Reichs⸗ und Staatsanzelger Nr. 76 vom 31. März 1930. S. 4.
zu machen, das sie in der Ver⸗
Vorbilde der Selbstverwaltund (Beifall.)
gangenheit allen anderen Städten gewesen sei.
In der Aussprache erklärte Dr. Steiniger (A. G.), Berlin sei in dem letzten Jahrzehnt das ersuchsobjekt für die e gewesen. Von der Staatsaufsicht werde in diesem etz ein ganz ungewöhnlicher Gebrauch gema t. Das Zweckverbandsgesetz für Berlin sei im 8 18* ersetzt worden durch eine Neuregelung, die die Selbständigkeit der einzelnen Gemeinden aufgehoben habe. Die schematisierende Regelung habe sich nicht bewährt. Jetzt werde wiederum ver⸗ sucht, ein gewisses Eigenleben der Gemeinden herzustellen. Ob man das erreiche auf dem vorgeschlagenen Weg der Aufhebung der Bezirksversammlungen und der Nichtöffentlichkeit der Bezirks⸗ räte sei mehr als zweifelhaft. Wenn man davon rede. man führe ein Präfektursystem ein so müsse man doch sagen, das, was man einführe, sei die Mißgeburt eines Präfektursvftems. Im übrigen, so schlecht wie es gemacht werde, sei Berlin doch nicht. Man verweise auf den Sklarekstandal. Es sei aber nicht in der Ordnung gewesen, einen Mann, der wie der Oberbürger⸗ meister Böß monatelang abwesend gewesen sei, derart herunter⸗ zureißen. Wenn Böß gesagt habe, ein einzelner könne unmöglich alles übersehen, so sei das richtig. Und wenn Korruption auf⸗ jetreten sei, so sei daran nicht schuld die Magistratsverfassung. dier zeige sich vielmehr die Auswirkung des Umstandes, daß man bie Beamten politisch auswähle. Und solche Skandale wie die Sklarekaffäre könne man auch in anderen Großbetrieben fest⸗ stellen. Weitere Vorwürfe erhebe man über die hohen schwebenden Schulden! Welcher Oberbürgermeister sollte uns davor geschützt haben? Sollte nicht auch für eine große Stadt im Westen der Vorwurf berechtigt sein? Vorgekommen soll es auch sein bei der Industrie und bei bestimmten Wirtschaftskreisen. Man solle sich also nicht so auf's hohe Pferd setzen! Wir seien allzumal Sünder! Der Schritt der Herstellung einer Provinzverwaltung nach eng⸗ lischem Muster sei zwar zu K Was aber vorgeschlagen werde, sei unzureichend. Die Magistratsverfassung sei doch der Bürgermeistereiverfassung vorzuziehen! Die Verantwortung für die hohen Schulden trage ja auch die Staatsregierung, da der Minister die Genehmigung gegeben habe. Vor allem sei zu betonen, daß im Interesse der Selbstverwaltung die öffentliche Kritik nicht ein⸗ geschränkt werden dürfe, wie die Vorlage es tue!
Mitglied Pieck (Komm.) wendet sich gegen die Tendenz und
den Inhalt des Gesetzes. Das Trust⸗ und Finanzkapital versuche überall, sich Erleichterungen auf Kosten der arbeitenden Massen iu verschaffen, so durch Konsumsteuer und durch Beschneidung der ozialen Fürsorge. Ueberall zeige sich die Verschärfung des Klassen kampfes! Das Finanzkapital treibe zur Diktatur! Daher die Faschisierung des Staatsapparates, um die arbeitenden Massen niederzuhalten! Die Sozialdemokratie aber habe man sich gemietet, um das Ziel zu erreichen. Ein faschistisches Diktaturgesetz sei diese Vorlage, die sich heuchlerisch Selbstverwaltungsgesetz für die Haupt⸗ stadt Berlin nenne! Die Stadtvertretung sei nur noch ein Deko⸗ rationsstück; die Fahne der heiligen Demokratie solle nur ein paar mal im Jahre aufgezogen werden! Sonst solle im geheimen Kabinett, im Stadtgemeindeausschuß, alles gemacht werden! Warum diese Eile? Weil man wisse, daß das allgemeine Gesetz eine harte Nuß sei für die Koalitionsbestrebungen! Deshalb nutze man die Mißstimmung gegen Berlin aus, um dieses Sondergesetz, dieses Diktaturgesetz, durchzudrücken! Das Gutachten aber zeige, daß man das Gesetz anerkenne, trotzdem es in Berlin einheitlich abgelehnt worden sei. Die Opposition in Berlin sei nur ein Theater gewesen! Die Kommunisten lehnten das Gesetz ab! Das Gesetz bedeute den Bankerott der Selbstverwaltung! Mitglied Haß (Soz.) wendet sich dagegen, daß von Mißwirt⸗ schaft in Berlin geredet werde. Schlimmeres als das, was in den großen Konzernen geschehen sei, sei auch in Berlin nicht geschehen. Deshalb sei die Begründung abwegig, das Sonder⸗ gesetz müsse sofort gemacht werden. Die Entscheidung über die Verfassung der Städte müsse vorher fallen. Abweisen müsse er die Angriffe der Kommunisten gegen seine Partei, die Kommu⸗ nisten hätten keine große Aufgabe durchgeführt. Vielmehr seien alle Fortschritte auf sneen Gebiete mit Hilfe der Sozial⸗ demokraten gemacht. Im Ausschuß sei allerlei gebessert worden. Die überspitzte rheinische Bürgermeistereiverfassung sei durch den Ausschuß eingeschränkt worden. Freilich könne man streiten, ob die Bürgermeistereiverfassung die bessere Form sei. Die Sozial⸗ demokraten zögen sie jedenfalls der Magistratsverfassung vor. Die Zurückstellung der Vorlage empfehle sich aber auch deshalb, weil Berlin hinsichtlich der Selbstverwaltung wesentlich beein⸗ trächtigt werde. Dummheiten, die eventuell gemacht werden könnten, könnten sich auch innerhalb der Selbstverwaltung korri⸗ gieren, ohne daß die Staatsaufsicht rigoros eingreife. Der Stadtgemeindeausschuß sei sehr verschieden beurteilt worden. Jedenfalls sollten sachliche Entscheidungen am besten in kleinem Gremium gefällt werden angesichts der Fülle der Arbeiten; die großen politischen Entscheidungen sollte man der Stadtvertretung überlassen. Deshalb sei auch die Sozialdemokratie für Bei⸗ behaltung des Stadtgemeindeausschusses. Sie stimme für die Beschlüsse des Ausschusses, zumal die Präambel deutlich aus⸗ spreche, daß das Gesetz erst bei der allgemeinen Reform ver⸗ abschiedet werden sollte.
Rechtsanwalt Loenartz (Zentr.) gibt der Ansicht Ausdruck, daß die Selbstverwaltung erheblich eingeschränkt werde. Des⸗ wegen seien die großen Bedenken berechtigt. Die Empfindung sei berechtigt, daß gerade in den letzten Jahren von der Selbst⸗ verwaltung viel abgebröckelt sei. Er bedauert, daß ein so wichtiges Geset dem Staatsrat mit so übertriebener Eile vor⸗ gelegt worden sei. Er habe die Empfindung, daß man auf dem Standpunkt stehe, es müsse irgend etwas geschehen. Ob das vor⸗ geschlagene Mittel das rechte sei, könne man noch nicht sagen. Wenn Freunde der Bürgermeistereiverfassung und der Magistrats⸗ verfassung zusammensäßen, so lobe jeder, „preisend mit viel schönen Reden“, sein System. Aber von den Vorrednern habe niemand bewiesen, daß sie die Bürgermeistereiverfassung gerade sehr tiefgründig kennen. Die Frage müsse nneer so gestellt werden: Bürgermeistereiverfassung oder Magistrats⸗ verfassung oder Ueberlassung der Wahl jeder einzelnen Stadt. Das Bild im Städtetag, der sehr unter dem Einfluß der Ober⸗ bürgermeister stehe, sei durchaus kein Spiegelbild der Meinung der Bevölkerung. Warum solle man einer Stadt, die seit über 100 Jahren ihren Magistrat habe und damit zufrieden sei, den Magistrat wegnehmen? Das würde doch den demokratischen Grundsätzen der Freiheit widersprechen. Warum wolle man Berlin nicht die Freiheit der Wahl lassen? Eine Verkleinerung der Stadtverordnetenversammlung und eine Dekonzentration sei auch unter der Magistratsverfassung möglich. Es liege in Berlin nicht am System, sondern an der Riesengröße der Stadt. Ferner komme es auf die Persönlichkeiten und die Charaktere an. Ein schwacher Oberbürgermeister werde auch mit kleineren Aufgaben nicht fertig werden, ein starker Oberbürgermeister werde dagegen auch die schwierigsten Verhältnisse meistern. Für das Richtigste würde das Zentrum Zurückstellung der Vorlage bis zur allgemeinen Regelung halten. Im übrigen sei aus dem Gesetz alles berauszulassen, was nicht unbedingt in ein Sonder⸗ gesetz gehöre, wie z. B. die Staatsaufsicht und die Auftrags⸗ angelegenheiten. Solle die Bürger meistere d. 9sng auf Berlin⸗ übertragen werden, so solle dies auch möglichst in Reinkultur geschehen ohne allzu viele Aenderungen. Der demokratische Grundsatz der Oeffentlichkeit müsse auch für den Stadtgemeinde⸗ ausschuß gelten, der doch eine kleine Stadtverordnetenversamm⸗ lung sei. Man könne den Bürger nicht von diesen ihn am meisten Angelegenheiten seines Bezirks aus⸗ schließen. Auch die Verantwortlichkeit des Bezirksverordneten könne dadurch nur gestärkt werden. Entsprechend der rheinischen Bürgermeistereiverfassung müsse der Oberbürgermeister auch in Berlin den Vorsitz in der Stadtverordnetenversammlung, also dem Stadtgemeindeausschuß, erhalten. Abschließend könne man
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sagen, daß der —3— aus der Beratung der Staatsrats⸗ ausschüsse mit wesentlichen Berbesserungen hervorgegangen sei; die drückendsten Bestimmungen seien beseitigt worden.
Syndikus 82* bert (Dem.) erklärt, er teile den vom Berichterstatter bekundeten Optimismus gegenüber dem Gesetz⸗ entwurf nicht. Dem Redner des ,— stimme er zu, da der Stadtgemeindeausschuß öffentlich tagen müsse. Erfreut se⸗ er, daß Dr. Steiniger zur Sache Böß hier einige aufflärende Worte gefunden habe. Die Gründe für die Eile, mit der das Gesetz vorgelegt worden sei, teile seine Fraktion - und er⸗ kenne sie überhaupt nicht an, sondern wünsche die Erledigung der allgemeinen Regelung der
der Vorlage zusammen mit preußischen Selbstverwaltung.
Senatspräsident Dr. Caspari (A. G.) unterstreicht diesen Wunsch. Er wünscht keine Aenderungen an den jeßt bestehenden Bezirken. Von der doppelten Abstimmung in der Stadtvertretung halte er nichts. In streitigen Fällen solle nicht der Oberpräsident bzw. ein Minister, sondern das gesamte Staatsministerium ent⸗ scheiden. Die Ausschußberatung habe eine Fülle von Ver⸗ besserungen ergeben.
Oberbürgermeister Brauer (Soz.) bestreitet, daß seine Fraktion zu ihrer Stellung zugunsten der Bürgermeisterei⸗ verfassung von oben her beeinflußt worden sei. Aus sachlichen Gründen wünsche sie möglichst schnelle Beseitigung der Magistrats⸗ verfassung. Die Oeffentlichkeit der kommunalen Verwaltung sei genügend gewährleistet durch die Oeffentlichkeit der Stadt⸗ vertretung und der Bezirksräte. 1
Bei der Abstimmung wird der Gesetzentwurf im wesentlichen in der Ausschußfas2sung angenommen. Bezüglich des Vorsitzes in der Stadtvertretung wurde die Regierungsvorlage wieder hergestellt, wonach der Ober⸗ bürgermeister den Vorsitz führen soll. Nach der Ausschuß⸗ fassung sollte die Stadtvertretung ihren Vorsitzenden selbst wählen. Im übrigen wurde gegen die Stimmen der Kommunisten beschlossen, gegen die Vorlage keine Ein⸗ wendungen zu erheben.
Auf die Erhebung eines Einspruches gegen die vom Landtag beschlossene Erhöhung der Altersgrenze der Hochschullehrer und gegen die Verlängerungs⸗ gesetze über die Hauszins⸗ und Grundver⸗ mögenssteuer wurde verzichtet.
Dann vertagte sich der Staatsrat auf Mittwoch, den
„April, Entscheidung über die Gewerbesteuerverlängerung.
Preußischer Landtag. 151. Sitzung vom März 1930.
Die Rede, die der Finanzminister Dr. Höpker Aschoff im Laufe der 3. Beratung des Gesetzentwurfs über die Ver⸗ längerung der Gewerbesteuer bis zum 31. März 1931 gehalten hat, lautet nach dem vorliegenden Stenogramm, wie folgt:
Bei der Beratung der vorliegenden Steuergesetze sind zwei Fragen immer mehr in den Vordergrund getreten, einmal die Frage des Verwaltungskostenbeitrages und sodann die Frage der Real⸗ steuersenkung. Die erste Frage wurde durch einen Gesetzentwurf Winterfeld berührt, dessen Beratung im Hauptausschuß vor⸗ läufig zurückgestellt worden ist, und die zweite Frage wird durch einen Gesetzentwurf der Koalitionsparteien berührt, der heute in erster Lesung ansteht und nach meinem Dafürhalten wohl dem Ausschuß überwiesen werden muß.
Diese beiden wichtigen Fragen haben nun inzwischen aber auch die Reichsinstanzen eingehend beschäftigt. Ich darf zunächst auf die Erklärung verweisen, die der Generalberichterstatter des Reichsrats bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Vorbereitung zur Finanzreform namens der Ausschüsse des Reichsrats im Reichsrat abgegeben hat. Diese Erklärung lautet folgender⸗ maßen:
Im ganzen sind die Ausschüsse mit der Reichsregierung überzeugt, daß eine erhebliche Steuersenkung für 1931 möglich ist, und sie werden sie dabei auf jede Weise unterstützen. Dabei muß neben der Einkommensteuer namentlich die Realsteuer ge⸗ senkt werden, jedoch nicht schematisch, sondern in erster Linie da, wo sie über den Durchschnitt angespannt ist, ferner ent⸗ sprechend dem Finanzprogramm vom Dezember 1929 „unter Einschaltung eines beweglichen Faktors in das Gemeindesteuer⸗ system, durch den bei Berücksichtigung sozialer Notwendigkeiten alle Gemeindebürger zu den Lasten der Gemeinde herangezogen werden, und unter Festlegung einer Relation zwischen diesem Faktor und den Realsteuern“. Eher kann eine Gesundung der Finanzverhältnisse nicht eintreten. Dies wurde ausdrücklich in die Begründung aufgenommen.
Außerdem hat sich aber auch die Reichsregierung selbst mit all diesen Fragen eingehend beschäftigt und hat, wie uns aus den Verhandlungen mit dem Reichsfinanzministerium bekannt ist, einen Plan aufgestellt, der sich nach folgender Richtung bewegt. Sie verlangt alsbaldige gesetzliche Maßnahmen, die erstens eine Senkung der Realsteuern im Auge haben, zweitens eine Senkung der Einkommensteuer und weiter den Einbau eines gesetzlichen Faktors, durch den — und da folgen die Worte, die auch im Reichsrat angeführt worden sind — unter Berücksichtigung sozialer Notwendigkeiten alle Gemeindebürger zu den Lasten der Ge⸗ meinde herangezogen werden, und Festlegung einer Relation zu der Höhe der Realsteuern. An einem Gesetzentwurf, der für das Jahr 1931 eine Senkung der Realsteuern durchführen soll, wird zur Zeit im Reichsfinanzministerium gearbeitet, und die Herren im Reichsfinanzministerium haben dankenswerterweise die Mit⸗ arbeit des Preußischen Finanzministeriums dafür in Anspruch genommen. Wir sind daher in der Lage, insbesondere auch die⸗ jenigen Pläne zu unterstützen, die nicht auf eine schematische Senkung der Realsteuern abzielen, wie es seinerzeit einmal ge⸗ plant war, sondern die bei der Senkung der Realsteuern die durchschnittliche Belastung in Rechnung stellen. Das ist für die preußischen Verhältnisse von entscheidender Bedeutung, da ja be⸗ kanntlich die Realsteuern in Preußen besonders hoch ange⸗ spannt sind.
Diese Pläne der Reichsinstanzen können auch durch den Rück⸗ tritt der Reichsregierung nicht in Frage gestellt werden; denn jede kommende Reichsregierung wird sie sofort wieder aufnehmen und mit Nachdruck weiterverfolgen müssen, und sie wird dabei auch die Unterstützung der Preußischen Regierung haben.
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— O.
Es zeigt sich wieder, daß es bei diesen Zusammenhängen wohl richtig war, die Beratung des Gesetzentwurfs über den Verwal⸗
Verlauf der Dinge im Reich abzuwarten. Weiterhin lehren die Vorgänge im Reich aber auch mit Nachdrücklichkeit, wie notwendig es zur Zeit ist, den Preußis hen Staat vor Erschütterungen zu bewahren und die Gesetzentwürfe über die Steuern, deren Ver⸗ abschiedung die Grundlage für die geordnete Fortführung der Verwaltung sowohl im Staat wie in den Gemeinden ist, auf dem Wege der geordneten parlamentarischen Gesetzgebung zu verab⸗ schieden. Ich glaube, kein verantwortungsbewußter Politiker wird sich dieser Erkenntnis entziehen können. Darum richte ich noch einmal an das hohe Haus, dessen Fraktionen — dies gilt so⸗ wohl von den Koalitionsparteien als von der Opposition — sich bei den Etatsberatungen mit uns bemüht haben, eine geor⸗ nete Finanzwirtschaft in Preußen wie bisber aufrechtzuerhalten den dringenden Appell, die vorliegenden Gesetzentwürfe . zeitig zu verabschieden. (Bravol) 1“
Die Ausführungen, die Herr Abgeordneter Dr. Neuman (Frohnau) soeben gemacht hat, könnten einen Zweifel darm bedeuten, ob ich die Erklärungen, die mir der Herr Reichsfinm minister über den Verwaltungskostenbeitrag gemacht hat, Ausschuß richtig wiedergegeben habe. Ich nehme an, He Dr. Neumann, daß Sie in meine redliche Berichterstattung: Hauptausschusse keinen Zweifel setzen. Aber ich möchte doch di Dinge hier klarstellen. 6
Ich habe im Hauptausschuß erklärt, daß nach den Berhan lungen, die ich mit dem Herrn Reichsfinanzminister gehabt ha⸗ davon auszugehen sei, daß das Reich gegen einen Verwaltung kostenbeitrag Bedenken erheben würde, der ein Existenzminimn und eine Staffelung vorsehen würde und der eine mäßige Hoö — also etwa die Höhe des bayerischen Verwaltungskostenbeitra oder der württembergischen Bürgerstener übersteigen wür Das sind die Erklärungen gewesen, die ich vom Herrn Reich finanzminister bekommen habe, und die ich im Hauptaussch wiedergegeben habe.
Aber ich habe bereits im Hauptausschuß betont und möch das hier noch einmal wiederholen: der Vergleich mit Baye hinkt, und zwar sehr erheblich. Denn der Vergleich hat d eine Entscheidende übersehen, das auch hier im Plenum des Landtags nicht nachdrücklich genug herausgehoben worden ie was die Bayern in ihrem Verwaltungskostenbeitrage babe nämlich die Möglichkeit, die Realstenerzuschläge, insbesondere be der Gewerbesteuer, zu bremsen, eine gewisse Belastung der A gemeinheit innerhalb der Gemeinden herbeizuführen, haben wirn Preußen in einem viel stärkeren Maße darin, daß die Zuschla zur Grundvermögensteuer, sobald sie 100 % übersteigen, auf d Gesamtheit der Steuerzahler abgewälzt werden. Diese Maß nahme wirkt besonders in jenen Gemeinden, denen man leicht den Vorwurf zu großer Aufwendungen in ihren Ve waltungen macht. Es ist doch einfach so, daß sich heute fed Bürgermeister oder Oberbürgermeister einer großen Stade mi den Stadtverordnetenfraktionen darüber verständigen muß, n der Aufwand gedeckt werden soll, und daß dabei nicht nur die Erhöhung der Zuschläge zur Gewerbesteuer in Rechnung gestellt wird, sondern auch die Erhöhung der Zuschläge zur Grund vermögenstener, die dann die Allgemeinheit als Steuer⸗ zahler trifft, und ebenso auch eine Erhöhung der Wertmarffe die ebenfalls die Allgemeinheit als Steuerzahler trifft. Wes mit dem bayerischen Verwaltungskostenbeitrag erreicht werder sahl nämlich eine gewisse Bremswirkung, ein Ansporn zur Sparsan keit, wird nach meinem Dafürhalten also schon heute durch d in Preußen getroffenen Maßnahmen in viel stärkerem Umfange erreicht. Und darum habe ich auch keinen Hehl daraus gemacht daß ich von dem Verwaltungskostenbeitrage in dieser roden Fom nicht viel halte. Es kommt nach meinem Dafürhalten daran an, eine andere Form des beweglichen Faktors zu finden. R habe vorhin schon darauf hingewiesen, welche Bemüdungen in
wir diese Frage vorläufig zurückgestellt haben.
8 152. Sitzung vom 29. März 1930, 10,15 Uhr. ericht d. Nachrichtenbüros d. Vereins deutscher Zeitungsverleger)
Der Landtag beginnt in seiner heutigen Plenarsitzumng die Aussprache über den zweiten Abschnitt des Jufeithaus⸗ halts, den Strafvollzug. Der Hauptausschuß müunscht in mehreren hierzu vorgelegten Anträgen u. a., daß die Stellen für hauptamtliche Strafanstaltsärzte weiterhin wesent⸗
lich vermehrt werden. Das Staatsministerium soll n.
Gefangenen der erften
in allen Strafanstalten auch für die Der Landtag münschn
Stufe aufgehoben werden kann. Bericht darüber, wieviel Unfälle von Gefangenen
ällen Zuschüsse zu den Unterstützungen gewährt murde Fünen 8 die Regierung anordnen, daß den polttischen Be⸗ fangenen das uneingeschränkte Recht zum Bezug und Seie⸗ politischer Zeitungen, Zeitschriften, Bücher und Bruschüna jeder Richtung gegeben werde. untersagt werden, Teile dieser Literatur unleserlich vu oder auszuschneiben. Dann soll die Regierung den — der Gefangenen an dem Arbeitsverdienst von einem auf ein Drittel erhöhen, den Untersuchungsgefangeees gebenenfalls über die Llebliche Plüch hinans Pfirh⸗ verteidiger stellen und 1921 im Etat die für die Fürxume entlassene Gefangene einzustellende Summe so bemesien. an sie dem tatsächlich vorhandenen großen Bedürfnis memmhe
einigermaßen entspricht. —
(Fortsetzung in der Ersten Beilage)
acheln .
Verantwortl. Schriftleiter: Direktor Dr. Tyrol. Chœxlotte
Verantwortlich für den Anzeigenteil: Rechnungsbirelteor Mengering in Berkin.
Verlag der Geschäftsstelle (Mengering) in Beillm.
8
h 16. Beilagen
—
tungskostenbeitrag in Preußen zurückzustellen und den weiteren
Reiche im Gange sind. Ich wiederhole: es scheint mir richtig daß
ob und inwieweit das Sprechverbot während der Freiitunde und sie innerlich umgestellt haben zur Achtung vor Gesetz und 1928 2,
1929 in preußischen Strafanstalten sich ereigneten, in mierie
Der Strafanstaltsrerrung sol
aum Deutschen Reichsanzeiger und Preußi
Nr. 76.
Justizminister Dr. Schmidt: Die b ewir im Gebiet des Strafvollzugswesens im — leistet haben, war die Ausarbeitung der Verordu Se ber den Strafvollzug in Stufen vom 7 Juni 1988 d ihre Einführung in die Praxis. Ich habe darübe bereits gführlich im Hauptausschuß berichtet und brauche dah. xss er ihre Grundzüge noch einmal anzudeuten. Den Wo⸗ 4 ae r Verordnung habe ich den Damen und Herren des — 2 sschusses und des Hauptausschusses zugänglich gemacht 8 drucke stehen gerne zur Verfügung. “ Diese Verordnung enthält viel me r, als ei ich in i zmen gelegen ist. Strafvollzug in — is b — chen Entwicklung nach nichts weiter als ein über die 85 musgebreitetes System von Vergünstigungen, das mit r—8 fängt und das, wenn der Gefangene sich in die Antalts⸗ dnung schickt und fleißig ist, ihm schließlich ein größeres M her Vergünstigungen bringt. Daß eine Strafe im Stuf 8 tem vollzogen wird, sagt noch nichts über den Geist — 8 1— zug beherrscht. Man kann ebensogut einen krassen Ber⸗ stufenmäßig gliedern, wie man schließlich h einen rei sf z si 4 ——v sich ohne ein Stufen⸗ Das Neue, was die Stufenverordnung vom 7. Juni 1929 bringen I, ist nun gerade dieser Geist, mit dem sie den Uzug erfüllen möchte. Und es war deshalb von Herrn nisterialdirigenten Hasse durchaus treffend gekennzeichnet in er bei den Beratungen des Hauptausschusses darauf hin⸗ 2 ₰ die Verordnung eine völlige Umwälzung unseres — in seiner Organisation und in seiner Handhabung Bei dieser Gelegenheit möchte ich dem bisheri Lei afvollzugsabteilung, Herrn — 8* j 8 aus meinem Hause scheidet und ein hohes Amt bei einer eren preußischen Behörde übernommen hat, meinen Dank sprechen dafür, daß er in langjähriger Tätigkeit in schwerer t und unter schwierigen Verhältnissen sein ganzes Können esetzt hat, um den hohen Anforderungen des Strafvollzuges der Gefängnisreform zu genügen.
— möchte nicht noch einmal auf die Kritik
erordnung in der Presse, in den Fachkreisen un h f
der Oeffentlichkeit des In⸗ und —— g die sich ihr fast durchweg zustimmend gegenüberstellt wie auch im Hauptausschuß die Absichten der Verordnung von
Rednern aller Parteien gutgeheißen worden sind.
Den obersten Sinn der staatlichen Strafe und damit des
xfvollzuges sieht die Stufenverordnung in der Aufgabe, die
ellschaft gegen das Verbrechen zu schützen. eichen will sie diesen Schutz, soweit das überhaupt durch die mnahmen der Strafrechtspflege möglich ist, auf doppeltem Sege: einmal dadurch, daß sie diejenigen Menschen, die ihrem len oder ihrer Veranlagung nach ausgesprochene Feinde der 8 llschaft find, einfach durch physischen Zwang daran hindert, 8 lich zu sein, indem sie sie also in festen Anstalten isoliert. Ich denke da an die Berufsverbrecher, die die Verordnung als sschwerster ziehbar“ bezeichnet, und an die geistig schwer minder⸗ vertigen Menschen, die durch ihre Konstitution an einer ver⸗ ständigen Einoronung in den Gesellschaftsorganismus immer wieder gehindert werden. Für Menschen dieser beiden Gruppen at die Verordnung besondere Anstalten geschaffen, in denen sie, vas wir für sehr wichtig halten, auch von dem großen Heer der übrigen Gefangenen getvennt gehalten werden. Denn wir wissen aus der Geschichte des Strafvollzugs, daß die Rückfälle, die er feitigte, zu nicht geringem Teil der Infektion der verhältnismäßig Unverdorbenen, der Neulinge im Gefängnis, durch diese Veteranen des Verbrechens zur Last zu legen sind. (Sehr wahr! bei der Sozialdemotratischen Partei.)
Die viel wichtigere positive Aufgabe für den Strafvollzug cher liegt in der richtigen Behandlung derjenigen Gefangenen, die ucht diesen beiden Auslesevarianten angehören. Auch ihnen nenüber handelt es sich um den Schutz der Gesellschaft gegen die Gefahren, die ihr von der asozialen Betätigung ein⸗ nner drohen. Wir glauben aber diesen Schutz nicht besser und nverlässiger erreichen zu können als dadurch, daß wir an diesen Renschen arbeiten, bis wir ihr Verantwortungsgefühl gehoben
eingehen, die
Sitte. Das ist der Sinn der Erziehung, die wir im Strafvoll⸗ inge anstreben. Der Strafvollzug darf niemals seine Hand dazu heeten, einen Menschen zu zerschlagen. Er kennt nur Menschen, die in Irrtum und Not gerieten und sich gegen die Gesetze ver⸗ lngen. Ihnen will er helfen; nicht nur durch Gebote und Ver⸗ zote, durch Riegel und Regeln, sondern burch Hilfe zur Selbst⸗ besinnung und Kraft; vor allem in voller Gerechtigkeit.
Auch bei diesem großen Heer von Gefangenen handelt es sich, sezia! angesehen, nicht um eine homogene Masse. Auch hier nuppiert die Vervordnung deshalb wieder, und genau wie vorhin seeht sie, um erst einmal die Gefahr der Ansteckung der Neulinge durch Menschen, die schon tiefer abgeglitten sind, zu bannen, eine
reuge Scheidung von denjenigen, die bereits eine große Zahl Vorstrafen hinter sich haben, von denjenigen, die nur gering
iegt,
Erste Beilage
Verlin, Montag, den 31. März
wenn Cie den Etat so annehmen, wie er
’ 5 Uund Herren, im amtliche Aerzte haben werden, und ich weise ferner hin, daß die Leitung des gesamten 2.. L T nc6 Herr Ministerialdirigent Hasse jetzt abgibt, nunmehr in der Hand 8 liegt. t nke, der nun die Arbeit an ang ist der: Wie der Staat nicht anders Ig.Cé 2 eve. aller, so kann auch die Arbeit im Gefängnis, diesem e Staat im Staate, nicht anders geheihen als durch die der Gefangenen. Hierzu müssen sie Vertrauen 2 2. * Zu den Menschen, die über sie gesetzt sind, und zu 2₰ 2 mit ihnen geschieht. Denn nur das Vertrauen schafft — 4† zu helfen und sich helfen zu lassen. Wir wollen nicht — oder Drill. Andererseits ist Disziplin in en Anstalten natürlich nötig. Aber sie ist nicht das Endziel. Vielmehr möchte die Verordnung erreichen, daß die Ge⸗ fangenen in die Aufgabe hineinwachsen, Träger von Verant⸗
Ihnen vor⸗ tommenden Jahre
wortungen zu sein. Diese Pflege des Verantwortunasmefür net die Stufenverordnung zum Mittelpunkt ihrer —— arbeit an den Gefangenen. Dem Gefangenen soll zum Bewußt⸗ sein lommen, daß man nicht irgendeine Tätigkeit, irgendein Ver⸗ halten von ihm verlangt, sondern daß es auf den ganzen e r in ihm ankommt.
zus diesem Bestreben heraus eröffnet die Berordnum . fangenen den Aufstieg in die b. Stufen, 29 IN oder Anstalt für Geförderte und als Stufe HI ober Ausgangs⸗ anstakt auch räumlich von den Eingangsanstalten getrennt sein veF.es - — in 8 höhere Stuse, zu denen man das 3 en n „ daß sie di ihei öhere y aenn, 2 sie die Freiheiten der höheren Stufe
Wenn man so die Abschnitte überfliegt, in denen die Haft⸗
erleichterungen für die höheren Stufen aufgegählt werden, und wenn man sich nicht den Sinn der ganzen Einrichtung klar macht, so könnte es so scheinen, als 0b die Verordnung den Ge⸗ fangenen ein Maß von Freiheit brächte, hinter dem der Sinn der Stvafe verblaßte. Und es ist ja auch in Presseäußerungen ge⸗ legentlich das Wort vom Gefängnissanatoriumn gefallen. Meine Damen und Herren, das Gegenteil ist der Fall. Es ist bei den Anforderungen, die der Stufenvollzug an den Ge⸗ fangenen stellt, heute für ihn viel schwerer, die I. und die III. Stufe zu erreichen, als das bisher der Fall war. Er muß sich viel mehr Mühe dazu geben, um das zu erreichen. Er wird viel eingehender geprüft. Derjenige, der sich nicht aufraffen kann und will, der bleibt in Stufe I stecken und hat dort nichts von all den Freiheiten und Hafterleichterungen der höheren Stufen. Auf alle aber, in denen ein guter Funken glimmt, wird die Möglichkeit, ihr Schicksal selber in die Hand zu nehmen, sich die Freiheiten der oberen Stufen gewissermaßen zu verdienen, anfeuernd wirken. Und die gerade sind es ja, denen wir helfen wollen mit allen Mitteln, um sie für die Gesellschaft zurückzugewinnen, und bei denen wir alle Kräfte wecken und stählen wollen, die ihnen eine straffreie Zukunft gewährleisten. Das ist der Sinn der so⸗ genannten Selbstverwaltung in der II. und III. Stufe.
Ich kann heute selbstverständlich noch nicht mit irgendwelchen Erfolgen aufwarten. Die Verordnung ist ja erst am 1. Oktober 1929 in Kraft getreten und in ihrem ganzen Umfang, d. h. mit all der angedeuteten anstaltsmäßigen Trennung der Gefängnis⸗ kategorien, erst, und allein, im Kammergerichtsbezirk verwirklicht worden. Aus den Erfahrungen, die wir hier machen, wollen wir für die übrigen Bezirke lernen. Wir werden in etwa ein bis zwei Jahren so weit sein, daß wir alle Bezirke in dies System einbeziehen können. —
Um das Programm zu verwirklichen, das wir uns mit der Stusenverordnung gestellt haben, brauchen wir nicht zuletzt eine weitgehende Umgestaltung in Mechanismus und im Organismus der Anstalten, in den Dingen also und in den Menschen. Denn auch die äußere Form ist ja leineswegs ohne Bedeutung für den Geist, den man in sie gießen will. Auch in dieser Beziehung haben wir im vergangenen Jahre mancherlei Fortschritte gemacht. 25 große Anstalten, die für den Strafvollzug nicht brauchbar sind, mit einer Belegungsfähig⸗ leit von mehr als 9000 Köpfen, sowie mehr als 300 Gerichts⸗ gefängnisse haben wir geschlossen. In zahlreichen Anstalten haben wir für moderne Arbeitseinrichtungen gesorgt; in den Anstalten
Jahre restlos durchgeführt werden. fast überall verschwunden. Wir haben sie entweder in kleine Gemeinschaftsräume aufgeteilt oder von ihrer Benutzung über⸗
haben wir übergroße Räume aufgeteilt — brauchen in sanitärer Hinsicht den Vergleich mit freien Arbeitsbetrieban nicht zu scheuen. Das Kübelsystem, das heute leider in unseren Anstalten noch vorherrscht, ist eine Rückständigleit (sehr wahr! bei der Sozial⸗ demokratischen Partei), der wir ebenfalls ernstlich zu Leibe gehen. Die Anstalten sind leider zumeist in einer Zeit gebaut, in der man auch im Privathaushalt die Wasserspülung noch mehr oder
weniger als Luxus ansah. In unseren Anstaltsneubauten,
der überhaupt noch nicht vorbestraft sind. Für jede der beiden pen ist eine besondere sogenannte Eingangsanstalt bestimmt. Bei der Behandlung der Gefangenen gehen wir davon aus, baz es wichtig ist, zunächst uns ein möglichst genaues Bild von dem beperlichen, seelischen und soßzlalen Zustande des Gesangenen zu nachen. Also gewissermaßen, die Diagnofe des Falles zu stellen. De Verordnung nennt das Persönlichkeitserforschung. Zu diesem Zvecke haben wir den kriminal⸗hbiologischen Dienst in unser Voll⸗ ingswesen hineingenommen und auch sonst den ärztlichen Dienst 2 unseren Strafanstalten erheblich ausgebaut. Ich darf darauf 1 eisen, daß wir an Stelle von drei hauptamtlichen Perzten im ZJahre 19es jetzt bereits 17 haben und,
wie Ziegenhain, Hamborn, Hamm, die voraussichtlich im Laufe dieses Jahres fertig werden, und ebenso im Neubau in Branden⸗ burg befinden sich selbstverständlich nur noch Spülklosetts. Und auch in den älteren Anstalten verwenden wir Jahr für Jahr einen größeren Geldbetrag zum Einbau von Spülanlagen.
Was die Kleidung der Gefangenen angeht, so habe ich angeordnet, daß die Gefangenen neben ihrer Alltags⸗ und Arbeitstracht einen besseren, sogenannten Sonntagsanzug er⸗ halten, den sie an Feiertagen und dann anlegen sollen, wenn sie mit der Außenwelt in Berührung kommen, z. B. wenn sie Besuch erhalten, wenn sie vor Gericht erscheinen müssen, was ja auch gestern Herr Kollege Rhode erwähnte, wenn in der Anstalt ein
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zeiger 1930
Vortrag oder ein Konzert stattfindet und sonst bei Gele enheite
bei denen der Gefangene sich den Augen 21. ⸗ gesetzt sieht. Es hebt die Selbstachtung des Gefangenen, wenn wir es ihm ersparen, in stark abgenutzter und vielfach geflickten Kleidung vor andere Menschen hinzutreten. Ferner ist den Klagen abgeholfen worden, die über den mangelnden Schutz unserer Gefangenenkleidung gegen die winterliche Kälte geäußert worden waren. Wir haben deshalb allgemein eine wärmere Winter⸗Unterkleidung eingeführt und ferner für Gefangene, die
im Winter im Freien zu arbeiten haben, ei „eine b kleidung herstellen lassen. 5 esondere Schutz⸗
Besondere Aufmertsamkeit schenken wir allen Bestrebungen zur geistigen Förderung der Gefangenen. Ent⸗ sprechend dem Ersuchen, das der Landtag im vorigen Jahre auf Anregung der Frau Abgeordneten Heßberger an das Staats⸗ ministerium richtete, habe ich besonders auf eine Förderung der hauswirtschaftlichen und gewerblichen Ause bildung der weiblichen Gefangenen Bedacht ge⸗ nommen. Die gefangenen Frauen werden überwiegend mit Wäscherei⸗ und hauswirtschaftlichen Arbeiten, mit Schneiderei vnd Handarbeiten beschäftigt, oder in der Anstaltsküche. Ferner ist bei einer Reihe von Frauenanstalten Gelegenheit zu landwirt⸗ schaftlicher und gärtnerischer Betätigung. Neben dieser rein praktischen Arbeit sind in verschiedenen Frauenanstalten Koch⸗ kurse und hauswirtschaftlicher Unterricht eingeführt, der durch Berufslehrkräfte erteilt wird. Hier werden den Frauen neben der praktischen Fertigkeit auch die für ihre Tätigkeit als Haus⸗ frau oder Wirtschafterin nötigen und nützlichen Kenntnisse ver⸗ mittelt. In einigen Anstalten, z. B. im Frauenzuchthaus in Groß⸗Strehlitz und in Ziegenhain, wird in dieser Richtung Mustergültiges geleistet. Die gefangenen Frauen haben den Wert dieser Ausbildung sehr schnell begriffen und machen sie sich eifrig zunutze. Sie lernen Freude und Interesse an Dingen, die ihnen in dieser Weise im freien Leben noch nie⸗ mals nahegebracht worden sind und deren Kenntnis und Be⸗ herrschung ihnen einen so wertvollen Schutz vor dem Rückfall gewährt.
3 Zu den Einrichtungen der modernen Technit
über die heute jede große Anstalt bei uns verfügt, gehören auch Rundfunk⸗ und Lichtbildapparatur. Man hat auch das manchmal getadelt und als zu weitgehend empfunden. Ich glaube aber doch: zu Unrecht. Der Vollzug der Freiheitsstrafe bringt not⸗ wendig eine starke Abschnürung des geistigen Lebens des Gefangenen von der Außenwelt mit sich. Die unerfreuliche Wirkung davon ist, daß der Ge⸗ sichtstreis des Gefangenen eingeengt wird, und daß ihm derjenige Wechsel der Eindrücke genommen wird, der notwendig ist, um einem Menschen seine geistige Elastizität zu erhalten. Dem suchen wir ja schon dadurch zu begegnen, daß wir im Unterricht, durch Vorträge belehrenden und unterhaltenden Charakters, durch den Ausbau der Anstaltsbücherei, durch die Herausgabe unserer Gefangenenzeitung „Der Leuchtturm’ — die übrigens aus⸗ gezeichnet ist, und die man für sehr wenig Geld abonnieren kann — den Gefangenen geistige Anregung zu vermitteln versuchen. Den⸗ selben Zweck verfolgen das Radio und das Lichtbild. Mit dem Radiolautsprecher sind wir in der Lage, die geistige Bereicherung, die der Rundfunk allen seinen Hörern vermittelt, auch den Ge⸗ fangenen in etwa zugute kommen zu lassen. Mit dem Laut⸗ sprecher wird der Unterricht belebt. Ebenso findet er sich in den Gemeinschaftsräumen der Stufen II und MI. Wo es örtlich möglich ist, werden von Zeit zu Zeit auch Radiovorträge be⸗ lehrenden Inhalts der ganzen Anstaltsbelegschaft übermittelt, Aber auch musikalische Darbietungen gediegenen Charakters werden gelegentlich übertragen. Wir folgen dabei der Einsicht, daß eine Erziehung, die sich nicht auch der Freude, die in der Musik liegt, zu bedienen weiß, ihren Zweck verfehlt. 8
Ich habe Ihnen an ein paar Beispielen zeigen wolle meine Damen und Herren, wie wir in unseren Strafanstalten ohne jede Ueberspannung des Gedankens uns bemühen, auch kulturellen Anforderungen in etwa gerecht zu werden, soweit unsere Finanzen das zulassen. Alles, was in dieser Richtung liegt, hat mit dem Stufensystem, von dem ich vorhin sprach, nichts zu tun. Genau so, wie jedem Gefangenen,
älteren Stils, die wir nicht einfach aufgeben können, sind wir ständig bemüht, die Unterkunftsverhältnisse zu verbessern. Die elektrische Beleuchtung sämtlicher Haftrüume wird in diesem Die großen Schlafsäle sind
haupt abgesehen. Die Arbeitssäle unserer Anstalten — auch hier
in welcher Anstalt oder Gruppe oder Stufe er sich befinden m seine seelsorgerische Betreuung gewährleistet bleist. genan so soll alles, was zur körperlichen oder geistigen Er⸗ tüchtigung der Gefangenen notwendig ist, Unterricht, Turnen, Bücher, bildende Vorträge usw., dem Gefangenen möglichst zu⸗ gänglich gemacht werden. Denn alle Dinge, die ihn innerlich fördern oder körperlich tüchtiger machen, sind positiv angelegtes Kapital für seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft, die ja das Ziel aller unserer Arbeit an ihm ist. Die Fülle neuer Aufgaben, die uns aus der Neugestaltung unseres Strafvollzuges erwachsen, stellt freilich an die Arbeits⸗ freudigkeit und an die Leistungsfähigkeit unserer Beamten in den Strafanstalten hoöohe Ansprüche. (Sehr wahr! bei der Sozialdemokratischen Partei.) Davon, ob die Beamten sich ihm gewachsen zeigen, wird schließlich die ganze Reform abhängen. An dem guten Willen der Beamtenschaft zu zweifeln, habe ich keinen Anlaß. Ihnen aber die hierfür erforderliche Ausbildung zuteil werden zu lassen, ist mein ernstestes Bestreben. Unsere nächste Aufgabe ist, die schon vorhandenen Beamten in unsere Absichten einzuführen. Das geschieht in ständig einander folgenden Nachschulungslehr⸗ gängen, zu denen wir die tüchtigsten und aufgeschlossensten Be⸗ amten ans dem ganzen Lande hier in Berlin versammeln. Unsere nächste Sorge gilt der Heranbildung eines guten Nach⸗ wuchses. Ich begrüße deshalb mit besonderer Genugtuung die aus Ihrer Mitte eingebrachten Anträge, die dasselbe Ziel im Auge haben. Abg. Obuch: Die der Finanzminister wieder streicht!) — Hoffentlich nicht! — Haben wir erst einmal eine in *Sätteln gerechte Beamtenschaft, dann werden auch die