1927 / 31 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 07 Feb 1927 18:00:01 GMT) scan diff

Diesen Berechnungen liegen die jetzigen Verhältnisse bei den Löhnen und Rohstoffen zugrunde. Wenn darin Aenderungen eintreten oder das Werk einen anderen als den angenommenen Umfang erhält, so werden auch die Preise entsprechend geändert werden. Die genauen Preise werden, sobald das Werk fertiggestellt ist, bekanntgegeben werden. Zur Ver⸗ meidung von Beanstandungen wird darauf aufmerksam gemacht, daß jeder bestellte Abdruck auch von dem Besteller bezahlt werden muß. Bei der Bestellung ist anzugeben, ob geheftete oder gebundene Abdrucke des Werkes gewft werden. Die Kosten werden bei der Uebersendung von der Reichsdruckerei durch Postnachnahme erhoben werden.

Interessenten, die die Jahresberichte bisher regelmäßig bezogen haben und die dies auch künftig zu tun ichtigen, können bei der Geheimen Expedition des Ministeriums ür Handel und Gewerbe beantragen, daß ihnen das Werk immer alsbald nach seinem Erscheinen unter Post⸗ nachnahme zugestellt wird. In dem an die Geheime Expedition des Ministeriums für Handel und Gewerbe zu richtenden Antrag ist die Zahl der in gebundener oder broschierter Aus⸗ gewünschten Abdrucke nebst der genauen Anschrift für ie Uebersendung anzugeben. Preisvorbehalte können bei Dauerbestellungen nicht berücksichtigt werden. Anträge auf Einstellung der Dauerbelieferung können nur berücksichtigt werden, wenn sie bis zum 31. Januar des auf das Berichtsjahr folgenden Jahres bei der vorbezeichneten Dienst⸗ telle eiugegangen sind. Der Antrag auf Dauerlieferung schließt die Lieferung des Jahrgangs 1926 in sich, so daß es in diesem Falle einer besonderen Bestellung dieses Jahrgangs bei der Reichsdruckerei nicht bedarf.

In den Jahresberichten für 1926 werden vorwiegend folgende Angclegenheiten besprochen werden: Heranziehung von Arbeitern im Alter von 16 bis 18 Jahren zur Nachtarbeit und die dabei gemachten Wahrnehmungen; Beschäftigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen und Rücksichtnahme auf diese während der Schwangerschaft und vor und nach der Nieder⸗ kunft; Fortschritte im Schutze der Arbeiter gegen Unfall und Gesundheitsgefährdung in Gaswerken; Gewährung von be⸗ zahltem Urlaub an jugendliche Personen.

Deutscher Reichstag.

263. Sitzung vom 4. Februar 1927. Nachtrag. Die Erwiderung des Reichsministers des Innern von Keudell auf die vom Abg. Landsberg (Soz.) an ihn gerichteten Anfragen hat nach dem vorliegenden Stenogramm folgenden Wortlaut:

Ich bin sehr gern bereit, auf die Anfragen des Herrn Ab⸗ geordneten Landsberg, soweit ich zurzeit dazu imstande bin, zu antworten. Herr Abgeordneter Landsberg hat mir die Frage vorgelegt, ob ich mich Herrn Kapp zur Verfügung gestellt hätte. Diese Frage beantworte ich mit nein. Eine derartige Frage ist mir auch von Berlin nicht vorgelegt worden, zumal die Ver⸗ bindung zwischen Berlin und dem Landratsamt Königsberg in der Neumark unterbrochen war.

Zweitens: es ist durchaus zutreffend, daß die preußische Regierung mich am ,1. Juni 1920 zur Disposition gestellt hat, wozu sie formell zweifellos berechtigt war. Meinem Antrag, ein Verfahren gegen mich zu eröffnen, bei dem ich mich recht⸗ fertigen wollte, ist nicht entsprochen worden. (Lebhafte Rufe rechts: Hört, hört!) Es ist mir vorgeworfen worden und der Herr Kollege Landsberg hat dies zum Gegenstand der zweiten Anfrage gemacht —, Plakate des Militärbefehlshabers im Kreise Königsberg⸗Neumark verbreitet zu haben. Ich stehe im allgemeinen auf dem Standpunkt, daß die Verwaltungs⸗ behörde nicht erst bei der vorgesetzten Dienststelle anzufragen, sondern daß sie selbständig zu handeln hat. In diesem Aus⸗ nahmefalle habe ich allerdings bei meiner vorgesetzten Dienst⸗ behörde, dem Herrn Regierungspräsidenten in Frankfurt a. O., angefragt, ob die Anweisungen des Milltärbefehlshabers, des Kommandeurs in Frankfurt a. H. und des Kommandanten in Küstrin in meinem eigenen Kreise zu befolgen seien oder nicht. Da auch nach Frankfurt die Verbindung nicht zu erhalten war, habe ich mir diese Auskunft durch Entsendung eines Herrn persönlich verschafft. Es ist mir der Bescheid geworden, die Befehle des Herrn Millitärbefehlshabers seien zu befolgen. (Hört, hört! bei den Deutschnationalen. Lebhafte Rufe von den Sozialdemokraten: Von wem?) Daraufhin habe ich zwei Plakate des Militärbefehlshabers im Kreise verteilt beziehungs⸗ weise im Kreisblatt bekanntgegeben. (Rufe links: Was stand darin?) Die Plakate waren nicht von einer so erschütternden Bedeutung, daß ich mich des Wortlauts genau entsinne. Es stand wohl ungefähr darin dem Sinne nach ein Appell zu Ruhe und Ordnung. (Andauernde Unterbrechung links.) Sie werden jedenfalls sich noch beschaffen lassen, diese roten Zettel.

Anfrage drei handelt von der Schlacht bei Zäckerick, welche ich durch Aufgebot der waffenfähigen Mannschaft des Kreises Königsberg in der Neumark zu liefern beabsichtigte. Ich habe als Landrat die mir unterstellten Gendarmeriewachtmeister, etwa 20 an der Zahl, zur einen Hälfte, etwa zehn, nach dem Dorfe Zäckerick an die eine Oderbrücke konsigniert und die anderen zehn an die andere Oderbrücke zusammengezogen, um ein Ueber⸗ greifen der kommunistischen Unruhen (erregte Zurufe von den Kommunisten. Andauernde große Unruhe. Glocke) im benachbarten Eberswalde, bei denen es an der Grenze des Kreises zu Blutvergießen gekommen war, zu verhüten, welche ich auf meinen Kreis nicht übertragen sehen wollte und was zu verhindern ich entschlossen war. Es haben sich allerdings also zehn Gendarmeriewachtmeister an der Eisenbahnbrücke in Zäckerick befunden. Das ist das Aufgebot der waffenfähigen Mannschaften des Kreises Königsberg (Neumark) gewesen, von dem der Herr Abgeordnete Landsberg gesprochen hat. (Große Heiterkeit rechts.) Ich würde, wenn ich in die Lage käme, gegen⸗ über meiner Verpflichtung, die Ruhe und Ordnung im Kreise aufrechtzuerhalten, heute genau so handeln wie damals. (Bravo! rechts.)

Im übrigen darf ich mir die Bemerkung gestatten, daß in politischen Zeitläuften wie Mitte März 1920 die Verwaltungs⸗ behörden nicht Politik zu treiben haben, sondern sie haben zu handeln, zu gehorchen und für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung zu sorgen (lebhafte Zurufe links), ohne Rücksicht darauf, ob sie sich kompromittieren oder nicht. (Zuruf links.)

Ich glaube, daß ich angesichts der nicht gerade welterschütternden Vorgänge bei meiner damaligen Abberufung aus dem preußischen Staatsdienst für heute die Geduld des hohen Hauses nicht länger in Anspruch zu nehmen brauche. (Lebhafte Zurufe links: Was ist mit den Uebungen auf Ihrem Gut?) 2 1“

264. Sitzung vom 5. Februar 1927, vormittags 11 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger.*) Präsident Löbe eröffnet die Sitzung um 11 Uhr.

Die große politische Aussprache wird fortgesetzt.

Mit zur Verhandlung stehen das Vertrauensvotum der Regierungsparteien und die Mißtrauens⸗ voten der Demokraten, Sozialdemokraten und Kommunisten, ferner der sozialdemokratische Antrag, die Rede des Abgeordneten Grafen Westarp auf Reichskosten in allen Gemeinden des besetzten Gebiets öffentlich anzuschlagen. Abg. Dr. Stegerwald (Zentr.) be Lc zunächst die Vor⸗ gänge bei der Regierungsbildung und wendet gegen die sozial⸗ emokratische Behauptung, daß eine Große Klakifton möglich ge⸗ wesen wäre. Diese Möglichkeit habe trotz aller Versuche nicht mehr vorgelegen. Es sei schließlich keine andere Lösung übrig ge⸗ blieben als die gegenwärtige Regierung. Sie sei, 8 erklärt der Redner, weder der Führung nach noch nach der Besetzung der wichtigsten Ministerien eine Rechtsregierung. (Zustimmung im Zentrum, Widerspruch links.) Praktisch werde von ihr eine ähn⸗ liche litik gemacht werden, wie sie von der Großen Koalition gemacht worden sei. (Zustimmung im ntrum, hört! hört! inks.) Der Redner wendet sich gegen die Bezeichnung der neuen Regierung als „Bürgerblock“ durch den Abgeordneten Landsberg, der nichts weiter als eine Aktiengesellschaft sei. Die neue Re⸗ SIö sei im Gegenteil ein Beweis für den Sinn für Vaterland, Nation, Volk und deutsche Kultur. (Sehr wahr!) Mindestens die Hälfte der Wähler der vier Koalitionsparteien seßn Arbeitnehmer. Auch die kleinen Bauern und Winzer risteten ihre Existenz ebenso kärglich wie die Arbeiter. Die Be⸗ zeichnung Partei scheine mit der Zeit etwas altmodisch u werden. Unter den 4,2 Millionen Wählern des Zentrums efänden sich mindestens 1,2 Millionen Arbeiter und Angestellte. unter den Wählern der Deutschnationalen Partei seien viele 2. eerttausende von Arbeitern. Redner fragt, ob denn die Ar⸗ eiter keine Bürger seien. (Sehr richtig! rechts und in der Mitte.) Schließlich lebe der 15 doch nicht vom Brot allein. Die Arbeiterfrage habe nicht bloß eine materielle, sondern auch eine große ideelle und ethische Seite. Die christliche Arbeiterschaft gehe a andere Wege als die sozialdemokratische. Er habe von dem, was er in den 1588 Monaten hierüber geredet und geschrieben habe, 5* zurückzunehmen. Wenn die Zentrumspartei ebenso aus der Regieung ausgeschieden wäre wie seinerzeit die Deutsch⸗ nationalen und die Sozialdemokraten, dann wäre ein großes Un⸗ lück geschehen. Eine Reichstagsauflösung hätte jetzt na vS esten Meinung nicht eine Verbesserung, sondern eine Verschlechte⸗ rung der politischen Sesamt ituation gebracht. (Sehr richtig!) Die Deutsche Demokrati che artei wäre dabei glatt dezimiert worden; die Deutsche Volkspartei wäre praktisch zu einem An⸗ seumgser der Deutschnationalen Partei geworden. Die Zentrums⸗ fraktion des Reichstages stehe seit Jahren einmütig auf dem Standpunkt, daß bis auf weiteres in Deutschland die Große Koalition die richtige politische Kräfteverteilung in Deutschland darstelle. Sie verhehle dabei nicht, daß auch bei den Deutsch⸗ nationalen viele soziale, christliche und bodenständige Kräfte vor⸗ handen seien, mit denen sie gern zusammenarbeite. Der größere Teil seiner Freunde stehe auf dem Standpunkt, daß es für den Augenblick das politisch Dringliche wäre, die Kräfte von links zur verantwortlichen Staatsverwaltung mit heranzuziehen. Fene Massen, die im Haß gegen den Besitz aufgewachsen seien, müßten mit starker Verantwortung für das Ganze belastet werden, sonst kämen wir aus dieser Atmosphäre des Hasses nicht heraus. (Sehr richtig!) Wenn der neue deutsche an den er (Redner) fest glaube, sich in besseren Formen vollziehen solle als bisher, dann müßten wir zu einer ganz anderen Form kommen. Es sei nicht wahr, daß die fozalistlschen -n n nur aus Bosheit oder Verschroben⸗ t an den Marxismus glaubten. Deutschland zeige in den letzten Jahrzehnten eine derartige Entwurzelung der grozen Massen wie kein anderes Land. Staat und Kirche hätten das Verständnis dafür vermissen lassen. Deshalb stränbe sich das Zentrum da⸗ eegen, daß das Staats⸗ und Gesellschaftsschiff in einen falschen Kurs gestenert werde. Es wolle nicht wieder eine Klassenherr⸗ schaft. Die bisherigen vom Zentrum gestellten Kanzler hätten wenig dankbare Aufgaben gehabt. Er erinnere nur an die Mark⸗ stabilisierung, die Marx habe durchführen müssen. Das Zentrum unterstreiche die Worte Kochs, daß die dentsche Politik der nächsten Ausgleichspolitik 9 müsse auch auf dem Gebiete der ulpolitik. Das deutsche Volk wolle die Bekenntnisschule, das

ghr aus den Elternbeiratswahlen hervor. Seine Freunde wollten alles aufbieten, damit der nationale und soziale Charakter der

Schule gewahrt werde. Sie wollten aber nicht, daß 8. die jugendlichen Schüler der ungläubige Religionslehrer losgelassen werde. (Lebh. Zustimmung beim Zentr.) Nach der Reichsver⸗ Flsung sei neben der Simultan⸗ und der freien Schule auch die Bekenntnisschule zulässig. Das Zentrum wünsche nicht den Zu⸗ stand, wie er früher vom preußischen Staat den Dissidentenkindern aufgezwungen worden sei. Es verlange aber, daß die Kinder so erzogen würden, wie es die Eltern wollten. Tatsache sei, daß Deutschland konfessionell geleitet sei. Ferner sei der Schulzwang in Deutschland durchgeführt wie in keinem anderen Lande der Welt. Die Folge müsse sein, daß Freiheit wenigstens in der Wahl der Schulart gelassen werde. Wenn jeder Fanatismus zurück⸗ gestellt werde, dann lasse sich schon eine Plattform finden, auf der die staatsbürgerliche Einheit Deutschlands auch in der Schul⸗ politik gewahrt werden könne. Seine Foekiion wünsche, daß die Innenwirtschaft so kaufkräftig wie möglich gemacht und dabei zwischen Innenwirtschaft und Export die richtige Synthese ge⸗ funden werde. Die Leistungsfähigkeit der Innenwirtschaft sei abhängig von dem Wohlergehen der Landwirtschaft und von einer kaufkräftigen Arbeiterschaft. Ob die Hebung der Landwirtschaft ölle oder andere Hilfsmaßnahmen geschehen solle, müsse überlegt werden. Hohe Zölle und hohe Preise nützten aber der Landwirtschaft nichts, wenn sie mit ihren Produkten bei der großen Masse keinen Absatz finde. Die Volkswirtschaft eines Landes müsse als eine Einheit angesehen werden. In der Indu⸗ strie sei die Rationalisierung in den letzten Jahren weit fort⸗ geschritten. Die Preispolitik sei ihr aber vielfach noch nicht gefolgt, ebensowenig die Lohnpolitik. Auf den Reallohn, nicht auf den Nominall komme es an. Allerdings stünden wir einer Hochschutzzollwelle bei den anderen Ländern gegenüber, und wir hätten kein .“ daran, v- mit fremden Pro⸗ dukten überschütten zu lassen in einer Zeit, wo Deutschland selbst unter Arbeitslosigkeit leide. Aufgabe der deutschen Handelsver⸗ tragspolitik sei es, auf dem Wege der Gegenseitigkeit zu arbeiten. Für den Mittelstand gelte becsehe wie für die Landwirtschaft. Auch er werde sich durch Selbsthilfe anfrichten müssen. Wo aber die Staatshilfe einsetzen müsse, werde und müsse es auch für diese Kreise geschehen. Das Fentrun wolle verhindern, daß diese Mittel⸗ schicht immer tiefer sinke. Es wolle keinen Zustand wie in Amerika und England: hie Großkapital, hie Proletariat. Es strebe eine Entproletarisierung der vese e. an und könne deshalb keine Proletarisierung des Mittelstandes dulden. Es ver⸗ lange Erleichterung der Realsteuern für Landwirtschaft und Mittelstand beim Finanzausgleich. Unsere Wirtschaftslage werde charakterisiert durch die Arbeitslosigkeit, die Wohnungsnot und die *) Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgebobenen Reden der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind.

e Entlohnung. Es sowoh b wie dur von Arbeitsgelegenheit der Not der Arbeitse⸗ losen gesteuert werden. Darüber eine Meinungsverschieden⸗

r nicht en28 nachdem auf allen Gebieten die 7

irtschaft eingeführt sei, die Zwangswirtschaft auf dem Gebiete den es egrsesen,g nicht mehr bestehen dltzn könne. Aber wir müßten einmal eine Verbilligung des Wohnungsbaues herbeiführen und zum andern die Wohnungen nonmen und typi⸗ Mögliche e die Verbilligung namentlich durch Zinsherab⸗ etzung. Mieterhöhungen müßten jedenfalls durch Lohnerhöhungen ausgeglichen werden. Ob das durch Gesetz oder Tarifvertrag ge⸗ schehe, werde zu prüfen sein. Von dieser Koalition werde 8 keine schlechtere staatliche Sozialpolitik gemacht werden, als wenn die Sozialdemokratie an der Regierung beteiligt wäre. Bis zur nächsten Reichstagswahl dürften wir noch zu erledigen haben: die Arbeitslosenversicherung, das Arbeitsse und das Ueber⸗ gangsgesetz zur Regelung der Arbeitszeit. iun der Reichstag diese Gesetze noch vor der Neuwahl verabschiede, so werde er sich zweifellos vor dem Lande sehen lassen köonnen. Seine Freunde würden sich dafür einsetzen, daß das Washingtoner Abkommen von Deutschland ratifiziert werde. Sie wo ein freies Wahl⸗ recht, ein freies Rederecht, ein freies Koalitionsrecht. Ein soziales Arbeitsrecht hätten wir bereits, es müsse ausgebaut werden. Dahin dürfe es allerdings nicht kommen, daß die Familienbande dadurch zerstört würden. (Zustimmung im Zentr.) Auch im Tem ipo der Sozialpolitik nuterscheide sich das Zentrum von der Sozialdemokratie: es wolle eine organische Entwicklung. Trotzdem werde es mit den Sozialdemokraten ein gutes Stück zusammen⸗ gehen können. Seine (des Redners) gegenüber der neuen Koalition lägen nicht 2. sozialpolitischem, sondern auf Gebiet. Die staatliche Sozialpolitik sei der Staatspolitik in Deutschland leider vor dem Kriege wie ein Fremdkörper aufgepfropft gewesen. Das Verfassungsleben mit seinem Klassensystem, das Steuersystem, die Schul⸗, Wohnungs⸗ und Siedlungspolitik seien antisozial gewesen. Wir hätten es vor dem Kriege nicht nötig gehabt, große Teile der Bevölkerung menschen⸗ unwürdig unterzubriegen. Auch der Abschluß des Offizierkorps vom irigen Volke gei antisozial gewesen. Einer Wederkehr dieser Verhältnisse würde sich die Zentrumspartei aufs schärfste widersetzen. Die Zentrumspartei als Mittelpartei habe eine schwierige Stellung, nur eine Oppositionspartei könne unbeirrt ihren Weg verfolgen. Das Gerede vom Umfall des Zentrums sei deshalb unsinnig. Es habe seine Ziele in einem Manifest nieder⸗ gelegt. Davon gebe es nichts preis, ganz gleich, ob es mit 1— oder links zusammenarbeite. Höher als jede Koalition stehe Staat. Alle, die dazu bereit seien, müßten zur Führung und Mitarbeit am Staate herangezogen werden. Wann die Zeit die einzelnen Gruppen gekommen sei, könne die Zentrumspartei allein nicht entscheidene Sie könne nur dafür sorgen, daß der Staat in fortschrittlichem und sozialem Geiste regiert werde. (Lebh. Beifall im Zeuntr.) Abg. Stoecker (Komm.): Der Minister von Keudell hat auf unsere Interpellation gestern nicht geantwortet. Das ist verständlich, aber wir wollen ihn zum Reden bringen und müssen deshalb noch etwas deutlicher werden. In den Hauptfragen der Innen⸗ und Außenpolitik seien, so führt der Redner weiter *98, sich die Parteien des Bürgerblo s vollkommen einig. Was si hier vollziehe, sei nur der Ausdruck der großen Kräftevereinigung auf wirtschaftlichem Gebiet. Der Umfall habe sich nicht 1 die Deutschnationalen beschränkt, sondern auch andere Parteien seien umgefallen. Die amüsanten Familienzwiste innerhalb des Bürgerblocks täuschten nicht über den wahren Charakter der Koag⸗ lition sindeg Hieß es früher: „An Rom sterben die Völker“, so liegen sie heute am Busen Roms. Und bald werde man in einem Bette liegen mit den ber Gestalten der Müller (Franken), Hilferding usw. Mit dem Eindruck der Ver lti⸗ gung durch Hindenburg und die Deutschnationalen wolle das Zentrum nur seinen antisozialen großkapitalistischen Charakter verwischen. Der Redner wendet sich dann dem Programm der neuen Regierung zu. Das Kabinett des Bürgerblocks werde nach innen wie nach außen eine eüese⸗ der schärfsten Reaktion machen. Die Politik Dr. Stresemanns solle nur fortgeführt werden, um den Boden für eine imperialistische Politih vor⸗ Ii. Die pazifistische Politik werde durch die Unter⸗ rückungspolitik der europäischen Militärmächte in China ad absurdum geführt. Auch der Dollarimperialismus pfeife jetzt auf alle Friedensmelodien. Der Völkerbund, der nach seinen Statuten verpflichtet wäre, in den Streit zwischen England und China einzugreifen, denke gar nicht daran, weil Chamberlain es nicht wolle (Zuruf bei den Kommunisten: Was sagen dazu die Oberpazifisten Löbe, Haas und Wirth?) Das Washingtoner Ab⸗ kommen über den Achtstundentag werde man nicht ratifizieren. Der Redner wendet sich gegen die Herabsetzung der Erwerbslosen⸗ unterstützung und die Hinaufschvaubung der Wohnungsmiete. Die ganze Politik dieser Regierung gehe nicht auf eine Lohnerhöhung, ondern auf eine Lohnherabsetzung. Die Regierung werde den Massen auch neue Steuerlasten auferlegen. Der E11“1*““ von Kendell habe gestern im Grunde alle Behauptungen Abgeordneten Landsberg bestätigt. Die Tatsachen, die die Kom⸗ munisten gestern angeführt hätten, könne der Minister nicht be⸗ reiten, daß nämlich auf seinem Gute eine Abteilung der lympia monatelang Kriegsübungen abgehalten habe. Der Führer der Olympia, Oberst von Luck, sei mehrmals zu In⸗ pektionszwecken Gast des Herrn von Keudell gewesen. In einer Abschiedsrede habe dabei Herr von Keudell gesagt: „Wenn es wieder gegen den äußeren oder den inneren Feind gehe, müsse jeder seinen Mann stehen“. Wie dieser Reichsinnenminister, dieser faschistische Junker, den betreffenden Passus der n „p i⸗ rung über die verbotenen Organisationen und ferbände aus⸗ führen werde, könne man sich denken. Auch der nene Justiz⸗ minister werde die Klassenjustiz durchführen. Der Redner kriti⸗ siert dann einen Erlaß des Reichswehrministers, betreffend die Fesselung von Strafgefangenen und die Durchführung der Todes⸗ strafe an Bord von Schiffen. Hermann Müller, der typische Klein⸗ bürger, pflanze noch am Grabe der Großen Koalition die Hoffnun auf. Die Rede Müllers sei nur ein einziger Ruf, ein einziger Schre an Herrn Wilhelm Marx gewesen: Du reiner Engel, der du nur in schlechte Gesellschaft geraten bist, kehre zurück, und alles ist dir vergeben! (Heiterkeit.) Da gelte nur das Motto⸗ Nur, wer die Sehnsucht kennt, weiß was ich leide! Stürmische Heiterkeit.) Marx sei hente der Protektor, der Firmenträger des Industriellen⸗ blocks gegen die Arbeiterschaft. Das sei die Folge der sozial⸗ demokratischen Koalitionspolitik. Der Redner schließt mit der Anfforderung an die sozialdemokratischen Arbeiter, ihre Führer zu verlassen und sich mit den Kommunisten zu vereinigen. Abg. Feder (Wölk.) erklärt, er lehne es ab, der inhaltslosen Regierungserklärung und der tiefstehenden Debatte noch eine längere Rede folgen zu lassen. Die Erklärungen der Parteiführer von Müller⸗Franken bis Westarp seien phrasenhaft gewesen; das sei eben nur unter dem Parlamentarismus möglich. Man sehe nichts als politische Prostitution und deutsche Ohnmachtspolitik. (Als der Redner die Rede des Abgeordneten von Guérard als verlogen bezeichnet, wird er zur Ordnung gerufen.) Deutschland sei dem internationalen Finanzkapital ausgeltefert, es wäre eine ächerlichkeit, von deuts Souveränität sprechen zu ¹ . Ueberall, wo es am besten und nachhaltigsten etwas aus be, da füänden sich die Großjuden ein. Die deutsche In ustrie aufe Gefahr, dem internationalen ansgekiefert zu werden, wie die Sanierung der Unternehmungen von Stinnes und Krupp beweise. Man brauche sich nur die deutsche Volks⸗ vertretung anzusehen, um festzustellen. daß die Prominenten Juden seien. Das Kernproblem, so erklärt der Redner, ü die Rassenfrage. Wo sehe man hier im Hause bedeutende öpfe? (Heiterkeit.) Nur der Nationalsozialismus sei in der Lage, das deutsche Volk wieder emporzuführen. Zum Schluß erklärt der Redner, seine Fpaktion sei an der parlamentarischen Schiebung, durch die die Marxisten der Negierung das Mißtrauen a wollten, uninteressiert. Die Völkischen würden jedoch inistern Mar aussprechen. G

urch Unterstützun

und Köhler das Mißtrauen

andsberg (Soz.): Herr von Keudell wird noch 1 Wort 144,8 müssen, um Mitteilungen, die ich zu habe, als richtig hinzustellen oder zu bestreiten. Er hat 88 gestern so hingestellt, als ob er lediglich im Auftrage seines Vorgesetzten gewisse Flugblätter in seinem Kreise hätte verbreiten lassen. Nach unseren Informationen ist diese Darstellung nicht richtig (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Vielmehr hat der Landrat von Keudell seiner weitgehenden Sympathie für Kapp durch die Tat und durch Worte Ausdruck gegeben. Die Kapp⸗ Flugblätter wurden im Kreise verbreitet, die Verordnungen der rechtmäßigen Regierung sind in diesem Kreise nicht verbreitet worden. (Hört, hört! links. Zuruf rechts: Wo war denn die Reichsregierung?) Meines Wissens hat die damalige Reichs⸗ regierung ihren Sitz nicht nach Doorn verlegt! (Minister von Keudell erscheint wieder im Soale.) Es ist Ihnen allen bekannt, daß die deutsche Regierung von damals den Generalstreik prokla⸗ meitert hatte zum Zwecke des Sturzes der Kapp⸗Regierung. Jeder deutsche Beamte hatte die Pflicht, der Weisung der deutschen Regierung zu folgen. (Zurufe rechts: Das ist immer bestritten worden, daß die Regierung das getan hätte!) Was hat Keudell getan, als der Landarbeiterverband für den Generalstreik Propa⸗ ganda machte? Er hat ihm eröffnet: die neue Regierung habe mit der alten schon eine Einigung erzielt und ersetze sie. Der Vertrauensmann des Verbandes solle sich in das unvermeidliche Schicksal fügen, wie er Herr von Keudell es am 9. No⸗ vember 1918 getan habe. (Hört, hört! links.) Wenn der Ver⸗ trauensmann weiter für den Generalstreik tätig sei, werde er ihn sofort in Schutzhaft nehmen lassen. (Stürmisches hört, hört! links.) An der Brücke von Zäckerick haben nicht nur Gendarmen, sondern auch bewaffnete Zivilisten gestanden. Verschiedene Leute sollen vom Landrat beauftragt worden sein, auszukundschaften, wieweit sich der Vertreter der Landarbeiter in Bärwalde und andere Vertrauensmänner des Verbandes an der Vorbereitung des Generalstreiks beteiligt hätten. von Kendell hat die Maßnahmen der Reichsregierung, die den Kapp⸗Putsch niederwerfen sollten, in jeder Weise zu vereiteln gesucht.

Präsident Löbe: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. (Stürmische Hört, Hört!⸗Rufe links.)

Reichsminister des Innern Dr. von Keudell: Ich habe bereits gestern die Ehre gehabt, auszuführen, daß ich auf Grund einer Anfrage beim Herrn Regierungspräsidenten in Frankfurt g. d. Oder, meiner vorgesetzten Behörde, den Bescheid bekommen habe, den Anweisungen des Herrn Militärbefehlshabers zu ent⸗ sprechen. Wenn in dieser Zeit zu meiner Kenntnis gekommen wäre, daß die verfassungsmäßige Regierung den Generalstreik proklamierte, oder wenn andere Anordnungen der verfassungs⸗ mäßigen Regierung während dieser Zeit zu meiner Kenntnis gekommen wären, hätte ich dieselben felbstverständlich befolgen müssen. (Heiterkeit links.) Eine derartige Anweisung ist nicht zu meiner Kenntnis gekommen. (Hört, hört! rechts.) Wohl aber hat

der Herr Kommandant von Küstrin mich ersucht, dem sich in ge⸗

ringem Umfang bemerkbar machenden Generalstreik meinerseits entgegenzuwirken. Ich habe diesem Ersuchen im Einklang mit meiner vorgesetzten Dienstbehörde so weit entsprochen, daß ich wiederholt auf die Schädlichkeit des Generalstreiks im allgemeinen Interesse unseres Vaterlandes hingewiesen habe. (Hört, hört! links. Sehr richtig! rechts.) Es ist im übrigen bisher nicht zu meiner Kenntnis gelangt, ob es authentisch ist, daß die verfassungs⸗ mäßige Staatsregierung damals den Generalstreik proklamiert hat. (Zurufe rechts: Das hat sie stets abgestritten! Zurufe links: Sie stand aber dahinter!) Der Kommandant war mein Vorgesetzter nach der Ansicht des Herrn Regierungspräsidenten in Frankfurt. Ich wäre in diesem Zusammenhang aber für eine Belehrung sehr dankbar, ob tatsächlich die verfassungsmäßige Regierung damals den Generalstreik proklamiert hat. (Sehr gut! rechts. Zuruf links: Die Verfassung bestand aber!) Der Herr Abgeordnete Landsberg hat ferner von dem Vor⸗ handensein bewaffneter Zivilisten in Zäckerick gesprochen. Ich besinne mich, daß außer den zehn Gendarmeriewachtmeistern auch noch zwei Zivilpolizisten an der Brücke waren. (Heiterkeit rechts.

Abgeordneter Höllein: Ihre Stirn möchte ich haben! Große Heiterkeit. Glocke des Präsidenten.) Diese beiden Zivil⸗ polizisten waren auf Anordnung von Berlin mit der Kontrolle der Lebensmittelausfuhr aus dem Kreise an den Eisenbahn⸗ zügen beschäftigt. (Hört, hört! rechts.) Insofern muß ich zu⸗ geben, daß der Herr Abgeordnete Landsberg zum erstenmal von seinen Gewährsmännern richtig unterrichtet worden ist. (Sehr richtig! und Heiterkeits rechts. Unruhe links.)

. Meine Damen und Herren, es ist ferner behauptet worden,

nach zuverlässigen Meldungen sei ein Herr Sasse in dem mir

mehr besonders scharf überwacht worden. Ich möchte mich zur⸗ zeit darauf beschränkten, festzustellen: es ist meiner Erinnerung nach richtig, daß ich den einen Gendarmeriewachtmeister, welcher in Bralitz, nämlich in dem Bezirk des Herrn Sasse, stationiert war, durch einen oder zwei Wachtmeister verstärkt habe, die zu⸗ seinem Schutze dorthin beordert wurden. Dieser Wachtmeister tat mir leid, denn er war ein alter prächtiger Mann, und nach⸗ dem die kommunistischen Haufen aus Eberswalde (Zurufe von den Kommunisten: Huhl Huh! Die Rote Armee!) den Gen⸗ darmeriewachtmeister in Liepe, Kreis Angermünde, bei einem Feuergefecht durch mehrere Schüsse schwer verletzt hatten, be⸗ fürchtete ich, daß es dem Gendarmeriewachtmeister in dem in nächster Nähe gelegenen Orte meines Kreises ähnlich ergehen könnte. Aus diesem Grunde habe ich ihn schützen müssen. Die weiteren Angaben des Herrn Vertrauensmannes des Landarbeiterverbandes in Bärwalde sind es tut mir bei meiner Höflichkeit leid, das hier aussprechen zu müssen in meinen Augen nicht so zuverlässig, daß ich auf diesen Fall weiter eingehen zu sollen glaube, zumal es der betreffende Herr, wie ich nachweisen kann, mir gegenüber wiederholt an Wahrheitsliebe hat fehlen lassen. (Hört, hört! und sehr richtig! rechts. Zu⸗ rufe links: Das ist der Schützer der Reichsverfassung!) Wenn ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten gleich zu der Interpellation der Herren Kommunisten etwas sagen darf,

so kann ich folgendes bemerken: ich bin viel zu korrekt dazu, um

etwa durch eine Antwort in persönlicher Angelegenheit der vor⸗ schriftsmäßigen Beantwortung der Interpellation durch die Reichsregierung irgendwie vorgreifen zu wollen. Es ist behauptet

woorden, ein Ferienlager von Oympia sei auf meinem Gut ge⸗

wesen. Ich habe inzwischen festgestellt, daß Olympia am 12. Mai 1926 von der preußischen Regierung verboten worden ist. Ich habe gleichfalls festgestellt, daß zwei Jahre vorher, als Olympia noch nicht verboten war, nämlich im Jahre 1924, ein Ferienlager von Olympia bei mir gewesen ist. (Rufe: Ahal links.) Weiter gestatte ich mir zu bemerken, daß im Sommer 1926 ein Ferien⸗ ager des sogenannten Jungdeutschland⸗Bundes auf meinem Gut

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war, eine Organisation, die nachweislich der Akten, wie ich in⸗

1 zwischen festgestellt

ausgemachte politische Spießer.

unter Gegenzeichnung des Staatssekrelä Schulz von meinem Herrn Amtsvorgänger mit finanziellen Zuwendungen bedacht worden ist. (Hört, hört! und große Heiter⸗ keit rechts. Erregte Zurufe links.)

Abg. Kube (Völk.): Icn abe den Eindruck, daß die Oppo⸗ sition der Kommunisten die msucht der Sozialdemokratie nicht hat schlafen lassen. Nun schicken sie ihren Groteskkomiker vor (Präsident Löbe erteilt dem Redner einen Ordnungsruf), um aus irgendeiner kleinen angeblich dunklen ersangengen eines Mi⸗ nisters irgendetwas herauszuholen. (Lärm links, Zurufe: Jakob! Lausbub!

Präsident Löbe: Herr Kube macht mich darauf aufmerksam, daß er weder Jakob noch Lausbub heißt. (Stürmische Heiterkeit und lebhafte Zwischenrufe rechts.) Herr Kube hat das von mir verlangt und außerdem gebeten, daß ich dem Herrn, der den Zwischenruf gemacht hat, einen Ordnungsruf erteile. (Zwischen⸗ ruf rechts.) Ich rufe den Abgeordneten Geschke (Komm.) zur Ordnung.

Abg. Kube fortfahrend: Um was handelt es sich? Die Sozialdemokratie hat ihre Felle auf der ganzen Linie weg⸗ schwimmen sehen (Lärm), dieselbe Sozialdemokratie, die jahrelang in der Vergangenheit Revolution gelehrt hat und so getan hat, als ob sie revolutionieren wolle, dieselbe Sozialdemokatie, die dem Kaiser einen Staatssekretär gestellt hat und noch ganz andere Dinge vollbracht hat, als hier dem Herrn v. Keudell vorgeworfen werden. Eine größere Heuchelei ist im politischen Leben wohl selten vorgekommen. Die ganze geistige Dürftigkeit der Sozial⸗ demokraten mit der sogenannten Oppositionspolitik zeigt sich hier. Wenn sie weiter nichts vorzubringen hat, als daß einmal ein Landrat seiner Begeisterung 1e. den Kapp⸗Putsch Ausdruck ge⸗ geben hat. (Stürmische Zwischenrufe von links und andauernder großer Lärm.) Wir nehmen es Herrn v. Keudell nach keiner Richtung übel, wenn er sich damals für den Kapp⸗Putsch aus⸗ gesprochen hätte. Die Sozialdemokratie, die 1917 mit Herrn Dittmann revolutionäre Umtriebe begonnen hat, hat am wenigsten ein Recht dazu, in irgendeiner Form einen derzeitigen Minister zu bewerfen. Die Hau stseche ist, ob Herr v. Keudell sich heute als Minister auf den Boden der Politik stellt, die damals vom Kapp⸗Putsch aus getrieben worden ist. Ich würde es verstehen, wenn er zu seinen Worten und zu dem steht, was ihm von damals vorgeworfen wird. In sechs Jahren kann sich in der Politik außerordentlich viel ändern. Man kann in dieser Zeit vom kaiserlichen Staatssekretär hinüberwechseln zum Volksbeauftragten und dann zum Oberbürgermeister, man kann dann wieder vom Oberbürgermeister zum Volkspensionär überwechseln. Das ist alles möglich. (Abg. Scheidemann: Dummer Junge aus dem Narrenhaus! Der Abg. Scheidemann wird zur Ordnung ge⸗ rufen.) Eine Partei, die alle Grundlagen des nationalen Staates und der christlichen Kultur untergraben thne. hat das Recht verwirkt, sich über revolutionäre Gesinnung aufzu⸗ regen. Da sehen Sie sich Ihre Freunde von der K. 2 . D. an, das sind ganz andere Kerle. (Stürmische Heiterkeit.) je haben nach jeder Richtung nicht nur in Versammlun en die Revolution auf ihren Lippen und in den Wandelgängen des Reichstags be⸗ kannt, sie stehen immer zu ihren Worten und haben nicht die Ministersehnsucht wie die Sozialdemokratie. Herr Stöcker hat no⸗ viel zu . die Sozialdemokraten Kleinbürger genannt; ich wi das Kleinbürgertum nicht beleidigen, die Sozialdemokraten sind (Stürmische Heiterkeit.)

Präsident Löbe: Mir wird gesagt, auch der Abgeordnete Sänger habe sich als Beleidiger des Abgeordneten Kube gemeldet. Ist Herr Sänger hier? Herr Sänger ist nicht im Saal.

Reichskanzler Dr. Marx nimmt hierauf das Wort. Seine Rede wird nach Eingang des Stenogramms ver⸗ öffentlicht werden.

Abg. Stöcker (Komm.): Herr von Keudell hat nicht bestritten, daß er wochenlang eine der Olympia auf seinem Gute militärisch ausgebildet hat. Die Tatsache, daß die Olympia später verboten wurde, ändert an ihrem Charakter nichts. Herr von Keudell hat ferner nicht bestritten, daß der Leiter der Olympia, Oberst von Luck, wiederholt auf seinem Gute während der militärischen Uebungen gewesen ist. Er hat auch nicht bestritten, daß er am Schlusse dicger Kriegsübung eine Ansprache gehalten hat, die damit schloß: Wenn die Zeit kommt, wo wir wieder gegen den äußeren und inneren Feind zu stehen haben, dann werdet Ihr hoffentlich alle euren Mann stellen!

Abg. Landsberg (Soz.) verliest die Landrat von Keudell am 15. März 1920 verbreitet hat. heißt es: „Auf Grund des Gesetzes über den Ausnahmezustand verordne ich im Auftrage des Reichskanzlers (Kapp) im Interesse der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung: Verboten sind der Druck, öffentliche Verkauf, die Verteilung oder sonstige Ver⸗ breitung aller Telegramme Plakate, Extrablätter, Flugblätter und Zettel oder ähnliche nicht periodisch Blätter, die irgendwelche Anordnungen oder Kundgebungen der ehemaligen Regierung enthalten“. (Stürmische Hört! hört!⸗Rufe links. Die Abgg. der Linken drängen gegen das Rednerpult vor und über⸗ chuͤtten den Minister von Keudell mit lauten Beschimpfungen.) Es folgen dann die Strafbestimmungen: „Die Ortsbehörden werden ersucht, für die sofortige Weiterverbreitung zu sorgen.“ (Erneute sütrnnische Hört! Es ertönen Rufe wie: Hochverräter! Im ganzen Hause herrscht göoßer Tumult. Einige kommunistische Abgeordnete erhalten Adnungsrufe. Präsident Löbe rust den Kommunisten au: Wenn Sie empört sind, tun Sie das in . Formen, aber nicht in Schimpfworten!) Herr von Keudell behauptet, vom Regierungs⸗ präsidenten die Ermächtigung erhalten zu haben, die Anweisungen des Militärbefehlshabers zu befolgen. Ich stelle fest, daß der Regierungspräsident in Frankfurt bestreitet, eine solche Ermächti⸗ gung erteilt zu haben. (Erneute stürmische Hört! hört!⸗Rufe. Abg. Höllein: Das ist die eiserne Stirn!) Selbst wenn die gbg. He ung erteilt wäre, ergibt sich denn nicht die ganze Ein⸗ stellung Keudells um Kapp⸗Putsch schon aus der Tatsache, daß er überhaupt in Frantfurt a. O. angefragt hat? (Stürmische Zurufe rechts: Nein!) Ein Beamter wird bei Begehung einer strafbaren Handlung niemals gedeckt durch die Zustimmung seiner vorgesetzten Dienstbehörde. (Zurufe rechts: 1918 haben Sie etwas anderes gesagt!) Ich glaube, der Herr Iu“ sollte seine Ver⸗ teidigung nicht Herrn Kube überlassen, er sollte offen und ehrlich eingestehen, daß er zur Zeit des Kapp⸗Kutsches die vollste Sym⸗ pathie mit Kapp gehabt hat und seinerzeit alles daran gesetzt hat, um diesem Putsch zum Siege zu verhelfen. Daraus könnte Herrn⸗ von Keudell kein Mensch einen Vorwurf machen. Ob er noch weiter Minister bleiben kann, wäre allerdings eine andere Frage. Ich glaube, daß Herr von Keudell zu einem solchen Geständnis ge⸗ nötigt sein wird. Der Herr Reichsminister ist übrigens nicht, wie er auf seinen Visitenkarten schreibt, königlicher Landrat a. D., sondern republikanischer Landrat a. D. (Seiterkeit.)

Der Abg. Ulitzka (Zentr.) beantragt namens seiner Fraktion Vertagung der Sitzung auf eine Stunde in der Hoffnung, dadurch eine wesentliche Beruhigung zu erzielen.

Präsident Löbe stellt fest, daß den Völkischen, die durch eine andere Veranstaltung noch ferngehalten seien, zugesagt worden sei, daß die Abstimmung zwischen 2 und 2 ½ Uhr, jedenfalls nicht vor 2 Uhr stattfinden werde. Dies möge bei

er Abstimmung berücksichtigt werden.

Der Antrag Ulitzka wird gegen die Stimmen der Linken angenommen. Die Sitzung ist also bis 3 Uhr vertagt.

Die neue Sitzung. Präsident Löbe eröffnet die neue Sitzung um 3 ¼ Uhr. Der Präsident ruft die Abgg. Saenger (Soz.) und Schiller⸗Hannover (Soz.) wegen ihrer Huxuße gegen den

Verordnung, die Darin

Abg. Kube vor der Pause nachträglich zur Ordnung. bittet, unparlamentarische Aeußerungen in Zukunft zu unter⸗ lassen; die Klärung werde dadurch nicht gefördert, sondern aufgehalten.

Der Abg. Stöcker (Komm.) beantragt, folgenden Antrag mit der heutigen Debatte zu verbinden und darüber abstimmen zu lassen: „Der Reichsminister des Innern

von Keudell besitzt nicht das Vertrauen des Reichstags.“

Präsident Löbe bringt zunächst das Vertrauensvotum der Regierungsparteien zur Abstimmung. Sollte es an⸗ genommen werden, so führt er aus, so würden sämtliche Miß⸗ trauensvoten gegen die gesamte Reichsregierung wie auch gegen einzelne Mitglieder der Reichsregierung erledigt sein. (Widerspruch links und Zurufe bei den Kommunisten: Unerhört!) 8

Abg. Stöcker (Komm.) ist der Auffassung, daß die Miß⸗ trauensanträge gegen einzelne Minister durch das bertsanenk. votum nicht erledigt sein würden. 8

Präsident Löbe teilt mit, daß für das Vertrauensvotum namentliche Abstimmung beantragt ist. Er verliest ferner die Bestimmungen der Geschäftsordnung, wonach über ein Miß⸗ trauensvotum frühestens am Tage nach der Einbringung ab⸗ gestimmt werden kann, auch wenn das Votum als selbständiger Antrag gestellt wird. Diese Bestimmung soll eine Sicherung gegen eine Ueberrumpelung der Abgeordneten sein.

Abg. Koch⸗Weser (Dem.) stimmt dem Präsidenten zu, da zunächst über das Vertrauensvotum abgestimmt werden müsse un daß dann keine Möglichkeit mehr bestehe, nach Annahme des Ver⸗ trauensvotums Mißtrauensanträge zur Abstimmung zu bringen.

Der kommunistische Antrag kann nicht selbständig auf die Tagesordnung gesetzt werden, da der Abg. Lambach (D. Nat.) Widerspruch erhebt.

Das Haus schließt sich gegen die Stimmen der Kommu⸗ nisten in allen Punkten der Auffassung des Reichstagspräsi⸗ denten an.

Vor der Abstimmung erhält der Abg. von Guérard (Zentr.) das Wort zu folgender Erklärung:

Die Zustimmung meiner politischen Freunde zu dem bean⸗ tragten Vertrauensvotum bezieht si die gesamte Reichs⸗ regierung und insofern grundsätzlich auch auf jedes ihrer Mit⸗ glieder. Der Herr WLEEö1ö von Keudell ist in 8 Vertrauensvotum mit einbegriffen in der Annahme, daß sich die

egen ihn erhobenen Anschuldigungen wegen Unterstützung des beencünien Kapp⸗Putsches durch die vom Herrn Reichskanzler

r. Marx im Einvernehmen mit dem Reichsinnenminister zu⸗ gesagte Untersuchung als unberechtigt erweisen. (Zuruf bei den Kommunisten: Hoffe, du arme Seele!)

Es folgt nunmehr die Abstimmung über das von den Regierungsparteien eingebrachte Vertrauensvotum für das Gesamttabinett. Es hat folgenden Wortlaut: „Der Reichstag billigt die Erklärung der Reichsregierung und spricht ihr das Vertrauen aus.“ Die Abstimmung ist namentlich. Das Vertrauensvotum wird mit 235 gegen 174 Stimmen bei 18 Stimmenthaltungen angenommen. Für das Votum stimmen geschlossen die Deutschnationalen, das Zentrum (mit Ausnahme des Abg. Dr. Wirth), die Deutsche Volkspartei, die Bayerische Volkspartei, die Deutsch⸗ Hannoveraner und der Bayerische Bauernbund. Die Wirt⸗ chaftspartei und ein Teil der Völkischen (z. B. Kube und Weidenhöfer) enthalten sich der Stimme. Gegen das Ver⸗ trauen stimmen die Demokraten, die Sozialdemokraten, die Kommunisten und der andere Teil der Völkischen (z. B. von Graefe und Henning) sowie Abg. Dr. Wirth.

Die Abstimmung über den kommunistischen Antrag, die Reichsregierung aufzufordern, den Austritt aus dem Völker⸗ bund zu vollziehen, ist auf Antrag der Sozialdemokraten gleichfalls namentlich. Für den Antrag stimmen die Kommu⸗ nisten und die Völkischen, während einige Deutschnationale sich an der Abstimmung nicht beteiligen. Der Antrag wird mit 364 gegen 46 Stimmen abgelehnt. (Lärm bei den Kommunisten und Rufe: Die deutschnationalen Helden!)

Der Abg. Schulz⸗Bromberg (D. Nat.) bittet das hohe Haus, auf den sozialdemokratischen Antrag, die Rede des Grafen Westarp auf öffentliche Kosten in allen Gemeinden des besetzten Gebiets anschlagen zu lassen, nicht einzugehen, weil der Antrag zu kindisch sei. Der Antrag wird in einfacher Abstimmung gegen die Kommunisten und Sozialdemokraten abgelehnt.

Damit ist die Tagesordnung erschöpft.

Ein Antrag Stöcker (Komm.), das Mißtrauens⸗ votum gegen Minister von Keudell am Montag auf die Tages⸗ ordnung zu setzen, wird gegen die Antragsteller und einige Sozialdemokraten abgelehnt.

Das Haus vertagt sich auf Montag 3 Uhr: Arbeitslosen⸗ versicherungsgesetz.

Schluß nach 4 Uhr.

Parlamentarische Nachrichten.

Der SAns Lalig gH des Reichstags setzte am 4. d. M. unter dem Vorsitz des Abgeordneten Heimann (Soz.) die Beratung des Etats des Auswärtigen Amtes fort. Nach den Bericht des Nachrichtenbüros deutscher Zeitungsverleger wurden gemäß den Beschlüssen des Unterausschusses bei den Missionen des Reichs 4 Gefandtschaftsräte estrichen. Der Kosten⸗ satz für Kuriere wurde um 120 000 Reichsmark erhöht. Dazu fand eine Entschließung der Deutschnationalen Annahme, die das Auswärtige Amt ersucht, in eine Prüfung darüber einzutreten, ob nicht die Kuriere nach Tarifgruppe X bezahlt werden können, und ob nicht die Pensionsanrechnungen anders geordnet werden können. Bei der Position „Attachés“ fand Fölsender Antrag Annahme: „Der Ausschuß stimmt der Einstellung von je 20 Attachés und Anwärtern für den Konsulatssekretär⸗Dienst für das Etatsjahr 1927 zu.“ Die dadurch nötig werdenden finanziellen Aenderungen wurden genehmigt. Eine Erörterung Pes e he. sich um die Stellung der Chiffreure, für die weitere planmäßige Beamtenstellen vom Abgeordneten Dr. Cremer (D. Vp.) ge⸗ fordert wurden. Ein entsprechender Antrag wurde jedoch abgelehnt. Im Verlauf der weiteren Aussprache gab Reichsminister des Auswärtigen Dr. Stresemann Aus⸗ kunft über den Verkauf der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“. Sie sei an ein Konsortium verkauft worden, das die „DAZZ“ im bisherigen Sinne weiterleiten werde. Der erzielte Verkaufspreis übersteige um 20 vH den Preis, den die Reichs⸗ regierung seinerzeit für den Ankauf des Blattes gezahlt habe. Abg. Dr. Hoetzsch (D. Nat.) war nach diesen Mitteilungen der Ansicht, daß nunmehr eine Subventionierung der „DAZ“ durch öffentliche Mittel nicht mehr in Frage komme. Abg. Dietrich⸗ Baden (Dem.) wies darauf hin, daß die „DAZ“ in groß⸗ kapitalistischen Besitz geraten sek. Er gebe denjenigen, welche auf den Verkauf gedrängt hätten, anheim, zu überlegen, welchen Nutzen sie damit der Allgemeinheit, die ohnehin wenig mehr zu sagen habe, angesichts des Ueberwucherns des Großkapitals gebracht hätten. Von irgendwelchen Subventionierungen durch öffent⸗ liche Mittel dürfe keine Rede mehr sein. Abg. Müller⸗ Franken (Soz.) wies darauf hin, daß über die Angelegenheit der „DAZ“ bereits eingehend im Plenum des Reichstages gesprochen