Der Antrag Leicht (Bayer. Vp.), betr. Aenderung des
§ 60 der usführungsbestimmungen zum
Kohlenwirtschaftsgesett (Belieferung der Genossen⸗ schaften), wird angenommen. 8
Entsprechend dem Beschluß des Geschäftsordnungsaus⸗ chusses wird der Antrag der Oberstaatsanwaltschaft, betr.
erhaftung von sechs kommunistischen Ab⸗
geordneten, nicht genehmigt.
1 Angenommen wird die Entschließung der Abgg. Schmidt⸗Hannover, Beythien (D. Vp.) und Gen., betr. Nachprüfung der Tarifpolitik der Reichs⸗ bahn.
Vizepräsident Bell beraumt eine neue Sißang auf 8 Uhr an zur Erledigung der Zollvorlage, des dänischen und schwa ischen Handelsvertrags und kleinerer Vorlagen.
S uß 7 ¼ Uhr. 8—
“ 1“ 224. Sitzung den 2. Juli, 8 Uhr abends.
G Präsident Löbe eröffnet die Sitzung um 8¼ Uhr mit
der bedauerlichen Mitteilung, daß der Abg. Schurig (Dem.)
urch einen Straßenbahnunfall am Potsdamer Platz lebens⸗ efährlich verletzt sei. Der Präsident knüpft daran den Wunsch, daß doch eine Genesung erfolgen möge.
Abg. Neubauer (Komm.) beschwert sich darüber, daß das ommunistische Mißtrauensvotum gegen die Regierung nicht auf die Tagesordnung gesetzt sei, und beantragt, dies nachträglich zu tun.
Abg. Sha 1. Bromberg (D. Nat.) erhebt dagegen Wider⸗ heuch. (Ruf bei den Kommunisten: Unerhörter Vorgang! Wir ollen mundtot gemacht werden. Lärm.) Infolge des Widerspruchs kann der Antrag nicht auf die Tagesordnung gesetzt werden.
Auf der Tagesordnung steht die zweite Lesung des Gesetz⸗ entwurfs über Zolländerungen. Verbunden damit wird die dritte Beratung des deutsch⸗dänischen Ver⸗ trages und die zweite Lesung des deutsch⸗schwedi⸗ schen Handelsvertrages sowie die zweite Beratung der Vorlage, betreffend vorübergehende Bewertung von Einfuhrscheinen.
Zum Gesetz über Zolländerungen schlägt der Ausschuß vor, die Lebensmittelzölle vom 1. August an bis 31. Dezember d. J. wie folgt festzusetzen: Roggen, Weizen und Spelz 5 Mark, Futtergerste 2 Mark, Hafer 5 Mark, Mais und Dari 3,20 Mark, frisches Fleisch 21 Mark, Schweinespeck 14 Mark, Schmalz und schmalzartige Fette 14 Mark; außerdem soll für en zur Margarineherstellung ein Zoll von 1,25 Mark er⸗
Abg. Hörnle (Komm.) wendet sich zur Geschäftsordnung gegen die Machtprobe, die mit den Zöllen ge soll, ; ie Redezeit aufs äußerste beschränkt sei. Das werktätige Volk solle nicht erfahren, was hier vorgehe. Er beantrage eine ganze Stunde Redezeit, statt der vorgesehenen halben Stunde.
„Abg. Thomsen 88 Nat.) schlägt eine Viertelstunde vor.
Lärm bei den Kommunisten.)
Das Haus beschließt eine halbstündige Redezeit.
Abg. Henkel (Soz.): An der hastigen Erledigung dieser Zollvorlagen haben nur die Eroenn cegonr ein FFnng.an 8 dem werktätigen Volk wird aber ein Attentat verübt. Das Zen⸗ trum tut so, als handele es sich mit dieser Zollerhöhung nur um ein Provisorium, das Zentrum will aber diese Velastung des Volkes. Wir haben im Ausschuß die Fortgeltung der jetzigen Zoll⸗ sätze bis zum Ende dieses Jahres beantragt; der Antrag ist ab⸗ lelehnt worden, wir bringen ihn deshalb jetzt von neuem ein, Die Demokraten waren früher gegen die hohen Lebensmittelzölle, jetzt machen sie diese Zollpolitik mit, und zwar im Moment der höchsten Not des Volkes. Die Ziffer der Arbeitslosen ist gestiegen und noch im Steigen. Sogar die Margarine soll verteuert werden. Daß der notleidenden Landwirtschaft geholfen werden müsse, haben wir seit Jahrzenten gehört, aber die Großagrarier haben durch die Zölle Milliarden Gewinne gemacht. Das schlimmste ist die große Spanne zwischen dem Getreidezoll und dem Mehlzoll, sie bedeutet die ungeheuere Verteuerung des wichtigsten Lebensmittels, des Brotes, zugunsten der Großmühlen, die danach ihren Mehlpreis steigern können. Ich habe kein großes Zutrauen dazu, daß die Handelsverträge die Zölle noch herabsetzen. Es besteht eine Inter⸗ essengemeinschaft zwischen Landwirtschaft und Mühlenindustrie. Die Futtermittelzölle, Gerstenzölle, Maiszölle verteuern die Vieh⸗ haltung des kleinen Bauern, nützen ihm also nichts. Die Schweine⸗ mast wird zurückgehen, das bedeutet wieder einen Verlust an Dungstoff. Die Futtermittelzölle belasten auch die Milchwirtschaft. Gegen die Erhöhung des Gerstenzolles hat sich der Reichsausschuß der demokratischen Partei erklärt. Die Margarine, deren Ver⸗ brauch pro Koppf 12,5 Pfennige beträgt, wird der ärmeren Be⸗ völkerung verteuert; die anderen essen keine Margarine. Die kapitalkräftigen Oelmühlen wollen sich schützen gegen die Kon⸗ hi gens der ausländischen Fette. Die Zunahme des Verbrauchs von Gefrierfleisch beweist, daß das frische Fleisch dem Volke zu teuer ist. Die Regierung versündigt sich mit dieser Zollpolitik am deutschen Volke und der deutschen Wirtschaft. Die Frauen der Arbeiter seufzen unter den teuren Preisen, und dabei sind 17 vH der Bevölkerung noch arbeitslos. Die kranken Kinder werden aus den Krankenhäusern nicht abgeholt, weil sie da besser verpflegt sind, als es im Hause möglich ist. Als Herr Wels heute von der Empörung über die Fürstenabfindung sprach, lachte das Haus. Das Lachen wird Ihnen vergehen, wenn Sie die Folgen dieser Zollpolitik sehen werden. Und der endgültige Zolltarif, der noch bevorsteht, wird noch ganz anders aussehen. Wir werden nicht aufhören, dagegen zu kämpfen. (Beifall bei den Sozialdemokraten.)
Aba Koenen (Komm.) meint, nach Beseitigung der Fürsten⸗ abfindung beeile man sich noch schnell einen Zollraub durchzusetzen; die Zölle und Steuern hätten den letzten Anstoß zu der Wirt⸗ schaftskrise im letzten Halbjahr 1925 gegeben. 25 000 selbständige kleine Existenzen des Mittelstandes seien durch die falsche Wirtschafts⸗ politik ruiniert worden. Jetzt wolle man dies grausame Spiel wiederholen. Von einer angeblichen Besserung der Lage spüre die
Arbeiterschaft noch nichts. Die Not der Massen werde durch den Felwncher weiter verschärft. Das Kompromiß erfülle alle Zünsche der Großagrarier. Die kommunistische Fraktion stelle er⸗ Iö Anrtag auf völlige Zollfreiheit dieser wichtigen Lebens⸗
Abg. Schlack (Zentr.) bezeichnet einen Zollabban in 2 sch⸗ land als ausgeschlossen, solange dos “ dech. Tatsächlich sei seit der Zollgesencebung des dergangenen Jahres nicht eine Preiserhöhung, sondern ein Herabgehen der Preise zu verzeichnen. Am niedrigsten sei sogar der Aorarindex gewesen 8 sei notwendig, alles zu tun, damit Deutschland endlich wieder mit allen Ländern zu handelspolitischen Vereinbarungen komme.
Abg. Freiherr von Richthofen (Dem.) erklärt seine Fraktion habe ihre Aufgabe darin erblickt, den Schaden der mit dem deutsch⸗schwedischen Vertrag angerichtet werden könnte, zu beschränken. Es handele sich bei dem Gesetz nicht um eine Er⸗ höhung der Zölle, sondern um eine Herabsetzung der Sätze, die sonst am 1. August in Kraft getreten wären. Mit den Sätzen im Schwedenvertvag habe sich seine Partei unter keinen Umständen einverstanden erklären können. Wenn nicht alle Wünsche erfüllt worden seien, dann liege die Schuld nicht bei den Demokraten sondern bei den Sozialdemokraten. Hätte seine Partei dieselbe negative Haltung eingenommen, dann wären wahrscheinlich die jetzt erfolgten Hevabsetzungen der Schwedenzölle nicht durchgesetzt
worden. Die Sozialdemokratie habe ihre Haltung lediglich auf Agitation abgestellt, während seine Partei sachlich mitgearbeitet habe, Damit sei der Landwirtschaft mehr gedient.
Abg. Tremmel (SZentr.) wendet sich persönlich gegen die
Abg. von Graefe⸗Mecklenburg (Völk.) hält diese Zoll⸗ politik nicht für ein sachliches Kompromiß, bei dem die Parteien sich entgegengekommen seien, sondern für ein Erzeugnis unter demagogischen Rücksichten, an dem niemand eine Freude habe. Als die Handelsvertagsverhandlungen noch bevorstanden, habe ein vor⸗ übergehender autonomer Tarif einen Sinn gehabt, aber jetzt nicht mehr, nachdem die meisten Verträge schon abgeschlossen seien. Dieser interimistische Zolltarif stelle kein System dar; es 8 um Beispiel unsystematisch, den Roggenzoll und den Weizenzoll gkeich zu machen, da wir hauptsächlich nur Weizen einführen müßten. Auch der Maiszoll sei falsch bemessen. Die Zollfreiheit für Pflaster⸗ steine schädige die deutsche Industrie, und die schönen Resolutionen ür diese Industrie seien nur die Pflastersteine, mit denen der eg zur Hölle gepflastert sei. Damit schließt die Aussprache. Der sozialdemokratische Antrag auf Fortbestand der jetzt geltenden ermäßigten Zölle wird abgelehnt. Für diesen Antrag stimmen 29 die drei demokratischen Abgg. Schneider⸗Berlin, Ziegler und Lemmer. Die Vereinbarungen mit Dänemark über Zollerleichterungen für dänische Erzeugnisse und Behandlung deutscher Handlungsreisender in Dänemark wird in dritter Beratung in der Gesamtabstimmung mit großer Mehrheit gegen die Stimmen der Kommunisten angenommen.
Die Abstimmung über den Eingangsartikel des deutsch⸗ schwedischen Handels⸗ und Schiffahrtsver⸗ trages ergibt die Annahme gegen die Stimmen der Sozial⸗ demokraten, Kommunisten und Völkischen.
In der Einzelberatung über die Zollsätze in diesem Ver⸗ trag wendet sich
Abg. Hörnle (Komm.) sehr entschieden gegen die Zollpolitik. Als die Rechte ihn mehrfach mit Widerspruch unterbricht, ruft ein Feanarhmst. Wenn Ihr nicht ruhig seid, haue ich Euch in die Fresse!
Abg. Wissel (Soß) befürwortet nochmals den zum schwe⸗
dischen Vertrag wiederholten Antrag auf weitere Geltung der jetzigen ermäßigten autonomen Lebensmittelzollsätze bis Ende dieses Jahres und wehrt sich gegen eine frühere Aeußerung des Abg. Koenen, daß die Sozialdemokraten den großagrarischen Interessen dienstbar gewesen seien. In der heutigen Ausschußsitzung hätten die drei kommunistischen Vertreter durch ihre Abstimmung dem Abg. Koenen eine klatschende Ohrfeige erteilt.
Die namentliche Abstimmung über den sozialdemo⸗ kratischen Antrag ergibt die Ablehnung mit 271 gegen 135 Stimmen.
Danach wird das Gesetz über den schwedischen Handelsvertrag in der Ausschußfassung mit den er⸗ höhten autonomen Lebensmittelzöllen bis zum 31. Dezember 1926 in zweiter Lesung angenommen.
In der dritten Lesung widerspricht
8 “ “
Abg. Koenen (Komm.) den Ausführungen des Abg. Wissell und hält diesem vor, daß die Initiative der Sozialdemokraten sen die Zollfreiheit zum Teufel gegangen sei und daß sie den Grund⸗ 8 der Zollfreiheit nicht mehr vertreten. Habe doch Hilferding gesagt, in der Zollfrage müsse man Kompromisse machen.
Abg. E (Soz.) erwidert, daß es sich hier nicht um die Frage der Zollpolitik oder Freihandel handele, sondern nur darum, angesichts des schwed en Handelsvertrags die ermäßigten Lebens⸗ mittelzölle weiter bestehen zu lassen. In seinem Wahlkreise hieße der Abg. Koenen „der blecherne Heiland“. (Stürmische Heiterkeit.) Die vom Ausschuß vorgeschlagenen neuen Zollsätze werden darauf gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, Kom⸗ munisten und Völkischen angenommen. Ferner finden zum Handelsvertrag mit Schweden Entschließungen des Ausschusses Annahme, die Maßnahmen im Interesse der flastersteinindustrie und der Kleineisenindustrie sowie der Holz verarbeitenden Industrie fordern. Zum Vertrag mit Dänemark werden Entschließungen des Ausschusses an⸗ genommen.
Darauf wird das Zollabkommen mit Däne⸗ mark in dritter Lesung gegen Kommunisten und Völkische verabschiedet, dazu Entschließungen des Ausschusses, in Ver⸗ handlungen mit der dänischen Regierung zu treten, um eine Schonzeit für Flundern für die Zeit vom 15. Januar bis 31. März zu vereinbaren, und ferner bei der dänischen Re⸗ gierung dahin zu wirken, daß den deutschen Fischern die Fischerei im Breitgrunde vor der Flensburger Föhrde, wie sie bis zum Oktober 1925 zugelassen war, Zukunft frei⸗ gegeben wird. Weiter wird eine Ents hiießung des Zentrums angenommen, die Reichsregierung zu ersuchen, sobald die Ver⸗ einbarung zwischen dem Deutschen Reich und Dänemark es zuläßt, einen wesentlich wirksameren Zollschutz für die deutsche Pferdezucht, als er in dem dänischen Vertrag sefün dir ist, 85 beizuführen.
Schließlich wird auch der Gesetzentwurf über die Wert⸗ bestimmung der Einfuhrscheine für eine Uebergangszeit ver⸗ abschiedet. Der schwedische Handelsvertrag wurde in der Aus⸗ schußfassung auch in dritter Lesung gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, Völkischen und Kommunisten angenommen.
Das Haus erledigt dann noch gemäß den Anträgen des Haushaltsausschusses Einsprüche des Reichsrats gegen die Reichstagsbeschlüsse zum Etat für 1926, die den Dauerfonds von einer Million Mark für kulturelle Zwecke sowie Ein⸗ stufung des Direktors der Reichsdruckerei und des Direktors der Hauptversorgungsanstalt der Reichspost betreffen. Als Abg. Florin (Komm.) bei diesem Punkt der Tages⸗ ordnung eine Rede begen die Fürstenabfindung verliest, beantragt Abg. Dr. Kahl (D. Vp.), daß diese Rede nicht in das Steno⸗ gramm aufgenommen wird. Die Entscheidung über diesen Antrag wird zurückgestellt. Die Einsprüche des Reichsrats werden mit der erforder⸗ lichen Zweidrittelmehrheit zurückgewiesen. Angenommen wird dann noch eine Entschließung des Haushaltsausschusses über die im Etat vorgesehenen weiteren ausreichenden Mittel für die produktive Er⸗ werbslosenfürsorge zur Verfügung zu stellen. Damit ist die Tagesordnung erschöpft.
„Präsident Löbe schlägt vor, falls nicht zwingende Um⸗ stände eine frühere Sitzung notwendig machen, die nächste Sitzung am 3. November abzuhalten und die Festsetzung der Tagesordnung dem Präsidenten zu überlassen.
S Der Abgeordnete Stöcker (Komm.) beantragt, am e“ 8 Erledigung des kommunistischen drücken wollten. zuhalten, um die sich die Parteien
Der Antrag wird abgelehnt.
8
Ausschuß vorgeschlagene Zollregelung.
Preußischer Landtag.
Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger.“*)
Vor Eintritt in die Tagesordnung gibt Abg. Bartels⸗ Crefeld (Komm.) namens seiner Fraktion eine Erklärung ab, in der es heißt:
Unter den am heutigen Tage verteilten Drucksachen des Landtags befindet sich der Entschließungsantrag Nr. 3909 zur 3. Beratung des Haushalts des Ministeriums des Innern von der Fraktion der Wirtschaftlichen Vereinigung. In diesem Antrag heißt es u. a.: „Täglichen Zeitungsmeldungen zufolge unter⸗ nehmen Mitglieder des Roten Frontkämpferbundes unter den Augen der Regierung Landfriedensbruch, Sachbeschädigung, Körperverletzungen, Raub und Diebstahl.“ Die kommunistische Landtagsfraktion weist diese infame Verleumdung einer großen proletarischen Organisation ganz entschieden zurück. Eine Fraktion, die sich aus Interessenvertretern des Miet⸗ und Brot⸗ wuchers zusammensetzt, die sich nicht scheuen, unbemittelte Mieter mit Frauen und Kinder zu Tausenden brutal aufs Straßenpflaster zu werfen, eine Fraktion, die durch ihre Gesamt⸗ politik mit dazu beiträgt, daß die arbeitenden Schichten durch unzureichende Löhne, überlange Arbeitszeit und fortgesetzt ge⸗ steigerte Preise um den Ertrag ihrer Arbeitskraft betrogen werden, erdreistet sich, die ausgebeuteten werktätigen Massen auch noch zu beschimpfen. Diese Beschimpfungen gleiten wirkungslos von den Mitgliedern des Roten Frontkämpferbundes ab, denn sie stehen als entschlossene Verfechter einer großen und gewaltigen Idee turmhoch über den kleinen Geistern einer absterbenden Welt. Die Verleumdungen der Fraktion der Wirtschaftlichen Vereingung zeugen lediglich von der ohnmächtigen Wut über das siegreiche Anwachsen der proletarischen Kampftruppen.
Abg. Metzenthin (D. Vp.) beantragt die Absetzung der heute auf der Tagesordnung zur zweiten Beratung stehenden Vorlage über die Trennung und Auseinander⸗ setzung der Provinzen Ober⸗ und Niederschlesien und nochmalige Zurückverweisung der Vorlage an den Ver⸗ fassungsausschuß. Der § 8 des Gesetzes widerspreche dem selbst⸗ verständlichen Grundsatz, daß bei dieser Trennung auf die Rechte Dritter Rücksicht genommen werde. Dieser Paragraph, der die Trennung der Feuer⸗ und Haftpflichtversicherungsanstalten aus⸗ spricht, schädige die Tausende von Versicherten. Das Gesetz sei daher gar nicht reif und hätte keinen Nutzen für die be⸗ troffene Bevölkerung.
Abg. D. Winckler (D. Nat.) schließt sich dem Rückverwei⸗ sungsantrag an.
Staatssekretär Meister: Namens des Innenministeriums habe ich zu erklären, daß es den Gesetzentwurf in der Fassung des Ausschusses für rechtlich notwendig und politisch wichtig hält. Ich bitte um Verabschiedung der Vorlage.
Das Haus lehnt gegen die Stimmen der Antragsteller und der Deutschnationalen den Rückverweisungsantrag ab und tritt dann in die Tagesordnung ein.
Dabei werden zunächst eine Reihe kleiner Vorlagen er⸗ ledigt. U. a. wird endgültig verabschiedet eine Novelle zur Aenderung der Schulordnung für die Elementarschulen der Provinz Preußen vom 11. Dezember 1845.
Der zur ersten Beratung vorliegende Gesetzentwurf zur Aenderung des Grundvermögenssteuergesetzes geht an den Hauptausschuß.
Es folgt die zweite Beratung des Gesetzentwurfs über die Trennung und Auseinandersetzung der Pro⸗ vinzen Ober⸗ und Niederschlesien.
Abg. Arlt⸗Kreuzburg (D. Pp.) als Berichterstatter erstattet sein Referat dahin, daß die Mehrheit des Ausschusses sich für die Annahme der umstrittenen Vorlage entschieden habe. Für die Streitigkeiten bei der Auseinandersetzung entscheidet ein schieds⸗ gerichtliches Verfahren. Für jede der beiden Provinzen werden eigene öffentlich⸗rechtliche Lebens⸗, Haftpflicht⸗ und Feuer⸗ versicherungsanstalten errichtet. Dieser Teil ist, wie der Bericht⸗ erstatter ausführt, besonders heftig umstritten worden.
In der allgemeinen Besprechung begrüßt
Abg. Franz (Soz.), daß durch diese Vorlage endlich die alten Versprechungen, die in der schweren Abstimmungszeit Ober⸗ schlesien gemacht worden seien, verwirklicht werden sollten. Die Rechtsparteien hätten bei dieser Angelegenheit gehörige Schwierig⸗ keiten gemacht. Sie hätten, wie schon öfters, auch hier wieder einmal ihre Versprechungen, die sie den Wählern gemacht haben, nicht halten wollen. Sie hätten wirtschaftliche Bedenken in sehr ühertriebener Art vorgebracht und tat ech ch nur an ihre partei⸗ politischen Absichten gedacht. Die Provinz Grenzmark sei kleiner als Oberschlesien und sei doch eine selbständige Provinz. Da hätten die Rechtsparteien keine „wirtschaftlichen“ Bedenken, weil sie dort politisch mehr Einfluß hätten als in Oberschlesien. Während sich hier im Landtage die Rechte ablehnend gegenüber einer Provinz Oberschlesien verhalte, bitte z. B. die rechts⸗ gerichtete „Ostdeutsche Morgenpost“ in Beuthen in einem Artikel ihres Chefredakteurs, der sogar persönlich dem Abgeordneten Arlt⸗Kreuzburg (D. Vp.) nahestehe, der „Provinz Oberschlesien keine Schwierigkeiten zu machen“. Aber die rechtsgerichtete Ost⸗ markpolitik habe sich schon früher nicht bewährt. Das alte Regime habe Oberschlesien nur als melkende Kuh betrachtet und sei im übrigen bemüht gewesen, Oberschlesien möglichst wenig bekannt werden zu lassen. (Große Unruhe und Zurufe bei den Deutschnationalen.) Noch heute wagten die Vertreter der Rechten ihre ablehnende Haltung gegen selbständige Versicherungs⸗ anstalten für Oberschlesien aufrechtzuerhalten, obwohl in dieser Frage das ganze oberschlesische Volk einig sei. Notwendig seien nun noch wirtschaftliche Fürsorgemaßnahmen für Oberschlesien, wie z. B. die Kanalbauten. Der Redner meint, auch die Zentrumspolitik sei nicht immer eindeutig für die Autonomie Oberschlesiens gewesen. Immerhin habe der Zentrumsmann Ulitzka in der ersten Linie im Abstimmungskampf gestanden. Diejenigen Deutschnationalen aber, die ihn heute wie der Graf Garnier beschimpfen, hätte man damals nicht gesehen. Abg. Graf Garnier (D. Nat.) lehnt es ab, wie der Vor⸗ redner eine parteipolitische Rede zu halten. (Lachen bei den Sozial⸗ demokraten.) Gegen den Willen der oberschlesischen Landwirtschafts⸗ kammer soll ein eigenes Institut geschaffen werden; das ist aber nicht tragbar. Für Oberschlesien entstehen daraus nur Kosten. Die Leistungen der besonderen Landwirtschaftskammer müßten bei weitem hinter den Leistungen der Kammer in Breslau zurückbleiben. In
*) Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgehobenen Reden der Herxen Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sinnd..
(Fortsetzung in der Ersten Beilage.)
Verantwortlicher Schriftleiter: J. V.: Weber in Berlin.
Verantwortlich für den Anzeigenteil: Rechnungsdirektor Mengering
in Berlin. Verlag der Geschäftsstelle (Mengering) in Berlin. der Preußischen Druckerei⸗ und Verlags⸗Aktiengesellschaft. Berlin, Wilhelmstr. 32. Seechs Beilagen (einschließlich Börsen⸗Beilage)
und Erste und Zweite Zentral⸗Handelsregister⸗eil
193. Sitzung vom 2. Juli 1926, vormittags 11 Uhr.
Erste Beilage
anzeiger und Preußischen Staatse
Berlin, Sonnabend, den 3. Fuli
8
mzeig
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Nr. 152.
(Fortsetzung aus dem Hauptblatt.)
fem Gegensatz zum Vorredner wir die provinziellen Be⸗ 299 de veee. Es steht dem Vorredner nicht zu, eine derartige frivole und vernichtende Kritik zu üben, wie er es getan habe. Nicht politische, sondern rein sachli Gründe Fuchen dafür, daß das Trennungsgesetz in der vorliegenden Form abzulehnen sei. Ein Gesetz, das eine untragbare Last füßr Oberschlesien ist, darf man nicht verabschieden. Das Ausland, besonders England, ist sich längst darüber klar — es läßt der früheren Regierung darin Gerechtigkeit widerfahren —, daß eine Wiedervereinigung “ Teile eine wirtschaftliche Notwendigkeit ist. (Beifall rechts.
Abg. Jendrosch (Komm.) erklärt, das längst vor der Revolution für eine selbständige Provinz 2.de. ewesen. Die Trennung bringe aber besonders für die Arbeiterschaft schwere Nachteile. Die Kommunisten hätten immer auf das schärfste das Trennungsgesetz bekämpft. Freilich, die Politik des Grafen Garnier und seiner Freunde sei nur auf den Geldsack eingestellt. Das Zentrum aber sei bestrebt, neue Pfründe für sich zu chaffen durch Errichtung besonderer Einrichtungen und Anstalten. Seine Fraktion sei nach wie vor gegen die Zerreißung eines Wirtschafts⸗ gebiets und een die schwarzen Pläne, die die schwarz⸗weiß⸗rote Reaktion (Lachen in der Mitte) auch mit dieser Vorlage verfolgt.
Abg. Oppenhoff (Zentr.) fordert eine sachliche Behandlung der mit der Vorlage verknüpften Fragen. Eine solche habe aber der Graf Garnier vermissen lassen; das Zentrum werde ihm noch die gebührende Antwort auf seine Angriffe geben. Oberschlesien sei selbständig und mit den Rechten einer Provinz ausgestattet. Feierlich gegebene Versprechungen müsse man halten, auch wenn man vom wirtschaftlichen Standpunkt aus manchmal eine andere Lösung für wünschenswert halten sollte. Die Einrichtung besonderer Anstalten bedeute eine Erleichterung und Beschleunigung des Geschäftsganges. Scharf zurückzuweisen sei auch die Unterstellung des Grafen Garnier, der Bauernverein habe sich in seiner Haltung dadurch beeinflussen lassen, daß er Geld bekommen habe. Das Zentrum empfehle die Annahme der Ausschußbeschlüsse.
Abg. Metzenthin (D. Pp.) legt den ablehnenden Stand⸗ punkt seiner Partei dar. Die Provinz werde von ihr als bestehend anerkannt; ihr soll gegeben werden, was sie zu ihrem Gedeihen braucht. Wir haben uns verschiedenen Aenderungen gefügt, aber die Trennung der Anstalten können wir nicht mitmachen, weil dadurch Rechte Dritter getroffen werden. Wir haben beantragt, 9 in dieser Beziehung die Regierungsvorlage wiederhergestellt werden soll. Wir tun nur das, was die Regierung selbst angeregt hat, als sie mit klarer Entschiedenheit diese Wiederherstellung der Regierungsvorlage forderte. Diese Regierungsfassung ist auch vom Zentrum einmal als Antrag eingebracht worden. Man kann uns daraus keinen Vor⸗ wurf machen, daß wir jetzt wieder diesen Antrag vorbringen. Unter Einwilligung der Regierung haben wir zusammen mit Demokraten und Sozialdemokraten der betreffenden Bestimmung eine bessere wirt⸗ schaftliche Fassung zu geben versucht. Wir sind aber einverstanden, daß die Fassung der Regierungsvorlage angenommen wird. Es handelt sich auch nicht bloß um wirtschaftliche, sondern in erster Linie um rechtliche Gesichtspunkte. Der Redner verliest gegenüber den Aus⸗ führungen des Regierungsvertreters Argumente, die die Regierung sim Ausschuß gegen die jetzige Fassung geltend gemacht hat. Sie hat erklärt, daß die Aenderung der Regierungsvorlage aus privat⸗ rechtlichen Gründen nicht möglich sei. (Hört, hört! rechts.) Sie würde eine Entrechtung Dritter bedeuten. Nach allen Richtungen sei eine erhebliche Schädigung der Versicherten zu erwarten. (Hört, hört! rechts.) Auch der Fmanzminister hat erklärt, daß durch die Trennung der Anstalten die Garantie für die Versicherten ge⸗ schwächt würde, wodurch ein Schaden für die Versicherten entstehe. Auch die Frage der Feuerversicherung, hat Minister Höpker⸗Aschoff erklärt, gehöre nicht in das Gesetz hinein. Die Regierungsparteien wollen also ein Gesetz verabschieden, das nach den Erklärungen ihrer eigenen Regierung rechtlich unzulässig ist. (Hört, hört! rechts.) Der Abgeordnete Oppenhoff vergißt, daß es neben Oberschlesien auch eine noch größere Provinz Niederschlesien püb⸗ Oberschlesien ist allein gar nicht imstande, die drei neuen Anstalten zu errichten. Der Staat soll das Geld zur Verfügung stellen. Das Zentrum sieht nur immer Oberschlesien. Die anderen Regierungsparteien sind in seinem Schlepptau. (Sehr richtigl rechts.) Es sollen eben ganz bestimmte oberschlesische Persönlichkeiten in bestimmte oberschlesische Stellen hineingebracht werden. Eine Versicherungsanstalt aber ist nicht der Beamten, sondern der Versicherten wegen da. (Lebhafte Zustimmung rechts.) Eine ganze Reihe von Anträgen Versicherter aus Oberschlesien liegen vor gegen die Trennung, nur ein einziger Antrag von einer Zentrumsparteistelle liegt für das Gesetz vor. (Hört, hört! rechts.) Die Oberschlesier wollen auch keine besondere Aerzte⸗ kammer haben. Von den Zentrumsvertretern im Ausschuß kennt niemand Oberschlesien. (Hört, hört!) Wir wollen das Gesetz nach den Wünschen der Oberschlesier ändern, also sollen die Regierungs⸗ parteien in Verhandlung darüber eintreten. (Beifall rechts.)
Ministerialdirektor von Leyden wendet sich gegen den Antrag des Abgeordneten Metzenthin auf Wiederherstellung der Regierungs⸗ vorlage. Die ursprüngliche Regierungsvorlage ließ Frage der Trennung der Versicherungsanstalten offen. Nachdem aber der Ministerpräsident in einer Rede im Landtag die Trennung zugesagt und eine Mehrheit im Ausschuß sie beschlossen hat, ist die ursprüng⸗ liche Regierungsfassung erledigt. Bei wiederholter Prüfung ist die Staatsregierung zur Ueberzeugung gekommen, daß die Trennung recht⸗ lich durch Auflösung der alten und Gründung von neuen Anstalten wohl möglich sei. (Sehr richtig! links.)
Agb. Herrmann⸗Breslau (Dem.) bezeichnet die Vorlage als ausdrückliche Konsequenz gegebener Versprechungen, aber auch von Tatsachen, die vor dem Kriege und in Fehlern des alten Regimes liegen. Gerade die Gegner des Verbleibens Oberschlesiens bei Deutsch⸗ land speisten ihre Agitation mit den Fehlern des alten Regimes. Dabei sei nur an die Korfantyschen Landversprechungen erinnert. Das alte Regime und noch jetzt der Präsident der Schlesischen Landwirt⸗ schaftskammer haben sich bemüht, den oberschlesischen Vertretern das Arbeiten in den Landwirtschaftskammern zu erschweren. Der deutsch⸗ nationale Graf Garnier hat in einer früheren Landtagssitzung aus⸗ geführt: „ . .. Alles, was jetzt in Oberschlesien sich vollzieht, grenzt an Landesverrat“, (Zuruf des Grafen Garnier.) Eine Beleidigung wird deshalb nicht weniger schwer, wenn man ihren wirklichen Sinn nicht mit klaren Worten ausspricht. (Sehr gut! bei den Demokraten.) Die Deutschnationalen, die mit Worten immer für die Stärkung des Staatsinteresses eintreten, haben mit der Tat auch hier wieder zurück⸗ gehalten, obwohl es sich doch hier um ein Zukunftswerk für die Be⸗ völkerung im Grenzgebiet handelt. Der Redner erklärt die Zu⸗ stimmung seiner Fraktion zur Ausschußfassung des Gesetzes, damit Oberschlesien als Glied am deutschen Volkskörper zeigen könne, was es wolle und wirken könne. (Beifall.)
Abg. Haase⸗Liegnitz (Wirtschtfl. Vereinig.) stellt fest, daß
volle Einmütigkeit im Landtag darüber bestehe, daß Oberschlesien selbständig werde. Aber wenn der Abgeordnete Franz meint, man olle Oberschlesien sein Recht geben, so müßte er, der Redner, dem⸗ feee erklären, man dürfe die schlesischen Bürger in ihrer Ge⸗ samtheit nicht schädigen. Auch die Herren von links sähen tatsächlich ie wirtschaftlichen Nachteile der Vorlage ein, gingen aber nur mit dem Zentrum, um sich bei Wahlen etwaigen Schädigungen zu ent⸗ ziehen. (Große Unruhe links.) Eine Einigung ließe sich vielleicht scher den strittigen § 8 noch herbeiführen. In seiner jetzigen Fassung ei er für die Wirtschaftliche Vereinigung unannehmbar.
Zentrum sei schon
Wulle (Völk.) (von den Kommunisten mit den eee
1 empfangen. Vizepräsident Garnich vuft einen kommu⸗ Abgeordneten wegen dieser Zurufe zweimal zur Ordnung). Abg. Wulle verweist darauf, daß es eine Fregig⸗ Begründung sei, die EEE“* Restes von Oberschlesien durchzuführen, die man dem ganzen Oberschlesien versprochen habe. Die Mehrheit des oberschlesischen Volkes habe sich üecee esen den Zentrums⸗ antrag gewendet, Oberschlesien vom übrigen Schlesien zu trennen. Es scheine, als ob tatsächlich nur die Absicht bestehe, aus Oberschlesien eine reguläre Zentrumsprovinz zu machen. Ulitzka habe es klar aus⸗ gesprochen, daß die provinzielle Selbstverwaltung nur als Etappe auf dem Wege zum Bundesstaat Oberschlesien zu bezeichnen sei. Den rößeren Nutzen von der Zerreißung Schlesiens haben allein die Hoben. (Sehr wahr! rechts.) Die Völkischen lehnen das Gesetz daher ab.
Abg. Metzenthin (D. Vp.) wendet sich gegen die Aus⸗ führungen des Ministerialdirektors von Leyden und erklärt, daß auch der Ministerpräsident der Wiederherstellung der Regierungsvorlage das Wort geredet habe. Wenn danach Umstellungen erfolgt seien, so ändere dies nichts an der Tatsache der Aeußerungen Brauns.
Damit schließt die allgemeine Besprechung.
In der Abstimmung werden die ersten sieben Para⸗ graphen angenommen. Zu § 8, wonach für jede der beiden Provinzen Ober⸗ und Niederschlesien eigene öffentlich⸗recht⸗ liche Lebens⸗, Haftpflicht⸗ und Feuerversicherungsanstalten er⸗ richtet werden, liegt ein Antrag Metzenthin (D. Vp.) —Ovon Rohr (D. Nat.) auf namentliche Ab⸗ stimmung vor. An der Abstimmung beteiligen sich nicht die Deutschnationalen, die Deutsche Volkspartei und die Wirt⸗ schaftspartei. Die Kommunisten, die nur schwach vertreten sind, stimmen mit Nein.
Es werden nur 193 Karten abgegeben. Das Haus ist beschlußunfähig. Die Sitzung ist damit beendet, die Erledi⸗ gung der Vorlage kommt nicht mehr in Frage.
In der sofort angesetzten neuen Sitzung werden zunächst die Hochwasseranträge beraten.
Abg. Dr. Wiemer (D. Vp.) empfiehlt den Vorschlag des Ausschusses, den Anträgen, die von allen Parteien eingebracht sind, durch Annahme eines Ausschußantrages gerecht zu werden.
Nach diesem Antrag wird das Staatsministerium ersucht:
a) unverzüglich eine Feststellung des Umfangs der durch die Un⸗ wetterkatastrophe herbeigeführten Hochwasserschäden zu ver⸗ anlassen und hierbei auch zu prüfen, ob etwa Versäumnisse hin⸗ sichtlich der ordnungsmäßigen Unterhaltung der Deiche oder unzureichende Vorkehrungen anderer Art vorgelegen haben;
b) zur Behebung der Not der von den Schäden Betroffenen sofort umfassende und wirksame Hilfsmaßnahmen in die Wege zu leiten, insbesondere durch Bereitstellung zinsloser Kredite, die den Geschädigten auf kürzestem Wege zuzuleiten sind, durch Stundung bereits fälliger Kredite sowie durch Stundung und gegebenenfalls Niederschlagung fälliger Steuern;
c) dafür zu sorgen, daß die beschädigten Dbämme und Uferbauten schleunigst wieder instandgesetzt und zu diesen Arbeiten vor⸗ wiegend Erwerbslose zu tarifmäßigen Bedingungen heran⸗ gezogen werden;
d) bei der Reichsbahnverwaltung den sofortigen Erlaß eines Not⸗ tarifs für den Transport von Futtermitteln in die geschädigten Gebiete und für den Transport von Vieh aus dem ge⸗ schädigten Gebiete zu Pensionsbetrieben und zurück zu er⸗ wirken sowie Weidegelegenheiten für Vieh aus den be⸗ troffenen Gebieten unentgeltlich in den Staatsforsten zu beschaffen.
Ferner soll das Staatsministerium ermächtigt werden, die
ur Beseitigung des durch das Hochwasser Fschafsenen Not⸗ standes erforderlichen Mittel vorschußweise zu verausgaben und nötigenfalls in einem Nachtragshaushalt für das Rech⸗ nungsjahr 1926 anzufordern. Schließlich soll die Regierung ersucht werden, auf die Reichsregierung dahin einzuwirken, daß auch vom Reiche in Anerkennung seiner aus den finan⸗ ziellen Beziehungen zwischen dem Reich und den Ländern sich ergebenden Verpflichtung ausreichende Mittel zur Verfügung gestellt werden. Nach Abschluß der Hilfsaktion soll dem Land⸗ tage Bericht über die veranlaßten Maßnahmen erstattet werden.
Abg. Hecken (D. Nat.) lenkt die Aufmerksamkeit der Regie⸗ rung auf die besonders großen Schäden in Ostpreußen. Im übrigen sei zu bemerken, daß die Darstellung des „Vorwärts“, daß rund 90 vH der beschädigten Flächen in normalen Hochwasser⸗ gebieten lägen, unrichtig sei. Die endgültigen Feststellungen müßten später erfolgen. Jetzt handele es sich zunächst darum, den am schwersten geschädigten Gebieten zu helfen; am besten werde ein besonderer Kommissar zur Schadenfestsetzung entsandt. Die Feststellung müsse sachlich, aber auch wohlwollend erfolgen. Das sei 1924 nicht der Fall gewesen. Der Ansicht des Freiherrn von Wangenheim (Wirtschaftl. Vereinig.), daß eine ungeheure Ueber⸗ treibung der Schäden zu verzeichnen sei, könne nicht beigetreten werden. Zwar mögen einige Zeitungsmeldungen zu weit ge⸗ gangen sein, im ganzen seien aber doch ungewöhnlich hohe Schäden entstanden. Die Regierung habe die Pflicht, ein genaues Er⸗ gebnis ihrer Prüfungen auch in der Schuldfrage vorzulegen. Zu fragen sei, ob der Uebergang der Wasserstraßen an das Reich einen Teil der Schuld trage an der Katastrophe, da das Reich die Ver⸗ kehrsinteressen zu sehr bevorzuge und die Landeskulturinteressen vernachlässige. Seine Partei müsse diese Frage bejahen. Den Geschädigten müsse durch Steuerstundung bzw. Niederschlagung mehr entgegengekommen werden, als es 1924 der Fall gewesen sei. An eine Zurückzahlung der Kredite sei in dieser Notzeit für die Landwirtschaft nicht zu denken. Umwandlung zunächst zinslos ge⸗ gebener Kredite in verlorene Zuschüsse müsse erfolgen, sobald die Folgen der Katastrophe zu übersehen seien Nötig sei zur Auf⸗ rechterhaltung der kleinen und mittleren Betriebe eine sofortige Hilfsaktion. Zurückzuweisen sei die Darstellung des Abgeordneten von Wangenheim (Wirtschaftl. Vereinig.), der Landwirt habe es an tatkräftiger Selbsthilfe fehlen lassen in Erwartung eines Gold⸗ regens. (Zuruf rechts: Unerhört!) Dazu sei der deutsche Landwirt doch zu solide, ganz abgesehen davon, daß angesichts der Höhe der Entschädigungen, die gezahlt würden, von einem „Goldregen“ wahrlich nicht gesprochen werden könne. Erfreulich sei, daß sich der Ausschuß dahin ausgesprochen habe, bei der Reichsbahn⸗ verwaltung den sofortigen Erlaß eines Nottarifs für den Trans⸗ bort von Futtermitteln in die geschädigten Gebiete zu erwirken.
en schwerstgeschädigten Gemeinden müsse durch Ergänzungs⸗ uschüsse zu den Schullasten, Wegelasten und dergleichen unter die Arme gegriffen werden, damit sie ihrerseits in der Lage seien, die Gemeindesteunern zu stunden und niederzuschlagen. Uebernahme der laufenden Deich⸗ und Schöpfwerkslasten auf den Staat sei not⸗ wendig. Desgleichen müsse Erhöhung des Brennereikontingents in den Notgebieten zur Erhöhung der Futtererzeugung gefordert werden. Schnelle Hilfe ohne bürokratische Engherzigkeit sei zu
fordern.
Abg. Schiftan (D. Vp.) stellt fest, daß die Schäden in Ost und West so groß seit Jahren nicht gewesen sind. Not tut vor allem, daß Kompetenzstreitigkeiten ausgeschaltet werden. (Sehr richtig! rechts.) Not tut, daß schnell geholfen, daß gerettet wird, was noch zu retten ist, und daß die Nachschäden reguliert werden. Die Klärung der Schuldfrage t8 eine nachträgliche Sorge, durch die nicht geholfen wird. Es muß schnell und ausreichend geholfen werden. Auch industrielle Unternehmungen haben gelitten, damit ist auch die Notlage der Arbeiter erschwert. Mit der Kartoffel⸗ ernte sieht es sowieso sehr traurig aus. (Zurufe von links.) Wir wollen uns doch nicht auseinanderreden, uns drückt alle dieselbe Not. (Lebhafte Zustimmung rechts.) Notwendig sind Runderlasse an die Finanzämter auf Steuererlaß. Auch den betroffenen Kommunen muß geholfen werden. Die Notstandsaktion der Regierung darf nicht an bestimmte Summen gebunden sein; sie muß von der etatsmäßigen Bindung frei sein. Wir machen den Antrag des Berichterstatters, unseres Parteifreundes Dr. Wiemer, den der Auschuß angenommen hat, zu dem unseren, da in ihn alles Notwendige hineingearbeitet worden ist. Dem großen Un⸗ glück ist eine große Tat gegenüberzustellen. Mit dem Brückenbau über die Werhe bei Zantoch muß Hand in Hand gehen die Ufer⸗ regulierung und Uferbefestigung. (Beifall rechts.)
Abg. Merten⸗Berlin (Dem.) hebt hervor, daß eine Katastrophe von so ungeheurem Umfange und zu dieser Jahreszeit seit hundert Jahren nicht da war. Nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch die Gewerbetreibenden und “ hätten neben der Bevölkerung stark gelitten. Schnelle Abgeltung der Schäden und Maßnahmen für die Verhinderung solcher Unglücke in der Zukunft seien erforderlich. Die Vorwürfe des Abg. Hecken, als hätten die Regierung und die Ober⸗ und Regierungspräsidenten, versagt, sind ungerecht und Iböe zurückgewiesen werden wie die Schuldsprechung der Reichsregierung. Man sollte die Schuldfrage erst nach Abschluß der Untersuchungen berühren. Solchen Elementarkatastrophen gegenüber würde man immer einen sehr schweren Stand haben. Die Schädenfestsetzung und die Hilfe müßten wohlwollend und ohne Ansehen der Person erfolgen. Ins⸗ besondere würde es verwerflich sein, wenn eine Partei oder der Landbund versuchen wollte, die Bereinigung der Katastrophe agitatorisch auszunutzen. (Sehr gut! links.) 1 8
Abg. Frhr. von Wangenheim (Wirtschaftl. Vereinig.) hebt hewor, daß einige Regierungspräsidenten, so der von Pots⸗ dam, von sich aus die vom Hochwasser Betroffenen unterstützt habe. Er empfiehlt, daß die Chefs der Finanzämter sich persönlich von den Hochwasserschäden überzeugten, was auf ihre Haltung gegen⸗ über den Geschädigten von bestem Einfluß sein werde. Man dürfe aber, im Interesse der Geschädigten, die doch mit ihren Ersatz⸗ anträgen ernst genommen werden wollten, die entstandenen Schäden nicht übertreiben, wie dies einige Stellen des Reichslandbundes täten. (Hört, hört!) Die wirklichen Schäden träten erst zutage, wenn das Hochwasser abgeflossen sei. Dann dürften die Schäden erst richtig festgestellt werden, damit auch wirklich den Geschädigten gehofen werde und nicht bloß denen, die am lautesten schrieen.
Abg. Paetzel (Soz.) stimmt dem Antrag des Hauptaus⸗ schusses zu. Was die Schuldfrage anlange, so müsse man das Er⸗ gebnis der amtlichen Untersuchung abwarten. Besonders bedürften die Deichanlagen der Warthe einer gründlichen Renovierung. Die Abgeltung der entstandenen Schäden müßte ii direkt an die Geschädigten unter Umgehung der Verbände erfolgen. Benach⸗ teiligungen seien unbedingt zu vermeiden. Ein Antrag des Abg. Hecken (D. Nat.), der, ohne daß die Schäden festgestellt seien, schon den Landwirten ohne Unterschied sämtliche Steuern, auch die noch gar nicht fälligen, erlassen wolle, sehe doch sehr danach aus, als wolle man hier die Gelegenheit benutzen, auf einem ungeraden Wege zu erreichen, was auf einem geraden nicht möglich sei.
Abg. Schmelzer (Zentr.) erklärt, seine politischen Freunde ständen selbstverständlich auf dem Standpunkt, daß für die Hoch⸗ wassergeschädigten schnelle und wirksame Hilfe notwendig sei. Be⸗ sonders gelte dies für das Rheinland und den Osten. Die Kata⸗ strophe lehre, daß man den Flußregulierungen mehr Beachtung schenken müsse, wie überhaupt die vorbeugenden Maßnahmen einer wirksameren Betreibung bedürften. Vor allem gelte es, in den Gebirgsgegenden das Wasser durch geeignete Maßnahmen mehr in den oberen Regionen zu halten. Der Rednev stimmt dem Aus⸗ schußprogramm zu. Er meint, der schon vom Vorredner kritisierte deutschnationale Antrag beweise, daß die Deutschnationalen selbst diese traurige Katastrophe zu Agitationszwecken benutzten. Die Frage, in welcher Hand die Wasserstraßenverwaltung sein solle, müsse später entschieden werden.
Abg. Kilian (Komm.) gibt seiner Freude darüber Ausdruck, daß der Abg. Hecken sich das kommunistische Argument zu eigen machte, daß einige Wasserläufe in der Provinz Sachsen nur wegen der Nachlässigkeit der Industrien und der Aufsichtsbehörden ver⸗ schlammt seien. Die Geschädigten müßten sich zu Organisationen zusammenschließen, um so der Regierung eine stärkere Macht zur Durchsetzung ihrer Forderungen entgegenstellen zu können. Man⸗ müsse schon ein Großagrarier, wie der Freiherr von Wangenheim sein, um die Regierung noch ermahnen zu können, den Beutel nicht zu weit aufzutun. Die Ursachen des Hochwassers lägen in der miserablen Arbeit der Wasserstraßenverwaltung, die die Aufsicht vernachlässigt hätte und dafür zur Rechenschaft zu ziehen sei.
Abg. Stock (Völk.) spricht sich für den Luusschußantrag aus, der geeignet sei, die Not zu lindern. Durch die Hochwasserschäden komme zu der schon bestehenden Not der⸗ I1“ eine neue hinzu. Da müsse geholfen werden. Besonders sei das für die Warthegegend zu fordern.
Abg. Jordans (Zentr.) empfiehlt die Wünsche der im Westen Geschädigten besonderer Berücksichtigung.
„Abg. Hecken (D. Nat.) weist den Vortvurf des Abg. Schmelzer zurück, seine Fraktion habe ihre Anträge aus partei⸗ politischen Gründen gestellt. Gerade das Zentrum habe bei der Hauszinssteuer, bei der Behandlung der Wünsche der Landwirt⸗ schaft bewiesen, daß dieser Vorwurf auf das Zentrum selbst zutreffe.
Abg. Schmelzer (Sentr.) weist diesen Vorwurf als un⸗ begründet zurück.
Der Ausschußantrag, der die Hilfsaktion einheitlich zu⸗ sammenfaßt, wird angenommen. 3
Das Haus vertagt sich.
Sonnabend 10 Uhr: Etatsberatungen.
Schluß: 5 Uhr 30 Minuten.
Parlamentarische Nachrichten.
Der Reichstagsausschuß für die besetzten Gebiete behandelte gestern in Fortsetzung seiner am Mitt⸗ woch abgebrochenen Verhandlungen die Vorlage der Reichs⸗ regierung über die Hilfsaktion für die besetzten Gebiete. Die Regierung erklärte, dem Bericht des Nach⸗ richtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger zufolge, daß drei Millionen Mark als Baudarlehen langfristig, zu 8,5 vH verzinslich, für das Saargrenzgebiet zur Verfügung gestellt werden. Der Ausschuß beschloß, den Saargängern fünf Mil⸗ lionen Mark zur Verfügung zu stellen; ein Beschluß, der mit dem Programm der Reichsregierung in seiner zahlenmäßigen
Wirkung nicht übereinstimmt. ssekretär Schmid vom Rheinministerium entgegenkommende 8 1“
Gleichwohl sagte der Staats-⸗