstages be⸗ Fhüf ver sich gestern mit dem Antrage des Volkswirtschaftlicher lusschusses, der die augenblickliche reditnot des selb⸗ tandigen Mittelstandes zu mildern beabsichtigt. Ministerialdirektor Lothholz (Reichsfinanzministerium) betonte, dem Nachrichtenbüro des Vereins Deutscher Zeitungsverleger zu⸗ folge, daß zurzeit Verhandlungen des Wirtschaftsministeriums und des Finanzmigisteriums mit der Post und der Zentralgenossenschaftskasse schweben, wonach die Post bereit und in der Lage sei, die erforderlichen Mittel zu einem annehmbaren Zinssatz zur Verfügung zu stellen. — Ministerialrat Schippel erkläpte, eine eingehende und sorgfältige Prüfung habe
ergeben, daß die Beschwerden über Kreditnot nur auf einen Mangel
in der Organisation der Verteilung der zur Verfügun⸗ stehenden Mittel zuxczuführen sei. Die Post wäre bereit, bei Vergebung ihrer Gelder die Interessen der Kreise des Mittelstandes befonders u berücksichtigen, sie würde die Mittel zu 9 % geben, so daß der Kreditnehmer höchstens 13 % zu za len hätte. — Der Antra fand vielfache Zustimmung, nur die Abg. Clara Böhm⸗Schu (Sog.) hatte grundsätzliche Bedenken dagegen aus der Folgerung heraus, daß, wenn ein Stand Kvedit bekomme, jeder andere Stand das gleiche Kecht habe. Nach ausführlicher Debatte wurde folgender Antrag angenommen: . 3 81g Reichsregierung wird ersucht, zur Milderung der augenblicklichen Kreditnot der mittelständischen Ge⸗ werbe die Reichsbank zu veranlassen, eine Summe von “ 30 (dreißig) Millionen Goldmark der Preußischen Zentral⸗ genossenschaftskasse und der Genossenschaftsabteilung der Dresdner Vank als Darlehn auf ein Jahr baldigst zur Ver⸗ fügung zu stellen, mit der Maßgabe, die daraus zu gewährenden Kredite an die Kreditnehmer der gewerblichen Kreditgenossen⸗ schaften zu einem wesentlich billigeren als dem bisherigen Zins⸗ satz weiterzugeben. Sollte die Beschaffung der Summe auf diesem Wege nicht möglich sein, so wird die Reichsregierung er sucht, die Summe aus Mitteln der Reichspost den genannte Banken zur Verfügung zu stellen und dabei außerdem zu er⸗ wägen, ob Kredite aus dieser Summe nur unter der Bedingung gewährt werden, daß die Arbeitsbedingungen zwischen den Kredit⸗ nehmern und ihren Arbeitnehmern tarifvertraglich geregelt sind. Es folgte die Weiterberatung des Ha ushaltsplans des Reichswehrministeriums. Hierbei genehmigte der Aus⸗ schuß die Etatskapitel, die das Waffen⸗, Munitions⸗ und Heergerät⸗ wesen, die Verwaltung der Zeugämter, das Pionierwesen, die Be⸗ festigungen, das Verlehrswe en, die Verpflegung, die Bekleidung und Ausrüstung, die Unterbringung und Unterkunftsvergütung, die Heeresbauverwaltung, die Reise⸗ und sonstigen Beförderungs⸗ kosten sowie die Unterstützungen an Soldaten und Heeresbeamte betreffen. — Heute wird der 2 usschuß die Beratung über den Etat des Reichswehrministeriums fortsetzen. — Zu Beginn der gestrigen Sitzung des Aufwertungs⸗ ausschusses erklärte Reichsjustizminister Dr. Frenken laut