1925 / 291 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 12 Dec 1925 18:00:01 GMT) scan diff

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sammen behandelt werden. Seine Fraktion sei der Auffassung, der Einfluß des Großgrundbesitzes im Ernährungsministerium zu groß gewesen sei; sie fordere ein enges Zujammenarbeiten der Reichsregierung und des Reischtags unter Mitwirkung der deutschen Länder auch zur Ueberbrückung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land, denn beide seien nur eine Schicksalsgemeinschaft.

Abg. Kerschbaum (Wirtsch. Bgg. Bayer. Bauernbd.): Die

Not der Landwirtschaft ist heute riesengroß geworden; die Ursachen

liegen in der Revolution und Inflation. Weinbau und vlehn t sind bei uns zurückgegangen, immer mehr Bauern kehren der Vie bae. den Rücken zu. Für den Weinbau, Gemüsebau und Obstbau

at der spanische Handelsvertrag verheerend gewirkt, anf dem

erliner Markt sieht man immer mehr ausländisches Obst. Ebenso haben wir unter der Mehleinfuhr zu leiden, während wir unser eigenes Getreide nicht absetzen können. Der Arbeitermangel auf dem Lande macht uns große Sorge. Die Arbeiter laufen in die Indu⸗ strie, obwohl wir befriedigende Löhne zahlen. Die Axbeiter werden bei uns so behandelt, als ob sie zur Familie des Arbeitgebers ge⸗ hören. Das Betriebskapital fehlt uns und Kredit ist nur schwer und nur zu hohen Zinsen zu erlangen. Eine Fülle von Steuern belastet die Landwirtschaft, daß sie schon damit zu tun hat, die Steuern herauszuwirtschaften. Das Landwirtschaftsministerium muß auf das Finanzministerium einwirken, damit der Steuerdruck erleichtert wird. Die Hauszinssteuer verursacht auf dem Lande die größte Erregung, der Landwirt versteht nicht, daß er diese Steuer zahlen soll. Das schlimmste ist die Disparität der Preise gegenüber den Friedenspreisen, dagegen muß der Landwirt für seine Bedarfs⸗ gegenstände das Vielfache der Friedenspreise zahlen. Wenn es wieder anders werden soll, so kann das nur durch eine vernünftige Wirtschaftspolitik und besonders durch eine Verminderung der Ein⸗ fuhr geschehen. Der Schutzzoll liegt auch im finanzpolitischen Inter⸗ esse. Wir wollen aber nicht verzweifeln, sondern weitex unsere Pflicht und Schuldigkeit tun zum Segen unseres ganzen Vater⸗ landes. (Beifall.)

Darauf vertagt das Haus die Weiterberatung auf Sonn⸗ abend 10 Uhr; außerdem deutsch⸗russische Verträge und An⸗ träge über die Erwerbslosenfürsorge. ““

Schluß gegen 5 Uhr.

Preußischer Staatsrat.

Sitzung vom 11. Dezember 1925. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger.)

Der Staatsrat befaßte sich nochmals mit dem Antrag des Wirtschaftsausschusses zu der förmlichen Anfrage der Staatsratsmitglieder Dr. Graf von Keyserlingk und Genossen, betreffkend die landwirtschaftlichen Notstände. Gegen eine Wiederholung der zum Schluß der gestrigen Sitzung vorgenommenen Abstimmung, deren Ergebnis zweifelhaft geblieben war, wurde von kommunistischer Seite Einspruch erhoben.

„Mitgl. Dr. Jarres befürwortete aus sachlichen Gründen eine Wiederholung der Abstimmung, deren ablehnendes Ergebnis von ihm angezweifelt worden war, worauf vor der endgültigen Feststellung durch das Büro von kommunistischer Seite die Veschtagelhigkenn des Hauses bezweifelt war.

Nach kurzer Aussprache zog Mitgl. Schlösser (Komm.) seinen Einspruch zurück. b

Die Wiederholung der Abstimmung ergab nunmehr An⸗ nahme des Antrags des Wirtschaftsausschusses, wonach der Staatsrat von der Beantwortung der Anfrage des Grafen Keyserlingk und Genossen zustimmend Kenntnis nimmt und die Erwartung ausspricht, daß das Preußische Staats⸗ eecesen die Vorschläge der Denkschrift des Landwirtschafts⸗ ministers nachdrücklich verfolgt, vor allem für die Bereit⸗ stellung ausreichender landwirtschaftlicher Kredite zu höchstens 6 vH Zinsen sorgt.

Es folgt der Gesetzentwurf über die Trennung und Auseinandersetzung der Provinzen Ober⸗ und Niederschlesien.

Mitgl. Dr. Wesenfeld (A.G.) erstattete den Bericht des Ver⸗ sas ungs⸗ und Gemeindeausschusses und begründete den Auss cfußantveg er zu einigen Paragraphen Aenderungen und Zusäte wünscht, im gacfen aber gegen den Entwurf Einwendungen nicht erhoben wissen will.

Von besonderer Wichtigkeit ist der § 8, der nach dem Aus⸗ schußantrag folgende Fassung erhalten soll:

„Die esische Provinzial⸗Lebensversicherungsanstalt wird eine gemeinsame Einrichtung des Niederschlesischen und des Ober⸗ schl 8 Provinzialverbandes und der Schlesischen Landschaft. Die Schlesische Provinzial⸗Haftpflichtversicherungsanstalt wird, eine ge⸗ meinsame Einrichtung des Niederschlesischen und des Oberschlesischen Provinzialverbandes. Die Verwaltung beider Anstalten erfolgt vor⸗ läufig weiter durch die bisherigen Organe der ungeteilten Provinz Schlesien. Die für die Beteiligung der Provinz Oberschlesien er⸗ forderlichen Satzungsänderungen werden mangels einer Ein igung durch das in § 16 vorgesehene Schiedsgericht festgesetzt.“

Wichtig ist ferner noch der § 15, der in seinem ersten Ab⸗ satz folgende Fassung erhalten 19

„Die Auseinandersetzung erfolgt grundsätzlich im Wege der Ver⸗ einbarung zwischen den beiden Provinzialausschüssen, deren Ein igung urkundlich von den beiden Landeshauptleuten festzulegen ist. Soweit eine Einigung nicht erfolgt ist, entscheidet ein Schiedsgericht. Hiecbei sind folgende Grundsätze zu beachten: Das unbewegliche Vermögen mit Zubehör und die dinglichen Rechte gehen in das Eigentum der Pro⸗ vinz, in deren Gebiet sie belegen sind, über. Entsprechend dem Werte am 1. April 1920 sind die Anleiheschulden zu teilen. Die nach dem 1. April 1920 aufgenommenen Anleihen folgen demjenigen Ver⸗ mögensobjekt, für das sie aufgewendet worden sind.“

Der § 16, der die Bestimmungen über das Schiedsgericht trifft, soll eine Fassung erhalten, die die Unparteilichkeit von Entscheidungen gewährleistet:

„Die gewählten Mitglieder und ihr Stellvertreter dürfen weder Beamte, noch Angestellte der Provinzen sein, noch den Verwaltungs⸗ oder Vertretungsorganen einer der beiden Provinzen angehören.“

Mitgl. Graf Keyserlingk (A. G.) begründete nachstehenden Antrag seiner Fraktion: „Der Staatsrat wolle beschließen: 1. Die Kundgebung des Preußischen Staatsministeriums, eine selbständge Provinz Oberschlesien zu bilden, erfolgte unter der selbstverständlichen 1 oraussetzung, daß durch die Abstimmung ganz Oberschlesien bei Preußen erhalten bleiben würde. Nachdem aber Oberschlesien durch Abtrennung seines Ostgebietes eine wesentliche wirtschaftliche Schwächung erfahren hatte, entfielen die Voraussetzungen der neuen Provinzialbildung. Will man nun trotzdem den auf Erhaltung der Provinz gerichteten Wünschen der augenblicklichen Mehrheit der ober⸗

chlesischen Bevölkerung Rechnung tragen, so wird man in deren eigenstem Interesse dafür sorgen müssen, daß die Provinz Oberschlesien den notwendigen volkischen und wirtschaftlichen Rückhalt durch Er⸗ haltung aller bedeutsamen wirtschaftlichen Einrichtungen der schlesischen 2FTS in einem einheitlichen Gesamtwirtschaftsverbande ekommt. 2. Der vorliegende Gesetzentwurf ist insoweit abzulehnen als er eine völlige Trennung der wirtschoftlichen Vorwaltung nach ich zieht. Unbeschadet der Verwaltungstrennung der Provinzen Nieder⸗ und Oberschlesien ist vielmehr ein kommunaler Großwirt⸗ schaftsverband für Gesamtschlesien zu bilden, zu dessen Zuständigkeit namentlich auch die Wasserwirtschaft einschließlich des Landes⸗ meligrationswesens die Elektrizitätswirtschaft, das Veckehrswesen die Lebens⸗ und Haftpflichtversicherung, die Witwen⸗, Waisen⸗ und Ruhegehaltskahsen gehören. Die Anträge seien das Ergebnis ein⸗ gebender Beratungen im Niederschlesischen Provinzialausschuß und Provinziallandtag. Man müsse den mirtschaftlichen Gesichtspunkten unbedingt Rechnung tragen. ö““

Mitgl. Jano ca (Zentr.) bat mamens der übergcoßen Mehrheit

des oberschlesischen Volkes um Ablehnung des Antrages des Grafen Keyserlingk.

Bei der Abstimmung wurde der Antrag Graf Keyserlingk

egen die Antragsteller abgelehnt. Den Ausschußanträgen wurde

Feaen zugestimmt, desgleichen dem Gesetzentwurf in der so geänderten Fassung.

Nunmehr wandte sich das Haus dem Autrag Graf zu Rantzau⸗Rastorf und Genossen (A. G.), betrefsend Prüfung der Groß⸗Hamburg⸗Frage zu, dem der Ausschuß einmütig zugestimmt hat. Der Antrag lautet:

„Der Staatsrat wolle beschließen: Die Staatsregierung wolle baldigst mit Hamburg in Verhandlungen eintreten wegen Prüfung der Groß⸗Hamburg⸗Frage, und zwar 8 folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen: 1 2

1. Unter Vorlegung des Generalsiedlungsplanes für die Hamburg umgebenden preußischen Gebietsteile ist mit Hamburg eine freundnachbarliche Regelung der darin behandelten Fragen anzustreben. Nach erfolgter Regelung ist für die Schlichtung von Streitpunkten über die Ausführung des Generalsiedlungsplanes ein zwischenstaatlicher Ausschuß Preußens und Hamburgs vorzusehen. 8

2. Für die Häfen Hamburgs, Altonas und Harburgs sowie für die neu auf preußischem oder hamburgischem Gebiet zu errichtenden Hafenanlagen ist der Gedanke einer Hafenbetriebs⸗ gemeinschaft in den Vordergrund zu stellen.

3. Die Interessen der übrigen preußischen Häfen sind zu berücksichtigen, und deren Interessenvertretungen sind sowohl bei den Verhandlungen, wie bei der Durchführung des Ergebnisses dieser Verhandlungen danernd zu beteiligen.

4. Gebietsabtretungen Preußens an Hamburg dürfen nur im Austausch gegen hamburgische Gebietsteile und nur dann erfolgen, wenn üt mit den wirtschaftlichen Interessen Preußens vereinbar sind. 8

5. Die deutsche Aufgabe Hamburgs und des gesamten Unter⸗ En ehe. den Welthandel zu pflegen, darf nicht beeinträchtigt werden.

Graf zu Rantzau⸗Rastorf (A.⸗G.) erstattete den Aus⸗ schußbericht und begründete den Antrag. Der Name Groß⸗ Hamburg ist eigentlich falsch. Dieser Name ist deshalb gewählt worden, weil Hamburg seinerzeit zuerst den Antrag auf Abtretung eines sehr großen Geländes stellte, das ihm einen Zuwachs von 30 Prozent seiner Einwohnerschaft bringen sollte. Es begründete diesen Antrag mit der Notwendigkeit der Erweiterung seiner Hafenanlagen und der Ausdehnung seiner Industrie. Es hat diesen IW“ Antrag dann zunächst eingeschränkt. Diese Anträge haben seinerzeit recht großen Widerspruch hervorgerufen in den beteiligten Provinzen Hannover und Schleswig⸗Holstein. Ferner erhoben sich Widersprüche von den Interessenten, den ö preußischen Häfen und der damit verbundenen Industrie: lliona, Kiel, Flensburg und Harburg fühlten sich beein⸗ trächtigt. Es wurde, ausgeführt, daß, wenn Hamburg eine so Ausdehnung für seine Industriegelände gewinne, dadurch die übrigen preußischen Häfen und ihre Industrie unter starkem Druck gesetzt werden würden. Die große Anziehungskraft Ham⸗ burgs würde ein weiteres Aufblühen ihrer Industrie hindern. Die Verhandlungen zwischen Preußen und Hamburg waren dann zum Stillstand gekommen; jetzt sollen sie aber wieder aufgenommen werden. Preußen ist inzwischen nicht untätig gewesen. Es hat u. a. einen Generalsiedlungsplan ausgearbeitet für das Gelande um Hamburg herum, der aber bisher noch nicht veröffentlicht ist. Er sieht vor die Einteilung des Geländes in Industriegelände, Hafengelände, Arbeiterwohnstätten, Grünflächen, Automobil⸗ traßen und sonstige Straßen. Der jetzt vorliegende Ausschuß⸗ antrag bedeutet eigentlich nur Wünsche und Anregungen. Wir haben sogar das KWort „Richtlinien“ vermieden. Wir wünschen und halten es für richtig, daß ein gut freundnachbarliches Ver⸗ hältnis zwischen Hamburg und Preußen hergestellt wird im Gegensatz zu dem bisherigen Verhältnis. Gelingt der Staats⸗ regierung der Abschluß eines Abkommens, dann muß Preußen dabei seine Interessen vertreten können; es soll die Interessen der übrigen preußischen Häfen wahrnehmen. Die Beteiligung Preußens ist ja etwas ganz neues, es wird aktiv an den neu zu schaffenden Werten beteiligt. Das ist nötig oder fast unentbehrlich. Denn durch preußisches Gebiet hindurch müssen die Zufuhrwege geführt werden, die es mit den Häfen verbinden. Dann kommt das heikle Thema der Gebietsabtretungen. Der Austausch soll nur in Erwägung gezogen werden, wobei die Bewertung der einzelnen Gebietsteile dem Kontrahenten überlassen bleiben soll. Worauf es für die Arbeitersiedlungen ankommt, ist ein nicht zu weiter Weg zur Arbeitsstätte, gesundes Wohnen, ngtürlich auch Gärten und Erholungsstätten in der Nähe. Der Ausschuß hat einstimmig beschlossen, dem Antrag in der vorliegenden Fassung zuzustimmen. Ich wünsche unserer Regierung recht guten Erfolg bei ihren Verhandlungen mit Hamburg und gebe der Hoffnung Ausdruck, F. Hamburg süfcieden sein wird, und daß neben dem Hanseatengeist auch preußischer kaufmännischer Unternehmungs⸗ geist sich erfolgreich betätigt.

Der Staatsrat stimmte dem Antrag ohne Aussprache zu und nahm dann von dem Gesetzentwurf Kenntnis, der einzelne Teile des Gesetzes über die Aenderung des Polizei⸗ kostengesetzes, die mit Ablauf des Rechnungsjahres 1925 außer Kraft treten, um ein Jahr verlängern will. Die Ver⸗ teilung der Polizeilasten auf Staat und Gemeinden soll dann bei dem am 1. April 1927 zu erwartenden endgültigen Finanz⸗ ausgleich geregelt werden.

Zustimmung fand auch ein Ausführungserlaß zu einem Teil des Preußischen Ausführungsgesetzes zum Finanzausgleichsgesetz, der sich mit steuertechnischen Dingen beschäftigt und die Zustimmung der Spitzenvertreter der Städte und der Landkreise gefunden hat.

Ein Zwischenfall ergab sich bei Beratung des Gesetz⸗ entwurfs über die Bereitstellung von Geldmitteln für die Aus⸗ gestaltung des staatlichen Besitzes an Bergwerken, Häfen und Elektrizitätswerken, sowie zur Förderung der Landeskultur. In diesem Gesetzentwurf verlangt die preußische Regierung die Zustimmung zur Aufnahme einer Anleihe von 150 Mil⸗ lionen Mark und zur Verausgabung dieses Betrags für die im Gesetztitel genannten Zwecke und darüber hinaus, in fernerer Zeit, für Zwecke des Mittellandkanals. Die Ausschüsse des Staatsrats haben, um sich die Möglichkeit einer Prüfung der Verwendung der Beträge vorzubehalten, das Gesetz dahin ge⸗ ändert, daß es nur zur Beschaffung des Betrags für „wirtschaft⸗ liche Zwecke“ dienen soll.

In der Aussprache nahm der Berliner Oberbürgermeister Dr. Böß das Wort zu einer Rede, in der er u. a. ausführte: Es war mir sehr interessant, in den Ausschüssen zu erfahren, daß die Beratungs⸗ stelle und die Reichsbank nichts gegen den Plan der vrrafi Hen Staatsregierung einzuwenden hatten, eine Anleihe von 250 Millionen Mark aufzunehmen. Wenn aber die Gemeinden und Selbstverwal⸗ tungskörper für die gleichen Zwecke Anleihen aufnehmen wollen, machen die genannten Stellen die allergrößten Schwierigkeiten. So kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Wirtschaftliche Zwecke, die im Deutschen Reiche heute zu erfüllen sind, haben stets ihre besondere Bedeutung und ver⸗ langen Berücksichtigung insoweit, als sie geeignet sind, die Gesamt⸗ lage des Reiches zu heben und die Handelsbilanz günstig zu be⸗ einflussen. Das kann durch 8 des Reiches gleichermaßen wie durch solche der Länder und der Gemeinden geschehen. ir können als Gemeinden mit Recht verlangen, daß wir ebenso ge⸗ wertet werden wie Reich und Länder, und wir müssen entschieden dagegen Einspruch erheben daß der Herr Reichsbankpräsident in einer raschen Folge von Reden sich immer und immer wieder mit der

28* ng der Gemeinden“ befaßt und noch nie darauf ge⸗

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kommen ist, daß in den Ländem noch viel mehr Gelegenheit zum

Sparen ist als in den Gemeinden die schon weitgehend abgebaut haben. Eine interessante Tatsache, die in der Oeffentlichkeit zweifel⸗ los Aufsehen erregen wird, ist folgendes Die Stadt Berlin be⸗ schäftig zurzeit nicht weniger als 60 Beamte mit der Bearbeitung

des Sperrgesetzes, das am 1. April aufgehoben werden wird und

auf dessen Grundlage man uns noch immer mit Erlassen und Ent⸗ scheidungen belästigt, die für uns auch nicht mehr die geringste Be⸗ deutung haben. (Hört, hört!) Wenn der Reichsfinanzminister und die preußische Regierung hieraus die Konsequenzen ziehen würden, könnte im Reich und in Preußen und in Berlin sowie auch in zahl⸗ reichen anderen Gemeinden eine ganz bedeutende Ersparnis erzielt werden. Aber es wird ruhig weitergarbeitet nach Schema F und der E Reichsbankpräsident bemerkt das nicht. Es sind immer nur die

eemeinden, die gesündigt haben. Möchte der Herr Reichsbankpräsident diesen Aus ührungen seine Ohren öffnen. (Beifall.)

Von Regierungsseite wurde erklärt, daß es sich bei dem vorliegenden Entwurf nur um ein Mantelgesetz handle, weshalb mit der Beratungsstelle und der Reichsbank auch gar nicht über Einzel⸗ heiten verhandelt sei, sondern nur ganz allgemein davüber, ob eine preußische Anleihe jetzt aufgenommen und untergebracht werden könne. (Zuruf des Oberbürgermeisters Böß: Sie wollten die Anleihe ja schon im Dezember begeben!)

Der Staatsrat nahm dann in der von den Ausschüssen vorgeschlagenen Fassung von der Vorlage Kenntnis und ver⸗ tagte sich auf den 18. Januar. 1

Preußischer Landtag. Sitzung vom 10. Dezember 1925. 8 Nachtrag. „Die Rede, die der Ministerpräsident Brauu im Laufe der dritten Beratung des Haushaltsplans gehalten hat, lautet nach dem jetzt vorliegenden Stenogramm, wie folgt:

Meine Damen und Herren! Ich ergreife hier das Wort, weil

ich nicht der Auffassung des Herrn Vorredners bin, daß dieses Haus ein Theater ist, sondern ich betrachte es als das Parlament des Preußischen Staates, wo die ernsten Probleme, die uns jetzt be⸗ schäftigen, auch mit allem Ernst erörtert und gelöst werden müssen. (Zuruf rechts.) Nein, Herr Voß war der Meinung, daß dieses Haus ein Theater sei! (Zuruf rechts.) Meine Damen und Herren, vorweg eine Bemerkung. Wie mir mitgeteilt worden ist, ist es im Hause unangenehm vermerkt worden, daß bei dem Beginn der Sitzung kein Minister im Hause anwesend was Ich bedaure das. Es ist zurückzuführen auf die überaus große Inanspruchnahme der Herren Minister, die zum Teil auf dem Wege hierher waren und sich ebenso wie eine Anzahl Ab⸗ geordneter verspätet haben. Aber ich bitte die Herren Abgeordneten aller Parteien, doch dafür Sorge zu tragen, daß durch Zuführüung von Deputationen in großer Zahl die Zeit der Minister nicht so überaus stark in Anspruch genommen wird, wie das an manchen Tagen der Fall ist. Dann wird den Ministern außer der Zeit für ihre umfangreichen sonstigen Dienstgeschäfte auch noch mehr Zeit für die parlamentarischen Erörterungen übrig bleiben.

Nun nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich mich auch erwas in die Erörterungen über die Reichspolitik, die hier seit zwei Tagen vorwiegend gepflogen sind, einmische. Der Herr Abgeordnete von der Osten hat gestern, nachdem er unsere wirtschaftliche Lage schwarz geschildert hatte, die Frage an die Staatsregierung ge⸗ richtet: Ich frage die Staatsregierung, was sie getan hat, um diese Katastrophe, von der er sprach, abzuwenden? Meine Damen und Herren, die wirtschaftspolitischen Probleme, vor deirten wir stehen, und die wirtschaftliche Katastrophe, die uns droht, werden in der Hauptsache nicht durch die Landesparlantenté, durch die Landes⸗ regierungen, sondern vorwiegend durch das Reichsparlament und durch die Reichsregierung beeinflußt. (Sehr rchitig!) Das Schwer⸗ gewicht unserer Wirtschaftspolitik liegt mehr als je zuvor im Reiche, und dort hat ganz zweifellos die letzte Reichsregierung, auf die die Partei des Herrn von der Osten doch einen ent⸗ scheidenden Einfluß ausgeübt hat und sehr aktiv beteiligt gewesen ist, nehme ich an, alles getan, um unsere wirtschaftlichen Ver⸗ hältnisse so zu beeinflussen, daß sie nicht zu der von dem Herrn Abgeordneten von der Osten befürchteten Katastrophe führen. (Sehr gut!) Wenn er an die Preußische Staatsregierung die Frage gerichtet hat, was wir getan haben, so kann ich nur erklären ich habe es schon bei der zweiten Lesung des Etats erklärt —, daß wir alles getan haben, um die Reichsregierung, soweit sie zur Besserung unserer wirtschaftlichen Lage Maßnahmen ergriffen hat, nach Kräften zu unterstützen. Wenn es der Reichsregierung unter dem entscheidenden Einfluß der Deutschnationalen Partei (Zuruf rechts: Entscheidenden Einfluß!) unter dem entscheidenden Einfluß der Deutschnationalen Partei (sehr richtig! links) gleichwohl nicht ge⸗ lungen ist, unsere wirtschaftlichen Verhältnisse im Reich so zu ge⸗ stalten, daß eine Katastrophe vermieden werden kann, so will ich nicht in den Fehler verfallen, in den Herr Baecker (Berlin) in der zweiten Lesung des Etats verfiel, daß er das auf das Konto der Preußischen Regierung schrieb. Ich will es nicht allein auf das Konto der Reichsregierung schreiben, sondern erklären, daß dann doch die Schwierigkeiten etwas mehr in der Sache liegen, was sonst, wenn es sich um die Preußische Regierung handelt, bei der Kritik von rechts nicht zugegeben wird. (Sehr richtig! links.) Die Schwierigkeiten liegen tatsächlich in der Sache. Es ist eine etwas oberflächliche Beurteilung der ganzen Wirtschaftslage, wenn man immer hört: wir leiden nur an Kapitalmangel; wenn wir Geld hätten, wäre die Misere behoben. Dieser Kapitalmangel ist nicht nur Ursache unserer wirtschaftlichen Not, sondern auch Wirkung; es liegt auch hier eine Nachwirkung des verlorenen Krieges vor. Wir haben nur Werte verloren und deshalb fehlt es an Geld, das doch Wertmaßstab ist und demnach fehlt, wenn die Werte fehlen. Wenn man Geld schafft durch die Druckerpresse, wie es in der In⸗ flation gewesen ist, dann täuscht man sich einige Zeit über die Armut, geht aber um so schneller in den Abgrund. Wir müssen eben versuchen, mehr Werte zu schaffen und den furchtbaren Ver⸗ lust im Kriege einzubringen, mehr arbeiten, und zwar alle. (Zurufe rechts.) Ich kann mir nicht helfen: ich höre die Forderung, „mehr arbeiten!“ meist in den Kreisen am lautesten, wo man am allerwenigsten arbeitet. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Das macht psychologisch einen sehr ungünstigen Eindruck auf die⸗ jenigen Kreise, die überhaupt nur arbeiten. (Zuruf rechts.) Des⸗ halb müssen wir, wollen wir aus dem Kapitalmangel und dem wirtschaftlichen Notstand heraus, mehr Werte schaffen Dann werden wir auch mehr Kapital haben und finanziell flüssiger werden. .

Herr von der Osten hat gesagt: Die Wirtschaft muß wieder ge⸗

ir-vENe ea.

sund gemacht werden. Ich meine, in diesem Hause ist auf keiner

8—

Seite iwendeine Differenz darüber, daß wir dee Wirtschaft wieder

gesund machen müssen. Aber wenn es darum geht, ein Rezept zu finden, um sie wieder gesund zu machen, dann gehen die Meinungen weit auseinander. Herr Ladendorff meinte, es käme alles darauf an, wenn unsere Wirtschaft gesunden soll, daß die selbständigen Existenzen vermehrt und erhalten würden. Es gibt eine Reihe sehr prominenter Wirtschaftler, die allerdings nicht der Wirtschaftspartei angehören, und gleichwohl annehmen, etwas von der Wirtschaft zu verstehen, die einen entgegengesetzten Standpunkt einnehmen. Unsere ganze Konzentrationsbewegung in der Wirtschaft läuft doch letzten Endes darauf hinaus, gewisse überflüssige selbständige Elemente und Be⸗ triebe zu eliminieren, das Verbleibende zu konzentrieren, um das höchste Maß von Leistung gus unserer Wirtschaft durch weitgehendste Rationalisierung herauszuholen. (Zuruf.) Sie sind der Meinung, das ist falsch. Ich bin überzeugt, die ungesunde Preisspanne, die wir haben zwischen Erzeugern und Konsumenten, beruht letzten Endes darauf, daß sich zu viel selbständige, z. T. parasitäre, Zwischenstellen einschalten. (Sehr vichtig! bei den Sozialdemokraten.) Unsere Wirtschaft wird erst gesunden, wenn wir nach der Richtung völlig klare Verhältnisse schaffen. Das kann man nicht, Herr Ladendorff,

wenn man nur aus parteipolitischen Erwägungen heraus die Aufrecht⸗

erhaltung all dieser Existenzen und ihre Vermehrung verlangt. (Zu⸗ ruf: Die Ausländer müssen heraus!) Jawohl, ich bin auch dafür, daß die Ausländer hinausgeschafft werden, insbesondere die 300 000 bis 400 000 ausländischen Arbeiter, die auf Veranlassung Ihrer (rechts) Parteifreunde in unser Land hereingekommen sind und jetzt in einzelnen Bezirken geradezu zur Landplage werden. (Lebhafte Zustimmung links. Unruhe und Zurufe rechts.)

Herr von der Osten hat dann erklärt, es solle die Kaufkraft des Volkes gehohesn werden. Das sind alles Binsenwahr⸗ heiten, über die wir uns ja alle im klaren sind. Es kommt nur auf das Wie an! Meine Herren (nach rechts), Sie heben doch die Kauf⸗ kraft des Volkes nicht dadurch, wenn Sie eine Herabsetzung der Löhne fordern. Sie sehen, meine Damen und Herren, es gibt hier kein einseitiges Rezept, sondern es ist das Zusammenwirken aller Teile notwendig, um langsam aus dem jetzigen Zustande herauszukommen. Geben Sie doch die Illusion auf, daß durch irgendwelche gesetzlichen oder sonstigen Maßnahmen schnell aus dem wirtschaftlichen Elend herauszukommen ist, in das der Krieg uns hineingebracht hat; das ist ausgeschlossen. (Zuruf rechts: Die Revolution!) Jetzt wirkt sich der Krieg erst voll aus, nachdem wir uns einige Zeit durch die Inflation über den bitteren Ernst unserer wirtschaftlichen Lage hinweggetäuscht haben. Wenn Sie mir zurufen: Revolution, so sage ich Ihnen: auch in allen den Ländern, welche gesiegt haben und keine Revolution ge⸗ habt haben, zeigen sich dieselben großen wirtschaftlichen Schwierig⸗ keiten —, bei uns allerdings in verstärktem Maße, weil wir den Krieg verloren haben und dadurch den anderen tributpflichtig ge⸗ worden sind. (Sehr wahr! links.)

Nachdem Herr von der Osten diese Frage aufgeworsen hatte, meinte er dann: wenn kein Wunder geschieht, so ist die Katastrophe unvermeidlich. Nun, ich bin nicht wundergläubig und setze meine Politik auch nicht gerne auf Wunder. Wenn wir das in den ver⸗ flossenen sieben schweren Jahren hätten machen wollen, dann hätten

wir oft die Hände in den Schoß gelegt. Wir haben trotz aller

Schwierigkeiten und trotz aller Angriffe, die gegen uns gerichtet worden sind, uns nicht dem Fatalismus hingegeben, nicht auf ein Wunder gewartet, sondern wir haben pflichtmäßig an unserer Stelle

gewirkt und gearbeitet (sehr richtig! und Bravol links) und haben es

dadurch erreicht, daß wir bisher wenigstens noch den Zu⸗ sammenbruch des deutschen Volkes vereitelt haben. In dieser Richtung werden wir auch weiterarbeiten.

Da möchte ich nun eins sagen und ich glaube, ich gehe da mit Herrn Abgeordneten von der Osten durchaus konform —: Wollen wir unsere Volkswirtschaft neu bereichern und allmählich zu besseren wirtschaftlichen Verhältnissen kommen, dann müssen wir das Schwergewicht darauf legen, unsere Urproduktion zu teigern. Es klingt zunächst vielleicht befremdlich, wenn ich sage: alles, was wir sonst tun, z. B. für die Fertigindustrie so⸗ weit wir es nicht exportieren, sondern bei uns konsumieren —, be⸗ reichtert unsere Volkswirtschaft nicht. Selbst der Wohnungs⸗ und Wegebau bereichert unsere inländische Volkswirtschaft nicht direkt; denn auch er schafft vornehmlich Produkte für den inländischen Konsum. Nur was wir aus unserer Urkraft, aus dem Boden her⸗ ausholen, sei es, daß wir es aus dem Innern der Erde heraus⸗ schaffen oder auf dem Boden mit eigner Kraft erzeugen, das be⸗ reichert unsere Volkswirtschaft. Deswegen ist das Problem, das Herr von der Osten hier angeschnitten hat, die Hebung der landwirtschaftlichen Erzeugung, meiner Meinung nach allerdings eins der wichtigsten Probleme, um so mehr, als wir auf den anderen Gebieten vorläufig noch sehr kurz treten müssen. (Sehr wahr!) Denn wir können die weitgehendsten Kredite haben, wir können so viele Kredite haben, daß alle unsere weitausgebauten Betriebe vollarbeiten, wenn wir nicht auch Absatz für unsere Produkte finden, namentlich im Auslande, dann nutzen diese Kredite einfach gar nichts. (Allgemeine Zustimmung.) Deswegen ist es ein Aberglauben, sich einzubilden: wenn nur viel Kapital ins Land kommt, dann können wir produzieren, und dann ist unsere Wirtschaft aus dem Elend heraus. (Zurufe rechts.) Ja, meine Damen und Herren von der Rechten, Sie machen oft den Fehlex: wenn Sie von der Wirtschaft reden, dann reden Sie lediglich von den Betrieben in sachlicher Beziehung und eventuell noch von den Unternehmern der Betriebe. Sie reden aber nicht vom Arbeiter, Sie reden nicht vom Konsumenten. Zur Wirtschaft gehört aber

nicht nur der Produzent, sondern auch der Konsument. Sie mögen

noch so viel Kapital haben und noch so viel produzieren: wenn es Ihnen nicht gelingt, durch eine vernünftige Wirtschaftspolitik auch in Konsumenten aufnahmefähig für diese Produkte und zahlungs⸗

fähig zu machen, dann nützt Ihnen die Steigerung der Produktion

gar nichts. (Sehr wahr!) bei der Sozialdemokratischen Partei. Zurufe rechts.) Die Wirtschaft kann nur leistungsfähig sein, wenn der Konsument leistungsfähig ist, der ihr die Produkte abnimmt. Geben Sie sich doch nicht der Illusion hin, daß Sie dem Ausland einen großen Ueberschuß abgeben können; denn im Ausland liegen die Dinge genau wie bei uns. Auch dort sucht man den Markt, auch dort sucht man Absatz, auch dort hat man Arbeitslofigkeit. Ich bin der Auffassung, daß, wenn die Kaufkraft in der ganzen Welt nicht in der nächsten Zeit erheblich gesteigert wird, für unseren Export gar nicht so viel Raum sein wird, wie wir brauchen, um unsere Industrie schnell hochzubringen. Es wird sehr langsam gehen. Des⸗

wegen lege ich auch das Hauptgewicht auf die Steigerung der Ur⸗

8 u““ 8

produktion, insbesondere derjenigen Produkte, für Inlande Absatz haben, und die wir in Ermangelung einer ge⸗ nügenden inländischen Produktion noch vom Ausland kaufen müssen. Da liegt das Schwergewicht. (Sehr gut! bei der Sozialdemokrati⸗ schen Partei und in der Mitte.) Deswegen ist nach meiner Auf⸗ fassung immer noch die Steigerung der landwirtschaftlichen Er⸗ zeugung, für deren Mankoprodukt wir jährlich noch etwa 2 bis 3 Milliarden ins Ausland geben müssen, der Kardinalpunkt unseres ganzen wirtschaftlichen Wiederaufbaus. Darin gehen wir ganz kon⸗ form. Wir sind uns nur über den Weg etwas uneinig. Ich er⸗ innere mich einer Unterredung, die ich vor etwa drei bis vier Jahren mit Ihrem verstorbenen Parteifreund, Herrn Dr. Roesicke, gehabt habe, in der er mich beschwor: Herr Minister, treten Sie nur dafür ein, daß wir die letzten Reste der Zwangswirtschaft los⸗ werden. Wenn die Landwirtschaft erst frei von jedem staatlichen Eingriff produzieren kann, dann wird sie wieder etwas schaffen, dann braucht sie weiter nichts. Ich habe damals gesagt: Herr Dr. Roesicke, ich glaube, Sie sind im Irrtum; Sie sehen die Entwick⸗ lung unserer Agrarverhältnisse nicht richtig. Ich sage Ihnen: wie Sie jetzt hier stehen, so werden Sie vielleicht schon nach zwei oder drei Jahren, nach ganz kurzer Zeit, wieder hier stehen und staat⸗ lichen Schutz für die Landwirtschaft und staatliches Eingreifen ver⸗ langen. Es ist völlig falsch, wenn Sie annehmen, daß die Land⸗ wirtschaft, wenn Sie völlig frei wird, bestehen könne und keines staatlichen Schutzes mehr bedürfe. (Zurufe bei der Deutschnatio⸗ nalen Volkspartei.) Der Zeitpunkt ist sehr schnell gekommen. Wir haben jetzt im Reiche bereits ein Gesetz vorliegen, das die Reichs⸗ getreidestelle wieder etwas beleben soll, ein Gesetz zur Hochhaltung der Getreidepreise. Es nennt sich freilich „Gesetz zur Be⸗ wegung des Getreides“. Das ist aber nur eine Ver⸗

kegenheitsbezeichnung. (Hesterkeit.) Gewiß, Fachleute wissen: das

Getreide muß bewegt werden. In primitiven Speichern geschieht das mit der Schaufel, in anderen mit dem Kran. Aber ein Gesetz braucht man dazu nicht. Dieses Gesetz ist dazu bestimmt, den Getreidepreis zu stabilisieren. Sehr notwendig! Aber als ich vor drei oder vier Jahren, als ich noch Minister gegen die Landwirtschaft war (Heiterkeit), dieses Problem aufwarf, da ich diese Entwicklung schon damals kommen sah, und sagte: wir müssen auf diesem Gebiete eine gewisse Stabilität schaffen, wenn wir eine Produktionssicherheit der Landwirtschaft erhalten wollen ich habe damals schon den Vorschlag gemacht, die öffentliche Hand solle ein größeres Quantum Getreide hinter sich bringen, um jederzeit, nicht nur, wenn die Preise zu niedrig, sondern auch wenn sie für den Konsumenten zu hoch sind, regulierend in die Spekulation ein⸗ zugreifen. (Zurufe bei der Deutschnationalen Volkspartei.) Ja⸗ wohl, das ist die Idee des alten Kanitz. Aber Sie haben diese alte Kanitzsche Idee damals einfach über Bord geworfen. (Erneute Zu⸗ rufe bei der Deutschnationalen Volkspartei.) Der Landbund ist mit aller Energie gegen meinen Vorschlag aufgetreten: nur keine staat⸗ lichen Eingriffe, frei von jeder staatlichen Bevormundung! Das war damals das Schlagwort, mit dem Sie auch diesen an sich durchaus richtigen Weg völlig verschüttet haben.

Ich habe weiter den Vorschlag gemacht, weil ich aus dem Schwanken der Preise nur die Unsicherheit auf dem Getreidemarkte und eine teilweise Extensivierung der Landwirtschaft befürchtete, Stickstoff gegen Getreide über dieselbe Zentrale auszutauschen. Promi⸗ nente tüchtige Landwirte, die allerdings im Landbund und auch in der Politik nichts gelten, desto mehr aber von der Landwirtschaft ver⸗ stehen, weil sie ihre Betriebe selbst leiten, haben mir damals erklärt, der Plan sei richtig; damit allein könne man allmählich zu einer dauernden Intensivierung auch der kleineren Betriebe kommen. An⸗ fangs stand man auch in Landbundkreisen der Sache sympathisch gegen⸗ über. Dann setzten sich andere Kreise in Bewegung, und sofort er⸗ tönte wieder der alte Schlachtruf: Gegen Zwangswirtschaft, gegen staatliche Bevormundung. Fes

Das war alles, solange die Preise hoch waren. Jetzt sind die Preise niedrig sie steigen allerdings schon wieder. Sie hatten zeitweise einen Tiefstand erreicht, bei dem die Landtwvirtschaft nicht mehr produzieren konnte. Jetzt kommen Sie (rechts) auf die alten Vorschläge des Ministers gegen die Landwwirtschaft zurück. (Zuruf bei der Deutschnationalen Volkspartei: Keine Zwangswirtschaft!) Das war auch keine Zwangswirtschaft, sondern staatliche Regulierung, und davon wollten Sie damals auch nichts wissen. Der Staat sollte auf das freie Spiel der Kräfte, das Ihnen damals vorteilhaft er⸗ schien, nicht einwrken. Jetzt sind Sie dabei unter die Räder ge⸗ kommen, und jetzt soll der Staat durch das Gesetz zur Erhöhung der Preise helfen. Gegen dieses Gesetz hat die Preußische Regierung gestimmt, weil es nur ein Palliativmittel ist und nur für einen kurzen Zeitraum gelten soll. Wenn auf diesem Gebiete etwas Dauerndes gemacht werden soll, dann sind wir dafür. Aber jetzt in der Aera des Preisabbaues ein Gesetz zu dem ausgesprochenen Zweck zu machen, die Preise wichtigster Lebensmittel zu erhöhen, paßt wie die Faust aufs Auge in das Preisabbauprogramm; das können wir nicht mitmachen. (Zurufe bei der Deutschnationalen Volkspartei.) Ich will mich auf diese Rechen kunststücke nicht einlassen, ob das Brot teurer wird, wenn das Getreide teurer wird. Das ist ein ganz einfaches volkswirtschaft⸗ liches Gesetz, besonders wenn Herr Ladendorff mit derselben Energie weiter für die Echaltung aller selbständigen Wirtschaftsexistenzen ein⸗ tritt, dann wird das Brot vielleicht noch teurer als das Getreide im Preise steigt.

Ich gebe gern zu, daß die ganze Wirtschaft und auch die Landwirtschaft unter erscheverten Vechältnissen wirtschaften muß. Wir werden uns daher im Interesse unserer Wirtschaft und des ganzen Volkes zweifel⸗ los über die Wege einigen müssen, die zu beschreiten sind. Ich will nicht alte Wunden wieder aufreißen. Ich habe hier bereits früher gesagt, daß der Weg, Zölle einzuführen, die akute Gefahr, die der Landwirtschaft droht, nicht beheben kann. Ich habe leider recht ge⸗ habt. Auf diesem Wege kommen wir nicht weiter.

Sie werden auch daducch nicht weiter kommen, daß Sie (rechts) hier in dieser Art gegen den Pakt von Locarno Stimmung machen und gleichzeitig aus dem Auslande Kapital haben wollen, um Ihre Wirtschaft anzukurbeln. (Zurufe bei der Deutschnationalen Volkspartei.) Ja, wie denken Sie sich die Sache? Zu uns ins Ministerium kommen täglich Landwirte und Vertreter von Korpora⸗ tionen und erklären, wir müßten sie mit staatlichen Mitteln vor dem Zusammenbruch retten. In demselben Augenblick verlangen Sie (rechts) Herabsetzung der Steuern. Woher soll der Staat denn Kredite geben? Aus dem Auslande soll er es auch nicht holen! (Zuruüfe bei den Kommunisten: Bankerott! Zurufe bei der Deutschnationalen Volkspartei: In der Verwaltung sparen!) Darauf komme ich noch.

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Nicht alles auf einmal!l Sie können nicht Herobsetzung der Steuern und in demselben Atemzuge vom Staate verlangen, daß er Hunderte von Millionen der Landwirtschaft kreditweise zur Verfügung stellt. Das ist unmöglich.

Nun hat Herr von der Osten gestern hier eine Rechnung auf⸗ gemacht er hat wohl einen landwirtschaftlichen Betrieh im Auge gehabt, von dem ihm die genauen Aufzeichnungen vorlagen und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß dieser Betrieb jetzt im Verhält⸗ nis zur Friedenszeit das Achtfache an öffentlichen Lasten zu tragen hat. Das ist nicht überall so, denn unsere staatlichen öffent⸗ lichen Lasten sind glücklicherweise im allgemeinen noch nicht auf das Achtfache gestiegen. Das könnte die Wirtschaft überhaupt nicht tragen. Die Lasten haben sich vielleicht verdeppelt. (Lebhafter Widerspruch rechts) Nehmen Sie nicht einzelne, sondern nehmen Sie den Durchschnitt. Sie brauchen sich ja nur die Etats des Staats und der Gemeinden anzusehen. Dann werden Sie finden, daß im Durch⸗ schnitt unseres ganzen Landes etwa eine Verdoppelung (Rufe: Ver⸗ dreifachung!), vielleicht eine Vermehrung auf das Zweieinhalbfache der früheren Lasten eingetreten ist. Wenn das in der Landwirtschaft nun auf das Achtfache zu Buche schlägt, so beweist das nicht, daß jetzt allgemein das Achtfache gezahlt wird un allgemeinen Lasten, sondern es beweist nur, daß vor dem Kriege die Landwirtschaft auf Kosten anderer Berufsstände erheblich geschont worden ist. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten. Widerspruch bei der Deutschnationalen Volkspartei.) Das ist noch kein Novum. Ich bitte Sie, sehen Sie sich die Protokolle des alten Abgeordnetenhauses an, dann werden Sie finden, wie hier fortgesetzt bei den Steuerberatungen hervorgehoben worden ist, daß es Großgrundbesitzer gibt, die nicht einen Pfennig Einkommensteuer zahlen, abgesehen von einer Reihe anderer Steuern, die Industrie und städtische Gewerbe zahlten, und auf dem Lande überhaupt nicht gezahlt werden. Jetzt ist aber unser Land so in Not, daß es sich diesen Luxus nicht mehr leisten kann, auf Kosten der anderen Berufsstände die Landwirtschaft zu schonen. Deshalb schlagen in der Landwirtschaft die öffentlichen Abgaben so außerordent⸗ lich zu Buche, so daß die Betriebsausgaben dadurch dort kolossal ge⸗ stiegen sind. Das gebe ich durchaus zu; aber es ist doch nicht eine Verachtfachung der gesamten öffentlichen Abgaben eingetreten, sondern ie Belastung der Landwirtschaft ist lediglich dadurch eingetreten, daß ie das nachholen muß, was sie vor dem Kriege versäumt hat. (Zu⸗ immung bei den Sozialdemokraten. Zurufe ber der Deutsch⸗

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s st nationalen Volkspartei.)

Meine Herren, es hat keinen Zweck, wenn wir uns über das Tatsächliche täuschen. Dann gelangen wir zu keinem gemeinsamen Weg, um aus den Wirnissen herauszukommen. Es ist besser, Sie sehen die Dinge klar. Ich gebe sehr gern zu, daß der jetzige Zeit⸗ punkt, auch die Landwirtschaft zu den erhöhten Lasten heranzuziehen, am allerungeeignetsten war, weil eben die Wirtschaft überaus stark leidet. Aber weil das ganze Volk leidet, weil wir alle leiden, muß jeder zu den öffentlichen Lasten beitragen.

Nun ist hier eben von Sparsamkeit gesprochen. Auch Herr von der Osten hat gestern hier von einer ungeheuren Verschwendung im Staatsbetriebe gesprochen. Ich bedauere diese Worte, die in der Oeffentlichkeit ausgesprochen worden sind. (Zurufe bei der Deutschnationalen Volkspartei.) Wie wollen Sie denn Milderungen und Entlastungen durch das Ausland auf dem Reparationsgebiete er⸗ reichen, wie wollen Sie Kredit aus dem Auslande, den die Landwirt⸗ schaft bitter braucht, erreichen, wenn Sie selber von dieser Stelle aus hinausschreien: hier besteht eine ungeheure Verschwendung. (Zurufe rechts und links.) Ob der Vorwurf berechtigt ist, darauf komme ich noch, und wenn er berechtigt ist, dann sitzen ja auch Sie hier und be⸗ schließen den Etat; dann sind Sie auch schuldig und nicht nur die Regierung. Ich halte aber diesen Vorwurf für völlig abwegig, für völlig übertrieben. Von einer ungeheuren Verschwendung kann keine Rede sein. Wenn Herr von der Osten gestern vorschlug, man möge mit einer radikalen Kur einfach dreißig Prozent des Etats streichen, so frage ich: wollen Sie denn die Beamtengehälter in der heutigen Zeit um dreißig Prozent herabsetzen? (Zurufe bei der Deutsch⸗ nationalen Volkspartei.) Meine Herren, dann klingt es etwas anders. (Erneute Zurufe.) Nein, mit Demagogie ist Ihr (rechts) Vorgehen zu bezeichnen. Um dreißig Prozent den Etat herunterzusetzen, können Sie nicht fordern und gleichzeitig Anträge stellen, mit denen eine kolossale Mehrausgabe verbunden ist. (Sehr richtig! b. d. Sozialdem.) Wenn man nur berechnet, was die dem Hause vorliegenden deutsch⸗ nationalen und völkischen Anträge bei ihrer Erfüllung über das, was im Etat steht, hinaus an Mehrkosten verursachen, dann kommt nicht ein 30 Piger Abstrich, sondern eine mindestens 30 %ige Zu⸗ nahme heraus. Wenn man auf der einen Seite über zu hohe Aus⸗ gaben Vorwürfe erhebt, von ungeheuerlicher Verschwendung redet und einen 30 P%igen Abstrich bei den Ausgaben verlangt, gleich⸗ zeitig aber auf der anderen Seite Anträge stellt, die eine 30 ige Vermehrung der Ausgaben bedingen, so weiß ich nicht, wie man das miteinander vereinbaren will. (Sehr gut! links und in der Mitte.)

Nun aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich wieder zu dem sachlichen Problem kommen: Wie können wir unserer wirtschaftlichen Not Herr werden, und wie können wir die Katastrophe vermeiden, die in der Tat, wenn man die Dinge gehen läßt, unserer Wirtschaft und damit auch unserem Volke droht. Trotz aller mit sehr viel Stimmaufwand ge⸗ haltenen Reden gegen den Vertrag von Locarno habe ich doch von den Kritikern keinen Vorschlag gehört, wie man besser als durch den Vertrag von Locarno, als durch die Verständigung mit unseren ehemaligen Kriegsgegnern, aus dieser wirtschaftlichen Misere herauskommen kann. (Sehr richtig! links und in der Mitte. Zurufe rechts.) Meine Herren, machen Sie andere Vorschläge, dann können wir darüber diskutieren! Es ist aber kein ernst zu nehmender Vorschlag hier gemacht worden, wie man aus dieser Situation anders herauskommt. (Zuruf bei den Kont⸗ munisten: Dann müssen Sie hier sein, wenn solche Vorschläge ge⸗ macht werden!)

Der Herr Abgeordnete Voß hat davon gesprochen, daß „die so⸗ genannte nationale Regierung im Reiche“ diesen Pakt von Locarno angenommen hat. Ich muß hier doch mit aller Energie Verwah⸗ rung dagegen einlegen, daß nun schon selbst eine Regierung, an der Deutschnationale beteiligt sind und deren Handlungen letzten Endes die Unterschrift und die Billigung des Reichspräsidenten von Hindenburg gefunden haben, als eine „sogenannte“ nationale Regierung bezeichnet wird. (Sehr gut! links und in der Mitte.) Ja, meine Damen und Herren, was ist denn da noch national? Herr Voß, sind Sie es und der Pastor Münchmeyer, der täglich das

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