1926 / 70 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 24 Mar 1926 18:00:01 GMT) scan diff

werden doch niemals erwarten, daß Rußland uns militärisch und politisch einen Ersatz dafür gewähren könnte oder wollte, für die u. die wir durch Zurückziehung unseres Eintrittsgesuches zum Völkerbund erleiden. Wie denken Sie sich das Weiterwirken von Locarno, was wird dann aus den besetzten Gebieten? Wir sind durchaus der Auffassung, daß die deutsche Regierung recht daran tut, wenn sie am Prinzip des Eintritts in den Völkerbund fest⸗ hält. Wir wollen auf diesem Wege zu dem Ideal der Völker⸗ verständigung und Völkerversöhnung gelangen. Unser Pazifismus heruht nicht auf dem Glauben, daß wir durch gütliches Zureden und moralische Ansprachen die anderen zur Verständigung bringen. Er beruht auf dem Glauben, daß der Krieg das größte Uebel in der Welt ist, und daß wir alles tun müssen, um den Krieg als Löfung interftationaler Verwicklungen zu beseitigen. (Beifall bei den Sozialdemokraten.)

Präsident Löbe teilt mit, daß von den Deutschnationalen Graf Westarp und Genossen der Antrag eingegangen ist: „Der Reichskanzler und der Reichsaußenminister besitzen nicht

s Vertrauen des Reichstags“. Weiter liegt von den Regierungsparteien der Antrag vor, über den Vertrauens⸗ antrag der Völkischen zur Tagesordnung überzugehen.

Abg, von Tirpitz (D. Nat.); Die Frage, die den Reichstag heute beschäftigt, ist meines persönlichen Erachtens die wichtigste, die unserm Vaterland seit der Zeit unsers Zusammenbru gestellt worden ist. Darf die Politik des derzeitigen Reichskabinetts trotz des Genfer Zusammenbruchs in der beabsichtigten Form fortgeführt werden? Es liegt in der Beantwortung eine Entscheidung für die Zukunft des Deutschtums überhaupt. Deshalb kann ich nur die dringende Bitte an alle Parteien des hohen Hauses richten, einmal den inneren Parteistandpunkt zurückzustellen und nur das große Ge⸗ samtinteresse Deutschlands gelten zu aßen. damit jeder einzelne Ab⸗ nach seiner subjektiven Auffassung stimmt. Nach früheren Vorgängen weiß ich, wie schwer das dem einzelnen durch die parla⸗ mentarische Form gemacht wird, es kann sogar ein erheblicher Mut dazu erforderlich sein. Eine persönliche Entscheidung müßte diesmal dem Parteipolitiker leichter sein, denn sie ist, von Seitenwirkungen abgesechen, eine solche rein außenpolitischer Art. Die Reichsregierung hat im vorigen Jahre den Weg nach Locarno eingeschlagen. Für An⸗ hänger wie Gegner des Völkerbundes haben die in Locarno wie Genf ngewandten Methoden nicht zum Ergebnis geführt. Sie waren meines Erachtens für Deutschland verhängnisvoll. Dabei steht die Auffassung, daß die Regierung in diesem Augenblick Locarno gls solches zurückrebidieren soll, nicht zur Erörterung, es handelt sich lediglich um die Bedingungen des Kommuniqués. Um so mehr muß die Tatsache ohne Rücksicht auf persönliche Empfindung ausgewertet werden, daß wir nach heißer Werbung elf Tage in Genf auf Be⸗ willigung gewartet haben und dann ohne eigene Initiative den Rückzug antreten mußten. Man mag die Dinge wenden wie man will, es bleibt eine Niederlage unserer politischen Methode. Diese Niederlage ist um so tiefgreifender, als es seit dem Herbst 1918 das erste Mal gewesen ist, daß Deutschland mit einer positiven Politik seinerseits hervorgetreten ist. Entgegengesetzte juristische Deduktionen beweisen mir nichts, ebenso nichts der Umstand, daß guch der Völkerbund selbst ein Zerrbild gezeigt hat. Unsere Unter⸗ händler hatten leider in Locarno unterlassen, uns grundsätzlich die Unveränderte Zusammensetzung des Völkerbundsrates bis nach unserm Eintritt zusichern zu lassen und waren wohl auch vor der Reise nach Genf nicht genügend informiert. Wir haben lediglich auf die Eindrücke im sonnigen Locarno hin eim solches Verlangen zuerst auf das bestimmteste gestellt, in Genf dagegen nicht nur tatsächlich nach⸗ gegeben, sondern der französischen Politik durch Annahme der gleich⸗ zeitigen Aufnahme Polens zum Erfolge verholfen. Von dem glatten Siege Frankreichs über uns hat uns nur der letzte unerwartete Vor⸗ stoß Brasiliens gerettet. Angesichts dieser Lage haben wir uns durch das Kommunjqué in gefährlichster Weise mit den Mächten identifi⸗ ziert, deren illoyales Spiel vielleicht nicht in Deutschland, aber sonst in der ganzen Welt klar geworden ist. Wir haben damit die Mit⸗ verankwortung für das Chaos in Genf übernommen und haben uns, wenn nicht juristisch, so doch aufs gefährlichste politisch gebunden. Gehen wir auf dem Weg des Kommuniqués weiter, rücken wir nicht von ihm in ganz unzweideutiger Weise ab, so geraten wir in völlige Abhängigkeit vom Frankreich und seinem Anhang. Wir müssen uns am den Grundsatz halten, nach welchem ein Antrag, der bei einer Tagung nicht zur Entscheidung gekommen ist als gelöscht anzusehen ist, oder im Zweifelsfalle den Antrag auf Aufnahme zurückziehen, wie die deutschnationale Fraktion dies jetzt beantragt hat. Das ist um so dringender, als wir gar nicht übersehen können, was alles in der Welt bis zum September geschehen kann. Es ist ja übechaupt eine falsche politische Taktik, dem Gegner die Trümpfe von vorn⸗ herein in die Hand zu geben. Man spielt nicht mit B peres Karten, wenn man nicht einem zuverlässigen Freunde gegenübersteht. Stellen wir fest, daß unser Antrag zunachst gelöscht ist, so stehen wir bei neuen Verhandlungen, wo wir standen, als wir nach Genf gingen, micht aber an dem Punkt, auf den wir uns in Genf haben herunter⸗ manövrieren lassen. Wir zwingen so ferner die Entente und die Völkerbundsmitglieder bei ihren Vorbereitungen, von denen wir uns unbedingt freizuhalten haben, mit der Möglichkeit zu rechnen, daß wir den Antrag auf Eintritt in den Völkerbund nicht erneuern würden, wenn wiederum illoyal gegen uns verfahren wird. Wix machen zugleich vor der ganzen Welt deutlich, daß das Deutsche Reich die Verantwortung für das Genfer Chaos ablehnt. Diese Stellungnahme ist von der größten pfychologischen Bedeutung, sie würde das Ansehen Deutschlands auf der ganzen Welt mit einem Schlage herstellen. Wir würden außerdem einen Standpunkt ein⸗ nehmen, der dem der Vereinigten Staaten von Nordamerika ent⸗ spricht, das geht aus dem rückhaltlosen Bericht des amerikanischen Botschafters Houghton über die Genfer Tagung und deren Kon⸗ sequenzen hervor. Die Veröffentlichung des Berichts einer so hervor⸗ ragenden Persönlichkeit wie Houghton zeigt, daß der Weg, den Amerika gehen will, auch von uns unterstützt werden kann. Die gewaltige Sirömung, die in England sich für ein kair play einsetzt, würde durch das von mir gekennzeichnete Vorgehen Deutschlands gestärkt werden. Wir haben alle Ursache, in unserer Politik diese beiden wich⸗ tigsten Momente in vorderster Linie zu berücksichtigen. Durch deut⸗ liches Abrücken von dem illovalen Spiel. das in Genf gespielt worden ist, werden wir auch der Verstimmung entgegenwirken können, die wir uns bei sonst wohlwollenden Neutralen dadurch zugezogen haben, daß wir uns unnötigerweise von Frankreich als Karnickel, vor allem gecenüber Svanien und Brasilien, haben gebrauchen lassen. Es liegt auf der Hand, daß der erstrebte politische Erfolg nicht erreicht wird durch Reichstagsreden, welche von der Regierung und für die Regie⸗ rung gehalten worden sind, in denen es unternommen wird, mit allerhand Deutungsversuchen von dem Kommunigué abzurücken. Es kommt darauf an, die Handlungsfreiheit in Wirklichkeit wieder zu erlangen, und es genügt nicht, dem deutschen Volke den Schein hiervon vorzutäuschen. Hierzu bedarf es eines politischen Aktes, welcher der amtlichen Politik des Reiches die verlorengegangene Be⸗ weaungsfreiheit wiedergibt. Reichsvräsident und deutsches Volk müssen von der furchtbaren Verantvortung und der Bindung des Genfer Ergebnisses frei werden um der Zukunft derer willen, die nach uns kommen. (Lebhafter Beifall rechts, heftiges Zischen links.)

Reichskanzler Dr. Luther: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus den Ausführungen des Herrn Abgeordneten von Tirpitz habe ich soeben zwei ganz feste Gesichtspunkte entnommen. Der erste Gesichtspunkt wurde einleitend dahin ausgesprochen, es handle sich nicht darum, Locarno zurückzurevidieren. So habe ich doch richtig verstanden? Der zweite Gesichtspunkt war ausgedrückt durch den Antrag der Deutschnationalen Partei, es möchte das Eintrittsgesuch in den Völkerbund zurückgezogen werden. Es steht also vor mir das Problem, ob auf dem Wege Locarno nicht rückwärts zu revidieren, die Zurückziehung des Eintrittsgesuchs das zulängliche Mittel ist. Ich möchte ganz allgemein folgendes vorweg bemerken. Der Gedanke, Deutschland habe nicht die Freiheit, das Eintritts⸗ gesuch zurückzuziehen, wäre völlig irrig. Deutschland hat die Frei⸗

heit, das Eintrittsgesuch zurückzuziehen. Es ist also lediglich eine verantwortliche Entscheidung der für die deutsche Politik zuständigen Stellen, ob sie das Eintrittsgesuch zurückziehen wollen oder nicht. An dieser Freiheit ist nichts geändert worden durch das Kommuniqué. (Rufe rechts: Doch!) Das Kommuniqué enthält nichts anderes als den Ausdruck des Verfahrens, das in der Tat die beiden deutschen Delegierten für zweckmäßig gehalten haben von dem Gesichtspunkte aus, daß Locarno nicht rückwärts revidiert werden soll. Es handelt sich auch nicht allein darum daß Locarno rückwärts revidiert werden soll, sondern es handelt sich darum, Locarno nach aller Möglichkeit weiterzuentwickeln. (Sehr richtig! in der Mitte und links.)

Man mag über die Wege und Methoden von Locarno ver⸗ schiedener Meinung gewesen sein. Heute ist Locarno durch den Be⸗ schluß der zuständigen deutschen Organe die Grundlage unserer Politik geworden. Und, meine Damen und Herren, so deutlich ich es aus⸗ spreche, daß wir von den Dingen, die wir auf Grund der Abmachungen von Locarno nicht juristisch, juristisch sind sie noch nicht in Wirk⸗ samkeit, aber politisch mit Recht beanspruchen können, noch vielerlei vermissen (sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei), so muß ich auf der anderen Seite doch auch aussprechen, daß niemand behaupten kann, Locarno sei wirkungsles geblieben. (Lebhafte Zu⸗ stimmung in der Mitte und links.)

Wir sehen umgekehrt seit dem Abschluß von Locarno Vorgänge im Rheingebiet, die sich ohne den Abschluß von Locarno mit aller Bestimmtheit nicht vollzogen haben würden. (Erneute Zustimmung in der Mitte.) Ich glaube wirklich, daß dieser Satz völlig unbestreit⸗ bar ist.

Und nun fragt es sich, wie hatten wir auch in Genf zweckmäßig zu verfahren, um Locarno weiterzuentwickeln. Der Herr Abgeordnete von Tirpitz hat gesagt, wir hätten elf Tage in Genf gewartet und dann einen Rückzug ohne eigene Initiative angetreten. (Sehr richtig! bei den Deutschnationalen und bei den Völkischen.) Nein, meine Damen und Herren, ich bekenne mich hiermit dazu, daß das Kommuni⸗ gué in seinen Grundgedanken unserer deutschen Initiative ent⸗ sprungen ist. (Hört, hört! rechts. Beifall in der Mitte und links.) Denn die Fragestellung, in der ich gar nicht grundsätzlich vom Herrn Abgeordneten von Tirpitz abweiche, war ja die: Wie bringe ich es zustande, die Weiterwirkungen von Locarno trotz der Vor⸗ gänge in Genf aufrechtzuerhalten? Das war die einfache politische Aufgabe der deutschen Delegierten, und ihre Lösung ist in die Form dieses Kommuniqués gekleidet worden. In dem Kommuniqué ist mit keinem Wort die Rede davon, wie wir uns zukünftig für den Eintritt in den Völkerbund schlechthin binden. Daß wir selbst⸗ verständlich nicht den Plan des Eintritts in den Völkerbund auf⸗ geben und in demselben Augenblick die Locarno⸗Politik fortsetzen können, das ist doch einfach eine Folge des logischen Aufbaus des Locarno⸗Abkommens. (Sehr richtig! in der Mitte und bei den Sozialdemokraten.) Wir können die politischen Wirkungen des Locarno⸗Abkommens für uns doch nur dann in Anspruch nehmen, wenn wir grundsätzlich die Absicht haben, es juristisch in Wirksam⸗ keit zu setzen. Infolgedessen ergab sich daraus, daß die deutschen Unterhändler, die Locarno fortwirken lassen wollten, sich auch zu ihrem Wunsch bekennen mußten, daß Locarno eines Tages juristisch in Wirksamkeit tritt. Und zu diesem Zweck muß eben unser Eintritts⸗ gesuch in den Völkerbund aufrechterhalten werden.

Meine Damen und Herren, das ist das, was der Herr Ab⸗ geordnete von Tirpitz zur Sache ausgeführt hat. Nun ist bemerkt worden, unsere politischen Methoden seien unrichtig gewesen. Dazu will ich bemerken, daß die große Linie der deutschen Außenpolitik, wie sie seit dem Zusammenbruch des Ruhrkampfes verfolgt worden ist, doch wirklich nicht ohne Erfolge gewesen ist. (Sehr richtig! in der Mitte und bei den Sozialdemokraten.) Wenn jemand von einem fremden Planeten hierher käme und solche Darstellungen hörte, wie sie hier manchmal gehört werden, dann müßte er glauben, däß wir in den letzten Jahren unsere außenpolitische Lage von Monat zu Monat verschlechtert hätten. Man muß also wirklich die Tatsachen als solche immer wieder ins Gedächtnis zurückrufen und zeigen, wie es am Ausgang des Ruhrkampfes aussah, am Ausgang dieses furcht⸗ baren und unberechtigten Einbruchs der Franzosen und Belgier in unser Gebiet. Ist die Ruhr heute noch besetzt? Sind die Sanktions⸗ städte heute noch besetzt? Ist die Kölner Zone heute noch besetzt? (Zurufe von den Deutschnationalen.) Ja, meine Herren, Sie können durch alle Zwischenrufe nicht die Tatsache aus der Welt schaffen, daß hier zwei nebeneinanderliegende Mächtegruppen vor⸗ handen sind, von denen die eine infolge ihrer unglückseligen Lage nun einmal waffenlos ist, und von der die andere bis an die Zähne be⸗ waffnet ist, daß es aber trotzdem der Politik gelungen ist, in dem Maße, wie es bisher geschehen ist, die Bewaffneten aus den deutschen Landen hinauszudrängen und gewisse Veränderungen im Besatzungs⸗ regime hervorzurufen. Das ist doch der geschichtliche Tatbestand. (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und bei den Sozialdemokraten.) Nun handelt es sich darum, daß wir weiter wollen, und zwar alle zu⸗ sammen. Aber zeigen Sie (nach rechts) doch einen anderen Weg! (Sehr gut! in der Mitte und bei den Sozialdemokraten.) Sie haben es bisher nicht getan. Nur einen Vorschlag haben Sie ge⸗ macht: die Zurücknahme des Eintrittsgesuchs in den Völkerbund. Was würde eine solche Maßnahme bedeuten? Sie bedeutet das grundsätzliche Bekenntnis der deutschen Politik gegen Locarno. Sie bedeutet, daß wir überhaupt nicht dahin streben wollen, Locarno juristisch in Wirksamkeit zu setzen. Wenn wir das nicht wollen, dann werden wir auch das politische Ziel niemals erreichen können.

Meine Damen und Heren! Auch die Ausführungen, die Herr Graf Westarp gemacht hat, bezogen sich zu einem nicht unerheblichen Teil auf Locarno. Wir müssen, wie jetzt ja zu meiner Freude an⸗ erkannt ist, Locarno als Gesamtgrundlage unserer Politik nehmen. (Widerspruch bei den Deutschnationalen.) Das hat der Herr Abgeordnete von Tirpitz gesagt. (Lebhafte Zustimmung links und in der Mitte.) Das ist das, was der Herr Abgeordnete von Tirpitz mit Recht ausgesprochen hatte. Wir wollen und sollen in der Außenpolitik eine gemeinschaftliche Linie finden, um auf dieser gemeinschaftlichen Linie mit aller Kraft zu arbeiten. Ja, ich habe es in Genf erfahren, was es bedeutet hat, als und solange die ge⸗ samte deutsche Presse einhellig hinter uns gestanden hat. Die Ein⸗ helligkeit der deutschen Presse hat uns, solange sie bestand, ganz außerordentlich gestärkt und geholfen. Aber wir können zu einer einheitlichen Linie nicht kommen, wenn es keine abgeschlossenen Tatbestände gibt. Locarno muß für uns als Gesamtlinie der Politik ein abgeschlossener Tatbestand sein. Dann werden wir auf dieser Grundlage auch alle Kräfte, die auf die Weiterentwicklung

können. Selbstverständlich ist es nur richtig, wenn aus dem Deutschen Reichstag immer wieder, und zwar nicht nur von einer Partei, sondern von allen Parteien mit besonderem Nachdruck die Forderung nach den berechtigten Veränderungen erhoben wird; dieser Hinweis darauf, daß die Fortdauer der Besetzung der zweiten und drssten Zone mit dem ganzen Grundgedanken der Abmachungen von Locarno nicht in Einklang zu bringen ist (sehr richtig!), daß es sich hier einfach um eine wirkliche Ausfolgerung aus dem handelt, was in Locarno politisch abgemacht, allerdings juristisch noch nicht fertig ist. Es ist nur gut, wenn das ausgesprochen wird, es ist gut, wenn das der Regierung auf ihrem Wege immer wieder ent⸗ gegengerufen wird. Keine Regierung wird das als eine Schwächung ihrer Position ansehen, sondern umgekehrt als eine Stärkung. Aber, meine Damen und Herren, wie ist unsere Stellung draußen in der Welt? Nach den Ausführungen, die ich soeben

gehört habe, müßte man den Eindruck gewinnen, als wenn die

Meinung in der Welt draußen gegen Deutschland stände. Wo ist denn das der Fall? Die Meinung in der Welt draußen, von ge⸗ wissen besonders liegenden Fällen abgesehen, die Meinung be⸗

sonders auch in Amerika läßt gar keinen Zweifel darüber, daß

gerade die Art, in der die Verhandlungen in Genf gefügrt und zum Abschluß gebracht worden sind, in der Welt vom deutschen Standpunkt aus als richtig anerkannt wird. Wo lesen Sie draußen

in der Welt Vorwürfe gegen Deutschland wegen seines Verhaltens in Locarno? Davon hört man in Deutschland erst. Draußen hat

man mit aller Deutlichkeit gesagt: Der Völkerbund hat einen schweren Nachteil erlitten. Gar kein Zweifel. Draußen hat man mit allem Nachdruck ausgesprochen, was unterstrichen werden muß, daß die ganze Schwierigkeit sehr stark mit dadurch in Bewegung gesetzt worden ist, daß etwa Absprachen oder halbe Absprachen, die in oder nach Locarno stattgefunden haben, uns nicht, wie es hätte sein müssen, wie wir es beanspruchen durften, offen mitgeteilt worden sind. Die ganze Welt ist voll mit diesen Nachrichten. Was meinen Sie, wie die Stimmung der Welt sein würde, wenn wir mit einem Male erklärten: darauf kommt es für uns nicht an, wir ziehen jetzt eine ganz andere Folgerung, wir ziehen das Ein⸗ trittsgesuch in den Völkerbund zurücke! Dann würde es nicht mehr heißen: Deutschland hat bis zum letzten um das sachliche Ziel von Locarno im Rahmen der deutschen Interessen gekämpft, sondern dann würde es heißen: die deutsche Politik schwingt um. Dann würde man die deutsche Politik nicht mehr als die Politik der fried⸗ lichen Verständigung in der Welt ansehen, wie wir das von unserer politischen Lage aus einfach brauchen, sondern man würde dann sagen: jetzt tritt Deutschland wieder auf und mischt sich in einer Weise in die Dinge ein, die geeignet ist, das, was aufgebaut war, wieder umzuwerfen. Nein, meine Damen und Herren! Es gibt nur einen geraden Weg.

Und nun gestatten Sie mir noch eine Bemerkung etwas per⸗ sönlichen Charakters. Ich habe die Ehre gehabt, in diesem Hause in den verschiedensten Regierungen zu arbeiten. Insbesondere habe ich auch die Ehre gehabt, eine Regierung zu führen, der die Dentsch⸗ nationale Volkspartei angehört hat. Ich habe niemals, wie Sie wissen, irgendeine bestimmte politische Stellung eingenommen. (Lebhafte Zustimmung bei den Kommunisten und den Völkischen. Stürmische Heiterkeit im ganzen Hause.) Ja, meine Damen und Herren, und wenn das ganze Haus lacht, zu dieser Stellung⸗ nahme bekenne ich mich mit allem Nachdruck. Neben den Gesichts⸗ punkten der einzelnen politischen Parteien gibt es das Einhalten einer einfachen, geraden vaterländischen Richtung, und das Ein⸗ halten dieser einfachen, geraden vaterländischen Richtung ist mein Programm. Dabei habe ich bei der ersten Rede, die ich als Reichs⸗ kanzler hier zu halten die Ehre hatte, Gewicht darauf gelegt, zu sagen, daß die Mitarbeit eines jeden, der sich auf den staats⸗ erhaltenden Standpunkt stellt, der Regierung willkommen sein muß, daß die Opposition als technische Einrichtung notwendig ist, aber nicht in der Weise notwendig ist, daß darin Grenzen durch das deutsche Volk hindurch gezogen werden. (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien. Abgeordneter Stöhr: Gehen Sie doch ins Sanatorium!) Gerade in dieser Stunde, wo gegen meine Person, nicht von mir, aber durch das persönlich eingebrachte Mißtrauens⸗ votum von denen, mit denen zusammen ich in vollem Vertrauen gearbeitet habe, diese Grenze gezogen wird, bekenne ich mich ernent nach allen Seiten des Hauses zu dem Standpunkte, daß es für mich nur die eine Linie geraden vaterländischen Arbeitens gibt. Ob ich in der Lage bin, diese Arbeit in diesem Sinne weiterzuführen, darüber entscheiden die zuständigen Instanzen. (Lebhafter Beifall ber den Regierungsparteien.) .

(Abg. Stöhr ([Völk.] ruft: Gehen Sie in ein Sanatorium! Er wird dafür vom Präsidenten Löbe zur Ordnung gerufen.)

Abg. Müller⸗Franken (Sege. Graf Westarp hat gestern angekündigt, daß noch ein Redner seiner Partei das Wort nehmen würde. Nun haben wir heute Herrn von Tirpitz als „letzten Mann der Deutschnationalen gehört. Ausgerechnet er ermahnte uns, eini zu sein und innere Parterkämpfe zu meiden. Wenn er das ernstli 8 meinte, hätte er eigentlich zu der Rede des Reichskanzlers Bravo! rufen müssen. Nun erinnere ich ihn aber daran, wie er 1918, in der schwersten Zeit des Vaterlandes, mit der Gründung der „Vaterlands⸗ partei“ dem Vaterland geschadet hat, eben durch Parteizerklüftung. (Sehr wahe! links.) Es kann keine Rede davon sein, daß Deutsch⸗ lands Gesuch auf Eintritt in den Völkerbund zurückgezogen werden kann. Was eee; damit erreicht werden? Im Gegenteil, hier ist die beste Gelegenheit für die deutsche Diplomatie, mit offenen Karten zu spielen. Fürst Bismarck hat nur Frankreich und Ruß⸗ land immer enger zusammenkommen sehen; aber Tirpitz hat 88 fertig⸗ gebracht, auch England noch dazu zu. bringen. Es heißt Bismarck beleidigen, wenn man seine Politik in Verbindung bringt mit der Politik der heutigen Deutschnationalen. Man spricht davon, daß die deutschen Delegierten in Genf mit dem Hut in der Hand gewartet hätten. Ja, häͤtten sie sich etwa einen Kürassierhelm aufsetzen sollen. Die Rede des Grafen Westarp sollte nur die wahre innere Haltung der Deutschnationalen verdecken. Hat doch Herr von Freytagh⸗Loring⸗ hobven erst dieser Tage in einer Versammlung der völkischen Ab⸗ teilung der Partei erklärt, Deutschland werde sich seine Kolon en 8 wieder holen, wenn es erst die Kraft dazu hätte. Wir. ver⸗

angen die Universalität des Völkerbundes, wir verlangen eine Völker⸗ bundspolitik, die nicht im Gegensatz zu einer deutsch⸗russischen Ver⸗ ständigung steht. Gewiß haben die Ereignisse von Genf den Bölker⸗ bund in Amerika nicht populär gemacht. So lange die jetzige Außen⸗ politik fortgesetzt wird, wird die Sozialdemokratie die Regierung unterstützen. (Beifall bei den Sozialdemokraten.) 8 Abg. Freiherr von Rheinbaben (D. Vp.): Der Abg, Breit⸗ scheid hat sich bezüglich des künftigen Verhältnisses zu Polen mit meinen gestrigen Ausführungen beschäftigt. Gerade dieses Prablen⸗ wird in den Vordergrund der auswärtigen Politik treten, und ich will deshalb meine Bemerkungen von gestern nochmals vorlesen, damit Herr Dr. Breitscheid sich überzeugt, daß ich nicht gesagt habe, was er mir unterstellt hat. Ich habe nach dem unkorrigierten Steno⸗ gramm gestern gesagt: „Wenn wir uns überlegen, welche Probleme

drängen, in ihrer verschiedenartigen Einstellung ausnutzen

wohl gerade in der nächsten Zeit

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Landesverräters nennen.

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147. Sitzung vom 23. März 1926, mittags 12 Uhr. [Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger“)

Ein sozialdemokratischer Antrag, der ver⸗ langt, daß die Gebührensätze des preußischen Gerichtskosten⸗ gesetzes, der Gebührenordnung für Notare, Rechtsanwälte und Gerichtsvollzieher durch Gesetzesvorlage baldigst auf die Vor⸗ kriegshöhe herabgesetzt werden, geht ohne Besprechung an den Hauptausschuß.

Dann setzt das Haus die zweite Beratung des Haus⸗ halts des Staatsministeriums und des Ministerpräsidenten fort.

Abg. Müller⸗Franken (Wirtschaftl. Vereinig.) nimmt im Gegensatz zu dem gestern im Reichstage scharf zum Ausdruck öö Standpunkt für die Bundesstaaten in Anspruch, sich

ei wichtigen auswärtigen Angelegenheiten mit der gebotenen Zurückhaltung äußern zu dürfen. (Sehr wahr! rechts.) Es ginge doch nicht an, den Bundesstaaten das Recht dieser Stellungnahme etwa abzusprechen. Im übrigen sei trotz der bevorstehenden Feier im Rheinland der Preußische Landtag bei Behandlung dieser wichtigen Frage immer noch stärker besucht gewesen als der Reichstag bei dieser Debatte. Der Redner spricht seine Auf⸗ fassung dahin aus, daß ihn und seine Freunde eine scharfe Au von denen trenne, die nicht begriffen, welche Aufgabe die heutigen Zeiten uns auferlegten, die immer noch mit Kanonen schössen, die wir leider nicht hätten. Die Wirtschaftliche Vereinigung erstrebe die Völkerversöhnung, den Völkerfrieden und den Völker⸗ aufbau. Aber der Geist von Locarno könne erst dann glaubhaft werden, wenn man ihn ebenso sieht und fühlt, wie man leider seinen Gegensatz durch die praktischen Erfahrungen kennenlernte. Gewisse Teile des Landtags wollten zwar ein solches Entgegen⸗ kommen schon sehen. Aber seien wir denn schon so weit herunter⸗ gekommen, daß man uns gegenüber nicht einmal seine Rechts⸗ verpflichtungen zu halten brauche? (Lebhaftes Sehr richtig! rechts.) Der Redner verlangt zum Schluß, daß die Vertreter der deutschen Außenpolitik ein hartes Rückgrat zeigten.

Abg. Wulle (Völk.), mit lebhaften Zurufen wie „Feme⸗ mörder“ usw. von den Kommunisten bedacht, verweist darauf, daß Dr. Stresemann in seiner Reichstagsrede dem Bedauern darüber Ausdruck gegeben habe, daß das größte Parlament der Einzel⸗ länder in eine Beratung der Vorgänge von Genf eingetreten sei, ohne überhaupt eine Darlegung der Regierung abzuwarten. Der Versammlungsbericht vermerke an dieser Stelle starken Beifall der Linken. Dieselbe Linke habe aber in Preußen durch die Vor⸗ wegnahme des Haushalts für das Staatsministerium diese Debatte erzwungen. Man könne sich also des Verdachts nicht erwehren, daß man eine möglichst ausführliche Aussprache in Preu gen verhindern wollte. Die Völkischen ständen auf dem Standpunkt des Fürsten Bismarck, der in seiner Rede vom 25. März 1895 erklärt hat, er freue sich, wenn die Reichspolitik in den Landtagen kritisiert werde. Die Bemerkung des Herrn Außenministers weisen die Völkischen auf das entschiedenste zurück. Da der preußische Ministerpräsident die stärkste Stütze der Dawes⸗ und Locarnopolitik gewesen sei, sei auch der Zu⸗ sammenbruch von Genf ein SH der Politik des preußischen Ministerpräsidenten. In Locarno hätte Deut chland allerhand befriedigende Garantien gegeben, die Antwort sei die Ohrfeige von Genf. Die Völkischen fordern daher: Zurückziehung des Antrags auf Aufnahme in den Völkerbund Schaffung eines Bundes der unterdrückten Völker. Würde dieser Weg nicht ge⸗ gangen, so verwandelten wir endgültig das alte stolze Bismarck⸗ 88 eine Börsenkolonie. (Beifall bei den Völkischen, Gelächter inks.

Abg. Baczewski (Pole) spricht Deutschland das Recht ab, für die deutschen Minderheiten im Weastschte ehe Deutschland nicht die Minderheitsfrage im eigenen Lande geregelt habe. (Zurufe rechts.) Allerdings sei Dänemark gegenüber ein Versuch gemacht. Es sei aber zu wünschen, daß die Minderheits⸗ acs eeeis vom Reiche geregelt werden. Bis dahin erkläre seine Fraktion Deutschland noch als unreif für den Völkerbund. (Große Heiterkeit.) Es sei zuzugeben, daß man in Deutschland über die Minderheitsrechte anders denke als noch vor zwei Jahren, nachdem ein italienischer Ministerpräsident der Welt die Augen geöffnet habe über die wahre Lage der Minderheiten. Die polnischen Minderheiten in Deutschsand wollen jedenfalls nichts weiter, als was die deutschen Minderheiten in Polen längst hätten. (Schallende Heiterkeit.) Zu wünschen sei insbesondere, daß die polnischen Organisationen zur Vertretung der Minder⸗ heiten in Deutschland anerkannt würden. Auch wirtschaftlich müßten die Minderheiten gleichgestellt werden; sie müßten dieselben Kredite erhalten. Die Polen wünschten keine Selbstverwaltung, wohl aber eine Mitverwaltung.

Abg. Dr. Hamburger (Soz.) wiederholt die Erklärung seiner Freunde, daß an der bisherigen auswärtigen Politik fest⸗ beFesies sei. Herr Wulle habe von einem Gaunertrick der Deutschland gegenüber verübt sei. Er solle doch an die Frankenfälscher denken. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Die Doppelkonstruktion zwischen Reich und Ländern müsse den Ländern große Reserve auferlegen. Wohin solle es führen, wenn Preußen die Reichsaußenpolitik zu durchkreuzen versuche, wie es Bayern verschiedentlich getan habe. Der Abg. Dr. Winckler (D. Nat.) habe die wünschenswerte Mäßigung vermissen lassen, als er davon sprach, daß die deutschen Unterhändler mit dem Hute in der Hand in Genf vor der Tür gewartet hätten. Auch das Resümé Dr. Wincklers über die politischen Folgen von Locarno und Genf sei verfehlt gewesen. „Italien unser Feind!“ Das sei nicht richtig. Nicht das italienische Volk, sondern die fasecistische Regierung mit Mussolini sei unser Feind. „Spanien verstimmt!“ Geschah das nicht auf Grund der Kündigung des spanischen Handels⸗ vertrages, die auf Betreiben der Deutschnationalen geschah? Und die Worte über die Wirkung Rußland gegenüber? Herr Dr. Winckler hätte dac diese Ausführungen den Kommunisten überlassen sollen. Jedenfalls, positive Vorschläge habe Dr. Winckler nicht gemacht. Der Redner kritisiert das Verhalten des Vor⸗ sitzenden der schlesischen Landwirtschaftskammer, der ständig Stellung nehme gegen die Politik der Preußischen Staatsregierung. Auch die ostpreußische Landwirtschaftskammer habe in Broschüren Zitate gebracht, wonach man die Angliederung Ostpreußens an Polen unter bestimmten Voraussetzungen fördern müsse. Ost⸗ preußen sei für Polen der Pfahl, der beseitigt werden müsse. Solche Aeußerungen könnte man doch nur, um mit Herrn Leidig zu reden, e eines Idioten oder eines , Was die Kriegsschuldfrage ange 9 sei von den Sozialdemokraten nichts esis v5

2) Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgebobenen Reden

der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind.

zanzeiger um Preußischen Sta

Berlin, Mittwoch, den 24. März

tsanzeiger 1926

wie die Mitverantwortlichkeit der deutschen Regierung am Kriegs⸗ ausbruch! (Zurufe des Abg. Baecker (D. Nat.): Nichts falscher als das!) Die große Demagogie der Deutschnationalen gegen Genf scheine nur den gewaltigen Eindruck verwischen zu sollen. den der Erfolg des Volksbegehrens in der Fürstenabfindung hervor⸗ gerufen habe. Der Redner zitiert einen Artikel der „Deutschen Zeitung“, der die Wahl Hindenburgs als Enttäuschung bezeichnet 8 Dem sei so wenig Wert beizulegen wie der des bayerischen Ministerpräsidenten Held als Diktator durch die „Ber⸗ liner Börsenzeitung“ In dem Notprogramm der Deutsch⸗ nationalen sei nur ein Kampf für Steuererleichterung zu ent⸗ decken gegen Steuern, die von den Rechtsparteien gemacht seien. Nichts ser darin zu finden von der Preispolitik der Kartelle und der Schädlichkeit der hohen Zölle! Abbau der Parlamente ver⸗ langen die Deutschnationalen Den Staatsrat könnten wir sofort beseitigen! Die Mitgliederzahl beim Reichswirtschaftsrat könne sofort heruntergesetzt werden! Eine wirkliche Sparsamkeit könnten wir jedoch nur erzielen, wenn wir zum Einheitsstaat kommen würden. In der Siedlung wünschen auch wir, daß neben den preußischen Behörden nicht noch besondere Reichsverwaltungsstellen errichtet werden. Wir wünschen ferner, daß die Teilnahme an der Versassunge seier den Beamten zur dienstlichen Pflicht gemacht werde; das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Unerhört sei der Fall des Amtsgerichtsrats Müller in Löwenberg, der zur Ver⸗ fassungsfeien in einem nicht sehr angemessenen Anzug und angetan mit den Abzeichen des Jungdeutschen Ordens erschienen sei! Be⸗ Feichen⸗ sei, daß der Oberstaatsanwalt und der Landgerichts⸗ pra ident in Brieg sich die weitere Zustellung der demokratischen Breslauer Zeitung an ihre Behörde verbeten hätten wegen der Ausführungen, die sie gebracht hatte zu der Rede des Minister⸗ präsidenten Braun in Hamburg über die Handhabung der Rechts⸗ Der Redner weist zum Schluß die Angriffe des polnischen Redners wegen angeblicher Vergewaltigung der Minderheiten in Deutschland zurück. Er solle doch an die brutale Behandlung der deutschen Minderheiten in Ostoberschlesien denken.

Abg. Baecker⸗Berlin (D. Nat.) polemisiert zunächst gegen den Vorredner. Soweit es sich um Willensschuld handele, seien die Ententestaaten allein schuldig am Weltkriege. (Sehr wahr! rechts.) Es sei vaterlandsschädlich, wenn man erkläre, daß Deutschland eine Mitschuld trage. (Sehr richtig! rechts.) Zu den Einverleibungsabsichten Preußens erklärt der Redner, daß seine Fraktion im Gegensatz zu dem Ministerpräsidenten nicht wünsche, daß dadurch die nr z9 G Grundlage des Reiches gefährdet werde. Er verlangt, daß der Ministerpräsident sich über die Fühoune der preußischen Stimmen im Reichsrat äußere. Den Standpunkt des Ministerpräsidenten, daß sich Preußen nicht durch das Reich die Siedlungsangelegenheiten aus der Hand nehmen sacsen dürfe, teile die deutschnationale Fraktion. Weiter wendet sich der ebner gegen den vom Staate vorgenommenen Ankauf der Druckerei der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“. Die Begrün⸗ dung, daß diese Druckerei vor dem Zusammenbruch gestanden habe und man sie habe retten wollen, weil in ihr der „Preußische Staats⸗ anzeiger“ gedruckt werde, sei nicht stichhaltig, denn es handle sich da um ein blühendes Unternehmen. Uebrigens gingen Gerüchte darüber um, daß man neuerdings an große Industriekonzerne wegen des Erwerbs der „Deutschen Allgemeinen heran⸗ getreten sei. Der Redner bittet um eine Aeußerung des Minister⸗ räsidenten über diese Angelegenheit und wendet sich dann den Reden des Ministerpräsidenten auf Reichsbannerkundgebungen zu, in denen Aeußerungen über die Justiz getan worden seien. Der Wortlaut dieser Reden würde als ein eege. Angriff von 99 Prozent aller Richter empfunden. (Widerspruch links.) Die Deutschnationalen seien durchaus der Meinung, daß bei den Fememorden nichts zu verheimlichen wäre und nichts verheimlicht werden dürfe. Aber der Leiter des Staates dürfe nicht eine der Säulen der Autorität des Staates, die Unantastbarkeit der Richter, bezweifeln. Was die Erklärung des Ministers Marx angehe, er werde keine Strafanträge mehr stellen, so lange man daran erinnern, daß auch Bismarck keine Strafanträge gestellt hätte. Ein offensichtlich politisch verhandelndes Gericht sei der von der Republik eingesetzte Staatsgerichtshof. Die Dentschnationalen bedauerten jedenfalls außerordentlich, daß der Ministerpräsident Braun vor einer einseitig eingestellten Organisation sich einseitig über die Richter äußerte und sich dadurch in Widerspruch zu einem großen Teile des preußischen Volkes setzte. Zur Außenpolitik übergehend, führt der Redner u. a. aus: Trotz aller Verhand⸗ lungen von Locarno wäre die Kölner Zone heute noch nicht frei, wenn wir nicht so ungeheure Konzessionen auf dem Gebiete der militärischen Fragen gemacht hätten. (Sehr wahr! rechts.) In Locacrno hätten wir einen großen politischen Ausverkauf gemacht. Für die zweite und dritte Zone und für das Saargebiet bleibe uns nichts mehr übrig zum Eintauschen. Was dann? Deutschland müsse, wie dies mit dem Vertrage von Rapollo versucht sei, heute eine Politik der freien Hand treiben. Dr. Stresemann und Luther hätten sich aber in ihrer Politik der Illusionen auf ihr Vertrauen zu Briand und Chamberlain verlassen. Dabei hätten Briand und LE“ als sie die „Liebesbecher“ mit Deutsch⸗ land leerten, hinter unserem Rücken an Polen usw. gegeben. Es wäre Sache des größten Landes, Preußen, eine Aenderung dieser Reichsaußenpolitik herbeizuführen. Da das gegenwärtige preußische Kabinett diese Aenderung nicht durch⸗ führen werde, sprächen die Deutschnationalen ihre schärfste Opposition und ihr Mißtrauen aus. (Lebhafter Beifall bei den Deutsch⸗ nationalen, Zischen links.)

Ministerpräsident Braun nimmt hierauf das Wort. Seine Rede wird nach Eingang des Stenogramms veröffent⸗ licht werden.

Abg. Grebe (Zentr.) polemisiert gegen die ablehnende Halt⸗ tung der Deutschnationalen in der Reichsaußenpolitik und betont die Notwendigkeit für Deutschland, an der Locarnopolitik fest⸗ zuhalten. In der echtspflege seien Fälle vorgekommen, die die Kritik des Ministerpräsidenten in Hamburg erklärlich machten; hedauerlich sei nur, daß solche Fälle überhaupt vorkämen, die die Kritik herausforderten. Besonders befremdlich sei der Ausschluß der Oeffentlichkeit im Fememordprozeß. Das Reichsbanner sei lediglich eine Gegengewicht gegen die rechtsgerichteten Verbände. Am besten sei es, wenn alle diese Organisationen verschwänden und alle mitarbeiteten auf dem Boder der bestehenden Staats⸗ form. Der Streit über die Art der Staatsform sei heute am wenigsten angebracht; wir hätten wirklich andere Sorgen. Früher sei es eine Selbstverständlichkeit für die Beamten gewesen an offi⸗ ellen staatlichen Veranstaltungen teilzunehmen. So müsse es auch eute sein hinsichtlich er Teilnahme an der Verfassungsfeier. In der Frage der Minderheitsregelung sei zu verlangen, daß den

eutschen im Auslande ihr Recht werde. Seine Partei habe keinen Anlaß, die Haltung der Preußischen Regierung in dieser Frage zu tadeln.

Abg. Dr. Wiemer (D. Pp.) erklärt sein Einverständnis mit der Haltung des Ministerpräsidenten zur äußeren Politik, nicht aber auf dem Gebiet der inneren Politik. Die Regierungs⸗ volitik, deren Stetigkeit die Demokraten lobten, sei alles andere als stetig. Die Regierung habe ihre Anschauung oft nicht durch⸗ gesetzt, die Regierungsparteien seien auseinandergefollen und haben zu Notverordnungen greifen müssen, die Zusammensetzung entspreche nicht dem Wabhlergebnis Seine Freunde hätten darum

keine Veranlassung, ihr Vertrauen auszusprechen. Sie müßten viel⸗ 1“ 1 Sie müßten viel⸗

mehr scharfe Vorwürfe gegen seine Hamburger Rede erheben. Weder die Antwort des Ministerpräsidenten auf die Kleine Anfrage, noch im Hauprtausschuß, noch weniger das, was er seß esagt habe könne befriedigen. Nach dem Wortlaui habe der misterbräsivenn sogar den Organen der Rechtspflege die Absicht unterstellt, sich chützend vor die Feinde der Republik zu stellen. Die Gründe es Gerichts zum Ausschluß der Oeffentlichkeit könnten sehr wohl darin ihren Grund haben, daß die Regierung selbst dem Gericht gegenüber eine Vertagung als erwünscht bezeichnet. (Hört, hört! bei der Deutschen Volkspartei.) Jedenfalls sei der Beschluß des Gerichts zu respektieren. Der Ministerpräsident habe mit seinen Aeußerungen der Unabhängigkeit der Gerichte eine schwere Wunde geschlagen. (Lebhafte Zustimmung rechts.) Redner bespricht sfodann ie Frage der Vertretung Preußens in anderen deutschen Ländern; die Vertretung in den Lanfestapten müsse errichtet werden. Au keinen Fall dürfe der Landtag in der Groß⸗Hamburger Frage vor eine vollendete Tatsache gestellt werden. Er freue sich des Wortes des Ministerpräsidenten, daß der Weg zum Einheitsstaat über Preußen gehe. Auch das Wort des Ministerpräsidenten über die unzureichenden Bestimmungen der Reichsverfassung, wegen der Zersplitterung der Stimmabgabe Preußens im Reichsrat sei als erfreulich zu buchen. Redner lehnt den demokratischen Antrag auf Teilnahme an der Verfassungsfeier als Dienstpflicht ab. Er wünsche keine Gesinnungsschnüffelei. Nicht auf Aeußerlichkeiten komme es an, sondern darauf, daß Preußen als der größte Bundesstaat seine überaus wichtigen Aufgaben erfüllen könne. Der Minister des Auswärtigen habe nicht im Reichstag dem Preußischen Landtag das Recht, sich über auswärtige Politik aus⸗ usprechen, verkümmern wollen, er habe nur bedauert, daß der andtag sich geäußert habe, ohne überhaupt die Darlegungen des Reichsministers abzuwarten. Auch seine Freunde hätten gegen ein *2 Verhalten Widerspruch 8 Die auswärtige Politik ürfe nicht in den Hader der Parteien hineingezogen werden. Seine Freunde billigten die Haltung der deutschen Delegation in Genf, auch sie seien für eine Politik des Friedens und der Verständi⸗ gung, aber eines Friedens in Ehren und einer Verständigung au der Grundlage der Gleichberechtigung. Es komme nicht darau an, daß Parteien recht behielten, sondern daß Deutschland nu seinem Recht komme. (Lebhaftes Sehr richtig! bei der Volks⸗ partei.) Die Schuld an dem Ergebnis treffe nicht die deutschen Vertreter und es sei wenigstens das eine erreicht, daß die Schuld an dem Scheitern in Genf auch nicht Deutschland aufgebürdet werden könne. Bismarck habe einmal gesagt, er sei schon zu⸗ frieden gewesen, als er seinem Ziel drei Schritt näher gekommen wäre; auch wir kämen nur Schritt für Schritt vorwärts. Eine Wendung vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet sei eingetreten. Langsam fange auch eine Besserung an bemerkbar zu werden in der Krisis, die wir durchmachten. Die Ausfuhr wachse, se sei aktiv geworden. Ohne Locarno auch keine Befreiung Kölns! Man 5 e, die Räumung wäre schon früher fällig gewesen, das stimme. ber sie wäre auch fällig geblieben, wenn Locarno nicht gekommen wäre. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei.) Der Redner wendet sich zum Schluß gegen den polnischen Abgeordneten Baczewski. Seine Behauptung, daß die deusche Minderheit in 1gg. gerecht behandelt werde, schlage der Wahrheit glatt ins Gesicht. (Lebhafte Zustimmung.) Wir seien von ungerechtfertigter Vertrauensseligkeit frei und wollten nur eine gesunde nationale Realpolitik. Darin begegneten wir uns mit dem RNeichs⸗ und teilten seinen in Köln ausgesprochenemk Wunsch, bdaß ein neuer Geist das deutsche Volk emportragen möge zur Einigkeit.

Abgeordneter Grube (Komm.) widerspricht der Auffassung, daß sich nach den Dawes⸗Gesetzen und den Locarno⸗Abmachungen die wirtschaftliche Lage gebessert habe. Das Anwachsen der Erwerbslosenzahl ehe das Gegenteil. Herr Wiemer solle nur in den Lustgarten gehen und sich die Demonstrationen der Erwerbs⸗ losen ansehen. Am Rhein habe der Arbeiter nicht gemeinsam mit dem Reichsbanner demonstriert, sondern sei nebenher gezogen und habe seinem Mißmut Ausdruck gegeben über das Einvernehmen des E Ministerpräsidenten Braun mit Hindenburg. Abgeordneter Falk (Dem.): Die Kommunisten haben eben einen Mißtrauensantrag gegen den Ministerpräsidenten vorgelegt, der aber so vorsichtig ist, daß es den Deutschnationalen kaum möglich sein wird, dafür sn stimmen (Heiterkeit). Was in Genf ist, widerspricht dem Geist von Locarno, und wir betrachten das alz schweres Unrecht gegen Deutschland. (Sehr richtig; bei den Demokraten.) Aber deshalb ist die Srese nicht richtig, daß wir nun nicht in den Völkerbund gehen ollen. Was soll denn dann geschehen? Wir können heute keine Machtpolitik treiben, sondern müssen verhandeln. Niemand wird im Rheinland Herrn Baeccker glauben, daß zwischen Locarno und der Räumung Kölns kein innerer Zu besteht. Die Reichspolitik ist aber Sache des Reichstags, und ihre Verant⸗ wortung Sache der Es entbehrt nicht einer

wifsar Tragikomödie, wenn die Deutschnationalen heute dem Ninisterpräsidenten das Mißtrauen aussprechen wollen, weil er die Reichspolitik unterstützt, die zu einer Zeit wurde, in der die Deutschnationalen bestimmend in der eichsregierung saßen, während die Sozialdemokraten überhaupt nicht darin waren. Süg9 richtig! links.) Im Augenblick fordern wir eine Herab⸗ minderung der Besatzungstruppen. Für die weiteren Forderungen nach Befreiung der 11 und dritten Zone und nach baldiger des Schicksals unserer Saarbevölkerun

wünschen wir eine Volksgemeinschaft oder wenigstens eine möglt d nahe Beziehung aller politischen Parteien am Rhein. (Beifall.) Deshalb bedauern wir es, wenn deutschnationale Abgeordnete dadurch einen Schatten 28 die Befreiungsfeier in Köln geworfen 1ee daß sie in einer Kleinen Anfrage Auskunft benies ver⸗ dngtben, ob von den Behörden das Reichsbanner unzulässig be⸗ günstigt sei. Auch das letzte Mitglied des Reichsbanners würde eine derartige Unterstellung mit Entschiedenheit zurückweisen. Der deutschnationale Abgeordnete n wenn er nicht Beweise für die in dem Reichsbanner gemachten gve Vorwürfe hat, ein leichtfertiges Spiel 1e; Das Reichs⸗ banner, dem ich angehöre und in dessen Namen ich sprechen kann, ber sese bleiben, solange die staatsfeindlichen Organisationen der äußer ten Rechten und äußersten Linken bestehen. kann auch nicht einstimmen in die Vorwürfe gegen den Minister⸗ 8 identen F seiner Hamburger Rede. Das Gericht hat adurch, daß es dem ausdrücklich geäußerten Wunsch der Regierung nach öffentlicher Verhandlung im Fememordprozeß Pannier nicht Folge gab und dadurch, daß es dem zum Tode verurteilten Ange⸗ klagten nicht . sich einen neuen Verteidiger zu wählen das 8 ewu 85 im Volke erschüttert. Das ist auch um de erforderlichen großen Ansehens des selbst bedauer⸗ lich. Dem großen Vorzug der unantastbaren Stellung des Ri ters gegen andere Staatsbürger stehen auch große Pflichten des Richters gegenüber. Vor allem die, daß er nicht aus partei⸗ politischen Gründen etwa das Recht bricht. (Sehr richtig! links.) Zur Frage der Fürstenabfindung erklärt der Redner: Wir wollen die Fürsten nicht entschädigungslos enteignen, sondern wir stehen 8 dem Boden des Kompromisses des Reichstags, das dahin geht, daß die Fürsten erhalten sollen, was unbestreitbar ihr Privat⸗ eigentum ist, und das verhindern will, daß die Fürsten ihre Abfindung ins Ausland bringen oder sie gegen die deutsche Republik verwenden. Sollte es nicht möglich sein, durch veber

gebung des Reiches zu diesem Ziele zu kommen, dann bleibt aller⸗ dings nichts anderes übrig als der Volksentscheid, dem wir a

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