1927 / 21 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 26 Jan 1927 18:00:01 GMT) scan diff

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Aus dem Bericht des Herrn Regierungspräsidenten geht hervor, daß von der mir telegraphisch angekündigten Vernichtung Hunderter von Existenzen letzten Endes fünf Fälle erheblicher Mietssteigerung übriggeblieben sind. (Hört, hört! rechts.)

Beim Ministerium selbst um auch darüber genau Aufschluß zu geben sind bis zum 21. Januar 441 Beschwerden eingegangen, davon 211 aus Groß Berlin. Dabei ist zu betonen, daß diese Zahl nicht etwa nur besonders krasse Fälle darstellt, sondern daß darin auch Fälle enthalten sind, in denen es sich offenbar lediglich um voorsorgliche Kündigung des Vermieters zum Zwecke eines neuen Ver⸗

tragsabschlusses handelt. So z. B. pflegt mich der Mieterbund eines

Berliner Bezirks über die angeblich katastrophalen Wirkungen der Verordnung in folgender Form aufzuklären:

Wir teilen Ihnen ergebenst mit, daß unserew Mitgliede, dem

Malermeister Straße Nr. ... seine

Werkstatt gekündigt worden ist.

(Hört, hört! und Heiterkeit rechts.) Mit solchem Material kann ich natürlich gar nichts anfangen. Das könnte ich nur, wenn mir ge⸗ schrieben würde, daß die Kündigung aus dem und dem Grunde von dem Mieterbund für unberechtigt gehalten wird. (Sehr richtig! rechts.) In der angegebenen Zahl von 441 Beschwerden sind alle derartigen Eingaben, die in keiner Weise erkennen lassen, ob tat⸗ sächlich ein Mißbrauch der Verordnung vorliegt, mit einbegriffen.

Im übrigen wird mir ohne weiteres zugegeben werden müssen, daß

die Zahl von 441 Eingaben, auch wenn es sich was nicht der

Fall ist um wirklich zu beanstandende Mißbräuche handelte, bei

der großen Menge gewerblicher Mietverhältnisse in Preußen wirklich nicht so stark ins Gewicht fallen kann, wie es zum Teil dar⸗

gestellt wird.

Bei dieser Sachlage gibt es für eine verantwortliche Ver⸗ waltung zurzeit nur einen Weg: die weitere wirtschaftliche Ent⸗ wicklung auf diesem Gebiete in aller Ruhe abzuwarten (sehr richtig! rechts) und sich vor voreiligen Entschlüssen zu hüten, zu denen die bisherigen Erfahrungen meiner Ueberzeugung nach keine Unterlagen bieten. (Erneute Zustimmung im Zentrum und rechts.) b

Allerdings darf ich auch hier zum Schlusse der festen Er⸗ wartung Ausdruck geben, daß alle beteiligten Kreise zur Ueber⸗ windung der Schwierigkeiten ernsthaft und guten Willens mit⸗ arbeiten. Als eine sachdienliche Mitarbeit an dem von uns allen erstrebten Ausgleich kann ich es leider nicht bezeichnen,

wenn die Mieterorganisationen an ihre Mitglieder folgende, formularmäßig überall verbreitete Aufforderung richten: MNiemand schließe neue Verträge zu anderen als den bisherigen

Bedingungen ab. Er läuft sonst Gefahr, nach Aufhebung der

Verordnung für die Vertragsdauer an diese Bedingungen ge⸗

bunden zu sein.

Eine solche Aufforderung ist das Gegenteil von praktischer Mit⸗ rbeit; so kann die praktische Mitarbeit meiner Ansicht nach nicht ussehen. Ich wiederhole meine Aufforderung, die ich damals

schon hier im Plenum an die Hausbesitzerorganisationen ge⸗ vichtet habe, ihrerseits alles daranzusetzen, um, wie man zu sagen pflegt, dafür zu sorgen, daß die Kirche im Dorfe bleibt, daß die Dinge in geordneten Bahnen bleiben. Andererseits bitte ich die Mieterorganisationen auch, nicht unnötig Schwierigkeiten in die Sache hineinzubringen. Einmal kommt der Zeitpunkt, zu dem wir die Dinge durchführen müssen, doch, und ich be⸗ zweifle und bestreite, daß irgendein späterer Zeitpunkt ein günstigerer sein könnte als der jetzige, wo wir einen Tiefstand des Wirtschaftslebens erreicht haben, von dem wir aber hoffen, daß er in Zukunft besser wird, daß bei diesem Aufstieg aus einem wirtschaftlichen Tiefstand zu einer besseren wirtschaftlichen Kon⸗ junktur ein vernünftiger Ausgleich dieser Verhältnisse herbei⸗ geführt werden kann. Daß eine Entwicklung, die 13 Jahre unterbunden war, wenn sie jetzt aufeinmal wieder freigegeben wird, Schwierigkeiten und Reibungen hervorrufen muß, ist selbstverständlich. Ich kann hier eben auch nur sagen: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht! Versuchen wir, über diese Dinge hinweg⸗ zukommen. (Bravo!)

Abg. Lüde mann (Soz.) bespricht die Frage des Ausgleich⸗ onds, der dem Minister zur Verfügung steht, um die Ver⸗ eiedeaüen zwischen Steueraufkommen und Deckung für den

ohnungsbedarf auszugleichen. Namentlich die Stadt Berlin

mit ihrem großen Wohnungsbedarf sei sehr ungünstig daran. Berlin habe ni soviel zur Verfügung wie z. B. Hamburg, trotzdem sich die Wohnungsnot in Berlin um etwa 17 000 Woh⸗ nungen verschärft habe. Hoffentlich bringe die kommende Woh⸗ nungszählung die erforderliche Aufklärung. Die Verordnung über die Lockerung der Rhechetet veha sabe allerdings große

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reude bei der Wirtschaftspartei gefunden. Leider habe der Kinister seine Ansicht über ihren Inhalt noch immer nicht eändert, wie seine eben gehörte Rede geigt. Die Sozialdemo⸗ ratische Partei wende sich gegen die Durchbrechung des Prinzips bei der Landwirtschaft. Durch die Lockerung seien insbesondere auch die bildenden Künstler betroffen, die den maßlosen Forde⸗ rungen der Hausbesitzer jetzt für ihre Atelierräume ausgeliefert seien. (Zuruf bei der Wirtschaftl. Vereinig.: Woher wissen Sie as?) Auch 88 würden die unerhörtesten Preise gefordert! (Zuruf des Abg. Ladendorff: Beweise!) Der Gewerbetreibende öͤnne sich auch nicht ohne weiteres wo anders niederlassen. Sie würden zur Einigung gezwungen, um ihre Existenz zu erhalten; ie handelten unter einer schweren Zwangslage. Der Minister agte, die veh sen gan se gben seien für die Aufhebung der wangswirtschaft. Ja, die Organisationen, die die Interessenten, die das Kapital vertreten und meist selbst Hauseigentümer seien, die also unter der Aufhebung nicht litten. (Wiederholte Unter⸗ brechungen des Abg. Ladendorff [(Wirtschaftl. Vereinig].) Eigen⸗ artig sei, daß die Deutschnationalen, die s. Zt. selber auf die Herauslassung der gewerblichen Räume gedrängt hätten, jetzt e Schutz forderten gegen skrupellose Bewucherung und ie Hinausschiebung der Wirkung der Verordnung des Ministers verlangten. So groß sei schon der Katzenjammer! Um so er⸗ taunlicher sei, daß der Wohlfahrtsminister fordere, man solle ie weitere Entwicklung abwarten, und daß der Minister das Wort wiederhole; Ruhe ist die erste Bürgerpflicht! Nein, hier ei die größte Unruhe berechtigt! Der Minister müsse dafür orgen, daß jeder Deutsche über eine angemessene Wohnung zu Iegeegenen. Preisen verfügen könne. Seine Fraktion verlange ein wirklich soziales Wohnrecht und hoffe, daß die Ernüchterung in den Kreisen der kleinen Handels⸗ und Gewerbetreibenden fortschreiten werde.

Abg. Sonnenschein (D. Nat.) billigt die Ausführungen des Ministers. Seine Partei sei aber gegen jede Erhöhung der Hauszinssteuer und ihre Stabilisierung. Die Darlegungen des Finanzministers im „Berliner Tageblatt“ seien recht lehrreich; mit ihnen scheine der Minister einen Rückzieher zu machen früheren Ausführungen gegenüber. Zur Entlastung der Städte mehr geschehen für die Gestellung von Landarbeiter⸗

wohnungen; die Siedlungspläne im Osten müßten größere Auch die Wünsche seiner Partei auf

Berücksichtigung finden. Steuererleichterung und Unterstützung kind

billiges Bauland

am

reicher Familien müßten stärker berücksichtigt werden. Das alte solide Unternehmertum müsse wieder arbeitsfähig gemacht werden. Die Verordnung des Ministers sei notwendig und auch zeitgemäß. Einmal müßte der Schritt getan werden! Die Zwangswirtschaft sei kein Prinzip, wie der Vorredner sagte, sondern eine Notmaßnahme, die schleunigst verschwinden müsse. Mit großen Uebertreibungen sei von den Gegnern der Ver⸗ ordnung gearbeitet worden. Der solide Hausbesitz wende sich mit allen Mitteln gegen Elemente, die die Verordnung mißbrauchten; hier könne ruhig der Staatsanwalt vorgehen. Der Sinn des deutschnationalen Antrags sei, gegen skrupellose Elemente Schutz zu gewähren durch Schiedsstellen, die eine billige Regelung her⸗ beiführen sollten. Das ändere nichts an der Stellung der Partei, daß die Verordnung 1““ Das Verlangen nach Hinausschiebung der Wirkung der Verordnung solle die Uebergangszeit erleichtern, z. B. auch im Interesse der bildenden Künstler. Es sei an der Zeit, den Eigentumsbegriff einmal wieder zu stabilisieren. Auch die E bezeichne das Eigentum als unverletzlich. Heraus endlich aus dieser Zwangs⸗ wirtschaft. 1G

Abg. Köthenbürger (Zentr.) wünscht, daß jeder in seinem eigenen Häuschen wohnen könne. Ein Weg zur Behebung der Wohnungsnot sei der, daß die Gemeinden sich viel mehr für die Entwicklung interessierten, daß sie Grundstücke ankauften und zum I abgäben. Der Entrüstungssturm gegen den Woh fehrtsminister habe sich hauptsächlich in Berlin erhoben. wer eine Mieter übervorteile, werde eines Tages den Schaden

aben.

Abg. Dr. Grundmann (D. Vp.) erklärt, daß sich die h keit jetzt ganz anders mit der Frage des Wohnungs⸗ wesens beschäftigte als es in den letzten Jahren der Fall gewesen sei. In Wahrheit drehe es sich immer wieder um die Frage der Finanzierung der Neubauten. n jeder Partei gebe es ver⸗ FHicdene Richtungen in der Auffassung, wie man aus der Zwangs⸗ wirtschaft herauskommen könne. Die Deutsche Volkspartei fordere wiederum, daß die Regierung einen Plan aufstellen müsse. Eine Grundlinie lasse sich sehr wohl herausarbeiten derart, daß sich jeder an den Abbau anpassen könne. Man könnte sich wohl denken, daß z. B. die und auch die Fürsorgegesellschaften die Bautätigkeit efruchten könnten. Mit einem solchen Plan könne man wohl der gegenseitigen Verhetzung wirksam entgegen⸗ treten. Was der Minister heute gesagt habe, hätte er besser schon vor vier Wochen sagen können. (Sehr richtig! rechts.) Die Inter⸗ essentenkreise seien überrascht worden, denn noch am 12. Februar 1926 habe man in der Regierung gesagt, man denke nicht an Frei⸗ P der gewerblichen Räume. 888. hört! rechts.) Die Haus⸗

esitzervereine hätten selbst Mietssteigerungen nur in unausweich⸗

lichen Fällen und bis zu 120, % erlaubt. Leider seien Steige⸗ rungen seitens großer kapitalkräftiger Gesellschaften bis zu 500 % vorgekommen, die zeigten, daß bei ihnen keine soziale Seele vor⸗ handen 2 Eine solche gegen den soliden Hausbesitz eingestellte Politik könne uns unter Umständen wieder au Jahre hinaus in die eeeee zurückwerfen. Seine Fraktion verlange, daß der Staatsanwalt brutal gegen einen solchen Wucher eingreife. Sie wünsche eine größere Karenzzeit für die Kündigungen und rege auch andere Milderungen an. Sie glaube damit auch im Interesse des soliden Hausbesttzes zu handeln. Die Hauszinssteuer, solange sie bestehen bleibe, müsse dem Wohnungsneubau zugute kommen. Wenn man einen Teil 82 Zinsgarantien abzweige, werde man auch privates Baukapital in viel größerem Maße be⸗ kommen. Die Hauptsache sei, den Wohnungsmangel zu beseitigen; ehe das nicht geschehe, könne in Deutschland an keine Wohnkultur gedacht werden. (Beifall rechts.) 3 1

Abg. Heym⸗Suhl (Komm.) wirft dem Minister Hirtsiefer vor, daß er sich in seiner Rede eindeutig als Vertreter des Haus⸗ kapitals und Feind der Mieter und kleinen Gewerbetreibenden gezeigt habe. Er habe aber nicht zugesagt, daß dem Wohnungs⸗ mangel nun endlich 1927 endgültig abgeholfen werden folle. Die Dawes⸗ und Locarno⸗Politik einerseits und die Rationalisierungs⸗ bestrebungen auf der anderen Seite vecersten das Elend der werktätigen Massen von Tag zu Tag. Das Programm des Mi⸗ nisters, nun auch noch die Mieten auf 130 % zu erhöhen, weil angeblich sonst der Wohnungsbau nicht genügend gefördert werden könne, müßten die Kommunisten scharf ablehnen. E

Abg. Hoff (Dem.) bezeichnet die Darlegungen des Ministers über die Bautätigkeit im Jahre 1926 als erfreulich. Die An⸗ strengungen der preußischen Regierung, durch Bereitstellung öffent⸗ licher Mittel die Wohnungsnot zu beheben, hätten den Erfolg gehabt, daß seit Kriegsende in Preußen eine Million neue Woh⸗ nungen exrrichtet worden seien. Dies könne besonders die Demo⸗ kraten befriedigen, die, im Gegensatz zur Rechten, auch die Mittel für den Wohnungsbau bewilligten. (Sehr wahr! rechts.) Erst wenn die Wohnungsnot beseitigt sei⸗ könne die Wohnungszwangs⸗ wirtschaft aufgehoben werden. Notwendig sei für 1927 ein er⸗ höhtes Bauprogramm unter Benutzung von Anleihemitteln. Eine Steigerung der Miete in der jetzigen Zeit der Arbeitslosigkeit sei unerträglich; leider aber würde wohl die kommende Rechts⸗ regierung im Reich als eine ihrer ersten Maßnahmen eine solche Steigerung gegen die Stimmen der Demokraten durchdrücken. Wenn jetzt noch die deutschnationalen Agitatoren die Beseitigung der Hauszinssteuer forderten, so würde auch diese Forderung in dem Moment verstummen, in dem die Deutschnatio⸗ nalen die Verantwortung in der Reichsregierung übernähmen. Noch schlimmer aber verfahre die Wirtschaftspartei. Sie, die jetzt die Herausnahme der gewerblichen Räume aus der Zwangs⸗ wirtschaft gefordert und begrüßt habe, hätte in ihrem gedruckten Parteiprogramm ausdrüclich erklärt, daß sie gegen die Heraus⸗ nahme der Gewerbebetriebe sei, weil das eine Schädigung der Gewerbetreibenden bedeute. (Gelächter links und Rufe bel den Demokraten: „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan!“ „Ein Programm vor den Wahlen und eins für nach den Wahlen!“) Der Minister, der sich die Sache etwas zu leicht gemacht habe, verkenne die schweren Schädigungen, die durch seine Verordnung überall eingetreten seien und durch die zahllose Gewerbetreibende dem Ruin nahegebracht würden. Wenn er erkläre, daß die Berliner Malerinnung zu Unrecht auf die Protestliste gesetzt sei, müsse man hervorheben, daß tatsächlich dieses Verband auf der Liste überhaupt nicht enthalten sei. (Hört! hört! bei den Demo⸗ kraten.) Die Demokraten forderten jedenfalls die Zurücknahme der Befreiung der gewerblichen Räume von der Zwangswirt⸗ schaft. Sofortige schnelle Entscheidung über die Hirtsiefer⸗ Verordnung sei jedenfalls notwendig, damit die Gewerbe⸗ treibenden Klarheit hätten. Denn es sei ein Unding, daß sie vielleicht im März noch nicht wissen, wie und wo sie am 1. April arbeiten könnten. Die Demokraten würden namentliche Ab⸗ stimmung über ihren Antrag gegen diese Verordnung beantragen, um zu zeigen, wer gewillt sei, für das Gewerbe einzutreten. (Lebhafter Beifall bei den Demokraten.)

„Um 5 ⁄⁄ Uhr vertagt das Haus die Weiterberatung auf Mittwoch 11 Uhr. Außerdem: Kleine Vorlagen.

Parlamentarische Nachrichten.

Der Haushaltsausschuß des Reichstags setzte 24. d. M. unter dem Vorsitz des Abgeordneten Heimann (Soz.) die Beratung des Stats des Reichswirtschafts⸗ ministeriums fort. Als Beitrag zur Hebung der Wirtschaft⸗ lichkeit der Feetche und industriellen Produktion sind im Etat 1 200 000 RM angefordert Von der Regierung wurde laut Bericht des Vereins deutscher Zeitungsverleger hierzu erklärt, daß die weiteren Arbeiten zur Hebung . Wirtschaftlichkeit für die Verbilligung und Verbesserung der deutschen Produktion von rößter Bedeutung seien. Diesem eck in erster Linie diene die Tätigkeit des Reichskuratoriums für Wirtschaftlichkeit und der ihm angeschlossenen Verbände. Zur weiteren 1 der Wett⸗ bewerbefähigkeit der deutschen Wirt gaft müßten die Arbeiten des Reichskuratoriums für Wirtschaftlichkeit und seiner K 7.

auf Dienstag.

in seiner gestrigen Sitzung mit Anträgen

im bisherigen Umfange fortgesetzt werden. Es sei daher auch für 1927 wieder ein Betrag von 1 200 000 RM vorgesehen. Die Industrie werde sich, wie in den früheren Jahren, auch 1927 mit namhaften Mitteln, deren Betrag noch nicht feststeht, beteiligen. Die bisherigen Erfahrungen der Vereinigten Staaten von Nord⸗ amerika hätten bewiesen, daß durch planvolle. Erzeugung die ge⸗ üge. Wirischaft eines Landes verbilligt und damit belebt werden önne. Die Regierung der Feer1. Staaten leiste seit Jahren hohe Beträge (über 100 Millionen RM jährlich) für diese Zwecke. Die Kommunisten Se g Streichung dieses Postens. Der Antrag wurde abgelehnt. Die Abgg. Dietrich⸗Baden (Dem.) und v. Raumer (D. Vp.) wiesen auf die große Wichtigkeit einer 1“ der deutschen Wirtschaft hin und verlangten Verdoppelung des im Etat ausgeworfenen Betrages. Abg. Le⸗ jeune⸗Jung (D. Nat.) wollte die Tätigkeit des Reichskura⸗ toriums nicht verkleinern; immerhin sollte die Sache mehr der Priwvatinitiative überlassen werden und weniger Bürokvatismus ge⸗ trioben werden Abg. Schlack (Zentr.) war der Ansicht, daß in erster Reihe die Industrie selbst die Kosten aufbringen würde. Reichs⸗ Dr. Curtius erwiderte, daß die Leistungen der Industrie etwa den 10 fachen Betrag des Reichszuschusses aus⸗ machten. Abg. S 9 midt⸗Berlin (Soz.) wies darauf hin, daß in Amerika nicht so sehr die Normisierung durch Verständigung der Fabriken untereinander eintrete, als vielmehr dadurch, baß eine einzelne Fabrik einen bestimmten Gebrauchsgegenstand in so unerhörten Mengen und derart billig auf den Markt werfe, daß eben alle dieses Produkt kauften. Jedenfalls brauche man dazu keine großen Kuratorien mit riesiger Papierarbeit. Abg. Dr. Cremer (D. Vp.) fragte nach der Ersprießlichkeit der bisherigen Zusammenarbeit zwischen Reichsausschuß, Technik und Land⸗ wirtschaft. Ein Regierungsvertreter erwiderte, daß die Zusammenarbeit gesichert sei; allerdings sei es ratsam, auf gewissen Gebieten zunächst getrennt zu arbeiten, da Anlage und Tempo der Arbeiten auf den verschiedenen Gebieten auch durch⸗ aus verschieden seien. Der Antrag auf Verdoppelung des Postens wurde dem Unterausschuß zur Beschlußfassung über⸗ wiesen. Zur Förderung des deutschen Außenhandels, ins⸗ besondere zur Zinsverbilligung für Darlehen an deutsche Expor⸗ teure, sind im Etat neu 750 000 RM angefordert. Die Kommu⸗ nisten und Sozialdemokraten beantragten Streichung dieser Etats Der Antrag wurde abgelehnt. Da aber im Ausschuß mannigfache Bedenken über die Bewilligung dieser Position auch von deutschnationaler und Zentrumsseite laut wurden, wurde die Beschlußfassung über diesen Posten zunächst dem Unterausschuß überwiesen. Damit war der Etat des

Reichswirtschaftsministeriums erledigt, und der Ausschuß wandte Vorläufigen Reichs⸗

sich der Beratung des Etats des wirtschaftsrats zu. Ueber diesen Abgeordneten Keinath (D. Vp.) und Schmidt⸗Berlin

(Soz.). Nach kurzer Besprechung wurde der Etat ohne wesentliche danach

Aenderungen bewilligt. Der Ausschuß vertagte sich

Der Rechtsausschuß des beschäftigte sich

er Demokraten, Sozial⸗ demokraten und Kommunisten auf Erleichterung der Ehescheidung. Nach dem geltenden Recht sind Ehescheidungs⸗ gründe nur Ehebruch, böswilliges Verlassen oder Geisteskrankheit. Die Anträge der Demokraten und der Sozialdemokraten wollen das Recht auf Scheidungsklage auch dann gewähren, wenn eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses besteht, daß einem oder beiden Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht zugemutet werden kann. Der kommunistische Antrag will die Ehescheidung auch durch Uebereinkommen beider Ehegatten oder auf Antrag eines der Ehegatten zulassen. In allen drei Anträgen 95 Bestimmungen vorgesehen, die den wirtschaftlich schwächeren Teil der Ehegatten gegen materielle Schädigungen durch die Scheidung sichern sollen. Die Aussprache wurde eingeleitet durch eine mit großer Auf⸗ merksamkeit aufgenommene Rede des Ausschußvorsitzenden Abg. Prof. Dr. Kahl (D. Vp.), der vorweg erklärte, daß er nur für Person und nicht für seine Partei sprechen könne. Nach dem Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungs⸗ verleger führte Prof. Kahl etwa aus: Schon seit der Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuches ist die Erörterung darüber nicht ver⸗ eee. daß die objektive Zerrüttung der Ehe unabhängig vom Verschulden des einen oder des anderen Ehegatten unter die gesetz⸗ lichen Ehescheidungsgründe aufgenommen werden müsse. Die Schweiz hat 1907, Norwegen 1918, die Tschechoslowakei 1919, Schweden 1920 und Dänemark 1922 diesen Scheidungsgrund recht⸗ lich eingeführt. In Deutschland hat nach der Staatsumwälzung Frenken eine solche Forderung abgelehnt, die übrigen Justizminister haben Zurückhaltung empfohlen, jedenfalls war eine Regierungsvorlage in diesen Richtung nicht zu erwarten, so daß nur der Weg der Initiativanträge blieb. In der Anerkennung der Notwendigkeit einer Erweiterung der Ehescheidungsgründe stimme ich überein mit den vorliegenden Anträgen. Es ist zwar von philosophisch⸗metaphysisch gerichteter Seite die Existenz der objek⸗ tiven Ehezerrüttung bestritten und behauptet worden, daß immer ein Verschulden dabei sein müsse, doch ist der Beweis für die objek⸗ tive nicht schuldhafte Ehezerrüttung schon durch viele tausende Beobachtungen und einwandfreie Feststellungen erbracht. Niemand vermag die unendlich komplizierte Kausalreihe psychologischer Vor⸗ gange zu übersehen, um sie von einem bestimmten Gegenwartstat⸗ estand aus zurückzuleiten zu einer möglichen subjektiven Ursache. Mit einem so verdünnten und verfeinerten Schuldbegriff kann der Richter nichts anfangen. Schuldhafte Zerrüttung liegt nur vor, wo der Schuldgrund sinnlich wahrnehmbar und äußerlich beweisbar ist. Schuldlose Zerrüttung muß angenommen werden, wenn ein Schuldbestand nicht mehr erkennbar oder nicht mehr nachweisbar ist. Die Gründe können sehr verschieden sein. Als Lehrer des Ehe⸗ rechts hatte ich das Unglück, der Vertrauensmann von vielen zu werden, und aus diesem Material möchte ich folgende Gründe an⸗ führen: 1. Uebereilte Eheschließung, ohne daß man geradezu von F hrlässigkeit oder Leichtsinn sprechen kann. Es sind in diesen Fällen zufällig oder unter dem Druck äußerlicher Geschehnisse Ehen geschlossen worden, denen die Grundlage für ein wirkliches Ehe⸗ verhältnis fehlte. Das geschah namentlich in der Kriegszeit und vor allem in der Psvchose der Nachkriegszeit. 2. Während der Ehe hat sich an dem allgemeinen Schicksal und an Vorgängen des täg⸗ lichen Lebens eine Unvereinbarkeit der beiden Temperamente und Charaktere derartig entzündet und gesteigert, daß auch der redlichste Wille nicht zum Ausgleich genügt. Dieser Typ ist gerade unter eistig hochstehenden Menschen zu beobachten, unter Eheleuten mit Perke. geistigen Individualismus, Künstlern, hochstehenden Schriftstellern und dergleichen. 3. Bei starker religiöser Empfind⸗ samkeit und Empfindlichkeit beider Ehegatten hat die Gesinnungs⸗ einheit dadurch einen geradezu tödlichen Stoß erlitten, daß der eine Teil die Konfession oder Religion gewechselt hat oder daß sich schwere Konflikte aus der Empfinduna der stärksten religiösen Ver⸗ antwortlichkeit heraus hinsichtlich der religiösen Kindererziehung entwickelt haben. Ein Widerspruch, in dem sich die beiden Ehe⸗

(Fortsetzung in der Ersten Beilage.)

Verantworklicher Schriftleiter: Direktor Dr. Tyrol, Charlottenburg.

Verantwortlich für den Anzeigenteil: Rechnungsdirektor Mengering in Berlin.

Verlag der Geschäftsstelle Mengering) in Berlin. 8 8 ich d ischen Druckerei⸗ und Verlags⸗Aktiengesellschaft. Vee der He Peem Wllbelwhr 82 b 8 Vier Beilagen l(einschließlich Börsen⸗Beilage)

Etat referierten die

zum De

Nr. 21.

(Fortsetzung aus dem Hauptblatt.)

gatten nicht verständigen können. Hier handelt es sich hauptsächlich um Ehegatten mit tiefer sittlicher Empfindung und religiöser Stimmung. 4. Ehen, in denen umgekehrt durch die Verkettung 748— unglücklicher Umstände die Ehe zerrüttet worden ist. Plötz⸗ liche Verarmung, schuldlos eingetretene Impotenz, unverschuldet erworbene widerliche Krankheit des einen Teiles Geschlechts⸗ krankheiten fallen m darunter —, wodurch die Bedingungen einer körperlichen und geistigen Lebensgemeinschaft vollständig zerstört sind. Das sind namentlich Ehen im Mittelftand und in den minder⸗ bemittelten Kreisen. 5. Ehen, in denen bei einem der Ehegatten unvorhersehbar und chronisch sich eine der unseligen psychopathischen Zwischenstufen festgesetzt hat, die die Grenzen der gesunden und eistig⸗normalen Veranlagung längst überschritten, auf der anderen eite aber die Höhe einer geistigen Erkrankung nicht erreicht hat. Dadurch wird der Sinn der Ehe aufgehoben. Hysterie, Neu⸗ rasthenie, pathologische Hypertrophie spielen hier die Hauptrolle. Ich gehe nicht weiter ein auf die Fälle, in denen in neuerer Zeit sogar die Politik eine deramige Rolle gespielt hat. Mir sagte ein Mann, er könne seiner Frau keinen Vorwurf machen, sie sei Hdealistin, aber eine Verständigung mit ihr sei bei ihrer politischen Einstellung ganz unmöglich. Ich mußte ihm ant⸗ worten: „da Sie selbst sagen, daß Ihre Frau keine Schuld trifft, kann ich nach dem geltenden Recht Ihnen nicht helfen!“ enn ein Scheidungsprozeß verloren ist wegen ungenügender Schuldbeweise oder Kompensation der Schuld, so muß die Ehe sertgesett werden. Die Schuldfrage spielt nun überhaupt keine olle mehr, aber eine im Sinne der Ehe ist unmöglich. Hier haben wir die zahlreichen Fälle, in denen das richterliche Krteil auf Grund des Rechts die letzte Ursache eines Tatbestandes der objekti

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. tiven Ehezerrüttung bildet. Aus diesen Tatsachen geht ge hervor, daß eine Lücke klafft zwischen Leben und Recht. Ist es möglich, diese Lücke ruhig weiter klaffen zu oder muß man nicht den Versuch machen, sie auszufüllen. Die Ausfüllung 8 Lücke ist not⸗ wendig aus zwei Gründen: erstens weil und solange das Recht eine Hilfe nicht bieten wird, macht sich die Selbsthilfe geltend in der bekannten Weise durch Inszenierung gefälschter Ehescheidungs⸗ ründe fingierter oder wirklich ausge ührter Ehebruch, Inszenierung der böslichen Verlassung. Zweitens mit Rück⸗ scht auf den Gang der Rechtsprechung in der Ehescheidung. Die ichter müssen wissen, daß ihnen zum Teil die Unwahrheit vor⸗ etragen wird. Durch die Macht der Tatsachen werden sie schon t dahin gedrängt, die Grenze 1227 der und Schuldlosigkeit zu verwischen. Es gibt eine 48 rteile, die den Eindruck machen, daß der Richter unter dem Druck der un⸗ fertigen Gesetzgebung genotigt wird, von dem einen Ehescheidungs⸗ grund auf den anderen überzugehen. Danach ist es nicht 2 haft, daß eine Aenderung eintreten muß, zweifelhaft ist nur das wie. Wenn nicht in irgendeiner Weise und nicht zu spät vom Reichstag die Sache in die Hand genommen wird, dann wird jedes Jahr beim Reichsjustizetat oder durch unmittelbare Anträge ie Angelegenheit wieder aufs Tapet kommen, von der Tages⸗ ordnung verschwinden kann sie nicht. Wie ist zu helfen? Der amher Antrag will die Ehescheidung im beider⸗ seitigen Einverständnis 8c halte diesen Antrag für unmöglich, weil er die Willkür zum Grundgefetz der Ehe erhebt, den Leichtsinn bei der Schließung der Ehe begünstigt. Die Ehe⸗ schließung ist der Vertrag über den Eintritt in das objektive Rechtsverhältnis der Ehe. Ueber diesen Vertrag entscheidet jeder auf freie Entschließung, nicht aber bei der Ehescheidung. Da handelt es sich um die Wiederaufhebung eines bestehenden Rechts⸗ das allein kraft seines Bestandes von Rechts wegen zahlr. privaten Lebens erzeugt hat. Daher ist die Eescheidung der richterlichen S. bedürftig im Gegensatz zur Ehe⸗ He. Der sozialdemokratische 2 ntrag will den Ehebruch als Hindernis für die zweite Ehe gestrichen wissen. Dar⸗ über ließe sich reden. Man könnte 19 ogar auf Luther berufen, der sagte, daß die Beseitigung dieses ehindernisses dazu bei⸗ tragen könnte, um unsittliche Verhältnisse in sittliche umzu⸗ estalten. Weiter will der sozialdemokratische Antrag beim Ehe⸗ shecdungsgrund der Geisteskrankheit die Wartefrist von 3 Jahren auf ein Jahr verringern. Der demokratische und der fozial⸗ bereeFes ch⸗ Antrag aber bringen nicht die richtige Lösung, denn sie wollen die verschuldete Ehezerrüttung als selbständigen Grund bnsheben und die Schuld nur auf Antrag im Urteil festgestellt wissen. Beide Anträge ermangeln auch jeglicher Garantien gegen den Mißbrauch des erweiterten Ehescheidungsgrundes. Für mich ist schlechthin die Voraussetzung für eine Ehescheidung auf Grund der objektiven Ehezerrüttung die selbständige und ausdrückliche cfetliche Beibehaltung des Scheidungsgrundes der verschuldeten bertüthung, Dem Rechtsbewußtsein überwiegender Kreise des eutschen Volkes entspricht es, daß in der Regel nur bei Ver⸗ schuldung 9ten werden kann, die objektive Ehezerrüttun agegen nur die Ausnahme als Scheidungsgrund bildet. Ich wi daher dem b § 1568, der die schuldhafte h betrifft, nur die objektive Ehezerrüttung hselesen Es müssen nach meiner Meinung materiell rechtliche Bürg chaften 18 den einer objektiven Ehezerrüttung im Gesetz selbst vor⸗ geschrkeben werden. Als solche sind unerläßlich: 1. die tatsächliche längere Trennung der Ehegatten vor der Zulassung der Scheidungsklage. In analoger Anwendung der Frist bei der böswilligen Verlassung würde ich ein Jahr als ausreichend an⸗ ehen. 2. Die Ehegatten müssen ihner eits die vermögens⸗ und amilienrech lüichen Folgen einer solchen Scheidung selbst in indender Weise geklärt und festgesetzt haben. Das ist eine ent⸗ scheidende Bürgschaft dafür, daß nicht Laune, Augenblicksver⸗ timmung, Frivolität oder sonstige Vorwände sich hinter der Be⸗ auptung der Ehezerrüttung verbergen. n einem Vertrag der egatten mu eregelt sein Art und n der gegenseitigen Unterhaltsverostchtungen und die Zukunft der Kinder. Diese Feststellung kann nicht dem Gericht überla 9 werden. Auch die erpflichtung zu einem folchen Vertrag ist eine gewisse Bürg⸗ chaft gegen die leichtfertige been des Scheidungsgrundes. ommen die Ehegatten nicht zu einer Einigung, dann ist immer noch die Möglichkeit vorhanden, daß das Gericht auf Antrag eine Entscheidung trifft. Prozeßrechtlich 85 daran festgehalten werden, daß die Gründe einen objektiven Ehezerrüttung beweis⸗ flichtig sind. Das richterliche Prüfungsrecht muß sich auf die ensthaftigkeit der vorangegangenen Trennung und des abgeschlossenen Teilungsvertrages erstrecken. Dem § 1568 wäre also ein Absatz 2 anzufügen, in dem gesagt wird, daß auch dann auf Scheidung geklagt werben kann, wenn ohne nachweisbares Verschulden des einen oder anderen Eheteils eine derartige her⸗ rüttung des ehelichen Verhältnisses eingetreten ist, daß eine dem Sinne der Ehe entsprechende Fortsetzung der ehelichen Gemein⸗ schaft nicht erwartet werden kann, und wenn außerdem die Ehe⸗ bereits mindestens ein Jahr vor Erhebung der scheidungsklage getrennt gelebt haben, daß die Scheidung erst dann ausgesprochen werden kann, wenn die Ehegatten dem Gericht einen rechtsgilticen Vertrag vorgelegt haben, in welchem die gegenseitige Unterhaltspflicht, die Zuteilung und Erzeehung der Kinder geregelt ist. geder der Ehegatten müßte das Recht 8₰ einen derarticen Antrag auf Scheidung wegen objektiver Sheterrätumg zu stellen. Man ha b. von einer Ehezerrüttung könne man nicht sprechen, solange noch ein eil die Aafrechterhaltung der Ehe wünscht. Dieser G⸗

eiche Wirkungen für alle Beziehungen des öffentlichen und

Erste Beilage

anzeiger und Preußischen Staatsanzeiger V

Berlin. Mittwoch, den 26. Jannar

dankengang irrig. Es gibt genügend Fälle, in denen die Ehe vollkommen bis zur letzten Phase zerrüttet ist, aber gleichwohl aus den verschiedensten Gründen der eine Teil dem anderen die Ehe⸗ cheidung verweigert, aus den edelsten, aber auch aus den unedelsten kotiven. Ir manchen Fällen will der eine Teil dem anderen einfach die Gründung eines neuen Lebensglücks nicht gönnen. Auch finanzielle oder religiöse Bedenken spielen eine Rolle die Rücksicht auf die Kinder oder auch pure Korrektheit des Standes. Da heißt es, eine Ehescheidung in der Familie würde den Jahrhunderte alten Traditionen widersprechen. Zum Schutz des anderen Cheteiles muß daher die Klage beiden Seiten zustehen. In dieser Weise würde ich eine gesetzliche Reform verantworten können. Gewiß kann man egen. jeder Ehegatte hat die Pflicht, auch peinliche Zustände in der Ehe zu ertragen. Die private Rechtsordnung und die Strafrechts⸗ ordnung des Staates können aber nicht auf die höchsten sittlichen Kraftleistungen eines Menschen eingestellt sein, sie müssen mit dem mittleren Durchschnittspreis sittlicher Tragfähigkeit und Widerstands⸗ kraft rechnen. Geschieht das nicht, dann tritt die Folge der Gesetzes⸗ umgehung oder der Gesetzesverletzung ein. Es handelt sich nicht darum, durch eine derartige Reform einen Anreiz zur Vermehrun der Ehescheidungen zu geben. Vom allgemein eibischen Standpun aus muß aber gesggt werden, daß die zwangsweise Aufrechterhaltung einer im letzten Grunde und absolut zerrütteten Ehe allerdings dem Wesen der Ehe widerspricht, gerade, wenn man die Heiligkeit der Ehe betont. Auch die Volksgemeinschaft hat kein an der Aufrechterhaltung einer absolut zerrütteten Ehe. Eine solche Ehe kann nicht das sein, als was sie in der Reichsverfassung bezeichnet ist, die Grundlage der ganzen Staatsordnung. un kommen die veligiös⸗kirchlichen Einwände. Auch vom Standpunkte des Protestantismus aus habe ich die strengste Auffassung von der Heiligkeit der Ehe. Der Protestantismus kennt allerdings keine dogmatische Unauflösbarkeit der Ehe, kein jus divinum. Das Bibelwort „Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden“ haben die Reformatoren aus⸗ gelegt als im Gegensatz stehend zu der erlaubten römischen und b2 Selbstscheidung der Ehe, aber sie beziehen es nicht auf den Staat, der in der Lage sein müsse, Bedingungen festzustellen, unter denen eine einmal rechtsgültig Fejhlossene The wieder gelöst werden könnte. Der 8 tantismus hat als ersten objektiven Ehescheidungsgrund die isteskrankheit eingeführt, es würde ganz auf dem Wege seiner Entwicklung liegen, wenn aus zwingenden staatlichen oder sozialen Gründen die unverschuldete Che⸗ zerrüttung als zweiter objektiver Grund betrachtet würde. Ich kann hier nicht im Namen des Protestantismus oder seiner obersten kirch⸗ lichen Behörde sprechen; ich bin mit meiner Ff t ziemlich isoliert im deutschen evangelischen Kirchenausschuß, der sich in seiner Denk⸗

schrift gegen die Erweiterung der Ehescheidungsgründe ausgesprochen Das darf micf nicht abhalten, eine maßvolle Reform dann jse nach meiner EhenFegen gerade zur Ge⸗

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hat. 8. vertreten, wenn s 8 undung und Heiligkeit der Ehe beiträgt. nfalls verstößt diese Reform nicht gegen ein Prinzip des Piot tantismus. Bis 1879 hatten auch die Landesherren als Herren der evangelischen Landes⸗ kirchen das Recht, die Chescheidung, durch Ehegerichte die Ehe⸗ scheidungen da auszusprechen, wo das Bedürfnis der Scheidung äaus Billigkeitsgründen vorlag. Dieses Recht ist in Bayern und Sachsen auch auf die katholischen Landesherren übergegangen und von ihnen ausgeübt worden. Schwieriger ist die religiös⸗kirchliche Einstellung des Katholizismus zu diesen Fragen. Wer kraft göttlichen Rechts eine Lösung der Ehe überhaupt ablehnt, kann unmöglich einer Er⸗ weiterung der Ehescheidungsgründe zustimmen. Aber hier handelt es sich nicht um die Prei eines dogmatischen Anspruchs. Seit 150 Jahren ist das Eherecht auf den Staat übergegangen. Es kam immer nur darauf an, daß die Selbständigkeit des Kirchen⸗ rechts gewahrt blieb. Das ist im Bürgerlichen Gesetzbuch durch

die Bestimmungen geschehen, daß die kirchlichen Verpflichtungen in

Ansehung der Ehe nicht von dem Ehescheidungsparagraphen berührt werden und daß auch statt der Ehescheidungsklage die Klage auf Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft zugelassen ist Dadurch war der katholische Grundsatz der Unlösbarkeit der Ehe vollkommen ge⸗ wahrt. Das muß auch für den neuen Scheidundsgrund seine un⸗ eingeschränkte Bedeutung erhalten. Was jetzt erstrebt wird, liegt durchaus im Rahmen des auch für den Katholizismus Annehmbaren. Es handelt sich nicht um einen Eingriff in kirchliches Recht, sondern um die Ausfüllung einer bestehenden Lücke des Burgerlichen Gesetz⸗ buchs mit ausschließlicher Wirksamkeit im I“ Recht. ie Befürchtung, daß durch die Einführung eines solchen oesebi en Ehe⸗ scheidungsgrundes eine ungeheure Vermehrung der Ehescheidungen eintreten würde, ist nicht berechtigat. Im Anfang wird sich wohl der Zustrom der Ehescheidungbegehrenden verstärken, weil bis jetzt nach dem bedauerlichen Versagen der Gesetzgebung viel objektives Eheunglück aufgestapelt ist. Aber der Strom wird wieder abebben, wenn Gesetzgebung und Rechtsprechung wirklich Schranken gegen etwaigen ißbrauch aufgerichtet haben. Die Erfahrungen in der Schweiz und in den nordischen Ländern sprechen nicht für solche Befürchtungen. Die statistischen Zahlen sind in diesen Dingen ein sehr unzuverlässiger rtmesser. Wenn jetzt nichts geschieht, werden die Ehescheidungszahlen der Statistik noch sehr erheblich steigen.

Prof. Kahl erklärte am Schluß seiner Ausführungen, er wolle selbst

einen Antrag stellen und habe nur Anregungen geben wollen, damit die von ihm für notwendig erachtete Reform eine recht breite Basis von zustimmenden Abgeordneten findet. Abg. Brodauf (Dem.) dankie Prof. Kahl für seine Ausführungen, denen er im allgemeinen zustimmte. Er erklärte, die Demokraten wollten nicht auf den Wortlaut ihres Antrages bestehen, sondern damit nur die dringend notwendige CEhescheidungsreform zur Debatte stellen. Abg. (Komm.) bestrikt, daß die Annahme des kom⸗ munistischen Antraes die leichtfertigen Ehescheidungen und Ehe⸗ schließungen vermehren würde. r Antrag verlange eine materielle Sicherung des wirtschaftlich schwächeren Teils der Ehegatten. Abg. Helene Weber (Zentr.) sprach sich gegen die vorliegenden Anträge und auch gegen die Anregungen des Abg. Dr. Kahl aus. Wenn das Zentrum an dem katholischen Grundsatz der Unauflöslichkeit der Ehe festhalte, so habe es dabei nicht bloß die Kirche, sondern auch das Wohl der Staatsgefamtheit im Auge. Darum könne das Zentrum einer Erleichterung der Ehescheidung guch dann nicht zustimmen, wenn die Rechtsauffassung der Katholiken für diese . gewahrt sei. Auch wenn man die Tragik innerlich zerrütteter Ehen und das Unglück der daran gebundenen Ehegatten nicht verkenne, so müsse in diesen großen Fragen doch das Interesse des Staates und der Volksgesamtheit an der Aufrechterhaltung des Instituts der Ehe dem Interesse der einzelnen Menschen Die Ehegatten seien nicht nur für sich selbst verantwortlich, sondern auch für die ganze Volks⸗ gemeinschaft, Bei einer erleichterten Ehescheidung würden die Frauen immer der leidende Teil sein. Abg. Else von Sperber (D. Nat.) schloß sich als Protestantin im wesentlichen den Ausführungen der bg. Weber an. Das heutige Eherecht sei gewiß nicht vollkommen, aber es sei doch das kleinere Uebel im Vereleich zu einer weiteren Erleichterung der Ehescheidung, die wiederum zur Vermehrung leicht⸗ fertig geschlossener Ehen führen würde. Abg. Dr. Marie Lüders (Dem.) 1n den Vorrednerinnen besonders darin, deß eine Erleichterung der Ehescheidung die leichtfertige Eheschließung fördern würde. Lente. die heiraten wollten, ließen sich von solchen Er⸗ wägungen sicherlich nicht, weder positiv noch negativ, beeinflussen. Gerade wer in der Ehe die Grundlare des Staates und eine heilige Einrichtung sehe, dürfe nicht die Aufrechterhaltung einer zerrülteten Gemeinschaft 6,1 die mit dem Begriff der L.g Ehe nichts mehr zu tun habe. Abg. Dr. Bredt (Wirtschaftl. Vereinig.) be⸗

tonte, der Staat habe wohl ein öffentliches Interesse an der Auf⸗ rechterhaltung des Instituts der Ehe, aber er auch ein gewisses öffentliches Interesse an der Aufhebung solcher Ehen, die zerrüttet ind und das Staatsinteresse nicht fördern, sondern schädigen. Abg.

r. Anna Stegmann (Soz.) trat für den sozialdemokratischen Antrag ein und bat Dr. Kahl, seine Anregungen zu formulieren. Der Rechtsausschuß vertagte sich dann auf Freitag, den 4. Februar. Auf der Tagesordnung dieser Sitzung steht die Vergleichsordnung.

Der Reichstagsausschuß für die besetzten Gebiete, der sich mit dem Besatzungsleistungs⸗ gesetz befassen sollte, stellte gestern die Beratung des Gesetzes heess. da eine verantwortliche Regierung zurzeit nicht vor⸗ anden ist, setzte aber einen Unterausschuß zur Vorberatung des Gesetzes ein.

Der Hauptausschuß des Preußischen Land

tages beriet am 25. d. M. über die an den Ausschuß zurück⸗

verwiesenen Anträge zur Typhusepidemiein Hannover. Abg. Quaet⸗Faslem (D. Nat.) wies als Berichterstatte dem Nachrichtenbüro des Vereins deutscher Zeitungsverleger zu⸗ folge darauf hin, daß die Stadt Hannover ihre Forderungen wesentlich ermäßigt habe. Sie sei zu diesem Standpunkt gekommen nach den Verhandlungen mit der Regierung. Ein Vertreter des Finanzministeriums erklärte, daß den ersten Be⸗ schlüssen im e9 „gf der Erklärung des Finanzministers ent⸗ sprochen worden sei. Der Minister habe sich wegen Steuerstundung und Steuerermäßigung an den Reichsfinanzminister gewandt, außerdem habe er den Regierungspräsidenten mit Weisungen ver⸗ ehen, in bezug auf die Staatssteunern Entgegenkommen zu zeigen. as die Erteilung von Aufträgen an Hannover angehe, so habe sich der Finenzarheister mit dem Handelsminister in Verbindung gesetzt. Hinsichtlich der Kosten sei zu erklären, daß der Finanz⸗ minister nicht über die Bestimmungen des Seuchengesetzes hinaus⸗ gehen könne, wonach der Staat nur ein Drittel der unmittelbar entstandenen Kosten tragen dürfe. Was die Beihilfen für die be⸗ troffenen Personen und Familien 88.. so habe der Finanz⸗ minister dem Regierungspräsidenten in Hannover seinerzeit sofort die Summe von 100 000 Mark überwiesen. Leider habe die Stadt Hannover nur 50 000 Mark aus ihren Mitteln gezahlt. Der sei bereit, die Summe zu erhöhen, müsse aber ver⸗ angen, daß die Stadt Hannover mindestens die Hälfte der Mittel ebe, die der Staat zu Verfügung stelle. Er bedaure sehr, daß der berbürgermeister der Stadt Hannover erklärt habe, vaß er keinen Pfennig mehr als die bereits gegebenen 50 000 Mark zur Ver⸗ fügung stellen werde. In bezug auf die neuen Forderungen der Abänderungsanträge bemerkte er, daß die Stadt Hannover jeden⸗ falls wünsche, daß sie den Nachweis für die einzelnen Ausgaben nicht zu erbringen brauche. Im Namen des Staatsministerims müsse er die Abänderungsanträge, die die Gesamtzuwenderng auf eine runde Summe von 3 Millionen beziffern und ein Darlehen von 7 Millionen zu 4 % Zinsen einschließlich 1 9˙% Amortisation gewähren, ablehnen. Die Ablehnung sei schon nötig, mit Rücke«“ icht auf die Konsequenzen. Abg. Kloft (Zentr.) ist der An⸗ icht, daß 100 000 Mark für die Betroffenen nicht genügen; er sei für die Ausschüttung einer vollen Million. Die Anleihe⸗ anforderungen der Stadt gingen ihm zuweit. Er ss aber bereit, der Forderung einer Beihilfe von 3 Millionen zuzustimmen, wenn⸗ hiervon vorweg 1 Million für die Betroffenen herausgenommen werde. Abg. Schuster (D. Vp.) erklärte zu dem Vorwurf, daß die Stadt Hannover die erforderlichen Unterlagen nicht gegeben habe, daß das nicht möglich sei, weil eine endgültige Regelung noch nicht habe werden können. Er könne auch nicht. anerkennen, daß dürfe. Der Vergleich treffe nicht zu, da in den sonstigen Vor⸗ ö die unmittelbar geschädigten Personen entschädigt würden. olle man die Schäden der einzelnen Personen und Gewerbe⸗ treibenden in Hannover feststellen, so würden sich weit höhere Summen ergeben. Sicherstellung von 1 Million für die Betroffenen. Der Sieben⸗ Millionen⸗Anleihekredit sei erforderlich wegen den Anforderungen, die an Hannover in bezug auf die Wasserwerke, Kanalisation ustmo.

gestellt würden. Außerdem müsse man verlangen, daß die .

er treter der Staatsregierung erklärte, daß die Stadt Hannover 1,7 Millionen Mark an Kosten nachgewiesen hätte, die

kassen die aufgewendeten Kosten erstattet bekämen. Ein

erstattungsfähig seien. Hiervon könne der Staat ein Drittel er⸗ setzen. Den Einnahmeausfall bei Theatern usw. könne er aber nicht als erstattungsfähig anerkennen. Abg. Prelle (Wirtschaftl.

Vereinig.) versteht den Standpunkt der Regierung nicht und ist der Ansicht, man könne sich nicht so eng an die Paragraphen

halten. Man müsse außerdem den Ausfall an Steuern berücksich⸗- tigen, der ja doch entstehe.

Es seien ihm dabei Zahlen genannt worden, die er natürlich nicht nachprüfen könne. Auf die Frage des Verschuldens der Stadt wolle er nicht eingehen. Er sei zu der Ueberzeugung gekommen, daß die Stadt Hannover die not⸗ wendigen vorbeugenden Maßnahmen nicht ganz aus eigenen Kräften leisten könne. Auch er verlange eine größere Unter⸗ stützung der unmittelbar Betroffenen. Bei den Beratungen mit dem Magistrat sei man auf den bekannten Kompromißantrag gekommen. Abg. Abel (Komm.) forderte gleichfalls ausreichende Unterstützung der Betroffenen und ist der Ansicht, daß keine Geld⸗ mittel bewilligt werden könnten, wenn nicht eine unbedingte Kon⸗ trolle des Staates über die Verwendung gewährleistet sei. Abg, Barteld (Dem.) erklärte, daß die Einnahmeausfälle bet Theatern, beim Zoologischen Garten, bei Badeanstalten usw. weifellos eine Folge der Typhusepidemie seien. Was die erpflichtungen angehe, so weise er darauf hin, daß nach den Bekundungen der Sachverständigen die Ursachen der Epidemie im Zustande des Leinetales zu suchen seien. Hier habe die Staatsregierung ihre Pflicht auf Regulierung usw. nicht erfüllt; sie müsse deshalb mir für den Schaden einstehen. Nicht zu verstehen sei es, daß in Alfeld trotz noch vorhandener Typhusfälle der Bau eines Krankenhauses mit den nötigen Sicherheitseinrichtungen noch immer nicht in Angriff genommen sei. Was den Kredit angehe, so sei es richtig, daß auch andere Städte Anlagen wie Wasserwerke, Kläranlagen, Kanalisation aus eigenen Mitteln hätten vornehmen müssen. Sie könnten aber die Lasten auf mehrere Jahre verteilen, während in Hannover eine beschleunigte Durchführung im Interesse der Vorbeugung er⸗ folgen müsse. Deshalb sei Kredit unbedingt erforderlich. Abg. Hartleib (Soz.) führte an, daß die Unterstützung an die Familien durchaus unzureichend sei. Die Hilfsmaßnahmen für die Stadt Hannover seien unbedingt erforderlich. Gerade die Stillegung von Wasserversorgungsanlagen in Recklingen bedinge einen beschleunigten Ausbau der Wasserversorgungsanstalten. Abg. von Dithfurt (D. Nat.) ist gleichfals der Ansicht. daß die Ursachen der Epidemie im Leinetal zu suchen selen. Wenn die Stadt nicht genug geleistet habe, so sei das vielleicht darauf zurückzuführen, daß sie zunächst habe wissen wollen, was der Staat leiste. Ein Regierungsvertreter erklärte es für unzutreffend, daß die Gefahrenquelle im Leinetal liege. Die Ursachen seien vielmehr zurückzuführen auf die Ueber⸗ schwemmungen. die in dem Brunnengebiet vorgekommen seen und darauf zurückzuführen selen, daß drei Beaunnen undicht ge⸗

in Hannover gehabt hat.

eer Staat nur ein Viertel des Schadens ersetzen

Abg. Hirsch (Soz.) machte Mit⸗ teilung über Besprechungen, die er mit Vertretern des Magistrats.

Abg. Blank (Zentr.) wünschte ebenfalls