1929 / 139 p. 14 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 18 Jun 1929 18:00:01 GMT) scan diff

und

Abg, Hünlich (Soz.) betont, in dieser Zeit der allgemeinen Not könne es nicht Aufgabe sein, die alten Schiffe systematisch durch Neubauten zu ersetzen. Auch das Tempo der Neubauten müsse sic der allgemeinen Finanzlage anpassen. Mit unserer Hochseeflotte wäre es mit und ohne Panzerkreuzer sofort zu Ende, vobald eine modern ausgerüstete Flotte ihr entgegentrete. Im

ahmen des Versailler Vertrages könnten wir überhaupt keine leistungsfähige Flotte aufbauen. Daher haben wir uns, so erklärt der Redner, auch nicht entschließen können, die Mittel für das Panzerschiff A oder für weitere Panzerschiffe zu bewilligen. Das von der ö“ geforderte Marineprogramm würde doch ganz erhebliche Mittel erfordern, die nicht zur Ver⸗ ügung stehen. Die in der Marineleitung anscheinend vorhandene urcht vor sozialistischen und kommunistischen Hetzern sei un⸗ S.e Marineoffiziere hätten erklärt, daß sie irgendwelche Schwierigkeiten mit ihren Mannschaften nicht hätten.

Die Beratungen werden hierauf abgebrochen, um die am reitag aufgeschobenen Abstimmungen über den tat des Reichsverkehrsministeriums vor⸗

zunehmen.

Da jetzt der Abgeordnete Dr. Kahl im Saal erscheint, unterbricht Präsident Löbe die Abstimmungen, um den Jubilar zur Vollendung seines achtzigsten Geburtstags mit solgenden Worten zu begrüßen:

Ich glaube auf allen Bänken freudige Zustimmung zu finden, wenn ich unserem hochverehrten Mitgliede, Herrn Geheimrat Professor Kahl, der heute sein 80. Lebensjahr vollendet, die auf⸗ richtigen und herzlichen Glückwünsche im Namen des ganzen Hauses ausspreche. (Lebhafte Zustimmung.) Hochverehrter Herr Geheimrat! Erlauben Sie mir, Ihnen an Ihrem Ehrentage zu versichern, daß der Reichstag stolz darauf ist, Sie in seiner Mitte zu wissen, daß er erfreut ist, Sie in solcher Rüstigkeit und Frische an unserem Werk mitarbeiten zu sehen, daß er dankbar ist für die Hoheit und Würde, die Sie so oft unseren Beratungen zu ver⸗ leihen vermochten, daß er einig ist in dem Wunsche, Sie noch lange mitschaffen zu sehen an dem rechtlichen Ausbau des neuen Deutschland. Als Sie vor zehn Jahren in die Nationalversamm⸗ lung eintraten, leuchtete Ihr Name schon weit und ehrenvoll über den Kreisen der juristischen Welt. Sie haben in hohem Alter, das nicht vielen beschieden ist, mit jugendstarkem Gefühl noch einmal einen Anfang gemacht, den Anfang zur lebhaften Beteili⸗ gung an der Gesetzgebungsarbeit im Parlament. Die Spuren Ihrer Mitarbeit trägt die Verfassung von Weimar, zu deren Ausgestaltung Sie Ihre Kraft beisteuerten, trägt eine lange Reihe von Gesetzen und Rechtsnormen, die ein unruhiges Jahr⸗ zehnt uns abnötigte. Und jetzt, achtzig Jahre alt, sind Sie Tag um Tag bemüht, nicht als Vorsitzender, nein, als Führer des Strafrechtsausschusses diesen Teil Ihrer Lebensarbeit zu krönen durch das große Werk des Strafgesetzbuches, das unserem Volke ein der modernen Zeit entsprechendes und lange währendes und möglichst vollkommenes Strafrecht geben soll. Ich preise die Stunde, die uns Gelegenheit gibt, die tiefe Wertschätzung und Liebe für Sie, die wir sonst still in uns tragen, vor Ihren klaren kütigen Augen offen zu bekennen. Wir danken Ihnen um so reudiger, weil wir wissen, daß es ja kein Abschluß ist. Nein, wenn wir Ihnen heute die Hand reichen, dann in der gewissen Hoffnung, es bald wieder tun zu können, nämlich, wenn ich die Vollendung dieses gesetzgeberischen Werkes von diesem Platze aus verkünden darf, das dann für immer mit Ihrem Namen ver⸗ knüpft sein wird. Zunächst also bis dahin, hochverehrter Herr Kollege, Rüstigkeit, Frohsinn und warme Abendsonne! Das winkt unser Blumengruß Ihnen zu. (Lebhafter Beifall auf allen Seiten des Hauses.)

Abg. Prof. Dr. Kahl (D. Vp.): Hochverehrter Herr Reichs⸗ tagspräsident! Hoher Reichstag! Meine Damen und Herren! Den Gruß⸗ und Glückwunsch, den ich von der deutschen Volksvertretung heute entgegennehmen darf, habe ich neben dem

Gruß⸗ und Glückwunsch, den mir in aller Morgenfrühe der Herr Reichspräsident durch den Herrn Justizminister und den Herrn Minister des Innern zugeschickt hat, als höchste Auszeichnung erkennen können, die ich auf diesem Höhepunkte meines Lebens überhaupt erfahren darf. Haben zunächst Sie, hochverehrter 8 Präsident, den herzlichsten Dank für die ich muß sagen Uieben Worte, die mir tief ins Herz gedrungen sind, und Dank für all das väst ere Wohlwollen, dessen ich mich immer erfreuen durfte, und ich habe allen hier ohne Unterschied der Parteien im Hause warm zu danken dafür, daß sie sich in so ehrenvoller Weise dem Gruß des Herrn Präsidenten angeschlossen haben. Einzelne verehrte Kollegen haben mich schon brieflich begrüßt; ich darf dafür hiermit allgemein Dank sagen. Aber sprechen Sie, lieber Herr Präsident und verehrte Kollegen, nicht von Verdiensten meinerseits. Jeder dient hier mit den besonderen Gaben, die ihm gegeben sind, in aller Bescheidenheit, und ich kann Sie ver⸗ ichern, daß der Dienst, den ich hier leisten darf, mit zu meinem höchsten Lebensglück gerade in der ernsten Zeit des Vaterlandes gehört. Ich bin nicht eingetreten in die Nationalversammlung der in den Reichstag aus innerem Zug und Liebhaberei zur

olitik oder gar aus dem Gedanken, als ob mir auf politischem

ebiet ein besonderer Beruf und besondere Fähigkeit beschieden wäre. O nein, was mich getrieben hat in diesen Kreis hier, das ist die heiligste Liebe zum Vaterland; die hat mich schon nach Weimar getrieben und die allein hat mich auch hier gehalten. Die 1“ möge wie der Reichstag das höchste und vornehmste Organ sein, das berufen war und ist und 88 wird zum Wiederaufbau unseres lieben Vaterlandes. Und ledig⸗ lich in diesem Sinne habe ich hier meine Tätigkeit ausgeübt und nur mit dem Ziel, kleine Bausteine beitragen zu dürfen zu diesem Aufbau. Das ist auch mein Vorsatz für die Zukunft. Eine Wahlreform allein kann einen Reichstag, der das Vater⸗ land wieder in die Höhe bringt, nicht Ich erinnere an einen Ausspruch Bismarcks: Ob ich vor dem nach dem Drei⸗ klassensystem gewählten Landtag oder dem nach dem gleichen Wahlrecht gewählten Reichstag spreche, ich treffe immer dieselben lieben Gesichter. Aber im Ernst es ist und bleibt die 88 Aufgabe des Deutschen Reichstags, zu leben und zu sterben in der Hoffnung, daß es dem Deutschen Reich und der deutschen Volksvertretung beschieden sein wird, das deutsche Volk wieder auf die Höhe des Glückes zu bringen und zu tragen, in dem wir dann mit tieferem Ernst und mit größerer Zuversicht als heute sagen können: Blüh' im Glanze dieses Glückes, blühe deutsches Vaterland! Hochverehrte Freunde, meinen tiefempfundenen herzlichsten Dank! (Lebhafter Beifall und Händeklatschen im ganzen Hause und auf den Tribünen. Der Präsident Löbe ver⸗ käßt seinen Platz, um dem Jubilar die Hand zu reichen. Auch die anwesenden Minister und viele Abgeordnete begrüßen in dieser Weise den Abg. Dr. Kahl.) Bei den Abstimmungen zum Etat des Reichs⸗ verkehrsministeriums wird eine große Reihe von Anträgen der Kommunisten auf Streichungen an verschiedenen Etats⸗ positionen abgelehnt. Angenommen wird eine Entschließung, die für Kindertransporte zur besseren Sicherheit D⸗Zugwagen ur Verfügung stellen lassen will, ebenso eine Entschließung her Wirtschaftspartei, Anträge auf Verlängerung der Auf⸗ brauchsfristen für Vollgummireifen infolge wirtschaftlicher Notlage entgegenkommend zu behandeln. Der Etat wird in der Ausschußfassung angenommen, ebenso die Ausschuß⸗ entschließung, wonach die Beteiligung des Reiches an der Nürburgring⸗Gesellschaft zum Erlöschen gebracht und weitere Reichsmittel nicht gewährt werden sollen. Genehmigt werden auch die Ausschußanträge über die Seiefernahg der Loko⸗ motivindustrie mit Aufträgen und über die Vorlegung einer

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Neufassung der Verordnung über Kraftfahrzeugverkehr. An⸗

genommen wird weiter ein volksparteilicher Antrag, auf die Reichsbahn⸗Gesellschaft hinzuwirken, daß die Personenwagen der früheren vierten Klasse möglichst bald in solche der neuen Holzklasse umgebaut werden, und schließlich eine deutschnatio⸗ nale Entschließung, die die Reichsregierung ersucht, die vor⸗ bereitenden Verhandlungen mit dem Lande Sachsen auf⸗ zunehmen für die Gewährung eines Reichszuschusses zur Ver⸗ meidung von Hochwasserkatastrophen, wie sie im Jahre 1927 im östlichen Erzgebirge aufgetreten sind.

Das Haus setzt dann die Aussprache zum Haushalt des Reichswehrministeriums fort.

Abg. Treviranus (D. Nat.) erklärt: Einen Fortschritt im Haushalt der Marine darf ich vorweg anerkennen: Das Wiedergutmachen des Unrechts, das an den Angehörigen des Marinezahlmeisterkorps durch den Fortfall ihrer alten Seemanns⸗ zulage geschehen ist. Wir hoffen, das darf ich ebenfalls im Auf⸗ trage der Deutschen Volkspartei erklären, daß das für die ehe⸗ maligen Angehörigen des Marinezahlmeisterkorps im nächsten Etat nachgeholt wird. Die Abstriche für die Befeuerung des Wangerooger Fahrwassers werden wahrscheinlich zur Folge haben, daß man dieses Fahrwasser bei Nacht und bei Nebel nicht be⸗ fahren kann. Der Schutz der Hochseefischerei hat in den letzten Jahren eine verstärkte Bedeutung gewonnen. Wenn der Kreuzer I nun erst im März 1931 fahrbereit sein wird, so können wir uns dabei nicht den Vorwurf ersparen, daß dadurch die Lage der anderen die Hochseefischerei schützenden Fahrzeuge nicht ge⸗ rade gefördert wird. Unser Antrag auf die Aufstellung eines Planes für die weiteren Ersatzbauten hatte nur wohlverstandene Sparsamkeit im Auge. Dadurch sollte ein ewiges Zickzack auf diesem Gebiete vermieden werden. Die finanzpolitischen Rück⸗ sichten haben dazu geführt, daß die vor einigen Jahren so mühsam mit 17 Millionen sanierten Deutschen Werke in Kiel dazu zwangen, sie mit dem Bau des Panzerkreuzers A zu beauftragen. Ich frage die Marineleitung: Ist sie be⸗ reit, den nächsten Kreuzer mit den Ersatzbauten in Auftrag zu geben? Der Pessimismus des Abg. Hünlich scheint mitzusprechen, wenn er meint, wir würden nicht wieder zu einer solchen herr⸗ lichen Hochseeflotte kommen, wie sie in Scapa Flow versenkt wurde. Ich glaube auch, daß wir nie wieder eine solche schimmernde Wehr haben werden. Aber anderseits ist die neue Aufbauarbeit unserer neuen Marine doch hoch anzuerkennen. Eine ungeheure Menge von Kleinarbeit und wissenschaftlicher Arbeit ist zum Beispiel in den Panzerkreuzer A hineingesteckt worden. Ausländische Fachkritiker haben das auch unumwunden anerkannt. Deutsche Fachleute seien darin etwas skeptischer. Es ist notwendig, so betont der Redner, daß wir uns die Frage vor⸗ legen, ob wir nicht mitunserer Kritik bessern wollen oder ob wir nur 11“ herunterreißen wollen. Wir verlangen eine Pflege der Tradition: Die Pflege des Geistes der Pflichterfüllung. Aber auch die Pflege der modernen Verbesserungen. Gerade die Erfahrungen der Schlacht am Skagerrak haben gezeigt, daß unsere Linientaktik beweglicher war als die der schwerfälligen englischen Linien. Das „Wunderschiff“ des Panzerkreuzers A wird 88 ein⸗ mal ungeahnte Möglichkeiten eröffnen. Gegenüber der immer wiederkehrenden Freude am Hervorheben von Schwächen müssen wir die guten Seiten hervorheben. Wir den Angehörigen der Wehrmacht weder eine bevorzugte Besoldung noch eine bessere Beförderung bieten können, sondern nur die Aussicht auf eine be⸗ b Versorgung im Alter. Wenn man der Wehrmacht nicht ie verdiente Anerkennung zeigt, dann verbittert sie sich natür⸗ lich. Bleibt die Marine ein geduldetes Relikt der vergangenen Zeit, dann verkümmert die Marine und wir begeben uns der Aus⸗ sichten, die günstigen Möglichkeiten des Zusammenwirkens von Land⸗ und Seemacht auszunützen. 85 den Annalen des Magde⸗ burger Parteitages habe ich vergeblich nach einer Aenderung ihres Standpunktes in der Wehrpolitik gesucht. Abenteurerlust lehnen wir ab, aber wir erkennen die sittliche Größe des Wehr⸗ 1 an; für uns sind das nationale Selbstverständlichkeiten, und wir werden nicht rasten, als bis wir das gesamte deutsche Volk zu diesem gesunden Selbstbehauptungswillen gebracht haben. (Lebhafter Beifall.)

Abg. Stoecker (Komm.) erklärt, die deutsche Flottenrüstung richte sich nur gegen Sowjetrußland. Die Deutschnationalen biederten sich zu diesem Zweck an den britischen Imperialismus an. Reichswehr und Marine würden nicht nur aus anßen politischen Grüünden ausgebaut. Reichswehrminister Groener abe ugegeben, daß die Reichswehr auch zur Niederhaltung der Arbeiterklasse Verwendung finden würde, unter dem Deckmantel der Aufrechterhaltung der Ordnung. Trotz des Beschlusses des sozialdemokratischen Parteitages gegen die neue Panzerkreuzerrate hätten die Sozialdemokraten im Haushaltsausschuß den Antrag auf Einsetzung von neun Millionen für den Panzerkreuzer unter⸗ schrieben. Die Sozialdemokraten hätten bereits zu erkennen ge⸗ geben, daß sie dem Bau der von Groener geplanten Panzer⸗ kreuzerserien zustimmen würden. Die Haltung der Sozialdemo⸗ kraten in der Wehrfrage stelle den größten politischen Massen⸗ betrug der Nachkriegszeit dar. Im Grunde besnt in dieser Frage eine Einheitsfront von den Deutschnationalen bis zu den Sozialdemokraten.

Abg. Tantzen (Dem.) betont, obwohl die allgemeine Ab⸗ rüstung noch immer an dem Widerstand der ehemaligen Feinde scheitere, dürfe man die Hoffnung auf die allmähliche Durch⸗ dringung der Völker mit dem Geiste des Friedens nicht aufgeben. Das Reichswehrministerium müsse seine Werftpolitik offenlegen; der große Verwaltungsapparat der Marine müsse verkleinerr werden. Der Redner bemängelt die Unübersichtlichkeit des Marineetats, die das Kontrollrecht des Reichstages stark einenge. Im nächsten Jahre müßte der Haushaltsplan eingehender im Haushaltsausschuß durchberaten werden. Leider habe man in diesem Jahre nicht genügend Zeit gehabt. So Etats⸗ positionen hätten der Aufklärung bedurft. Wir wollen keine Parteien in Reichswehr und Marine; wir wollen für sie kein Wahlrecht, aber von ihnen ein offenes Bekenntnis zur Republik und eine innere Verbundenheit mit dene Staat. Heer und Marine müssen auch den des Reiches festlich begehen. Das wird die Verbundenheit mit dem Volke stärken. Die Mehrheit des Volkes will keinen Streit mehr um die Staatsform. Die Tradition darf nicht zurückblicken, sondern h das Gute aus der Vergangenheit entnehmen. „Alles was ich bin und habe, das verdanke ich dir, mein Vaterland!“, das können alle ohne Unterschied der Partei sagen. Nur eine lebenskräftige Republik kann der Sinn unseres Staates sein. Etwas anderes ist nach dem verlorenen Kriege nicht möglich. Wir glauben an die Kraft unseres Volkes. (Beifall bei den Demokraten.)

Abg. Sachsenberg (Wirtsch. P.): Wir kritisieren nicht die Einzelheiten des Etats, denn wir haben Vertrauen zum Minister. Der Abgeordnete Hünlich sieht in 88 Antrage, ein Bauprogramm für unsere Marine aufzustellen, eine Ver⸗ chwendung. Das Gegenteil ist der Fall. Nur nach einem be⸗ timmten Programm kann mit Serienaufträgen und daher billiger gearbeitet werden, als wenn die alten Kräfte einzeln ersetzt werden müssen. Die Parteien, die für eine Stabilität unserer Wehrpolitik eintreten, können auch für unseren Antrag stimmen; 8 den Staat müssen wir alle eintreten; für uns ist der Begriff

es Nationalen keine Parteifrage, sondern eine Frage der Volks⸗

gemeinschaft. 8 Damit schließt die Aussprache. 8 Abg. Loibl (Bayer. Vp.) weist in Bemerkung

einige Ausführungen des Abgeordneten von pp vom Sonnabend

zurück. 8

Ritter von Epp (Nat. Soz.) hält in einer persönlichen Erwiderung seine Ausführungen aufrecht, wird aber durch leb⸗ hafte Zwischenrufe von den Kommunisten wiederholt veranlaßt, seine Rede stocken zu loffen. Unter der Heiterkeit des Hauses erklärt Vizepräsident Esser, die Zeit für eine persönliche Be⸗ merkung sei abgelaufen.

Die Abstimmungen morgen vertagt.

Nächste Sitzung Dienstag 11 Uhr: Abstimmung über den Wehretat; Etat der allgemeinen Finanzverwaltung.

über den Wehretat werden auf

Parlamentarische Nachrichtte.

Das Ersuchen des Reichsministers des Auswärtigen, daß der erst am Sonnabend den Etat des Auswärtigen Amtes in Beratung nehmen möge, hat den Aeltestenrat veranlaßt, gestern die Dispositionen für die Beratungen in dieser Woche über den Rest der zweiten Lesung des Etats umzustellen. Das Programm für diese Woche ist danach das Heute Etat der allgemeinen Finanzverwaltung, Mittwoch Etat des Finanzministeriums in Verbindung mit den Steuergesetzen, Donnerstag ö“ Freitag die noch verbleibenden Reste und Sonnabend Lnagcha. des Auswärtigen Amts.

Der Ausschuß für Rechtspflege setzte am 17. d. M. unter dem Vorsitz des Abg. Landsberg (Soz.) die Beratung des Gesetzentwurfs zur Verlängerung des Gesetzes zum Schutze der Republik fort. Abg. Dr. Bell (Zentr.) legte dem Nachrichtenbüro des Vereins deutscher Zeitungsverleger zu⸗ folge dar, daß das Gesetz zum Schutze der Republik kein Aus⸗ nahmegesetz sei, es sei ein Sondergesetz, hervorgerufen durch die bekannten Morde an deutschen Staatsmännern. Seine Partei ise sich von vornherein bemüht, dem Entwurf nicht den Charakter eines Ausnahmegesetzes zu geben, sondern eines Sondergesetzes für alle Zuwiderhandelnden. Er bestreite auch, daß dies Gesetz so gestaltet sei, daß es die Opposition ersticke. Wenn eingewendet werde, daß zwingende Gründe nicht vorlägen, manche der Bestimmungen noch aufrechtzuerhalten, so treffe das nicht zu. Er sei nicht der Auffassung, sondern meine, diese Be⸗ stimmungen seien entweder in das alte Strafgesetz noch hinein⸗ zuarbeiten oder aufrechtzuerhalten, bis das neue Strafgesetz in Kraft trete. Der letzte Weg sei doch vorzuziehen. Dr. Everling habe nun den Ausdruck „Beschimpfung“ als zu dehnbar empfunden und ebenso halte er die Bezeichnung der republikanischen ver⸗ Tööe Staatsform für kautschukartig. Dieser Aus⸗ druck sei aber doch inzwischen mit Zustimmung seiner Partei in die Gesetzgebung eingeführt. Fehlerhafte Rechtsprechung könnte den Gesetzgeber nicht zum Verzicht auf diese Nrechange n. be⸗ wegen. Der Staatsgerichtshof sei inzwischen bereits aufgehoben. Er bitte Dr. Jörissen um Zurückziehung seines Antrags. Die kommunistischen Anträge lehne er ab. Abg. Dr. Everling (D. Nat.) vermißte die geforderte Auskunft, welche dieser Straf⸗ bestimmungen denn wirklich angewendet worden seien. Es seien nur die Schikaneparagraphen zur Einwirkung auf die Gesinnung der Gegner angewendet worden. Hier hielten nach der brutalen Abschreckungstherorie die Sozialdemokraten die unerhört hohen Geldstrafen zur wirtschaftlichen 1“ und die Todesstrafe aufrecht, die sie gegen gemeine Verbrecherr nicht zulassen wollten. Das Strafgesetzbuch reiche vollkommen aus. Halte maa diese Vorschriften aufrecht, so heiße das nur Schikanevorschriften gegen politische Gegner: Metternichsches System in plumperer Aufmachung. Der Vorwurf, daß die Deutschnationalen der Ver⸗ längerung früher zugestimmt hätten, treffe sie nicht, denn da⸗ mals habe man mit der Drohung auf Sprengung der Koalition gedroht in einem Augenblick, wo das Schulgesetz und Notmaß⸗ nahmen für die B versprochen worden seien. Dieses Versprechen sei aber nachher von den Kontrahenten nicht ge⸗ halten worden. Der hier konstruierte Tatbestand sei Gummi, auf dem eine einwandfreie Rechtsprechung sich nicht aufbauen lasse. Jede Satire werde heute bereits als „Beschimpfung“ ausgelegt. Auf der anderen Seite habe man in Grosz’ Kruzifixus keine Be⸗ schimpfung gesehen. Die Arbeiter sprechen keine Salonsprache: Sie verlangten hier sogar ein rabulistisches Juristen⸗ deutsch! Damit müsse Schluß gemacht werden. Er bitte um Be⸗ anwortung seiner drei Fragen. Könne man nicht die Schikane⸗ aragraphen herausnehmen? Durch dieses Gesetz komme die olitisierung in die Rechtsprechung hinein. Die Unabhängigkeit der Richter halte er für ein unantastbares Gut. Gegen den politischen Druck wende er sich. Abg. Dr. Ehlermann (Dem.); Wenn jede Rechtsprechung den Begriff „Beschimpfung“ so auslegen könne, daß sie einen Gewissenszwang ausübe, wie der Vorredner meinte, so spreche doch seine Anführung der Satire, seine Verurteilung des Groszschen Kruzifixus gegen seine Darstellung. Die Aufhebung des Gesetzes werde zur Be⸗ rupißung beitragen, meinte der Vorredner. Diese Beruhigung wünsche er auch; dazu könnten aber Dr. Everling und seine 1 Freunde wesentlich beitragen, denn seine Presse nehme die „Be⸗ schimpfungen“, ja „grobe Beschimpfungen“ in Schutz. Und nur um Beschimpfungen handle es sich hier. Wo finde man in den Hugenberg⸗Blättern eine Verurteilung der „Beschimpfungen?“ Ministerialdirektor Schäfer machte statistische Mitteilungen über die Urteile auf Grund des Gesetzes zum Schutze der Republik. Eine Klarstellung des Begriffs der „Beschimpfung“ der republikanischen Staatsform sei durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts erfolgt. Abg. Heilmann (Soz.) erwiderte dem Abg. Everling, dessen Partei habe seit der letzten Verlängerung des Republikschutzgesetzes eine andere Richtung genommen. „Be⸗ schimpfungen“ dürfe man nicht straffrei lassen. Die Arbeiter seien auch nicht so geschmacklos, sondern es seien meist akademische Rowdies. Wenn er, Redner, eine Vorschrift wüßte, die vielen ungerechtfertigten Freisprüche auf Grund des Republikschutzgesezes unmöglich zu machen, würde er sie beantragen. Inzwischen wurde folgender Antrag Dr. Rosenfeld (Soz.) und Gen. gestellt: Der Ausschuß wolle beschließen: 1. Im § 14 vsat die Worte „Auf Antrag“ zu streichen und folgenden Satz hinzu⸗ zufügen: „In den Gründen sind die bestimmten Tatsachen, durch welche die Besorgnis der Begehung einer in den §§ 1—8 bezeich⸗ neten strafbaren Handlungen gerechtfertigt wird, darzulegen.“ 2. Im § 21 Absatz 1 den letzten Satz zu einem besonderen Absatz 2 zu machen und hinzuzufügen: „§ 14 Absatz 3 gilt entsprechend. Wird mündliche Verhandlung angeordnet, so finden die Vor⸗ schriften der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungs⸗ gesetzes entsprechende Anwendung. Das Nähere, insbesondere

(Fortsetzung in der Ersten Beilage.)

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““ Sechs Beilagen ceinschließl. Börsenbeilage und zwei Zentralhandelsregisterbeilagen),