und in andern deutschen Ländern bei uns in Preußen gerade durch die Politik der großen Koalition eine Ruhe und Stetigkeit in der Verwaltung Platz gegriffen hatte, die auch dem wirtschaftlichen Wiederaufbau unseres Landes außerordentlich zugute gekommen ist. (Widerspruch rechts.) Meine Herren von der Deutschen Volks⸗ partei, kehren Sie zurück zu dieser bewährten Politik, und das Volk wird die Ruhe haben, die es ersehnt (Lebhafter Beifoll sinks und im Zentrum.)
Abg. Meyer⸗Hermsdorf (D. Nat.): Das Auftreten des Ministerpräsidenten vorgestern und heute trägt nicht dazu bei, das Vertrauen su ihm zu fördern. Eine „Volksgemeinschaft“ mit den Sozialdemokraten 9” ein Unding. Die Sozialdemokratie ist nicht imstande, aufbauende Arbeit zu leisten. Wenn der Minister⸗ präsident heute die Hoffnung auf eine tragfähige Mehrheit aus⸗
esprochen hat, so scheint er dabei auf die Kommunisten zu rechnen.
ber selbst der „Vorwärts“ hat im August 1919 ausgesprochen, daß die deutschen Zustände eine wheillose Schweinerei“ seien, und wie diese zustande gekommen ist, werden Sie (nach links) doch am besten wissen. Den Barmat⸗Skandal haben nicht wir hervor⸗ gerufen, wir stehen ihm ganz objektiv gegenüber und haben sofort erklärt, daß selbstverständlich auch einen Deutschnationalen, wenn sich ein solcher unter den Trägern der Korruption befinden sollte, die verdiente Strafe erreichen müsse. Nicht an unserem Wider⸗ stand ist eine wahre Volksgemeinschaft gescheitert. Meine Partei führt den Kampf für das Christentum, die sozialdemokratische Presse, namentlich die Gewerkschaftsblätter, gehen in der ge⸗ meinsten Weise gegen Religion und Christentum an. (Lärm und Lachen links.) In der Barmat⸗Sache ist doch der springende Punkt gerade der, daß diejenigen bestraft werden müssen, die Barmat und Konsorten die Steigbügel gehalten haben. Herr Heilmann hat gestern in demselben Atem, in dem er sich über die Beschimpfung des verstorbenen Dr. Höfle durch die deutschnationale Presse em⸗ vörte, die Verleumdung wiederholt, daß der verstorbene Edler von Brann eine Provision von 1 ¼ Millionen Mark eingesteckt hätte. Wie lange das Zentrum geschlossen hinter dem Kabinett Braun stehen wird, ist doch sehr ungewiß, denn die Welt⸗ anschauungsgegensätze zwischen Zentrum und Sozialdemokratie sind üunüberbrückbar. Weite katholische Kreise stehen zu uns und sind Mitglieder der Deutschnationalen Volkspartei; sie sind deshalb nicht weniger treue Katholiken. Die Gesundung des deutschen Volks⸗ und Staatslebens ist nur denkbar auf dem Boden des Christentums. Auch bei einer Neuwahl werden diese christlich⸗ethischen Momente ausschlaggebend sein. (Lebhafter Beifall rechts.)
Abg. Wildermann (Zentr.): Die katholischen Arbeiter be⸗ sitzen berufenere Vertreter als den Vorredner Gestern haben sich die Redner der rechten Seite zahlreiche gehässige Angriffe gegen Herrn Marxr erlaubt; Herr Marvx steht viel zu hoch, als daß ihn solche An⸗ wurfe erreichen könnten. In der deutschnationalen Presse ist Marx mit einem Wasserkopf dargestellt worden. (Unruhe und Widerspruch rechts.) Durch besondere Niedrigkeit haben sich Ausfälle ausgezeichnet die sich ein Graf Eulenburg nach der „Allensteiner Zeitung“ gegen Marx geleistet hat. (Stürmische Unterbrechung rechts.) Wenn die Herren von den Rechtsparteien uns beweglich vorstellen, daß unser katholischer Glaube in Gefahr sei, so harmoniert sehr schlecht damit die überaus gehässige Art des Wahlkampfes dieser Parteien gegen das Zentrum, die mehr als einseitige konfessionelle Hetze, die dabei getrieben worden ist. (Redner zitiert zahlreiche Flugblatter und Wahlaufrufe, die gegen den Heiligen Sruhl und gegen die katholische Kirche heftige Angriffe erheben; er wird dabei forigesetzt von Zwischenrufen und Lärm der Rechten unterbrochen.) Man hat sogar den unglaublichen Versuch gemacht, das Zentrum mit dem Papst in Gegensatz zu setzen; die „Narienburger Zeitung“ hat geschrieben: „Der papfr warnt vor Marx!“ Alles Lüge und Schwindel! Wird das Blatt die Ehrlich⸗ keit haben, jeßt nach der Erklärung des Kardinalstaatssekretärs Gasparri festzustellen, daß diese Behauptung unwahr ist? Der Papst und die katholische Kirche haben wiederholt den Sozialismus wie den. Protestantismus als Irrlehre bezeichnet (hört, hört! und große Jufregung rechts), von uns zweifelt kein Mensch daran. (Stürmische Entrüstung und andauernder betäubender Lärm rechts.) In aller Ruhe stelle ich fest, daß in der Weltanschauung zwischen uns und den Sozialdemokraten eine tiefe Kluft besteht, daß Sie (nach rechts) aber dogmatische und bürgerliche Toleranz verwechseln. (Fortgesetzter erregter Widerspruch rechts.) Bei unserer politischen Zusammenarbeit bleibt die absolute Verschiedenheit der Weltanschauungen durchaus bestehen, das haben wir auch beim Eintritt der Sozialdemokraten in die Regierung klar ausgesprochen. Und ist die Deutsche Volkspartei nicht auch in die Große Koalition eingetreten? Damit hat sie doch anerkannt, daß grundsätzlich gegen eine solche Zusammenarbeit nichts einzuwenden sei. Gestern hat Herr von Campe erklärt, eine Volks⸗ gemeinschaft müsse eine Gesinnungsgemeinschaft sein. Was verstehen Sie darunter? (Zuruf rechts: Von christlichen Gewerkschaften 8. Sie nie etwas gehört? — Große Heiterkeit rechts, fortdauernde große Unruhe.) Zu einer Gesinnungsgemeinschaft müßte doch auch eine religiöse Gesinnungsgemeinschaft gehören; wo ist sie? Niemals hat das entrum beim Zusammenarbeiten mit den Sozialdemokraten auch nur einen seiner Grundsätze preisgegeben (Lärm und Gelächter rechts), wir werden es auch in Zukunft tun; aber wir können und wir müssen streckenweise mit anderen zusammengehen im Sinne des Wortes, daß alle Deutschen in der Liebe zum Vaterlande einig sind. Wir wollen gufbauen und rechnen dabei auf die Mithilfe aller, die es mit dem deutschen Volke gut meinen. (Lebhafter Beifall im Zentrum.) „Abg. Dr. von Rechter (D. Vp.) erklärt, daß ihn die Aus⸗ führungen des Vorredners aufs .“ verletzt hätten. (Sehr richtig! rechts.) Man soll nicht noch den konfessionellen Streit hineintragen. Wenn Herr Wildermann so scharf spricht, dann braucht er sich nicht u wundern, wenn sich andere Parteien verletzt fühlen. Das fördert eine Zusammenarbeit nicht. Ein so alter Holitiker sollte nicht die Sünden des Wahlkampfes so einseitig darstellen. Gesündigt wird im Wahlkampf immer. Wenn aber Herr Wildermann gewisse Flug⸗ blätter kritisiert, so erinnere ich ihn an das eine Flugblatt, das sagte, die Wahl Hindenburgs bedeute den dauernden Verlust von Rhein und Nuhr. Der Abgeordnete soll höher stehen als ein Wahlagitator. Die Wahl des Reichspräsidenten ist mit gutem Grunde nicht dem Reichstage, sondern dem ganzen Volke anvertraut. Bei allem, was uns trennt, müssen wir uns klar sein, daß der Reichspräsident, wenn er gewählt ist, der Vertreter des deutschen Volkes ist. Es ist das erste Mal, daß ein deutscher Reichspräsident vom Volke gewählt wurde. Furuf⸗ Ebert!) Ebert wurde nach parteipolitischen Grund⸗ ätzen berufen, Hindenburg wurde vom deutschen Volke gewählt. Mit dem Ministerpräsidenten Braun habe ich über drei Jahre zusammengearbeitet. Die preußische Verfassung kennt keinen Staatspräsidenten, wie z. B. Rürttemberg. Aber der Ministerpräsident ist als höchster Beamter Vertreter des Staates nach außen. T eil das so ist, so glaube ich, daß der Ministerpräsident eine gewisse Zurückhaltung üben muß. Zu meiner lebhaften Freude habe ich aus selinem Munde solche Worte wie bei der Regierungserklärung nicht gehört, solange wir in der Großen Koalition zusammengearbeitet haben. Ich fragte mich: Ist das der Ministerpräsident Braun, mit dem ich über drei Jahre zusammen⸗ gearbeitet habe, der so oft so gute deutsche und preußische Töne ge⸗ funden hat? Die Große Koalition war entschieden ein Fortschritt gegenüber der Weimarer Koalition. Wären wir damals nicht eingetreten, so hätten sich wohl die Dinge nach unserer Auffassung ungünstiger entwickelt! Reibungen gab e. Zwischen dem Ministerpräsidenten Braun und mir haben auch Schwierigkeiten obgewaltet. Ich erinnere an die Fragen der Absägung der ostpreußischen Landräte, an die An⸗ gelegenheit des Polizeipräsidenten Runge, an den Fall Hörsing, der den Wahlaufruf für das Reichsbanner mit dem Schlußappell schloß: 1 der Deutschen Volkspartei, nieder mit der Deutsch⸗ nationaben Bolksparteit Heißt das, die Staatsautorität stützen? Und das geschah, als die Volkspartei in der Regierung saß. Man sieht, daß die Zusammenarbeit in der Großen Koalition gewisse Schwierig⸗ ke’ten hatte Das gilt auch gegenüber dem Innenminister Severing wie die angeführten Beispiele zeigen. Sollen denn die deutsch⸗ nationalen Kreise dauernd von der Verantwortung ausgeschlossen bleiben? Die Frage stellen, heißt sie verneinen! Bedeutete doch auch die grundsätzliche dauernde Ausschaltung der Sozialdemokraten die ungeheure Gefahr, daß eine Partei in ständiger Feindschaft zum Staate steht. Dieser Fehler ist früher gemacht worden. Wir wollen nicht,
daß ein gleicher Fehler wieder gemacht wird! Wir können aus England und Amerika lernen, wo jede Partei gleichberechtigt ist im Staat. Wir wollen, daß beide Parteien, Sozialdemokraten und Deutsch⸗ nationale, gleichmäßig an der Verantwortung beteiligt werden! (Zu⸗ ruse bei den Sozialdemokraten.) Es muß der Versuch gemacht werden, die Regierung auf eine breite Grundlage zu stellen. Nicht Partei⸗ rücksicht, sondern das Staatsinteresse muß ausschlaggebend sein. Das Ziel ist des Schweißes der Edlen wert!
Minister des Janern Severing: Meine Damen und Herren ich weiß nicht ob es die herannabende Maienzeit ist oder ob es ein Vergleich der Rede des Herrn Abg. Dr. von Campe mit der des Herrn Abg. Dr von Richter ist, der mich mit ganz wundervollen Ahnungen erfüllt, mit Ahnungen, bei denen ich einen Anklang an das Heinesche Gedicht empfinde: „Leise zieht durch mein Gemüt liebliches Geläute“. (Heiterkeit.) Jedenfalls kann man, wenn man die Aus⸗ führungen des Herrn Abg. Dr. von Richter von heute mit den Aus⸗ führungen des Herrn Abg. Dr. von Campe von vor etwa acht Wochen vergleicht nicht ohne weiteres zu der Annahme gelangen, daß diese beiden Herren einer Partei und einer Fraktion angehören. (Unruhe rechts.) Jedenfalls hat Herr Dr. von Richter durch seine heutigen Aus⸗ führungen die Richtigkeit der Auffassung des Herrn Minister⸗ präsidenten bewiesen, daß verschiedene Temperamente in ein und der⸗ selben Partei sitzen und, glaube ich, auch verschiedene Anschauungen über das Zweckmäßige und Politische in einer Partei und einer Fraktion vorhanden sein können. Ich will mich nicht in Mut⸗ maßungen und Prophezeiungen darüber ergehen, welche Wirkungen die staatsmännische, die politische Rede des Herrn Dr. von Richter haben kann und haben wird. Ich glaube aber, daß das Haus mit mir der Meinung ist, daß, wenn die Parteien eine Verständigung haben wollen, diese Verständigung viel leichter auf dem Boden der Rede des Herrn Dr. von Richter als auf dem Boden der Rede des Herrn Dr. von Campe gefunden werden kann. (Sehr richtig! links.)
Meine Damen und Herren, ich habe mich zum Worte gemeldet, um einige Bemerkungen zu berichtigen, die Herr Dr. von Richter mit Bezug auf meine Personalpolitik, mit Beaug auf unsere Personal⸗ politik — denn auch er ist in gewissem Umfange dafür verantwortlich — gemacht hat Bevor ich mich aber diesem Teile der Rede des Herrn Dr von Richter zuwende, möchte ich auf die Passagen eingehen, die sich mit der Kriegsschuldfrage des Herrn Ministerpräsidenten be⸗ schäftigt haben.
Ich habe nicht das Amt und nicht den Auftrag, den Herrn Ministerpräsidenten zu verteidigen. Der Herr Ministerpräösident ist selbst in der Lage, sich zu wehren. Ich darf aber an folgendes er⸗ innern. Als zu Beginn der großen Koalition die Herren von ganz links die Sozialdemokratische Partei heftig kritisierten ob ihrer Zu⸗ sammenarbeit mit dem Herrn Kollegen Boelitz und dem Industriellen Stinnes, und als zur Argumentation der Herren von der äußersten Linken darauf verwiesen wurde, daß einige Monate vor Eintritt des Herrn Abg. Boelitz als Minister in die große Koalition Herr Boelitz in Potsdam eine Rede gehalten habe, die eine Verherrlichung des Polsdamer Geistes und des Hohenzollerntums gewesen sei, da habe ich darauf aufmerksam gemacht, daß es meiner Meinung nach im politischen Leben richtiger sei, die Männer des politischen Lebens nach ihrer gesamten Wirksamkeit und nicht
nach einer politischen Rede zu beurteilen. Das soll kein Plaidoyer für den Herrn Ministerpräsidenten und mich sein. Von dem, was ich in der letzten Sitzung, die Ihnen Anlaß zu Ihrer Kritik ge⸗ geben hat, gesagt habe, nehme ich kein Wort zurück. Aber Sie sollten doch das auch verstehen, wie die Reden des Herrn Minister⸗ präsidenten und meine Rede zustande gekommen sind, wer sie pro⸗ voziert hat! Haben wir den Schinken damals angeschnitten, oder haben wir damals nicht vielmehr auf die Ausführungen der Herren von der äußersten Rechten geantwortet! Hat man nicht mit den Zwischenrufen von Dolchstoße und ähnlichen Dingen den Sozial⸗ demokraten und den sozialdemokratischen Mitgliedern der Regie⸗ rung die Schuld für das wirtschaftliche und politische Elend zuweisen wollen. in dem wir uns heute befinden! Und war es nicht heute wieder der Herr Abg. Meyer, der nunmehr behauptete, wie unter der Aegide sozialdemokratischer Minister wir von 1919 an immer bergab gegangen sind! War es nicht in den letzten Tagen Herr von der Osten, dieses auch von mir geschätzte Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei, der ebenfalls behauptete, daß wir uns immer und immer weiter auf der absteigenden Linie be⸗ wegten! War es auch nicht wieder Herr von der Osten, der für die seiner Meinung nach feststehende Tatsache die Sozialdemokraten ver⸗ antwortlich machen wollte? Wenn wir, nicht nur die Mitglieder der Sozinldemokratischen Partei, sondern wir Minister, die wir der Sozialdemokratischen Partei angehören, der Wahrheit zuwider für die politische Zerrissenheit unseres Volkes, für das wirtschaftliche Elend verantwortlich gemacht werden, wenn wir die Träger der Dolchstoß⸗ legende auch hier im Hause sein sollen, dann haben wir nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, gelegentlich auf einen Schelm 1 ½2 zu setzen. (Sehr richtig! links)
Ich habe wiederholt schon darauf hingewiesen, daß einmal der Geschichtsschreiber feststellen wird daß diejenigen, die Schuld am Zu⸗ sammenbruch tragen, die in der Kriegszeit das notwendige politische Augenmaß vermissen ließen (sehr gut! links) für die Grenzen unserer völkischen, wirtschaftlichen und finanziellen Leistung. (Zuruf rechts: Das ist ganz etwas anderes als zum Krieg hetzen!) — Herr Kollege, vom Kriege, von der Schuld am Kriege habe ich in meinen Aus⸗ führungen nicht gesprochen. (Rufe rechts: Sie nicht!)
Dann sage ich nochmals: Es kommt darauf an, nicht was ein Mann gelegentlich einer Rede sagt, sondern wie er sich in den in Rede stehenden Fragen verhält Wollen Sie von dem Herrn Minister⸗ präsidenten behaupten, daß er weniger national in den ersten August⸗ tagen 1914 und im Kriege überhaupt gewesen sei als die Herren von der Deutschnationalen Volkspartei? (Zurufe rechts.) Wenn das mehr Eingang finden würde in unserem öffentlichen und politischen Leben, den Mann nach seiner gesamten Wirksamkeit zu beurteilen, dann würde der politische Kampf an Gift verlieren und eine Verständigung auf allen Gebieten sehr viel leichter möglich sein.
Noch ein paar Bemerkungen zur Personalpolitik! Herr Kollege von Richter hat es sich sehr leicht gemacht, Sckawierigkeiten festzustellen. Zunächst, Herr Kollege von Richter, diese Schwierigkeiten habe ich nicht mit Ihnen allein gehabt, sondern mit den Herren Kommunisten,
die sich darüber beschwerten, daß ihr Kollege Schnetter nicht als
Landrat von Halle bestätigt wurde. Ferner mit meinen Freunden.
und, verzerhen Sie den Ausdruck, auch mit diesen nicht zu knapp:
Schwierigkeiten habe ich auch gehabt mit den Herren von der Demo“
Dartet 8 — 2 kratischen Partei Ich rufe die Herren, die heute meine Minister,
tollegen sind, Herrn Dr. Schreibex und Herrn Dr. Höpker⸗Aschoff, als Zeugen auf, daß sie, wenn sie zum Etat des Ministeriums
des Innern gesprochen fortwährend Klage darüber geführt haben daß die Demokratisierung der Verwaltung so langsam von statten ginge. Ich habe Sckwiergkeiten gehabt mit den Herren vom Zentrum, eben so mit der Deutschen Volfsparter und den Deutschnationalen. Es gibt keinen Minister, es gibt kemen Staatsmann, es gibt keinen Ab⸗ geordneten, der, wenn er an meiner Stelle gestanden hätte, das Kunst, stück sertiggebracht hätte es allen Parteien oder auch nur allen in der Koalition vertretenen Parteien recht zu machen. (Sehr richtig! Uiks.) Wenn Herr Kollege von Richter Innenminister statt Finanzminister gewesen wäre — ich glaube 8 er wird nicht behaupten wollen, daß es dann ohne Schwierigkeiten abgegangen wäre. Die Frage ist nur, wie ich mich bemüht habe, dieser Schwierigkeiten Herr zu werden
Da gestatten Sie mir eine kurze Abschweifung. Wenn man hier auf der — ich hätte fast gesagt Anklagebank — Ministerbank sitzt und gezwungen ist, eine solche Debatte über sich ergehen zu lassen, dann bekommt man manchmal mertwürdige Eindrücke Ich habe mich in diesen zwei Tagen gewundert über daß Maß von Ent⸗ rüstung und Erregung, mit der die einzelnen Parteivertreter die Ent⸗ gleisungen im Präsidentenwahlkampf hier vorgetragen haben. Hinden⸗ burg ist angegriffen worden durch Flugblätter des sogenannten Volks⸗ blocks. Marx ist angegriffen worden, und auch wieder nicht zu knapp, durch Flugblätter und Versammlungsreden des sogenannten Reichs⸗ blocks. Es ist hüben und drüben gefündigt worden. (Abg. Pieck: Thälmann nicht minder! Den haben Sie vergessen! Heiterkeit.) — Nein, Herr Kollege Pieck das ist nicht richtig. Wenn irgendeiner bei diesem Wahlkampf untergeschlüpft ist, dann war es Ihr Kandidat, Herr Thälmann. Thälmann war eben bei diesem Wahlkampf Zähl⸗ mann, den hat man nicht so ganz ernst genommen. (Ab. Pieck: Aber Sie haben ihn doch sehr ernst genommen mit Ihrer Agitation!) Nein. — Also ich sage: ich habe mich gewundert über das Maß von Entrüstung und Erregung. Ich erzähle Ihnen nichts neues, wenn ich die Tatsache nochmals unterstreiche, daß ich ständig in diesem Kampf stehe, daß nicht ein Tag vergeht, an dem ich nicht ungefähr so angegriffen werde, wie Marx und Hindenburg in diesen Tagen des Wahlkampfes angegriffen wurden. Das hat das eine Gute für mich gehabt: ich bin abgebrüht. (Heiterkeit) Ich errege mich über diese Angriffe nicht mehr. Und wenn Sie heute morgen in Ihrer Presse, meine Herren, von der Deutschnationalen Volkspartei, wieder von der „Provokation“ und „Futterkrippen⸗ wirtschaft“ in bezug auf bestimmte Personen sprechen, dann sagen Sie doch bitte, Ihren Redakteuren, alles das ließe mich ganz kalt. (Zuruf bei der D. Nat. Vp) — Herr Wiedemann, verstellen Sie sich doch nicht so! In Ihrem Namen ist ein Schreibfehler, Sie sollten eigentlich Wildermann heißen. (Große Heiterkeit) Ich kann um so weniger die Angricffe besonders aus rechts gerichteten Kreisen ernst nehmen, als Sie doch an einem Tage das widerrufen, was Sie am Tage vorher geschrieben haben. Daraus, daß ich eine dienstliche Maßnahme treffen mußte — ich will das anführen, obwohl die Dinge in der Debatte keine Rolle gespielt haben —, daraus, daß ich die Herren Abegg und Weiß, die für eine Dienstreise vorgesehen waren, in Berlinhalten wollte der Dinge wegen die sich vielleicht im Wahlkampf ereignen können, daraus haben die Herren gefolgert: Severing hat schon geahnt, daß ein „Föhn“ kommt, der mich und meine Herren wegfege. Sie wollten wir damit unterstellen, daß ich Angst hätte. Nein, meine Herren, es stehen viele Worte in meinem Lexikon, aber „Angst“ vor Ihren Presseäußerungen steht nicht darin. (Zurufe rechts.) Einmal soll ich provozieren, einmal Angst haben. Nein, das reimt
sich nicht zusammen; Logik ist nicht Ihre starke Seite. Ich sagte schon: ich bin abgebrüht, und deshalb nehme ich die Angriffe gegen meine Personalpolitik aus Ihren Reihen heute nicht mehr so tragisch.
Was aber Herr Kollege Dr. von Richter gesagt hat, gibt mir
Veranlassung, sachlich zu untersuchen, was an diesen Vorwürfen richtig ist. Herr Dr. von Richter hat selbst hervorgehoben, es sei ihm gelungen, bei der beantragten Zurdispositionsstellung verschiedener ostpreußischer Landräte vier zu retten. (Zurufe und Heiterkeit) — Jawohl, es ist ihm gelungen. Aus dieser von ihm angeführten Tat⸗ sache geht hervor, daß wir im Staatsministerium in der Tat Schwierigkeiten gehabt haben. Aber aus dieser Aeußerung des Herrn Kollegen Dr. von Richter geht auch die ganz selbverständ⸗ liche politische Differenz, die Verschiedenartig⸗ keit der Auffassungen über die Zweckmäßigkeit solcher Maßnahmen hervor. Im gleichen Augenblick, als Herr Dr. von Richter feststellte, daß es ihm gelungen sei, vier ost⸗ preußische Landräte zu halten, hat er mir den Vorwurf gemacht, daß ich über Gebühr hinaus zwei sozialdemokratische Polizeipräsidenten gehalten habe. Ja, einmal lag er unten und einmal lag ich oben. (Heiterkeit und Zurufe.) Das ist es ja, daß Sie mir oft in den Arm gefallen sind. (Zuruf rechts: Gott sei Dank!) Die Beseitigung des Regierungspräsidenten von Baudissin in Marienwerder 3 B hat, glaube ich, ¾ Jahre gekostet. Es waren Herren von der Deutsch⸗ demokratischen Partei, die über die Langfamkeit des Verfahrens Beschwerde erhoben. Und woran lag es? Weil Herr Dr. von Campe aber auch jeden mildernden Umstand, der für Herrn von Baudissin anzuführen war, bei mir geltend machte, weil er durch immer neue Hinweise dazu beitrug, daß die Entscheidung über das zulässige Maß hinausgezögert wurde. So war es bei sehr vielen Herren. Wenn die Herren von der Deutschnationalen Partei glaubten, daß einer der Ihrigen verabschiedet werden sollte, kamen sie mit ver⸗ schiedenen Momenten und Argumenten, die auf ihre Richtigkeit nach⸗ geprüft werden mußten. Und wenn die Herren von der Sozial⸗ demokratie glaubten, daß gegen einen der Ihrigen vorgegangen werden sollte, sind sie mit ähnlichen Gründen gekommen. Ich mußte untersuchen, was daran recht und richtig war, und diese Untersuchungen haben manchmal die Verabschiedung hinausgezögert⸗ Wo aber aus politischen oder Gründen der Verwaltungs⸗ reputation ein schnelles, durchgreifendes Handeln geboten war, da, Herr Kollege Dr. von Richter, hat es keine Sporen bedurft, keine Einflußmahme von irgendeiner Seite. (Zuruf bei der Deutschen Volkspartei: Hörsing, Lübbering!) — Hörsing? (Abgeordneter Wiedemann: Der ist General! — Heiter, keit.) Ich bin immer der Meinung gewesen,. daß man besonders politische Beamte, Oberpräsidenten, Regierungspräsidenten, möglichst gleichartig behandeln sollte. Was man dem einen an polrklischen Rechten eingeräumt hat, darf man dem anderen nicht verwehren. Ihnen, Herr Dr. von Richter, sollte doch noch in Erinnerung sein, daß wir uns, ehe von einem Kapitel Hörsing die Rede war, im Staatsministerium über einige — ich will mich ganz milde aus⸗ drücken — unvorsichtige Bemerkungen unterhalben haben, die der
Regierungsvizepräsident, heutige Regierungspräfident Höhnen in Fortsetzung in der Zweiten Beilage.
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Verlin, Freitag, den 1. Mai
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Nr. 101.
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(Fortsetzung aus der Ersten Beilage.)
getan hat, Aeußerungen, die in volksparteilichen Herrn berechtigte Zweifel setzten (hört, hört! bei den Scozialdemokraten), Aueßerungen, die mindestens so schwer wogen wie die von Ihnen beanstandeten Bemerkungen des Oberpräsidenten Hörsing. (Zuruf bei der Deutschen Volkspartei: Das ist nicht zu vergleichen!) Trotzdem ist Herr Höhnen im Amt geblieben. Ich lege an die Tätig⸗ keit der Beamten, die mir politisch nahestehen, vielleicht einen strengeren Maßstab an, und ich verrate kein Amtsgeheimnis, wenn ich sage, daß noch heute nachmittag zwischen einigen politischen Freunden und mir ein Gespräch stattgefunden hat über die Behandlung eines politischen Beamten, der der Sozialdemokratie angehört und der kürzlich entfernt wurde, und von dem man mir sagte, das er zu schnell, ab irato, von seinem Posten entfernt worden sei. Ich habe iede Diskussion darüber abgelehnt. Der Spruch ist gefallen; der Beamte ist zur Disposition gestellt worden, und dieser Beschiuß wird nicht rückgängig gemacht. Sie wollen aber aus diesen Versuchen, eine nachträgliche Revision
Stettin bezw. Stralsund die Verfassungstreue dieses
meiner über diesen Beamten getroffenen Entscheidung herbeizuführen *Empfindung, daß diese politische Aussprache doch wohl die letzte in
und meine Entscheidung erkennen, dach ich in bezug auf die politischen Beamten durchaus mit einerlei Maß messe. (Zuruf rechts: Das stimmt nicht!) — Das stimmt, Herr von Gersdorff. Sie gehörten zu denjenigen Herren die im Jahre 1922, wie der Herr Abgeordnete Dr. von Richter sagte, mit einigen anderen „auf einen Schlag“ zur Dispositian gestellt wurden. Ich habe, so lange ich der politische Minister, der Polizeiminister, bin, in erster Linie darauf zu halten, daß in Preußen Ruhe und Ordnung gewahrt wird, und ich prüfe an jedem Tag die Sehschärfe meiner politischen Augen. (Zuruf rechts.) — Wie meinen Sie? (Zuruf rechts.) — Ach nein! (Zuruf rechts: Es sind keine mehr da Heiterkeit.) Herr Kollege Weissermel, ich prüfe die Schärfe meiner Augen, Ich habe damit nicht sagen wollen, daß ich nach rechts schiele. Nach dahin sind sie gesund. (Große Heiterkeit.) Also Herr Kollege von Gersdorff, Sie gehören zu den Regierungspräsidenten, die im Jahre 1922 entfernt werden mußten. (Zuruf rechts: Mußten?!) — Mußten! Jawohl! Hätte ich nach dem Rathenaumord nicht überall dort fest zugegriffen, wo nach meiner Meinung die Brutherde der sogenannten vaterländischen Verbände bestanden, hätte ich nicht dafür gesorgt, daß an die verantwortlichen Stellen tüchtige, mit Initiative und Verantwortungsfreudigkeit ausgerüstete Beamte gesetzt würden — — (Zuruf rechts: Sie haben das Gegenteil von der Ministerloge gesagt!) — O ja. Aber, Herr von Gersdorff, ich erkenne auch Ihre guten Seiten an (Zuruf rechts: Sehr gnädig! — Heiterkeit.) In normalen Zeiten haben Sie durchaus den Anforderungen eines Regierungspräsidenten genügt. (Große Heiterkeit.) Damals war die Auswechselung einer Anzahl von Regierungspräsidenten eine absolute staatliche Notwendig⸗ keit. (Sehr richtig! links — Zuruf rechts) Wäre sie es nicht ge⸗ wesen, dann hätten der Herr Kollege von Richter und sein Partei⸗ freund Boelitz sicherlich im Staatsministerium durchgesetzt, daß die Maßnahmen sukzessive durchgesetzt würden und nicht mit einem Schlage.
Nun noch eine Bemerkung zum Reichsbanner. Die Vorwürfe, die gegen Herrn Hörsing gemacht worden sind, richten sich insbesondere gegen seine Tätigkeit im Reichsbanner. Die Aeußerungen, die ich dem Herrn Kollegen von Richter gegenüber zugegeben habe, die ich dem Herrn Oberpräsidenten Hörsing übermittelt habe, waren folgende, ich halte damit nicht zurück: Ich habe dem Herrn Ober⸗ präsidenten nicht amtlich, sondern persönlich — dazu war ich als guter Freund berechtigt — gesagt: nach meiner Meinung habe er als Be⸗ amter die Verpflichtung, sich in seiner Tätigkeit im Reichsbanner nicht als dessen Tambourmajor, sondern als Generalstabschef zu fühlen. (Zuruf rechts: Er ist mehr Trommler! — Heiterkeit.) — Herr Kollege Wiedemann, wenn ich die Absicht hätte, mich mit Ihnen in eine Art Duett einzulassen, was nicht die beste Musik abgeben würde (Zuruf rechts: Dann wären Sie zweiter Sieger! — Heiterkeit), ich würde Ihnen ein Musikinstrument zuweisen, auf dem Sie pfeifen könnten. (Heiterkeit.) Also ich sagte, daß ich mit der Kennzeichnung der Tätig⸗ keit, der geräuschvollen Tätigkeit des Herrn Oberpräsidenten Hörsing im Reichsbanner niemals zurückgehalten habe. Das wissen meine politischen Freunde, das wissen die Herren vom Reichsbanner, und das habe ich auch dem Herrn Kollegen von Richter gesagt. (Zuruf des Abgeordneten Dr. von Richter). — O ja, es wirkt schon! Und ich habe sogar die Hoffnung, daß Herr Hoehnen sich noch einmal zu einem guten verfassungstreuen Beamten bekehren wird. (Zuruf.)
Nun das Reichsbanner selbst. Gestatten Sie mir, daß ich als Polizeiminister einige Bemerkungen mache. Was die politische Wirkung des Auftretens des Reichsbanners anlangt, so kann es sein, daß Herr Kollege von Richter Recht hat mit der Annahme, daß die Stimmen⸗ zunahme der rechtsgerichteten Parteien in der Provinz Sachsen auch auf das Auftreten des Reichsbanners zurückzuführen ist, nicht direkt sondern indirekt; denn Sie in der rechtsgerichteten Presse stellen das Reichsbanner hin als die Organisation, die morgen die neue Revolution machen soll. (Zuruf rechts.) Nein, davon kann keine Rede sei. Aber daß diese Wirkung entstehen kann und vielleicht hier und dort ent⸗ standen ist, ist doch gar nicht so wunderbar, das sollte uns nicht als Rätsel erscheinen. Druckerzeugt Gegendruck. Als die soge⸗ nannten vaterländischen Organisationen zunächst da waren und lärmend in der Oeffentlichkeit auftraten und jeden Sonnabend und Sonntag soge⸗ nannte deutsche Tage arrangierten, war die Gründung des Reichsbanners eine absolute Notwendigkeit (sehr richtig! bei den Sozialdemokraten), um der deutschen und der Oeffentlichkeit der Welt Klarheit darüber zu verschaffen, daß der Lärm der sogenannten deutschen Tage nicht Deutschland war und die Gesinnung, die auf diesen deutschen Tagen zum Ausdruck kam, nicht schlechthin Gesinnung des deutschen Volkes. Diese geschichtliche Aufgabe hat das Reichsbanner erfüllt. Wenn dabei gelegentlich auch die äußeren Aufmachungen hinzutreten mußten, die die deutschen Tage beliebt hatten, so hat das vielleicht dazu beigetragen, nun auch den letzten — sagen wir — vorsichtigen,
um nicht zu sagen ängstlichen Bürger heranzuholen, um bei den Wahlen sich dagegen zu sichern, daß das Reichsbanner „neue Revolution mache“. Wenn wir diese Erscheinungen nicht wünschen, wenn wir die Tätigkeit dieser Organisationen in den Straßen und Märkten bei Wahlzeiten nicht wünschen, dann treten Sie doch in eine ernsthafte Prüfung meines schon vor mehreren Monaten an dieser Stelle gemachten Vorschlages ein, den Organisationen dieser Art nahezulegen, freiwillig abzurüsten. Die politischen Kämpfe sollten die politischen Parteien unter sich aus⸗ fechten und den Schutz der Republik, den Schutz des Staats und des Volks haben die staatlich und gesetzlich dazu berufenen Organe aus⸗ zuführen, d. h. die Polizei. Wenn wir uns auf diesen Standpunkt zurückfinden, leisten wir dem Staat und der Beruhigung des Volks den besten Dienst. Also gehen Sie an diese Prüfung Ich bin überzeugt wenn Sie es mit Ihrer Versicherung, die Ruhe im Volke wiederherstellen zu wollen, Ernst nehmen, werden Sie bei den Ver⸗ bänden mit der Abrüstung beginnen, die zuerst ins Leben getreten sind⸗ das sind die sogenannten vaterländischen Organisationen.
Abg. Dr. Preuß (Dem.): Ich habe trotz des gutmütigen Charakters der jetzigen Debatte doch die weniger frühlingsmäßige
diesem Landtag sein dürfte. Der Appell an die Wähler erscheint un⸗ umgänglich; denn dieser Landtag hat keine tragfähige Regierungs⸗ mehrheit, nachdem die Deutsche Volkspartei die Große Koalition absichklich und bewußt zerstört hat. Die fünf Möglichkeiten einer anderen Regierungsbildung, von denen Herr von Campe sprach, sind von den Herren Braun und Heilmann als ebensoviel Unmöglich⸗ keiten nachgewiesen worden. Nun bemühen sich die Deutschnationalen und die Deutsche Volkspartei krampfhaft, das Zentrum auf alle mögliche Weise, durch Umschmeichelung und Anpöblungen, zu sich herüberzuziehen, aber vergebens. Die Opposition kann und darf nach Artikel 57 der Verfassung eine Regierung nur stürzen, wenn sie eine andere an ihre Stelle zu setzen vermag; darum ist dort die Bildung einer Regierung erleichtert, ihr Sturz erschwert. Um die Staatsnotwendigkeiten in Preußen sicherzustellen, ist angesichts der tatsächlichen Machtverhältnisse im Landtag die Auflösung unum⸗ gänglich, da die Opposition dolos jeden Weg einer Regierungsbildung verrammelt hat. Herr von Campe sprach davon, daß die Deutsche Volkspartei in die Große Koalition eingetreten sei, um das Feld nicht denen allein zu überlassen, die die Revolution gemacht haben. Herr von Campe sollte doch wissen, daß erstens gar keine Revolution gewesen ist, und daß zweitens Revolutionen nicht gemacht werden. (Zustimmung und Heiterkeit in der Mitte und links.) Herr von Campe sieht den Liberalismus im Vormarsch begriffen, Herr von Richter aber erklärt, die Deutschnationalen ständen ihm näher als die Weimarer Koalition! Ich sehe in dieser Koalition den größten Sieg des Volksgemeinschaftsgedankens. Die Republik hat Deutsch⸗ land vor dem Untergang retten müssen und gerettet; ihre Leistungen in den sechs Jahren seit 1919 sind angesichts der schlimmen An⸗ feindungen ihrer Gegner, trotz des Kapp⸗Putsches und der schandbaren politischen Morde in der Geschichte geradezu beispiellos. Eine Volksgemeinschaft kann nun und nimmer durch fortgesetzte Ver⸗ hetzung eines Volksteils gegen den anderen geschaffen werden; in der letzten Wahlbewegung hat man sogar den alten Kulturkampf wieder aufleben lassen. Herr von Richter will Sozialdemokraten und Deutschnationale gleichmäßig am Staatsleben und an der Staatsverwaltung beteiligen; das würde doch den Deutschnationalen zum größten Schaden gereichen; denn dann müßten ja 90 Prozent der jetzigen antirepublikanischen preußischen Beamtenschaft entfernt und durch Republikaner ersetzt werden. Das heutige Verhältnis im Beamtenapparat ist ja nur die Folge einer geradezu sträflichen Nach⸗ sicht; die Republik läßt mit sich Schindluder treiben. Wir werden sorgsam wachen, daß Reichspräsident und Republik nicht auseinander⸗ gehen, daß die Republik von reaktionären Einflüssen freigehalten wird. Der demokratischen Republik entspricht es nicht, wenn der Schutz der Reichsverfassung in den Händen eines Ministers lieat, der einer diese Verfassung perhorreszierenden Partei angehört. Das Schicksal der Regierung in Preußen wird maßgebend sein auch für Deutschland und 8 seine Bewertung im Ausland; darum muß alle Kraft daran gesetzt werden, in Preußen nicht die Reaktion hochkommen zu lassen, sondern ein festes republikanisches Regiment in Preußen aufzurichetn. (Beifall bei den Demokraten.)
Abg Grube (Komm.): Alle Parteien, von der Rechten bis zu den Sozialdemokraten, streiten sich in der Hauptsache ausschließlich um die Ministersitze, wie das nun schon seit fünf Monaten der Fall ist. Wie die Arbeiterschaft aus ihrem Elend berauskommen soll, darüber verlieren auch Herr Braun, Herr Siering, Herr Heilmann kein Wort. Diese Herren und diese Partei wollen die alte kapitalistische Politik der Großen Koalition fortführen. Herr Hindenburg, das Symbol des Massenmordes, ist zum Reichs⸗ präsidenten gewählt worden. Nun sollen wir an dieser Wahl schuld seint Wirklich schuld sind die Schwarz⸗rot⸗goldenen, die den Nimbus dieses Feldmarschalls zu zerstören abgelehnt haben, schuld sind die, die Herrn Marx aufgestellt haben, den Kanzler der Ermächtigungs⸗ gesetze, dem ein Arbeiter seine Stimme nicht geben konnte. Nach den Taten dieses Herrn, nicht nach seinen Worten mußte sich die Arbeiterschaft richten. Herr Marx hat mit dafür gesorgt, daß in Bayern das Konkordat zur Annahme kam, welches die Lehrerschaft dem Diktat der Kirche unterwirft. Darum sind die Sozialdemokraten trotz aller Ausflüchte des Abgeordneten Heilmann an dem Ausgang der Reichspräsidentemwahl schuld. Die Kommunisten haben nur die Pflicht der Selbsterhaltung geübt, wenn sie eine eigene Kandidatur Thälmann aufstellten, schon um die Arbeiterschaft wieder auf dem Boden des Klassenkampfes zu sammeln. Die praktische Politik der republikanischen Parteien seit November 1918 hat der Reaktion immer mehr den Boden bereitet, sie hat die Reichswehr zu einem Instrument der monarchistischen Bestrebungen gemacht, und sie wird gerrönt durch die Wahl des „alten gutmütigen“ Herrrn von Hinden⸗ burg! Auf unsere gestern eingebrachten Anträge ist Herr Braun heute überhaupt nicht eingegangen; er hat nur Verbeugungen vor den Schwarz⸗weiß⸗roten und vor der Deutschen Volkspartei gemacht und überdies gezeigt, daß ihm an der Auflösung nichts liegt, daß er sich lieber, weil es so schön ist, an der Macht zu bleiben, mit den Monarchisten einlassen will. Wir werden alles tun. um die monar⸗ chistischen Restaurationspläne zunichte zu machen. Die Arbeiterklasse wird, dafür werden wir sorgen, die wirklich Schuldigen erkennen und mit ihnen abrechnen; mit dem Hindenburgproäramm führt man das Vermächtnis von Lassalle, Marx und Engels nicht durch.
Abg. Mohrbetter (Wirtschaftl. Peraih e Die Rede des Ministerpräsidenten hat alles mögliche, nur nicht Einigkeit in dieser Debatte zum Ausdruck gelangen lassen. Er war doch lange genug in Urlaub: dennoch hat er uns eine ganz inhaltlose Rede nicht gehalten, sondern vorgelesen! Einem solchen Mann kann ich kein Vertrauen e dem kann ich meine Stimme nicht geben. Für eine Partei,
er schon ihrem Namen gemäß die wirtschaftlichen Interessen des Volkes liegen, hat der Ministerpräsident nur kalte Zurück⸗ weisung. edner polemisiert unter andauerndem Widerspruch und Gelächter der Sozialdemokraten und Kommunisten gegen die Soziali⸗ sierungsidee, die den Mittelstand und das Kleingewerbe zerstören und das Elend Deutschlands ins Ungemessene steigern müsse. “ Abg. Körner (Dtvölk. Freiheitsp.): Bedauerlicherweise ist die
. geworfen worden. Von katholischer Seite hat man auf diesem Gebiete ebenfalls stark gesündigt. Es ist im Wahlkampf das unglaub⸗ liche Wort gefallen: „Der evangelische Bund ist nicht mehr christlich“. Redner kommt dann auf den gestern vom Abgeordneten Heilmann gegen ihn gerichteten Vorwurf zurück und stellt fest, daß er das erwähnte Schreiben als Privatbrief an den Oberstaatsanwalt in Frankfurt (Oder) gerichtet hat, und legt einen Durchschlag auf den Tisch des Hauses nieder. Weiter protestiert er dagegen, daß in de Polizeischule in. Eiche den Zöglingen der Beitritt zur sozialdemo⸗ kratischen Partei nahegelegt wird, daß in Cottbus den Polizeibeamte der Beitritt zu nationalen Organisationen verboten worden ist Die politische Parteilichkeit der Vorgesetzten müsse aufhören.
Abg. Hillger⸗Spiegelberg (D. Nat.) bezeichnet den Ab⸗ geordneten Heilmann wegen der Angriffe gegen seine Person un Partei als Verleumder. Im Untersuchungsausschuß habe Heilmann auch einen Brief erfunden und den Eindruck zu erwecken gesucht, als sei wirklich ein solcher Brief vorhanden. (Anhaltende Zwischenrufe und lärmende Unterbrechungen bei den Sozialdemokraten.) Herr Heilmann hat sich von Barmat zu Schlemmereien einladen lassen! Bei uns in Spiegelberg gibt es das nicht, weil wir alle aus einem Topfe essen. (Große Heiterkeit. Zurufe links: Sviegelberg, ich kenne Dir!) Ich lade Sie alle ein, damit Sie sich überzeugen können. (Erneute Heiterkeit.) Ueber die persönliche Anpflaumung bin ich nicht weiter böse. Herr Heilmann sollte sich aber doch einmal zu der Anfrage meiner Partei über die 75 000 Mark und die Rundfunk aktien äußern! Jedenfalls müssen wir diesen persönlich gehässigen Kampf, wie Herr Heilmann ihn führt, aufs schärfste verurteilen. (Lebhafte Zustimmung rechts.)
Abg. Goll (Dem.) weist den Vorwurf der Wirtschaftspartei zurück, die Linksparteien hätten sich der Verschleuderung⸗ öffentlicher Gelder schuldig gemacht. Man solle doch an die Adresse des Herrn von Richter wenden, der 3 ¼ Jahre preußischer Finanzminister gewesen sei. Die Hauszinssteuer sei eine Notmaßnahme, an der keine Partei Freude habe. Der deutsche Mittelstand könne sich nicht helfen, weil die Vorsitzenden der Berufsorganisationen zum großen Teil von Mitgliedern der Deutschnationalen Volkspartei, von Rechts⸗ radikalen, beherrscht würden. Die Wirtschaftspartei aber stelle sich bei der Regierungsbildung ganz auf die Seite der Partei, die sie in ihrem Programm bekämpfe. Gerade das Interesse des Mittelstandes gebiete schleunigste Bildung einer aktionsfähigen Regierung.
Abg. Lukassowitz (D. Nat.) erklärt, der Abgeordnete Wilder⸗
mann habe sich schwerer Entgleisungen schuldig gemacht. Er habe Soziaglismus und Protestantismus auf gleiche Stufe gestellt und heide als Irrlehre bezeichnet. Diese schwere Verunglimpfung der evan⸗ gelischen Kirche weise er zurück. Damit könne man nicht La Cauarheis leisten. Das Zentrum setze sich über die großen kulturpolitischen Gedanken hinweg aus parteipolitischen Gründen. (Lebhafter Wider⸗ pruch im Zentrum.) Weil das Zentrum entgegen seiner kirchlichen ehre sich mehr und mehr auf den Marxismus verpflichtet habe (stürmisches Gelächter im Zentrum), gehören ihm weite katholische Kreise nicht mehr an, so der katholische Adel in Rheinland und West⸗ falen. Nur noch ein Drittel deutscher Katholiken suche heute seine Vertretung im Zentrum. (Lebhafter Widerspruch im Zentrum.) 1917 habe das Zentrum das allgemeine gleiche Wahlrecht für Preußen abgelehnt und vor dem Zusammengehen mit den Sozialdemokraten gewarnt. Der Abgeordnete Wildermann habe einen bedauerlichen Riß hineingetragen in die christliche Gemeinschaftsarbeit. Das Zentrum müsse endlich einen anderen Kurs einschlagen; seine Links⸗ einstellung vertrage sich nicht mit der christlichen Weltanschauung. Sonst diene es nicht der nationalen Aufbauarbeit.
Abg. Wildermann (Zentr.) erklärt, nicht er, sondern die Redner der Deutschnationalen und der Völkischen hätten den Streit vom Zaun gebrochen. Er habe sich nur gegen den Vorwurf ge⸗ wandt, seine Partei stehe im Widerspruch mit den de ange und Erlassen des Papstes. Zur Reichspräsidentenwahl erklärt der Redner mit starker Betonung: Ich erkläre vor aller Oeffentlichkeit, es ist weder den Sozialdemokraten, noch den Demokraten für die Mitwahl des Herrn Marx irgendeine Versprechung gemacht, noch ist irgendeine Verpflichtung eingegangen, es ist auch keinerlei Ver⸗ sprechung oder Verpflichtung verlangt. Wir wollen eine Re⸗ gierung der Volksgemeinschaßt, und Herr Braun hat die Wahl in der Absicht, möglichst eine solche Regierung zustande zu bringen, angenommen. Wir wollen daran festhalten, daß wir gemeinsam als Deutsche von rechts bis zu den Sozialdemokraten zusammen⸗ arbeiten können.
Abg. Wiegershaus (Völk.) fordert, daß der Minister des Innern gegen einen Beamten vorgehe, der von Hindenburg als von einemn Massenschlächter gesprochen habe. Wenn Herr Heilmann, über den der Barmat⸗Ausschuß nicht gerade erfreuliche Dinge zu⸗ tage gefördert habe, hier in der Weise, wie am Mittwoch, dos Wort
enommen habe, ehe eine Klärung der Anklagen gegen ihn erfolgt ei, so zeige das die Verwilderung der heutigen parlamentarischen Sitten. Abg. Ladendorff (Wirtschaftl. Vereinig.) erwidert dem Ab⸗ geordneten Goll, seine Partei frage nicht nach links oder rechts, sondern vertrete die Belange der Leidtragenden, auf deren Rücken der Streit der letzten sechs Jahre ausgetragen sei. Seine Partei bekämpfe die Auswüchse des Großunternehmertums, und die seien nicht von rechts, sondern von links gekommen. Bezeichnend sei daß die Firma Wertheim 430 Berliner Häuser an sich gebracht habe. Jetzt reiße sie, soweit es angehe, ganze Häuserblocks nieder, und mache Hunderte selbständiger Existenzen brotlos.
Damit ist die politische Aussprache beendet.
Nach Annahme einer Reihe von Ausschußanträgen ohne Aussprache vertagt sich das Haus g Freitag, den 8. Mai, mit der Tagesordnung: Abstimmung über die Anträge zur Ver⸗ trauensfrage; Anträge. 8 Schluß 5 Uhr 20 Minuten.
Parlamentarische Nachrichten.
Haushaltsausschuß des Reichstags setzte estern die Beratung des Etats des Ministeriums ür Ernährung und Landwirtschaft ffort. Abg.
Hepp (D. Vp.) betonte, dem Nachrichtenbüro des Vereins deut⸗
scher Zeitungsverleger zufolge, daß unserer passiven Handelsbilanz
nur eine geborgte aktive Zahlungsbilanz gegenüberstehe. Das Be⸗ denkliche sei, daß unsere Handelsbilanz, in großen Zügen gesehen, dauernd passiver werde; vorübergehende scheinbare Besserungen be⸗ ruhten s verminderter Einfuhr von Rohstoffen. Das Defizit der
Handelsbilanz werde erst dann voll in die Erscheinung treten, wenn
die Zahlungen auf Grund des Dawes⸗Gutachtens voll geschehen
würden. Ein Ausgleich sei nur in der Richtung möglich, daß die
Eirehr von Lebensmitteln durch Eigenerzeugung ersetzt würde,
da der Gegenwert der eingeführten Lebensmittel genaun dem Be⸗
trage der Passivität unserer Handelsbilanz des Jahres 1924 ent⸗ räche. Zur Gesundung unserer Wirtschaft sei erforderlich: 1. eine teigerung der landwirkschaftlichen Inlandsproduktion; 2. Steige⸗ rung der Ausfuhr unter Berücksichtigung der Interessen der Ge⸗ samtwirtschaft; 3. möglichste Einschränkung der Luxuseinfuhr, vor allem der die heute wesentlich größer sei als vor dem
Kriege. Die Steuerleistungen müßten sich individueller Leistungs⸗ fähigkeit der einzelnen Betriebe anpassen; die gestundeten Ver⸗ mögenssteuerbeträge könnten angesichts der schwierigen Lage der
Der
konfessionelle Frage und der K lturkampf auch wieder in diese Debatte
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Landwirtschaft nicht nachträglich noch eingezogen werden. Die