„Zu a2: Brückenglübzünder mit festem Zündkopf. Die Zünder werden mit der konischen Hülse in die Sprengkapreln eingesetzt. Die aus Messing bestehende Hülfe ervält solche
Abmessungen, daßß beim Einjetzen des Zünders in die gebräuch⸗
lichen Sprengkapseln (mit mindestens 15 mm Leerraum) der Knallsatz nicht getroffen wird, und daß der Zünder in der Sprengkapselhülse festsitzt. Die inneren Zünderteile und die Zünderdrähre sind mit Ebbosit überzogen Die Messinghüse ist 24 mm lang. Um die unteren 5 mm bis an einen dort eingepreßten ringförmigen Wulst der Hülse und um die heraus⸗ ragenden Zünderdrähte ist ein etwa 15 mm langer Blei⸗ mantel gegossen und dann festgepreßt d) Besondere Bedingungen:
Die Zündmittel können auch für schwach geladene und be⸗ setzte Sprengschüsse mit geringer Vorgabe verwendet werden, bei denen durch Anwendung gewöhnlicher Zünder eine Ent⸗ zündung vorhandener Schlagwetter möglich sein würde.
Breslau, den 28. Oktober 1925. Preußisches Oberbergamt.
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Fischer.
Nichtamtliches. Deutscher Reichstag.
124. Sitzung vom 24. November 1925, Vormittags 10 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger“.)
Am Regierungstische: Reichskanzler Dr. Lukher, Reichsminister des Aeußern Dr. Stresemann und die andern Mitglieder des Kabinetts.
Präsident Löbe eröffnet die Sitzung um 10 Uhr 25 Mi⸗ nuten. Die erste Lesung der Locarno⸗Verträge wird fort⸗ gesetzt. Abg. Wels (Soz.) verweist auf die ungeheure Bedeutung der Vorlagen. Wie man auch zu den Venträgen stehe, jeder müsse ein⸗ sehen, daß wir jetzt am Wendepunkt der europäischen Politik stehen. Es fragt sich nun, ob von jetzt an ein neuer Geist die Völker be⸗ herrschen solle oder ob man in den bisherigen Bahnen weitergehen wolle. Die unceheure Wirtschaftskrise zwingt alle Staaten dazu, ein neues Verhältnis zueinander zu schaffen. Die west⸗ und mittel⸗ europäischen Staaten sind heute so miteinander verbunden, daß wirt⸗ schaftliche Erschütterungen in einem derselben in ihren Folgewirkungen allgemein schwer empfunden werden. Die Arbeiterschaft hat den Zu⸗ sen menheng zwischen europäischer Wirtschaft und europäischer Politik eit langem erkannt. Wir haben jetzt die Stunde, die zum Handeln zwingt. Die Zahl der verpaßten Gelegenheiten ist in Deutschland goß genug, als F. man sie noch vermehren könnte. (Zustimmung.) luch in Amerika hat man volles Verständnis für dieses europäische Gemeinschaftsgefühl. Der Redner tritt dann der deutschnationalen Agitation entgegen. Nach langem Schwanken und Zögern schreien sie jetzt in die Welt hinaus, daß sie allein wahre nationale Politik ge⸗ trieben hätten. Wir fragen Sn (zu den Deutschnationalen): Wissen Sie, was kommt, was Deutschland zu leiden haben wird, wenn Locarno von Deutschland allein abgelehnt wird und Deutschland sich dadurch isolierte Europa würde durch England zu einer neuen Bündnispolitik zusammengeführt werden. Die Kommunisten sollten bedenken, 98 sich Locarno nicht gegen Rußland wendet. Es handelt sich darum, das Kriegssystem außer Kraft zu setzen und Deutschland als gleichberechtigten Faktor anzuerkennen. Das Ziel ist Vermeidung von Kriegen. Deutschland will auch mit Rußland in Frieden leben. Unsere Ueberzeugung ist, daß Rußland aus dem europäischen Wirt⸗ sefte emn nicht dauernd ausgeschaltet werden kann ohne Schädigung er allgemeinen Wirtschaft. Was soll das Geschrei nach einem Bündnis mit Rußland? Wir haben den Wirtschaftsvertrag ab⸗ eeschlossen. Ein Bündnis mit Rußland in anderem als wirtschaft⸗ ichen Sinne wäre ein Verbrechen am europäischen Frieden. Die An⸗ nahme der Locarno⸗Verträge bedeutet keineswegs eine einseitige Orien⸗ tierung Deutschlands nach dem Westen. (Unruhe bei den Kommu⸗ e Die Politik Sowietrußlands war auf Entfachung der Welt⸗ revolution gerichtet; diese Politik hat aber an Boden mehr und mehr verloren, je mehr sich die Lage Europas stabilisierte. Jetzt ist dieser Außenpolitik, dieser Abenteurerpolitik der G“ versetzt; man sucht immer mehr Annäherung an die Westmächte. Auch einflußreiche Phlschem tisch Kreise äußerten sich in diesem Sinne. diese beschleunigt. In der „Prawda“ vom 11. November wird aus⸗ drücklich betont: „Wir lehnen eine positive Mitarbeit am Völker⸗ bund nicht ab, ohne ihm jedoch beizutreten.“ Indem wir Scozial⸗ demokraten den Veträgen von Locarno zustimmen, handeln wir nicht nur im Geist des ganzen westeuropäischen Proletariats, sondern auch im Interesse der russischen Arbeiter, denen mit einer abenteuerlichen volitik der Weltrevolution nicht cedient ist. Rußland muß aus seiner Isolierung heraus, es muß dem Völkerbund beitreten, das ist die wirk⸗ 8 Garantie für den Frieden Europas. Noch immer sind die este der Kriegsstimmung nicht beseitigt. Abgetakelte Generale wie Sirt von Armin halten Kriegsreden. Auf dem deutschnationalen Parteitag wurde „Siegreich wollen wir Frankreich schlapen“ gespielt und cesungen; ein Lied, das man bisher nur von mißleiteten Schülern und Studenten hörte. Aber auch die Jugend an den Hochschulen wird noch immer aufgehetzt. Es wird ihr gehen, wie jenen jungen Kriegs⸗ freiwilligen, die mit heller Beceisterung in die Schlacht zogen und auch erst während des Getöses der Schlacht aufwachten. Unvergessen wird mir die Schilderung eines Freundes über die Kämpfe bei Dern bleiben, wo diese jungen Kriegsfreiwilligen in ihrer höchsten Not schrien: Mutter! Mutter! Mutter! Die Wiederkehr solcher Zu⸗ fen muß unbedinet verhindert werden durch eine wirkliche Ver⸗ tändigung, durch Schiedsverträge, durch den Völkerbund und die all⸗ gemeine Abrüstung. Eine Revision der Friedensvperträge ist nur möaglich im Geiste der Versöhnung und des auten Willens. Dieser gute Wille aber ist auf der Rechten in keiner Weise vorhanden. Dort überwiegen rein wirtschaftliche Motive. Der Präsident des Reichs⸗ landbundes hat schon vor längerer Zeit den Standpunkt zum Ausdruck gebracht, er sei zwar der Ueberzeuaunn, daß eine Verständigung in außenpolitischer Beziehung notwendia ist, er erkenne aber nicht die zwingende Notwendigkeit an, die Klärung der Außenpolitik vor der Entsche dung über die wirtschaftlichen Notwendiakeiten herbeizuführen. (Lebhaftes hört, hört! links.) Den Deutschnationalen kam es eben nur darauf an. zunächst die Bente des Zolltarifes und der Steuern in die Scheune zu bringen. Nochher wollten sie qnädiast auch über die Außenvolitik debattieren. Dieser Standpunkt ist noch im Oktober in der „Kreuzzeitmmna“ verfochten worden. Entgexnen allem Geschrei ist die Frage der Rückwirkungen für die Deutschnationalen tatsächlich gar niemals in Frage gekommen; von Anfang an war vielmehr der Be⸗ schluß der Deutschnationalen der, den Sicherheitspokt anzunehmen. In einer Sivung der konservativen Partei, deren Führer auch Graf Westarvp ist, schätte der deutschnationale Abgeordnete Dr. Everleng die Zahl der Geaner des Sicherheitspaktes in der deutschnationalen Fraktion auf wenig mehr als ein halbes Dubend (Hört, hört! links.) Ich bin im Besibe des Protokolls jener interessanten Sibung der konservatipen Partei, in der Graf Westarv glaubte, sich für seine schon an 25. Mai d. J. gebaltene Rede rechtferticen zu müssen, und zwar insbesondere dofür, doß er Stresemann gegenüber Zurückhaltung ge⸗ zeiat habe. Westarp saate dort: „Wir standen unmittelbar vor der Frace, ob wir jevt gegen den Außenminister vorcehen sollten. Ich hatte keinen Anloß zum Vorstoß, wenn Stresemann sich zurückhielt. Meine Rede im Reichstag ist bezüglich der Frage Elsaß⸗Lothringens *) Mit Ausnahme der durch Sperrdruck bervorgehobenen Reden der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind. “ 11“ 8
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Locarno hat
unzulänglich. Das weiß ich. Aber sollte ich mich hinstellen und sagen: r werden den Verzicht niemals aussprechen. (Hört, hört! links. — Gelächter rechts.) habe damals zurückgescheut, dies zu tun. Solche Worte hatten damals auch keine Wirkung mehr.“* (Hört, hört! links.) Mit der späteren Erklärung des Grafen Westarp steht seine Mitteilung vom 23. Juli im schärfsten Widerspruch, Ueber Hinden⸗ urg hat sich Westarp in recht wenig schmeichelhafter Weise ausgesprochen. (Der Redner verliest einige Redewendungen Westarps in dieser Richtung, die auf der Linken mit Heiterkeit aufgenommen S Auch sonst ist das Protokoll jener Konservativensitzung sehr lehrreich in bezug auf das Verhältnis der Deutschnationalen zur alten kon⸗ serwativen Partei. Die Partei über das Vaterland! das ist die Parole, unter der Sie (nach rechts) marschieren; die Partei vor allem, mag das Vaterland darüber zugrunde gehen! Ich spreche nicht von den anderen Bestandteilen in der Regierung des Herrn Luther, von der nur voff ein Schatten vorhanden ist; sie hat selbst ihre Demission beschlassen; ich spreche also nicht mehr von den fecbs frag⸗ würdigen Leistungen der 6 Neuhaus, Kanitz, selbst nicht mehr von Herrn Geßler. Die neue Regierung muß auch innerlich zu Locarno stehen; daraus müssen pogtisch und wirtschaftlich alle Konsequenzen gezogen werden; es ind alle Versuche zur Regierungsumbildung zwecklos, wenn nicht eine absolute Kursänderung in Richtung aus Demokratie, Re⸗ üblik und Sozialismus erfolgt. Heute stehen wir vor dem Schau⸗ piel, daß die stärkste Regierungspartei gegen Locarno stimmen wird. Heute sehen wir das alte Regime in den beleidigenden Aus⸗ fällen Ludendorffs gegen Hindenburg in seiner ganzen Herrlichkeit wieder aufleben in dem offenen Briefe, einem Denkmal bornierter Unverschämtheit. Bei einem solchen Kriege aller gegen alle mußte dre Krieg verloren gehen. Das Deutschland der Ludendorffs und Tirpitz ist tot. Der Weg von Locarno zum Völkerbund aller Staaten ist noch weit; aber das Verständnis dafür, daß wir gute Europäer sein müssen, wenn wir gute Deutsche und gute Franzosen sein wollen, wächst unverkennbar. Wir nehmen die Vorlage an als den Beginn eines unter den siegreichen Fahnen des Sozialismus geeinten Europas. (Lachen rechts; lebhafter Beifall links.)
Von den Deutschvölkischen sind Anträge auf Be⸗ schließung eines Mißtrauensvotums, und für den Fall der Annahme der Vorlage, auf Aussetzung der Verkündung für zwei Monate eingelaufen.
Abg. Graf Westarp (D. Nat.): Das Protokoll einer Sitzung der konservativen Partei, auf das sich der Abg. Wels bezogen hat, enthält einen so ausgekochten Unsinn, daß ich nicht nötig habe, mich ernschaft damit zu befassen. Ich verlasse damit Herrn Wels, Die Sozialdemokratie hat wieder einmal gezeigt, daß sie uns nur mit unehrlichen Waffen bekämpfen kann. (Lärm links; Beifall rechts.) Meine Freunde und ich werden die Gesetzesvorlage einstimmig ab⸗ lehnen. Die scharfen Angriffe, denen wir uns dadurch aussetzen, haben wir vorausgesehen; sie können uns nicht irre machen. Wir setzen ihnen die guten Gründe unserer sachlichen Haltung entgegen. Wenn die Sozialdemokratie die Ankündigung wahrmacht, sie werde den Kampf für Locarno und gegen uns unter der Parole „Krieg oder Frieden“ führen, so beweist sie damit nur, daß sie gegen uns nur mit unehrlichen Behauptungen zu kämpfen weiß. Kein Mensch glaubt im Ernst, daß wir wahnsinnig genug seien, unser wehrloses Volk in einen Krieg mit seinen bis an die Zähne bewaffneten Nach⸗ barn hetzen zu wollen. Falsch ist es auch, wenn behauptet wird, wir lehnten den Gedanken der Versöhnung und der Verständigung grundsätzlich ab. Auch wir wollen die Verständigung Deutschlands mit seinen Nachbarn; nur muß es eine Verständigung sein, die die feindlichen Truppen von Deutschlands Boden entfernt, die Deutsch⸗ land wirklich Frieden, Freiheit und Gleichberechtigung bringt; nur müssen dabei die anderen, die so oft von Deutschland Beweise seines guten Willens fordern, auch einmal den guten Willen zeigen, all das entsetzliche Unrecht und die Gewalt, die sie in nunmehr els Kriegsjahren gegen Deutschland ausgeübt haben, wieder gutzu⸗ machen oder doch wenigstens aufhören zu lassen. Unsere Bedenken, ob die Zeit hierfür schon reif sei, während eine mehr denn je in Waffen starrende Welt Deutschland zur Wehrlosigkeit zwingt, waren stets groß. Weder schien es uns wahrscheinlich, daß der Völkerbund des Versailler Vertrages Raum für ein freies, wirklich gleichberech⸗ tigtes Deutschland biete, noch vermochten wir von Anfang an die Forderung des ö“ Frankreichs, Sicherheit gegen das wehrlose Deutschland zu erhalten, als eine geeignete Grundlage für Verhandlungen anzusehen, die Deutschland der Befreiung näher bringen würden. So sind denn die Verhandlungen, deren Ergebnis jetzt zur Beschlußfassung steht, ohne unser Vorwissen und gegen unsere Ansicht eingeleitet. Als wir im Januar in die Regierung eintraten, fanden wir das im Septembermemorandum von der Re⸗ gierung Marx⸗Stresemann gemachte Angebot vor, in den Völker⸗ bund einzutreten. Wir haben keinen Zweifel gelafsen, daß wir ihm nicht zustimmten. Gleichfalls ohne unser Vorwissen erfolgte im Februar⸗Memorandum das Anerbieten zu Verhandlungen über Sicherheits⸗ und Schiedsverträge. (Hört, hört!) Sobald wir im März davon Muhpen. haben wir Kritik und Widerspruch erhoben, in der Hauptsache dagegen, daß eine Garantie der Westgrenzen des Versailler Vertrages, also ein freiwilliger Verzicht auf deutsches Land angeboten war. Der Redner begründet dann die Teilnahme der Deutschnationalen an den Verhandlungen mit dem Auslande als den ersten Versuch, durch die Verhandlungen festzustellen, ob der Eintritt in den Völkerbund und der Abschluß der Schieds⸗ und Sicherheitsverträge sich so gestalten lasse, daß dadurch auch nachder Auffassung der Deutschnationalen eine wahre, auch für Deutschland vorteilhafte, ihm die Gleichberechtigung und die Freiheit von seinen unerträglichen Lasten bringende Verständigung erreicht würde. Graf Westarp erwähnt die von den Deutschnationalen aufgestellten bekannten Vorbedingungen und Forderungen sowie die Richt⸗ linien, welche die Deutschnationalen unmittelbar vor der Abreise der Delegierten nach Locarno überreichten, und betont, daß sie stets klar und bestimmt ausgesprochen, daß die Annahme des Verhand⸗ lungsergebnisses von der vollen Erfüllung der von den Deutsch⸗ nationalen gestellten Bedingungen abhängig sein müsse. Zu unserer Befriedigung, so fährt Graf Westarp fort, konnten wir feststellen, daß wir für unsere Auffassung mehr und mehr volles Verständnis fanden. Unsere Voraussetzungen konnten wir schließlich, ohne Widerspruch zu finden, als nationale Selbstverständlichkeit be⸗ zeichnen, die zum Teil bis weit in die Reihen der Opposition hinein gebilligt wurden. Die Note vom 20. Juli stellte den französischen Forderungen ein in den meisten Punkten direkt widersprechendes deutsches Verhandlungsprogaramm entgegen. Jeder Verzicht auf deutsches Land und Volk sollte ausgeschlossen sein. Auch in den fol⸗ genden Verhandlungen bis zu dem Communiqué über die Schuld⸗ frage vom 2. Oktober wurde das deutsche Verhandlungsprogramm immer klarer in einem uns befriedigenden Sinne anerkannt und herausgearbeitet. Die Richtlinien des Kabinetts, die für Locarno beschlossen wurden, sind der Oeffentlichkeit nicht bekannt; ich stelle fest, daß sie in den wesentlichsten Punkten dasjenige, was auch wir für nötig hielten, zum mindesten als die von den Unterhändlern zu erstrebenden Ziele enthielten. Das uns heute zur Beschlußfassung vorliegende Ergebnis der Verhandlungen entspricht diesen Richt⸗ linien nicht und wird deshalb den deutschen Lebensnotwendigkeiten nicht gerecht. Wenn wir es deshalb ablehnen. so sind nicht wir die⸗ jenigen, die den bisherigen Boden der Verhandlungen verlassen. Mit Rücksicht auf die gestrigen Ausführungen des Reichskanzlers geht der Redner auf die Einzelheiten des Nachweises der Unan⸗ nehmbarkeit des Vertragswerks ein. Jeder Verzicht auf deutsches Land, so betont Graf Westarp. iede erneute und freiwillige An⸗ erkennung des Verfailler Diktats muß durch die Fassung und die zeitliche Begrenzung der abzuschließenden Verträge ausgeschlossen sein. Aus der Präambel des in London aufgestellten Paktentwurfs hat man die Verzichtsklausel entfernt, dafür aber den Artikel 1 des Sicherheitspaktes jener Präambel wesentlich angenähert. (Sehr richtig! rechts.) Leider sind Aeußerungen aus autoritativstem Munde von fast allen Vertraasgegnern bekanntgeworden, indem der Inhalt des Artikels 1 schlankweg als arundsätzlicher Verzicht auf jede Aenderung des territorialen status quo bingestellt wird, dagegen keine Aeußerung, in welcher die ausländischen Staatsmänner diesem Verzicht die
lieben, Schiele,
deutsche Ausleaung gegeben hätten, die ihn lediglich auf Krieg und
1
—
riegerische Maßnahmen (Lebhaftes Hört, hört! rechts.) Gegenüber den Erklärungen des Reichskanzlers zitiert dann der Redner halbamtliche Meldungen aus Frankreich und England sowie aus Polen und der Tschechoslowakei. Es klaffe ein Auseinander⸗ fallen der amtlichen Meinungen über den Sinn des Vertrags, und sein Wortlaut schließe keineswegs aus, daß die Auslegung der anderen sich in aller Zukunft durchsetzen wird. Unsere Delegierten sind vor dem Abschluß eindringlich auf diesen Widerspruch hingewiefen worden, und Herr Schiele hat auch nach dem Beschluß darauf gedrängt, ihn durch diplomatische Verhandlungen zu klären (Hört, hört!) Auch dafür, daß der Artikel 6 des Sicherheitspakts als neues Anerkenntnis des gesamten Versailler Vertrags von der Gegenseite ausgelegt wird, daß Polen sich auf die Präambel seines Schieds⸗ vertrags beruft, wenn es behauptet, Deutschland habe auch die Ost⸗ grenze für immer anerkannt, sind maßgebende Stimmen anzuführen. Auch hier nützen uns die besten deutschen Auslegungen nichts, da ihnen die Auffassungen der anderen entgegenstehen. Der zweite Grundgedanke der anerkannten deutschen Richtlinien ist der, daß Deutschland als Land der Mitte Europas seine Handlungsfreiheit wahren muß. Das hat der Reichskanzler grundsätzlich anerkannt. Wenn jetzt England das Werk von Locarno besonders beflissen be⸗ treibt, so will es Deutschland in den Kreis der Westmächte hinein⸗ zwingen, und zwar zum gemeinsamen Kampf gegen den Bolsche⸗ wismus. (Hört, hört!) Auch wir wollen und werden dem Bolsche⸗ wismus den Zutritt in unser Land wehren, aber wir wissen, daß Bolschewismus und Rußland nicht auf alle Zeiten identisch sind
(Zustimmung rechts.) Nach Osten weist uns politisches Interess
und wirtschaftliches Bedürfnis. Volle Handlungsfreiheit nach Oste
hin müssen wir uns aber wahren im Hinblick auf die allem Recht allen nationalen Bedürfnissen Hohn sprechende, in Oberschlesien durch den Völkerbund mitverschuldete Gestalt unserer Ostgrenzen. (Lebhafte Zustimmung rechts.) Deshalb sehen wir, durchdrungen von der Notwendigkeit, Deutschland die Freiheit seiner Ostpolitik zu wahren, den Völkerbund und die östlichen Schiedsverkräge mit Sorge an. (Zustimmung rechts.) Im Vordergrund der Erörterung steht hier der Artikel 16, gegen den unsere Bedenken nicht aus
geräumt sind. Auch hier haben wir es mit Auslegungen zu tun, die von deutscher Seite vertreten sind. Es müßte ausdrücklich festgelegt werden, daß Deutschland über das Maß der Verpflichtungen aus dem Artikel 16 in jedem Falle selbst zu entscheiden hat, daß diese eigene Entscheidung nicht nur für sein aktives Handeln, sondern auch für sein passives Dulden, beispielsweise des Durchmarsches maßgebend ist, daß endlich kein Vorwurf moralischen oder politischen Vertragsbruchs erhoben werden kann, wenn Deutschland jede Leistung, jedes Dulden ablehnt. Auch hier fehlt es nicht an Auslandsstimmen, die von solcher Auslegung abrücken. Im Genfer Protokoll ist aus⸗ drücklich gesagt, daß der einzelne Staat nicht darüber zu entscheiden habe, was er tun solle. Es wird ausdrücklich gesagt, daß ein Staat, der nicht loyal und tatsächlich dazu beigetragen hat, der Satzung Achtung zu verschaffen und jeder Angriffshandlung entgegenzutreten, seine Pflichten nicht erfüllt hätte und eines Bruchs der eingegangenen Verpflichtungen schuldig wäre. (Hört, hört!) So betonte moralische Verpflichtungen sind der Wegweiser, der die deutsche Politik aus der Neutralität herausführt, oder glaubt die deutsche Regierung, daß Rußland Deutschland nach dem Eintritt in den Völkerbund noch als neutral ansehen und behandeln wird? (Hört, hört!) Dann möchte ich raten, einmal in Moskau anzufragen. (Sehr gutV! rechts.) Nur auf dem Boden voller Gleichberechtigung könnte das Werk von Locarno für Deutschland möglich sein. Noch lastet die Schmach der Schuldlüge auf uns. Noch ist es nötig, den Widerruf des deutschen Schuldbekenntnisses zur vollen Wirkung und dann das Anfechtungsverfahren zum Abschluß zu bringen. Es wirkt immer noch das Gift der anderen Schuldlügen, so derienigen von den deutschen Kriegsgreueln, die durch die schandbaren Abwesenheitsurteile immer von neuem gemacht werden. (Lebhafte Zustimmung rechts.) Bisber merkt man noch nicht, daß sie aufhören. Es fehlt noch viel an der vollen moralischen Gleichberechtigung Deutschlands Die praktische Gleichberechtiaung aber ist Deutschland versagt, solange es ein⸗ seitig dem Zwange zur Wehrlosigkeit unterworfen ist. Im Schluß⸗ protokoll von Locarno haben die Mächte sich verpflichtet, die Ver⸗ wirklichung der Entwaffnung anzustreben. (Lachen rechts.) Kann man uns Deutscken verdenken, wenn uns zu diesen Worten noch der Glaube fehlt? (Lebhafte Zustimmung rechts.) Unvereinbar mit den Abmachungen, ist die einseitige Militärkontrolle Deutschlands, ug⸗ erläßlich also die formelle Aufhebung des Investigations⸗ beschlusses. Wer als Politiker die Güter der nationalen Freiheit und Ehre zu verwalten hat, ist endlich verpflichtet, nüchtern und kalt zu prüfen, welche Vorteile dem eigenen Staate aus Verpflichtungen erwachsen, die er eingeben soll. Deshalb, zolle ich auch hier Beifall den Ausführungen des Reichskanzlers, die vor einer gefühlsmäßigen Entwicklung warnten. Freilich sehe ich, im Gegensatz dazu, mehr noch bei anderen als bei ihm eine Locarnoer Psychose, ein Uebel un⸗ klarer Stimmungen, um für den Geist von Locarno zu wirken. (Zustimmung rechts.)) Man erblickt Vorteile für Deutschland in einer Sickerung durch die Schieds⸗ und Garantieverträge. Es handelt sich hier um ein äußerst verwickeltes Netz von Paragrapben. Diese Undurchsichtigkeit spricht nicht gerade für einen Gebrauchs⸗ wert, der gespannten politischen Situationen standzuhalten verspricht. Auch da aibt es eine Fülle von deutschen Auslegungen, deren bindende Kraft nicht gesichert ist. Aber wie dem auch sei, jeder Versuch, Krieg und kriegerische Handlungen von rechtlicken Verpflichtungen abhänaig zu machen, gleicht der Quadratur des Zirkels. Der unlösbare Rest bleibt in jedem Falle die Entscheidung der Schuldfrage, wer der Angreifer sei. Nun soll Deutschland auf unkündbare Zeit hinaus sich der Entscheidung des Völkerbunds und Englands darüber unter⸗ werfen, ob es bei Konflikten im Osten oder Westen als Angreifer niedergeschlagen oder als Angegriffener geschützt werden soll. Für das deutsche Volk ist es nach all den Erfahrungen der letzten fünf Jahre unmöglich, daß es solche Regelung mit unbeschränktem Ver⸗ trauen betrachtet Das kann niemand in der Welt im Ernst von vns fordern. Wir Deutschnationalen messen daher den Schieds⸗ und Garantieverträgen nur einen relativ sehr geringen Wert bei Darum müssen greifbare Vorteile vorliegen, wenn das Werk annehmbar sein soll. Hier will auch die Regierung und die anderen Parteien mit ihr unzulängliche Rückwirkungen ablehnen. Wir legen auf diesen Punkt entsckeidenden Wert. Wir erstreben mit allen Fasern die Befreiung unserer tavferen und treuen Brüder am Rhein und Saar. (Lebhafter Beifall) Wie steht es damit? Die Räumunag Kölns sollte keine Rückwirkung, sondern Voraussetzung der Verhandlungen sein. Die Hinausschiebung muß uns mit schärfstem Mißtrauen erfüllen. Das Schlimmste aber ist, daß auch die hinausnezögerte Befriedigung unseres Rechtsanspruchs noch durch Zugneständnisse erkauft worden ist, die wir entschieden ablehnen müssen. Wird der Grundsatz gestrichen, daß die Gruppenkommandierenden dem Chef der Heeresleitung unter⸗ stellt sind, so wird in Wahrbeit der 8 des Wehrvesetzes abgeändert. Der Politisierung ist dann Tür und Tor ceöffnet. Die vaterländischen Verbäͤnde würden jeder Willkür eines Herrn Severina ausgeliefert. (Zustimmung rechts. Lacken links) Die Behandlung der Ent⸗ waffnunasfrage und des deutschen Anspruchs auf die Räumung Kölns kann also als ein Grund für die Annahme des Vertraas nicht ins Feld geführt werden. Klare Rechtsansprüche Deutschlands bleiben unbefriediat. Die neue Ordonnanz der Rheinlandkommision hat alle optimistischen. Erwartungen schwer enttäuscht. Selbst wenn aber die Revision des Besatzungsreaimes noch befriedigendere Ergebnisse zeitigen sollte als bisher, so ist noch keines⸗ wegs erreicht, was Deutschland fordern muß Die. Be⸗ sebung des Rheinlands und des Saargebiets bat jeden’ wirt⸗ schaftlichen Sinn verloren, nachdem durch das Dawes⸗Abkommen andere Pfänder gestellt worden sind. (Lebhafte Zustimmung.) Sie muß unbedingt sofort aufhören. Wenn die Verträge von Locarno, wie die Vertraosgeaner behaupten. Krieden und Sicherbeit wirklich garantieren, entfällt jeder militärische und politische, bei Deutschlands Wehrlosigkeit und Frankreichs Rüstunasstand an i
schon haltlose Vorwand für die Foctdauer der Besetzung. Wenn der Geist von Locarno den Frieden bringen und sichern soll, so ist auch damit die Besetzung unvereinbar, denn solange auf deutschem Boden, an deutschem Strom feindliche Truppen stehen, leben wir Dent 1 nicht im Frieden. sondern im Kriegszustande. (Lebhafter Beifa
rechts.) Mit unsicheren Zusagen und optimistischer Hoffnung ist uns
Sccherheitsvpakt frei.
den vorgetragenen
nicht gedient. Die Pflicht nüchterner Vertretung der deutschen Inleressen gebietet, das ganze Vertragsweck abzulehnen, weil nicht vorher kurze Fristen für die Räumung der zweiten und dritten Rheinlandzone und für die Volksabstimmung im Saargebiet 8 Wohin wir blicken, mag es sich um die schandbaren Abwesen⸗ eitsurteile, um die Kolonien, um die Freihert des Flugwesens, um die Auslandedeutschen, um den Schutz der Minderheiten, um Danzig oder das Memelland handeln, überall sehen wir vielleicht Ansätze, nirgends aber eine gesicherte volle Lösung. (Lebhafte Zustimmung rechts.) Es fehlen also ausreichende Rückwirkungen. Von besonderer Bedeutung erscheint es, daß der Minister der besetzten Gebiete Dr. Frenken, selbst ein Rheinländer und Vertreter des Zentrums, der Vorlage nicht zugestimmt und nun auch das Rumpfkabinett verlassen hat. (Hört, hört!) Auch auf das Urteil von Blättern, wie die Kölnische Zeitung“ und die 8... Zeitung“, über die Ünzulänglichkeit des für das besetzte Gebiet Erreichten können wir uns becufen. Wir bedauern, daß die Regierung sich nicht für die Ab⸗ lehnung entschieden hat. Mit dem Entschluß, die Verträge abzu⸗ lehnen, halten wir gegenüber der das Geschick Beutschlands auf unab⸗ sehbare Zeit bestimmenden Entscheidung unsere Aufgabe nicht für erledigt. Wir halten uns vielmehr für verpflichtet, festzustellen, daß die Annahme der Vorlage eine Aenderung der we bedeuten würde und deshalb nur mit den im Artikel 76 vorgeschrlebenen Mehr⸗ — Gesetzeskraft erlangen kann. Der Völkerbund besitzt eine ganze Reihe von Merkmalen eigener völkerrechtlicher Persönlichkeit. Völker⸗ bundsrat und Völkerbundsversammlung bilden deren Organe. Der internationale Gerichtshof verfügt über eine eigene Gerichtsbarkeit. Deshalb bedeutet der Eintritt in den Völkerbund die Unterwerfung unter ein anderes, wenn auch nicht mit voller Staatlichkeit aus⸗ gestattetes, so doch völkerrechtliches Gebilde und somit einen Verzicht auf einen Teil der eigenen Staatshoheit. Die staatliche Unab⸗ hängigkeit und die eigene Staatshoheit ist für das Reich von so lebenswichtiger Bedeutung, daß es ein Widerspruch in sich wäre, wenn man für Gesetze, die sie einschränken, nicht dieselben er⸗ schwerenden Voraussetzungen fordeen wollte, wie sie Art. 76 fest⸗ setzt. Zudem heißt es im Art. 79 der Verfassung: Die Verteidigun des Reichs ist Reichssache; die Verfassung des deutschen Heeres wir durch ein Reichsgesetz einheitlich geregelt. Durch den Eintritt in den Völkerbund würde sich das Deutsche Reich also neuen Beschränkungen seines eigenen Gesetzgebungsrechts auf dem Gebiete des Rüstungs⸗ wesens unterwerfen. Dazu tritt für Deutschland der Art. 164 Abs. 2 des Versailler Vertrags. Bereits in ihm hat Deutschland für den Zeit⸗ punkt, zu dem ihm der Eintritt in den Völkerbund gestattet wird, zu⸗ esagt, daß es dem Völkerbund zustehen soll, die Bewaffnung Deutsch⸗ sands anderweit zu regeln. Diese Unterwerfung Deutschlands unter die Rüstungsmaßnahmen des Völkerbunds bedeutet also aufs neue eine Aenderung des Art. 79 der Verfassung. Des weiteren wird der Art. 45 berührt, wonach Kriegserklärung und Friedensschluß durch Reichsgesetz erfolgen. Dieses Recht wird nicht nur durch die Unter⸗ werfung unter die Art. 15—17 der Völkerbundssatzung, sondern auch durch die in der Gesetzesvorlage genannten Sicherheits⸗ und Schieds⸗ verträge betroffen. Im allgemeinen werden Schiedsverträge nicht als verfassungsändernd angesehen. Die heute zur Beratung stehenden Verträge unterscheiden sich aber in zwei wesentlichen Punkten von den früher abgeschlossenen. Insbesondere enthält der Sicherheitspakt die Verpflichtung Deutschlands, Frankreichs und Belgiens, in keinem Falle zu einem Angriff oder zu einem Einfall oder zum Krieg gegen⸗ einander zu schreiten. Hier wird also ein ausdrücklicher Verzicht auf das Recht, über Krieg und Frieden durch die eigenen Organe zu ent⸗ scheiden, vereinbart. Dazu kommt, daß alle sonstigen Schiedsverträge auf eine bestimmte Zahl von Jahren beschlossen werden mit der Maß⸗ gabe, daß sie darüber hinaus nur Geltung haben, wenn sie nicht vorher fristzemäß gekündiat sind. Während also bei jenen Verträgen die Ausübung des Rechts, selbst über Krieg und Frieden zu entscheiden, nur auf Zeit einceschränkt wurde, bedeuten die jetzt zu erörternden Ver⸗ träge eine Einschränkung des Rechts selber, weil die zeitliche Dauer der Entscheidung Deutschlands entzogen ist. Art. 8 des Sicherheits⸗
pekts schließt das Kündigungsrecht sogar aus, da die Annahme einer elwaigen Kündiaung voy einem mit Zweidrittelmehrheit zu fassenden
Beschluß des Völkerbundsrats abhängig gemacht ist, was übrigens auch für den Austritt aus dem Völkerbund gilt. Die Gesetzesvoclage trifft also Bestimmungen, die das Deutsche Reich in der Ausübung seines Rechts, über Krieg und Frieden selbst zu entscheiden, nicht nur vorübergehend beschränken, sondern das Recht selbst aufheben oder doch wesentlich einschränken, ohne Möglichkeit sich wieder in den vollen Besitz dieses Rechts zu setzen Deshalb müssen wir ent⸗ cheidenden Wert darauf legen, daß das zur Entscheidung stehende Gesetz, das auf Jahrzehnte hinaus über das deutsche Schicksal und über die Freiheit der Nation bestimmt unter voller Beachtung der Vorschriften der Verfassuna beschlossen wird. Durch unsere Ab⸗ lehnung halten wir uns von der Unterwerfung unter Völkerbund und i. Wir stellen aber fest, daß auch die Bindung des Deutschen Reichs von uns nicht anerkannt werden hann, wenn bei der Annahme des Gesetzes die Voraussetzungen des Art. 76 nicht er⸗ 88 werden. Unter diesen Umständen müssen wir unser Befremden wrüber aussprechen, daß der Reichsrat am Sonnabend entschieden hat in einer Sitzung, die ohne die vorgeschriebene Einladefrist ein⸗ berufen wurde und an der verschiedene Mitgalieder nicht teilnehmen konnten. Für die Schlußabstimmung im Reichstag stellen wir den Antrag, daß der Herr Präsident auch seinerseits feststellt, ob diese Ab⸗ stimmung den Voraussetzungen des Art. 76 entsprochen hat. Sollte das nicht der Fall fein, so legen wir schon jetzt Einspruch gegen die Ver⸗ kündumg des Gesetzes und den Abschluß der darin bewilligten Verträage ein. Der Herr Reichskanzler selbst hat am 16. Oktober nach der Schluß⸗ sitzung von Locarno durch Wolff erklärt, daß er und Herr
r. Stresemann die Paraphierung der Vorlage von Locarno lediglich auf ihre eigene Verantwortung hin vollzogen haben. Wir konnten und können diesen Entschluß nicht billigen, und zwar nicht nur aus sachlichen Gründen. Wir haben den Herrn Reichskanzler seinerzeit gebeten, die geplante Besprechung der Außenminister, zu der alle eingeladen waren, nicht dadurch für
Deutschland verbindlicher zu machen, daß er als einziger Minister⸗
erner dem unverbindlichen Charakter der Konferenz, den wir zur Vorbedingung unserer Zustimmung gemacht hatten und als fest⸗ hhen ansahen. Sie widersprach auch der Bitte, die nach einer Mitteilung des Herrn Minister Brauns auf dem Zentrums⸗ parteitag das in Berlin weilende Kabinett noch in letzter Stunde nach Locarno gerichtet hat. Wenn gesagt wird, diese Depesche des Kabinetts sei zu spät eingetroffen, so kann das nur dahin ver⸗ standen werden, daß die Herren Delegierten die Warnung des Kabinetts zwar noch vor Beginn der Schlußsitzung erhalten haben, aber nicht mehr glaubten, ihren Entschluß der Paraphierung noch aufgeben zu können. Im übrigen trifft nicht zu, was weiter behauptet wird, daß das Kabinett vorgeschlagen hätte, der Herr Außenminister möge allein paraphieren; vielmehr vichtete sich sein Borschlag dahin, äußerstenfalls ein Protokoll zu unterschreiben, dem die unparaphierten Texte beizufügen seien, und zwar nur dann, wenn die Voraussetzungen und Rückwirkungen auch wirklich sichergestellt seien. So trifft die Verantwortung für die Para⸗
hierung allein die beiden Herren Delegierten. ie ist um so ee als die Tatsache der Paraphierung jede Aenderung des Locarno⸗Werkes selbst, die auch uns vielleicht die Zustimmung ermöglicht hätte, wesentlich erschwert, ja nach Ansicht der sich gebunden haltenden Delegierten unmöglich gemacht hat. Aus all diesen Gründen müssen wir besonders zum Ausdruck bringen, daß wir den Rücktritt der beiden verantworklichen Träger der Locarno⸗ Politik und damit des Gesamtkabinetts nicht nach, sondern vor der Verabschiedung der Vorlage und vor der etwaigen in London geplauten Unterzeichnung 6 richtig halten würden. Die Be⸗ hauptung, daß wir fahnenf üchtig den Verhandlungen den Rücken gekehrt hätten, widerspricht sowohl hinsichtlich der Fraktion wie der deutschnationalen Minister den Tatsachen. Wir haben schon im März dem Reichskanzler brieflich mitgeteilt, daß wir Verträgen im Geiste des Februarmemorandums nicht zustimmen könnten; des⸗ lleichen haben wir bei jeder Gelegenheit im Auswärtigen Aus⸗ schuß, in der Oeffentlichleit undzim Plenum unsere Minister im Kabinett immer wieder die unsere Zu⸗
“ daran teilnahm. Die Paraphierung selbst widersprach 9
Voraussetzungen für
stimmung klar formuliert, zuletzt noch durch die Richtlinien, die wir kurz vor der Annahme der Einladung nach Locarno dem Kabinett überreicht und am 30. Oktober veröffentlicht haben. Man hat behauptet, wir würden umfallen und schließlich annehmen; das hat Herr Breitscheid im Auswärtigen Ausschuß in höhnischem Tone und Herr Kaas auch nicht gerade in freundlicher Weise gesagt. Das agitatorische Bedürfnis zu solchen Verdächtigungen unserer Haltung liegt offen zutage. Die uns nicht ernst nehmen wollten, haben nicht das Recht, uns einen Vorwurf zu machen, wenn jetzt das Werk von Locarno für uns unannehmbar ist, da es unseren Grundsätzen nicht entspricht. Besonders gehässig sind die nngrifhe, die deutschnatio⸗ nalen Minister, besonders Minister Schiele, hätten im Kabinett das Ergebnis von Locarno voll gebilligt, der „Vorwärts“ wirft mir vor, ich hätte bewußt gelogen, als ich sagte, daß die Billigung durch unsere Minister in dem behaupteten Sinne nicht erfolgt sei. Für eine Auseinandersetzung mit der Anpöbelung des „Vorwärts“ ist hier nicht der Ort, aber vor der Oeffentlichkeit stelle ich noch⸗ mals den wahren Sachverhalt fest. Das Kabinett hat selbst mit⸗ geteilt, daß Minister Schiele in der Sitzung vom 19. Oktober, in welcher zuerst das Ergebnis von Locarno 8. prochen wurde, eine Billigungserklärung des Reichskabinetts abgelehnt hat, bevor den Ministern Einsicht in die gesamten Unterlagen gegeben sei. Seine Ablehnung bezog sich sowohl auf das materielle Ergebnis, wie auf die Paraphierung, die gegen den im letzten Augenblick erhobenen Einspruch der in Berlin weilenden Kabinettsmitglieder erfolgt war. Herr Schiele hat wiederholt betont, daß das Kabinett den Delegierten die eigene Verantwortung für die Paraphierung nicht abnehmen könne. Damit ist das Märchen von dem lauten und freudigen Ja meines Freundes Schiele erledigt. Es war auf In⸗ diskretionen des Außenministers zurückgeführt worden, die dieser nach seiner Erklärung nicht begangen hat. Auch die Darstellung ist nich; richtig, daß Minister Schiele seinen Standpunkt vom 19. in den Verhandlungen bis zum 22. Oktober im Sinne einer vollen Zustimmung geändert habe. Nach dem „Vorwärts“ hat der Reichs⸗ kanzler das privatim einem sozialdemokratischen Abgeordneten gesagt. ch kann eine private Aeußerung nicht nachprüfen, ich halte mich an den Tatbestand der Veröffentlichungen und an meine Kengtnis des Standpunktes des Herrn Schiele. Der Kabinettsbeschluß vom 22. Oktober enthält nicht etwa eine aus⸗ drückliche Feststellung, daß das Kabinett den paraphierten Ur⸗ kunden zustimme; dafär waren Herr Schiele und seine deutschnatio⸗ nalen Kollegen eben nicht zu haben. Sie stimmten dem Beschlusse lediglich in dem Sinne zu, daß das Vertragswerk zum Abschluß zu bringen sei, aber mit dem Zusatz, daß es ein Abschluß sein mässe, „der den Lebensnotwendigkeiten des deutschen Volkes gerecht wird“. Gerade dieser Zusatz ist “ Am 21. hatte die Fraktion unter Zustimmung des Ministers Schiele beschlossen: „Die deutsch⸗ nationale Reichstagsfraktion vermag in dem Ergebnis von Locarno nicht die Erfüllung der Forderungen zu sehen, die den Lebens⸗ notwendigkeiten des deutschen Volkes gerecht werden. Die Fraktion vermißt außerdem die ee; der Voraussetzungen für einen Vertragsschluß sowie die Gegenleistungen der anderen beteiligten Mächte, die den Deutschland angesonnenen Opfern entsprächen. Angesichts dieses Ergebnisses erklärt die Fraktion daher schon jetzt, daß sie keinem Vertrage zustimmen wird, der den deutschen Lebens⸗ notwendigkeiten nicht gerecht wird, und insbesondere einen Verzicht auf deutsches Land und Volk nicht ausschließt.“ Die Bedenken der Fraktion bezogen sich also auf die paraphierten Verträge selbst und nicht nur auf die mangelnden Voraussetzungen und Rückwirkungen. Aus dem Ausdruck „Lebensnotwendigkeiten des deutschen Volkes“ in dem Beschluß vom 22. Oktober geht klar hervor, daß die deutsch⸗ nationalen Minister das materielle Ergebnis von Locarno nicht hebilligt, sondern lediglich die Fortsetzung der Verhandlungen eschlossen haben, die es ändern sollten. Ich hatte schon vor dem Fraktionsbeschluß vom 21. den Reichskanzler darauf hingewiesen daß für uns Aenderungen des Vertragswerks selbst unerlaßlich seien. Herr Schiele hat noch am 22. und 23. bei dem Reichskanzler energis darauf gedrängt, daß neue diplomatische Verhandlungen über Art. I des Sicherheitspaktes eingeleitet werden sollen, die eine Ausl iug im Sinne eines grundsätzlichen Verzichts ausschlössen. Der abinettsbeschluß vom 22. enthielt für die deutschnationalen Minister keinerlei materielle Bindung auf das Ergebnis von Locarno, sondern lediglich die Zustimmung zu weiteren Ver⸗ “ durch die es annehmbar gemacht werden sollte. Da die elegierten solche Verhandlungen nicht mehr als möglich ansahen, unser Widerspruch aber nicht ernst genommen wurde, er⸗ folgten unsere Beschlüsse vom 23. und 25., in denen unsere Minister und wir die Teilnahme an den Verhandlungen aufgaben. Mit unserer Ablehnung des Werkes von Locarno verschlechtern wir nicht die Lage Deutschlands in der Welt, sondern verbessern sie wesentlich. Deutschland kann nur durch Festigkeit in der Vertretung seines Standpunktes vorwärts kommen. Bei unserem Eintritt in die Re⸗ sbenung konnte man sich nicht genug tun in Befürchtungen, daß chon diese Tatsache Deutschland verhandlungsunfähig machen würde. Das gleiche Lied erscholl bei der Präsidentenwahl des Feldmarschalls von Hindenburg. Es ergab sich aber das Gegenteil. Wenn Deutschlands Stellung in der Welt günstiger geworden ist, so deshalb, weil die deutsche Regierung dieses Sommers unter unserer Mitwirkung kraftvoller aufgetreten ist. Im gleichen Sinne wird unsere Ablehnung wirken. Allgemeine Uebereinstimmung be⸗ steht darin, daß die jetzigen Verträge nicht das Ende, sondern der Anfang seien und daß noch nie ermüdende Ergänzungsarbeit zu leisten sei, um die unzulänglichen Rückwirkungen erträglicher zu gestalten. Da wird es von größtem Nutzen sein, wenn das Aus⸗ and erfährt, daß unsere Partei von 6 Millionen Wähler und die ihr stehenden Kreise der vaterländischen Bewegung und der
irtschaft ohne wirkliche Gleichberechtigung und greifbare
Vorteile für Deutschland nicht zu haben sind, daß sie “ wie
Friedrich Wilhelm 1. von Preußen denken, der dem österreichischen Gesandten auf unbestimmte Zusagen erwiderte, er wolle keinen Wind, er könne mit Versprechungen nichts anfangen, er brauche Reaglia. Im Innern sehen wir unsere Aufgabe in der Stärkung des Freiheitswillens des deutschen Volkes. Auch deshalb durften wir diesem Gesetz nicht zustimmen, da es neue Schranken auf dem Wege zur Befreiung errichtet, und wir durften nicht durch Garantien, an denen wir keine wirkliche Sicherung erblicken, in unserem Volke die einschläfernde Meinung fördern helfen, daß nun⸗ mehr alles in bester Ordnung und für uns nichts mehr zu tun sei. Wir hätten es begrüßt, wenn die Sozialdemokratie ihren ersten Entschluß wahrgemacht und um Locarnos willen die Auflösung er⸗ zwungen hätte. Der Wahlkampf lockert den Boden, um in ihn die Saat des nationalen Freiheitswillens zu streuen. Aber ob im Wahlkampf, ob in der Regierung oder in der Opposition, unsere erste Aufgabe erblicken wir darin: im deutschen Volke die Er⸗ kenntnis zu fördern, daß niemand in der Welt ihm helfen wird, wenn es sich nicht selbst hilft, und sich nicht auf den eigenen Willen, die eigene ö iedererringung seiner Freiheit besinnt. (Leb⸗ hafter Beifall rechts.)
Abg. Fehrenbach (Zentr.) gab für seine Fraktion folgende Erklärung ab: Oberstes Gesetz unseres politischen Handelns nach dem ungkücklichen Ausgang des Weltkrieges ist die Wiederauf⸗ richtung unseres Deutschen Reiches aus Knechtschaft zur Freiheit, aus Not und Elend zu Shs tlicher Gesundung. Dabei sind wir uns bewußt, daß dieses hohe Ziel nur auf dem Wege friedlicher Verständigung mit den anderen Nationen in stufenweise sich auf⸗ bauenden Teilerfolgen zu erreichen ist, und daß selbst dieser Weg von einem im Kriege unterlegenen und seiner Machtmittel be⸗ raubten Volke nur unter harter Selbstzucht und schweren Opfern urückgelegt werden kann. Von dieser Ueberzeugung durchdrungen, saben wir im Vorjahre dem Londoner Abkommen und den Dawes⸗ zesetzen zugestimmt, um unseren wirtschaftlichen Wiederaufstieg zu ermöglichen. In demselben ⸗ nehmen wir heute Stellung zu den Verträgen von Locarno, die der politischen Europas dienen sollen. Wir fragen uns: Sind diese Verträge in Wirklichkeit Instrument des Friedens? Eines Friedens, dem Deutschland in Ehren zustimmen kann? Dazu ist unseres Erachtens zunächst er⸗ forderlich, daß sowohl in der Form wie in der Sache die volle Gleichberechtigung Deutschlands gewahrt ist, und daß dem deutschen
Volke nichts zugemutet wird, was seiner nationalen Würde und unveräußerlichen, durch die natürliche Ordnung der Dinge garan⸗ tierten Rechten eines jeden Staatsvolkes zuwiderliefe. Hiehe Be⸗ dingung ist erfüllt. Nach der formalen Seite ist das unbestritten, aber auch der Inhalt der Verträge entspricht der gestellten An⸗ forderung. Wir leisten keine neue — diesmal freiwillige — Unter⸗ “ unter das Versailler Diktat. Das ergibt sich einmal aus der en Konferenzteilnehmern gegenüber erfolgten Notifizierung unseres Standpunktes in der Kriegsschuldfrage. Wir werden unsere Bemühungen, das unwahre Urteil des Versailler Vertrages über die Kriegsschuld im Bunde mit allen Freunden der Wahrheit im Auslande auszumerzen, unbedingt fortsetzen und sind gewiß, g. jede deutsche Regierung ebenso denkt und handelt. Daß wir au Grund des Paktes von Locarno keine neue freiwillige Unterschrift unter das Versailler Diktat leisten, ergibt sich ferner aus dem klaren Wortlaut von Artikel VI des Westpaktes, der nichts weiter besagt, als daß die Rechte und Pflichten der vertragschließenden Teile aus dem Vertrag von Versailles durch den neuen Pats „un⸗ berührt“ bleiben. Diese Bestimmung ändert nichts an den bis⸗ herigem Tatbestand. Sie schaff keinerlei neue Rechtsgrundlagen. Es handelt sich um eine Formel, die in den letzten Jahren, auch bei vielfachen anderen Gelegenheiten, insbesondere beim Abschluß von Handelsverträgen, angewandt worden ist, ohne daß darin irgend⸗ etwas Verfängliches für Deutschland erblickt worden wäre. Mit und ohne diesen Artikel VI des Westpaktes sind die Rechte und Pflichten Deutschlands wie der Gegenseite aus dem Versailler Vertrag die gleichen. Wir sprechen in dem Vertrag von Locarno auch keinen Rechtsverzicht auf deutsches Land und Volk aus. Ein so gearteter Verzicht wäre für die Zentrumspartei deshalb undenkbar, weil er unveräußerliche Rechte und Pflichten des Staates und deshalb der natürlichen Ordnung der Dinge widersprechen würde. Ein solcher Rechtsverzicht kann darum auch keinem Staate ugemutet werden. Das geschieht aber auch nicht in dem vor⸗ “ Vertrag zwischen Deutschland, Belgien, Frankreich, Groß⸗ britannien und Italien, wie sich aus folgenden Feststellungen er⸗ gibt: Die im Artikel 1 dieses Vertrags ausgesprochene Garantie des status quo ist inhaltlich ausdrücklich bestimmt und begrenzt durch die folgenden Artikel, insbesondere durch den ersten Satz des Artikels 2, der lautet: „Deutschland und Belgien und ebenso Deutschland und Frankreich verpflichten sich gegenseitig, in keinem Falle zu einem Angriff oder zu einem Einfall oder zum Kriege gegeneinander zu schreiten.“ Im Zusammenhang mit den folgenden Zusätzen richtet sich der Vertrag also gegen Angriffskriege unter den beteiligten Mächten. Andere Möglichkeiten der Wahrnehmung unveräußerlicher Rechte sind durch den Vertrag keinem der Ver⸗ tragsparteien genommen, insbesondere bleiben die Möglichkeiten des Artikels 19 des Versailler Vertrags erhalten, der „eine Nachprüfung der unanwendbar gewordenen Verträge und olcher internationaler Verhältnisse, deren Aufrechterhaltung den Weltfrieden gefährden könnte“, vorsieht. Die gleiche Forderung ergibt sich aus dem Charakter der Schiedsverträge, die sowohl mit den westlichen, wie mit den östlichen Nachbarstaaten Deutschlands vorgesehen sind. Diese sind nach dem Muster der bisher von Deutschland wieder⸗ holt abgeschlossenen Schiedsverträge mit anderen Völkern und Staaten gestaltet. Sie enthalten keine uneingeschränkte Unter⸗ werfung unter irgendwelche Schiedssprüche, es sei denn, daß es sich lediglich um die Auslegung von Rechtsbestimmungen handelt. Dem widerspricht auch keineswegs die Einleitung der Verträge mit den Oststaaten; denn der Artikel 1 dieser Verträge zieht die Grenze der Schiedsgerichtsbarkeit zweifelsfrei. Wäre es anders, so hätten wir ja gegenüber dem Osten weitergehende Bindungen eingegangen, als in den analogen westlichen Schiedsverträgen. Daß so etwas zu⸗ träfe, wird kein ernstzunehmender Teilnehmer oder Bzurteiler der Verhandlungen von Locarno behaupten können. Der E eichberechti⸗ gung Deutschlands mit den übrigen vertragschließenden Staaten hätte es unzweifelhaft widersprochen, wenn Frankreich als Garant für unsere Ostverträge anerkannt worden wäre, wie das noch die französische Note vom 16. Juni dieses Jahres gefordert hatte. Eine solche Zumutung ist bereits durch die deutsche Note vom 20. Jull zurückgewiesen worden, und dabei ist es in Locarno geblieben. Wir ziehen daraus den Schluß: die SGleichberechtigung Deutschlands mit den übrigen Vertragsstaaten ist in Locarno gewahrt worden, und unveräußerliche Rechte der Nation sind keineswegs preisgegeben. Wenn die Verträge von Locarno als E“ wirken sollen, muß alles beseitigt werden, was dem Geiste dieser Verträge wider⸗ spricht. Das ist der zweite Gesichtsponkt, nach dem wir Locarno be⸗ werten. Zu diesen Dingen rechnen wir nicht — wie das fälschlicher⸗ weise im Ausland geschehen ist — die Räumung der ersten Zone. Auf ie hatten wir schon auf Grund des Versailler Vertrages im Zu⸗ ammenhang mit dem Londoner Pakt⸗ Dawes⸗Gesetzen und Abrüstung ein unbestreitbares Recht. In dem langen Hin und Her von Ent⸗ waffnungsnoten konnten wir nur einen künstlich konstruierten Vor⸗ wand erblicken, um ein offenkundices Unrecht an Deutschland aufrecht⸗ zuerhalten. Zu einer, auch der entfernten, Kriegsgefahr sür Frank⸗ reich, fehlen in Deutschland, auch ohne Erfüllung der letzten Ent⸗ waffnungsnoten, jegliche wirtschaftlichen und militärischen Möglich⸗ keiten. Das liegt nachgerade vor aller Welt offen zutage. Wit er⸗ warten deshalb, daß im Geist von Locarno die restlichen Ent⸗ waffnungsfragen bald ausgeräumt werden — und daß die Erledigung der sogenannten Investigationsfrage im Völkerbund mit allen quälenden und kränken den Meiboden aufräumt, unter denen Deutsch⸗ land bei der bisherigen Entwaffnung gelitten hat. Als eine not⸗ wendige Auswirkung der Verträge von Locarno erachten wir vielmehr die Befreiung der zweiten und dritten besetzten Zone. In diesen Be⸗ zicken vertritt die Zentrumspartei die weitaus größte Mehrheit der Bevölkerung. Sie muß daher besonders sorgfältig die Frage der er⸗ warteten Erleichterungen des besetzten Gebiets prüfen, unbeschadet der Tatsache, daß, wie der Reichskanzler mit Recht hervorgehoben hat, die rheinische Bevölkerung keine Erleichterungen verlangt, wenn sie auf Kosten des ganzen Vaterlands gehen. Wir sind eins mit dem Herrn Reichskanzler in der Ueberzeugung, daß es mit dem Geist eines Friedensvertrags, wie der von Locarneo, nicht vereinbar ist, ein an diesem Friedensvertrag beteiligtes Land fürder mit fremden Truppen besetzt zu halten. Auch läßt sich mit dem Sicherheitspakt und der Regelung der Reparationen die Hinausschiebung der Abstimmung an der Saar bis zum Jahre 1935 nicht vereinbaren. Die Fraktion des Zentrums sieht daher in voller Uebereinstimmung mit ihren Wählern in den rheinischen Landen in den bisher gewährten Erleichterungen keinen Anlaß zu freudiger Genugtuung; denn sie bleiben beträchtli hinter dem zurück, was nach den Verhandlungen von Locarno und nach den Erklärungen der Außenminister Frankreichs und Englands an selbst⸗ verständlichen Auswirkungen erwartet werden dürfte. Diese logischen⸗ Folgerungen aus dem Friedenswerk hätten gezogen werden müssen, um den Bewohnern dieser Gebiete nach Jahren der Bedrückung endlich die Freiheit wieder zu geben. Die Aufhebung des Delegiertensystems, das in scharfem Gegensatz zu dem Artikel 5 des Rheinlandabkommens tand, wird von uns als die Wiederherstellung des vertraglichen Zu⸗ san, gewertet. Leider ist damit die im angezogenen Artikel gewähr⸗ leistete volle Freiheit der deutschen Verwaltung nicht erreicht worden. Die Ordonnanz 308 der Interalliierten Rheinlandkommission läßt eine weitgehende Beschränkung der deutschen Gesetzgebung und der deutschen Verwaltung bestehen, wie auch die deutsche Gerichtsbarkeit und die deutsche Verkehrshoheit noch nicht in vollem Umfange wieder⸗ hergestellt sind. In Kraft bleiben rigorose Strafbestimmungen für Verstöße gegen Verordnungen, Anweisungen und Entscheidungen der Interalliierten Kommission und gegen Befehle der Militärbehörden. Besonders bedauerlich ist die Fortdauer der drückenden Ein⸗ schränkung der Pressefreiheit und der Zensur über Theater Konzerte, Vorlesungen usw., überhaupt der gesamten Kulturbestrebungen. Das gleiche gilt für die fortdauernde Beschränkung des Versammlunzs⸗ rechts in Garnisonstädten. Das Bedauerliche an der neuen Verord⸗ ordmung 308 ist ihre Dehnbarkeit. Es scheint fast, als ob bei ihrer Abfassung Kräfte entscheidend mitgewirkt haben, die den Geist von Locarno noch nicht in sich aufgenommen haben. Wir wollen hoffen, daß die Handhabung der Verordnung anders ausfallen wird, wie hr Buchstzabe und daß sich daraus von selbst eine Revision ergibt. Die herechtigte Erwartung, daß die französische Gendarmerie mit den Delegierten verschwinden werde, scheint ebenfalls noch nicht erfüllt