Verbindung zwischen Schule und Wirtschaft müsse überhaupt eine engere werden Die Schullasten müßte die Allgemeinheit tragen. Abg. Mantke⸗Gleiwitz (Zentr.) wünscht ein rascheres Tempo bei Einrichtung und Ausbau des Berufsschulwesens. Die Kostenfrage sei dahin zu lösen, daß 50 Prozent der Staat, 25 Prozent die Kommune und 25 Prozent die Interessenten zu tragen hätten. Zu erhöhen seien auch die Zuschüsse für die Fach⸗ schulen, die jetzt mehr und mehr den Kommunen zur Last fielen. Der Redner setzt sich noch für den Ausbau der dreijährigen Handelsschule ein, die den Uebergang zur Hochschule erleichtern müsse. Unter allen Umständen müsse auch in den Handelsschulen und Fachschulen der obligatorische Religionsunterricht eingeführt werden, und zwar sowohl aus verfassungsrechtlichen wie auch aus pädagogischen Gründen. (Zustimmung im Zentrum.) Die Aus⸗ bildung der Berufs⸗ und Fachschullehrer müsse weiter ausgedehnt werden. Dabei seien diese Lehrer ausreichender zu besolden und nicht, wie bisher vielfach, zu überlasten. Auch für die Betreuung der erwerbslosen Jugend müßten die erforderlichen Mittel bereit⸗ gestellt werden, damit nicht nur Qualitätsarbeiter, sondern au Qualitätsmenschen herangezogen würden. (Beifall im Zentrum.
Abg. Lange⸗Dittersbach (Zentr.) meint, es bilde sich ein Schulsystem heraus, das den Wünschen von Handel und Gewerbe nicht entspreche. Vor allem müsse in den Berufsschulen neben der Fach⸗ auch die Charakterbildung erfolgen. Dazu sei die obli⸗ gatorische Einführung des Religionsunterrichts erforderlich, damit Treu und Glauben wieder, wie früher, erstes Gebot des Kauf⸗ manns werde, im Interesse der Wiederherstellung des Vertrauens zwischen Kaufmann und Konsument, zum Nutzen des Verbrauchers. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Weiteste, auch der Deutschen Volkspartei nahestehende Kreise des Handels, Handwerks und Ge⸗ verbes forderten den auch in der Reichsverfassung vorgesehenen öbligatorischen Religionsunterricht für die Berufs⸗ und Fach⸗ schulen. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten.) Die Durch⸗ führung dieser Forderung mache auch eine paritätische Zusammen⸗ setzung des Lehrkörpers erforderlich. Wenn es tatsächlich so sei, wie Zeitungsmeldungen besagten, daß nämlich in der staatlichen Baugewerkschule in Münster, die vorwiegend von Katholiken be⸗ sucht werde, kein einziger katholischer Lehrer vorhanden sei, wäre das unrecht
Ministerialdirektor Dr. Seefeldt teilt mit, daß er nicht über die konfessionellen Verhältnisse der Baugewerkschule unter⸗ richtet sei, daß vielmehr bei der Besetzung dieser Fachlehrerstellen lediglich nach der Tüchtigkeit gefragt werde. Man habe keine Veranlassung, nach der Religion dieser Lehrer zu forschen. (Un⸗ ruhe und Zurufe im Zentrum.) 8
Damit schließt die Besprechung.
In der Einzelberatung verlangt Abg. Gertrud Hanna (Soz.) Besserung der Besoldung der weiblichen Gewerbeaufsichtsbeamten.
Abg. Hartleib (Soz.) fordert, daß die Gewerbeaufsichts⸗ beamten gemeinsam mit den Gewerkschaften für unbedingte Ein⸗ haltung des Achtstundentages besonders in der Zementindustrie eintreten.
Abg. Metzinger (Zentr.) lenkt die Aufmerksamkeit der Regierung auf eine Eingabe aller deutschen Gewerkschaften über den Ausbau der Gewerbe⸗ und Handelsaufsicht, dex nach der Rationalisierung besonders notwendig geworden sei. Schon rein zahlenmäßig müßten die Gewerbeaufsichtsbeamten bedeutend er⸗ höht werden. Beklagenswert sei, daß es heute auch in gefährlichen Industriezweigen noch eine Reihe von Betrieben gebe, die über⸗ haupt nicht von Gewerbeaufsichtsbeamten beaufsichtigt und geprüft würden. Die Besoldung der Gewerbeaufsichtsbeamten sei erheblich aufzubessern.
Abg. Fritsch (Soz.) tritt für Vermehrung der Zahl der weiblichen Gewerbeaufsichtsbeamten, der sog. Gewerbepflegerinnen, ein, die besonders in der Textilindustrie gebraucht würden, wo 600 000 Frauen, davon 400 000 verheiratete, beschäftigt seien.
Abg. Sobottka (Komm.) wünscht, daß die Gewerbe⸗ aufsichtsbeamten auch über den Stand der Berufskrankheiten sich informieren und darüber Auskunft geben. Auch müßten sich die Aufsichtsbeamten über die Wünsche und Beschwerden der Arbeiter in erster Linie beim Betriebsrat erkundigen.
Abg. Gertrud Hanna (Soz.) setzt sich für bessere Besoldung der Hilfskräfte der Gewerbeaufsicht ein und fragt, wann endlich die vorgesehene Prüfung der Aufsichtsbeamten erfolge. (Minister Dr. Schreiber: Im Sommer!) Die Rednerin verlangt noch Er⸗ höhung der Summe für Reisemöglichkeiten der Gewerbeaufsicht. Bisher sei es in einigen Fällen soweit gekommen, daß, wie Zeitungsnachrichten besagten, manche Unternehmer monatelang die tollsten Unvorsichtigkeiten in ihren Betrieben hätten begehen können, weil es den Gewerbeaufsichtsbeamten am Reisegeld gefehlt habe, diese Betriebe zu besuchen.
Ein Regierungsvertreter gibt die Richtigkeit des von der Vorrednerin erwähnten Falles zu, der eine Folge der vom Landtag im vorigen Etat vorgesehenen Kürzung von 10 vH bei den Reisekosten der Gewerbeaufsichtsbeamten sei. (Lebhaftes Hört, hört! links.)
Abg. Metzinger (Zentr.) verlangt bessere Ausgestaltung der Position der Vorsitzenden der Schlichtungsausschüsse durch Ueberführung dieser Kräfte in das Beamtenverhältnis.
Abg. Rüffer (D. Nat.) trägt die Wünsche der Fischer von Lenkenhagen auf Fehmarn vor, die versandete Bucht zu reparieren. Auch sollten die schleswig⸗holsteinischen Eisenbahn⸗ Verkehrswünsche tunlichst erfüllt werden. Weiter wünscht der Redner, daß die Kieler Werften bei der Vergebung von Schiffs⸗ bauarbeiten mehr als bisher berücksichtigt werden.
Ministerialdirektor Dr. von Seefeldt teilt auf eine sozialdemokratische Anfrage mit, daß tatsächlich die bis jetzt noch vorhandenen Hausweber von der Regierung unterstützt würden, um sie technisch auf der Höhe zu erhalten. Es würde aber darauf geachtet, daß kein neuer Zuzug in das Hauswebergewerbe statt⸗ finde.
Abg. Haas (Soz.) hebt die Unwirtschaftlichkeit des gegen⸗ wärtigen Flugverkehrs hervor, die sich darin charakterisiere, daß im Großflugzeug eine Kilometerbeförderung 5,60 Mark koste und daß bei der schlechten Besetzung für die Beförderung einer Person 50 bis 70 PS. anzusetzen seien. Wenn die rund 60 Millionen, die man an öffentlichen Geldern gegenwärtig in das Flugwesen stecke, sich rentieren sollten, müßte durch Ausbau des Flugnetzes viel mehr für Wirtschaftlichkeit des Betriebs gesorgt werden. Die kleinen Flugstrecken müßten verschwinden und zuverlässige Flug⸗ statistiken seien erforderlich.
Abg. Ilse Noack (D. Nat.) tritt für sichtigung Stettins im Flugverkehr ein.
Damit ist auch die Einzelberatung beendet. Die Ab⸗ stimmungen werden voraussichtlich Freitag, den 13. Mai, stattfinden.
Das Haus geht dann über zur ersten Beratung des Polizeibeamtengesetzes.
Minister des Innern Grzesinski: Meine sehr verehrten Damen und Herren, bevor ich für das Polizeibeamtengesetz Ihnen neben der bereits vorliegenden schriftlichen Begründung noch eine, ich kann nicht sagen ganz kurze, mündliche Begründung gebe, darf ich mir gestatten, noch einige Ausführungen zu machen, die zwar auch mit der Tätigkeit der Polizei, aber nicht mit dem Gesetz un⸗ mittelbar in Zusammenhang stehen, und die sich auf große De⸗ monstrationen beziehen, die in den letzten Tagen hauptsächlich in Berlin, aber auch anderwärts, stattgefunden haben. Auf die grund⸗ sätzliche Seite der Frage des Stahlhelmtages, ob nämlich die De⸗ monstration am 7., 8. und 9. Mai in Berlin und Potsdam ver⸗
b 8 1
die bessere Berück⸗
boten werden sollte, wie noch in den letzten Tagen davor von mir verlangt worden ist, brauche ich nicht einzugehen, weil ich mich darüber wiederholt geäußert habe, und zwar in dem Sinne, daß ein Verbot nicht in Frage kommt. Nachdem aber die Stahlhelm⸗ Demonstration beendet ist, kann ich heute mit einer gewissen Ge⸗ nugtuung konstatieren, daß der Gang der Ereignisse mir Recht ge⸗ geben hat.
Weswegen ich aber heute auf die Angelegenheit zurückkomme, hat seinen Grund darin, daß ich, nachdem die Polizei während vier Tagen einen ganz besonders schweren Dienst verrichtet hat, mich über die rein polizeiliche Seite und die Ausübung des ver⸗ fassungsmäßigen Rechts der Demonstration und der Versamm⸗ lungen äußern will. Auf Grund vielfach gemachter Erfahrung hat es sich leider in Berlin, und nicht nur in Berlin, als notwendig erwiesen, daß Demonstrationen unter freiem Himmel polizeilich ge⸗ schützt werden müssen, weil sonst Andersdenkende die Demonstra⸗ tionen stören und Leben und Gesundheit der Demonstranten ge⸗ fährden. Von dieser Gefährdung sind Demonstrationen fast aller politischen Verbände und Parteien bedroht. Diese hier sich manifestierende Intoleranz gegenüber Andersdenkenden ist nicht nur auf das höchste zu beklagen, sondern auch für die Beteiligten eigentlich äußerst blamabel. Die Beteiligten zeigen, daß ihnen der Sinn für den Geist der freiheitlichen Bestimmungen der Ver⸗ fassung völlig fehlt. Für die Polizei aber, die verpflichtet ist, die verfassungsmäßigen Rechte der Staatsbürger zu schützen, ihre Aus⸗ übung sicherzustellen und für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung zu sorgen, ist diese grobe Intoleranz leider mit ver⸗ mehrtem Dienst und einer bis an die Grenzen des Menschenmög⸗ lichen gehenden dienstlichen Inanspruchnahme verknüpft. Ins⸗ besondere sind die Anforderungen, die an die Berliner Polizei in letzter Zeit — ich kann sogar weiter greifen: seit ungefähr zwei Jahren — gestellt werden, ganz unerhört. (Sehr richtig!) Ich kann zu meiner Freude zwar immer wieder feststellen, daß die Berliner Polizei und die einzelnen Beamten der Berliner Polizei sich den gewaltigen Anforderungen durchaus gewachsen zeigen, und gerade auch wegen der Leistungen der verflossenen Tage drängt es mich, der Berliner Polizei, insbesondere auch den Herren vom Kommando der Schutzpolizei, die bei den allgemeinen Lobliedern leider immer übersehen werden, obwohl sie durch ihre Tätigkeit erst die Voraussetzungen für ein Gelingen solcher polizeilichen Organisationsarbeit schaffen, wegen der Lösung der großen organisatorischen Aufgaben sowie wegen der Erfüllung der dienstlichen Pflicht den Beamten insgesamt meinen aufrichtigen Dank auszusprechen. (Lebhaftes Bravo! im Zentrum und links.) Ich weiß, daß die Beamtenschaft ihre Pflicht erfüllt hat, um ihrer selbst und nicht um wirtschaftlicher Vorteile willen. (Sehr richtig! im Zentrum und bei den Dem.) Die Polizeibeamten tun ihre Pflicht unabhängig von der Erhebung wirtschaftlicher Forderungen und ohne Rücksicht darauf, ob der Staat diese erfüllen kann und erfüllen wird. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, Tatsache ist jedenfalls, daß bei allen diesen Demonstrationen die Polizeibeamtenschaft auf das allerschwerste in Mitleidenschaft ge⸗ zogen wird und hier in Berlin kaum noch einen freien Sonntag hat. (Sehr richtig! im Zentrum und b. d. Dem.) Ich habe hierauf früher schon einmal hingewiesen und möchte jetzt an Hand der letzten Ereignisse noch einige neuere Zahlen geben. Im Januar waren hier in Berlin in Alarmbereitschaft 47 Polizeibereitschaften mit 3760 Beamten, außerdem 892 Revierbeamte, die ersteren ins⸗ gesamt mit 424 Stunden, die letzteren mit 58 1¼ Stunden. Durch Extradienst im Februar waren 57 ⁄1¼ Bereitschaften mit 4600 Be⸗ amten 167 ½% Stunden in Anspruch genommen und 376 Revier⸗ beamte, d. h. solche, die im Einzeldienst sind und sonst zu diesen Alarmstufen nicht herangezogen zu werden brauchten, mit 42 ¼ Stunden; im März 181 Bereitschaften mit 12 670 Beamten 420 % Stunden und 2787 Revierbeamte 244 Stunden in Bereit⸗ schaft. Im April waren die Zahlen: 60 1%½ Bereitschaften mit 4820 Beamten 252 1¼ Stunden, 1256 Revierbeamten mit 126 Stun⸗ den. Im Mai wird angesichts der Demonstrationen, die in diesen wenigen Tagen stattgefunden haben, diese Zahl ganz wesentlich überschritten werden.
Meine Damen und Herren, auch eine für den Staat empfind⸗ liche finanzielle Seite haben solche großen Demonstrationen und die Inanspruchnahme, die diese Demonstrationen für die Polizei mit sich bringen. Da die Polizei je nach Größe der Demon⸗ strationen tagelang in voller Alarmbereitschaft gehalten werden muß, so haben die Beamten nach den Bestimmungen Anspruch auf volle Verpflegung auf Staatskosten. Ich will nur ein paar Zahlen angeben und einige Demonstrationen der letzten Zeit der verschiedensten politischen Richtungen herausgreifen. Am 25. November 1925 hat eine Demonstration der Rechtsorgani⸗ sationen gegen den Locarno⸗Vertrag stattgefunden. Es war nur eine verhältnismäßig kleine Demonstration; sie hat aber doch 4100 Mark gekostet. (Zuruf: Man könnte ja die Demonstranten bezahlen lassen!) — Ja, es ist, als ich in einem kleineren Kreise diese Frage erörterte, gesagt worden, man könnte vielleicht die Gebührenordnung darauf ausdehnen. (Zuruf.) Der Rote Front⸗
kämpfertag zu Pfingsten vorigen Jahres war schon teurer; er
hat 55 000 Mark gekostet. (Hört, hört! im Zentrum und bei den Deutschen Demokraten.) Der Stahlhelmtag am 7., 8. und 9. Mai hat rund 100 000 Mark gekostet. (Hört, hört! im Zentrum und bei den Deutschen Demokraten.)
Meine Damen und Herren, eine etwas kostspielige Angelegen⸗ heit, möchte ich meinen, wenn man bedenkt, daß mit dem Gelde, das hier der Staat zwangsläufig auf Grund bestehender Be⸗ stimmungen, die an sich berechtigt sind, ausgeben muß, sicherlich hier und da Besseres geleistet hätte werden können. (Sehr richtig! im Zentrum und bei den Deutschen Demokraten.) Der Stahl⸗ helmtag und auch die früheren Demonstrationen sind dank der vorzüglichen Organisation der Polizei und der Vorkehrungen, die sie für die Sicherheit der Bürger getroffen hat, erfreulicherweise ruhig verlaufen. Die Entschlossenheit der Polizei und ihre Bereitschaft, in jedem Fall Störungsversuchen rücksichtslos ent⸗ gegenzutreten, hat es Ruhrstörern geraten erscheinen lassen, Störungsabsichten im eigenen Interesse zurückzustellen. Aber im Interesse der Polizeibeamten und vielleicht auch des Ansehens der Reichshauptstadt Berlin wäre vielleicht doch zu erwägen, ob in Zukunft Demonstrationen in Berlin noch geduldet werden können. (Sehr richtig! im Zentrum und bei den Deutschen Demokraten. — Unruhe und Zurufe bei den Kommunisten. — Glocke des Präsidenten.) Solange zur Durchführung der Demonstrationen
wegen der Unduldsamkeit gegenüber politisch Andersdenkenden Demonstrationen unter freiem Himmel eines so starken polizei⸗ lichen Schutzes bedürfen (sehr richtig! im Zentrum und bei den Deutschen Demokraten. Zurufe bei den Kommunisten: Wir ver⸗ zichten darauf!), scheinen mir auch rein vom Standpunkt der De⸗ monstrierenden aus gesehen Umzüge unter so starker polizeilicher Bedeckung einen nicht gerade sehr würdigen Eindruck zu machen. (Lebhafte Zustimmung im Zentrum und bei den Deutschen Demokraten.)
Ich darf mir daher, indem ich diesen Teil meiner ein⸗ leitenden Ausführungen abschließe, an die politischen Parteien den Rat erlauben und sagen: vielleicht überlegen sich die Parteien einmal, ob sie sich nicht im Interesse aller dahin verständigen, sich bei Umzügen gegenseitig ungeschoren, das heißt einen Augenblick ohne Prügel zu lassen. (Sehr gut! und Heiterkeit.) Dann kann
die Polizei ihre anderen Aufgaben, nämlich Regelung des Ver⸗
kehrs, Bekämpfung des Verbrechertums, Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung im weitesten Sinne, Schutz des gesamten Bürgertums und des Publikums, besser und nachhaltiger erfüllen als bisher. (Lebhafte Zustimmung im Zentrum und bei den Deutschen Demokraten.)
Nun zum Polizeibeamtengesetz!
sation der preußischen Polizei dar. bekannt, da Sie selber sie mit durchlebt haben. Sie erinnern sich der Sicherheitspolizei, der Schaffung der Schutzpolizei im Jahre 1920. polizeibeamtengesetz des Jahres 1922 wurde dieser Schutzpolizei erstmalig ein gesetzlich begründeter Rechtsrahmen gegeben. Sie
kennen die Gründe, die seinerzeit dazu zwangen, die Verhältnisse
der uniformierten Schutzpolizeibeamten nur vorläufig zu regeln.
Sie wissen, daß diese vorläufige Regelung leider viel länger hat
als beabsichtigt war. Ursprünglich bis Ablauf des Jahres 1925 befristet, ist das Schutzpolizeibeamtengesetz wiederholt verlängert worden. Es waren nicht nur die immer wieder betonten außenpolitischen Gründe, sondern es war auch die Tatsache zu beachten, daß rein formell das Reichsgesetz über die Schutzpolizei der Länder eine grundlegende Aenderung der Rechtsverhältnisse der Schutzpolizeibeamten bisher verhinderte. Diese Schwierigkeiten können im großen und ganzen heute als behoben gelten. In anderem Zusammenhange werde ich aller⸗ dings noch auf die innen⸗ und außenpolitischen Bindungen zurückkommen müssen, denen die Polizei auch heute noch mehr oder weniger unterliegt.
Ich möchte bei meinen ferneren Ausführungen aber eine grundsätzliche Bemerkung vorausschicken. Die Polizei ist als Exekutivorgan das stärkste Machtmittel des Staates. (Sehr richtig! rechts.) Ja, sie ist für Millionen von Staatsbürgern der einzig sichtbare Exponent der Staatsautorität. (Sehr richtig!) Eine gut ausgebildete, gut disziplinierte, mit dem Volke ver⸗ bundene Polizei (Zuruf bei den Kommunisten: Mit dem Gummi⸗ knüppel!) — wie man sich beträgt! — (sehr richtig!) wird daher gut für das Ansehen des Staates und seine beste Stütze sein. Nach den Verhältnissen in der Polizei wird man in weitem Um⸗ fange Ordnung, Sauberkeit und Kraft des Staatslebens selbst beurteilen, und dazu kommt, daß das Wohl des Volkes in weitem Umfange von der Arbeit der Polizei abhängt: Schutz vor Ver⸗ brechern und sonstigen Störern der öffentlichen Ordnung, Schutz aber auch vor falscher Auslegung der Gesetze und gesetzlichen Bestimmungen, Schutz vor falschen Befehlen und falscher Aus⸗ legung von Befehlen, die unter Umständen sogar Blut und Leben kosten können. Eine Polizei, die dem gerecht wird, muß eine Beamtenschaft umfassen, die sich in ihrem Beruf wohlfühlt, die sich in ihrer dienstlichen Existenz gesichert sieht, die gut ge⸗ führt wird, vertrauensvoll zu den Vorgesetzten steht, der Willkür entrückt ist, kurz, die, wenn sie ihren Dienst tut, sich ohne Rück⸗ halt und ohne Hintergedanken diesem Dienst hingeben kann.
Meine Damen und Herren, Sie können sich denken, daß es sehr viel leichter ist, diesen Grundsatz und diese Grundsätze aufzustellen, als sie in Paragraphen eines Gesetzes zu fassen. Die Staatsregierung, die Ihnen den Polizeibeamtengesetzentwurf vorgelegt hat, ist der Auffassung, daß der Entwurf, der in langer Arbeit — es sind, glaube ich, 7 oder 8 Entwürfe im Laufe der letzten Jahre immer wieder neu gemacht worden — (Zuruf) — was lange währt, wird gut! —, entstanden ist, das ist, was gegeben werden soll. Der Entwurf, der, wie gesagt, nach langer Arbeit und nach Anhörung der Verbände, wie ich betonen will, und des Hauptausschusses der Polizeibeamten Ihnen vorgelegt worden ist, stellt gewissermaßen die Mittellinie dar, auf der sich das Staatsinteresse und das Interesse der Beamtenschaft durch⸗ führen läßt.
Es ist im allgemeinen so, daß in dem Entwurf die Polizei⸗ beamten soweit und solange als möglich der übrigen Beamten⸗ schaft gleichgesetzt sind. Da aber, wo die Besonderheiten der Polizei in Frage stehen, mußte für sie auch ein Sonderrecht geschaffen werden.
Es ist klar, daß ein Gesetzentwurf, der bestimmt ist, Rechts⸗ und Lebensverhältnisse von rund 100 000 Beamten zu gestalten, die Gemüter der Beamten erregt hat. Ich bedaure aber ganz außerordentlich, daß in die Kreise der Polizeibeamtenschaft nicht nur sachliche, sondern auch sehr unsachliche Argumente und eine sehr unsachliche Agitation hineingetragen worden ist. (Sehr richtig!t — Zuruf bei den Kommunisten.) Ich bedaure, so sehr ich zugebe, daß man über gewisse Dinge durchaus verschiedener Meinung sein kann, und ich die Meinung durchaus nicht als böswillige Meinung hinstellen oder böswillige Absichten von
dauern müssen
(Fortsetzung des Nichtamtlichen in der Ersten Beilage.)
Verantwortlicher Schriftleiter: Direktor Dr Tyrol. Charlottenburg. Verantwortlich für den Fersr ge ““ Mengering in Berlin.
Verlag der Geschäftsstelle (Mengering) in Berlin. Druck der Preußischen Druckerei⸗ und Verlags⸗Aktiengesellschaft.
Beerlin. Wilhelmstr. 32.
Sechs Beilagen (einschließlich Börsen⸗Beilage)
und Erste und Zweite Zentral⸗Handelsregister⸗Bei age.
Der Entwurf eines Polizei⸗ beamtengesetzes, den ich namens des Staatsministeriums hier vorlege, stellt den Abschluß einer langen Entwicklung der Organi⸗ Diese Entwicklung ist Ihnen
Ordnungspolizei und der Durch das Schutz⸗
Der Bezugspreis beträgt vrerteljährlich 9, — Neichsmarh.
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die Geschäftsstelle des Reichs⸗ und Staatsanzeigers Berlin SW. 48, Wilhelmstraße Nr. 32.
111.
8
13. Mai,
TeA A&2 eFHr 8 eens AavFHvns Fexnüvr
Einzelnummern oder einzelne Beilagen werden nur gegen Barbezahlung oder vorherige Einsendung des Betrages
Inhalt des amtlichen Teiles: Deutsches Reich.
Ernennungen ꝛc. 88 88 “ Preußen.
Ernennungen und sonstige Personalveränderungen. Erlaß, betreffend Aenderung einer Vorschrift des Gesetzes, betreffend die Gebühren der Medizinalbeamten.
Amtliches.
Deutsches Reich.
„Der Kaufmann D. W. Bain ist zum Vizekonsul des Reichs in Wick (Schottland) ernannt worden.
Preußen. Akademie der Wissenschaften.
Die Preußische Akademie der Wissenschaften hat den ordentlichen Professor an der Universität Königsberg Dr. Erich Klostermann zum korrespondierenden Mitglied ihrer philo⸗ sophisch⸗historischen Klasse gewählt.
Ministerium für Volkswohlfahrt.
Auf Grund des § 8 Abs. 2 des Gesetzes, betreffend die Gebühren der Medizinalbeamten, vom 14. Juli 1909 (Gesetzsamml. S. 625) wird im Einvernehmen mit dem Herrn Finanzminister und dem Herrn Justizminister die Vor⸗ b unter A IV Nr. 18 der Anlage I des Gesetzes mit
irkung vom 1. Mai 1927 ab wie folgt geändert: „Schreibgebühren für Reinschriften werden, sofern der Kreisarzt sie nicht selbst anfertigt, für eine mindestens 32 Zeilen von durchschnittlich 15 Silben enthaltende Seite durch einen Betrag von 0,30 RM vergütet. Jede angefangene Seite wird voll gerechnet.“
Deer vierte Absatz des Erlasses vom 5. Mai 1924 (Gesetz⸗
samml. S. 540) wird vom 1. Mai 1927 an außer Kraft gesetz
Berlin, den 10. Mai 1927. Der Preußische Minister für Volkswohlfahrt. Hirtsiefer.
Richtamtliches.
Deutsches Reich.
In der gestrigen öffentlichen Vollsitzung des Reichs rats wurde laut Bericht des Nachrichtenbüros des Verein⸗ deutscher Zeitungsverleger ein fuhrscheine angenommen. Der Entwurf bestimmt, daß bis zum Ablauf des 31. Juli d. J. bei der Ausfuhr von Roggen, Weizen, Spelz, Gerste und Hafer Einfuhrscheine nicht erteilt werden. Der Gesetzentwurf soll am Tage nach der Ver⸗ kündung in Kraft treten.
In der Begründung wird betont, daß die Getreidepreise in letzter Zeit nicht unwesentlich gestiegen seien, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in gleichem Ausmaß auch auf dem Welt⸗ markt. Den Anstoß zu dieser Preisentwicklung hätten die steigen⸗ den Forderungen der Ueberseegebiete gegeben, die dem bekannten Bedarf der europäischen Zuschußländer Shegtet Außerdem nutze die amerikanische Spekulation die Elementarereignisse in Nordamerika aus, um die Preise in die Höhe zu treiben. Die Preissteigerung habe sich in stärkerem Maße auf Weizen als auf Roggen erstreckt, so 8g die Preisspanne mnisshen. eizen und Roggen jetzt schon 30 Mark betrage. Wenn auch mengenmäßig keine Besorgnis für die Versorgung der deutschen Bevölkerung bis ur neuen Ernte bestehe, so solle doch der Ausfuhr deutschen
rotgetreides, die unter den gegebenen Umständen stärker werden
könne, rechtzeitig entgegengetreten werden, um dadurch eine über⸗
stürzte Preisentwicklung zu hindern.
Angenommen wurde der Gesetzentwurf über ein Ab⸗ kommen zwischen Deutschland ennerseits und der Freien Stadt Danzig und Polen andererseits über die Durchführung des Artikels 312 des Versailler Ver⸗ trages hinsichtlich der Freien Stadt Danzig.
Es handelt sich dabei um die 1— zwischen dem
Deutschen Reich und Danzig auf dem Gebiet der Sozial⸗ versicherung. Deutschland soll an Danzig 35 Millionen Goldmark bacen. feneti ees ist die Frage, ob diese Summe von den
ahreszahlungen nach dem Dawes⸗Plan umfaßt wird oder daneben
41 gegen 26 Stimmen abgelehnt.
einschließlich des Portos abgegeben.
Pezahlt. werden muß. Diese Frage wird noch einer besonderen Entscheidung zuzuführen sein.
Angenommen wurde ferner der Gesetzentwurf über den deutsch⸗italienischen Vergleichs⸗ und Schiedsgerichtsvertrag, der ganz nach dem Muster anderer derartiger Verträge gehalten ist.
Weiter wurde eine Abänderung des Gesetzes über Be⸗ reitstellung von Kredit zur Förderung des Kleinwohnungsbaues genehmigt. Der Reichsrat stimmte dieser Vorlage zu, nachdem die Reichsregierung die Erklärung abgegeben hatte, daß die Hingabe von Mitteln an die Deutsche Bau⸗ und Bodenbank an die Bedingung geknüpft werden solle, daß diese Bank ihre Tätigkeit nicht auf das länd⸗ liche Siedlungswesen ausdehne und ihre Tochtergesellschaft in keinem Lande Zweigstellen neu errichte, wenn die Landes⸗ regierung Einspruch erhebe.
Der Reichsrat erklärte sic sodann mit der Satzungs⸗ änderung der Wohnstätten⸗Hypothekenbank A.⸗G. in Berlin einverstanden und entschied sich im Sinne der Beschlüsse seiner Ausschüsse dahin, daß von den sechs Bei⸗ sitzern der Oberprüfstelle für Schund⸗ und b1““ zwei aus Preußen, und je einer aus Bayern, Sachsen, Württemberg und Hamburg gestellt werden. Ein Antrag Bayerns, je drei Beisitzer aus Norddeutschland und je drei aus Süddeutschland zu bestellen, war schon in den Ausschüssen abgelehnt worden. Bayern und Hessen stimmten im Plenum gegen die Vorlage. Baden enthielt sich der Ab⸗ stimmung.
Nach dem der Reichsrat welerhin sich damit einverstanden erklärt hatte, daß aus Anlaß des 450 jährigen Bestehens der Universität Tübingen Silbererinnerungs⸗ münzen ausgeprägt werden, beschäftigte er sich mit einer Verordnung des Arbeitsministers über Einschränkung der Krisenfürsorge für Erwerbslose. In der Verordnung war für das Baugewerbe und dessen Hilfsgewerbe, für Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Gärtnerei, Vervielfälti⸗ gungsgewerbe und Hausgewerbetreibende die Krisenfürsorge wegen der gebesserten Lage des Arbeitsmarkts in diesen Ge⸗ werben ganz aufgehoben worden, außerdem sollte sie in einzelnen Bezirken beseitigt werden, in denen die Erwerbs⸗ losigkeit keinen großen Umfang mehr hatte. In den Aus⸗ schüssen des Reichsrats war bereits die örtliche Beseitigung gestrichen worden, während sonst die Verordnung ge⸗ nehmigt war.
Namens der Reichsregierung legte Staatssekretär Zweigert nochmals die Gründe dar, die für den Abbau der Krisenfürsorge in einzelnen Berufen sprächen, beantragte aber noch in letzter Stunde die Streichung des Baugewerbes und seiner Hilfsgewerbe aus der Verordnung. Er wies darauf hin, daß nach dieser Streichung im ganzen nur noch rund 11 500 Arbeiter in Frage kommen würden, 9 daß auch die Befürchtungen der Gemeinden nicht zuträfen, daß man ihnen durch Abbau der Krisenfürsorge eine größere Wohlfahrtspflege zumute. — Namens der preußischen Regierung beantragte Staatssekretär Weismann die Ab⸗ hhheg der gesamten Verordnung und namentliche Abstimmung
aruber.
Die Verordnung wurde in namentlicher Abstimmung mit — b Die Vertreter der preu⸗ ßischen Provinzen stimmten diesmal sämtlich m dem Staats⸗
8
ministerium gegen die Aufhebung.
Deutscher Reichstag. Cö 312. Sitzung vom 12. Mai 1927. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger.)
Präsident Löbe eröffnet die Sitzung um 2 Uhr. Die zweite Lesung des Gesetzentwurfs über den Schutz der Jugend bei Lustbarkeiten wird fortgesetzt.
Abg. Else von Sperber (D. Nat.) tritt für die Vorlage ein und erklärt, mit tiefer Entrüstung müsse sie die Angriffe der Sektion 6 Dichtkunst der preußischen Akademie, die den Mit⸗ gliedern des Ausschusses Unehrlichkeit vorgeworfen habe, zurück⸗ weisen. Das sei eine unerhörte Vergiftung des gfsen hobe⸗ Lebens. (Beifall rechts. — Lachen links.) Hier gelte das Wort: Was ich tu, trau ich andern zu! Vereine und Verbände, einschließlich er konfessionellen, Schulen und Jugendämter, die für unsere Jugend gute Darbietungen veranstalten, sollten mehr als bisher vom Reiche und den Ländern, auch durch Bereitstellung von Geld⸗ mitteln, gefördert werden. Die Statistik spreche hier eine er⸗ schreckende Sprache. Freilich gewissen schweren sittlichen Gefahren für die Jugend, z. B. in den Wohnungsverhältnissen, könne man mit diesem Gesetz nicht beikommen Dennoch müsse man versuchen, die Kinder vor sittlicher Verwahrlosung zu bewahren. Der starke Widerspruch der Sozialdemokraten gegen dieses Gesetz erscheine nicht verständlich. Auch die Ferorit ung junger Künstler für die Filmaufnahmen in Kinderrollen sei durchaus möglich. In Repuen mit möglichst lüsterner Darstellung von Nacktheiten gehörten
Kinder nicht hinein, dart sei die heranwachsende Jugend schweren Gefahren ausgesetzt. Müsse die Jugend Fe arbietungen fernbleiben, dann werde das Programm vielleicht allmählich etwas weniger Fssch werden. Die Rednerin begrüßt es, daß man den Jugendpflegern und Pflegerinnen weitergehende Befugnisse zugestehe. Den Bestrebungen, allen Schmutz und Schund an die Jugend heranzubringen, müsse ein Riegel vorgeschoben werden. del strafen seien hier vielfach u man müsse hier zu Ge⸗ “ und schließlich zur Schließung des betreffenden Be⸗ triebes greifen. Es wäre wohl zweckmäßig, einmal die ganze Jugendschutzgesetzgebung zusammenzufassen. Denn der sittliche Schutz unserer Jugend sei eine der wichtigsten Ausführungen.
Abg. Dr. Runkel (D. Pp.) gibt die größere Wirksamkeit G Erziehungsmaßnahmen gegenüber Polizeiverboten zu. icht alle Kinder könnten mit Rücksicht auf körperliche Schwäche Sport treiben. Für se müsse man Gelegenheit zu Gesellschafts⸗ spielen, nsgch in frischer Luft, schaffen. Aber mit alledem könne man doch die sittlich Gefährdeten nicht schützen. Wieviel Jugendliche würden durch schlechten Verkehr von solchen Ver⸗ anstaltungen ferngehalten! Das Selbstbestimmungsrecht könne man nur den sittlich Reifen zugestehen. Selbst die Weimarer Verfassung habe die Notwendigkeit gesetzlicher Schutzmaßnahmen anerkannt. Man nenne das Gesetz ein Polizeigesetz. Gewiß set der Regierungsentwurf unsympathisch gewesen, denn er habe die Jugendämter ausgeschaltet. Auch die Ausschußfassung sei nicht ideal, aber sie sei weder ein Polizei⸗ noch ein II Denn der Ausschuß habe den Einfluß der Jugendämter eingefügt. Das Gesetz sage nichts von Hochzeiten, Geburstagsfeiern, Kindtaufen, das .n doch keine Lustbarkeiten! (Schallende Heiterkeit, Zuruf links: Ja, was sind denn dann „nichtöffentliche Veranstaltungen“*) Das werde wohl der Minister noch aufklären. (Rufe links: Aha! Sie wissen es auch nicht!) Von Theaterzensur sei keine Rede. Das Gesetz solle nur den Weaterbircktoren eine Handhabe geben, um Jugendliche von gewissen Veranstaltungen zurückzuweisen. Politische und weltanschauliche, vor allem auch wissenschaftliche Veranstaltungen, sollten nicht getroffen werden. Aber es gebe doch eine ganze Reihe von Theateraufführungen, die nach Anschauung der gesamten Oeffentlichkeit nicht für Jugendliche geeignet seien. „Wir haben einen anderen Begriff von Freiheit als Sie,“ so ruft der Redner der Linken zu „wir kennen nur eine sittlich gebundene Freiheit!“ Bis zur dritten Lesung solle der Minister prüfen, 05 man nicht eine oberste Beschwerdeinstanz im Reiche für dieses Gesetz schaffen solle. Ein Recht zur Verwahrlosung der Kinder 1. es nicht, auch kein Elternrecht. Darum sei es Pflicht des
esetzgebers, einzugreifen, wo die Eltern versagen. Frau Lüders habe im Ausschuß hervorragend am Zustandekommen des Gesetzes mitgearbeitet. Deshalb könne man nicht annehmen, daß die Demokraten das Gesetz zu Fall bringen würden. Die Deutsche Volkspartei behalte sich ihre endgültige Stellungnahme bis zur dritten Lesung vor.
Abg. Helene Weber⸗Berlin (Zentr.) weist darauf hin, daß auch das Zentrum an der Verbesserung der sozialen und Arbeits⸗ bedingungen der Jugendlichen mitgearbeitet habe. Furcht und Mißtvauen bringe die Linke nun auch diesem Gesetz entgegen. Mit Füeh und Mißtrauen könne man die Republik nicht stärken. Im
amen der Freiheit des Geistes bekämpfe man das Gesetz, das doch gerade das Ungeistige veseitigen solle. Wer eine Vorzensur für das Theater fürchte, wisse gar nicht, was eine Vorzensur sei. Die gute große Kunst könne sich weiter in Freiheit entwickeln; man wehre ich nur dagegen, daß die dekadente Lebewelt⸗sich auf Kosten der Jugend amüsiere. Die Republik sei in Notwehr gegenüber dem, was sich in der Oeffentlichkeit breit mache. Die Jugend sei nicht in ihrer Meshaheit organisiert. Die Organisierten seien allerdings nicht gefährdet, wohl aber viele der anderen. (Zuruf bei den Sozialdemokvaten: Beseitigen Sie doch die sozialen Mißständey!) Diese Mißstände bekämpfe das Zentrum auch. Aber bis zur Beseitigung der sozialen Mißstände könne man nicht warten. Der Mensch und die Jugend müßten höher stehen als die Materie. (Beifall im Zentrum.)
Abg. Rosenbaum (Komm.) führt aus, ein rechts⸗ gerichtetes Organ, die „Kölnische Zeitung“, habe, nachdem der jetzige Entwürde⸗ Gesetzes bereits vorgelegen habe, das Gesetz als unwirksam und überflüssig Das Blatt schreibe, man packe anstatt schwieriger sozialer Probleme leichtere Dinge an, wie den Schutz der Jugend. Eine Aenderung der heutigen ozialen Mißstände, so betont der Redner, bedinge eine Be⸗ eitigung der heutigen Gesellschaft. Das wäre aber von den bürgerlichen Parteien zu viel verlangt. Krasser und treffender werde die Meinung der „Kölnischen Zeitung“ in der Literatur wiederholt. Nur ein freies Volk könne eine wahre Kultur haben. Der Redner erhebt Einspruch gegen das Verbot des Jung⸗ Spartakusbundes in Bayern, der die kulturelle Hebung der Jugend bezwecke. Vielfach sei in Bayern den Jugendlichen auch der Beitritt zu den Arbeitersportvereinen verboten. Der Redner beschwert sich ferner über Versagung der Fahrpreisermäßigung für Wanderungen proletarischer Jugendorganisationen, über Verweigerung von Schulräumen und Turnhallen usw. Bei den E“ werde das Augenlicht der Kinder durch das Scheinwerferlicht gefährdet. Darum habe sich die Parlamentarische Kommission nicht gekümmert. Mit Hilfe dieses Gesetzes könnten auch höchste Kunstleistungen unterdrückt werden. Es arbeite bewußt mit falschen Argumenten und wolle jede neue aufstrebende Kultur verhindern und stehe unter dem Zeichen: Zurück zum Mittelalter! Das Gesetz sei nur ein Glied in der unendlich langen Kette der Unterdrückung durch Polizei, Reichswehr und Gesetze, verbunden mit schärfster Ausbeutung des Proletariats und des In dem Abwehrkampf gegen diese Kulturreaktion sei die sozialdemokratische Hilfe völlig zu vermissen.